Der Schatz des Piraten - Clive Cussler - E-Book

Der Schatz des Piraten E-Book

Clive Cussler

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Beschreibung

Faszinierende historische Fakten, packende Action, mitreißende Charaktere

Die Schatzjäger Sam und Remi Fargo wagen etwas Neues: einen Erholungsurlaub! Doch als sie durch Zufall nicht nur auf eine Leiche, sondern auch noch auf eine Schatzkarte stoßen, können sie nicht widerstehen. Die Spur führt sie von Kalifornien nach Arizona, von Jamaica nach England. Ihr Gegner im Rennen: ein von diesem Schatz besessener Milliardär. Er ist Sam und Remi immer einen Schritt voraus, und sie kommen ihm nicht näher. Immer wieder werden ihre Anstrengungen sabotiert. Das lässt für sie nur einen Schluss zu: In ihrem Team ist ein Verräter!

Archäologie, Action und Humor für Indiana-Jones-Fans! Verpassen Sie kein Abenteuer des Schatzjäger-Ehepaars Sam und Remi Fargo. Alle Romane sind einzeln lesbar.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 497

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Autoren

Seit er 1973 seinen ersten Helden Dirk Pitt erfand, ist jeder Roman von Clive Cussler ein New-York-Times-Bestseller. Auch auf der deutschen SPIEGEL-Bestsellerliste ist jeder seiner Romane vertreten. 1979 gründete er die reale NUMA, um das maritime Erbe durch die Entdeckung, Erforschung und Konservierung von Schiffswracks zu bewahren. Er lebte bis zu seinem Tod im Jahr 2020 in der Wüste von Arizona und in den Bergen Colorados.

Robin Burcell befand sich beinahe drei Jahrzehnte im Polizeidienst von Kalifornien – zunächst als Police Officer, später im Rang eines Detective. Sie hat mit Geiselnehmern verhandelt und wurde vom FBI in Forensik ausgebildet. Sie lebt heute in Nordkalifornien.

Die Fargo-Romane bei Blanvalet

1. Das Gold von Sparta

2. Das Erbe der Azteken

3. Das Geheimnis von Shangri La

4. Das fünfte Grab des Königs

5. Das Vermächtnis der Maya

6. Der Schwur der Wikinger

7. Die verlorene Stadt

8. Der Schatz des Piraten

9. Jäger des gestohlenen Goldes

Besuchen Sie uns auch auf www.instagram.com/blanvalet.verlag und www.facebook.com/blanvalet.

Clive Cussler& Robin Burcell

DER SCHATZ DES PIRATEN

Ein Fargo-Roman

Deutsch von Wulf Bergner

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Die englische Originalausgabe erschien 2016 unter dem Titel »Pirate« bei G. P. Putnam’s Sons, New York.

Copyright © 2016 by Sandecker, RLLLP

By arrangement with Peter Lampack Agency, Inc., 551 Fifth Avenue, Suite 1613, New York, NY 10176-0187 USA

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2018 by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Jörn Rauser

Covergestaltung: © Johannes Wiebel | punchdesign, Covermotiv: Shutterstock.com (© Sundari, © Pumidol, © Christos Vladenidis)

HK · Herstellung: sam

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-21432-6V003www.blanvalet.de

PERSONEN DER HANDLUNG

1216 Norfolk, England

William der Marschall – Earl von Pembroke, dient König Johann

Robert de Braose – zum Verräter gewordener Ritter König Johanns

Arthur de Claire – Williams jüngster Ritter

Hugh Fitz Hubert – ein bewährter Ritter Williams

John de Lacey – König Johanns Leibwächter

König Johann – König von England

Henry – sein ältester Sohn, der Thronfolger

HeuteNachkommen von William dem Marschall und ihre Feinde

Grace Herbert-Miller – entfernte Verwandte Sir Edmund Herberts

Sir Edmund Herbert – (fiktiver) unehelicher Sohn von Edmund Mortimer, zweiter Lord Mortimer

Roger Mortimer – dritter Lord Mortimer, der eine Affäre mit Königin Isabella hatte

Hugh le Despenser – angeblicher Liebhaber König Eduards II., Gegenspieler von Roger Mortimer

Captain Bridgeman – Deckname des Piraten Henry Every, eines entfernten Verwandten von Hugh le Despenser

Henry McGregor – Grace Herberts Cousin, Erbe des Familiensitzes in Nottingham

Robert Tiptoft, dritter Baron Tibetot – angeblicher Finder von König Johanns Schatz

Pickerings Used & Rare Books

Gerald Pickering – Buchhändler in San Francisco, Bree Marshalls Onkel

Mr. Wickham – Mr. Pickerings Kater

Bree Marshall – Remi Fargos Angestellte, für Geldbeschaffung zuständig

Larayne Pickering-Smith – Brees Cousine, Gerald Pickerings Tochter

Räuber – später als Jakob »Jak« Stanislav identifiziert

Das Fargo-Team

Sam Fargo

Remi (Longstreet) Fargo

Zoltán – Remis in Ungarn geborener Schäferhund

Selma Wondrash – Rechercheurin und Mädchen für alles der Fargos

Sandra – Stewardess im Privatjet der Fargos

Professor Lazlo Kemp – Brite, assistiert Selma bei Recherchen

Pete Jeffcoat – Selmas Assistent für Recherchen, Cordens Freund

Wendy Corden – Selmas Assistentin für Recherchen, Jeffcoats Freundin

Ex-Angehörige der DARPA(Defense Advanced Research Projects Agency)

Ruben »Rube« Hayward – Sachbearbeiter, Operationsabteilung der CIA

Nicholas Archer – Besitzer der Firma Archer Worldwide Security

Avery Company

Charles Avery – »Heuschrecke« und Seebergungsunternehmer

Colin Fisk – Leiter des Sicherheitsteams bei Avery

Martin Eduards – Leiter der Finanzabteilung von Avery

Alexandra Avery – Averys Ehefrau

Kipp Rogers – Alexandra Averys Privatdetektiv

Winton Page – Charles Averys Rechtsanwalt

Jak Stanislav – einer von Fisks Schergen

Marlowe – ein weiterer Scherge von Fisk

Iwan – einer von Fisks Schergen

Victor – Fisks neuer Scherge

Rogen – ein neuer Scherge von Fisk

Akademiker und Wissenschaftler

Professor Ian Hopkins – Arizona, englische Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts

Meryl Walsh, »Miss Walsh« – Kuratorin, British Museum

Madge Crowley – Bibliothekarin, King’s Lynn

Nigel Ridgewell – Fremdenführer in King’s Lynn, emeritierter Professor für Altenglisch

Professor Cedric Aldridge – Nottingham University, Department Geschichte

Percival »Percy« Wendorf – emeritierter Professor, Nottingham University

Agatha Wendorf – Wendorfs Ehefrau

Restaurantbesitzer, Hoteliers und Reiseleiter

SAN FRANCISCO

Mr. Bryant – Chef vom Dienst, Hotel Ritz-Carlton in San Francisco

ARIZONA

Küchenchef Marcellino Verzino – Besitzer des Ristorante Marcellino, Scottsdale

Sima – Verzinos Ehefrau

JAMAIKA

Melia – Bedienung in einem Restaurant, Jamaica

Jay-Jay – Besitzer einer Biker-Bar, Jamaica

Kemar – Angestellter einer Autovermietung, Jamaica

Antwan – Biker in Jay-Jays Bar

Billy – Biker in Jay-Jays Bar

BRASILIEN

António Alves – angestellter Fahrer, Student, São Paolo

Henrique Salazar – António Alves’ Onkel

Captain Delgado – Skipper der Golfinho

Nuno – jüngstes Besatzungsmitglied der Golfinho

Polizeibeamten

Sergeant Fauth – Kriminalbeamter, Raubdezernat, San Francisco Police Department

Sergeant Trevino – Fauths Partner, SFPD

Deputy Wagner – Deputy Sheriff, Carteret County

PROLOG

Bishop’s Lynn, Norfolk, England 9. Oktober 1216

Die ersten Flocken des einsetzenden Schneegestöbers fielen aus einem grauen Himmel, und die Temperatur ging steil nach unten, als die Abenddämmerung herabsank. William der Marschall, Earl von Pembroke, brachte seinen feurigen Hengst zum Stehen, und die drei Ritter hinter ihm folgten seinem Beispiel. Um sie herum verwandelte sich der Wald in ein bedrohliches Labyrinth aus raschelnden Schatten, durch das kein deutlich erkennbarer Weg mehr führte.

Als William die Reiter, von denen sie sich früher an diesem Abend getrennt hatten, nirgendwo sah, fragte er sich einen Augenblick lang, ob sie vielleicht in die Irre geritten waren. Aber nein. Links vor ihnen stand die verkrüppelte Eiche genau so, wie er sie in Erinnerung hatte. Seine drei Ritter und er waren vorausgeritten, um den Weg für die anderen zu erkunden, die ihnen morgen mit dem Schatz des Königs folgen würden. Und obwohl sich William gegen diesen Transport ausgesprochen hatte, weil er auf das Eintreffen von Verstärkungen hoffte, bestanden die Ratgeber des Königs darauf, der Schatz müsse dringend in Sicherheit gebracht werden – vor allem jetzt, da Prinz Louis von Frankreich London eingenommen und sich selbst zum König von England ausgerufen hatte. Weil sich die Hälfte von König Johanns Baronen auf Louis’ Seite geschlagen hatte, wollte er den Königsschatz außer Reichweite des Usurpators schaffen.

Robert de Braose kam nach vorn geritten, und William sah zu ihm hinüber. »Meine Männer müssten längst hier sein.«

»Vielleicht hat das kalte Wetter sie aufgehalten.«

William hob eine Hand, forderte Schweigen. Er war auf ein sehr leises Geräusch aufmerksam geworden und lauschte jetzt angestrengt. »Hör nur …«

»Ich höre nichts.«

Da war es wieder! Ein Rascheln, das sich von dem des Windes in den Bäumen unterschied.

Neben ihm entstand ein Flüstern von Stahl, als Robert sein Schwert aus der Lederscheide zog. Als mehrere Reiter mit gezogenen Schwertern aus dem Wald herangaloppiert kamen, folgte ein Schrei. Williams Streitross scheute bei diesem unerwarteten Überfall. Er hatte zu kämpfen, um im Sattel zu bleiben und hörte ein Pfeifen in der Luft, als Roberts Schwert auf ihn herabzuckte.

Instinktiv riss William seinen Schild hoch. Zu spät. Roberts scharfe Klinge traf seine Rippen. Obwohl sein feingliedriges Kettenhemd die größte Wucht des Schlages abfing, durchfuhr ihn ein heftiger Schmerz.

Hatte Robert ihn mit dem Feind verwechselt?

Unmöglich, dachte er, während er sein Schwert aus der Scheide riss. Er warf sein Pferd herum und erledigte mit einem Hieb den Angreifer, der ihm am nächsten war. Der Tote schlug neben der Leiche von Arthur de Clare auf, der Williams jüngster Ritter gewesen war.

Zorn durchflutete ihn, als er sich Robert zuwandte. »Bist du von Sinnen?«, fragte er empört. Er konnte kaum fassen, dass ihn einer der handverlesenen Männer des Königs angegriffen hatte.

»Im Gegenteil«, sagte Robert, spornte sein Pferd an und holte erneut aus, aber jetzt hatte er das Überraschungsmoment eingebüßt. Ihre Schwertklingen kreuzten sich klirrend. »Ich bin nur endlich zur Vernunft gekommen.«

»Dein Angriff auf mich ist Hochverrat am König. Zu welchem Zweck?«

»Nicht an meinem König, an deinem. Ich habe Louis von Frankreich die Treue geschworen.«

Dieser Verrat schmerzte. »Du warst mein Freund.«

Robert spornte sein Pferd an, beugte sich weit nach vorn, um mit dem Schwert zustoßen zu können … und wich im letzten Augenblick doch zurück.

William, der diese Finte vorausgesehen hatte, wartete bis zum letzten Moment, schwang dann seinen Schild und schlug Robert aus dem Sattel. Sein Streitross trabte davon. Hinter ihnen holte Hugh Fitz Hubert, ebenfalls zu Fuß, einen Angreifer aus dem Sattel, konnte aber nicht verhindern, dass ein weiterer Mann mit den restlichen Pferden davonritt. Nun stand es zwei gegen zwei, und William saß als Einziger noch im Sattel. Solche Chancen gefielen ihm weit besser, als er gelassen um Robert herumritt. »Ich habe dich ausgebildet. Ich kenne deine Schwächen.«

»Und ich die deinen.« Die Wolken rissen auf, und ein heller Strahl Mondlicht ließ Roberts Waffe glitzern. Das einschneidige Schwert vereinigte die Wucht und das Gewicht einer Streitaxt mit der Vielseitigkeit eines Schwertes. Vorn lief die Klinge in eine leicht gekrümmte tödliche Spitze aus, die selbst fein gearbeitete Kettenhemden durchstoßen konnte, wie William recht gut wusste.

Das größere Gewicht seiner Waffe verschaffte Robert einen Vorteil gegenüber dem zweischneidigen Langschwert, das William führte. Aber Robert würde rascher ermüden, zumal er jetzt zu Fuß kämpfen musste. William hatte diese Überlegung kaum angestellt, als Robert zum Angriff überging, sein Schwert wie eine Streitaxt schwang und die Beine von Williams Hengst zu treffen versuchte.

William wich zurück, weil er eine größere Gefahr erkannte. Beraubte man sie ihrer Pferde, kamen sie niemals rechtzeitig zurück, um den König warnen zu können.

Es fiel ihm schwer, auf seinen Vorteil zu verzichten, aber William wusste, dass dies seine einzige Chance war. Er schwang sich aus dem Sattel, schlug dem Hengst mit der flachen Hand auf die Kruppe und schickte ihn fort. Fitz Hubert und der treulose Ritter kämpften unter Schwertgeklirr gegeneinander.

William trat vor Robert hin. Die beiden Männer umkreisten einander schwerfällig. William suchte Roberts Kettenhemd ab, weil er hoffte, irgendeine beschädigte Stelle zu entdecken. »Aber warum denn?«, fragte er zwischen Angriffen und Paraden. Wenn er überleben wollte, brauchte er Antworten.

Robert ließ ihn keine Sekunde aus den Augen. »Im Feldlager des Königs lagert genügend Gold, um ein ganzes Heer aufzustellen – als Ersatz für die Verluste, an denen dein unfähiger König schuld ist.«

»Was er tut, entscheidet allein er …«, Stahl traf funkensprühend auf Stahl, »… ob dir das gefällt oder nicht.«

»Meine Familie hat alles verloren«, sagte Robert, während er William umkreiste, eine Lücke suchte und auf den rechten Zeitpunkt wartete. »Der König hat seine Schatztruhen mit unserem Gold gefüllt – und mit unserem Blut. Hat meine Halbbrüder eingekerkert.« Robert schlug wieder und wieder zu. »Dieser Schatz gehört uns, und wohin er geht, dorthin gehen auch wir.«

Williams Muskeln brannten; er ermüdete rasch. Robert war ein furchterregender Gegner. Jünger und stärker. Die beiden Männer standen sich atemlos keuchend gegenüber. William hatte nicht mehr auf Fitz Hubert und den anderen Verräter geachtet, aber er hörte sie irgendwo im Dunkel hinter sich. »Ihr werdet unterliegen«, sagte William.

»Nay. Der König stirbt bereits.«

Angst durchflutete William. Und sie gab ihm die Kraft, sein Schwert ein letztes Mal zu erheben. Die Klinge zischte durch die Luft. Robert parierte, wie vorauszusehen war. Williams Schwert wurde nach oben abgelenkt, und er nutzte diesen Schwung, um es unter Roberts Arm in das Kettenhemd zu bohren. Dann stieß er Robert mit beiden Händen am Schwertgriff zu Boden.

William stand über Robert und bemerkte eine Mischung aus Angst und Hass auf dem Gesicht des Gestürzten, als er seinen Fuß auf Roberts Schwertarm setzte. »Was sagst du nun?«

»Wir haben trotzdem gesiegt.«

»Auch wenn dein Ende bevorsteht?« Dies war ein ruhmreicher Augenblick. Er war nur noch einen Herzschlag davon entfernt, einem Verräter den Todesstoß zu versetzen. Noch schöner wurde alles dadurch, dass er Fitz Hubert ohne sichtbare Verwundung aus dem Wald kommen sah.

Aber dann sah Robert, während er keuchend nach Luft rang, lächelnd zu William auf. »Wer, glaubst du, hat den König dazu überredet, seinen Schatz in Sicherheit zu bringen, und wer hat diesen Hinterhalt geplant? Das war ich … Prinz Louis, der wahre König, der jetzt in London residiert, wird die Früchte ernten, die der Geiz deines falschen Königs gesät hat … Dieser Schatz ist unser …« Krampfhaft rang er nach Atem. »Wir haben Spitzel an allen Höfen … Jeder Edelstein in seiner Krone, jede Unze seines Goldes wird Louis’ Feldzug finanzieren. Und dann ist England sein … Du und deinesgleichen, ihr werdet Louis die Treue schwören, noch bevor diese Woche um ist.«

»Nicht, wenn ich ein Wort mitzureden habe.«

William stieß mit dem Schwert zu, wobei er die Klinge drehte, um sicherzustellen, dass die Wunde tödlich war. Er ließ den Leichnam liegen und wandte sich Fitz Hubert zu. »Bist du verwundet?«

»Eine gebrochene Rippe, fürchte ich.«

»Du hast alles gehört?«

»Aye.«

Sie konnten nur mehr ein Pferd – Williams Hengst – einfangen und kamen überein, wegen Fitz Huberts Verwundung solle William vorausreiten, um den König zu warnen. Als er das Feldlager in Bishop’s Lynn erreichte, sah er bereits das Unglück auf den Gesichtern der anderen. John de Lacy empfing ihn vor dem Zelt des Königs, ließ ihn jedoch nicht eintreten. »Der König ist krank. Diarrhö. Er ist für niemanden zu sprechen.«

»Für mich schon. Aus dem Weg, wenn dir dein Leben lieb ist!«

»Was …«

William stieß ihn beiseite und betrat das Zelt, in dem es faulig stank. Der Leibarzt des Königs und zwei Aufwärter waren anwesend. In den hohen Leuchtern, die das Lager des Königs umgaben, flackerten Kerzen und warfen schwaches Licht auf die still daliegende Gestalt. Allzu still wirkte er. William fürchtete schon, der König sei bereits tot. Als er sich ihm aber näherte, sah er, wie sich seine Brust bei jedem flachen Atemzug hob und senkte. »Mein Lehensherr.« William ließ sich neben dem Lager auf ein Knie nieder und senkte den Kopf. »Ich habe Euch im Stich gelassen.«

Die Augen des Königs öffneten sich einen Spalt weit. Auf seiner Stirn standen Schweißperlen. »Wie das?«

»Was ich zu sagen habe, ist nicht für die Ohren anderer bestimmt.«

König John sagte nicht sogleich etwas, sondern starrte William zunächst forschend an. Dann machte er eine schwache Handbewegung. »Fort mit euch. Alle.«

William wartete, bis sie im Zelt allein waren. Und selbst dann zögerte er noch, seine Nachricht zu überbringen. »Ich habe es versäumt, einen Verräter in unserer Mitte zu entdecken. Vielleicht nicht den einzigen. Robert de Braose. Er hat mir gesagt, Ihr lieget im Sterben. Bevor er’s überhaupt wissen konnte.«

»Diarrhö.«

»Offenbar … leider nicht.«

Der König schloss die Augen, und William fürchtete einen Moment lang, er werde nicht mehr erwachen. »Wer würde so etwas tun?«

»Das weiß ich nicht. Aber wer diese Tat verübt hat, weiß auch von dem Schatz, den Ihr mit Euch führt. Damit will Prinz Louis seinen Anspruch auf den englischen Thron finanzieren. Eure Krankheit sollte uns ablenken, damit sie ihn morgen früh erbeuten können.«

»Mein Sohn …« Der König tastete nach Williams Hand; sein Griff war fiebrig schwach. »Was ist mit Henry?»

»Er ist in Sicherheit. Ich werde ihn mit meinem Leben schützen.« Im Gegensatz zu seinem Vater und allen Verwandten war der älteste Sohn des Königs, ein Junge von erst neun Jahren, nicht mit der Unehrlichkeit und dem Verrat der letzten Könige befleckt. Englands einzige Hoffnung konnte nur ein Herrscher sein, der nicht von Geiz und Mord besudelt war. »Aber ich fürchte, dass sich die Versuchung, die von solch einem Schatz ausgeht, als zu stark für den jungen Prinzen erweisen wird.«

»Er wird meinen ganzen Schatz brauchen, um seinen Kampf gegen den Eindringling zu finanzieren. Um unser Land zurückzugewinnen.«

»Mein Lehensherr, wenn ich offen sprechen darf: Solange der Schatz existiert, wird es immer Männer geben, die nach ihm gieren. Louis von Frankreich ist da nur der erste von vielen. Und vergesst nicht, dass auch den aufständischen Baronen, gegen die Ihr in den vergangenen Monaten gekämpft habt, nicht zu trauen ist. Jedenfalls nicht, solange Gold und Reichtümer sie locken.« Er machte eine Pause, um sich davon zu überzeugen, dass seine Worte gehört und verstanden wurden. »Ein armes Königreich ist bei weitem wünschenswerter. Und noch wichtiger … ein junger König, der kaum alt genug ist, um ein armes Königreich zu regieren, stellt keine Gefahr mehr dar …«

»Worauf willst du hinaus?«

»Was wäre, wenn der Schatz heute Nacht verloren ginge, während wir versuchen, ihn durch den Treibsand der Marschen zu transportieren? Verliert Ihr den Schatz, verliert Ihr auch Eures Sohnes Feinde.«

Der König schwieg weiter, sein Atem ging flach.

»Ihr sterbt, Sire.« Auch wenn er das nicht wahrhaben wollte, wusste er doch, dass seine Worte zutrafen. Dies war keine Diarrhö, sondern etwas, das er schon früher gesehen hatte: ein langsam wirkendes Gift, das die Eingeweide zerfraß. Der König hatte vielleicht noch eine Woche oder länger unter grässlichen Schmerzen zu leben, während er auf den Tod wartete … nay, er würde um ihn beten. »So wüssten wir, dass dem jungen Herrn keine Gefahr droht.«

»Und wenn mein Sohn eines Tages den Schatz bräuchte? Wenn er älter ist?«

»Er wird ihn nicht brauchen. Solange der Schatz verschollen ist, hat er nichts zu befürchten.«

Lange Sekunden verstrichen, bevor der König sagte: »Sorg dafür, dass es geschieht.«

1

San Francisco Heute

Sam und Remi Fargo schlängelten sich durch die Touristenhorden, die sich auf den Gehsteigen drängten. Sobald sie das im Pagodenstil erbaute Tor von Chinatown passiert hatten, hinter dem das Gedränge abnahm, sah Remi auf den Stadtplan ihres Smartphones. »Ich fürchte, wir sind irgendwo falsch abgebogen.«

»Zu diesem Restaurant«, antwortete Sam und nahm seinen geliebten Panamahut ab. »Das ist eine Touristenfalle, ganz bestimmt.«

Sie sah zu ihrem Mann auf und beobachtete, wie er sich mit den Fingern durch sein braunes Haar fuhr, in dem einige Strähnen von der Sonne aufgehellt waren. Er war über einen Kopf größer als Remi, hatte breite Schultern und war athletisch gebaut. »Ich habe keine Klage von dir gehört, als sie das Schweinefleisch süß-sauer serviert haben.«

»Was haben wir falsch …?«

»Dass wir das Mongolensteak bestellt haben. Das war eindeutig ein Fehler.«

»Auf dem Stadtplan, Remi.«

Sie verkleinerte den Maßstab, las die Straßennamen. »Vielleicht war die Abkürzung durch Chinatown doch nicht so kurz.«

»Vielleicht könnte ich dir helfen, wenn du mir wenigstens sagen würdest, wohin wir wollen.«

»Dies ist der einzige Teil diese Reise«, sagte Remi, »der eine Überraschung für dich sein soll. Du hast noch nicht mal angedeutet, was du vorhast.«

»Aus gutem Grund.« Sam setzte den Hut wieder auf, und Remi hakte sich bei ihm ein, als sie weitergingen. Diese Reise hatte er organisiert, weil ihr letztes Abenteuer auf den Salomon-Inseln nicht der erhoffte ruhige Urlaub gewesen war, den sie geplant hatten. »Ich verspreche nichts als Ruhe, Entspannung und eine Woche, in der uns niemand zu ermorden versucht.«

»Eine volle Woche Auszeit«, sagte sie und drängte sich enger an ihn, als eine Wolke die Sonne verdeckte und die Temperatur dieses Nachmittags Anfang September sinken ließ. »Wann hatten wir das zuletzt?«

»Weiß ich nicht mehr.«

»Ah, da sind wir«, sagte sie, als sie das Antiquariat entdeckte. Am Schaufenster stand in leicht abblätternder Goldschrift: Pickering’s Used & Rare Books. »Damit du siehst, dass ich würdigen kann, dass du mich bis hierher begleitet hast, brauchst du nicht mit reinzugehen.« Remi machte allerdings nur einen Scherz. Sams verstorbener Vater, ein Ingenieur der NASA, hatte seltene Bücher gesammelt, und Sam, ebenfalls ein Ingenieur, hatte diese Leidenschaft geerbt.

Er betrachtete erst das Antiquariat, dann seine Frau. »Was für ein Ehemann wäre ich, wenn dir dort drinnen etwas zustieße?«

»Gefährliche Dinger sind das – Bücher.«

»Sieh dir bloß an, was sie mit deinem Gehirn angestellt haben.«

Die beiden überquerten die Straße und standen unmittelbar vor dem Antiquariat. Eine Siamkatze, die im Schaufenster auf einem Bücherstapel schlief, sah missmutig auf, als ein Glöckchen bimmelte, während Sam Remi die Ladentür aufhielt. Drinnen roch es nach Moder und altem Papier. Remi suchte die Regale ab, sah zunächst jedoch nichts als gebrauchte Hardcover-Romane und neue Taschenbücher. Sie ließ sich ihre Enttäuschung nicht anmerken, konnte aber nur hoffen, dass sie den weiten Weg nicht vergebens gemacht hatten.

Ein grauhaariger Mann mit goldgeränderter Brille kam aus dem Hinterzimmer und wischte sich die Hände mit einem Staubtuch ab. Er lächelte, als er die beiden sah. »Was kann ich für Sie tun?«

Sams Handy klingelte. Er zog es heraus, wobei er zu Remi sagte: »Ich telefoniere draußen, okay?«

»Na klar, schließlich hatte dies eine Überraschung sein sollen.«

Er verließ das Antiquariat, und Remi wartete, bis sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, bevor sie sich an den Besitzer wandte. »Mr. Pickering?«

Er nickte.

»Ich habe gehört, dass Sie ein Exemplar von The History of Pyrates and Privateers zu verkaufen haben.«

Sein Lächeln verblasste für Bruchteile einer Sekunde. »Ja, natürlich. Gleich dort drüben.«

Pickering führte sie zu einem Regal, in dem mehrere identische Exemplare von Pyrates and Privateers standen. Obwohl das eindeutig Nachdrucke waren, sahen die geschmackvoll imitierten Lederbände wie Bücher aus, die vor Jahrhunderten erschienen waren.

Er zog einen Band aus dem Regal, fuhr mit seinem Staubtuch über den Kopfschnitt und gab Remi das Buch. »Woher wussten Sie, dass ich gerade diesen Titel führe?«

Sie beschloss, nur vage zu antworten. Sie wollte niemandes Gefühle verletzen, nachdem sie jetzt wusste, dass das Buch lediglich ein Nachdruck war. »Eine Frau, mit der ich zusammenarbeite, weiß, dass sich mein Mann für verschollene Artefakte und seltene Bücher interessiert.« Sie schlug den Band auf und bewunderte die Details, die ihn alt wirken ließen. »Eine sehr schöne Ausgabe … nur leider nicht das erhoffte Original.«

Er schob seine Brille zum Nasensattel hoch. »Bei Innenarchitekten ist sie sehr beliebt. Weniger wegen verschollener Artefakte, eher als Dekoration für den Couchtisch. Aber manchmal habe ich auch schon historisch bedeutsame Ausgaben entdeckt. Vielleicht hat Ihre Freundin Charles Johnsons mehrbändiges Werk A History of Pyrates gemeint? Die habe ich.«

»Wir allerdings auch. Ich hatte auf Pyrates and Privateers gehofft, sozusagen zur Abrundung unserer Sammlung. Meine Freundin muss die beiden Titel verwechselt haben.«

»Wer hat Sie an mich verwiesen, sagen Sie?«

»Bree Marshall.«

»Oh. Also, das ist …« Ein Luftstoß und das stürmische Klingeln der Ladenglocke ließen ihn aufschrecken, bevor sie sich gleichzeitig nach der Tür umdrehten. Remi, die Sam erwartet hatte, sah einen viel kleineren, stämmigen Mann, dessen Silhouette sich vor dem Licht abzeichnete, das durchs Schaufenster hereinfiel.

Der Antiquar musterte den Mann, dann lächelte er Remi zu. »Lassen Sie mich den Band abstauben und für Sie einpacken.« Und bevor sie widersprechen und ihm erklären konnte, sie lege keinen Wert auf einen Nachdruck, nahm er ihr das Buch aus den Händen. »Bin gleich wieder da.«

Ihre Freundin Bree hatte offenbar falsch verstanden, welches Original ihr Onkel zu verkaufen hatte. Unwichtig. Auch der qualitätsvolle Nachdruck würde sich in Sams Büro gut machen. Er würde diese Geste zu würdigen wissen, hoffte sie, als sie sich abwandte, um Pickerings Angebot zu betrachten, während sie wartete. Dabei entdeckte sie ein Exemplar von Galeazzis musiktheoretischer Abhandlung aus dem achtzehnten Jahrhundert. Weil dies ein Exemplar der Erstausgabe zu sein schien, konnte sie sich nicht erklären, dass das Buch in einem nicht mal abschließbaren Glasschrank stand.

»Arbeiten Sie hier?«, fragte der Mann.

Sie drehte sich um und sah flüchtig dunkles Haar, braune Augen und ein kantiges Kinn, als er sich von dem Schaufenster wegbewegte. »Nein, tut mir leid. Er ist hinten. Packt ein Geschenk für mich ein.«

Er nickte, dann war er an ihrem Gang zwischen den Regalen vorbei. Als Mr. Pickering aus dem Hinterzimmer kam, trat er hinter dem Ladentisch an die Registrierkasse. Der Mann, der inzwischen wieder aufgetaucht war, stand jetzt seitlich neben ihm und hatte beide Hände in den Taschen seines schwarzen Ledermantels vergraben. Aus nicht recht erklärlichen Gründen war Remi von seiner Anwesenheit gestört, vielleicht weil er jede ihrer Bewegungen mit Argusaugen beobachtete – und weil er seine Hände nicht aus den Manteltaschen nahm. Sie mochte es nicht, wenn Leute ihre Hände nicht sehen ließen.

Mr. Pickering, dessen verkrümmte Finger leicht zitterten, schob ihr braunes Päckchen über den Ladentisch. Nerven oder Alter?, fragte sie sich.

»Danke«, sagte sie. »Wie viel bin ich schuldig?«

»Oh. Natürlich. Neunundvierzig fünfundneunzig. Plus Verkaufssteuer. Die Geschenkverpackung ist umsonst.«

Es war nicht gerade die Aufmachung, die Remi gewählt hätte. Laut sagte sie: »Die gute Nachricht ist, dass das entschieden weniger ist, als ich vorausgesehen hatte.«

»In China gedruckt«, erklärte er ihr mit einem nervösen kleinen Lächeln.

Sie zahlte, dann klemmte sie sich das Päckchen unter den Arm. Die Siamkatze, deren Schwanz zuckte, starrte sie von ihrem Beobachtungsplatz im Schaufenster aus an. Remi streckte die freie Hand aus, streichelte die Katze, die auch sofort schnurrte, während sie unauffällig zu dem Mann hinübersah, der sich noch nicht bewegt hatte.

Jetzt zog er eine Pistole aus der Manteltasche und zielte damit auf die beiden. »Lady, Sie hätten gehen sollen, solange die Gelegenheit dazu bestand. Halten Sie Ihre Hände so, dass ich sie sehen kann.«

2

Sam beendete sein Telefongespräch mit dem Hotelmanager, der ihm bestätigte, der Champagner im Eiskübel und das Geschenk für Remi seien wie bestellt in ihre Suite gebracht worden. Nach einem Blick auf seine Uhr sah er zu dem Antiquariat hinüber und fragte sich, womit Remi sich so lange aufhielt. Wie er sie kannte, war sie vermutlich mit dem Antiquar und dem später dazugekommenen Kunden in eine lebhafte kleine Diskussion über irgendein obskures Thema verwickelt. Wegen der Suche nach diesem geheimnisvollen Buch, das er bestimmt gern in seine Sammlung aufnehmen würde, schien sie sogar ein bisschen aufgeregt gewesen. Aber wie lange konnte es denn dauern, das Ding zu finden und zu bezahlen?

Es wurde Zeit, Remi zu drängen, etwas schneller einzukaufen, sonst hatte der Champagner schon Zimmertemperatur, wenn sie zurückkamen. Er sah ins Schaufenster, konnte aber niemanden entdecken, nicht mal die Katze, die auf einem Bücherstapel gelegen hatte. Sehen konnte er jedoch Remis Umhängetasche, die auf einem braun eingepackten Päckchen auf dem Ladentisch stand.

Sieht ihr nicht ähnlich, ihre Tasche einfach abzustellen, sagte er sich und öffnete die Tür. Das Glöckchen bimmelte, als er eintrat. »Remi?«

Das Geschäft schien leer zu sein.

»Remi?«

Nach einem Blick auf ihre leichtsinnig abgestellte Umhängetasche ging er durch den Laden, sah in alle Gänge zwischen den Regalen und fand Remi schließlich in der Nähe der Tür zu einem Hinterzimmer, das Büro und Lagerraum zugleich zu sein schien. »Ah, hier bist du!«

»Du solltest doch draußen warten. Hast du das vergessen?«

»Alles in Ordnung?«

»Ich habe das Kochbuch gefunden, das ich seit Jahren suche. Der Antiquar packt es mir gerade ein. Geh jetzt, sonst verdirbst du mir die Überraschung.«

Sam starrte sie sekundenlang an, ohne ihre Miene deuten zu können, während ihre grünen Augen seinen Blick ausdruckslos wie ein Pokerspieler erwiderten. »Gut, ich warte dann draußen«, sagte er. »Komm bald nach.«

Sie lächelte freundlich, ohne ihren Platz an der Tür zu verlassen. »Gut, ich beeil mich.«

Er ging auf demselben Weg zurück. Die Ladenglocke bimmelte, als er die Tür von innen öffnete und wieder schloss, ohne aber das Geschäft zu verlassen.

Auch wenn ihr Küchen nicht ganz fremd waren, hätte man viel Fantasie gebraucht, um sich Remi als begeisterte Köchin vorzustellen.

Tatsächlich konnte er sich nicht daran erinnern, dass sie jemals ein Kochbuch gekauft oder gar eines gesucht hatte. Jedenfalls ganz sicher nicht, seit sie verheiratet waren.

Sie hatte ein Problem, sie war in Gefahr.

Sein Pech, dass er unbewaffnet war.

Normalerweise trug er einen Revolver, einen Smith & Wesson .357 Magnum, aber weil sie als Touristen in San Francisco waren, hatte er die Waffe in ihrem Flugzeug gelassen.

Was tun? Die 911 anrufen und darauf hoffen, dass die Polizei rechtzeitig kam?

Weil er das Leben seiner Frau nicht gefährden wollte, stellte er sein Smartphone stumm, legte den Hut auf den Ladentisch und machte sich daran, Schubladen leise aufzuziehen, um vielleicht eine etwas größere Waffe zu finden als sein kleines Taschenmesser. Tatsächlich fand er ein Klappmesser mit ungefähr zwölf Zentimeter langer Klinge. Er klappte sie heraus, spürte sie einrasten. Genügend Gewicht, gut ausgewogen, Spitze intakt, vermutlich zum Öffnen von Büchersendungen benutzt. Jetzt musste er nur noch ungesehen das Hinterzimmer erreichen.

Sam steckte eine Hand in die Umhängetasche seiner Frau, fand ein Make-up-Täschchen und zog ihre Puderdose mit einem Spiegel im Deckel heraus. Er klappte sie auf, wischte Puderspuren vom Glas, indem er den Spiegel an seinem Hemd rieb, und schlich den Gang hinunter, wobei er darauf achtete, immer ein volles Bücherregal zwischen sich und der Tür des Lagerraums zu haben.

»Sie!«, brüllte eine tiefe Stimme.

Sam erstarrte.

»Versieben Sie die Kombination noch mal, erschieß ich Sie.«

»Entschuldigung.« Das war der Antiquar Pickering, vermutete Sam, als er weiterschlich. »Ich bin nervös.«

»Bitte«, sagte Remi. »Sie brauchen wirklich nicht so mit der Pistole herumzufuchteln.«

»Klappe halten! Und Sie, Alter – sehen Sie zu, dass Sie den Tresor aufkriegen.«

»Ich … ich geb mir Mühe.«

Sam zwang sich, gleichmäßig zu atmen. Seine Frau war in diesem Raum, und er wäre am liebsten hineingestürmt, um sie zu befreien. Aber unüberlegte Hast konnte leicht ihren Tod bedeuten. Ein Klappmesser gegen einen Mann mit Pistole. In solchen Augenblicken wusste er das Waffen- und Sicherheitstraining in seinen Jahren bei der DARPA noch mehr zu schätzen.

Am Ende des Ganges zwischen den Regalen machte er halt und konnte nun mit dem Spiegel um die Ecke sehen.

Licht fiel durch die Tür des Lagerraums und zeichnete einen hellen Streifen auf den grauen Linoleumboden. Um keinen Schatten zu werfen, blieb Sam am äußersten Rand. Als er jetzt die Hand mit dem Spiegel ausstreckte, konnte er in den Lagerraum sehen.

Sams Erleichterung beim Anblick seiner Frau mit der rotbraunen Mähne, die an einem übervollen Schreibtisch saß, hielt nicht lange an. Als er den Spiegel etwas kippte, sah er den stämmigen Schwarzhaarigen, der dem Buchhändler die Mündung seiner Pistole ins Kreuz drückte. Die beiden Männer standen vor einem Tresor, der auf dem Fußboden festgeschraubt war und dessen Kombinationsschloss der Antiquar zu öffnen versuchte. Hätte sich Sam aus dieser Richtung genähert, wäre Remi zwischen ihn und den Bewaffneten geraten.

Keine allzu guten Aussichten. Aber im Augenblick hatte er keine andere Wahl.

Komm schon, Remi. Dreh dich um. Sieh mich.

Er bewegte den Taschenspiegel, bis das reflektierte Licht ihr Gesicht traf. Leider sah sie gerade weg und stützte sich mit den Ellbogen auf den Schreibtisch, als ein hörbares Klicken ankündigte, dass der Tresor offen war. Pickering zog die schwere Tür auf, sodass ein glatter Holzkasten, der zwei Flaschen Wein hätte enthalten können, sichtbar wurde.

Der Mann mit der Pistole trat näher heran. »Was ist in der Box?«

»Ein altes Buch, eine alte Scharteke.«

»Stellen Sie die Box auf den Schreibtisch.«

Der Alte gehorchte, indem er den Kasten vor Remi abstellte.

Sam fasste das schwere Klappmesser an der Klinge, trat auf die Schwelle, zielte und warf.

Sein Timing hätte nicht schlechter sein können.

Ausgerechnet in diesem Augenblick sprang Remi vom Stuhl auf und holte mit der schweren Schreibtischlampe gegen den Kopf des Bewaffneten aus. Sams Messer traf ihn an der rechten Schulter. Ein Schuss krachte, als er sich herumwarf, wobei ihm die Pistole aus der Hand flog.

Sam stürmte vorwärts. Der Bewaffnete stieß Pickering gegen Remi, dann schnappte er sich die Box. Er knallte sie Sam gegen den Kopf, als er an ihm vorbei aus dem Raum lief.

Sam wusste nicht genau, ob er die Türglocke hörte, als die Ladentür aufgerissen wurde, oder ob ihm die Ohren von dem Schlag auf den Schädel klingelten.

»Sam …?«

Er brauchte eine Sekunde, um zu merken, dass seine Frau mit ihm sprach.«

»Alles in Ordnung mit euch?«

»Alles in Ordnung mit dir?«, lautete ihre Gegenfrage.

»Klar doch …« Er hob eine Hand, griff sich an den Kopf und sah Blut an seinen Fingern. »Bin anscheinend nur zweiter Sieger geworden.«

Remi legte die Pistole auf den Schreibtisch und sorgte dafür, dass sich Sam auf ihren Stuhl setzte. Sie legte beide Hände an seine Wangen, sodass er ihre weiche, warme Haut spürte, bückte sich und sah ihm forschend in die Augen, um sich davon zu überzeugen, dass ihm wirklich nichts fehlte. »Für mich bist du immer der Erste. Krankenwagen?«

»Nicht nötig.«

Sie nickte, sah sich seinen Kopf genauer an und drehte sich dann zu dem Antiquar um, der zu Boden gegangen war und sich jetzt am Schreibtisch hochzog. »Mr. Pickering. Lassen Sie mich Ihnen helfen.«

»Mir fehlt nichts«, sagte der Alte. »Wo ist Mr. Wickham?«

»Mr. Wickham?«, fragte Remi.

»Mein Kater. Wickham …? Komm, Mieze, komm …« Im nächsten Augenblick kam der Siamkater in den Lagerraum stolziert, und Pickering nahm ihn auf den Arm.

»Na schön«, sagte Remi, »dann sind ja alle da. Jetzt wird’s Zeit, die Polizei anzurufen.«

Pickering machte ein zweifelndes Gesicht, als sie den Hörer abnahm. »Ist das notwendig?«, fragte er.

»Unbedingt«, antwortete sie und drückte die Notruftaste 911.

Nach ungefähr fünf Minuten traf die Polizei mit Sirenengeheul ein, obwohl Remi gemeldet hatte, der Räuber sei geflüchtet.

Einer der Polizeibeamten zog Sam beiseite, um seine Aussage zu Protokoll zu nehmen. Anschließend bat er ihn, ihm zu zeigen, wo der Bewaffnete gestanden hatte, als der Schuss gefallen war. Sam stellte sich neben den Schreibtisch und demonstrierte die Bewegungen des Mannes, als Remi ihm die Schreibtischlampe auf die Hand geknallt hatte. Der Polizeibeamte sah sich suchend um. »Und wo haben Sie gestanden, als Sie das Messer geworfen haben?«

»Auf der Schwelle.«

»Stellen Sie sich bitte dorthin.«

Das tat Sam.

Der Polizeibeamte trat auf ihn zu, legte den Zeigefinger auf den Türrahmen. »Hier ist das Geschoss eingeschlagen.«

Sam stellte fest, dass das Einschussloch nur eine Handbreit von seinem Kopf entfernt war. »Glück gehabt!«

»Mr. Fargo. Ihr Verhalten war lobenswert, aber darf ich vorschlagen, dass Sie in Zukunft sofort die Polizei rufen?«

»Sollte so was noch mal passieren, tu ich’s bestimmt.«

Allerdings wusste er recht gut, dass Remi immer dazu neigte, selbst aktiv zu werden.

Das gehört zu den vielen Dingen, die ich an ihr liebe, dachte er mit einem Blick in den vorderen Teil des Antiquariats. Remi hatte ihre Aussage bereits gemacht und wartete geduldig an der Tür.

Ein Kriminalbeamter, Sergeant Fauth vom Raubdezernat, befragte Mr. Pickering, der jetzt einen leicht verwirrten Eindruck machte – wegen seines Alters und der Umstände war das nur allzu verständlich. Als er die Tür des noch offenen Tresors aufzog, fragte der Ermittler: »Ist sonst noch was geraubt worden?«

»Nein, nur der Holzkasten mit dem Buch. Sonst enthält der Tresor nichts wirklich Wertvolles. Ein paar Goldmünzen. Spanische Dublonen, aber nichts, was … einfach nichts Besonderes. Die Münzen sind auch noch da.«

»Was für ein Buch war das?«

Pickering zuckte mit den Schultern. »Nur der Nachdruck eines alten Werks über Piraten. Das Buch selbst ist nicht viel wert. Ich habe mehrere davon im Laden stehen. Ich kann sie Ihnen zeigen.« Er ging hinaus und kam mit einem Buch zurück, das er auf den Schreibtisch stellte.

»Und die Box, in der es aufbewahrt war? Ist die irgendwie wertvoll?«

»Nicht sehr. Nein.«

»Warum hat sie dann im Tresor gelegen?«

»Vielleicht in der Hoffnung, dass jemand, der irgendetwas für wertvoll hält, die Dinge ignoriert, die es wirklich sind?«

»Mr. Pickering«, sagte Sergeant Fauth. Nach einem Blick in sein Notizbuch sah er wieder den Antiquar an. »Können Sie sich irgendeinen Grund vorstellen, weshalb dieser Mann Ihr Geschäft überfallen hat?«

Der Alte fuhr sich mit leicht zitternder Hand über seine schweißnasse Stirn. Der Raubüberfall hatte ihn sichtlich mitgenommen. »Vielleicht hat es mit dem Gerücht zu tun, das Original dieses Buchs befinde sich hier. Wer es ausgestreut hat – und zu welchem Zweck –, das weiß ich nicht. Aber das gestohlene Buch ist in jeder Beziehung mit diesem hier identisch. Bloß eben ein Nachdruck.« Er legte eine Hand auf das Exemplar von The History of Pyrates and Privateers, das er aus dem Laden geholt hatte.

Der Sergeant bedankte sich und steckte sein Notizbuch wieder in die Innentasche seines Jacketts. Die Spurensicherung war eingetroffen, um Fingerabdrücke zu suchen und Fotos zu machen. Sobald sie damit anfingen, gab der Ermittler den beiden Zeugen seine Karte. »Sollte Ihnen noch irgendwas einfallen – eine Frage, eine Ergänzung –, hier haben Sie meine Nummer.« Er wollte schon gehen, blieb aber noch einmal bei Pickering stehen. »Soll ich jemanden für Sie anrufen? Angehörige? Freunde? Damit jemand vorbeikommt, sich ein bisschen um Sie kümmert?«

»Nein, danke. Ich komme schon zurecht.«

Sergeant Fauth wandte sich ab, nickte Remi an der Tür zu und verschwand nach draußen.

Sam beobachtete kurz die Leute von der Spurensicherung, dann sah er wieder zu Mr. Pickering hinüber, den er nicht allein zurücklassen wollte. »Wissen Sie sicher, dass wir sonst nichts für Sie tun können?«

»Nein, vielen Dank, Mr. Fargo. Ich glaube, wenn diese Leute fertig sind, geh ich nach oben und mache ein längeres Nickerchen.«

Remi trat auf dem Alten zu und umarmte ihn tröstend. »Tut mir sehr leid, dass das passiert ist.«

Er atmete tief durch, rang sich ein Lächeln ab. »Ich kann Ihnen nicht genug danken. Ihre kühne Tat hat uns vielleicht allen das Leben gerettet.«

Sam gab Remi ihre Umhängetasche, weil er es eilig hatte, hier wieder rauszukommen. »Fertig?«, fragte er und hielt ihr die Tür auf.

»Absolut.«

»Warten Sie!«, rief Mr. Pickering ihr nach. »Ihr Päckchen. Es wäre jammerschade, es nach allem, was passiert ist, hier zu vergessen.«

»Danke«, sagte sie, ließ sich das braune Päckchen geben und reichte es an Sam weiter, sobald sie draußen waren.

»Das ist kein Kochbuch, stimmt’s?«, fragte er.

»Nicht mal das Buch, das ich hier kaufen wollte. Es ist eins für Leute, die nicht mit leeren Händen heimkommen wollen. Ich glaube, dass es sich auf dem Couchtisch in deinem Büro gut machen wird.«

»Vor allem wenn man die Hintergründe kennt.«

Sie überquerten die Straße und gingen den Hügel hinauf und weiter zum Hotel Ritz-Carlton. Sie hatten schon früher Gefahren bestanden – und würden auch in Zukunft welche bestehen müssen. Und obwohl Sam ganz und gar darauf vertraute, dass sich seine Frau überall behaupten konnte, würde er niemals aufhören, sich Sorgen um sie zu machen.

Nach jeder überstandenen Krise setzte ihm dieser Gedanke unweigerlich zu. Er ergriff ihre Hand, und sie lehnte ihren Kopf an seine Schulter. »Alles in Ordnung?«, fragte er sie nach kurzer Pause.

»Meinst du mich? Mir fehlt nichts. Ich habe keine blutende Platzwunde.«

»Ist nur oberflächlich. Sie blutet schon nicht mehr.«

Remi musterte ihn prüfend. »Das lässt sich erst im Hotel feststellen.«

»Hast du die Goldmünzen in Pickerings Tresor gesehen?«

»Seltsam, nicht wahr? Der Räuber hat das Gold ignoriert und lieber den Kasten mit einem Buch mitgenommen, das er nicht mal gesehen hat.«

»Ein Buch, das angeblich nur ein Nachdruck ist.«

»Wirklich merkwürdig«, sagte sie, als sie in der Nähe ihres Hotels auf die Stockton Street abbogen. »Man könnte glauben, Mr. Pickering hätte den Wert des gestohlenen Buchs absichtlich kleinreden wollen. Was widersinnig wäre. Ich würde es hassen, wegen eines Reprints erschossen zu werden. Womit wir beim nächsten Punkt wären. Was ist aus der versprochenen Woche geworden, in der niemand versuchen würde, uns umzubringen?«

»Du hast doch nicht etwa geglaubt, dass ich heute gemeint habe? Morgen. Die Woche beginnt morgen.«

»Na schön. Gut, dass das geklärt ist.«

In der Hotelhalle machten sie an der Rezeption halt, und Remi bat die Hotelangestellte hinter der Theke, das Buch und einen Gegenstand, den sie früher an diesem Vormittag gekauft hatte – einen großen Keramikgockel aus einem Antiquitätengeschäft – zu ihnen nach Hause zu schicken. Der Gockel war ein Geschenk für ihre Rechercheurin Selma Wondrash, die sich schon immer einen Keramikgockel für ihre Küche gewünscht hatte.

»Versichert?«, fragte die Frau. »Speziell verpackt?«

»Nein«, sagte Remi. »Das ist nur ein Buch. Ein Luftpolsterumschlag reicht.«

»An dieselbe Adresse wie den Gockel?«

»Ja.«

»Ich kümmere mich darum, Mrs. Fargo.«

»Danke.«

An der Tür ihrer Suite zog Sam die Schlüsselkarte durch das Schloss und warf rasch einen Blick in den Salon, bevor er Remi hineingehen ließ. »Alles bestens«, sagte er und hielt ihr die Tür auf.

Sie trat ein und sah auf dem Tisch vor dem Sofa einen Teller mit grünen Apfelscheiben, einen weiteren mit Käsestückchen und eine Flasche Champagner Billecart-Salmon Brut Rosé in einem Eiskübel stehen. Sam stellte befriedigt fest, dass der Zimmerservice das Eis erneuert hatte, als sich abzeichnete, dass die Gäste erst später als erwartet zurückkommen würden. Der Champagner war ausgezeichnet gekühlt, und sein Geschenk lag neben den beiden Champagnerflöten bereit. Er überreichte Remi das Etui im typischen Tiffany-Blau.

»Und ich habe gar nichts für dich.«

»Doch, das Buch.«

»Bloß ein Nachdruck, wie sich herausgestellt hat.«

Er entkorkte den Champagner. »Das kannst du später ausgleichen.«

»Vielleicht«, sagte sie, zog die Schleife auf, öffnete das Etui und fand eine Goldkette mit einem antiken, mit Brillanten besetzten Schlüsselanhänger darin. »Der Schlüssel zu deinem Herzen?«

»Den hast du längst.«

»Hoffentlich ist das nicht der zu unserer neuen Haustür.« Sie streifte sich die Goldkette über den Kopf. »Stell dir vor, was es kosten würde, wenn wir neue Schlüssel bräuchten.«

»Bei all den Sicherheitseinrichtungen, mit denen wir in letzter Zeit aufgerüstet haben, wäre das noch der kleinste Posten.« Tatsächlich hatten sie ein kleines Vermögen dafür ausgegeben, ihr Haus in eine regelrechte Festung zu verwandeln, nachdem es von Eindringlingen fast in Trümmer gelegt worden war. Seelenfrieden, dachte er, als er Remi ihr Glas gab. Dann hob er sein eigenes und sagte: »Ein neues Versprechen. Ab morgen früh nichts als Ruhe, Entspannung und eine ganze Woche, in der niemand versuchen wird, uns zu ermorden. Und noch etwas … meine ungeteilte Aufmerksamkeit.«

»Vor allem auf diesem letzten Punkt bestehe ich, Fargo.«

»Dass uns niemand zu ermorden versucht? Oder auf meiner ungeteilten Aufmerksamkeit?«

»Beides wäre nett«, sagte sie und stieß mit ihm an.

»Allerdings.«

Als Sam am folgenden Morgen aufwachte, schlief Remi noch. Er stand leise auf und orderte ihr Frühstück beim Zimmerservice. Als es serviert wurde, kam Remi aus dem Schlafzimmer. Ihre schlanke Gestalt war in einen Morgenmantel aus cremeweißer Seide gehüllt, und ihr langes rotbraunes Haar war vom Duschen noch feucht. Erst küsste sie ihn, dann setzte sie sich an den Tisch.

Er goss ihr Kaffee ein, schob die Tasse zu ihr hinüber und las dann weiter seine Zeitung. »Gut geschlafen?«

»Ja, danke«, sagte sie, während sie frisches Obst in eine Schale Joghurt löffelte. »Wohin gehen wir heute?«

»Willst du mir die Überraschung verderben? Ich sage nichts.« Sam blätterte weiter in der Chronicle und überflog die Meldungen, bis sein Blick auf eine Überschrift fiel: Opfer eines Raubüberfalls stirbt nach Herzanfall.

»Das ändert einiges …«

»Was?«

Er ließ die Zeitung sinken und sah sie darüber hinweg an. »Der Buchhändler, Gerald Pickering. Er ist tot.«

3

Charles Avery saß in seinen Ledersessel zurückgelehnt und trank Kaffee, während er in der Zeitung SanFranciscoChronicle blätterte. Er war Ende fünfzig, hatte grau meliertes schwarzes Haar und war – nach eigener Einschätzung – für einen Mann in seinem Alter relativ fit. Trotzdem hatte er heute Morgen zwei Tassen Kaffee gebraucht, um in die Gänge zu kommen, nachdem er spätnachts mit seinem Jet von der Ostküste angekommen war, um heute in seinem Büro in San Francisco zu sein.

Er lächelte, als er die Meldung vom Tod des Buchhändlers Gerald Pickering las. Diese Nachricht war keine große Überraschung. Nicht nach den gestrigen Ereignissen.

Natürlich war alles nebensächlich, wenn es seinen Männern nicht gelungen war, das Buch sicherzustellen und sich davon zu überzeugen, dass es das Exemplar war, das er seit langem suchte.

Gut, dass wir dich los sind, Pickering, dachte er, als Colin Fisk, der Chef seines Sicherheitsdienstes, mit einem großen polierten Holzkasten hereinkam. Endlich! »Sie haben es gefunden«, sagte Avery.

»Die Buchhandlung, ja. Das Buch, nein.«

Avery atmete tief durch, beherrschte sich nur mühsam. »Was soll das heißen?«

Fisk stellte den Kasten auf den Schreibtisch und klappte den Deckel auf, sodass ein in Leder gebundenes Buch sichtbar wurde. »Fälschung. Als die Polizei weg war, sind wir wieder zu ihm. Pickering hat gesagt, er habe es einem anderen Sammler verkauft, bevor mein Mann bei ihm war.«

»Hat Ihr Mann ihm erklärt, wer ich bin?«

»Ja.«

»Und was ich ihm antun werde, wenn er das Buch nicht rausrückt?«

»Ja.«

»Haben Sie wenigstens herausbekommen, wem er das Buch verkauft hat?«

»Er ist leider gestorben, bevor wir diese Information aus ihm rauskitzeln konnten.«

Avery stellte seine Kaffeetasse auf den Mahagonitisch und zwang sich, erneut tief durchzuatmen, während er Fisk fixierte und sich fragte, ob es klug gewesen war, dieses Team zu engagieren, auf Fisks Empfehlung hin. Diese Leute sollten die Besten sein – und waren es in mancher Beziehung wohl auch. Sie führten Befehle aus, ohne lange nachzufragen, und hatten Pickering mühelos aufgespürt, was seinen eigenen Männern nicht gelungen war. Konnte Pickering seine, Averys, Absichten erraten haben? Konnte er geahnt haben, dass seine Tage gezählt waren, weil er von der Existenz dieses Buches in seinem Laden wusste?

Avery suchte es nun schon zwanzig Jahre lang …

Warum war er diesmal so kurz vor dem Ziel gescheitert?

Er nahm das Buch aus dem Holzkasten, schlug die erste Seite auf.

Offenbar war es ein Reprint der Erstauflage, vielleicht sogar das Buches, das seiner Familie vor über zweihundert Jahren gestohlen worden war. Wie konnte jemand den Text und die Karten so genau reproduzieren? Was dieser einfache Nachdruck nicht besaß – und was der von Pickering versteckte Band seiner Überzeugung nach enthielt –, war der Schlüssel zur Entzifferung des Codes, der zu den im Inneren abgebildeten Seekarten gehörte. Was taugte eine Karte, deren verschlüsselte Anmerkungen niemand entziffern konnte?

»Wissen Sie bestimmt, dass der Laden gründlich durchsucht worden ist?«, fragte Avery.

»Positiv. Wir haben allerdings eine mögliche Fährte. Die Namen des Paars, das im internen Polizeibericht als Opfer und Zeuge steht. Sie scheinen Schatzsucher zu sein.«

»Schatzsucher? Wer finanziert ihre Unternehmen? Sorgen Sie dafür, dass die Geldgeber kalte Füße bekommen.«

»Sie finanzieren sich selbst«, sagte Fisk. »Und soviel ich weiß, haben auch schon andere erfolglos versucht, die beiden aufzuhalten. Die Fargos sind keine gewöhnlichen Hobby-Schatzsucher, die auf einen schnellen Dollar hoffen. Sie sind aus eigener Kraft Millionäre geworden, die ihre Gewinne größtenteils für wohltätige Zwecke spenden.«

»Also regelrechte Robin Hoods? Mit denen werden Sie leicht fertig.«

»Eher durchtrainierte Robin Hoods.«

Avery griff nach seiner Kaffeetasse. »Mit mir haben sie’s noch nicht zu tun gehabt, stimmt’s?«

»Nein, Sir. Aber Gefahr erkannt, Gefahr gebannt.«

4

»Kein Glück?«, fragte Sam, als Remi erneut versuchte, Bree Marshall anzurufen. Gerade waren sie mit einem Taxi vor dem neuen San Francisco Police Headquarters an der Mission Bay eingetroffen, nachdem Sergeant Fauth sie angerufen und gebeten hatte, noch ein paar Fragen zu beantworten.

»Ihr Handy muss ausgeschaltet sein«, antwortete Remi und trennte die Verbindung. Sie machte sich nicht die Mühe, auf den Anrufbeantworter zu sprechen. Gestern nach dem Raubüberfall und dann noch einmal an diesem Morgen hatte sie Bree gebeten, sie möglichst bald im Ritz-Carlton oder auf ihrem Handy anzurufen. Sie wollte unbedingt vermeiden, dass ihre Freundin vom Tod ihres Onkels durch einen Anruf der Polizei erfuhr. »Mir ist ganz elend. Erst dieser Raubüberfall, und nun das hier …«

»Sie ruft bestimmt bald zurück. Komm, wir hören uns an, was die Ermittler seit gestern festgestellt haben.«

»Hoffentlich haben sie gute Nachrichten. Wir könnten welche brauchen.« Der salzhaltige Wind überfiel sie mit einer Bö, und Remi zog fröstelnd ihre Jacke enger um sich. »Was soll ich ihr bloß sagen, wenn sie anruft?«

»Vielleicht weiß sie es schon und meldet sich deshalb nicht.«

Sam hielt ihr die Glastür auf. Die beiden durchquerten die Eingangshalle nach links, wo einige Männer vom Sicherheitsdienst darauf warteten, Besucher zu kontrollieren.

Nach der Sicherheitskontrolle meldeten sie sich bei der Uniformierten am Empfang. Sam sagte: »Mr. und Mrs. Fargo, wir möchten zu Sergeant Fauth.«

»Erwartet er Sie?«

»Ja. Es geht um den gestrigen Raubüberfall auf einen Buchhändler.«

Sie nahm den Telefonhörer ab, wählte eine Nummer, wiederholte das Gesagte und erklärte ihm dann: »Sergeant Fauth ist nicht da. Aber Sergeant Trevino, sein Partner. Er wird gleich runterkommen.«

Ungefähr zwei Minuten später trat ein schwarzhaariger Mann aus dem Aufzug und stellte sich ihnen vor. »Möchte meinen Partner entschuldigen. Er musste dringend fort«, sagte er, als er sie in einen kleinen Vernehmungsraum führte. »Und wir bedauern, dass wir Sie bitten mussten, so weit herzukommen. Aber nach Gerald Pickerings Tod behandeln wir den Fall jetzt als Mordsache.«

Sam zog Remi erst einen Stuhl heraus, dann setzte er sich neben sie. »In der Zeitung hat gestanden, er sei an Herzversagen gestorben.«

»Das kann durchaus stimmen. Natürlich wissen wir das erst mit Sicherheit, wenn der Autopsiebericht vorliegt. Aber unserer Ansicht nach ist die zeitliche Abfolge verdächtig. Wir ziehen alle Möglichkeiten in Betracht. Jedenfalls liegt ein Gewaltverbrechen vor, und wir möchten den Täter fassen. Er schlug sein Notizbuch auf, blätterte um und sagte: »Meinem Partner hatten Sie erzählt, dass Sie gestern eigens wegen eines Buchs in Chinatown waren, nicht wahr? Können Sie mir sagen, was Sie speziell in dieses Antiquariat geführt hat?«

»Eine persönliche Empfehlung«, antwortete Remi. »Ich war auf der Suche nach einem besonderen Buch für meinen Mann. Auskunft darüber hat mir Bree Marshall, Mr. Pickerings Nichte, erteilt.«

»Und woher kennen Sie die?«

»Sie hat einige Zeit ehrenamtlich für die Fargo Foundation gearbeitet.«

»Familienunternehmen?«

»Private Wohltätigkeitorganisation.« Nachdem Sam die DARPA, die Defense Advanced Research Projects Agency, verlassen hatte, um sich selbstständig zu machen, hatte er Remi kennengelernt und geheiratet. Von ihr ermutigt hatte er den Argon-Laserscanner erfunden: ein Gerät, das aus großer Entfernung Metalle und Legierungen orten und identifizieren konnte. Der Laser war sofort von großem kommerziellem Erfolg. Vier Jahre später verkauften sie die Fargo Group an den Höchstbietenden und hatten damit für den Rest ihres Lebens finanziell ausgesorgt. Auf dieser Grundlage gründeten sie dann die Fargo Foundation.

»Bree Marshall«, fuhr sie fort, »hat uns beim Spendensammeln für den Erweiterungsbau der La Jolla Library geholfen. Sie hat mir gegenüber erwähnt, ihr Onkel suche ein gutes Zuhause für ein Buch aus dem frühen achtzehnten Jahrhundert … über Piraten und Seekarten.«

Der Sergeant sah von seinen Notizen auf. »Also vermutlich das Buch, das aus seinem Safe geraubt wurde?«

»Ich habe nicht gesehen, dass ein Buch aus dem Safe genommen wurde. Da lag nur ein Holzkasten. Aber ich hatte den Eindruck, sie spräche von einem Exemplar der Erstausgabe.«

»Weil …?«

»Weil sie mehrmals betont hat, wie froh ihr Onkel über einen Käufer wäre, der das Buch wegen seines historischen Werts zu schätzen wüsste.«

Der Sergeant musterte die beiden. »Sie sind professionelle Schatzsucher, nicht wahr?«

»Das sind wir«, bestätigte Sam. »Aber alle Gewinne gehen an die Fargo Foundation, die sie für wohltätige Zwecke verwendet.«

»Ich verstehe sehr wenig von antiquarischen Büchern, das gebe ich zu. Aber ist es nicht möglich, dass jemand dieses Buch, das von Piraten und Seekarten handelt, gestohlen hat, weil er glaubt, dass es ihn zu einem lange verschollenen Piratenschatz führen könnte?«

Remi lachte. »Denkbar ist natürlich alles. Aber ich bezweifle, dass ich Mr. Pickering auch dann nach der Mitteilung seiner Nichte aufgesucht hätte, wenn wir nicht zufällig hier gewesen wären.«

»Nehmen wir mal an, das sei ein Exemplar der Erstausgabe gewesen – wie viel wäre es dann wert?«

»Kommt auf den Zustand an …« Remi hatte ein wenig recherchiert, als sie daran gedacht hatte, das Buch für Sam zu kaufen. »Die Preise reichen von einigen hundert Dollar bis zu mehreren tausend. Das Buch ist nicht besonders wertvoll, weil es damals sehr beliebt war, sodass noch heute viele Exemplare vorhanden sind. Für uns hatte es eher einen sentimentalen Wert«, sagte sie und legte ihre Hand auf seine.

»Genau«, sagte Sam. »Wir haben eine Vorliebe für Seefahrtgeschichte.«

Sergeant Trevino klappte sein Notizbuch zu. »Das war’s vorerst, denke ich. Oder fällt Ihnen noch etwas ein, das wir übersehen haben?«

»Im Augenblick nicht«, antwortete Sam.

Und Remi fügte hinzu: »Sollte uns was einfallen, rufen wir Sie an.«

»Nochmals vielen Dank, dass Sie den weiten Weg auf sich genommen haben.«

Er begleitete sie in die Eingangshalle zurück.

Dort blieb Remi noch einmal stehen, um den Kriminalbeamten zu fragen: »Was wird aus Mr. Wickham?«

Trevino zog die Augenbrauen hoch.

»Pickerings Kater.«

»Oh. Soviel ich weiß, hat eine Nachbarin ihn zu sich genommen. Sie versorgt ihn, bis wir von Pickerings Nichte oder seiner Tochter hören, die dann entscheiden muss, was aus ihm werden soll.«

»Haben die beiden sich schon gemeldet?«, fragte Remi.

»Noch nicht. Seine Tochter wohnt irgendwo an der Ostküste, glaube ich. Was die Nichte betrifft, so haben wir ihre Handynummer, die Sie uns gegeben haben. Wir werden versuchen, sie auf diesem Weg zu erreichen.« Er bedankte sich erneut, dann ging er zu den Aufzügen davon.

Bei ihrer Rückkehr gab Sam seine Autoschlüssel einem Hotelangestellten, der den Wagen parken würde. »Nicht ganz die entspannte Abwechslung, die ich mir von San Francisco erhofft hatte.«

Remi seufzte. »Alles meine Schuld, weil ich unbedingt in das Antiquariat wollte. Ich dachte, das Buch würde eine maritime Note in dein neues Büro bringen.«

»Der Nachdruck gefällt mir bestimmt genauso gut. Vor allem wegen seiner schillernden Vergangenheit.«

»Und wohin geht’s jetzt?«, fragte sie, als sie die Hotelhalle betraten.

»Ale Erstes müssen wir unser Gepäck holen. Anschließend fahren wir die Küste runter nach Monterey.«

»Dinner und Limettenkuchen bei Roy’s?«

Bevor er antworten konnte, kam der Chef vom Dienst erkennbar besorgt auf sie zu. »Mr. und Mrs. Fargo, ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr ich diese Sache bedaure. Wenn ich irgendetwas für Sie tun kann … so etwas ist hier noch nie passiert. Zumindest nicht, seit ich hier arbeite.«

»Was ist noch nie passiert?«, fragte Sam.

»Die Polizei ist hier. Sie hat einen Durchsuchungsbefehl für Ihre Suite.«

»Sie hat was?«, fragte Remi, die ihren Ohren nicht trauen wollte. Sie konnte sich nicht daran erinnern, etwas getan zu haben, das einen Polizeieinsatz rechtfertigte.

»Ich habe schon versucht, Sie anzurufen, aber nur Ihren Anrufbeantworter erreicht.«

Sie hatten ihre Smartphones während der Befragung durch Sergeant Trevino ausgeschaltet.

Sam fragte: »Haben Sie eine Ausfertigung des Durchsuchungsbefehls?«

»Eine Ausfertigung?«

»Die Polizei muss Ihnen doch ein Exemplar aushändigen.«

»Vielleicht könnten Sie selbst eine verlangen. Die Beamten sind oben in Ihrer Suite.«

»Gute Idee«, sagte Sam und ging von dem Chef vom Dienst gefolgt mit Remi zu den Aufzügen weiter. »Kein Wunder, dass Sergeant Fauth heute Morgen nicht da war«, sagte er zu Remi. »Er war gerade damit beschäftigt, in unseren Sachen herumzuwühlen, während uns sein Partner im Präsidium mit nebensächlichen Fragen zum Tathergang aufgehalten hat.«

»Aber wonach sollte er denn suchen?«, fragte Remi, als Sam die Taste ihrer Etage drückte. »Wir sind doch genauso Opfer wie der arme Mr. Pickering. Und er hätte auch einfach fragen können. Das wäre weit weniger peinlich gewesen.« Sie bedachte den Manager, der jedes Wort in sich aufzusaugen schien, mit einem schwachen Lächeln. Dass Sam den Mann nicht gebeten hatte zurückzubleiben, überraschte sie zwar, aber wenn die Polizei wirklich ihre Suite durchsuchte – was sie kaum glauben konnte und als zutiefst demütigend empfand –, konnte es nicht schaden, einen Zeugen mitzubringen.

Sobald der Aufzug hielt, ging der Manager zu ihrer Suite voraus und sperrte mit seiner Schlüsselkarte auf. Als die Tür sich öffnete, sah Remi zwei Männer in dunklen Anzügen, beide mit Latexhandschuhen. Einer durchsuchte ihren auf dem Bett liegenden Koffer, wobei er die Seiten abtastete, als könnte dort etwas versteckt sein. Der andere zog eine Schublade der kleinen Bar nach der anderen auf.

Sie flüsterte Sam zu: »Ich sehe Sergeant Fauth nicht.«

Der Mann hinter der Bar trat mit finsterer, drohender Miene auf sie zu. »Polizeieinsatz. Ich muss Sie bitten, den Raum zu verlassen.«

Sam trat beschützend vor Remi. »Kommt nicht in Frage. Zeigen Sie mir Ihren Dienstausweis«, verlangte er. »Und den Durchsuchungsbefehl.«

»Hier ist Ihr Befehl.« Der Mann zog mehrere zusammengefaltete Blätter aus der Innentasche seines Jacketts, während sein Partner und er auf Sam zukamen.

Die Hand des Kriminalbeamten mit den Papieren schoss vor und stieß Sam gegen das Tischchen im Eingangsbereich. Sam packte den Mann an den Schultern, wirbelte ihn herum und knallte ihn gegen die Wand. Daraus entstand eine Rangelei auf äußerst beengtem Raum. Plötzlich griff sein Partner ein, fiel von hinten über Sam her. Sam verpasste dem ersten Mann einen Kinnhaken, warf sich herum und landete einen gewaltigen Tritt, der den zweiten Mann gegen den Manager warf und mit ihm zu Boden gehen ließ. Remi sprang zurück, sah sich nach einer Waffe um und griff sich eine schwere Vase von einem Sideboard. Der zweite Mann beobachtete, wie sie die Vase hob, sah kurz zu seinem Partner und Sam hinüber und flüchtete aus der Suite.

Sam kämpfte weiter mit dem ersten Kriminalbeamten. Der Mann schlug zu. Sam blockte den Schlag mit dem linken Arm ab und verpasste dem Kerl mit rechts einen Magenhaken. Er sank auf die Knie, aber als Sam erneut angriff, rappelte er sich auf und verschwand wie sein Partner nach draußen. Sam wollte ihn noch verfolgen, überlegte sich die Sache aber anders, kehrte um und schloss die Tür hinter sich. Er betrachtete Remi mit der Vase in der Hand. »Für mich oder für sie?«

»Weiß ich noch nicht.«

Remi nickte zu dem zu Boden gegangenen Chef vom Dienst hinüber.

Sam streckte eine Hand aus und zog ihn kraftvoll hoch. »Alles in Ordnung?«

»Nur ein bisschen durcheinander.« Er klopfte seinen Anzug ab. »Wirklich empörend, dieser Vorfall! Ich kann Ihnen versichern, dass wir uns beim Police Department beschweren werden.«

»Glauben Sie mir«, sagte Sam, »das waren keine Cops.«

»Aber ich habe den Durchsuchungsbefehl doch gesehen!«

Sam hob den sogenannten Befehl auf und blätterte darin. »Gefälscht. Keine unterzeichnete richterliche Anordnung. Vermutlich aus alten Akten im Internet kopiert.« Er drückte ihn Remi in die Hand.

Sie sah ihn rasch durch. »Was haben die Kerle hier gesucht, glaubst du?«

»Das, was sie in Mr. Pickerings Safe vergeblich gesucht haben, vermute ich.«

Ein Anruf bei der Polizei bestätigte, dass die beiden keine Kriminalbeamten gewesen waren, und wenige Minuten später suchten Uniformierte die nähere Umgebung des Ritz-Carlton nach den Verdächtigen ab.

Auch der fehlende Sergeant Fauth traf kurz danach ein und entschuldigte sein Fehlen mit der Tatsache, dass er im Leichenschauhaus gewesen sei. Offenbar wegen Pickering. »Sie können sich nicht vorstellen, was die Kerle gesucht haben?«, fragte er Remi und Sam.

»Keine Ahnung«, antwortete Sam. »Ich will ganz ehrlich sein: Wir haben Ihnen und Ihrem Partner zugetraut, Sie hätten die Befragung organisiert, um hier ungestört suchen zu können.«

»Zu einer illegalen Durchsuchung wären wir mit etwas Besserem als einem gefälschten Befehl angerückt. Diese Leute müssen Ihr Hotel überwacht und darauf gewartet haben, dass Sie wegfahren. Folglich glauben sie, dass Sie jetzt über das verfügen, was sie Mr. Pickering hatten rauben wollen.«

Remi, die den Inhalt ihres Koffers auf fehlende Gegenstände kontrollierte, warf ein: »Sehr groß kann es jedenfalls nicht sein. Der Mann hat die Kofferwände abgetastet und in den kleinen Reißverschlussfächern nachgesehen. Das Buch, das ich gekauft habe, hätte dort nicht reingepasst.«

»Wo ist dieses Buch?«

»Wenn die junge Dame am Empfang meinen Auftrag ausgeführt hat, müsste das Päckchen heute Nachmittag im Windfang vor unserer Haustür abgelegt werden.«

»Gibt es jemanden, der sich das Buch ansehen kann, wenn es kommt?«

»Selma, unsere Rechercheurin. Ich kann sie anrufen.«

»Danke, Mrs. Fargo.«

Remi zog ihr Smartphone aus der Umhängetasche und rief Selma im Büro an. Sie erreichte nur den Anrufbeantworter und hinterließ eine Nachricht.

Als sie das Gespräch beendete, sagte Sergeant Fauth: »Mal sehen, ob ich alles richtig verstanden habe. Sie kommen vom PD ins Hotel zurück, und der Chef vom Dienst erklärt Ihnen, die Polizei sei oben und durchsuche Ihre Suite?«

»Richtig«, bestätigte Sam. »Er hatte schon auf uns gewartet, als wir reingekommen sind.«

Der Manager, der noch immer sichtlich mitgenommen war, nickte zustimmend. »Ich habe versucht, die Fargos anzurufen, als mir der Durchsuchungsbefehl vorgelegt wurde, aber sie waren nicht erreichbar. Und ich … na ja, was hätte ich tun sollen? Das amtlich aussehende Schriftstück und ihre Pistolen waren so …«

»Pistolen?«, fragte Sergeant Fauth.

Er nickte erneut. »Ich hätte ihre Dienstausweise verlangen sollen, aber …«

»Mr. …?«

»Bryant.«

»Mr. Bryant«, sagte Sergeant Fauth. »Hat einer der Männer erwähnt, was sie suchten?«