Der Nahostkonflikt - Muriel Asseburg - E-Book

Der Nahostkonflikt E-Book

Muriel Asseburg

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Beschreibung

Der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern sowie seinen arabischen Nachbarn hält seit Jahrzehnten mit Kriegen, Besatzung und Gewalt die Welt in Atem. Seit Oktober 2023 ist er mit dem Überfall der Hamas auf Israel und dem Krieg Israels im Gazastreifen in zuvor unvorstellbarer Weise eskaliert. Die Autoren zeichnen die Geschichte des Konflikts nach, beschreiben die wichtigsten Streitpunkte – von Jerusalem über den Zugang zu Wasser bis zum Grenzverlauf – und erklären, warum Frieden und Sicherheit für alle Seiten in so weite Ferne gerückt sind.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Titel

Muriel AsseburgJan Busse

DER NAHOSTKONFLIKT

Geschichte, Positionen, Perspektiven

C.H.Beck

Übersicht

Cover

Inhalt

Textbeginn

Inhalt

Titel

Inhalt

Karte: Naher Osten im Überblick

Karte: Westjordanland 2023

I. Einführung

1. Schlüsselkonflikt im Nahen und Mittleren Osten?

2. Territoriale, ethnische und religiöse Dimensionen

3. Rückkehr oder Landraub? Unabhängigkeit oder Katastrophe?

II. Stationen des Nahostkonflikts

1. Hintergründe

Der politische Zionismus

Auseinandersetzungen im britischen Mandatsgebiet

2. Die israelische Staatsgründung und ihre Folgen

Der Unabhängigkeitskrieg oder die Nakba

Suez-Krieg oder Trilaterale Aggression 1956  

3. Kriege und das Ringen um Frieden

Der Sechs-Tage-Krieg – Naksa 1967  

Besatzung und Siedlungspolitik  

Der Jom-Kippur-Krieg oder Oktober-Krieg 1973  

Der Libanonkrieg 1982  

Die Erste Intifada und der Zweite Golfkrieg 1987–​1990  

4. Fortschritte der 1990er-Jahre: Die Oslo-Abkommen

Die Etablierung der Palästinensischen Autonomiebehörde  

Camp David II  

5. Das Scheitern von Oslo

Die Zweite Intifada  

Die Arabische Friedensinitiative

Sperranlagen und Abkoppelungsplan  

Hamas gegen Fatah  

Kein «Jahrhundertdeal»  

Der 7. Oktober 2023

III. Friedensverhandlungen: Positionen und Lösungsansätze

1. Multilaterale Nahostverhandlungen

2. Bilaterale Verhandlungen

Israel – Jordanien: Rasche Einigung  

Israel – Syrien: Jordanufer und Golan  

Israel – Libanon: Grenzverlauf und Hisbollah  

3. Israelisch-palästinensische Streitfragen

Die Zweistaatenregelung  

Siedlungen in den besetzten Gebieten  

Jeruschalajim und Al-Quds

Die Flüchtlinge: Rückkehr, (Neu-)Ansiedlung oder Entschädigung  ​

Das Wasser  

IV. Die Folgen des Arabischen Frühlings

1. Nachbarstaaten im Umbruch

Bürgerkrieg in Syrien

Bürgerkrieg im Jemen

Umbruch in Ägypten

2. Die Verschiebung der Machtbalance in der Region

Türkische Ambitionen

Saudisch-iranisches Ringen um Vormacht

3. Innenpolitische Rückwirkungen in Israel und Palästina

Proteste in Israel  

Arabischer Frühling in Palästina

V. Regelungsoptionen und Perspektiven

1. Das Paradigma der Zweistaatenregelung

2. Realität heute: Einstaatenrealität mit ungleichen Rechten

3. Alternativen zur Zweistaatenregelung

Jüdisch dominierte Einstaatenregelung  

Ein demokratischer binationaler Staat

Konföderationsmodelle

4. Ausblick

Abkürzungen

Zeittafel

Demographische Entwicklung

Ausgewählte Literatur und Filme

Sachbücher

Fiktion, Graphic Novels und (Auto-)Biographien

Filme

Personenregister

Zum Buch

Vita

Impressum

Karte: Naher Osten im Überblick

Karte: Westjordanland 2023

I. Einführung

Die Angriffe der Hamas und anderer militanter Gruppierungen auf Israel am 7. Oktober 2023 und der nachfolgende Krieg im Gazastreifen haben den Nahostkonflikt einmal mehr ins Zentrum der Weltöffentlichkeit gerückt. Dabei ist der Kern des Nahostkonflikts, also des israelisch-arabischen Konflikts, die Auseinandersetzung zwischen Israelis und Palästinensern. Er ist in den letzten Jahren wieder in eine existentielle Auseinandersetzung zurückgefallen, nachdem alle Bemühungen um eine Konfliktregelung gescheitert waren.

Die internationale Aufmerksamkeit rührt daher, dass der Nahe Osten das Zentrum dreier Weltreligionen ist. In Jerusalem befinden sich zentrale heilige Stätten von Judentum, Islam und Christentum. Auch sind die Entwicklungen im «Heiligen Land» schon seit Jahrhunderten eng mit denen in Europa verknüpft: Für die europäischen Herrscher war die «Befreiung Jerusalems von der muslimischen Fremdherrschaft» seit dem späten 11. Jahrhundert ein wichtiges Ziel der Kreuzzüge. Die jüdische Einwanderung nach Palästina ab Ende des 19. Jahrhunderts war eine Folge von Nationalismus, Antisemitismus und Pogromen in Europa und Russland. Im 19. Jahrhundert entwickelte sich der Nahe Osten zunehmend von einer randständigen Region des Osmanischen Reichs zum Schauplatz von Rivalitäten der europäischen Großmächte Frankreich und England. Die Judenverfolgung der Nationalsozialisten stärkte die internationale Akzeptanz für die Etablierung des Staates Israel. Im Kalten Krieg suchten die USA und die Sowjetunion durch Unterstützung von Partnern nicht nur in Europa, sondern auch im Nahen Osten ihre Einflusssphären auszuweiten. Und selbst heute wird Israel oft als Repräsentant des «Westens» in einer muslimisch geprägten Umgebung gesehen.

1. Schlüsselkonflikt im Nahen und Mittleren Osten?

Der Nahostkonflikt gilt als Schlüsselkonflikt im Nahen und Mittleren Osten, also in den Ländern des südlichen und östlichen Mittelmeerraums sowie der arabischen Halbinsel. Erst die Lösung des Konflikts zwischen Israelis und Palästinensern, so die weit verbreitete Annahme, würde die Lösung anderer Konflikte in der Region ermöglichen. Dass diese Annahme jedoch nur bedingt trägt, wurde nicht zuletzt im Zuge des Arabischen Frühlings deutlich, der Ende 2010 begann: Bei den Protestbewegungen und Aufständen spielte die Palästinafrage keine Rolle. Vielmehr ging es den Protestierenden um ein Leben in Würde, um ein Ende von Polizeiwillkür, Korruption und Vetternwirtschaft sowie um politische Teilhabe und sozio-ökonomische Perspektiven.

Der Nahe und Mittlere Osten ist durch mehrere zwischen- und innerstaatliche Konflikte geprägt, die sich überlagern und gegenseitig verstärken. Dabei stand im sogenannten Arabischen Kalten Krieg der 1950er- bis 1980er-Jahre die Systemkonkurrenz zwischen sozialistisch orientierten Republiken und konservativen Monarchien – insbesondere zwischen Ägypten und Saudi-Arabien – im Vordergrund. Heute ist es vor allem der Hegemonialkonflikt am Persischen Golf zwischen Iran und Saudi-Arabien, der die Region dominiert. Zusätzlich gibt es eine Reihe von Konflikten, die sich diesen Großkonflikten nicht zuordnen lassen, etwa der Westsahara-Konflikt.

Durchweg haben aber politische Führungen in der Region die Palästinafrage bzw. den Nahostkonflikt als Mittel zur Mobilisierung der Bevölkerung und als Legitimation für die Durchsetzung ihrer Interessen eingesetzt. Auch bot der Kriegszustand mit Israel arabischen Herrschern über lange Zeit eine willkommene Rechtfertigung für die Aufrechterhaltung autoritärer Systeme. Zudem präsentiert sich der Iran als Vorreiter des «anti-zionistischen Widerstands» und unterstützt mit der Hamas und dem Islamischen Dschihad in Palästina, der Hisbollah im Libanon, schiitischen Milizen im Irak und in Syrien sowie den Huthi im Jemen bewaffnete Gruppierungen finanziell sowie durch Training und Waffenlieferungen. Diese Kooperation im Rahmen der sogenannten Achse des Widerstands trat nach dem 7. Oktober 2023 deutlich zutage, als der Hamas und der Islamische Dschihad Israel aus dem Gazastreifen, Hisbollah aus dem Libanon und die Huthi aus dem Jemen angriffen. Die Huthi weiteten ihre Angriffe bald auch auf die zivile Schifffahrt im Golf von Aden und im Roten Meer aus.

Vor dem Hintergrund eines zunehmenden Einflusses des Iran in der Region seit der US-geführten Irak-Invasion 2003 bildete sich eine Annäherung der Interessen und eine immer offener zutage tretende Kooperation zwischen Saudi-Arabien und den kleineren arabischen Golfmonarchien auf der einen und Israel auf der anderen Seite heraus. Diese Staaten waren zugleich die größten Gegner des im Juli 2015 erzielten Atomabkommens zwischen Iran und der internationalen Gemeinschaft. 2020/21 einigte sich Israel mit vier arabischen Ländern (den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), Bahrain, Marokko und Sudan) in den sogenannten Abrahamsabkommen auf eine Normalisierung der Beziehungen – und dies, obwohl Israel nach wie vor arabische Territorien besetzt hält.

Der israelisch-arabische Konflikt wiederum hat Einfluss auf Dynamiken in der gesamten Region des Nahen und Mittleren Ostens. Nicht zuletzt wird der Konflikt durch bewaffnete Gruppierungen – früher in erster Linie säkulare, heute eher islamistische oder dschihadistische – zur Rekrutierung von Kämpfern genutzt, unter dem Vorwand der Solidarität mit den Palästinensern bzw. der Befreiung der heiligen Stätten. Zudem bilden palästinensische Flüchtlinge in vielen Ländern der Region eine große Bevölkerungsgruppe und haben gesellschaftlichen Einfluss. Denn die Mehrzahl der rund 5,9 Millionen palästinensischen Flüchtlinge, die heute beim UN-Hilfswerk registriert sind, lebt in den drei Nachbarstaaten Israels, also in Jordanien, im Libanon und in Syrien. Dabei machen die Flüchtlinge im Libanon über 8 Prozent und in Jordanien sogar 40 Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Hinzu kommen vor allem in Jordanien die Flüchtlinge des Krieges von 1967. In beiden Ländern bestand und besteht die Sorge, dass die Flüchtlinge die Bevölkerungszusammensetzung so verändern, dass das jeweilige demographische Gleichgewicht, auf dem die politische Ordnung beruht, gestört wird. Außerdem konnten Palästinenser auch in den arabischen Golfstaaten in den vergangenen Jahrzehnten nicht unerheblichen gesellschaftlichen Einfluss entfalten. Denn viele fanden dort, nicht zuletzt im Bildungssektor, ein Auskommen.

Der Palästinensischen Befreiungsorganisation (Palestine Liberation Organization, PLO) wurde in der Vergangenheit vorgeworfen, in den Ländern, in denen sie ihren Sitz nahm, einen «Staat im Staate» zu errichten. Dies führte in Jordanien und im Libanon zu bewaffneten Auseinandersetzungen. Der PLO wird dabei auch eine Mitverantwortung für den Ausbruch des libanesischen Bürgerkriegs zugeschrieben. Infolgedessen musste die PLO ihr Hauptquartier 1971 von Amman nach Beirut und 1982 von Beirut nach Tunis verlegen.

Aus all dem ist ersichtlich: Der Nahostkonflikt ist nicht der Schlüsselkonflikt im Nahen und Mittleren Osten. Er hat aber in weiten Teilen der Region nach wie vor erhebliche Wirkungs- und Mobilisierungskraft und verquickt sich immer stärker mit anderen Konflikten, etwa dem im Jemen.

2. Territoriale, ethnische und religiöse Dimensionen

Kern des Nahostkonflikts ist der israelisch-palästinensische Konflikt. Dieser bezieht sich nicht nur auf das Verhältnis zwischen Israel und den Palästinensern in den palästinensischen Gebieten, sondern hat – aufgrund der palästinensischen Minderheit – in Israel auch eine innenpolitische Komponente. Zudem ist er eng mit dem israelisch-arabischen Konflikt verknüpft, der sich seit der israelischen Staatsgründung 1948 im Wesentlichen zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarstaaten Ägypten, Jordanien, Libanon und Syrien abspielt (s. Karte auf der vorderen Umschlaginnenseite), selbst wenn auch andere Staaten der Region, etwa Irak, Saudi-Arabien und Iran, immer wieder direkt oder indirekt intervenierten. Der Konflikt hat auch dazu geführt, dass bis heute eine Normalisierung des Verhältnisses zwischen Israel und wichtigen arabischen bzw. muslimisch geprägten Ländern wie Saudi-Arabien, Iran und Pakistan aussteht. Dieses Buch setzt sich mit sämtlichen Konfliktdimensionen auseinander, der Schwerpunkt liegt aber auf dem palästinensisch-israelischen Konflikt.

Im Nahostkonflikt wirken mehrere Konfliktdimensionen zusammen. Dies ist ein wesentlicher Grund, warum er so schwer zu lösen ist. So handelt es sich erstens um einen Territorialkonflikt: Von den Konfliktparteien wird Anspruch (zumindest zeit- und teilweise) auf dasselbe Gebiet erhoben. Der Streit über den Verlauf von Grenzen und die entsprechende Gebietshoheit ist deshalb von herausgehobener Bedeutung. Verbunden damit ist der Konflikt um Ressourcen. Dabei geht es insbesondere um die Zuteilung und Nutzung von Wasser, fruchtbarem Land, Steinbrüchen und Gasvorkommen im östlichen Mittelmeer.

Der Nahostkonflikt ist zweitens auch ein ethno-nationalistischer Konflikt: Zwei unterschiedliche ethnische Gruppen verfolgen jeweils konkurrierende nationale Bestrebungen. Die Juden haben ihr Anliegen bereits 1948 mit der Ausrufung des Staates Israel verwirklicht, während die nationale Selbstbestimmung der Palästinenser nach wie vor aussteht. Denn trotz wiederholter Proklamation eines palästinensischen Staates mangelt es ihnen an entsprechender effektiver Kontrolle und anerkannter Souveränität über ein Staatsgebiet.

Drittens besitzt der Nahostkonflikt eine religiöse Dimension: Die Konfliktparteien untermauern ihre Ansprüche auch religiös, also durch den Verweis auf göttliche Versprechen für ihr Volk. Die religiöse Aufladung in der Konfrontation zwischen Juden und Muslimen hat in den letzten Jahren zugenommen. Dies zeigt sich immer wieder auch in gewaltsamen Auseinandersetzungen um den Tempelberg bzw. den Haram al-Scharif in Jerusalem. Sie wird zudem durch die demographische Entwicklung befördert. Denn die am stärksten wachsende Bevölkerungsgruppe in Israel sind (ultra-)orthodoxe Juden. Zugleich verbreitet sich zunehmend nationalreligiöses Gedankengut. In der Koalition, die im Dezember 2022 in Israel die Regierung übernommen hat, spielt es sogar eine dominante Rolle. Mit dem Erstarken der islamistischen Bewegung unter Palästinensern hat deren Rückgriff auf religiöse Argumentationsmuster ebenso zugenommen.

3. Rückkehr oder Landraub? Unabhängigkeit oder Katastrophe?

Der Nahostkonflikt geht mit scheinbar unvereinbaren Identitätskonstruktionen und gegensätzlichen Narrativen einher. Dies ist bereits im Zusammenhang mit dem ersten arabisch-israelischen Krieg von 1948 zu beobachten. Aus israelischer Sicht ist dieses Ereignis positiv besetzt, weil es mit der Staatsgründung, der erfolgreichen Verteidigung der nationalen Unabhängigkeit gegen die arabischen Armeen und der Etablierung eines Zufluchtsortes für Juden aus aller Welt verbunden ist. Im Gegensatz dazu steht 1948 im kollektiven palästinensischen Gedächtnis für die Nakba (arabisch für «Katastrophe»), also die Flucht und Vertreibung von rund 700.000 Palästinensern und dem daraus resultierenden Flüchtlingsdasein.

Zuvor hatte der politische Zionismus die Errichtung eines jüdischen Staates im historischen Palästina mit der Devise «ein Land ohne Volk für ein Volk ohne Land» gerechtfertigt. Die in diesem Gebiet lebende arabische Bevölkerung wurde zwar nicht negiert, aber auch nicht als ein Hindernis für jüdische Einwanderung und Staatsgründung gesehen. Aufgrund der biblischen und historischen Verwurzelung des jüdischen Volkes in Eretz Israel (hebräisch für «das Land Israel») stellt die Einwanderung aus jüdischer Sicht eine Rückkehr dar. Doch auch die Palästinenser führen ihre Ansprüche auf ihre historische Verbundenheit mit dem Land und ihre ununterbrochene Präsenz dort zurück. Zudem habe Gott den Muslimen das Land als Stiftung anvertraut; ein Verzicht darauf würde daher gegen seinen Willen verstoßen. Palästinenser betrachten die jüdische Besiedlung als Landraub. Der Zionismus wird als koloniale Bewegung gesehen. Dies hallte etwa 1975 in der Resolution 3379 der UN-Generalversammlung nach, die mit Mehrheitsentscheidung den Zionismus als eine Form des Rassismus bezeichnete.

Auch den Juni-Krieg von 1967 interpretieren Palästinenser und Israelis sehr unterschiedlich. In Israel erwuchs aus der Euphorie über den schnellen militärischen Sieg über die arabischen Nachbarstaaten – daher auch die Bezeichnung Sechs-Tage-Krieg – das Narrativ der militärischen Unbesiegbarkeit. Die Palästinenser dagegen sprechen hier von der Naksa (arabisch für «Rückschlag»), weil die arabischen Armeen keine Fortschritte bei der «Befreiung» des Landes erzielen konnten, sondern einmal mehr Territorium – darunter auch die heiligen Stätten in Jerusalem – an Israel verloren. Entsprechend begann mit dem militärischen Sieg Israels unter anderem die Besetzung des Westjordanlandes, des Gazastreifens und Ost-Jerusalems. Seinen Anspruch auf die eroberten palästinensischen Gebiete untermauerte die israelische Rechte dadurch, dass sie nicht vom Westjordanland, sondern von Judäa und Samaria sprach und damit die biblischen Begriffe benutzte. Die Eroberung (und spätere Annexion) des seit 1948 von Jordanien kontrollierten Ostteils von Jerusalem wurde als «Wiedervereinigung» gefeiert.

Außerdem existieren auf beiden Seiten unterschiedliche Vorstellungen darüber, was unter Frieden zu verstehen ist. Während für die Israelis Sicherheit und ein Ende aller arabischen Forderungen Priorität haben, geht es für die Palästinenser primär um ein Ende der Besatzung und eine gerechte Regelung der Flüchtlingsfrage. Konträre Deutungen finden sich auch im Hinblick auf die Legitimität von Gewaltanwendung – wer ist Freiheitskämpfer, Nationalheld, Märtyrer, Terrorist? – und die Ursachen für das Scheitern bisheriger Endstatusverhandlungen. So dominiert in Israel die Sichtweise, dass die Palästinenser im Jahr 2000 bei Verhandlungen in Camp David ein «großzügiges Angebot» abgelehnt und stattdessen mit dem «Terror» der Zweiten Intifada geantwortet hätten. Für die Palästinenser blieben die israelischen Vorschläge jedoch weit hinter ihren Minimalforderungen zurück. Sie hätten mit der Bereitschaft zu einer Regelung auf Basis der Grenzen von 1967 (und damit einem palästinensischen Staat auf nur 22 Prozent des ehemaligen britischen Mandatsgebiets) bereits einen «historischen Kompromiss» gemacht. Weitere territoriale Zugeständnisse seien nicht möglich. Zudem hätten sie Israel bereits mit dem ersten Oslo-Abkommen 1993 anerkannt, ohne dass dies von israelischer Seite honoriert worden sei. Diese versuche vielmehr beständig, Verhandlungsergebnisse durch einseitige Maßnahmen (etwa Siedlungsbau) vorwegzunehmen. Der Ausbruch der Zweiten Intifada war nach dieser Lesart vor allem eine Folge der mangelnden Kompromissbereitschaft Israels. In Israel wird sie hingegen auf die fehlende Friedens- und Kompromissbereitschaft der Palästinenser zurückgeführt.