Der Sommer, als wir den Esel zähmten - Annette Roeder - E-Book

Der Sommer, als wir den Esel zähmten E-Book

Annette Roeder

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Beschreibung

Esel sind störrisch? Wir auch!

Familie Hummel – very busy rund um die Uhr – muss raus aus dem Hamster-Rad. Alle Urlaubspläne werden kurzerhand über den Haufen geworfen – zugunsten einer gemeinsamen Wander-Woche. Und zwar in Begleitung eines Esels! Doch ein Esel hat nun mal seinen eigenen Willen. Und so stellt Nepomuk nicht nur die Ferien der Hummels, sondern auch ihr ganzes Leben gründlich auf den Kopf!

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Seitenzahl: 138

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Annette Roeder

Zeichnungen von Yayo Kawamura

Kinder- und Jugendbuchverlag

in der Verlagsgruppe Random House

1. Auflage 2015

© 2015 cbj Kinder- und Jugendbuch Verlag

in der Verlagsgruppe Random House, München

Cover- und Innenillustrationen: Yayo Kawamura

Text und Illustrationen vermittelt durch die

Literarische Agentur Barbara Küper

Umschlaggestaltung: Init Kommunikationsdesign, Bad Oeynhausen.

CK · Herstellung: AJ

Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

ISBN 978-3-641-17568-9

www.cbj-verlag.de

Für Luis, der nicht nur Nepomuk

seinen Namen gegeben hat

1.Kapitel,

indemmirdieA-Saitereißt

Seit über einem Jahr übe ich den Hummelflug. Beim großen MUT-Wettbewerb will ich das Stück auf meinem Cello vorspielen. Der russische Komponist Rimski-Korsakow hat es für eine Oper geschrieben. Darin wird ein Prinz in eine Hummel verwandelt und bringt zwei böse Schwestern zum Schweigen, indem er sie sticht. Ich habe auch zwei Schwestern, die ich manchmal gerne zum Schweigen bringen würde. Böse sind sie zwar nicht. Aber Flöhchen, die Kleine, kann jaulen wie ein Feuerlöschzug. Und meine große Schwester Hetti weiß immer alles besser.

Doch nicht nur die Geschichte, auch der Name passt perfekt zu mir: Ich heiße Hugo Hummel!

Der Hummelflug muss richtig schnell gespielt werden. Mit 180 Viertelnoten pro Minute. Meine Schwester Hetti hat es für mich umgerechnet. 180 Viertelnoten entsprechen 720 Sechzehntelnoten, was bedeutet, dass 12 Töne in einer Sekunde gespielt werden sollen. Das ist eigentlich unmöglich, aber manche Profis kriegen es trotzdem hin. Irgendein amerikanischer Geiger hat das ganze Stück sogar in 64,21 Sekunden gespielt und ist damit ins Guiness Buch der Rekorde gekommen. Ich bin noch nicht ganz so schnell, aber wenn ich mich sehr anstrenge und jeden zweiten Ton auslasse, dann fiedle ich den Hummelflug immerhin in knapp zwei Minuten herunter.

Herr Melle, mein Cellolehrer, mag es nicht, wenn ich Töne auslasse, um schneller zu sein. Er mag es auch nicht, wenn während der Stunde mein Handy klingelt. Aber das tut es jetzt. Papa ist dran. Er wollte eigentlich bei Mama anrufen, doch bei der ist belegt, denn sie steht vor Herrn Melles Musikzimmer im Flur und telefoniert mit ihrer Arbeit. Das macht sie fast ununterbrochen, seitdem sie Chefin der Firma Issfix geworden ist.

»Tut mir leid, dass ich euch störe«, entschuldigt sich Papa bei mir. »Aber hier gibt es eine Signalstörung. Mein Zug steckt irgendwo in der Pampa fest.« Dann sagt er mir, dass er sich jetzt leider nicht um Flöhchen kümmern kann, und legt auf.

Was das genau bedeutet, ist klar: Mama und ich sollen meine kleine Schwester vom Schwimmkurs abholen. Damit wir das schaffen, müssen wir sofort die Stunde abbrechen. Mama kommt wieder herein und ich gebe ihr Bescheid. Sie macht ihr Zitronengesicht. Das macht sie immer, wenn ihre Pläne durcheinander kommen.

Herr Melle meint, ich soll den Hummelflug wenigstens noch einmal ganz durchspielen. Schließlich ist es die letzte Cello-Stunde vor dem MUT-Wettbewerb. Der findet jedes Jahr Anfang August auf Schloss Schönau statt. Mama hat die Ausschreibung in unserem Musikgeschäft entdeckt und fand, das wäre doch genau das Richtige für mich. Mit MUT ist übrigens nicht die ägyptische Göttin gemeint und auch nicht die Partei für Tierschützer und eigentlich auch nicht das Gegenteil von Angst. MUT bedeutet ganz einfach »Musikalische Talente«. Allerdings ist es ziemlich mutig von mir, daran teilzunehmen. Ich war zunächst nämlich nicht sicher, ob ich schon gut genug bin. Aber Mama hat mich überredet: »Sei doch nicht so bescheiden. Die anderen kochen auch nur mit Wasser, mein Bummelchen. Wenn man etwas wirklich will und sich ganz arg anstrengt, kann man jedes Ziel erreichen!«

Deswegen findet sie den letzten Probedurchgang jetzt auch wichtig, wichtiger noch als Flöhchen.

Also spiele ich los. Beim zweiten Takt reißt mir die A-Saite. Herr Melle sucht in seinem Verhau eine neue und montiert sie auf meinem Cello. Dann fange ich noch einmal an. Damit Flöhchen nicht gar so lange warten muss, lasse ich diesmal ganze Takte weg. Flöhchen kann nämlich so laut schreien, dass mir die Ohren sausen – ich glaube, das erwähnte ich schon?

Aber nun unterbricht mich Herr Melle selbst: »Hugo, bei diesem Stück kommt es nicht NUR aufs Tempo an.«

Er betont das »nur« sehr deutlich. Und das ist dumm. Vielleicht mag er ja recht haben, aber dumm ist, dass er es in diesem Moment sagt. Denn darüber vergisst Mama ganz, dass wir uns jetzt wirklich beeilen sollten.

»Was wollen Sie damit andeuten?«, fragt sie misstrauisch. »Finden Sie an Hugos Spielweise etwas auszusetzen?«

Sie geht einen Schritt auf Herrn Melle zu und tippt mit dem Zeigefinger auf seine Brust. Dazu muss man erklären, dass Mama ziemlich gefährlich gucken kann. Besonders wenn es um etwas geht, das ihr am Herzen liegt.

Herr Melle tritt einen Schritt zurück und stolpert dabei über meinen offenen Cellokasten. Ich kann gerade noch rechtzeitig das Cello außer Reichweite ziehen, bevor er sich mir auf den Schoß setzt. Mein Cello ist nämlich sehr kostbar, weil es von dem berühmten Geigenbauer Nikolaus Dopfer gefertigt wurde und schon mehr als 250 Jahre alt ist. Ich habe es von meinem Uropa geerbt, der es im Krieg gegen ein dickes Schwein eingetauscht hat. Er war Bauer und der einzige in unserer Familie, der einen Sinn für Musik hatte. Außer mir natürlich.

Aber jetzt achten weder Mama noch mein Cellolehrer auf das teure Instrument.

»Ich wollte Hugo nicht kritisieren«, versucht Herr Melle sich rauszureden. »Ich meine nur… das Stück, das Sie für ihn ausgesucht haben, ist wirklich sehr, sehr anspruchsvoll. Und der Wettbewerb findet schließlich schon in Kürze statt… Sie könnten die Anmeldung noch einmal zurückziehen.«

Er seufzt erleichtert, als wäre er eine große Last losgeworden. Aber als er die bösen Blitze in Mamas Augen sieht, da setzt er schnell hinzu: »Und auf nächstes Jahr verschieben. Hugo wird dann sicher einen Preis gewinnen.«

Mama zieht laut die Luft ein.

»Hugo wird auch dieses Jahr schon gewinnen! Da sind Sie Cellolehrer und haben von Musik keine Ahnung. Sie müssen doch sehen, was für ein Talent das Kind hat!«, ruft sie.

»Ich sehe es ja!«, antwortet Herr Melle verzweifelt. »Aber ich höre es nicht«, murmelt er dann ganz leise in seinen Bart. Das ist natürlich nicht für unsere Ohren gedacht. Ich bekomme es trotzdem mit, weil er ja immer noch auf meinem Schoß sitzt.

Offensichtlich hat Mama seinen Kommentar nicht verstanden.

Sie faucht: »Dann ist ja alles klar. Hugo Hummel wird beim MUT-Wettbewerb am 5. August in Schloss Schönau den Hummelflug von Rimski-Korsakow vorspielen. Und jetzt möchte ich von Ihnen zu diesem Thema nichts mehr hören.«

Ich erinnere sie vorsichtig an Flöhchen. Mama schlägt sich mit der Hand an die Stirn.

»Herrjeh, du hast recht. Pack schnell zusammen! Flöhchen wird uns die Hölle heiß machen, wenn wir zu spät kommen.«

Ich krieche unter Herrn Melle heraus und schraube den Stachel von meinem Cello. Mama wippt ungeduldig mit der Zehenspitze. Herr Melle sieht mir mit hängenden Schultern zu und nagt dabei unglücklich an seinem Schnauzer. Nachdem ich Instrument und Bogen sorgfältig im Kasten verstaut und meine Noten ins Reißverschlussfach sortiert habe, verabschiedet sich Mama mit einem kühlen Lächeln: »Wir sehen uns, wenn die Schule wieder anfängt, Herr Melle.«

Und schon keuche ich hinter ihr her zu unserem Auto, das sie wie immer im Halteverbot geparkt hat.

2.Kapitel,

indemsichzeigt,dassmanseineLadunggutsichernsollte

Direkt vor unserem BMW treffen wir auf eine Politesse. »Wissen Sie nicht, dass dieses Schild eingeschränktes Halteverbot bedeutet?!«, fragt sie und wedelt mit einem Strafzettel vor Mamas Nase herum.

Mama erwidert: »Meine Wahl ist genau aus diesem Grund auf diesen Parkplatz gefallen, weil ich zum uneingeschränkten Halten sowieso keine Zeit habe!« Dabei reißt sie der Frau einfach den Zettel aus der Hand. Die Politesse lässt es widerstandslos geschehen. So etwas ist ihr sicher noch nie passiert.

Mama knüllt den Strafzettel zu einem Knöllchen, schnippt ihn in einen Blumenkasten, schiebt mich auf den Beifahrer- und das Cello auf den Rücksitz und fährt mit quietschenden Reifen ab. Im Außenspiegel kann ich die Politesse beobachten, die uns mit offenem Mund nachstarrt, als hätte sie gerade zwei nackige Marsmännlein mit blümchenförmigen Bauchnabeln gesehen.

Ich lache in mich hinein. Dann entdecke ich auf der Innenseite der Windschutzscheibe einen Marienkäfer. Das arme Kerlchen findet hier ja gar keine Blattläuse zum Abendessen! Also lasse ich meine Fensterscheibe ein Stück herunter, damit das Käferchen hinausfliegen kann. Aber er will gar nicht raus.

Inzwischen biegt Mama in den Altstadt-Ring ein und zieht direkt auf die linke Spur. Doch genau vor ihr hat der Fahrer eines Twingos dieselbe Idee. Knapp vor der Kühlerhaube unseres X6 drängt er sich in eine Lücke. Mama muss bremsen, sonst würde sie ihm direkt auf sein rostiges Hinterteil fahren.

»Du depperter Hirntoni! Schleich di!«, brüllt sie. Und dann noch etwas, was ich lieber nicht wiederhole, weil man so etwas nicht in Büchern druckt.

Meiner Mama merkt man eigentlich nie an, dass sie aus einem kleinen Dorf kommt. Sie spricht immer höfliches Hochdeutsch. Nur wenn sie sich richtig schlimm ärgert, dann ist das anders.

Der Twingofahrer vor ihr kann ihr Geschimpfe natürlich nicht hören. Darum drückt Mama auf die Hupe. Der Twingo ändert sein Tempo nicht. Ich linse auf die Geschwindigkeitsanzeige. Dass der Twingo sowieso schon knapp 60 und damit schneller als erlaubt fährt, sage ich Mama lieber nicht. Sie kann Besserwisserei gar nicht gut leiden, deswegen redet auch mein Papa nicht so arg viel.

»Warum bekommt in diesem Land eigentlich jeder Dummbatz einen Führerschein?«, regt Mama sich weiter auf und blinkt wild mit der Lichthupe. Jetzt scheint sie der andere Fahrer doch bemerkt zu haben… und verlangsamt auf die zulässigen 50 Stundenkilometer. Anstatt auch zu bremsen, reisst Mama das Lenkrad unerwartet nach rechts und versucht, auf die mittlere Spur auszuweichen. Ich halte mir die Hände vor die Augen und warte auf den Zusammenstoß. Gleich muss es krachen! Direkt neben uns fährt nämlich ein offener Lastwagen, der bis oben Saftkästen geladen hat. Aber nichts geschieht. Ich spüre ein Schlenkern und höre ein Poltern und schließlich gläsernes Klirren. Wie ein Paukenwirbel in einer Symphonie, auf den das zarte Rieseln von Harfen folgt. Eigentlich ganz hübsch. Kurz überlege ich, ob so der Himmel klingt. Doch dann flucht Mama neben mir eine Reihe von höllischen Schimpfworten. Währenddessen bringt sie das Auto zum Stehen. Vorsichtig öffne ich die Augen wieder. Meinem kleinen Marienkäfer geht es gut! Er überquert gemütlich das Armaturenbrett. Aber dann sehe ich mich weiter um und erkenne die Bescherung in ihrem ganzen Ausmaß: Der Lastwagen hat seine gesamte Ladung verloren – vermutlich als er uns ausweichen wollte. Hunderte von zerbrochenen Saftflaschen breiten sich über den Altstadtring. Die nassen Scherben glitzern in der Abendsonne wie ein rotgoldenes Meer. Dazwischen ragen Inselchen aus grünen Plastikkästen heraus. Durch das halb geöffnete Fenster zieht der Duft von reifen Äpfeln. Alle Autos stehen still.

»Alte Falte«, flüstere ich beeindruckt.

»Alles in Ordnung mit dir?«, fragt Mama. Die feine Haut um ihre Nase wirkt wie Wachs. Und die dunklen Ringe unter ihren Augen scheinen noch dunkler. Offensichtlich ist auch sie ordentlich erschrocken. Ich nicke und drehe mich zu meinem Cello um. Der Kasten ist bei der Vollbremsung kaum verrutscht. Ein Glück, dass Mama ihn trotz der ganzen Hektik vorhin gut angeschnallt hat!

Jetzt greift sie seufzend nach ihrer Tasche und kramt das Handy heraus, um die Polizei zu rufen. Dann gibt sie im Schwimmbad Bescheid, dass wir ein bisschen später kämen.

3.Kapitel,

indemnichtnureineArschbombeexplodiert

Statt »ein bisschen später« kommen wir »richtig viel später« ins Schwimmbad. Bis die Polizei alles aufgenommen und festgestellt hat, dass vor allem der Lastwagenfahrer selbst schuld war, weil er seine Ladung nicht ordentlich gesichert hatte, und wir endlich weiterfahren durften, vergingen dann doch zwei Stunden.

Während Mama nun erstaunlicherweise einen Parkschein löst, setze ich meinen Marienkäfer auf einer Buchsbaumhecke aus. Dann melde ich mich schnell bei der Information an. Aus dem Treppenhaus hallt bereits ein wolfsähnliches Jaulen. Mir schwant Übles. Mit dem Besucherausweis in der rechten Hand jogge ich die Stufen hinunter. Links halte ich mich am Geländer fest, um nicht zu stolpern. Auf dem ersten Absatz höre ich hinter mir das Klackern von Mamas Stöckelschuhen, das immer lauter wird. Es ist mir wirklich ein Rätsel, wie man in so hohen Schuhen so schnell laufen kann! Ich gebe es nur ungern zu, aber bei Wettrennen gewinnt meine Mutter immer noch gegen mich, obwohl ich jetzt schon zehn Jahre alt bin. Auf dem zweiten Treppenabsatz holt Mama mich tatsächlich ein. Beim dritten hängt sie mich sogar ab. Das Klappern verhallt – wahrscheinlich hat Mama wie vorgeschrieben ihre Schuhe in der Umkleide abgestellt. Plötzlich verstummt auch das Wolfsgeheul. Aber dann gellt ein Schrei durch die dampfige Stille.