Der neue Sonnenwinkel 85 – Familienroman - Michaela Dornberg - E-Book

Der neue Sonnenwinkel 85 – Familienroman E-Book

Michaela Dornberg

5,0

Beschreibung

Nachts auf dem Krankenhausparkplatz gelingt es Roberta, einen falschen Polizisten in die Flucht zu schlagen, der ihr Auto stehlen will. Am Tag darauf möchte sie ihren Feierabend genießen, als plötzlich Nicki vor ihr steht. Nicki ist empört! Sie hat zufällig Lennart, eine andere Frau und die drei Mädchen getroffen, wurde ignoriert, und als Paula zu ihr laufen wollte, wurde das Mädchen von Lennart zurückgehalten. Nicki steigert sich immer mehr in ihre Wut hinein, Roberta hat alle Mühe, sie zu beruhigen. Im Neubaugebiet trifft Roberta zufällig ihren arroganten Kollegen Lantermann, der sie ausspionieren wollte und sich nun zynisch erkundigt, ob sie inzwischen Angst vor der eigenen Courage bekommen habe. Mit der Unterstützung der Reiterin Katja Diewald wird Lantermann in die Schranken gewiesen. Roberta hat überraschende Erkenntnisse, die sie einen gänzlich neuen Blick auf die Welt werfen lassen. Roberta sah den Polizisten, die Taschenlampe, und da durchzuckte sie ein Gedanke, der kein guter war. Besonders nicht, wenn man sich nachts mutterseelenallein auf einem verlassenen Parkplatz befand, mit einem Polizisten wohlgemerkt. Roberta war nicht ängstlich, und selbst, wenn sie es wäre, wusste sie, dass man Angst niemals zeigen durfte. Angst war etwas, was viele Verbrecher beflügelte, ihnen ein Gefühl von Dominanz gab, weil sie meist selbst ein sehr gestörtes Selbstwertgefühl hatten. Moment mal! Wieso Verbrecher? Es war ein Polizist, der sich an ihrem Auto zu schaffen gemacht hatte. Das konnte sie allenfalls ungewöhnlich finden um diese Zeit, oder? Alle Müdigkeit war verflogen, Roberta ging einen Schritt näher an den Polizisten heran und erkundigte sich mit scharfer Stimme: "Was haben Sie an meinem Auto zu suchen?" Er leuchtete sie weiter an, das war unangenehm, Roberta trat einen Schritt beiseite. Er sagte: "Verkehrskontrolle." Es war eine mehr als merkwürdige Situation, doch Roberta konnte nicht anders, sie musste lachen. Und irgendwie befreite es sie auch. "Hören Sie doch mit diesem Unsinn auf, Sie wollten mein Auto knacken, und ich bin dummerweise dazu gekommen." Er war verblüfft, dann bemerkte er: "Polizeibeamte knacken keine Autos, die sorgen für Recht und Ordnung." Das bestätigte Roberta. "Polizeibeamte ja, aber Sie sind kein Polizist." "Bin ich", beharrte er. Roberta nickte, doch das konnte er leider nicht sehen, weil er zum Glück den Strahl seiner Taschenlampe nicht wieder auf sie richten konnte, denn sie war einen weiteren Schritt beiseite getreten.

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Der neue Sonnenwinkel – 85 –

Ein Leben ohne Emotionen?

Es wird dir nicht gelingen!

Michaela Dornberg

Roberta sah den Polizisten, die Taschenlampe, und da durchzuckte sie ein Gedanke, der kein guter war. Besonders nicht, wenn man sich nachts mutterseelenallein auf einem verlassenen Parkplatz befand, mit einem Polizisten wohlgemerkt.

Roberta war nicht ängstlich, und selbst, wenn sie es wäre, wusste sie, dass man Angst niemals zeigen durfte. Angst war etwas, was viele Verbrecher beflügelte, ihnen ein Gefühl von Dominanz gab, weil sie meist selbst ein sehr gestörtes Selbstwertgefühl hatten.

Moment mal!

Wieso Verbrecher?

Es war ein Polizist, der sich an ihrem Auto zu schaffen gemacht hatte. Das konnte sie allenfalls ungewöhnlich finden um diese Zeit, oder?

Alle Müdigkeit war verflogen, Roberta ging einen Schritt näher an den Polizisten heran und erkundigte sich mit scharfer Stimme: »Was haben Sie an meinem Auto zu suchen?«

Er leuchtete sie weiter an, das war unangenehm, Roberta trat einen Schritt beiseite. Er sagte: »Verkehrskontrolle.«

Es war eine mehr als merkwürdige Situation, doch Roberta konnte nicht anders, sie musste lachen. Und irgendwie befreite es sie auch.

»Hören Sie doch mit diesem Unsinn auf, Sie wollten mein Auto knacken, und ich bin dummerweise dazu gekommen.«

Er war verblüfft, dann bemerkte er: »Polizeibeamte knacken keine Autos, die sorgen für Recht und Ordnung.«

Das bestätigte Roberta.

»Polizeibeamte ja, aber Sie sind kein Polizist.«

»Bin ich«, beharrte er.

Roberta nickte, doch das konnte er leider nicht sehen, weil er zum Glück den Strahl seiner Taschenlampe nicht wieder auf sie richten konnte, denn sie war einen weiteren Schritt beiseite getreten.

»Klar«, sagte Roberta, »wenn Sie Polizist sind, dann bin ich Angelina Jolie.« Zum Glück war ihr der Name rechtzeitig eingefallen. In der Welt der Stars und Sternchen kannte sie sich eigentlich nicht aus, auch wenn sie mal mit einem Filmemacher aus Hollywood liiert gewesen war. Doch das war gefühlte Ewigkeiten her und schon fast vergessen. Nein, Nicki hatte in epischer Breite die ganze Scheidungsschlacht von eben dieser Dame und Brad Pitt vor ihr ausgebreitet. Sie konnte sich jetzt aber auch keine Gedanken darüber machen. Sie befand sich in einer prekären Situation.

Der Mann ließ die Taschenlampe sinken, Roberta atmete erleichtert auf.

»Wie kommen Sie denn da drauf?«, erkundigte er sich, seine Stimme hatte an Selbstsicherheit verloren.

Roberta gewann, wenigstens vorübergehend, Oberwasser.

»An der Art, wie Sie die Taschenlampe gehalten haben, Sie haben sie hoch gehalten und vorne angefasst. Und das tut kein Polizist, der hält die Taschenlampe vor seinen Körper. Wenn Sie so eine Nummer abziehen wollen, müssen Sie sich gründlicher und besser vorbereiten. Ich rate Ihnen allerdings, es ganz zu lassen. Durch solche Typen wie Sie wird ein Berufsstand in Misskredit gezogen, weil nicht jeder Betroffene eine Anzeige macht, wenn ein Polizist in eine Straftat involviert ist. Man behält im Hinterkopf, dass die Polizei nicht immer Freund und Helfer ist, es bleibt ein schales Gefühl, und es wird über die Polizei nicht gut geredet. Also, lassen Sie es, verdienen Sie das Geld auf ehrliche Weise. Wir leben glücklicherweise in einem Land, in dem niemand gezwungen ist, auf Raubzug zu gehen.«

Er war offensichtlich von ihren Worten zunächst einmal beeindruckt gewesen, überzeugt hatte sie ihn dennoch nicht, denn er machte ein paar Schritte auf Roberta zu. Sie bekam ein mulmiges Gefühl. Sie verschärfte den Tonfall ihrer Stimme: »Verschwinden Sie augenblicklich. Wenn ich auf den Knopf des Alarmgerätes drücke, das ich in meiner Tasche habe, wird es binnen kürzester Zeit hier von Sicherheitsbeamten wimmeln. Ich bin Ärztin, und …«

Das war sie tatsächlich, doch sie war sich sicher, dass er davon keineswegs irritiert war, sondern dass das Wort Sicherheitsbeamte alle Alarmglocken bei ihm hatte angehen lassen. Er gab ihr einen Schubs, sodass sie Mühe hatte, sich auf den Beinen zu halten. Er murmelte etwas Unflätiges, dann verschluckte ihn die Dunkelheit der Nacht.

Roberta befand sich allein auf dem nächtlichen Parkplatz, und sie musste erst einmal einen Augenblick innehalten, ehe sie mit zitternden Knien in ihr Auto einstieg.

Das, was gerade geschehen war, war die Krönung eines arbeitsreichen Tages gewesen. Doch so etwas als Abschluss wünschte sich niemand. Eigentlich hätte sie jetzt stolz auf sich sein können. Immerhin war es ihr gelungen, einen Autodieb in die Flucht zu treiben. Dazu war sie jedoch viel zu müde, und sie klopfte sich auch nicht auf die Schulter, weil ihr das mit der Taschenlampe in den Sinn gekommen war. So verhielt es sich wirklich. Von selbst wäre sie niemals darauf gekommen, doch ihre Freundin Nicki hatte sie während eines Krimis irgendwann einmal darauf aufmerksam gemacht. Und tatsächlich hatten in den gut recherchierten Kriminalfilmen die Schauspieler es so gehandhabt. Doch weil sie es als Zufall abgetan hatte, hatte Nicki sich Unterlagen von der richtigen Polizei besorgt, und da war es tatsächlich so beschrieben worden, Polizisten hielten die Taschenlampe also vor den Körper. Sie würde es Nicki erzählen, und die würde sich freuen. Roberta war allerdings schon ein wenig verwundert, was man nicht alles in seinem Gehirn speicherte und es aus dem Verborgenen hervorholen konnte, wenn plötzlich die Notwendigkeit dazu bestand.

Sie wartete noch einen Augenblick, dann fuhr sie los. Eigentlich konnte sie stolz auf sich sein. Heute war, abgesehen einmal von dem Zwischenfall eben, ein absolut erfolgreicher Tag gewesen. Britt Huber machte unter ärztlicher Aufsicht einen Alkoholentzug, und sie hatte vorhin unter Beweis stellen können, dass sie nichts verlernt hatte. Die von ihr in die Klinik eingewiesene Patientin, die sie glücklicherweise begleitet hatte, musste dringend notoperiert werden. Man konnte nicht auf das Eintreffen eines zweiten Arztes warten, und so hatte Roberta dem Chirurgen assistiert. Sie hatte es gut und richtig gemacht, und nach erfolgreichem Eingriff hatte der Chefarzt sie sogar gefragt, ob sie nicht in dem Krankenhaus anfangen wolle. Ein schönes Kompliment, aber das war etwas, was niemals für Roberta infrage käme. Sie liebte ihre Praxis im Sonnenwinkel über alles, die ihr auch alle Freiheiten ließ, so zu handeln, wie sie es für richtig hielt. Und für sie bedeutete das, ganz nahe bei ihren Patientinnen und Patienten zu sein. Das machte sie nicht reich, dadurch hatte sie nicht viel Freizeit, aber darauf zielte sie auch gar nicht ab. Um ein Vermögen anzuhäufen, deswegen war sie nicht Ärztin geworden und auch nicht, um die Menschen, die zu ihr kamen, ohne innere Anteilnahme, wie auf einem Fließband abzuarbeiten. Roberta nahm sich stattdessen Zeit, sie nahm sich die Zeit, die es brauchte, um die Patientinnen oder Patienten zu beruhigen und die ihr das Gefühl gab, alles getan zu haben, was notwendig war. Sie liebte ihren Beruf wirklich über alles, und sie hatte niemals etwas anderes werden wollen. Roberta hatte keine Ahnung, wie viele Menschen das von sich behaupten konnten. Sie konnte es, sie lebte ihren Traum mit ganzer Seele.

Sie fuhr endlich los, langsamer als gewohnt, denn ein wenig lag ihr das gerade Erlebte schon in den Knochen. Es hätte auch ganz anders kommen, hätte gefährlich werden können. Auf was für Ideen manche Leute kamen. Ihr war nichts passiert, aber natürlich würde sie den Vorfall der Polizei melden. Auch wenn man selbst Glück gehabt hatte, kam es darauf an, andere Menschen zu schützen. Verbrechen lohnte sich nicht, und den Verbrechern musste unbedingt das Handwerk gelegt werden.

Roberta hatte die Straße von Hohenborn in den Sonnenwinkel für sich allein. Es hatte sich nichts geändert. Offensichtlich blieben auch die Bewohner des Neubaugebietes abends lieber allein zu Hause, statt sich irgendwo zu vergnügen. Nun ja, mit dem Vergnügen hielt es sich auch in Hohenborn normalerweise in Grenzen, wenn nicht gerade jemand ein Gastspiel gab. Das waren dann hochkarätige Veranstaltungen, zumindest erzählte man sich das. Mitreden konnte Roberta da nicht, sie konnte an den Fingern ihrer Hand abzählen, wann sie mal etwas unternommen hatte.

Sie hatte den Sonnenwinkel erreicht, parkte ihren Wagen vor dem Doktorhaus. Und es würde sich wohl niemals etwas ändern, ihr Herz wurde weit, ein warmes Glücksgefühl durchströmte sie. Ihre Praxis, ihr Haus, ihr Leben … Sie stieg aus, jetzt verspürte sie die Müdigkeit deutlich, dennoch wusste sie, dass sie nicht gleich einschlafen würde. Sie hätte Lust auf ein Glas Rotwein gehabt, doch um diese Zeit war das keine gute Idee, mit einem leckeren Kräutertee konnte man auch herunterkommen. Den würde sie sich kochen.

Das Haus lag im Dunkel, aus dem Grau des Himmels zeigte sich ein zunehmender Mond, der sein kaltes, fahles Licht zur Erde schickte. Vorsichtig lugten ein paar Sterne hervor, ehe sie von den dunklen Wolken verschluckt wurden, ebenso wie der Mond.

Einen Stern besaß sie wirklich, einen, der ihren Namen trug, den von Lars. Und auch wenn es im Leben nicht hatte sein sollen, auf diesem Stern waren sie für immer vereint, für alle Ewigkeit. Normalerweise fing Roberta spätestens bei diesem Gedanken an zu weinen. Sie tat es heute nicht. Dieser realistische Traum, der sich wie wirklich angefühlt hatte, saß ihr noch immer in den Knochen. So etwas wollte sie nicht mehr erleben, auch wenn es unglaublich schön gewesen war, Lars zu sehen, in seinen Armen zu liegen, seine Küsse zu spüren, seine unglaublich zärtlichen Worte zu hören. Der Preis, den sie danach gezahlt hatte, war einfach zu hoch gewesen. Sie war zutiefst erschüttert gewesen, und ihre Welt war in sich zu­sammengestürzt.

Lars, die Liebe ihres Lebens, würde immer den wichtigsten Platz in ihrem Herzen behalten. Mittlerweile wusste sie allerdings, dass sie auch einen Platz freihalten musste für etwas Neues, was für sie noch kommen konnte. Das musste sie geschehen lassen. Wenn man nicht offen war, geschah auch nichts. Sie war durch viele dunkle Tunnel der Trauer gegangen. Doch wie lang ein Tunnel auch war, er führte immer irgendwann ins Licht zurück. Das sagte Roberta sich immer wieder, und es half ihr auch. Was sie getan hatte, war nicht normal gewesen und widersprach allem, was sie ihren Patientinnen und Patienten sagte, wenn die in ihren Grundfesten erschüttert worden waren. Sie hatte ihr Haus zu einem Museum für Lars umgebaut und nicht gemerkt, wie sie darin erstarrt war. Ja, inzwischen glaubte sie, dass dieser heftige Traum sie hatte einholen müssen, um sie ins wahre Leben zurückzubringen. Sie hatte nur noch funktioniert, und das hätte Lars ganz gewiss nicht gewollt. An ihrer Liebe zu ihm hatte sich nichts geändert. Sie hatte aufgehört, auf eine Wiederkehr von ihm zu hoffen. Auch wenn sie noch immer Schwierigkeiten hatte, im Zusammenhang mit ihm das Wort Tod in den Mund zu nehmen, so blieb sie bei dem Begriff verschollen. Darin war sie konsequent. Doch es waren jetzt keine Hoffnungen mehr damit verbunden. Einen winzigen Rest von Hoffnung würde sie vermutlich niemals aufgeben, und dagegen war auch überhaupt nichts einzuwenden. Das war nur allzu menschlich. Es geschahen viele unerklärliche Dinge zwischen Himmel und Erde. Sie klammerte sich aber nicht mehr an seine Rückkehr.

Sie betrat das Haus. Früher hätte sie sich jetzt auf eines der zahlreichen Fotos von ihm gestürzt, hätte es an sich gepresst, hätte geweint, das Bild geküsst. Sie hätte eine ganze Menge getan, ohne das Schicksal ändern zu können.

Die Fotos gab es noch immer, doch inzwischen war die Anzahl sehr überschaubar. Und mittlerweile gelang es ihr auch, mit einem Lächeln auf den Lippen an ihnen vorüberzugehen. Manchmal redete sie mit Lars, so wie gerade jetzt wieder: »Hallo, mein Liebster.«

Sie schmiss ihre Tasche auf einen Stuhl, die Schuhe von den Füßen, hängte ihre Jacke an einen Haken. Dann ging sie in die Küche, um sich einen Tee zu kochen.

Dort angekommen, blieb Roberta überrascht stehen, dann glitt ein Lächeln über ihre Lippen. Ihre Alma, die war so unglaublich fürsorglich. Sie hatte ihr tatsächlich eine Karaffe ihres Lieblingsobstsaftes hingestellt. Roberta hatte es nur ganz nebenbei erwähnt, und schon hatte Alma den Saft für sie gepresst und ihr dargereicht.

Jetzt war der Tee natürlich vollkommen überflüssig, Roberta goss sich stattdessen ein Glas des Saftes ein, trank beinahe gierig alles in einem Zug aus. Das nächste Glas nahm sie mit hinüber in ihr Wohnzimmer, wo sie sich in ihren Lieblingssessel setzte. Sie musste jetzt erst einmal herunterkommen. Und das ging am besten mit Musik, also erhob sie sich, suchte eine CD heraus, legte sie auf, machte den CD-Player an, und ehe sie sich wieder hinsetzte, checkte sie ihren Anrufbeantworter. Nicki hatte einige Male angerufen. Oje, da würde sie einiges von ihrer allerbesten Freundin zu hören bekommen, weil sie nicht zurückgerufen hatte. Nicki würde ungehalten sein, es jedoch überleben.

Roberta trank etwas, lehnte sich zurück, schloss die Augen, lauschte ein wenig der Musik, und es dauerte nicht lange, und sie war eingeschlafen. War das ein Wunder? Auch Ärztinnen waren nur Menschen, und ihr Tag, ihr Abend, ja, sogar die halbe Nacht, waren vollgepackt gewesen. Sie konnte froh sein, dass sie eine solche Kondition besaß, doch auf Dauer ließ sich dieses Pensum nicht durchhalten. Niemand konnte ewig Raubbau mit seinen Kräften treiben, auch keine Frau Dr. Roberta Steinfeld …

*

Die Wohnung auf der ersten Etage war fertig, es war ein richtiges Puppenstübchen geworden. Wer hier einzog, konnte sich freuen. Ja, aber noch wusste niemand davon, und Sophia wiederum wusste nicht, wie sie es anstellen sollte, eine Mieterin, das wäre ihr am liebsten, oder einen Mieter für die Wohnung zu bekommen. Natürlich könnte sie ein Maklerbüro mit der Vermietung beauftragen, doch irgendwie widerstrebte es ihr, das zu tun. Es war schließlich nicht irgendeine Wohnung, sondern eine in einem Privathaus, in dem sie allein lebte. Da vermietete man doch nicht an irgendeine Mieterin oder irgendeinen Mieter. Ein bisschen persönlich sollte es schon sein. Man musste ja dennoch nicht ständig aufeinander hocken. Das würde ihr überhaupt nicht gefallen. Sophie gehörte nicht zu den Menschen, die ständig jemanden um sich haben mussten. Ihr hatte das Beisammensein mit Angela gereicht. Doch das war ja leider nun vorbei, und wie es schien, auch für immer. Angela lebte ihr eigenes Leben, und sie genoss es mit ihrem Jean Pierre und den Elefanten im fernen Afrika. Sophia wünschte ihrer Tochter, dass es für sie für immer so bleiben möge. Wenn jemand alles Glück der Welt verdient hatte, dann war es Angela. Das bedeutete aber nicht, dass man dem, was man einmal gehabt hatte, nicht nachtrauern durfte. Es hatte halt alles seine Zeit und ihre mit Angela war leider abgelaufen. Sie musste sich glücklich schätzen, dass sie diese Zeit hatte erleben, genießen dürfen.

Tja, die Wohnung …

Sophia hatte sich an ihren Schreibtisch im Internat geflüchtet, obwohl da heute eigentlich nichts zu tun war. Sie wusste, dass auch Teresa heute hier war, ihr kleines, schnuckeliges Auto stand vor der Tür. Nachdem Sophia einige Vorgänge abgeheftet hatte, was auch hätte warten können, erhob sie sich, ging in die Kaffeeküche. Es dauerte nicht lange, da verließ sie die wieder, bewaffnet mit zwei Tassen Milchkaffee. Sie ging zu Teresas Büro, klopfte, trat ein, Teresa blickte von ihrem Vorgang auf, freute sich. »Sophia, du bist ja doch gekommen. Hätte ich das gewusst, dann hätte ich dich gleich im Auto mitgenommen.«

Dazu sagte Sophia nichts, sondern bemerkte: »Trinken wir einen Kaffee zusammen?«

»Ja klar, gern. Komm, dann lass es uns aber gemütlich machen und in die Besuchersessel setzen. Warte mal, ich kann zu dem Kaffee etwas beisteuern. Ich habe Inge ein paar Kekse abgeschwatzt, die wollte ich eigentlich ins Besucherzimmer stellen. Dort finden sie immer Absatz, meistens allerdings nicht bei Besuchern. Die Kids hier glauben, dass ich nicht mitbekomme, wie sie immer wieder ins Besucherzimmer gehen, um dort zu stibitzen. Was soll es, mir soll es recht sein, wenn die Kekse gegessen werden, die Hauptsache ist doch, dass, wer auch immer sie isst, Freude daran hat.«

Sie setzten sich, sprachen erst über die Stiftung. Teresa wusste, dass es nur ein Vorwand war, dass Sophia etwas unter den Nägeln brannte, sie nur noch nicht wusste, wie sie es möglichst unverbindlich aussprechen sollte, ganz so, als sei es nicht wichtig, als würde sie es nur nebenbei erwähnen.

Sophia war so durchschaubar, also spielte Teresa deren Spielchen mit. Es war halt eine kleine Macke. Ansonsten war Sophia von Bergen der loyalste Mensch, den man sich nur vorstellen konnte. Sie war verlässlich, liebenswert, ehrlich, man konnte sich auf sie in jeder Lebenslage verlassen, und sie würde niemals lügen. Teresa wunderte es nicht, denn Sophia stammte aus ähnlichen Familienverhältnissen wie sie, all diese Tugenden waren ihnen damals anerzogen worden, waren für sie ganz selbstverständlich.

Sophia lobte die von Inge gebackenen Kekse, sprach über das Rezept, das sie sich von Inge geben lassen wollte. Irgendwann platzte Teresa der Kragen, heute hatte sie keine Geduld, wollte nicht warten, bis Sophia von allein davon anfing. Das mochte durchaus daran liegen, dass Teresa sich später noch mit ihren Mitstreitern zur Rettung alter Apfelsorten verabredet war. Dafür brannte sie augenblicklich, und sie musste auch überhaupt kein schlechtes Gewissen haben, weil sie deswegen die Arbeit im Internat ein wenig schleifen ließ. Sie war zu nichts verpflichtet, sollte ursprünglich nicht mehr als die Grande Dame von allem sein. Sie hatte freiwillig immer mehr Aufgaben übernommen.

»Sophia, was hast du auf dem Herzen?«, platzte es aus ihr heraus.

Sophia erschrak, legte sofort den Keks weg, den sie gerade hatte vernaschen wollen.

»Da gibt es doch etwas, was dich bewegt, nicht wahr? Du bist nicht gekommen, um mit mir Small Talk zu machen, auch wenn ich jetzt das Kaffeepäuschen mit dir richtig nett finde.«

Es hatte keinen Zweck, sich jetzt noch lange zu zieren, und es stimmte ja auch, sie war gekommen mit der festen Absicht, mit Teresa zu sprechen.

»Die Wohnung ist fertig, eigentlich schon seit einiger Zeit«, begann Sophia, »und ich weiß nicht, was ich jetzt machen soll.«

»Sie vermieten«, antwortete Teresa sofort, »das war doch deine Absicht, und deswegen hast du alles entsprechend umbauen lassen, nicht wahr?«

Das bestätigte Sophia, doch dann sprach sie von ihren Bedenken, erklärte, dass sie keinen Makler beauftragen wolle, auch keine Anzeige in die Zeitung setzen.

»Und was willst du stattdessen tun, Sophia? Durch die Straßen laufen, dir die Leute ansehen und die ansprechen, die dir gefallen und sie fragen, ob sie nicht zufällig eine Wohnung mieten wollen?«

Teresa konnte manchmal ziemlich direkt sein, das wusste Sophia, und diese Direktheit schätzte sie eigentlich auch an Teresa. Heute allerdings bekam sie deren Worte in den falschen Hals und erwiderte entsprechend säuerlich: »Eigentlich habe ich es dir erzählt, um von dir einen nützlichen Rat zu bekommen, diesen Sarkasmus hättest du dir ersparen können.«

Jetzt war Teresa betroffen.

»Entschuldige, Sophia, es war dumm von mir, diese Worte hätte ich tatsächlich nicht wählen sollen. Asche über mein Haupt. Doch du kennst mich, du weißt, dass ich manchmal übers Ziel hinausschieße.«

Sophia war sofort wieder versöhnt, richtig sauer gewesen war sie eh nicht. Was immer Teresa auch sagte, es war niemals bösartig. Das wusste Sophia genau, Teresa hatte halt manchmal ein etwas lockeres Mundwerk.

»Schon gut, Teresa. Gib mir einfach einen Ratschlag, wie ich es anfangen soll. Die Wohnung ist wirklich sehr schön geworden.«

»Warum hast du mir denn nicht schon früher gesagt, dass alles fertig ist? Dann wäre ich doch längst vorbeigekommen, um mir die Wohnung anzusehen.«

»Weil du so beschäftigt warst, Teresa, mit deiner Arbeit, mit der Streuobstwiesenaktion, du hast Interviews gegeben, Reden gehalten, die übrigens ganz großartig waren. Und da war dann auch noch das Fernsehen bei dir.«

Teresa blickte Sophia an, die schließlich auch eine alte, glücklicherweise irgendwann wiedergefundene Freundin war.

»Sophia, nichts ist wichtiger als zwischenmenschliche Beziehungen. Und was immer ich auch tue: Freundschaften sind mir wichtiger, werden immer Vorrang haben. Eigentlich hättest du das wissen müssen. Wie lange kennen wir uns, Sophia?«

»Lange«, erwiderte die leise und beschämt. »Sehr, sehr lange.«

Teresa wollte da jetzt nicht weiter herumreiten, sie bedauerte noch mal, die Wohnung leider bisher noch nicht gesehen zu haben. Doch da konnte Sophia ihr helfen. »Ich habe Fotos gemacht, eine ganze Reihe. Magst du die sehen?«

Teresa wollte das gern, und sie schaute sich alles auf Sophias Handy ganz genau an. Irgendwann gab sie Sophia das Handy zurück.