Der Mythos des Athamas in der griechischen und lateinischen Literatur - Manuel Caballero González - E-Book

Der Mythos des Athamas in der griechischen und lateinischen Literatur E-Book

Manuel Caballero González

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Beschreibung

Die mythische Figur Athamas ist in die Literaturgeschichte als Prototyp des durch die Götter mit Wahnsinn gestraen Menschen eingegangen: Er tötet seinen Sohn Learchos, verfolgt seine Frau Ino und seinen anderen Sohn Melikertes und zwingt sie dazu, sich ins Meer zu stürzen. Durch eine eingehende Untersuchung dieses Mythos zeichnet das Buch ein anderes, dierenzierteres Bild dieser Gestalt. In der Überlieferung sind drei verschiedene Versionen zu unterscheiden, in denen Athamas entweder als Teil der Vorgeschichte der Argonauten, als Prototyp von Wahnsinn oder als sekundäre Figur gilt. Die Untersuchung ergibt, dass Athamas berechtigterweise sowohl als homo sacricans, wie auch als homo furens und als homo ignauus bezeichnet werden kann. Der Mythos zeigt nicht drei verschiedene Figuren, sondern eine Person aus drei unterschiedlichen Perspektiven.

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Manuel Caballero González

Der Mythos des Athamas in der griechischen und lateinischen Literatur

Narr Francke Attempto Verlag Tübingen

 

 

© 2018 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen www.francke.de • [email protected]

 

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

E-Book-Produktion: pagina GmbH, Tübingen

 

ePub-ISBN 978-3-8233-0004-5

Inhalt

Carissimae matri meae(Ecl. 12, 12b)VorwortEinleitungZiele, Methodologie und GliederungÜber den Mythos von Athamas. Fachsprachliche Präzisierung und Vorschlag einer GesamtdeutungErstes Kapitel Literarische Darstellung von Athamas’ MythosKlassische Griechische EpocheI. AischylosII. SophoklesIII. EuripidesKlassische Lateinische EpocheI. OvidZweites Kapitel Ausführliche Analyse der wichtigsten Themen jeder VersionEinleitungGründe für die Nennung von Athamas und für seine SageI. Ino-Phrixos-Helle-VersionII. Ino-Learchos-Melikertes-VersionIII. Ino-Themisto-Version und ZwischenstadiumIno-Phrixos-Helle-Version Teil 1I. PhrixosIno-Phrixos-Helle-Version Teil 2I.3 Die MenschenopferI.4 Die Abenteuer von Phrixos in KolchisIno-Phrixos-Helle-Version Teil 3II. Der WidderIno-Phrixos-Helle-Version Teil 4III. HelleIno-Learchos-Melikertes-Version Teil 1I. Präsentation des Konflikts in der I-L-M-VersionII. Die Entwicklung der Aktion in der I-L-M-Version Teil 1Ino-Learchos-Melikertes-Version Teil 2II. Die Entwicklung der Aktion in der I-L-M-Version Teil 2II. Die Entwicklung der Aktion in der I-L-M-Version Teil 3III. Lösung der I-L-M-VersionIno-Themisto-VersionDrittes Kapitel Literarische Analyse der Figur des AthamasEinleitungAnalyse der die Figur des Athamas enthaltenden TexteI. Griechische LiteraturII. Lateinische LiteraturTexte mit der angedeuteten Figur des AthamasBedeutsame Abwesenheit der Figur des Athamas bei einigen repräsentativen Autoren und TextenAllgemeine Schlussfolgerungen über den Mythos von AthamasDer Mythos von Athamas: seine VersionenAthamas und sein Bild in der Griechischen und Lateinischen LiteraturI. Griechische SchriftenII. Lateinische SchriftenAllgemeine Schlussfolgerungen der Versionen des Mythos von AthamasI. Die I-P-H-VersionII. Die I-L-M-VersionIII. Die I-T-VersionIV. Zwischenstadium der I-L-M- und der I-T-VersionLiteraturPersonen- und SachregisterZitate

Carissimae matri meae

(Ecl. 12, 12b)

 

Es nimmt kein Ende mit dem vielen Bücherschreiben, und viel Studieren ermüdet den Leib.

(Bibel - Einheitsübersetzung)

Vorwort

Das vorliegende Buch ist die überarbeitete und gekürzte Fassung meiner Dissertation, die im Juli 2011 an der Universidad Complutense de Madrid mit dem Titel „El personaje mítico Atamante en las literaturas griega y latina“ von Herrn Prof. Dr. García Romero angenommen wurde. Ihm bin ich zu besonderem Dank verpflichtet, weil er mir große Freiheit bei meiner Arbeit gelassen, mit enormer Hingabe alle Seiten der Dissertation (mehr als 1600!) gelesen und mit seinen Anmerkungen und Hinweisen mein Verständnis des Athamas-Mythos erweitert hat.

Zu danken habe ich Prof. Rossi (R.I.P.) und Prof. Nicolai von der Università della Sapienza in RomRom und Prof. Hose von der Ludwig-Maximilians-Universität in München für ihre unendliche Geduld, ihre großzügige und uneigennützige Hilfe und ihre bedingungslose Unterstützung in den schwierigen Phasen während all dieser Jahre. Besonderen Dank schulde ich Herrn Prof. Dr. Hose, der mit großem Einsatz und Hingabe die Fassung dieses Buches betreut und es in die Reihe Classica Monacensia aufgenommen hat. Mein Dank gilt auch dem Verlag Narr und ganz besonders Frau Burger und Herrn Bub für ihre professionelle Leistung. An dieser Stelle will ich auch die Professoren Dr. Cristóbal López, Dr. Lucas de Dios und Dr. López Salvá nennen, die zur Prüfungskommission gehörten und deren Hinweise tiefe Eindrücke in mir hinterlassen haben. Lang ist die Liste von Professoren, Dozenten, Kollegen und Kommilitonen, die mich unterstützt und mir mit ihren Kommentaren und Aufmunterungen sehr geholfen haben: Ihnen allen, besonders Prof. Dr. Floristán Imicoz, Prof. Dr. Hernández Muñoz und Dr. Marzillo sei Dank!

Für die Hilfe beim Korrekturlesen dieser Seiten bedanke ich mich bei Frau Helga Förtsch, Herrn Stefan Müller und Herrn Hubertus Hess.

Ohne den uneingeschränken Rückhalt durch meine Schwester, meine Eltern, vor allem aber durch meine Mutter hätte ich diese Arbeit nie vollenden können. Ihr möchte ich deshalb dieses Buch widmen: ¡Muchas gracias, madre!

Ich bedanke mich bei dem dreieinigen Gott, dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist, für die Kraft und die Gnade, dieses Werk in Gesundheit zu Ende zu bringen. Ihm sei Ehre und Ruhm in Ewigkeit. Amen!

Einleitung

Ziele, Methodologie und Gliederung

Die vorliegende Arbeit, begonnen im Jahre 2005, will zur Untersuchung der Figur des AthamasAthamas innerhalb der Klassischen Philologie beitragen; dafür war eine ausführliche Untersuchung der Charaktere und der Texte, die sich in der Welt des Athamas bewegen, notwendig.

Bisher ist nur eine Monographie zum Thema erschienen, La figure de Athamas dans la litérature grécolatine. Sie ist das Ergebnis einer von Anne-Claire Soussan an der Universität in Paris X Nanterre geschriebenen Dissertation und gilt als eine grundlegende Arbeit für die Erforschung des MythosMythos von Athamas. Das Buch hat eine deutlich anthropAnthropologieologische Orientierung. Deshalb betont die Verfasserin einige Aspekte wie die Opferriten in der von uns so bezeichneten I-P-H Version oder die Entstehung der dionysischen Zeremonien der Auferstehung in der I-L-M Version. Solche Elemente werden auch in der vorliegenden Arbeit ausführlich besprochen; diese unterscheidet sich jedoch von Soussans Buch im Folgenden: Hier wird versucht, den Mythos des Athamas anhand der Texte zu rekonstruieren, die ihn überliefern. Mein Ziel ist daher eher ein philologisches und will alle Belege des Mythos dia- und synchronisch analysieren.

Zunächst muss festgehalten werden, dass die Figur des Athamas im wissenschaftlichen Kosmos der klassischen Philologie innerhalb der komplexen Welt der mythischen Erzählung nie groß beachtet wurde, obwohl seine Sage die Aufmerksamkeit des Ecksteins der griechischen Literatur, nämlich Homers, und der großen Poeten der Klassischen Epoche, wie des berühmten Pindar, auf sich gezogen hatte; man darf auch die drei großen griechischen Tragödiendichter, Aischylos, Sophokles und Euripides nicht außen vorlassen, die Stücke schrieben, die im Titel den Namen unseres Helden, seiner Frau (InoIno) oder eines seiner Kinder (PhrixosPhrixos) enthalten und Ansichten und verschiedene Bearbeitungen des Mythos dokumentieren. Athamas war auch der Protagonist von Komödien, und sein Charakter sowie seine Sage erscheinen in den vielseitigen Gattungen und Epochen der griechischen und lateinischen Literaturen, von Homer bis zum fünfzehnten Jahrhundert n. Chr. in griechischen Schriften, und vom dritten Jahrhundert v. Chr. bis zur Renaissance in lateinischen Schriften (spätere Autoren werden in dieser Untersuchung nicht berücksichtigt). Leider existieren von vielen Werken – griechischen wie lateinischen –, in denen der mythologische Charakter von Athamas und seiner Sage eine außerordentliche Rolle spielte, ausschließlich einige wenige Fragmente und kurze Nachrichten (oft nur die bloße Erwähnung eines Titels). Jedenfalls zeigt uns die Vielfalt der Gattungen (Epik, Lyrik und Elegie, TragödieTragödie, Komödie, Rhetorik, wissenschaftliche und gelehrte Prosa, grammatikalische Werke usw.), in denen die Figur des Athamas behandelt worden ist, welch tiefe Kenntnis die Alten von Athamas hatten, wenn nur eine kurze und einfache Andeutung reichte, um alle AbenteuerAbenteuer unseres Helden ins Gedächtnis zu rufen. Ohne Zweifel hat die Tragödie – mehr als jede andere Gattung – dazu beigetragen, Athamas berühmt zu machen. Vielleicht waren einige tragische Szenen so beliebt, dass sie die Schriftsteller, die später über verschiedene Themen, wie das OpferOpfer, das Goldene VliesGoldenes Vlies, den WahnsinnWahnsinn, Inos SprungSprung oder den tödlichen Fehler Themistos schrieben, stark beeinflussten.

Ziel meiner Arbeit ist es, eine vollständige Studie nicht nur zu Athamas, sondern auch zu seiner SageSage zu erstellen. Denn Athamas’ Mythos dreht sich nicht einzig und allein um Athamas selbst, sondern oft übernehmen andere Figuren in seinen Abenteuern eine besondere Rolle – manchmal sogar noch wichtigere – z.B. seine Frauen NepheleNephele, InoIno und ThemistoThemisto, seine Kinder Phrixos und HelleHelle, LearchosLearchos und MelikertesMelikertes, LeukonLeukon, ErythriosErythrios, SchoineusSchoineus, PtoosPtoos und PorphirionPorphirion oder selbst der WidderWidder. Aus diesem Grund wird diesen Figuren ein großes Kapitel gewidmet.

Zunächst werden die literarischen Quellen analysiert, die von unserer Hauptfigur1 sprechen. Sie wurden aufmerksam gelesen und mit Hilfe der Kommentare und der Fachliteratur interpretiert. In diesem Sinne stimmen meine Ansichten ganz und gar mit denen von Antonio Ruiz de Elvira überein, der sagt: „Lo único que a nuestro juicio tiene rango científico en las investigaciones mitológicas es el estudio directo de los materiales o datos concretos sobre los mitos, estudio que debe hacerse exhaustivamente, pero poniendo sumo cuidado en marcar la diferencia entre lo que dicen esos datos y lo que se suple con la fantasía“2. Gemäß dieser These wird sich meine Arbeit meist auf die Quellen beschränken, in denen Athamas und seine Familie vorkommen. Ruiz de Elvira weist auch darauf hin, wie wichtig eine komparative Untersuchung des Mythos ist. Eine solche wird auch hier angewendet3, wenngleich auf eine meiner Arbeit gemäße und reduzierte Art und Weise.

Die vorliegende Arbeit ist folgendermaßen gegliedert: Im ersten Kapitel wird eine Untersuchung der literarischen Darstellung von Athamas angestrebt, zunächst in der griechischen, dann in der lateinischen Literatur. Vier Verfasser4 können als Hauptautoren für die Entwicklung des Mythos von Athamas betrachtet werden, nämlich die drei griechischen Tragiker Aischylos, Sophokles und Euripides und der große lateinische Dichter Ovid, der als Meilenstein in der Fassung, dem Verständnis und der Überlieferung des Mythos von Athamas gilt. Aufgrund des begrenzten Umfangs dieser Arbeit wird eine ausführliche Analyse der erhaltenen Fragmente der TragödieTragödien Athamas, Phrixos und Ino der griechischen Tragiker unterlassen: Nur die theoretische Untersuchung des Mythos bei diesen Autoren wird vorgenommen. Alle Erwähnungen der Sage des AiolidAioliden bei Ovid werden aber vollständig untersucht. Mit dieser unverkürzten Erforschung wird jede einzelne Textstelle im Detail analysiert: welche Rolle der Mythos spielt, wie er zum allgemeinen Ton des jeweiligen Werkes passt und welches Bild von Athamas dargeboten wird. Wo es möglich ist, wird zugleich versucht, eine Begründung für die dargestellten Varianten des Mythos zu finden. Ich werde mich in dieser Untersuchung der finnischen Schule und vor allem der Werke von Propp bedienen, soweit sie die Analysis der Motive von VolksmärchenMärchen5 betreffen, die aus dem Mythos von Athamas gelesen werden können.

Das folgende Kapitel behandelt die wichtigen Themen jeder Version. Dabei werden die großen konzeptuellen Bildrahmen, nämlich die Version Ino-Phrixos-Helle (I-P-H), die Version Ino-Learchos-Melikertes (I-L-M) und die Version Ino-Themisto (I-T)6 analysiert.

Innerhalb der Version I-P-H werden die drei Hauptfiguren dieser Handlung beleuchtet. An erster Stelle steht Phrixos, dessen Geschichte in drei Teile geteilt wird: 1) das Thema der StiefmutterStiefmutter (hier wird auf die Art der IntrigeIntrigen genauer eingegangen); 2) das Thema des MenschenopferMenschenopfers (das spielt in dieser Version des Mythos eine bedeutsame Rolle im Hinblick auf alle Arten von TodesstrafeTodesstrafe, nämlich als VersöhnungVersöhnung, als echte StrafeStrafe, als Katharsis, als ParadigmaParadigma, als EinweihungEinweihung, als Beispiel von UnfrömmigkeitUnfrömmigkeit); 3) das Thema von Phrixos in KolchisKolchis, das OpferOpfer des Widders und das Aushängen seines Vlieses an einem heiligen Ort (dabei spielen auch die GastfreundschaftGastfreundschaft des Königs Aietes sowie die Gründung einer Familie in jenen fernen Ländern eine Rolle). An zweiter Stelle wird die Figur des Widders analysiert, dessen Handlungsfeld mit der geographischen Lokalisierung zu tun hat: HellasHellas, wo der WidderWidder als RetterRetter vorgestellt wird; seine Fahrt, entweder in der LuftLuft oder auf dem MeerMeer; Kolchis, wo er, nach den meisten Quellen, geopfert wurde – sein Fell war der Grund für den FeldzugFeldzug der ArgonautenArgonauten. An dritter Stelle beschäftige ich mich mit Helle, die im Mythos von Athamas lange Zeit als sekundär galt und nur wegen ihres SturzSturzes ins Meer, das von ihr seinen Namen bekam, eine Bedeutung hatte. In dieser Version werde ich von der RationalisierungRationalisierung des Mythos sprechen, da sich alle rationalistischen Deutungen der Erzählung von Athamas auf die Figur des Phrixos, des Widders oder der Helle konzentrieren.

In der I-L-M-Version werden drei wesentliche Momente unterschieden, die der Entwicklung eines Theaterstückes entsprechen. Erstens: Der Streit und alle daraus entstandenen Übel. Die Ungnade hat einen Namen: DionysosDionysos. Diese Figur und die Beziehung, die sie mit Ino als AmmeAmme hat (die eine besondere Rolle im Mythos von Athamas spielen wird), werden oberflächlich untersucht. Zweitens: Die Entwicklung der Handlung. Sie hat zwei Hauptpunkte: einerseits den Wahnsinn von Athamas, Ausgangspunkt meiner Dissertation; hier wird der Begriff des Wahnsinns (Herkunft, Ursache, Verursacher, Befreiung) analysiert und ich werde zeigen, in welcher Art Athamas als Prototyp des Wahnsinns gelten kann; andererseits den Sprung von Ino mit Melikertes; hier werde ich sowohl über diese zwei Figuren als auch über die verschiedenen Riten, die auf ein Unsterblich-Werden zielten (der Tod im TopfTopf und der Tod im Meer) sprechen. Drittens: Die endgültige Auflösung; hier werde ich von der DivinisierungDivnisierung der Ino und des Melikertes sprechen, sowie von den verschiedenen KultKulten, die beide bekommen haben, entweder unter dem Namen von LeukotheaLeukothea und PalaimonPalaimon für die griechische Welt oder als Mutter MatutaMatuta und PortunusPortunus für die römische Welt, mit allen Problemen, die die Identifizierung dieser zwei Paare von griechischen und lateinischen Göttern impliziert.

Anschließend werden die Schlussfolgerungen der Dissertation dargestellt, indem meine Gedanken über die Figur des Athamas’ zusammengefasst werden: Welches Bild hatte man von ihm? Wie hat es sich entwickelt? Inwiefern kann er, wie zum Beispiel Cicero sagt, als Prototyp des WahnsinnWahnsinns gelten? Wie viele „Athamas“ kann man im Mythos unterscheiden, obwohl – das muss klar sein – unser Held eine einzige Person ist?

Als Abkürzungen der Zeitschriften werden die von der Année Philologique benutzt; als Abkürzungen der klassischen Autoren und ihrer Werke werden die vom Diccionario Griego-Español (DGE) verwendet.

Über den Mythos von Athamas. Fachsprachliche Präzisierung und Vorschlag einer Gesamtdeutung

Bis jetzt wurde nur vom MythosMythos des AthamasAthamas gesprochen. Nun ist es die Aufgabe zu präzisieren, wie die Begriffe ,Mythos‘, ‚LegendeLegende‘ und ‚populäres MärchenMärchen‘ verstanden werden sollten. Dabei werden die expliziten Unterscheidungen, die Ruiz de Elvira in seiner Mitología Clásica macht, dargestellt; dieses Werk ist ein maßgebliches Buch für den Bereich, der hier analysiert werden soll.

Tatsächlich definiert Ruiz de Elvira den Mythos mit den Worten „el relato acerca de dioses o de fenómenos de la naturaleza más o menos divinizados“1; die Legende aber mit der Beschreibung „el relato acerca de héroes y heroínas o personajes similares, caracterizados siempre como seres humanos … de notable relieve individual dentro de la colectividad a que pertenecen, y claramente encuadrados en una familia y en una época determinadas, con nombres propios que distinguen a cada uno de esos elementos individuales y colectivos“2; und schließlich das Volksmärchen in Abgrenzung zum Kunstmärchen: „el relato acerca de personajes humanos indeterminados en cuanto a familia, época y colectividad, carentes a veces hasta de nombre individual, si bien también de notable relieve por sus hazañas o cualidades“3. Selbstverständlich entsprechen diese Unterschiede nur rein praktischen Forschungskriterien, da die Grenzen in literarischen Werken nicht so klar sind und die Kriterien zu einem Amalgam vermischt werden.

Der aus der deutschen Sprache hergeleitetete Begriff ‚Saga‘ wird für die altnordischen4 Mythen- und Heldenerzählungen verwendet, das heißt, ihr Ursprung liegt in der skandinavischen Mythologie, obwohl sich die allgemeine Anwendung dieses Begriffs auf die Erzählung von Schicksalsschlägen einer Familie in zwei oder mehr Geschlechtern5 ausgeweitet hat.

In der vorliegenden Arbeit wird die Terminologie dadurch erleichtert, dass nur eine konkrete Figur aus der Mythologie und deren AbenteuerAbenteuer untersucht werden. Deshalb können hier ‚Mythos‘ und ,Legende‘ problemlos identifiziert werden. ‚SageSage‘ wird benutzt, wenn ich mich auf Athamas und andere Charaktere des Mythos beziehe. Unter ‚Version‘ wird dagegen ein Teil dieses Mythos verstanden, der eine Einheit in sich bildet und ganz ohne die anderen Teile des Mythos zu begreifen ist6.

Der wichtigste Punkt dieser Arbeit beruht auf der Unterscheidung zwischen drei verschiedenen Versionen des Mythos von Athamas. Die Figur des AiolidAioliden wird in der Regel im Ganzen global betrachtet, ohne Rücksicht auf die verschiedenen Kontexte. Jedoch ist der Athamas, der in der Geschichte von PhrixosPhrixos und HelleHelle vorkommt, ein ganz anderer Athamas im Vergleich zu dem, der im WahnsinnWahnsinn Learchus umbringt, und zu dem, der ThemistoThemisto heiratet. Die Rolle, die unser Protagonist jeweils in diesen von uns genannten Versionen spielt, ist völlig unterschiedlich: vom Athamas, der ein OpferOpfer darstellt, aber gleichzeitig das Leben seines Sohnes zu retten versucht, über den wahnsinnigen Athamas, Ursache des grässlichen Todes des Erstgeborenen der Ino, bis zu Athamas von Themisto, der sich eher passiv verhält. Deswegen wird Athamas in den drei unterschiedlichen Versionen als homosacrificanshomo sacrificans, homofurenshomo furens und homoignauushomo ignauus bezeichnet.

Es ist wahr, dass Athamas in den drei Versionen seines Mythos erscheint; jedoch ist in all diesen Versionen InoIno die Schlüsselfigur, diejenige, die eine besondere Rolle hat. Die Tochter des KadmosKadmos erscheint nämlich nicht nur in den drei Versionen, sondern ihre Taten sind sogar entscheidend, einerseits weil sie das Opfer des Phrixos durch eine von ihr geplante IntrigeIntrige fördert, andererseits weil sie beim Aufnehmen des DionysosDionysos unter dem Wahnsinn ihres Mannes leidet – manchmal nimmt sie auch an Athamas’ Wahnsinn teil – und sich mit ihrem Sohn MelikertesMelikertes in die Kluft stürzt, und schließlich weil sie, von Themisto gedrängt, verursacht, dass die Tochter des HypseusHypseus ihre Kinder tötet.

Aus diesem Grund wird jede Version7mit den Anfangsbuchstaben des Namensvon InoInound derjenigen Charaktere benannt, die die Schlüsselfiguren in der jeweiligen Version spielen. Demnach wird die erste Version als I-P-H bezeichnet, da, abgesehen von Ino, die meist als grausame StiefmutterStiefmutter der Kinder von NepheleNephele gilt, Phrixos und Helle die wichtigsten Achsen der Erzählung bilden, sowohl weil Phrixos’ OpferOpfer das Eintreten des rettenden WidderWidders bewirkt, sowie die Fahrt nach KolchisKolchis und das goldene VliesGoldenes Vlies, das diese SageSage mit dem Zyklus der ArgonautenArgonauten verbindet, als auch weil die FluchtFlucht der HelleHelle den SturzSturz in das MeerMeer verursacht, das in Zukunft ihren Namen tragen wird. Die zweite Version ist die I-L-M-Version, da, abgesehen von Ino (hier besorgte AmmeAmme des Sohnes ihrer Schwester SemeleSemele), LearchosLearchos und MelikertesMelikertes diejenigen sind, die eine wesentliche Rolle in der Erzählung spielen: Der erste wird zum OpferOpfer des wahnsinnigen Athamas; der zweite wird zusammen mit seiner Mutter auf der Flucht vor seinem Vater in einen TopfTopf geworfen, wie einige Autoren sagen, oder in die Tiefe des Meeres, wie die meisten behaupten. Die dritte Version wird I-T genannt, weil, abgesehen von Ino (hier SklavinSklavin), Themisto diejenige ist, die der Erzählung ein besonderes Gewicht verleiht, da zwei ihrer Kinder von der Hand ihrer eigenen Mutter sterben werden und diese sich schlieβlich das Leben nimmt, als sie, wie in den meisten unserer Quellen berichtet wird, diesen tragischen Fehler entdeckt.

 

Einige Autoren haben eine allgemeine rationalistiche Deutung des Mythos von Athamas vorgeschlagen, indem sie das archetypische8 Modell dieser Legende rekonstruieren.

Nach Escher „ist [Athamas] ein Eponym der AthamanenAthamanen, deren Namen die ,athamantischen Ebenen‘ in ThessalienThessalien und BöotienBöotien verraten“9. In historischer Zeit befinden sich die Athamanen sowohl in Epirus als auch in Heraklea neben dem Iti-Gebirge. Die böotischen eponymischen Lokalitäten der Kinder des thessalischen Paares Athamas-Themisto deuten auf die MigrationMigration von Völkern hin. Jedoch hat die Sage von Phrixos seine Urwurzel in einem athamantischen KultKult; daher wird Phrixos zum Sohn des Athamas und seine Mutter, die nicht von dieser Welt stammende Nephele, zur Frau des Aioliden. Viel später wird Ino in Böotien mit Athamas in Verbindung gebracht, dessen Sohn Phrixos war. Damit kam Athamas zum Kreise des Dionysos. „Diese boiotische Sage mit mannigfacher Sondergestaltung im einzelnen ist die herrschende geworden“10. Escher schlägt also eine Migration von Thessalien nach Böotien vor.

 

Auch Robert bietet seine eigene Meinung über den Mythos des Athamas. Seines Erachtens wird die Rolle des Widders in dieser SageSage der Lächerlicheit preisgegeben. Robert hält das Hilfsmittel, das Phrixos zur Rettung gegeben wird, für etwas Künstliches, das bei den Lesern analoge Episoden der Weltliteratur aufruft, wie das OpferOpfer der Iphigenia in der griechischen Welt oder das des Isaac in der Bibel. Deshalb schließt der deutsche Gelehrte: „…hier liegt deutlich eine spätere Entwicklung vor, die durch die Verbindung der Phrixossage mit der Fahrt der Argo bedingt ist“11. Der Grund des Opfers war eine hartnäckige DürreDürre mit einem entsprechenden Ernteausfall im Land des Athamas. Die Ursache ist also natürlicher Art und entspringt nicht der Intrige einer StiefmutterStiefmutter. Robert glaubt, der natürliche Ursprung des Unheils begründet, „daß Phrixos sich freiwillig zum Opfer anbietet“12. Die Einführung einer böswilligen Stiefmutter ist eine spätere Entwicklung; es ist sogar unmöglich, dass Ino ursprünglich die die Intrige planende Figur war; sie scheint diese Rolle erst seit Euripides übernommen zu haben. Helle hatte überhaupt keine Beziehung zu dem Opfer des Phrixos; ihr Leben schwebt erst bei späteren Überlieferungsträgern13 in Gefahr und ist als Eponym des HellespontHellesponts dargestellt. Robert zufolge „stehen die thessalische und die boiotische Athamas-Sage anfänglich völlig unabhängig voneinander da“14. In der thessalischen Sage geht es um das MenschenopferMenschenopfer in AlosAlos, in der anderen Fassung um den Hass der HeraHera gegen SemeleSemele und deren Familie.

Krappe beschränkt sich auf die I-P-H-Version und schlägt Folgendes vor: „Athamas répudie Néphélè et épouse une femme mortelle qui lui donne plusieurs enfants. Jalouse de sa rivale qu’elle hait, Néphélè provoque une famine, sachant que par ce moyen le fils de sa rivale sera inmolé à l’autel. Pour sauver son enfant d’une mort terrible, la pauvre mère se suicide et devient une divinité bienveillante“15. Dieser Vorschlag leuchtet mir nicht ein. Nirgendwo liest man, dass Ino um das Leben ihres Sohnes fürchtet, weil kein Text Learchos oder MelikertesMelikertes als versöhnende Opfer vorschlägt, die die DürreDürre beenden können. Auch ist nirgendwo zu lesen, dass Ino sich tötet, um ihren Sohn vor dem Tod auf dem Opferaltar zu retten.

 

Sehr interessant ist die holistische Deutung von Fontenrose (S. 149–150). Diesem Autor zufolge ist das, was hier als I-T bezeichnet wird, eine ganz böotische und keine thessalische Legende. Sie „was told in Orchomenus and all about the Lake CopaisCopais region“16. In der Tat bildete dieser von schottischen und französischen Ingenieuren im XX. Jh. entwässerte SeeSee ein Dreieck mit den Städten AkraiphiaAkraiphia nach Osten, HaliartosHaliartos nach Süden und OrchomenosOrchomenos nach Nordosten. Die I-P-H Version mit dem Motiv von PotipharPotiphar „belongs to Thessaly; for Nephele and Phrixus are certainly Thessalian figures“17. Fontenrose beruft sich auf das Werk von Müller, der, wenn er die Rolle der Frau von Kretheus erläutert, „offenbar einer Thessalischen und eigenthümlich Iolcischen Sage folgt18. Denn auch Phrixos heißt ein IolcierIolcier“19. Zwar stellt Fontenrose nicht fest, welche von diesen Versionen die älteste ist, aber er deutet an, dass jede Version, nachdem sie sich in ihrer Entstehungsregion etabliert hat, auf die andere trifft und sich die von mir genannte I-P-H Version ergibt. Den griechischen und lateinischen Autoren zufolge befindet sich diese Version in HalosHalos oder Orchomenos. In Bezug auf die Geschichte von Ino ist die Nachricht von Paus. I 42, 7PausaniasPaus. I 42, 7 über die Ankunft von Ino in MegaraMegara von Bedeutung: „if it was in the Megarid that a triangle tale was first told about Ino, the story passed thence to Thebes, Ino’s original home, and to other Boeotian cities, where it took several forms and also merged with the legends that had grown up around Athamas“20. Fontenrose behauptet, Ino wurde mit LeukotheaLeukothea wegen ihrer Rolle als Athamas’ Frau in den Geschichten, die von einem Mann mit zwei Frauen handelten, gleichgesetzt; diese Identifizierung wurde in KorinthKorinth und auf dem IsthmosIsthmos stärker vertreten. Der Grund dafür liegt vielleicht in den Kulten zu Ehren der Ino, die in dem nahe Korinth gelegenen Megara gefeiert wurden. In diesem Zusammenhang – so Fontenrose weiter – wurde Melikertes in dieser Stadt zum Sohn der Ino. In der Tat ist der Name ihres Sohnes jeweils anders: Melikertes in Korinth, PalaimonPalaimon in TenedosTenedos. Mit einem Wort: die Geschichte von Leukothea-Palaimon hatte im Hinblick auf die Isthmischen SpieleIsthmische Spiele eine aitiologische Funktion.

Auf diese drei Arten von Geschichten beruft sich Fontenrose21, um den mythischen Stamm der Legenden von Athamas – abgesehen von der Geschichte der Ino und der von Aedon-ProkneAedon-Prokne – zu rekonstruieren. Ihr Schema könnte das folgende sein:

1)

Ein Mann hat Kinder von seiner ersten Frau; er heiratet eine zweite Frau, die ihm auch Kinder schenkt. Die StiefmutterStiefmutter hasst ihre StiefkinderStiefkinder und intrigiert gegen sie. Am Ende aber tötet sie ihre eigenen Kinder und verliert selbst das Leben.

2)

Ein Mann hat einen erwachsenen Sohn von seiner ersten Frau; er heiratet noch einmal, und diese Frau verliebt sich in ihren Stiefsohn, der sie ablehnt. Sie beschuldigt ihn bei seinem Vater, der ihr glaubt. Der Sohn flieht. Der Vater entdeckt später die Wahrheit und bestraft seine Frau.

3)

Ein Mann hat eine heimliche Geliebte. Seine Frau entdeckt dies und ist eifersüchtig. Sie entwickelt Hass gegen ihren Mann und in dem Vorhaben, ihn zu bestrafen, bestraft sie den einzigen Sohn, den sie von ihm hat. Der Mann wiederum bestraft sie.

Die ersten beiden Modelle können unter einer einzigen Überschrift zusammengefasst werden; meiner Meinung nach ist der Kern beider Erzählungen die Figur der StiefmutterStiefmutter; der Unterschied liegt in dem Hass und der Intrige, die entweder gegen das Stiefkind aus Liebe oder gegen die StiefkinderStiefkinder aus NeidNeid gerichtet sind. Aus diesem Grund können m.E. beide Erzählungen als die ,von der neidischen Stiefmutter‘ oder die ‚von der verliebten Stiefmutter‘ bezeichnet werden.

Fontenrose fasst diese drei Arten in einem weitergehenden generischen Modell: „a husband takes a second wife or a concubine; jealousy or rivalry occurs between the women; as a result the husband loses his children“22. Er schließt nicht aus, dass die drei Arten der in seinem Artikel erwähnten Erzählungen ihren Ursprung in einer polygamen Gesellschaft des Morgenlandes haben; er wagt sogar Syrien oder den Nahen Osten vorzuschlagen. Nachdem der Kern des Mythos in dieser Art von Gesellschaft entstanden war, wurden die dort erzählten AbenteuerAbenteuer später in die hellenische monogamische Kultur übertragen und dementsprechend angepasst (die erste Frau stirbt oder der Mann lässt sich von ihr scheiden; das Thema der Geliebten passt ebenfalls dazu). Im Bezug auf die AitiologieAitiologie des Mythos von Athamas (und des Mythos von Prokne) ist Fontenrose der Meinung, dass diese drei Erzählvarianten wahrscheinlich ins Spiel gebracht wurden „as aitia to explain certain cults and rites that attracted attention: the worship of ZeusZeus Laphystius at HalosHalos and Mount Laphystium, the Agrionia of Orchomenus, other Dionysiac cults in Boeotia, the Isthmian festival, the sacrifices to Palaemon-Tennes on TenedosTenedos“23. Dieser Gelehrte argumentiert auch gegen viele englische Autoren, die denken, dass der Mythos aus dem Kultus entstanden24 ist, das heißt, dass sich der Plot eines Mythos aus der Gesamtheit der Gesten eines Ritus entwickelt hat. Die Geschichte von Athamas wurde dem allgemeinen Magma der hellenischen Folkloristik entnommen.

Großen Wert legt Fontenrose auf die I-T-Version und vermutet irgendeine Verbindung zwischen der I-L-M-Version und Athamas in den ältesten Zeiten, weil er glaubt, dass Ino und Leukothea ursprünglich nicht gleichgesetzt waren: Die I-P-H-Version der neidischen StiefmutterStiefmutter wäre in diesem Fall eine spätere Wiederverarbeitung der Motive von PotipharPotiphar und der I-T-Version. Nicht klar ist, wie diese Version in OrchomenosOrchomenos die Oberhand gewinnt, wenn man glaubt, dass die I-T-Version in der Stadt schon angesiedelt war. Es ist uns auch nicht ganz selbsverständlich, dass die I-P-H-Version Elemente der I-T-Version behält; Fontenrose erwähnt sie nicht. In der Tat besteht die einzige wesentliche Veränderung in den Gründen der Intrige gegen den Sohn von Athamas.

Darüber hinaus sieht es ein wenig übertrieben aus, anzunehmen, dass „if Nephele and HeraHera were originally identical, and if Athamas was a form of Zeus, then in legends Band C25 we may have a development of the stories of Zeus’s amours“26. Fontenrose macht m.E. in seinem Artikel27 zu viele ,Identifizierungen‘, ohne deutlich zu demonstrieren, ob sie der Wahrheit entsprechen können.

 

Schließlich ist der Kern der Legende von Athamas laut Jouan / Van Looy im Schol. in Ar. Nu.257HolwerdaScholia zu AristophanesSchol. in Ar. Nu. 257b Holwerda jwie folgt aufzufassen: Als Bestrafung durch DürreDürre nach dem Verschwinden der WolkeWolke. „Le thème de la mauvaise marâtre s’est greffé très vite sur ce récit“28.

 

Alle diese Punkte werden auf den nächsten Seiten geklärt, zudem wird eine zusammenhängende Struktur des Mythos von Athamas dargelegt.

Erstes Kapitel Literarische Darstellung von Athamas’ Mythos

Klassische Griechische Epoche

I.Aischylos

Von den 90 oder 92 Tragödien, die Aischylos verfasst hat, trägt eine den Titel Αθάμας; dies kann man in dem von Radt (T 78, 1b) gesammelten Katalog der aischylischen Werke lesen. Abgesehen von dieser TragödieTragödie mutmaßt Aélion folgende Möglichkeit: „au sort de Mélicerte après sa mort, Eschyle avait consacré un drame satyrique, les Theôroi ou les Isthmiastai, dont les découvertes papyrologiques ont révélé d’importants fragments“1; keine Tragödie von Aischylos aber ist in Bezug auf die Geschichte von PhrixosPhrixos bekannt2, jedenfalls muss man dies annehmen, wenn man die Liste der erhaltenen Titel dieses Autors analysiert. Es ist aber möglich, dass einige der AbenteuerAbenteuer von Phrixos, und zwar diejenigen, die er in KolchisKolchis erlebte, in der Tragödie Argo, bei der es um den ArgonautenArgonautenzug geht, angedeutet wurden.

Aischylos ist den erhaltenen Informationen nach der erste Schriftsteller, der ein Theaterwerk über Athamas und seinen Mythos verfasst hat. Deshalb sollte man hier die Überlegungen von Fontenrose festhalten, der in seinem Artikel „The sorrows of Ino and Procne“ schreibt: „We must remember that we know most of the Greek traditional stories in literary versions, whose authors seldom, if ever, had the same purpose as the brothers Grimm. Rather, they fitted the stories as they pleased to their plays, lyrics, and epics, changing and rearranging, adding and subtracting parts, and filling in from their own invention. It is only through a comparative study that we can conjecture the nature of the underlying folk traditions“3. Diese kritische Betrachtungsweise sollte der Leser stets im Blickfeld haben, wenn er mit den tragischen Versionen des Mythos von Athamas konfrontriert wird; im Absatz über Euripides wird dieses heikle Thema vertieft werden.

Wenig kann man über die Bearbeitung des Mythos durch Aischylos sagen, weil sein Athamas nur fragmentarisch erhalten ist. Ebenso wenig kann man über die anderen Tragiker und literarischen Schriftsteller aussagen, wie es ja Fontenrose klargestellt hat. Andererseits ist es wichtig zu bemerken, dass die erhaltenen Kompilationen, wie die hellenistische von Apollodor4 oder die kaiserliche von Hygin, um die zwei wichtigsten anzuführen, die eine auf Griechisch, die andere auf Latein, vorwiegend nicht auf den folkloristischen Elementen der griechischen und lateinischen Traditionen, sondern auf den von den früheren Autoren übertragenen Versionen beruhen.

Jetzt stellt sich die Frage, wie die Tragiker das überlieferte Material bearbeitet und den Mythos von Athamas präsentiert haben; selbstverständlich aber werden auch sie den Mythos von Athamas neu betrachtet und umgeformt haben, in einer Weise, die jahrhundertelang nicht nur die griechische, sondern auch die lateinische literarische Welt geprägt hat. In der Tat weisen Jouan / Van Looy darauf hin, „plusieurs sources ajoutent des détails qui pourraient remonter à un des nombreux drames que les trois tragiques ont tirés des légends d’Athamas-Ino-Phrixos“5; leider kann man diese Quellen oft kaum mehr erkennen.

Von Aischylos’ Werk über diesen Mythos sind nur wenige Fragmente überliefert. Auf den nächsten Seiten wird versucht, die Handlung zu rekonstruieren, obwohl es sehr schwierig ist, eine gelungene Lösung zu erreichen, da die erhaltene Anzahl von Versen und sogar die von Wörtern sehr beschränkt ist. Wie Aélion bemerkt, betrifft diese Ungewissheit sowohl die Athamas betitelte TragödieTragödie als auch das ganze corpus Aeschyleum: „Nous ne connaissons que six tragédies de lui sur les quatre-vingt-dix qu’il avait composées. Prétendre, d’après un corpus aussi limité, établir avec certitude ce qui est eschyléen et ce qui ne l’est pas, paraît peu sérieux“6. Darum sollten alle unten vorgetragenen Behauptungen nur sehr kritisch angenommen werden; die Angaben erlauben nicht, weitere Schlüsse zu ziehen. Diese Vorsicht muss im Falle von Athamas’ Mythos noch erweitert werden, denn Robert bemerkt: „Jedoch geben die spärlichen Fragmente weder von der Sagenversion noch von dem Gang der Handlung eine Vorstellung“7.

In Bezug auf Aischylos ist nichts sicher; eines aber könnte wahrscheinlich sein, wie Radt in seiner Ausgabe der tragischen Fragmente von Aischylos vorschlägt: Das erste Fragment könnte man in Verbindung mit dem Bilde von Athamas’ Sohn im Kessel mit kochendem Wasser bringen. Optimistischer ist aber Lucas de Dios: „Es posible establecer, con visos de gran probabilidad, la temática general de la trama“8. Vom Inhalt dieses Fragmentes aus geht der spanische Professor sogar noch weiter als der deutsche Forscher; er nimmt an, dass HeraHeras Rache an Athamas und Ino, die wegen der Erziehung des DionysosDionysos in ihrem Haus mit WahnsinnWahnsinn bestraft wurden, in dem aischylischen Werk ausgeführt wurde.

 

In ihrer Untersuchung folgert Aélion daraus, „l’Ino d’Euripide reprenait, dans sa dernière partie, le sujet de l’Atamante d’Eschyle“9, obwohl sie zugibt10, dass der fragmentarische Zustand der Werke Aischylos’ und Euripides’ über den Mythos von Athamas nicht viel zu sagen gestattet. Diese Autorin43 hält dafür, dass Aischylos’ Io als Muster für all die wahnsinnig gewordenen Figuren gilt, die bei Aischylos (Io und Orestes in den überlieferten TragödieTragödien; Athamas, Ino, Lykurgos und Pentheus in den verlorenen) und bei Euripides (Orestes, Herakles, Pentheus und Agave in den erhaltenen Tragödien; Athamas, InoIno und Alkmeon in den verlorenen) erscheinen, „parce que la peinture de son état de folie est beaucoup plus précise que celle que nous trouvons dans les Choéphores“11.

Io ist die erste, die z.B. Halluzinationen hat; ihre Metamorphose in ein Tier wird alle tierische Verhaltensweisen des Wahnsinns eingeleiten12. Sie präsentiert die typischen Symptome des Irrsinns: Herzpochen, heftiges Atmen, weit aufgerissene Augen, Schaum vor dem Mund, sinnloses Gestammel13, usw. Fast alle diese physischen Äußerungen versteht Hyppokrates unter einem besonderen Begriff: Epilepsie. Es ist klar, dass diese Beschreibung auch für Euripides’ Herakles gilt, dessen Wahnsinn nicht inszeniert, sondern von einem Boten berichtet wird. In diesem letzten Fall gibt es aber ein neues Anzeichen, das wahrscheinlich von Sophokles’ Aiax angenommen wurde: das wahnsinnige Lachen. Genauso ist das Hinschlachten von Herakles’ Frau und Kindern ein treues Abbild vom fehlgeschlagenen Mordversuch des Aiax: Io bringt niemanden um. Abgesehen von der Aufführung von Aischylos’ Athamas kann es auch sein, dass Aischylos’ Lykurgos, der seine Frau und sein Kind tötete, auf Euripides Einfluss hatte. Euripides’ Herakles ist dann eine Synthese des von Aischylos und Sophokles aufgeführten WahnsinnWahnsinns.

Der größte Unterschied zwischen diesen beiden Autoren und Euripides liegt darin, dass die ersten beiden Tragiker den übernatürlichen Ursprung des Wahnsinns betonen, Euripides aber den Irrsinn für mehr psychologisch und in der menschlichen Natur begründet hält. Allerdings meint Aélion in ihrem Buch: „Si nous écartons toute idée préconçue et si nous respectons ce que dit le texte, nous devons reconnaître qu’Euripide a voulu que la folie d’Héraclès eût une cause surnaturelle: c’est Héra qui l’a voulue, c’est Lyssa qui l’a causée, c’est Athéna qui y a mis fin“14.

Die einzelne Figur, die sowohl Aischylos als auch Euripides in derselben Situation inszeniert haben, ist Agamemnons Sohn, Orestes15, dessen Wahnsinn aus der Angst und dem Schuldgefühl wegen des Muttermords16 entsteht. Bei dem in Iphigenie bei den Taurern inszenierten Orestes taucht ein neues Zeichen des Wahnsinns, nämlich das Handzittern, auf. Dabei werden die üblichen Züge (beschleunigter Herzschlag, keuchender Atmen, unsteter Blick und rasende Sprünge) nicht beachtet. In Euripides’ Orestes wird die einzige Darstellung eines Anfalls von Wahnsinn aufgeführt; diese, wie im Fall von Io, weicht sehr von der des Athamas ab, denn der AiolidAiolide hat den Tod seiner Kinder zum Ziel, Orestes’ und Ios Wahnsinn aber ist Bestrafung, unter der sie leiden müssen.

Nach Aélion bestehen die Größe und die Originalität von Euripides hauptsächlich darin, dass er sowohl für Orestes als auch für Herakles und Pentheus, die zum Paroxysmus neigen, die religiöse und psychologische Erklärung offen lässt. Diese französische Forscherin hält Aischylos’ Athamas für ein wesentliches Theaterstück, weil dieser Tragiker Athamas’ Wahnsinn ganz anders vorstellt als den von Orestes und Io. Wahrscheinlich hatte diese Darstellung einen großen Einfluss auf die Weise, wie Euripides seine ‚Wahnsinnige‘ begriff.

 

Radt behauptet, „Adesp. F 100sq. huc pertinere coniecit Italie ms.“, wenn auch dieser Vorschlag eine Annahme nur von diesem Gelehrten ist, weil Wilamowitz dieses Fragment und das folgende auf Euripides’ Ino zurückführte, und zwar zur Zeit des deus-ex-machina17.

In Bezug auf die Zuweisung dieses Werkes zu einer Trilogie gibt es zwei wichtige Hypothesen:

 

1) Hartung18: ̓Αθάμας – Τοξότιδες – Πενθεύς (= Ξάντριαι) – Σεμέλη.

 

Gantz begründet diesen Vorschlag folgendermaßen: „If it was part of a connected trilogy, then it was probably linked to Toxotides (concerning the death of SemeleSemele’s suitor, Aktaion) and the Semele (about Semele’s pregnancy and death)“19. Lucas de Dios glaubt, dass dieser Standpunkt des Werkes Athamas eng mit DionysosDionysos verknüpft20.

 

2) Snell – Welcker – Untersteiner21: ̓Αθάμας – ; – Θεωροί – ?

 

Mette behauptet, „daß auf die Begründung dieser Spiele durch Sisyphos zum mindesten Bezug genommen wurde, ist sehr wahrscheinlich“22, sogar wenn der König, der inszeniert wurde, nicht Sisyphos gewesen wäre, sondern einer seiner Nachfolger. Darum glaubt er, vermuten zu dürfen, „daß dieses Satyrspiel zu derselben Tetralogie gehörte, aus der auch der ‘Athamas’ stammt“23.

 

Untersteiner24 ist der Forscher, der das Werk intensiver analysiert hat; er nimmt eine vorhergehende, vielschichtige Etappe an, die von den vorigen Taten berichtet: Athamas sollte ThemistoThemisto-NepheleNephele (zwei Namen einer einzigen Person) wegen Heras ZornZorn, dessen Ursprung unbekannt bleibt, verlassen; danach folgt der HassHass der StiefmutterStiefmutter Ino, die allgemeine Not und das OpferOpfer des Phrixos25. Die TragödieTragödie hätte sich auf die Aufnahme des Kindes DionysosDionysos konzentriert. Dieses Werk wäre das erste der dem Aioliden gewidmeten Tetralogie26. Das zweite Werk, Die Epigonen, sollte die Rettung Athamas’ durch Kytissoros erzählen. Das dritte Werk wäre Die Pilger desIsthmosIsthmos gewesen. Schließlich sollte das Satyrspiel Sisyphos, der Flüchtling folgen. Seine Meinung wird aber heutzutage wenig unterstützt. Eine andere Möglichkeit schlägt Deforge vor, wie man bei Lucas de Dios lesen kann; Deforge will Athamas mit Die Bakchen und dem Satyrspiel Die Boten oder Die Teilnehmer bei den Isthmischen SpielenIsthmische Spiele verknüpfen. Lucas de Dios aber sieht ihre Lokalisierung in einer Trilogie als problematisch27.

Im weiteren Verlauf des Mythos stößt man bei Lucas de Dios auf eine sehr interessante Zusammenfassung über die Ehen von Athamas. Der spanische Forscher analysiert sie und bemerkt, wie das Themengebiet der ‚StiefmutterStiefmutter‘ allen diesen Ehen zugrunde liegt. Die von mir genannte I-L-M-Version trennt sich aber von den üblichen Ehekonflikten in Athamas’ Mythos28.

Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Chronologie von Heras Rache die Rekonstruktion der Tragödie von Aischylos beeinflusst. Zwei Möglichkeiten der Rache stehen offen, entweder verspätete oder unmittelbare Rache. Bei den meisten literarischen Autoren, wie z.B. Euripides, findet man diese Rache „bastante posterior a la crianza de Dioniso en casa de Atamante e Ino“29. Bei Apollod III4,3 oder in den M.V.II100Mythographi VaticaniM.V. II 100 folgt die Reaktion unmittelbar nach der Aufnahme des DionysosDionysos.

Die Einrichtung der Isthmischen SpieleIsthmische Spiele zu Ehren von MelikertesMelikertes wird schon in Frg. 5–6MaehlerPindarFrg. 5–6 Maehler bei Pindar beschrieben; Maehler ergänzt diese Fragmente mit Hilfe des Schol. in Pi. I. Hyp. Arg. I a (S. 192) DrachmannScholia zu PindarSchol. in Pi. I. Hyp. Arg. I a Drachmann, in dem ein Chor von Nereiden Sysiphos befiehlt, diese Spiele einzurichten, weswegen Untersteiner30 einen Chor von Nereiden in Aischylos’ Tragödie vorschlägt. Wenn man auch nicht sicher behaupten kann, dass Pindar sich auf die Aufnahme von Dionysos bezieht, kann es auch nicht kategorisch abgelehnt werden. Mette, der dieses Scholion zitiert, um zu beweisen, dass auch Pindar die Einrichtung des Wettbewerbs in KorinthKorinth behandelte, erwähnt die Handschrift P. Oxy. 2451 (Bd. 26) Frg. 1, Sp. 1 lin. 3–4 und stellt fest, „daß die Isthmischen SpieleIsthmische Spiele zu Ehren des LearchosLearchos gestiftet wurden: ἐπὶ Λεάρχωι ὄντι υἱῶ<ι> [ ] … ̓Αθάμαντος“31.

Lucas de Dios erklärt, dass der Beleg zu τὸν μὲν τρίπους ἐδέξατ’ οἰκεῖος (;) λέβης die Episode des Todes von Melikertes andeuten könnte, den seine rasende Mutter in den Kessel mit kochendem Wasser warf. Die zwei Verse dieses Fragmentes kämen aus dem Munde eines Boten, der diese schreckliche Nachricht auf der Bühne überbringen würde32. In der Tat konnte der Ausdruck τὸν μὲν mit einem τὸν δὲ, was sich auf Learchos bezog, ergänzt werden. Lucas de Dios aber weist darauf hin, „esta conjetura tiene el inconveniente de lo sucinto de la descripción, que debería ser más pormenorizada en una escena de desenlace, a no ser que se trate de las típicas líneas de avance de la noticia“33. Bemerkenswert ist, dass die Erwähnung des Todes von Melikertes im Kessel erstmalig in der Apollodor zugeschriebenen Bibliothek auftaucht. McHardy ist derselben Meinung wie Prof. Lucas de Dios: „It is possible (although this is highly speculative) that this version34 fanned the plot of Aeschylus’ Athamas since one fragment refers to someone being cast into a cauldron“35. Vorsichtiger ist aber Aélion; die Forscherin stellt sich zu diesem Fragment die Frage: „Est-ce un indice suffisant pour que l’on suppose que c’est dans l’Athamas d’Eschyle qu’Apollodore l’avait trouvé la version qu’il rapporte et où figure un chaudron bouillant?“36. Sie schließt aus dem Mangel an Angaben, dass man nur sehr vorsichtig Behauptungen aufstellen kann. Allerdings fügt sie einen anderen Gedanken hinzu: Obwohl der Tod eines der Kinder des Athamas angenommen wird, wisse man nicht, wie sich die Handlung der Tragödie entwickelte; es ist auch möglich, dass über den Tod beider Kinder bei Aischylos selbst in einer Rede berichtet werde37.

Erwähnenswert ist noch, dass das ohne Titel beschriebene Frg. 426RadtTragica AdespotaFrg. 426 Radt und das Frg. 1a KannichtTragica AdespotaFrg. 1a Kannicht / Snell / Snell der Adespota in Verbindung mit der Tragödie von Aischylos gebracht worden sind. Das Frg. 426RadtTragica AdespotaFrg. 426 Radt besteht nur aus einem einzigen Wort, ἠριγένεια (de leaena), worüber Radt schreibt: „ad leaenam Athamanti in aula sua uisam (Ou. MetOvidMet. IV 514. 4, 514) referendum esse coniecit Welcker (Tril. 336589) coll. Adesp. frg. 1a (quod fr. Butler‘Athamanti’ Aeschyleae adscripserat)“38. Im Hinblick auf das Frg. 1a Kannicht / SnellTragica AdespotaFrg. 1a Kannicht / Snell, das aus zwei Wörten besteht, βρυαζούσης λεαίνης, sind die Meinungen über seine Zuweisung sehr unterschiedlich. Nauck schreibt genau am Anfang seiner Analyse von Aischylos’ Athamas: „huic fabulae probabiliter adesp. fr. 1 adscribitur39“. Kannicht / Snell aber modifizieren das Fragment, βρυαζούσης λέαιν’ ὥς, und stellen klar: „Aeschyli Athamas … dici uidetur’ Nck., sed e uariis poetis qui fabulas cognomines scripserunt … ap. Hesychium aequo iure alterum de Sophocleo … uel etiam Antiphanis ‘Athamantem’ … dici conicias“40; folglich füge sich dieses Fragment im zweiten Band von TrGF, in den Adespota ein. Auch Pearson glaubt, das Frg. 1a Kannicht / Snell „may just as well belong to Sophocles as to Aeschylus“41.

Die einzige sichere Stelle, wo Athamas seine Kinder und auch seine Frau als Löwen sah, ist bei Ovid (Met. IV514–519OvidMet. IV 514–519)42 nachzulesen. Interessanterweise existiert auch ein ursprünglich faliskischer Kelchkrater43, der Learchos’ Tod durch seinen Vater Athamas, welcher ihn mit einem Löwen verwechselte, andeuten könnte. Ist es möglich, dass sich Ovid von einer nicht erhaltenen griechischen Tragödie, die das Thema auf diese Weise behandelte, inspirieren ließ? Es ist möglich, obwohl man auch an Xenokles’ Satyrspiel denken und den Inhalt dieses Fragments für bissig halten kann.

I.1Die Perser

Dieses Werk von Aischylos wird hier der Vollständigkeit wegen kurz analysiert.

In Zusammenhang mit der Handlung der Tragödie wird der HellespontHellespont viermal erwähnt; dieses MeerMeer kam auch überaus häufig in den homerischen Gedichten vor. Der Tragiker benennt das MeerMeer aber auf andere Art und Weise als Homer: Aischylos erwähnt nur einmal das Wort Ελλήσποντον, Homer hingegen zehnmal. In drei Versen der klassischen Tragödie1 wird der Engpass oder der Durchgang von Helle (Ἕλλης πορθμόν) genannt, aber kein Adjektiv begleitet diesen Ausdruck, im Gegensatz zu Homer, der die Meeresstraße immer mit einem Adjektiv bezeichnet. Gleich zu Beginn des Werkes erwähnt Aischylos den Durchgang von Helle und er fügt ein Adjektiv hinzu, „athamantisch“: λινοδέσμῳ σχεδίᾳ πορθμὸν ἀμείψας / Ἀθαμαντίδος Ἕλλας. Das ist ein wesentlicher Unterschied zu Homer, der den Hellespont nie auf diese Weise bezeichnete.

Aischylos’ Tragödie ist vor allem wichtig wegen seiner zahlreichen Scholien; in der Tat beziehen sich alle Scholien, die von Athamas sprechen, auf diese Tragödie, Die Perser. Offensichtlich wird immer die I-P-H-Version behandelt, da man darin durch Phrixos’ FluchtFlucht auf dem WidderWidder und Helles SturzSturz ins Meer die Herkunft des Namens Hellespont klar herausstellen kann.

I.2Athamas

Von dieser Tragödie ist leider nur wenig überliefert worden.

Abgesehen von dem Italiener Untersteiner, der in der Mitte des 20. Jh. forschte, ist Lucas de Dios einer der Forscher, der diese Fragmente genauer untersucht hat; der spanische Professor schlägt drei Momente für die dramatische Handlung des Werkes vor:

Ablieferung von Dionysos durch HermesHermes.

Heras Rache.

Tod beider Kinder, nämlich des Learchos und des Melikertes.

Diesem Forscher zufolge gilt: „Esquilo seguía la variante de hacer que la reacción colérica de HeraHera tuviera lugar inmediatamente después de la entrega de Dioniso“1. Dieselbe Reihenfolge findet sich auch bei Apollodor, weswegen Lucas de Dios folgert: „en este caso el mitógrafo seguía de cerca el relato contenido en la obra de Esquilo“2.

Die Handlung der Tragödie sollte Heras Rache beinhalten. HeraHera bestrafte Athamas und seine Frau Ino wegen der Aufnahme des Kindes Dionysos mit WahnsinnWahnsinn3. Man kann annehmen, dass Athamas und Ino in der Tragödie die Hauptrollen innehatten; vielleicht war HermesHermes auch anwesend, obwohl das nicht sicher ist, weil die Ablieferung von Dionysos nur in einer Rede berichtet werden konnte und nicht inszeniert werden sollte. Lucas de Dios schlägt einen Chor der Nereiden vor; er deutet sogar an, dass die Erinnyen, die bei Ovid und bei Nonnos eine wichtige Rolle spielen, eine gewisse Aufgabe in der Tragödie hatten4, wenngleich das nicht heißt, dass sie die Bühne betraten.

 

Als allgemeine Schlußfolgerung bezüglich der Behandlung des Athamas durch Aischylos muss man leider feststellen, dass der fragmentarisch erhaltene Zustand seiner Tragödie Athamas große und bedeutende Ergebnisse nicht zulässt. Es sieht danach aus, dass es sich bei dieser Tragödie um die I-L-M-Version handelte; allen Hypothesen zufolge ging es um die Aufnahme des Kindes Dionysos, Athamas’ Wahnsinn, den Tod seiner beiden Kinder (eines wurde in einen Kessel mit kochendem Wasser geworfen), Inos SprungSprung und die DivinisierungDivnisierung von Ino und Melikertes.

II.Sophokles

Dieser Tragiker vertieft sich mehr in Athamas’ Mythos als Aischylos. Man weiß, dass er zwei TragödieTragödien mit dem Titel Athamas und eine mit dem Titel PhrixosPhrixos verfasst hat. Statt nur mit einem Werk wie bei Aischylos hat man es bei Sophokles mit drei Werken zu tun, von denen zwei den Namen dieser Hauptfigur tragen.

Natürlich fragt man sich, warum zwei Werke ein und desselben Autors, nämlich des Sophokles, denselben Titel tragen: Stimmten diese Werke in der Handlung grosso modo überein oder, falls nicht, was auch folgerichtig wäre, warum haben sie dann denselben Titel? Interessant ist die Überlegung von Schmitt in ihrem berühmten Artikel Freiwilligfreiwilliger Opfertod bei Euripides1; diese Gelehrte bestätigt, dass Euripides „sich bei einzelnen Motiven nicht mit immer einmaliger Behandlung begnügte, sondern immer wieder auf sie zurückgriff, sei es nur, um die schon erprobte dramatische Wirkung wieder auszunützen, sei es, um dem Problem neue Seiten und neue künstlerische Darstellungsmöglichkeiten abzugewinnen“2. Das wichtige Motiv, auf das sich Schmitt bezieht, ist der freiwillige OpferOpfertod, aber ihre Betrachtungen lassen sich treffend auf jedes andere auf die Bühne gebrachte Motiv anwenden, und nicht nur bei Euripides, sondern auch bei jedem anderen griechischen Tragiker.

Sophokles’ Bearbeitung der SageSage von Athamas präsentiert neue, bis jetzt nie gesehene Züge. Wenn es auch gewiss ist, dass Sophokles seine Tragödien verfasste, indem er sich auf den hellenisch-mythischen Hintergrund stützt – das unterscheidet ihn von Aischylos –, stimmt es aber auch, dass Sophokles einige Varianten der Mythen erfunden hat, die von den späteren Mythographen als traditionell betrachtet werden sollten3.

II.1Die Athamas betitelten TragödieTragödien

Radt beteuert: „duas fabulas Sophocleas‘Athamas’ inscriptas fuisse docent testes fragmentorum 1–3 et Σ VM Ar. Nub. 257“1. In Ar. Nu.257 verwechselt Strepsiades den Kranz der Eingeweihten mit dem Kranz der am Altar zu schlachtenden OpferOpfer2; die Scholien erläutern diese Passage und führen den Mythos von Athamas an. Es scheint klar zu sein, dass, wenn die Scholien über einen zweiten Athamas reden3, es deswegen geschieht, weil Sophokles mindestens zwei Tragödien mit diesem Titel geschrieben hat. Pearson aber merkt an, „Dindorf held that ̓Αθάμας α ̓ and β ̓ were not separate plays, but different editions of the same play“4; es sieht aber nicht so aus, als könnte diese Behauptung einfach bewiesen werden5. Andererseits gibt es auch Wissenschaftler, die darauf bestehen, von Sophokles’ Athamas zu sprechen, als ob es um ein einziges Werk ginge; dies kann man z.B. den Artikeln von Fontenrose6 und López Salvá7 entnehmen.

Die Handlung dieser Werke ist sehr problematisch; Lucas de Dios weist in seinem Kommentar darauf hin: „Dado lo exiguo de lo conservado en ellas, es difícil determinar cuál pudo ser la temática de una y de otra en concreto“8. Einerseits gibt es eine große Anzahl der diese Passagen erläuternden Scholien, andererseits hat man einen bedeutenden ikonographischen Beleg. Zunächst sollen die Scholien analysiert werden.

Die Handschriften VMMatr (Schol. in Ar. Nu.257b HolwerdaScholia zu AristophanesSchol. in Ar. Nu. 257b Holwerda) bieten eine ausführliche Beschreibung der Handlung dieser Tragödie an; sie erwähnen sogar den Gott, dem das OpferOpfer gewidmet werden sollte, nämlich ZeusZeus. Der Scholiast von SBarbMatr (Schol. in Ar. Nu.257d HolwerdaScholia zu AristophanesSchol. in Ar. Nu. 257d Holwerda)9 aber ist prägnanter und klarer, wenn er Aristophanes’ Szene erklärt: Athamas betritt bekränzt die Bühne, um geopfert zu werden; er wird jedoch durch einen schnellen Einsatz von Herakles gerettet.

Tzetzes (Tz.Comm. Ar. Nu. 256a HolwerdaScholia zu AristophanesTz.Comm. Ar. Nu. 256a Holwerda) erzählt seinerseits eine ähnliche Geschichte, aber er weist nie darauf hin, dass es die Handlung einer sophokleischen TragödieTragödie ist. Diesem byzantinischen Gelehrten zufolge begann alles mit Phrixos’ Opfer, nachdem Ino, die zweite Frau von Athamas, ihren Mann davon überzeugt hatte, dass der Sohn seiner ersten Frau NepheleNephele an der Unfruchtbarkeit des Landes schuldig war. Als Phrixos geopfert werden sollte, wurde er von Nephele gerettet und vor dem Tod bewahrt. Dann kommt der Beleg von Athamas’ Opfer und seiner späteren Rettung.

Die von (Eustathios,) Thomas Magister und Triclinius überlieferten Scholien (Schol. th-tr. in Ar. Nu. 257a KosterScholia zu AristophanesSchol. th-tr. in Ar. Nu. 257a Koster) mischen, meiner Meinung nach, die Erzählung von Phrixos und Helle, die diese Gelehrten durch andere Quellen10kannten, mit der Geschichte, die Sophokles in seiner Tragödie behandelte, in der Athamas bekränzt zum Altar des ZeusZeus geführt wurde, um geopfert zu werden, und von Herakles gerettet wurde. Es ist aber nicht klar, ob der vorherige Satz, in dem ausgedrückt wird, dass Nephele Athamas διὰ τοὺς παῖδας bestrafen wollte, auch ein Teil der sophokleischen Tragödie ist oder nicht. Muss dieses διά nur als ein Mittel, nämlich durch seine Kinder (Nephele rettet Phrixos und Helle, indem sie das nötige Opfer gegen die Unfruchtbarkeit verhindert; da der Königssohn nicht geopfert wurde, sollte der König selbst den Versöhnungssauftrag erfüllen) verstanden werden oder kann es auch als ein Grund (Athamas war einverstanden, seine Kinder geopfert zu haben, weswegen er dafür bestraft werden muss) begriffen werden? Der Text erlaubt m.E. auf Grund seiner Zweideutigkeit beide Möglichkeiten; es kann auch sein, dass der Ausdruck selbst diese Doppeldeutigkeit beim Leser verursacht, obwohl das wahrscheinlich nicht die Absicht des Scholiasten gewesen war. Darüber hinaus ist dieser Text dem von Eudokia und Apostolios sehr ähnlich, wenn auch einige wichtige Abweichungen bestehen11.

Schließlich findet man in den Neuesten Anonymen Scholien (Schol. rec. in Ar. Nu. 257cα-γ Koster), die sehr fragmentarisch erhalten sind, die üblicherweise auf Sophokles bezogenen Geschichten mit drei nach den drei ersten griechischen Buchstaben genannten Varianten: in α wird Athamas als StrafeStrafe für die beabsichtigte Opferung seiner Kinder, Phrixos und Helle, zum Opferaltar geführt; in β wird erzählt, wie Athamas bekränzt die Bühne betritt, weil er nur für ein Kind, Phrixos, bestraft werden muss; in γ12 wird eine eigenartige Geschichte berichtet: Athamas hatte den Göttern versprochen, seine Kinder Phrixos und HelleHelle zu opfern; als er erfuhr, dass sie beide entflohen waren, bot er sich selbst als Opfer an.

Interessant ist auch, wie die Suda (α 701–702 Adler) den Namen Ἀθάμας erläutert: Sie erwähnt die Notiz des bekränzten Athamas, sie beruft sich aber nicht auf Sophokles; allerdings stimmt die Geschichte dieser Enzyklopädie mit der oben berichteten Erzählung überein13.

Die Probleme für die Rekonstruktion der TragödieTragödien, die Sophokles dem Mythos von Athamas gewidmet hat, erscheinen deutlich, wenn man die ganzen Reihen von Meinungen und Gegenmeinungen der Gelehrten über dieses Thema liest; man stellt sogar in Frage, ob sie eigentlich Tragödien oder nicht doch Satyrspiele sind14. Radt sagt: „alterutram satyricam fuisse e frg. 5 collegit Steffen“15. In seiner Ausgabe der satyrischen Fragmente behauptet Steffen über die Tragödie von Athamas: „Quarum fabularum unam satyricam fuisse facile colligi potest ex colore fr. 2“16. Dies wird von Blumenthal17 bestätigt, aber Sutton steht ganz und gar in Widerspruch zu ihm, denn er glaubt, „this fragment scarcely appears to have a satyrical stamp, especially as it could have come from the no doubt „Dionysiac“ First Athamas“18.

Robert denkt seinerseits, „sein zweiter Athamas behandelt die auch von Herodot berichtete Geschichte“19 mit dem einzigen Unterschied in der Person des Retters: Herakles, nicht Kytissoros, befreit Athamas vom Tod.

Es scheint, dass die von mir genannte I-P-H-Version, wenigstens in ihrem ersten Teil, in einem der zwei Athamas aufgeführt wurde. Dieser Meinung sind auch Pearson20, Fontenrose21 und Lloyd-Jones22. Dementgegen ergänzt Fedalto sehr viel und weist auf die I-L-M-Version für den zweiten Athamas hin: „La seconda si rifaceva probabilmente alla tradizione della pazzia di Atamante che lo portò ad uccidere il figlio Learco avuto dalla seconda moglie Ino“23.

Letztendlich kann man die allgemeine, von allen Gelehrten übereinstimmend bestätigten Züge, die wahrscheinlich in Sophokles’ Werk vorhanden waren, so zusammenfassen: Athamas betritt bekränzt die Bühne, wo er zum Opferaltar geführt wird; im letzten Moment taucht Herakles auf und rettet ihn. Das anschließende Schema präsentiert die wichtigsten Züge, die sich aus den auf Sophokles’ Tragödie bezogenen Texten ergeben:

1)

Athamas betritt bekränzt die Bühne als Opfer: SBarb. Matr. – Sud. α 701–702.SudaSud. α 701–702

2)

Der Altar gehört zu ZeusZeus: VM Matr. – Schol. th-tr. in Ar. Nu. 256a Koster.Scholia zu AristophanesSchol. th-tr. in Ar. Nu. 256a Koster

3)

Den Göttern wird er geopfert: Schol. rec. in Ar. Nu. 257cγ KosterScholia zu AristophanesSchol. rec. in Ar. Nu. 257cγ Koster.

4)

Er muss wegen Phrixos bestraft werden: SBarb Matr. – Tz.Comm. Ar. Nu. 257a HolwerdaScholia zu AristophanesTz.Comm. Ar. Nu. 257a Holwerda –SudSudaSud. α 701–702. α 701–702 – Schol. rec. in Ar. Nu. 257cβ KosterScholia zu AristophanesSchol. rec. in Ar. Nu. 257cβ Koster.

5)

Er muss wegen Phrixos und Helle bestraft werden: Schol. th-tr. in Ar. Nu. 256a KosterScholia zu AristophanesSchol. th-tr. in Ar. Nu. 256a Koster? – Schol. rec. in Ar. Nu. 257cα KosterScholia zu AristophanesSchol. rec. in Ar. Nu. 257cα Koster – Schol. rec. in Ar. Nu. 257cγ Koster.Scholia zu AristophanesSchol. rec. in Ar. Nu. 257cγ Koster

6)

Herakles rettet ihn, indem er sagt, Phrixos lebe: VM Matr. – Tz.Comm. Ar. Nu. 257a HolwerdaScholia zu AristophanesTz.Comm. Ar. Nu. 257a Holwerda – Sud. α 701–702.

Wahrscheinlich ist Tzetzes‘, derjenige, der die Behandlung der Tragödie mit mehr Angaben und vielleicht auch präziser überliefert hat. Bemerkenswerterweise wird nicht gesagt, dass Nephele ihre Kinder mit Hilfe eines WidderWidders rettet. Das Nichterwähnen lässt vermuten, dass dieses Tier in Sophokles’ Tragödie nicht vorkommt.

Interessant ist nun eine ausführlichere Analyse der in diesen Beschreibungen präsentierten Züge.

A)

Athamas tritt bekränzt auf.

Es wird wohl eine so auffällige Szene gewesen sein, dass Aristophanes sich verpflichtet fühlte, sie in seiner Komödie zu erwähnen24.

B)

Athamas’ Opfer.

Der Tod des Königs ist das Opfer. Die Motive für dieses Opfer sind aber nicht klar; es gibt zwei mögliche Deutungen:

Anstatt seines Sohnes.

Die Tatsache, dass die Opferung von Phrixos, dem Königssohn, nicht durchgeführt werden konnte, hatte zur Folge, dass Athamas, der König, die Schuld und damit die StrafeStrafe auf sich nahm, für sein Land zu sterben, wie man in Tz.Comm. Ar. Nu. 257a HolwerdaScholia zu AristophanesTz.Comm. Ar. Nu. 257a Holwerda lesen kann. Ein Versöhnungsopfer musste unbedingt dargebracht werden, um der Unfruchtbarkeit des Landes ein Ende zu setzen25.

Wegen seines Sohnes.

Nephele will Athamas bestrafen und schickt ihm die DürreDürre, wie Schol. th-tr. in Ar. Nu. 257a KosterScholia zu AristophanesSchol. th-tr. in Ar. Nu. 257a Koster berichtet; die Frau des Aioliden, Ino, nützt dies Unglück aus, um sich von den Kindern Nepheles zu befreien. Diese setzt sich für ihre Kinder ein und rettet sie. Dann bestraft Nephele Athamas noch einmal, diesmal wegen seines grausamen Verhaltens ihren Kindern gegenüber. Hier kommt der Aiolide vor, wie er in Richtung des Altars geht. Dieser Fall ist sehr ähnlich dem, der „Statt seines Sohnes“ tituliert wurde; der Unterschied liegt in den zwei verschieden betonten Punkten: Die Allgemeinheit forciert entweder das Ende der Unfruchtbarkeit oder die Bestrafung Athamas, weil dieser sein(e) Kind(er) opfern wollte. Die Neuesten Scholien lassen da beide Deutungen zu.

C)

Herakles rettet ihn.

Der Text von Hdt. VII197HerodotHdt. VII 197 präsentiert eine ähnliche Version wie Sophokles. Der letzte Teil dieser Episode berichtet, dass die Achaier Athamas26 als Sühne- und Reinigungsopfer des Landes27 schlachten wollten. Merkwürdig ist, dass die Rettung von Athamas nicht auf Herakles, sondern auf Kytissoros, einen Sohn von Phrixos, der aus Aia28 in KolchisKolchis gekommen war, zurückgeführt wurde. Diese Tatsache zog den ZornZorn des Zeus auf seine Nachkommen: Es ist ein auffälliger Fall eines Generationen-fluchs.

Nach meiner Meinung stellt Sophokles’ Tragödie Herakles als RetterRetter29 dar, weil er ein panhellenischer Held, ein Prototyp der Erretter vor Ungerechtigkeit, Beleidigung und Verleumdung ist, und nicht Kytissoros, der keine Bedeutung in der griechischen Welt hatte und dessen Figur sich besser für eine örtliche LegendeLegende eignete. Darum ist es auch wahrscheinlicher, dass Herodot, der sich für die lokalen Sagen interessierte, eine populäre Variante aus ThessalienThessalien holte, und nicht der zur gleichen Zeit lebende Sophokles, der seine Tragödien auf der berühmten Bühne von AthenAthen aufführen wollte. Es ist möglich, dass Sophokles diese örtliche Legende kannte und sie verallgemeinern wollte.

 

Ein wichtiges Problem legt das bekannte Schol. in Pi. P. IV288a DrachmannScholia zu PindarSchol. in Pi. P. IV 288a Drachmann vor, das die Namen der Stiefmütter von Phrixos anführt: ἐκακώθη γὰρ διὰ τὴν μητρυιὰν ἐρασθεῖσαν αὐτοῦ καὶ ἐπεβουλεύθη, ὥστε φυγεῖν. ταύτην δὲ ὁ μὲν Πίνδαρος ἐν Ὕμνοις Δημοδίκην, Ἱππίας δὲ Γοργῶπιν·Σοφοκλῆς ἐν Ἀθάμαντι Νεφέλην Φερεκύδης Θεμιστώ. Für Sophokles bietet es den Namen von Nephele! dar. Kein Scholiast nennt Phrixos als Nepheles Stiefsohn, sondern immer als ihren Sohn. Ist es möglich, dass der Scholiast sich auf den ersten Athamas, in dem es möglicherweise um die ‚verliebte StiefmutterStiefmutter‘30 ging, bezog? In diesem Fall handelte sich bei dem zweiten Athamas um die Bestrafung durch Nephele. Aber konnte Nephele in einer Tragödie Stiefmutter und in einer anderen Mutter sein?