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„Wie weit würdest du gehen, um andere vor skrupellosen Machenschaften zu schützen – ohne dich dabei selbst zu verlieren?“ Endlich kennt Lina den Drahtzieher hinter dem perfiden Spiel mit den Lebenswegen: Michael Oswald – ein skrupelloser Mafiaboss mit eigener Insel und ohne jedes Gewissen. Gemeinsam mit ihren Freunden plant sie, sich unbemerkt dorthin durchzuschlagen und ihm das Handwerk zu legen. Während der Plan langsam Gestalt annimmt, geraten Lina und Finn immer häufiger aneinander. Ausgerechnet Miro scheint einen Teil in ihr zu erkennen, der ihr selbst fremd ist – und genau das macht sie nervöser als alles andere. Der ehemalige Soldat übt eine Faszination auf sie aus, mit der sie weder gerechnet hat noch umzugehen weiß. Doch was sie schließlich auf Oswalds Insel erwartet, übersteigt selbst ihre schlimmsten Albträume. Die Wahrheit reicht tiefer und weiter, als sie je geahnt hätte. Lina steht vor einer alles verändernden Entscheidung: Rache oder Gerechtigkeit? Und wem kann sie überhaupt noch trauen, wenn selbst das Schicksal manipuliert werden kann?
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Veröffentlichungsjahr: 2025
WELTENBAUM VERLAG
Vollständige Taschenbuchausgabe
07/2025 1. Auflage
Der Schicksalspreis - Rebellion
© by Ava Cooper
© by Weltenbaum Verlag
Egerten Straße 42
79400 Kandern
Umschlaggestaltung: © 2024 by Magicalcover
Bildquelle: Depositphoto/FreePik
Lektorat: Julia Schoch-Daub
Korrektorat: Mary Bee Lektorat
Buchsatz: Giusy Amé
Autorenfoto: Peter Obenaus
ISBN 978-3-69067-016-6
www.weltenbaumverlag.com
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Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar.
AVA COOPER
Der Schicksalspreis
Rebellion
Dystopie Band 2
ABSCHNITT 1:
Einbruch mit Folgen
1
Wieder im Bunker
Der Minigleiter, der am Dach vertäut ist, entpuppt sich als Fluggefährt. Das dreieckige Gerüst aus glasfaserverstärktem Kunststoff ist fast so hoch wie ich und wirkt stabil. Darüber spannt sich eine gut sechs Meter lange Tragfläche aus Segeltuch. Die Ablage, auf der sich die Piloten bäuchlings hinlegen sollen, kann aber nicht breiter als 1,20 Meter sein.
Ich frage mich, wie um alles in der Welt wir darauf zu dritt liegen sollen. Bereits Miro, der sich fallen lässt, nimmt die Hälfte der Fläche ein. Wir werden uns ziemlich zusammenquetschen müssen. Hoffentlich nutzt Miro das nicht für einen anzüglichen Spruch!
Hastig steige ich durch das Fenster und krabble zum Gleiter. Ich platziere mich in der Mitte und lasse eine Minilücke für Finn. Kurz danach legt er sich hin. Dabei drückt er mich so dicht neben Miro, dass ich die Anspannung seiner dicken Muskeln fühle. Zum Glück betatscht er mich nicht, sondern konzentriert sich darauf, den Gleiter loszumachen und ihn in die richtige Position zu bringen.
Nach einer Weile brummt er zufrieden. »Alle bereit?«
Finn und ich nicken.
»Gut, dann lassen wir die Lady jetzt mal steigen. Drückt die Daumen, dass sie den Aufschwung schafft!«
»Ich dachte, dafür ist das Ding konzipiert«, sage ich.
»In der Theorie schon. Aber ausprobiert habe ich das noch nie von einem Dach aus.« Miro zuckt mit den Schultern. »Ist ja nicht so viel Sprunghöhe.«
Furchtsam blicke ich hinunter. Wir sind im dritten Stock; ein Sturz hätte also üble Folgen. Auch Finn zieht die Stirn in Falten.
Miro lacht. »Ihr solltet euch mal ansehen! Als ob ich mitten in Bezirk elf ein Risiko eingehen würde. Natürlich fliegt meine Lady; sie hat schließlich einen Zusatzmotor.« Er deutet beiläufig nach hinten.
»Du Arschloch! Wie kannst du uns nur solche Angst machen«, ranze ich ihn mit zornbebender Stimme an.
»Aua, das verletzt mich.« Miro greift sich theatralisch ans Herz, grinst aber. Dann wird er ernst. »Also gut, jetzt kommt der Moment der Wahrheit. Ich zähle bis drei. Bei eins heben wir das Gerüst an, bei zwei gehen wir bis ganz vorne und bei drei stoßen uns alle gleichzeitig ab. Verstanden?«
Obwohl ich ihm lieber den Ellbogen in die Rippen rammen würde, nicke ich. Auch Finn signalisiert Zustimmung.
»Also los. Eins.«
Wir heben den Gleiter an. So stabil sich das Teil anfühlt, so leicht ist es.
»Zwei.«
Gemeinsam treten wir bis zum Rand des Dachs. Mein Herz sinkt in die Hose, obwohl Miro versichert hat, dass der Gleiter das schafft. Was, wenn es nicht klappt? Aber jetzt ist es zu spät für Bedenken. Miro wirft bereits den Elektromotor mit einem kurzen Drücken auf seine Smartwatch an. Er gibt zwar keinen Ton von sich, dennoch spüre ich die Vibration deutlich durch die dünnen Stangen.
»Und drei.« Wir stoßen uns alle gleichzeitig so fest vom Dach ab, wie wir können. Der Gleiter macht einen Satz in die Höhe. Der Aufstieg ist nur von kurzer Dauer. Nach einem Augenblick des Schwebens sackt er mit der Nase nach unten. Nur mit Mühe unterdrücke ich einen Schrei.
»So ein Mist«, flucht Miro halblaut. »Es gibt keinen Wind, der den Flug unterstützt.«
»Dann gib mehr Power auf den Motor«, ruft Finn.
»Wenn ich das mache, haben wir keine Reserven mehr!« Miro zerrt hektisch an einigen Schnüren. Allerdings haben seine Bemühungen kaum Erfolg. Der Sturz wird zwar verlangsamt, dennoch geht es weiter nach unten.
»Besser, wir stürzen irgendwo ab, als in dem am besten bewachten Bezirk von Quadrant zwei«, schreie ich.
»Deine Entscheidung.« Hastig tippt Miro auf seine Uhr. Sofort verstärken sich die Vibrationen der Stangen. Sie sind so deutlich zu spüren, dass ich leicht vor- und zurückgeworfen werde. Aber es hilft. Der Gleiter hebt seine Nase an und steuert himmelwärts statt in die Tiefe. Immer und immer weiter geht es nach oben.
»Die Höhe ist gut. Jetzt schauen wir mal, ob die Lady es alleine packt.« Nach einer Weile stellt Miro den Motor aus.
Ich verkrampfe mich vor Angst, ob erneut ein Sinkflug beginnt. Doch der Gleiter hält sich stabil oben, getragen von einem leichten Windzug. Miro betätigt die Steuerung geübt. Allmählich lässt meine Anspannung nach, und ich kann es sogar genießen, wie wir lautlos durch die Luft schweben.
»Irre«, stoße ich aus.
»Nicht wahr?« Finns Augen funkeln.
Miro brummelt etwas, das keiner von uns versteht, aber das ist mir auch egal. Es ist sicher unfreundlich, und ich will mir dieses Erlebnis nicht kaputt machen lassen. Ich drücke Finns Hand und schaue nach unten, wo alle Gebäude klein wirken – selbst der Dom, der in der Nacht angestrahlt wird.
Wunderschön.
Viel zu schnell ist der Flug vorüber, und wir erreichen das Außengelände des Bunkers. Weit und breit sind keine Verfolger zu sehen. Grönings Wachen scheinen immer noch zu schlafen.
»So, Freunde der Nacht, jetzt alle festhalten, es geht abwärts«, sagt Miro. Ohne unsere Reaktionen abzuwarten, zieht er an einem Seil.
Sofort senkt sich die Nase des Gleiters nach unten. Wir nähern uns der Erde viel schneller, als mir lieb ist. Von dem raschen Sinkflug tränen mir bereits die Augen. Ist das wirklich normal? Ich werfe Miro einen ängstlichen Blick zu, doch der wirkt so ruhig, als mache er einen Spaziergang. Also besteht kein Grund zur Panik. Ich versuche, mich zu entspannen, so schwer mir das auch fällt.
»Wenn wir gleich den Boden erreichen, müssen wir alle gleichzeitig loslaufen, sonst fliegen wir hin. Alles läuft auf mein Kommando.« Miro drückt auf einen Knopf, und ein Minifahrgestell fährt unterhalb des Gerüsts aus. Selbst ich erkenne beim Blick auf die faustgroßen Räder, dass die höchstens eine Unterstützung darstellen können.
»Haltet euch an den Stangen fest, sonst haut es euch weg.« Gehorsam folgen Finn und ich dem Befehl.
Haarscharf umfliegen wir die Bäume. Nur noch wenige Meter trennen uns vom Boden. Ich spanne meinen Körper an.
»Gleich sind wir da«, sagt Miro. »Sobald wir unten sind, rennt ihr los. Sonst wird das eine Bruchlandung.«
Mit einem Ruck setzt der Gleiter auf. Die kleinen Räder geben ihr Bestes, aber sie können den Sturz nur bedingt auffangen. Ich gerate kurz ins Trudeln, doch Finn hält mich.
Sofort laufe ich los, wobei ich mich weiter am Gerüst festklammere, das arg wackelt. Nach einigen Augenblicken finden wir einen gleichmäßigen Rhythmus, und wir laufen im Takt, den Miro vorgibt. Stetig werden wir langsamer, bis das Gefährt zum Stehen kommt. Wir haben es geschafft! Ich atme erleichtert aus.
»Saubere Landung.« Miro grinst selbstzufrieden.
»Sehr gut«, lobe ich ihn und lächele ihm zu. Man kann von ihm halten, was man will, aber Fliegen kann er. »Dann erzählen wir jetzt den anderen von unserem Erfolg.«
»Denk vorher noch an dein Versprechen«, mahnt Finn.
»Was für ein Versprechen denn?« Ratlos sehe ich ihn an.
»Gegenüber Gröning.«
Als ich immer noch nicht verstehe, seufzt er. »Er braucht medizinische Versorgung. Schon vergessen?«
Ich mustere ihn schweigend. Hat dieser Mann es wirklich verdient, verarztet zu werden? Er ist ein widerliches Schwein; eklig, egoistisch und bereit, unschuldige Mädchen für sein jämmerliches Leben zu opfern. Für einen Moment denke ich darüber nach, ihn seinem Schicksal zu überlassen. Miro bemerkt mein Zögern und grinst.
»Na, lässt du ihn verrecken, die Sau?«
Hastig schüttele ich den Kopf. »Nein, das ... das wäre nicht korrekt.« Schnell verschicke ich über meinen Kommunikator eine anonymisierte Nachricht an die Ambulanz, dass der Milliardär schwer verwundet ist.
»So erledigt. Jetzt ab zu Simon!«
Finn nickt mir zufrieden zu und ich warte auf ein Gefühl der Befreiung, aber es kommt nicht. Stattdessen verknotet sich mein Magen und ich spüre einen scharfen Geschmack im Mund. Schmeckt so der Wunsch nach Rache?
Finn dreht sich um und geht vor.
Ich will ihm folgen, da hält Miro mich zurück, indem er mich an der Schulter packt. »Ist es wirklich das, was du willst?«, raunt er in mein Ohr. »Erträgst du es, dass der Mörder deiner Freundin weiterleben darf? Wäre sein Tod nicht befreiend?«
Schweigend mache ich mich los und folge Finn, den Blick stur auf dessen Schultern geheftet. Aber Miros Bemerkung hallt in mir nach. Wieso weiß dieser Krawallbruder besser, was in meinem Innersten vor sich geht als mein Freund?
»Ihr habt tatsächlich einen Namen herausbekommen!« Simon reibt sich aufgeregt die Hände.
»Ich wusste doch, dass ich mich auf dich verlassen kann.« Tony, den Miro zum Treffen eingeladen hat, klopft seinem Kumpel anerkennend auf die Schulter.
»Klar, Mann. War ein Spaziergang.«
Ich verdrehe die Augen. Für ihn mag alles entspannt gewesen sein, aber er wäre ja auch nicht bestiegen worden, wenn es nicht geklappt hätte.
Miro zwinkert mir zu. »Lina hat Gröning ganz schön zugesetzt, kann ich euch sagen. Die war knallhart.«
Bei diesen Worten verzieht Finn missbilligend das Gesicht. Ich ahne schon, dass er mir beim nächsten Mal Vorwürfe machen wird. Ich schaue an ihm vorbei und sehe Miro nachdenklich an. Er grinst mir verschwörerisch zu. Wenigstens er versteht, dass Gröning Strafe verdient hat.
»Sehr gut«, lobt Simon. »Jetzt müssen wir nur noch herausfinden, wo dieser Oswald steckt.«
Miro winkt ab. »Hab ich schon versucht. Keine Chance.«
»Na, vielleicht habe ich ja mehr Glück. Ich habe noch ein paar Asse im Ärmel.« Simon tippt den Namen Michael Oswald ein und aktiviert die Personensuche. Der Computer spuckt prompt ein Dutzend Namen aus, aber keiner von denen klingt auch nur ansatzweise nach dem Mafioso.
»Mist«, fluche ich. »Jetzt wissen wir zwar, wer die Mafia steuert – und finden nichts über ihn heraus.«
Auch die anderen wirken frustriert.
Simon lacht. »Wer wird denn hier die Flinte so schnell ins Korn werfen? Wir haben doch noch Secret.«
Augenblicklich schreibt er eine Nachricht an die Hackerin, die nach kurzer Zeit antwortet. Allerdings ist ihre Antwort niederschmetternd. »Hab schon meine Quellen angezapft. Nichts. Oswald ist unauffindbar.«
Nun verfliegt selbst Simons Optimismus. Damit hat er offensichtlich nicht gerechnet. Unsicher sieht er uns an. »Hm, was machen wir denn nun?«
Ich zucke mit den Schultern. »Keine Ahnung. Aber ich weigere mich, aufzugeben. Irgendetwas müssen wir über ihn finden.«
Die anderen brummen zustimmend.
»Aber wie?«, fragt Simon. Darauf hat keiner eine Antwort.
Finn seufzt. »Der Typ ist ein Geist.«
»Das verstehe ich nicht. Normalerweise gibt es zu jedem Bürger Informationen«, sagt Simon. »Selbst zu Politikern und Superreichen. Darauf liegt zwar ein Sperrvermerk. Aber die Daten sind da. Damit die Behörden herankommen.«
»Für die Behörden ...«, wiederhole ich nachdenklich. Das bringt mich auf eine Idee. Aufregung erfasst mich. »Müsste es denn nicht wenigstens eine Polizeiakte geben?«
Simon schlägt sich gegen die Stirn. »Natürlich! Oswald hat sicherlich eine kriminelle Vergangenheit.« Er schreibt Secret: »Kommst du in den Polizeicomputer?«
»Nope«, kommt sofort. »Ist unmöglich. Nur die Bestimmungsbehörde kommt daran. Oder ein Polizist.«
»Kilian!«, rufe ich.
Miro mustert mich scharf. »Ist das ein Bulle?«
»Ein Schicksalspolizist. Er hat uns schon einmal geholfen. Als Finn und Julian verhaftet wurden.«
»Und er hat vor Gericht ausgesagt«, ergänzt Simon.
»Ach, der Vize von deinem Alten.« Miro schnaubt. »Mann, der Prozess ist spektakulär gescheitert. Der hilft uns sicher nicht mehr, der hat die Schnauze voll von dir.«
»Quatsch! Er wird unbedingt beweisen wollen, dass es doch eine Lebenswegemafia gibt. Er muss seinen Namen reinwaschen.«
Die anderen wechseln vielsagende Blicke. Ausgerechnet Tony nickt schließlich. »Guter Punkt.«
»Das macht Sinn. Es ist zumindest einen Versuch wert. Schick ihm eine Nachricht«, sagt Simon.
Ich nehme ich meinen Kommunikator und tippe ein: »Wir haben durch Gröning eine Spur, wer der Kopf der Lebenswegemafia ist. Sein Name ist Michael Oswald. Aber wir finden nichts über ihn heraus. Kannst du helfen?«
Bewusst verschweige ich, dass Gröning die Informationen keineswegs freiwillig herausgerückt hat. Sicher wird Kilian das nicht gutheißen. Hoffentlich hilft er uns trotzdem! Nervös schaue ich auf den Kommunikator. Doch es kommt keine Antwort. »Warum meldet er sich nicht?«
Simon lacht. »Es ist mitten in der Nacht. Der Mann schläft. Gib ihm Zeit bis morgen früh.«
»Richtig«, sagt Finn. »Und wir gehen jetzt auch schlafen. Wir haben Ruhe dringend nötig.« Dabei zieht er mich so fest an sich, als wolle er Miro zeigen, dass ich zu ihm gehöre.
2
Helfer in Grau
Als ich am nächsten Morgen aufwache, schaue ich als Erstes auf den Kommunikator. Noch immer keine Nachricht von Kilian. Seufzend werfe ich einen Blick auf die Uhr. Gerade mal sieben Uhr. Das ist früh für einen Sonntag. Ich versuche, wieder einzudösen, aber es geht nicht. Nach gut zwanzig Minuten, in denen ich mich hin und her wälze, gebe ich es auf. Eine Runde Schwimmen täte mir gut. Leise nehme ich Kleidung aus dem Schrank und gehe ins Bad. Ich schlüpfe in den Badeanzug, eine Jogginghose und ein T-Shirt.
Zum Schluss putze ich mir noch die Zähne, dann bin ich fertig. Leise öffne ich die Tür – und stoße fast mit Finn zusammen. Erschrocken mache ich einen Satz nach hinten.
Finn lacht. »Hast du den Axtmörder erwartet?«
»Natürlich nicht«, gebe ich zurück. »Ich hatte nur gedacht, dass du noch schläfst.«
»Ich bin aufgewacht und du war nicht neben mir. Daher wollte ich gucken, wo du bist.« Erst jetzt bemerkt er anscheinend, dass ich schon angezogen bin. Denn er zieht eine Augenbraue hoch. »Hast du etwas vor? Ich dachte, wir frühstücken.«
»Jetzt nicht, tut mir leid. Ich wollte schwimmen. Aber danach können wir gerne etwas Leckeres essen.«
»Gute Idee. Gib mir fünf Minuten, dann bin ich fertig.«
Verlegen schüttle ich den Kopf. »Ich – wäre gerne allein ... Ich muss mir über einiges klar werden.«
Finn mustert mich schweigend. Schließlich nickt er. »Natürlich, das verstehe ich. Manche Dinge muss man mit sich selbst ausmachen.« Sanft streicht er mir über die Wange. »Dann power dich mal richtig aus. Ich warte hier auf dich.«
»Danke.« Lächelnd drücke ich ihm einen Kuss auf die Lippen. »Du bist einfach der Beste.«
Finn grinst. »Vergiss das nie!«
In der Umkleidekabine ist es noch leer. Erleichtert ziehe ich mich um und gehe hinüber ins Bad. Mist, da zieht schon jemand seine Bahnen. Anscheinend ist es zu viel verlangt, die einzige Frühaufsteherin im ganzen Bunker zu sein. Als ich auf das Wasser zugehe, erkenne ich, dass es sich bei dem anderen Frühsportler ausgerechnet um Miro handelt.
Na toll. Den kann ich jetzt gar nicht gebrauchen! Doch er nickt mir nur kurz zu und schwimmt ruhig weiter.
Erleichtert steige ich auf einen Startblock und springe ins Wasser. Das kühle Nass ist eine Wohltat für mein fiebriges Hirn, das verzweifelt versucht, die gestrige Nacht auszublenden. Vergebens. Ich erinnere mich glasklar an die kalte Befriedigung, die ich gespürt habe, als Gröning vor Schmerzen geschrien hat. Und ich sehe Finns angewidertes Gesicht, als er mir Einhalt geboten hat.
Als Furie hat er mich bezeichnet. Was irgendwie stimmt.
Ich bin völlig außer mir gewesen, habe den Milliardär nur noch verletzen wollen. Aber Finn hat in einem anderen Punkt Unrecht: Das bin auch ich. Es ist mein dunkler Teil, der nach Rache dürstet. Grausam und erbarmungslos. Dieser Teil macht mir Angst. Denn er ist noch lange nicht zufriedengestellt, sondern schreit weiter nach Vergeltung. Er fühlt sich betrogen, weil Gröning sein dekadentes Leben weiterführen darf, als sei nichts geschehen. Als gäbe es keine Anna.
Immer wieder sehe ich, wie der Rohrstock auf Grönings Körper tanzt und tiefe Wunden hineinreißt. In die Scham, die ich über meine Unbeherrschtheit fühle, mischt sich auch Befriedigung – und Wut auf Finn, der sich ungefragt eingemischt hat.
Es dauert lange, bis der gleichmäßige Rhythmus der Bewegungen mich beruhigt. Allmählich fühle ich mich wieder bereit, Finn unter die Augen zu treten, ohne ihn anzublaffen.
Ich schwimme auf den Beckenrand zu und hieve mich hinaus. Verwundert bemerke ich, dass Miro noch da ist. Er sitzt auf einer Bank, das Handtuch neben sich, und hält die Augen geschlossen. Ohne es zu wollen, mustere ich seinen massigen Körper, dessen Oberarme mit Tattoos bedeckt ist. Noch nie habe ich jemanden mit so dicken Muskeln und so vielen Haaren auf der Brust gesehen. Es wirkt so akkurat, als ob er sie stutzt. Kann es sein, dass der taffe Miro mehr Wert auf sein Äußeres legt, als er vorgibt?
Da öffnet er die Augen und schaut mich an. Sofort zwinge ich mich, woanders hinzusehen. Hoffentlich hat er nicht gemerkt, dass ich ihn angestarrt habe. Mit schnellen Schritten gehe ich zu meinem Handtuch. Doch Miro hat offensichtlich auf mich gewartet. Er springt auf und tritt zu mir. »Alles klar bei dir?«
Ich nicke und rechne damit, dass er seine übliche Show abzieht. Stattdessen schaut er mich ungewohnt ernst an. »Sag das nicht einfach so dahin. Ich möchte von dir wissen, wie es dir heute wirklich geht. Das war Hardcore gestern.«
Die Dringlichkeit seiner Worte und die Anteilnahme in seinen dunklen Augen überrumpelt mich. »Ganz ehrlich? Keine Ahnung, was ich denken soll. Ich bin froh, dass wir einen Namen haben. Aber es fühlt sich fad an. Gröning, er hätte ...« Ich verstumme, will nicht aussprechen, was ich denke und was so offensichtlich falsch ist.
»... hätte büßen müssen für das, was er deiner Freundin angetan hat? Ein Leben für ein Leben.«
»Ja, so ist es! Er darf damit nicht durchkommen. Das ist einfach nicht fair.«
Miro schnaubt. »Natürlich ist es das nicht. Ich habe gleich gesagt, dass wir ihn abmurksen sollen.«
»Damit er schweigt. Das kann ja wohl kaum ein Grund sein, um jemanden zu töten.«
»Und Rache schon?«
Finster schaue ich ihn an. »So einen Spruch hätte ich von Finn erwartet, aber nicht von dir.« Erschrocken schlage ich mir die Hand vor den Mund. Wie konnte mir nur so etwas Gemeines herausrutschen? Gerade vor Miro!
Doch der hat den Seitenhieb gegen seinen Konkurrenten gar nicht mitbekommen. Vielmehr huscht der Anflug eines Lächelns über sein Gesicht. »Hey, ich stehe auf deiner Seite. Gröning hätte den Tod verdient.«
Ich seufze. »Das ist aber nicht unsere Aufgabe. Darum müssen sich die Gerichte kümmern.«
Miro stemmt die Hände in die Hüften. »Wer sagt so einen Scheiß? Romeo?«
Ich nicke.
»Der ist ein Weichei.«
»Was fällt dir ein! Finn ist mutig und klug. Und er weiß genau, was richtig und falsch ist.«
Miro schnaubt. »Ihr lebt beide in einer Traumtänzerwelt. In der die Bösen am Ende immer bestraft werden. Aber so ist das Leben nicht. Wenn man es nicht selbst in die Hand nimmt, dann kommen die Schurken meistens durch. Und glaub mir: Ich weiß, wovon ich rede.«
Seine Augen verdüstern sich und ich sehe seinen eigenen Schmerz. Ich seufze. »Du hast als Soldat sicher viel Ungerechtigkeit mitbekommen. Das muss hart sein.«
»Quatsch, das darf man nicht an sich rankommen lassen. Ist nur ein Job.« Mit einem Schulterzucken will er es abtun.
Aber das lasse ich nicht zu. Erst einmal habe ich ihn so ernst erlebt; als er über seine Ex-Freundin gesprochen hat. Dieser Mann hat Gefühle, auch wenn er sie leugnet. »Tu nicht so cool! Du brennst für Gerechtigkeit, das spüre ich.«
Er schaut mich grimmig an. Schließlich nickt er. »Ja, mag sein. Aber ich will diese Dreckskerle selbst bestrafen. Auf die Gerichte kann man sich nicht verlassen.«
Ich erinnere mich an Gröning und frage mich, ob Miros Weg nicht der bessere ist. Was nützt es, sich immer an die Regeln zu halten, wenn dann nur die Bösen davon profitieren?
Mein Gesicht muss meine Gedanken verraten, denn Miro lächelt triumphierend. »Nett sein bringt nichts.« Er beugt sich vor, bis unsere Nasenspitzen sich fast berühren. »Sag Bescheid, wenn du deine Meinung änderst. Ich habe das Gefühl, dass noch so einiges tief in dir steckt. Lass es raus, Baby! Es wird dir gefallen.«
Mit diesen Worten zieht er mich an sich und küsst mich. In meiner Überraschung erwidere ich den Kuss. Er ist wild und ungestüm, aber dennoch unerwartet empfindsam.
Miro packt meinen Hintern und drückt mich so eng an sich, dass sich sein Geschlecht pochend gegen meine intimste Stelle presst. Während er mich leidenschaftlich küsst, drückt er noch fester gegen meine Pobacken. Die Berührung sendet heiße Schauer über meinen Körper. Leise stöhne ich.
Da fällt eine Tür krachend ins Schloss. Erschrocken löse ich mich von Miro. »Nein, das dürfen wir nicht!«
»Sagt wer?« Er grinst. Dann beugt er sich wieder vor und raunt in mein Ohr: »Sag nicht, das hätte dir nicht gefallen. In dir steckt eine kleine Wildkatze. Und ich kann dir zeigen, wie du sie zum Vorschein bringst.«
Ich stoße ihn von mir und renne zur Umkleidekabine, als sei der Teufel hinter mir her. Dabei höre ich das selbstzufriedene Lachen, das er mir hinterherschickt. Wieso nur haben Miros Berührungen mich so erregt? Ich mag ihn ja noch nicht einmal. Aber etwas an seiner unverfrorenen Art reizt mich, so ungern ich mir das auch eingestehe. Das darf nie wieder passieren. Schließlich liebe ich Finn, der sich mir niemals so dreist aufdrängen würde.
Aber vielleicht ist das sein Problem. Wenn er nicht immer so rücksichtsvoll wäre, hätten wir sicher schon miteinander geschlafen. Und dann wäre ich gar nicht erst in die Versuchung gekommen, Miros Annäherungen zu erwidern.
Ein betörender Duft nach frischem Kaffee steigt mir in die Nase, kaum dass ich mein Appartement betrete. Hastig gehe ich hinüber ins Wohnzimmer. Der Esstisch ist beladen mit frischen Brötchen und Croissants, Schinken, Käse, Marmelade und allen möglichen Leckereien.
Finn steht wie ein Kellner vor dem Tisch und deutet eine Verbeugung an. »Madame, es ist angerichtet.«
Während ich im Schwimmbad gegen meine Wut angekämpft und mich von Miro habe betatschen lassen, hat er ein wunderbares Frühstück gezaubert. Sofort bekomme ich ein schlechtes Gewissen. Impulsiv drücke ich Finn an mich und küsse ihn überschwänglich.
»Hey, hey, bewahre noch etwas Leidenschaft für später auf.« Er grinst schelmisch. »Dafür haben wir den ganzen Tag Zeit.« Doch ich erkenne an seinem Blick, dass ihm die unerwartet stürmische Begrüßung gefallen hat.
»Ich wollte mich nur für deine schöne Überraschung bedanken«, gebe ich zurück. »Aber wenn du keinen Wert darauf legst ...« Spielerisch trete ich zur Seite.
»Untersteh dich!« Er zieht mich so fest an sich, dass ich an seine Brust gedrückt werde. Das schlechte Gewissen kommt wieder und ich mache mich verlegen von Finn frei. Er seufzt leise, hält mich jedoch nicht zurück.
Ein Teil von mir wünscht sich, er wäre weniger nachgiebig; würde mich einfach packen und aufs Bett werfen. Aber so ist er nun einmal nicht. Und ich auch nicht. Ich bemühe mich um eine neutrale Miene und setze mich an den Tisch. »Hm, das sieht gut aus. Wo hast du das alles so schnell herbekommen?«
»Ich habe es gestern schon besorgt und in meiner Wohnung gelagert, damit ich dich überraschen kann.« Er lässt sich ebenfalls in seinen Stuhl fallen. »Ich hatte mir gedacht, dass wir Energie brauchen. Und Abwechslung.«
»Damit hattest du so recht!« Hungrig greife ich nach einem Brötchen und bestreiche es erst mit Frischkäse, bevor ich die leckere, weiße Masse mit Schinken belege. Auch Finn greift zu. Eine Weile essen wir schweigend.
»Und wie war das Schwimmen?«, fragt er leichthin, wobei er mir über den Kaffeebecher einen prüfenden Blick zuwirft. »Warst du die Einzige?«
»Miro war auch da.« Ich versuche lässig zu klingen, schaue dabei jedoch vorsichtshalber auf den Boden. Ganz bestimmt werde ich ihm nichts von dem Kuss erzählen. Wozu auch? Es war schließlich nur ein kleiner, harmloser Kuss. Eisern klammere ich mich an diese Rechtfertigung und blende aus, was Miros Berührungen in mir ausgelöst haben.
Ganz verbergen kann ich meine Emotionen anscheinend nicht. Finn runzelt die Stirn. »Ist irgendetwas passiert?«
»Wie kommst du denn darauf? Es war halt ätzend wie immer « Mein Herz macht vor Schreck einen Satz, aber ich versuche, es zu überspielen. Ich lächele ihn so normal an, wie es mir möglich ist, während ich auf einem Stück Brötchen herumkaue. Hoffentlich fragt er nicht weiter.
Doch er mustert mich besorgt. »Du wirkst so ... abweisend. Du schaust mich ja noch nicht einmal an.
Also los, sag es schon. Du kannst doch über alles mit mir reden.«
Darüber ganz sicher nicht! Das würde ihn nur verletzen und das will ich auf keinen Fall. »Ich bin nur ... etwas durcheinander wegen gestern. Das muss ich sacken lassen.«
»Kann ich gut verstehen.« Er drückt meine Hand. »Das war ein aufwühlendes Erlebnis. Für uns alle.« Er nimmt ein Brötchen, bestreicht es mit Butter. Dann schaut er mich von der Seite an. »Bist du denn jetzt wieder du selbst?«
Ich nicke, kann jedoch nicht verhindern, dass ein Zucken über mein Gesicht läuft. Der Spruch zeigt mir, dass er nicht verstanden hat, was in mir vorgegangen ist, und dass er sich im Recht fühlt. Der Gedanke ärgert mich. Schweigend nehme ich einen Schluck von meinem Kaffee und versuche, meine Wut zu überspielen. Wir konzentrieren uns nun beide aufs Essen, sprechen über andere, unverfänglichere Themen. Aber zwischen uns hat sich etwas verändert. Die Leichtigkeit ist weg und das macht mich unendlich traurig.
Irgendwann schlägt Finn sich gegen die Stirn. »O nein, das habe ich voll vergessen! Dein Kommunikator hat gebrummt, als du weg warst. Vielleicht ist es ja Kilian gewesen.«
»Warum sagst du das nicht gleich?« Sofort stehe ich auf und eile zum Nachttisch, wo ich das Gerät liegen gelassen habe. Tatsächlich leuchtet das Display orange.
Aufgeregt nehme ich den Kommunikator an mich.
»Und – ist er es?«, fragt Finn, der mir gefolgt ist.
Mit zitternden Händen entsperre ich das Gerät. Ein Anruf in Abwesenheit von Kilian, steht da. Ich nicke. »Er hat versucht, mich anzurufen.«
»Worauf wartest du dann noch?«
»Vielleicht will er mir ja auch nur absagen ...« Ich zucke mit den Schultern.
Finn lächelt zuversichtlich. »Bestimmt nicht. Dann hätte er eine lapidare Nachricht geschickt.«
»Meinst du?« Zweifelnd schaue ich ihn an.
»Ganz sicher. Los, ruf ihn an!«
Hoffentlich hat er Recht.
Kurz entschlossen drücke ich auf die Rückruftaste.
Es klingelt einmal, zweimal, dreimal. Nicht, dass er jetzt nicht erreichbar ist!
Endlich geht er ans Telefon. »Hallo, Lina.«
»Hallo, Kilian! Ich stelle auf Lautsprecher, damit Finn mithört.« Schon tippe ich auf das entsprechende Symbol.
»Guten Tag, Herr Berger«, sagt Finn. »Wie geht es Ihnen?«
»Danke, gut. Und dir?«
»Soweit in Ordnung.«
»Und wie geht es dir, Lina?«
»Gut«, erwidere ich knapp. Doch weiter will ich den Smalltalk nicht mitspielen. Stattdessen platzt es aus mir heraus: »Was ist nun – hilfst du uns oder nicht?«
Er seufzt. »Du bringst mich wirklich in eine schwere Lage. Ich weiß, wie ihr bei Gröning vorgegangen seid – und mit dieser Brutalität bin ich keinesfalls einverstanden. Er liegt immer noch auf der Intensivstation!«
Mein Mut sinkt bei diesen Worten. »Allerdings muss ich verhindern, dass Kriminelle mit den Lebenswegen von Unschuldigen handeln. Zumal jeder die Augen davor verschließt. Also ja: Ich bin dabei – aber ohne Gewalt!«
»Sicher, Kilian. Danke! Das wirst du nicht bereuen. Zusammen schaffen wir das ganz bestimmt.«
»Nicht so schnell.« Seine Reaktion dämpft meine Euphorie. »Ich komme nicht mehr an den Determinator heran. Dein Vater hat mir fast alle Rechte entzogen.«
»Wie das? Du bist doch sein Vize.«
»Noch«, sagt er bitter. »Aber nur, weil er mich ohne Beweise nicht degradieren kann. Er ahnt jedoch, dass ich etwas mit dem Gefängnisausbruch zu tun hatte. Seitdem hält er mich an der kurzen Leine. Ich muss mir dazu einen Code zum Determinator von einem Kollegen besorgen.«
»Ja, aber wie denn? Die sind doch personalisiert. Selbst, wenn du einen Zugang klaust, bringt dir das nichts. Du musst ihn in dem Büro benutzen, zu dem er gehört. Du kannst schlecht zu einem Kollegen gehen, den Code klauen und dich dann in aller Seelenruhe an seinem Rechner einhacken.«
Kilian lacht. »Nein, ganz sicher nicht. Dazu müsste ich nachts wiederkommen. Allerdings habe ich zurzeit einen eingeschränkten Zugang zum Gebäude. Er gilt nur tagsüber.«
»Mist, was machen wir denn nun?«, fragt Finn. »Können wir Ihnen irgendwie helfen?«
»Sicher. Wenn ihr das Sicherheitssystem der Schicksalspolizei lahmlegen könnt.«
»Vielleicht kann Secret das ja knacken ...«
»Die Computer-Hackerin? Mit dieser Kriminellen arbeitet ihr zusammen?« Ich höre die Ablehnung in seiner Stimme und grinse. So hatte ich auch vor einigen Wochen gedacht. Bis mein ganzes Weltbild auf den Kopf gestellt worden ist.
Finn findet das jedoch überhaupt nicht lustig. »Sie hilft uns dabei, dieses Verbrechen aufzuklären! Das ist etwas, was man von Ihren Kollegen nicht behaupten kann.«
»Trotzdem hat sie schon etliche Institutionen beklaut oder sensible Daten öffentlich gemacht.«
»Dafür hatte sie ihre Gründe.« Finn kann sich anscheinend nicht mehr zurückhalten.
Ich gehe dazwischen, bevor die beiden weiter streiten. »Hört auf, ihr zwei. Kilian, ohne Unterstützung geht das nicht. Und auf Secret ist Verlass. Sie ist spitze.«
»Also gut. Wenn es sein muss.« Kilian seufzt.
»Solange du degradiert bist – ja.«
»Dann besorge ich mir einen Code und ihr fragt eure Hackerfreundin, ob sie mich nachts ins Gebäude kriegt.«
»Machen wir. Das schafft sie sicher.«
»Hoffentlich. Ich melde mich wieder, wenn ich den Zugang habe.«
»Bis bald!«
»Macht es gut.« Damit ist das Gespräch vorbei.
Ich sehe Finn aufgeregt an. »Er wird uns helfen! Mit seiner Hilfe finden wir sicher heraus, wer dieser Oswald ist.«
»Nicht so vorschnell. Kilian braucht zuerst einen Zugang zum Determinator. Und dann muss Secret den Türlocker austricksen. Beides scheint mir nicht trivial zu sein.«
»Ach was, das kriegen wir hin. Komm, wir fragen Secret, ob sie das kann.« Am liebsten würde ich sofort loseilen, aber Finn hält mich zurück. »Warte lieber ein bisschen. Es ist erst halb neun. Sie schläft wahrscheinlich noch.«
»Warum? Wir sind doch schon wach, und Kilian war es auch. Wir können es zumindest versuchen.«
Finn gähnt lautstark und reckt sich. »O Mann, das ist wirklich nicht meine Uhrzeit. Warum habe ich mir nur so eine Frühaufsteherin ausgesucht?«
Ich zwinkere ihm zu. »Weil ich toll bin.«
»Das bist du.«
Bei dem Ernst in seinen Worten werde ich rot. Erneut muss ich an Miros Kuss denken, den ich erwidert habe. Wie toll wird Finn mich noch finden, wenn er davon weiß? Ich räuspere mich. »Dann wollen wir mal Secret einspannen. Rob, aktiviere das Chatprogramm.«
Das Chatprogramm erscheint auf der Multifunktionswand, und ich tippe in mein Smartphone: »Kilian kann mehr über Oswald herausfinden. Aber dazu brauchen wir deine Hilfe.«
Keine Antwort. Finn zuckt mit den Schultern. »Sie schläft wohl doch noch. Wir könnten uns auch noch hinlegen, wenn du möchtest.«
»Du kannst dich gerne hinlegen, wenn du müde bist. Ich warte lieber auf Secrets Antwort.«
Finn verdreht grinsend die Augen. »Als ob es mir ums Ausruhen geht. Heute ist doch Kuschelsonntag.« Er streckt die Hand nach mir aus. »Komm, Lina, nur eine halbe Stunde. Lass uns noch etwas Zeit im Bett verbringen.« Seine Stimme klingt kehlig und mein Mund wird trocken. Will er mich jetzt? Angst überfällt mich, mischt sich mit meinem schlechten Gewissen und meiner Aufregung.
»Tut mir leid, ich möchte auf ihre Antwort warten«, sage ich und schaue verlegen nach unten.
Wie immer gibt Finn nach, auch wenn es ihm sichtlich schwerfällt. Er schenkt sich Kaffee ein, nippt daran und betrachtet mich. Dann lächelt er. »Lass uns heute etwas machen. Etwas, das dich ablenkt.«
Wie lieb von ihm. Ich schlucke. »Woran denkst du?«
»Hm, gute Frage.« Er legt den Kopf leicht schief. Süß sieht das aus. Schließlich fragt er vorsichtig: »Wie wäre es mit einem Kinoabend?«
Der letzte Kinobesuch liegt über einen Monat zurück, als Adrian den Server des Kinobetreibers gehackt hat. Die Erinnerung an ihn schmerzt immer noch, und ich habe den Kinosaal seitdem gemieden.
Ich muss langsam wieder in mein normales Leben finden, also nicke ich. »Ja, das ist eine gute Idee. Welcher Film läuft?«
Er grinst. »Rate mal.«
Ich stöhne. »Nicht noch immer der alte Schinken, oder?«
»Doch, genau der.«
»Und das soll eine tolle Abwechslung sein?«
Finn zwinkert mir zu. »Adam hat noch jede Menge ... ausgeliehene Filme auf einer Festplatte. Da finden wir sicher etwas Spannenderes.«
Mittlerweile finde ich die Idee richtig gut. »Das ist super. Komm, wir fragen die anderen, ob sie Lust haben.«
Bevor ich die Nachricht verschicken kann, leuchtet die Multifunktionswand auf. »Das ist Secret! Rob, zeig uns die Nachricht.«
Die Haus-KI öffnet das Chatprogramm und zeigt die Antwort der Computer-Hackerin. »Worum geht es?«
Ich muss grinsen. Secret hält sich nicht lange mit Höflichkeiten auf. Das mag ich an ihr. Knapp antworte ich ihr: »Du musst Kilian nachts ins Gebäude schleusen.«
»In die Schicksalspolizei?!?«
»Ja. Er ist degradiert. Sein Zugang gilt nur tagsüber.«
Lange kommt nichts mehr. Entweder denkt Secret nach oder chattet mit jemand anderem. Ich werde schon ungeduldig, bis endlich eine Antwort kommt.
»Aber er arbeitet noch da?«
»Ja.« Warum mehr schreiben, als sie erwartet?
»Dann kriege ich das hin. Die Codierungen der Ausweise laufen alle über eine externe Firma. Deren Firewalls sind ein Klacks. Kann ich sofort machen.«
»Noch nicht. Kilian muss noch einen Code klauen.«
»Oho. Unser Herr Vizedirektor wird kriminell.« Die Lachsmileys dahinter zeigen, wie lustig Secret das findet.
»Wie lange brauchst du dafür?«
»Fünf Minuten, wenn sie eine gute Firewall haben. Eine, wenn sie schlampen.«
Die Frau ist einfach der Wahnsinn! »Cool. Wir melden uns, wenn er den Code hat.«
»Ok.« Damit ist die Unterhaltung beendet, ohne eine Verabschiedung. Mittlerweile kenne ich das.
Finn lacht leise. »Wie gut, dass wir Secret haben. Obwohl sie nicht gerade die Gesprächigste ist.«
»Das stimmt! Kennst du sie eigentlich persönlich?«
Finn schüttelt den Kopf. »Niemand weiß, wer sie ist. Nicht einmal Simon. Sie ist wie ihr Name – ein Geheimnis.«
Zu gerne wüsste ich, wer die geheimnisvolle Zauberin an der Tastatur ist. Aus irgendeinem Grund stelle ich mir Secret als Gleichaltrige vor. Vielleicht, weil ich mich mit ihr verbunden fühle. Schließlich hat sie uns schon so oft geholfen, dass sie ein Teil des Teams ist. Ich denke darüber nach, wie es wäre, Secret persönlich zu kennen. Aber das wird vermutlich nie geschehen.
»Apropos Simon ... Wir sollten ihm erzählen, was wir vorhaben«, sagt Finn. »Er schätzt keine Alleingänge.«
Ich nicke. »Ich kann ihm eine Nachricht schicken.«
»Lass uns lieber zu ihm gehen. Sonst fühlt er sich überrumpelt und wird sauer. Er ist im Moment sowieso ziemlich gereizt, weil Tony gegen ihn hetzt.«
Ich zucke mit den Schultern. »Das ist nichts Neues. Tony macht das ständig.«
»Richtig. Aber jetzt haben immer mehr Leute offene Ohren für seine radikalen Vorschläge. Viele finden, dass Simon zu weich geworden ist. «
Besorgt schaue ich ihn an. Mir ist auch aufgefallen, dass die Stimmung zwischen Tony und Simon in den letzten Wochen noch angespannter geworden ist. »Wollen sie wieder etwas in die Luft sprengen?«
»Ich weiß nicht, was Tony und seine Bande planen. Genau das macht mir Sorgen.« Finn runzelt die Stirn.
Ich streiche ihm über den Arm. »Das wird schon. Kilian findet heraus, wo Oswald lebt, und dann besuchen wir ihn. Schon hat der Untergrund wieder ein Erfolgserlebnis.«
Simon gefällt die Idee, Kilian ins Boot zu holen. »Aber unternehmt nichts allein«, mahnt er uns.
»Klar, wir brauchen dich schließlich für diesen Job«, erwidere ich. Simon ist ein Meister der Planung, der selbst in schwierigen Situationen den Überblick behält.
»Prima. Dann haltet mich auf dem Laufenden, ja?« Auch wenn Simon es nicht ausspricht, ist klar, dass die Besprechung vorbei ist und wir gehen sollten.
Hastig verabschieden wir uns. Als wir draußen sind, fragt Finn: »So, und was machen wir beiden Hübschen jetzt?«
Ich schaue auf die Uhr. Obwohl es gerade erst halb zehn ist, habe ich das Gefühl, der Tag wäre schon fast vorbei. So viel ist bereits geschehen, dass uns unserem Ziel ein gutes Stück näherbringen kann.
»Ich mag die Idee mit dem Kinoabend nachher. Das wäre mal wieder eine Abwechslung. Kannst du Adam fragen?«
Finns Augen leuchten vor Freude. »Klar. Jetzt? Dann kann ich gleich eine Runde mit ihm zocken. Wir haben schon lange nicht mehr anständig gekämpft ...«
Ich verdrehe die Augen. »Was habt ihr nur damit? Das ist doch ein hirnloses Herumgeballere.«
»Quatsch, da braucht man Strategie und Teamgeist, um die Gegner zu überlisten.«
»Schon klar.«
»Oder soll ich bei dir bleiben?«
» Los, geh schon und durchdenke Strategien mit Adam.« Ich lache.
Finn grinst und gibt mir einen Kuss auf die Wange. »Danke ! Du bist die Beste.« Mit federnden Schritten geht er davon. Ich sehe ihm lächelnd nach. Er wirkt so aufgeregt wie ein kleiner Junge vor Weihnachten.
Vielleicht sollten wir uns öfter mit anderen treffen, denke ich, während ich in meine Wohnung gehe. Spontan rufe ich Hannah an. Hoffentlich schläft sie nicht.
Aber meine Freundin geht bereits nach dem zweiten Klingeln ran. »Hey, Lina. Ich habe schon gehört, ihr habt endlich einen Namen. Saubere Leistung!«
»Danke! Und ich glaube, ich habe auch schon einen Weg gefunden, mehr über Oswald zu erfahren.«
»Cool! Wie das denn?«, fragt Hannah neugierig.
»Das erzähle ich dir bei einem Kaffee. Hast du Zeit?«
Hannah seufzt. »Leider nein. Julian und ich wollten eine Runde Krav Maga üben. Komm doch mit!«
»Danke, aber danach ist mir heute nicht.« Vor allem möchte ich kein fünftes Rad am Wagen sein, schließlich will ich ein Gespräch unter Mädels mit ihr führen. Ich versuche, meine Enttäuschung zu verbergen. »Schade. Ich ... ich dachte nur, wir sollten uns mal wieder alleine sehen.«
»Finde ich auch! Das haben wir schon viel zu lange nicht mehr gemacht. Wie wäre es mit heute Abend?«
Ich lache. »Da wollten wir sowieso mit euch ins Kino gehen. Also, mit euch und allen anderen. Lust?«
»Klar. Wann treffen wir uns?«
»Um acht. Dann können wir besprechen, wann wir uns mal wieder alleine treffen, um so richtig zu quatschen.«
»Super, so machen wir das. Bis nachher.«
»Bis nachher.«
Nachdenklich lege ich auf. Mir fällt auf, wie sehr mir der Austausch mit meiner Freundin fehlt. Aber wie vertreibe ich mir bis dahin die Zeit? Ich versuche es zunächst mit streamen. Doch keiner der Anbieter, die wir hier unten illegal anzapfen, hat gerade eine gute Serie. Seufzend greife ich nach meinem Buch.
Aber auch das vermag mich nicht zu fesseln. Immer wenn ich eine Seite fertig lese, weiß ich schon nicht mehr, was darin passiert ist. Eigentlich interessiert mich das ohnehin nicht. Ich will nur nicht daran denken, wie gut sich Miros Lippen und Hände angefühlt haben. Nach einer Weile gebe ich auf und lege meinen E-Book-Reader zur Seite. Ich muss mich anderweitig beschäftigen. Vielleicht lenkt ein Spaziergang im Wald mich ab.
3
Unerwartetes Verständnis
Ziellos schlendere ich durch die künstliche Anlage. Immer weiter gehe ich, bis ich das Ende des Waldes erreiche, den die Multifunktionswände optisch verlängern. Ich habe im Moment das Gefühl, nirgendwo dazuzugehören. Für Finn war das gestern ein Ausraster; verzeihbar, aber nicht Teil seiner Natur.
Ich bin mir nicht so sicher. Befriedigt fühle ich mich nämlich immer noch nicht. Zu gerne hätte ich mit Hannah gesprochen. Frustriert trete ich gegen einen Stein. Er kullert langsam voran, bis er plötzlich verschwindet. Neugierig gehe ich nach vorne, um zu sehen, wo er abgeblieben ist.
Auf einmal trete ich ins Nichts und stürze einen Abhang hinunter. Zum Glück denke ich daran, mich einzurollen, so wie ich es beim Krav Maga-Training gelernt habe. So kugle ich ohne Verletzungen etliche Meter nach unten.
Fluchend stehe ich auf und klopfe mir den Staub von der Kleidung. Danach schaue ich mich um. Ich bin in einer kleinen unterirdischen Höhle gelandet, deren steinerne Wände roh und unregelmäßig sind. Also ist diese Höhle nicht künstlich, sondern natürlichen Ursprungs, obwohl sie offensichtlich bewusst in den Bunker integriert wurde. Vereinzelte LED-Elemente in der Decke erhellen die Höhle so, dass es aussieht, als fiele natürliches Licht ein. Es ist gerade genug Beleuchtung, um zu erkennen, dass auf dem steinernen Boden überall Moos wächst. Ich erinnere mich daran, dass das viel Wasser benötigt. Tatsächlich ist die Luft feuchter als sonst im Bunker. Wo kommt das nur her?
Neugierig gehe ich weiter. Nach einer Weile verbreitert sich der Gang und ich lande in einer echten Höhle. Türkisgrünes Wasser bildet auf dem Steinbett einen kleinen See. Der Ort wirkt ebenso faszinierend wie fehl am Platz.
»Ist das irre!«, hauche ich.
»Und besetzt«, kommt eine geknurrte Antwort.
Das ist Miro. Er tritt hinter einem Steinbrocken hervor und schaut mich grinsend an. »Na, Puppe, was machst du denn hier? Verfolgst du mich etwa?«
»Natürlich nicht! Ich wusste bis eben gar nicht, dass es diese Höhle gibt. Und noch viel weniger, dass du da bist. Ansonsten wäre ich sicher nicht gekommen.«
»Wieso? Im Dunkeln lässt sich gut munkeln.«
Wütend presse ich die Lippen zusammen. Am liebsten hätte ich auf dem Absatz kehrtgemacht. Andererseits war er heute Morgen ziemlich nett und verständnisvoll. Es würde mir helfen, mit irgendjemandem zu reden. Unschlüssig bleibe ich stehen. Da geht Miro auf mich zu und schaut mich mit demselben Ernst von heute Morgen an. »Na, komm schon her. Ich sehe dir doch an, dass es dir nicht gutgeht.«
Ich mache unwillkürlich einen Schritt zurück.
Er grinst. »Keine Sorge, Kittycat, ich lasse ja schon die Finger von dir. Es sei denn ...«
Abwehrend schüttele ich den Kopf. Nein, das will ich nicht von ihm. Oder doch? Ein kleiner Teil von mir möchte sich an ihn drängen, seine starken Arme spüren, seine ungezügelte Leidenschaft, von der ich mir sicher bin, dass sie in ihm lodert. Aber es darf nicht sein. Schließlich liebe ich Finn. Trotzdem brauche ich Miros Kaltblütigkeit, um meine eigenen, verworrenen Gefühle besser zu verstehen. Ich setze mich auf einen Stein, der wärmer als erwartet ist. Miro nimmt mir gegenüber Platz, betrachtet mich aufmerksam.
Eine Weile schweigen wir, aber es ist nicht unangenehm.
»Hast du dich eigentlich schon einmal ... so richtig an jemandem gerächt?«, frage ich schließlich scheu.
»Na, und ob. Ich habe etliche erledigt.«
»Das meine ich nicht.« Ich schüttele den Kopf und sehe ihn ernst an. »War ... es jemals etwas Persönliches?«
Eine Weile mustert er mich mit starrem Blick. Dann nickt er. »Ja. Einmal. Als Thomas starb. Er war mein großer Bruder. Ein guter Typ, dachte immer erst an andere. Die Welt ohne ihn ist ... deutlich schlechter.« Er presst die Lippen zusammen und verschränkt die Arme vor der Brust. »Also habe ich die Kerle erledigt, die daran schuld waren.«
»Und ... was hast du dabei gefühlt?«
»Das hat mich noch nie jemand gefragt.« Er runzelt die Stirn und schaut mich überrascht an. Wärme tritt in seine dunklen Augen. »Tja, wie beschreibe ich das? Ich war froh, dass die Typen tot waren, würde ich sagen.«
»Hattest du denn gar keine Schuldgefühle?«
Ein Ausdruck, den ich noch nie an ihm gesehen habe, legt sich über Miros Gesicht. Es ist eine Mischung aus Wut, Trauer, Schmerz und sogar einem Hauch von Verzweiflung. »Ganz kurz. Aber als ich mit meiner Schwägerin Melanie gesprochen habe, war das schnell weg.« Er bricht ab und sieht an mir vorbei in die Ferne, schweigt wieder.
»Warum?«
»Du willst es auch ganz genau wissen, was?«
Ich sage nichts, sondern blicke ihn stumm an. Schließlich seufzt er. »Melanie wäre fast an Thomas’ Tod zerbrochen. Sie wusste, dass er von den eigenen Kameraden umgebracht worden war, auch wenn die Armee das immer geleugnet hat.« Ein Zucken läuft über sein Gesicht. »Aber als ich ihr gesagt habe, dass ich mich darum gekümmert habe, schöpfte sie Kraft. Sie konnte ihren Kindern – meinen Neffen! – wieder eine Mutter sein. Das war es wert.«
Unwillkürlich denke ich an Annas Eltern, die nur noch Schatten ihrer selbst sind. Der viel zu frühe Tod ihrer Tochter hat ihnen allen Lebensmut geraubt. Würden sie wieder aufblühen, wenn Gröning gestorben wäre?
Miro mustert mich von der Seite, als erahne er meine Gedanken. »Ich kenne gewisse ... Leute. Ich kann arrangieren, dass der Drecksack abgemurkst wird.«
Erstaunt schaue ich ihn an.
Die Vorstellung, dass Gröning seine gerechte Strafe bekommt, lässt mein Herz schneller klopfen. Dann denke ich an Finns Warnung. »Ich weiß nicht. Natürlich wünsche ich mir seinen Tod. Finn findet allerdings, Rache würde mich nur vergiften.«
Miro winkt ab. »Pah, vergiss mal deinen Romeo. Was weiß der schon davon?«
»Mehr als du denkst! Er hat die Bombe bei dem Anschlag gezündet. Und er kann sich nicht verzeihen, dass er das Gebäude nicht abgesucht hat. Er fühlt sich schuldig für den Tod der Mutter und ihrer Tochter. Das zerfrisst ihn.«
»Das war eine andere Situation.«
»Wieso?«
»Zuerst einmal waren die beiden unbeteiligt. Das ist keine Rache. Außerdem – und das ist viel wichtiger – bist du aus einem ganz anderen Holz geschnitzt als dein Romeo.«
»Bin ich das?«
»O ja.« Er steht von seinem Felsbrocken auf, kommt zu mir und setzt sich neben mich. »Du bist knallhart, auch wenn du es noch nicht erkennst.«
Ich lache bitter. »Ich und taff. Na klar.«
»Bist du. Du willst Rache für deine tote Freundin, und das ziehst du voll durch. Das ist cool.«
»Danke.« Erstaunt reiße ich die Augen auf. So sieht Miro mich? Das hätte ich nie von ihm gedacht.
»Also, was ist?«
Mein Hass auf Gröning bleckt die Zähne, will sie in ihn schlagen. Wieder und immer wieder. Ihn bluten sehen, so wie die arme Anna bluten musste. Das Entsetzen schlingt ihre Arme um mich, drückt mir die Luft aus der Lunge. Ich will schreien. Aber wer wäre ich, wenn ich es zulasse? Wenn ich sogar selbst den Auftrag zu einem Mord gebe? Ich wäre so schlimm wie diese reichen Drecksäcke, würde mich zur Herrin über Leben und Tod aufschwingen. Ich seufze. »Nein. Es fühlt sich falsch an.«
»Wie du meinst. Ich mache nichts, solange du es nicht willst. Es muss deine Entscheidung sein, sonst bedeutet es nichts. Aber gib mir Bescheid, wenn du soweit bist.«
Ich nicke ernst. »Danke.«
»Wofür? Noch habe ich nichts gemacht.«
»Das nicht. Aber du verstehst mich.«
Er klopft lächelnd gegen meinen Kopf, dann gegen seinen. »Hartes Holz, Baby. Wir zwei sind uns ähnlicher, als du denkst. Deswegen willst du mich auch!« Er greift nach meinem Nacken, zieht mich an sich und küsst mich.
Obwohl alles in mir brüllt, dass es falsch ist, erwidere ich den Kuss. Ich kann mich nicht gegen seine Anziehungskraft wehren, denn er hat recht: Es gibt einen Teil in mir, der auf Miro steht. Vielleicht ist es seine Entschlossenheit, oder vielleicht sein unerwartetes Verständnis für eine Seite, die mich erschreckt.
Und so versinke ich in unserem Kuss, öffne hungrig den Mund, um seiner Zunge Einlass zu gewähren. Keuchend zieht er mich enger an sich, hebt mich vom Stein und legt sich auf mich. Die Härte seines Verlangens presst sich gegen meine intimste Stelle, reibt sich an mir.
Ich weiß, ich müsste ihn stoppen. Doch die zielstrebige Art, mit der Miro mich beansprucht, löst einen ungeahnten Hunger in mir aus. Er schiebt eine Hand unter mein Oberteil und stimuliert meine Brustwarze mit den Fingerspitzen. Hitze breitet sich in meinem ganzen Körper aus. Keuchend schließe ich die Augen und genieße die süßen Schauer, die in Wellen durch mich fließen. Warum fühlt sich das nur so gut an?
Erst als seine andere Hand nach unten wandert, kehrt mein Verstand zurück. Ich drücke ihn von mir weg. »Nein, das dürfen wir nicht! Ich bin mit Finn zusammen.«
»Aber küsst er dich auch so wie ich?« Verlangend sieht Miro mich an, streicht mit dem Daumen über meine Unterlippe. Er lacht voller Verachtung. »Sicher gibt er dir nur ein kleines Küsschen auf die Wange zur Begrüßung. Und einen auf die Stirn zum Abschied.«
Das kommt unserem derzeitigen Status quo recht nahe. Trotzdem oder vielleicht deswegen werde ich wütend. »Das ist nicht fair! Er begrabscht mich wenigstens nicht ungefragt.«
»Tja, das ist sein Problem. Er macht nichts ohne Erlaubnis. Immer besorgt darum, was andere denken.«
»Genau deswegen liebe ich ihn.« Stimmt das wirklich? Oder will ich mich daran klammern?
»Trotzdem fasziniert es dich, dass ich anders bin.« Er sagt es mit einer Bestimmtheit, die mich erschreckt.
Ist das der Grund, warum ich seinen Kuss voller Verlangen erwidere? Wieso ich mir sogar heimlich wünsche, er würde einfach weitermachen? Gott, hoffentlich ahnt er das nicht! Hastig stehe ich auf und gehe davon.
»Kittycat, du kommst wieder«, ruft er mir hinterher. Es liegt kein Hohn darin, sondern ruhige Überzeugung.
»Das war schön. So etwas sollten wir viel öfter machen.« Ich setze mich neben Finn auf das Sofa. Der Kinoabend ging länger als geplant, weil wir danach noch mit den anderen in die Bar gegangen sind. Mittlerweile ist es fast zwölf Uhr und ich bin leicht angeschwipst, aber sehr zufrieden.
Finn grinst. »Sag ich doch. Wir können schließlich nicht nur zu zweit miteinander versauern.«
Gespielt wütend knuffe ich ihn. »Wenn du so weitermachst, wirst du bald ganz allein sein.«
»Quatsch. Dafür magst du mich viel zu gern.« Lachend zieht er mich an sich. Dabei wirkt er genauso selbstgefällig wie Miro vorhin, sodass ich mich aus seinem Arm winde.
Er seufzt. »Ach komm. Das war doch nur ein Spaß. Warum müsst ihr Frauen nur alles so ernst nehmen?«
Ich presse die Lippen zusammen. »Weil wir nicht für selbstverständlich gehalten werden wollen!«
»Lina, das glaubst du doch nicht wirklich.«
Ich zucke mit den Achseln. »Weiß nicht. Du ... du scheinst nicht mehr so viel Interesse an mir zu haben. Also, körperlich.« Bei diesen Worten brennen meine Wangen.
Finn blickt mich ernst an. »Du weißt, dass das nicht stimmt. Es gibt nichts, was ich lieber möchte.«
»Warum unternimmst du dann keinen Versuch mehr? Seit meinem Geburtstag sind wir uns nicht mehr ... nahe gewesen.«
Er fährt sich seufzend durch die Haare. »Ich weiß es nicht. Irgendwie war die Situation nie danach. Und du hast dich verändert.«
»Inwiefern?«
»Du bist härter geworden – und du entfernst dich von mir.« Er streicht sanft über mein Gesicht. »Lina, was ist los? Ich erkenne dich in letzter Zeit nicht mehr wieder.«
»Meinst du wegen gestern?«
»Da besonders. Aber du bist schon eine Weile anders.«
»Seit wann?«
Seine Stirn kräuselt sich. »Seit du den Arbeitskreis leitest. Du wirst dort in eine Rolle gedrängt, die du nicht haben willst. Du hast dich sogar mit Miro und seinen Freunden verbündet, um deinen Racheplan durchzudrücken.«
»Daher weht der Wind also. Du bist sauer, weil ich mich nicht auf deine Seite geschlagen habe, als du Noahs Idee mit der Anzeige verfolgen wolltest.«
»Weil ich geahnt hatte, dass du zu weit gehen könntest. Und damit hatte ich auch recht!«, blafft er mich an. »Zum Glück war ich da und konnte das Schlimmste verhindern.«
Ich lache verächtlich. »Von wegen. Du hast verhindert, dass ich den Mörder meiner besten Freundin bestrafe!«
Er schnaubt. »Das meinst du nicht ernst.«
»Und wie! Dieses Schwein glaubt doch, es sei das Recht der Reichen, den Determinator zu manipulieren. Dafür muss er bezahlen.« Grimmig knirsche ich mit den Zähnen.
»Lina, was soll das? Ich erkenne dich nicht mehr wieder. Diese wilde Furie, das bist doch nicht du.«
»O doch! Dazu hat dieser verdammte Gröning mich gemacht. Er muss sterben.«
»Dafür ist es nun zum Glück zu spät.«
»Von wegen. Miro hat mir angeboten, jemandem Bescheid zu sagen, der sich darum kümmert.« Ich lächele kalt.
Finn legt mir die Hände auf meine Schultern, die Augen dunkel vor Sorge. »Lina, das kannst du nicht wollen. Danach klebt sein Blut für immer an deinen Händen.«
Ein Hauch von schlechtem Gewissen überkommt mich. Aber der dunkle Teil von mir schreit weiter nach blutiger Vergeltung, laut und anklagend. »Das ist mir egal. Ein Leben für ein Leben«, sage ich hart.
Abscheu legt sich auf Finns Gesicht. »Was ist nur aus dir geworden? Ich weiß nicht mehr, wie ich dir Vernunft beibringen kann.«
»Du bist so selbstgefällig!«, schreie ich. »Du willst mir Vernunft beibringen? Als ob ich ein kleines Kind wäre.«
Hilflos hebt er die Hände. »So meine ich das nicht. Aber ich kann nicht zulassen, dass du so einen Fehler machst.«
»Ich brauche deine Erlaubnis nicht!«
Er will nach meiner Hand greifen, doch ich schüttele sie wütend ab. »Du hast mir nicht zu sagen, was ich tun und lassen soll, hörst du?«
»Ich verstehe.« Langsam steht er auf. »Vermutlich ist es besser, wenn ich jetzt gehe. Wir reden morgen wieder, ja?«
»Ist gut«, erwidere ich kalt.
Er wirft mir einen seltsamen Blick zu, dann dreht er sich um und geht wortlos. Schweigend sehe ich ihm hinterher. Ich weiß, dass ich ihn zurückhalten müsste, wenn ich keinen Bruch riskieren will. Aber ich kann es nicht.
Ich bin zutiefst verletzt, weil er nicht versucht, mich zu verstehen. Er ist so überzeugt von seiner Meinung, dass er meine gar nicht gelten lässt. Wütend trinke ich das Glas in einem Zug aus und schenke mir fleißig nach. Erst ein Glas, dann noch eins. Der Wein macht mich zwar müde, besänftigt aber nicht mein Verlangen nach Rache.
Impulsiv schicke ich Miro eine Nachricht. »Tu es.«
Danach wird die Stimme in meinem Kopf allmählich leiser. Zufrieden gehe ich hinüber ins Bett. Noch bevor mein Kopf das Kissen erreicht, bin ich schon eingeschlafen.
Am nächsten Morgen habe ich höllische Kopfschmerzen. Puh, das ist wohl doch zu viel Alkohol gewesen. Düster erinnere ich mich an den Streit mit Finn. Wieso ist es nur so weit gekommen, dass wir uns angeschrien haben? Nur zu gerne würde ich diesen Teil des Abends ungeschehen machen, aber das ist unmöglich. Ich muss versuchen, die Wogen zu glätten. Allerdings ahne ich, dass ich dazu meine Rache aufgeben müsste. Und ich weiß nicht, ob ich dazu bereit bin.
Nachdenklich sehe ich auf meine Smartwatch. Ein Blinken verrät, dass ich eine neue Nachricht habe. Ist die von Finn oder von Miro? Schnell entsperre ich das Display und öffne das Chatprogramm. Ich habe sogar zwei neue Nachrichten: eine von Finn und eine von Miro.
Nach kurzem Zögern öffne ich zuerst die Unterhaltung mit Finn. »Lina, ich vermisse dich und es tut mir leid, dass wir uns gestritten haben. Lass uns das in Ordnung bringen.«
Das hat er irgendwann nach ein Uhr geschrieben. Ich schlucke. Nur wenige Minuten zuvor habe ich auch eine Nachricht verschickt, allerdings an Miro. Wie wird Finn reagieren, wenn er weiß, dass ich ihm trotz seiner eindringlichen Mahnung grünes Licht gegeben habe? Das wird Finn mir nie verzeihen.
Mit klopfendem Herzen öffne ich die andere Nachricht. Kurz hoffe ich, dass es noch eine Chance gibt, den Mord aufzuhalten.
Doch die Meldung ist eindeutig. »Er macht es.«
Stöhnend vergrabe ich den Kopf in meinen Händen. Warum habe ich gestern Abend in betrunkenem Zustand meinem Impuls nachgegeben? Eine solche Entscheidung hätte ich mit klarem Kopf treffen sollen. Aber nun sind die Würfel gefallen. Warum hilft er mir überhaupt dabei? Es fällt mir schwer zu glauben, dass er das aus Freundlichkeit macht. Er muss Hintergedanken haben. Denkt er, dass ich aus Dankbarkeit mit ihm in die Kiste springe? Sicher nicht.
Ich schiebe die Gedanken beiseite und gehe ins Badezimmer. Dabei stelle ich das Wasser ganz heiß und genieße, wie es auf mich einprasselt. Es vertreibt sogar den Kater, zumindest teilweise. Den Rest wird Freund Ibuprofen übernehmen. Nachdem ich eine Tablette genommen und eine große Tasse Kaffee getrunken habe, fühle ich mich endlich wieder halbwegs fit. Dummerweise habe ich heute auch noch Dienst auf dem Feld; das bedeutet harte körperliche Arbeit. Das ist nicht gut für meinen Kopf, der immer noch leicht pocht. Andererseits lenkt es mich vielleicht ab.
»Was? Du hast Miro echt geküsst?«, entfährt es Hannah, mit der ich mich nach der Arbeit treffe.
»Nicht so laut«, flüstere ich und sehe mich besorgt im Restaurant um. »Außer dir weiß das keiner.«
»Das ist auch gut so.« Hannah rollt mit den Augen. »Der Typ ist doch das Letzte. Ein Tony-Klon vom Feinsten.«
»Nein, das stimmt nicht.«
Hannah hebt bedeutungsvoll die Augenbrauen.
»Na gut, er gehört zu seinem Dunstkreis und hat eine Militär-Frisur wie alle. Aber ...« Ich zucke mit den Achseln. »Ich weiß auch nicht, er ist trotzdem anders.«
»Und zwar?«
Ich denke nach. »Hm, ich glaube, es geht ihm wirklich um Gerechtigkeit. Tony will nur Macht – und er liebt es, Krieg zu spielen. Miro hingegen will Verbrechen bestrafen.«
»Klar. Indem er sie abknallt.«
»Oder einen Killer einschaltet«, murmele ich.
Hannah schaut mich fragend an. »Was hast du eben gesagt?«
»Nichts, nichts.« Ich winke hastig ab. Selbst meiner Freundin kann ich nicht eingestehen, dass ich vor wenigen Stunden einen Mord in Auftrag gegeben habe.
Hannah schaut mich ernst an. »Wirklich, Lina, ich verstehe dich nicht. Du und Finn, ihr seid so ein süßes Paar.«
»Waren wir ja auch«, antworte ich und seufze. »Bis zu meinem Geburtstag.«
»Das war doch eine Superparty! Ist da etwas passiert?«
»Da noch nicht. Später.« Verlegen erzähle ich Hannah, wie ich Finn nach der Feier verführen wollte – und wie er mich abwies, weil ich zu viel getrunken habe. Wieder schäme ich mich in Grund und Boden dafür.
Hannah lächelt vielsagend. »Ist doch süß von ihm! Er möchte, dass das ein schönes Erlebnis für dich ist.«
»Na ja, das schon«, druckse ich herum. »Seitdem ... fasst er mich aber nicht mehr an. Zumindest nicht – so. Als ob er es ekelhaft fand, wie ich mich angebiedert habe.«
Hannah lacht. »Das kann ich mir nicht vorstellen.«
»Aber warum will er mir nicht mehr näherkommen?«
»Er wartet vermutlich auf eine gute Gelegenheit.« Hannah zuckt mit den Schultern. »Das kommt schon wieder.«
»Ich weiß nicht. Wir hatten schon einen ganz guten Moment ... Aber er sagt, ich hätte mich verändert.«
»Das hast du ja auch! Du bist nicht mehr das schüchterne Mädchen, das am liebsten geweint hätte, weil keiner seinen Papa mag. Und ich am allerwenigsten.«
Ich verdrehe die Augen.
Hannah wird wieder ernst. »Du bist zu einer selbstbewussten jungen Frau herangewachsen. Du weißt, was du willst – und das verfolgst du unbeirrt.«
Seltsam, dass Hannah mich so ähnlich sieht wie Miro. Habe ich mich wirklich so sehr verändert? Dabei finde ich, dass ich immer noch die Alte bin. Andererseits: Noch vor wenigen Monaten war das Einzige, was ich wollte, die Erneuerungszeremonie zu erleben und einen Lebenspartner zu finden.
Nun habe ich einen wunderbaren Freund und knutsche mit einem anderen – der als Liebesbeweis gerade einen Mann umbringen lässt. Offensichtlich habe ich mich doch stärker verändert, als mir bewusst ist.
Hannah mustert mich durchdringend, als erahne sie meine Gedanken. »Vielleicht hat Finn Angst davor, wie du jetzt bist.«
»Wieso das denn?«, frage ich verwirrt.
»Nicht jeder Mann kommt mit einer starken Frau klar. Glaub mir, das weiß ich nur zu gut. Vor Julian versuchten einige Typen, mich klein zu kriegen.« Sie lacht. »Ist natürlich keinem gelungen.«
»Und du glaubst, Finn möchte mich kleinhalten?«
Hannah schüttelt den Kopf. »Nein, so ist er nicht. Finn ist ein toller Kerl, der eine echte Partnerin sucht. Aber – er ist auch ein Mann und möchte gerne bewundert werden.«
Nachdenklich nicke ich. »Ich glaube, ich verstehe. Es hat ihm nicht gepasst, dass der Arbeitskreis für meinen Plan gestimmt hat – obwohl er dagegen war. Und noch viel weniger mochte er es, dass Miro mich dabei unterstützt hat.«
»Wundert dich das?«
»Nicht wirklich.« Ich seufze. »Ich hätte wohl diplomatischer sein müssen. Aber ich wollte Gröning unbedingt auf den Zahn fühlen.«
»Warum war Finn denn überhaupt dagegen? Er will doch auch die Lebenswegemafia zur Strecke bringen.«
»Damit ich mich nicht als Callgirl bei ihm einschleiche. Und er hatte Angst, dass ich es mit Grönings Bestrafung übertreibe. Wozu es dann auch gekommen ist.« Schuldbewusst berichte ich Hannah, wie ich den Milliardär so lange bearbeitet hatte, bis er fast zusammenbrach.
Hannah zuckt mit den Schultern. »Na und? Das hat der Typ verdient. Aber Finn spielt halt immer nach den Regeln. Meiner Meinung nach ein bisschen zu sehr.« Nachdenklich schaut sie mich an. »Da wart ihr euch am Anfang ja sehr ähnlich. Aber nun stellst du deine eigenen Regeln auf. Und ich weiß nicht, ob er damit klar kommt.«
Das erklärt vermutlich am besten, warum es zu diesem Bruch zwischen uns beiden gekommen ist, und wieso ich mich von Miro angezogen fühle. Er spielt nie nach irgendwelchen Regeln, sondern macht, was er will. Egal, was andere davon halten.
»Ich hab es echt verbockt!«, sage ich stöhnend. »Aber ich war so wütend auf ihn, dass er über mich bestimmen wollte. Deswegen haben wir uns gestern richtig gestritten.«
»Das wird schon wieder.« Hannah legt mir aufmunternd die Hand auf den Arm. »Wenn du das willst.«
»Ich dachte, du magst Finn?«