Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Mit dem Bergpfarrer hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Die Romanserie läuft seit über 13 Jahren, hat sich in ihren Themen stets weiterentwickelt und ist interessant für Jung und Alt! Toni Waidacher versteht es meisterhaft, die Welt um seinen Bergpfarrer herum lebendig, eben lebenswirklich zu gestalten. Er vermittelt heimatliche Gefühle, Sinn, Orientierung, Bodenständigkeit. Zugleich ist er ein Genie der Vielseitigkeit, wovon seine bereits weit über 400 Romane zeugen. Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert. Der volle Mond stand am wolkenlosen Himmel und tauchte den alten, halbverfallenen Bauernhof in ein gespenstisches, silbernes Licht. Stumm näherten sich die beiden Männer dem Grundstück. »Kannst du was seh'n?«, fragte Max. »Also, ich seh' jedenfalls nix.« »Ich auch net«, antwortete Sebastian. »Ich fürcht', wir sind völlig umsonst hergekommen. Du weißt ja, das die Leut' sich alles Mögliche zusammenreimen.« Der nächtliche Ausflug des Bergpfarrers und seines Bruders hatte einen besonderen Grund. »Auf dem Wendlerhof spukt es!« »Der Hof ist verhext!« »Der Geist vom Gottfried geht um! Er find't keine Ruh', weil er sich net mit dem Alfred ausgesöhnt hat!« So und so ähnlich lauteten die Gerüchte, die seit einiger Zeit in St. Johann die Runde machten. Wer sie in die Welt gesetzt hatte, wusste niemand mehr zu sagen. Wer sie weitertrug war indes kein Geheimnis: Maria Erbling, die Witwe des letzten Poststellenleiters und gefürchtete Klatschtante des Ortes, tat alles, damit sich die gruselige Geschichte vom Spuk auf dem Wendlerhof herumsprach. Maria ging der Ruf voraus, dass sie nichts für sich behalten konnte. Wollte man, dass sich etwas schnell herumsprach, dann musste man es ihr nur unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertrauen und konnte sicher sein, dass sich das »Geheimnis«
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 116
Veröffentlichungsjahr: 2020
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Der volle Mond stand am wolkenlosen Himmel und tauchte den alten, halbverfallenen Bauernhof in ein gespenstisches, silbernes Licht. Stumm näherten sich die beiden Männer dem Grundstück.
»Kannst du was seh’n?«, fragte Max. »Also, ich seh’ jedenfalls nix.«
»Ich auch net«, antwortete Sebastian. »Ich fürcht’, wir sind völlig umsonst hergekommen. Du weißt ja, das die Leut’ sich alles Mögliche zusammenreimen.«
Der nächtliche Ausflug des Bergpfarrers und seines Bruders hatte einen besonderen Grund.
»Auf dem Wendlerhof spukt es!«
»Der Hof ist verhext!«
»Der Geist vom Gottfried geht um! Er find’t keine Ruh’, weil er sich net mit dem Alfred ausgesöhnt hat!«
So und so ähnlich lauteten die Gerüchte, die seit einiger Zeit in St. Johann die Runde machten. Wer sie in die Welt gesetzt hatte, wusste niemand mehr zu sagen. Wer sie weitertrug war indes kein Geheimnis: Maria Erbling, die Witwe des letzten Poststellenleiters und gefürchtete Klatschtante des Ortes, tat alles, damit sich die gruselige Geschichte vom Spuk auf dem Wendlerhof herumsprach.
Maria ging der Ruf voraus, dass sie nichts für sich behalten konnte. Wollte man, dass sich etwas schnell herumsprach, dann musste man es ihr nur unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertrauen und konnte sicher sein, dass sich das »Geheimnis« wie ein Lauffeuer verbreitete.
Und Maria stand mit ihren Geschichten nicht alleine da: Alois Brandhuber, der selbsternannte Wunderheiler von St. Johann, heizte die Gerüchteküche kräftig mit an. Der alte Kauz hauste in einer alten Hütte, am Rande des Dorfes, und verdiente sich seinen Lebensunterhalt, indem er den Leuten, Einheimischen wie Urlaubern, seine obskuren Kräutermischungen, Tees und Salben für teures Geld verkaufte.
Pfarrer Trenker hatte es längst aufgegeben, auf die Dummheit der Leute hinzuweisen, die ihre »Medizin« beim Brandhuber-Loisl kauften. Dass das Zeug nicht half, hatten der Geistliche und Toni Wiesinger, der Dorfarzt, längst herausgefunden, glücklicherweise schadete es auch nicht.
Höchstens, wenn Loisls »Patienten« sich einzig auf dessen Ratschläge verließen und nicht zu einem richtigen Arzt gingen.
Nachdem das Gerücht aufgekommen war, auf dem Wendlerhof spuke es, hatte der »Wunderheiler« kräftig in dasselbe Horn geblasen. Jetzt bot er nicht nur seine Heilkünste an, sondern auch Geisterbeschwörungen und Horoskope. Hatte der Bergpfarrer diesen Unsinn bisher mit einer Handbewegung abgetan, so drohte seiner Meinung nach St. Johann ein Chaos, wenn sich dieser angebliche Spuk weiter herumsprach. Denn schon einmal war der Brandhuber schuld daran gewesen, dass Zigtausende wegen einer angeblichen Engelserscheinung das Wachnertal überfluteten und St. Johann heimsuchten.
Freilich steckte hinter dem angeblichen »Wunder vom Wendelstein« niemand anderer, als Loisl Brandhuber selbst!
»Da!«
Max hatte seinen Bruder angestoßen. Der junge Polizist deutete zum ehemaligen Wohnhaus. Längst waren Fenster und Türen zerstört, die Schindeln hatten Regen und Sturm abgedeckt. Im Schein des Mondes ragten die Balken des Dachstuhls wie die abgebrochenen Zähne eines Ungeheuers in den Nachthimmel.
»Siehst du?«, rief Max unterdrückt. »Die Fenster im ersten Stock, rechts über der Haustür.«
Der Bergpfarrer blickte genauer hin und sah es auch.
Die anderen Fenster waren nichts weiter als dunkle Löcher, durch die der Wind ins Haus pfiff, jene aber, auf die Max hingewiesen hatten, leuchteten mit einem Mal in einem unheimlichen grünen Licht. Es sprang den Betrachter geradezu an, huschte in den Hintergrund des Raumes und kam gleich darauf wieder nach vorne geschossen.
Gerade so, als würde jemand eine Lampe schwenken.
»Los, komm!«, rief Sebastian Trenker. »Den Burschen kaufen wir uns.«
Die beiden Brüder verließen ihre Deckung und rannten über den Hof. Sowohl Sebastian, als auch Max hielt eine Taschenlampe in den Händen. Sie ließen die Lampen aufleuchten. Die Haustür – besser gesagt das, was davon übrig war – hing in den Angeln. Der Polizist stieß die Reste beiseite. Sie standen in der ehemaligen Diele, rechts ging es in die Küche, links ins Wohnzimmer, geradeaus führte eine Treppe nach oben. Die morschen Stufen knarrten verdächtig, als Sebastian und sein Bruder hinaufeilten. Von oben war immer noch ein schwacher Schein zu sehen. Max wandte sich nach rechts, Sebastian folgte ihm. Den muffigen Geruch, der überall herrschte, hatten sie kaum wahrgenommen. Ebenso wenig die Spinnen und Mäuse, die erschreckt davonliefen, als sie in ihrer Nachtstille gestört wurden.
Die Brüder sahen sich kurz an, nickten sich im Schein ihrer Lampen zu und stürzten in den Raum über der Küche.
»Polizei!«, rief Max und leuchtete den Raum ab.
Das grüne Licht war erloschen. Sie ließen den Schein der Lampen durch das ganze Zimmer gleiten. Teile der Decke waren heruntergestürzt und lagen am Boden, ein altes, halbverfallenes Bett gammelte in einer Ecke vor sich hin, ein Kleiderschrank teilte das Schicksal auf der anderen Seite.
»Nix!«, sagte Max enttäuscht.
Sebastian ging zu dem Kleiderschrank, zog die herunterhängende Tür zur Seite und leuchtete hinein.
Außer ein paar Spinnweben enthielt der Schrank nichts weiter.
»Ich fürcht’, wir haben den Geist vertrieben«, bemerkte der Bergpfarrer. »Schad’! Ich hätt’ zu gern’ seine Bekanntschaft gemacht.«
Max Trenker grinste.
»Man könnt’ fast denken, du glaubst an diesen Mummenschanz.«
Sie sahen in den anderen Räumen nach, aber außer Staub und Ungeziefer fanden sie nichts von Bedeutung. Vorsichtig stiegen sie die Treppe wieder hinunter und kontrollierten das Erdgeschoss. Überall bot ihnen sich dasselbe Bild. Der Verfall des Bauernhauses setzte sich in jedem Raum, den sie betraten fort.
Doch von einem Geist fand sich keine Spur …
*
»Es ist ein Jammer!«, sagte Sebastian, als sie in der Küche des Pfarrhauses saßen.
Weder auf dem Weg zum Versteck, wo sie das Auto gelassen hatten, noch auf der Straße nach St. Johann war ihnen eine Menschenseele begegnet, geschweige denn eine Spukgestalt. Im Pfarrhaus angekommen, hatten sie sich in die Küche gesetzt und über die Fürsorge der Haushälterin gefreut, die ihnen eine Thermoskanne mit heißem Kaffee und einen Teller mit belegten Broten bereitgestellt hatte.
»Geradezu eine Schand’ ist es, dass der Hof so verkommt!«, setzte der Geistliche nachdrücklich hinzu. »Aber da kann man reden, was man will, unser Herr Bürgermeister hat nix Bess’res zu tun, als vor Patricia Vangaalen einen Bückling zur Eröffnung ihrer Bank zu machen!«
Jene erwähnte Bank war, neben dem angeblichen Spuk auf dem Wendlerhof, ein weiteres Ärgernis, das den guten Hirten von St. Johann beschäftigte. Seit Kurzem gab es nämlich im Dorf die »Privatbank Vangaalen«, und das, nachdem Patricia Vangaalen vor noch nicht allzu langer Zeit von der deutschen Justiz auf der ganzen Welt gesucht wurde.
»Gibt’s denn überhaupt niemanden, der Anspruch auf den Hof hat?«, fragte Max.
Sebastian zuckte die Schultern.
»Mir ist niemand bekannt. Gotthilf Wendler hatte keine Familie, so weit bekannt ist«, antwortete er. »Und über seinen Bruder weiß man net, wo er abgeblieben ist. Ich kenn’ die ganze Geschichte ohnehin nur vom Hörensagen. Als die beiden Brüder noch auf dem Hof zusammenlebten, war ich grad auf dem Priesterseminar. Was da zwischen ihnen gewesen ist, weiß wohl niemand so genau. Jedenfalls war Gotthilf schon verstorben als ich nach St. Johann zurückkehrte und mein Amt als Seelsorger antrat.«
»Trotzdem möcht’ ich wissen, was hinter diesem angeblichen Spuk steckt«, sagte Max. »Wieso taucht der Geist grad jetzt auf?«
»Was immer der Grund ist, ein Gespenst steckt da jedenfalls net dahinter.«
»Und dieses merkwürdige Licht?«, fragte der Polizist und zuckte die Schultern. »Ich weiß net, was ich davon halten soll. Geseh’n haben wir es beide. Selbst als wir die Stiege hoch sind, war es noch da. Und plötzlich ist’s verschwunden. Du musst zugeben, dass es schon sehr seltsam ist. Ich hab’ jedenfalls keine Erklärung dafür.«
Sebastian schürzte die Lippe.
»Irgendeine Erklärung gibt’s immer«, entgegnete er. »Man muss nur drauf kommen.«
Max unterdrückte ein Gähnen und schaute auf die Uhr.
»In ein paar Stunden ist die Nacht vorbei«, bemerkte er. »Zeit, schlafen zu gehen.«
Der Geistliche brachte seinen Bruder zur Tür und verabschiedete ihn. Zurück in der Küche, schenkte sich Sebastian noch einen Kaffee ein und saß nachdenklich auf seinem Stuhl.
Was immer hinter diesem »Spuk« stecken mochte – er würde es herausfinden! Und gleich morgen – nein, heute – damit anfangen!
Es waren nur ein paar wenige Stunden Schlaf, nach denen Sebastian schon wieder auf den Beinen war. Gleich nach dem Frühstück ging er zur Kirche hinüber. Wenn er etwas über Gotthilf Wendler und dessen Familie herausfinden wollte, dann waren die Kirchenbücher der beste Anfang. In ihnen wurde seit Jahrhunderten alles niedergeschrieben, was von Wichtigkeit war. Geburten, Taufen, Hochzeiten und Todesfälle waren akribisch aufgeführt. Aber die Folianten enthielten auch Berichte über das, was sich im Laufe der Zeit im Wachnertal zugetragen hatte. Pest und Hungersnöte standen ebenso darin, wie marodierende Räuberbanden, Ereignisse bis zurück zum dreißigjährigen Krieg, Feuersbrünste und Missernten. Für den Bergpfarrer waren die Kirchenbücher ein unerschöpflicher Quell wertvoller Informationen. Oft saß er stundenlang in der Sakristei und vertiefte sich darin.
Doch diesmal stellte er sie enttäuscht zurück ins Regal. Außer den Eintragungen über die Hochzeit von Joseph Wendler mit der Bauerntochter Margarete Brunner, und später die Geburten der beiden Söhne, zuerst Alfred, zwei Jahre später Gotthilf, fand Sebastian nichts, was ihm hätte weiterhelfen können. Sein Vorgänger als Pfarrer in St. Johann hatte zwar auch die Sterbefälle in der Familie Wendler festgehalten, über das, was aus Alfred geworden war, gab es indes keinen Hinweis.
Es war ein recht mageres Wissen, mit dem sich der Geistliche auf den Weg ins Rathaus machte.
Resl Mayerling, die Sekretärin des Bürgermeisters, lächelte, als Sebastian ihr Büro betrat.
»Ist er denn schon da?«, fragte der Bergpfarrer, nach der Begrüßung.
Die junge Frau nickte.
»Gehen S’ nur hinein«, schmunzelte sie. »Er wird sich freu’n, Sie zu seh’n.«
»Gewiss net!«, entgegnete der gute Hirte von St. Johann und drückte die Klinke herunter.
»Grüß Gott, Hochwürden«, sagte Markus Bruckner zu Sebastians Erstaunen gut gelaunt. »Immer herein mit Ihnen. Nehmen S’ Platz.«
Er deutete auf einen Stuhl vor seinem Schreibtisch.
Der Geistliche setzte sich.
»Nun, was führt Sie zu mir?«, erkundigte sich der Bürgermeister leutselig.
»Ich würd’ gern’ erfahren, was du in der Angelegenheit Wendlerhof zu tun gedenkst?«, entgegnete Sebastian und sah sein Gegenüber dabei genau an.
Täuschte er sich, oder war der Bürgermeister bei der Erwähnung des Namens zusammengezuckt?
Falls ja, hatte Bruckner sich gut in der Gewalt. Er setzte eine gleichmütige Miene auf und zuckte die Schultern.
»Wovon reden S’ denn bitt’ schön?«, wollte er wissen. »Ich weiß von keiner Angelegenheit Wendlerhof.«
»Dann ist dir wohl auch noch net zu Ohren gekommen, dass die Leut’ über nix Andres mehr reden, als über das Schauermärchen vom Spuk auf dem Hof?«
Der Bürgermeister winkte ab.
»Ach das. Sie wissen doch, wie die Leut’ sind. Heut’ ist das ein großes Thema, morgen was Andres. Ich dacht’, Sie geben nix auf derlei Geschwätz?«
»Normalerweise net. Aber allmählich nimmt das Treiben von der Maria Erbling und dem Brandhuber Ausmaße an, dass wir ganz schnell wieder zu den Zuständen kommen, wie wir sie seinerzeit hatten, als die Geschichte vom ›Wunder am Wendelstein‹ kolportiert wurde. Das kannst’ ja wohl net ernsthaft wollen.«
Markus Bruckner wiegte den Kopf hin und her.
»So weit wird’s net kommen«, sagte er. »Wenn erst einmal der neue Besitzer vom Wendlerhof da ist …«
Sebastian wurde hellhörig.
»Ein neuer Besitzer? Soll das heißen, der Hof ist verkauft? Wenn ja, von wem und an wen? Wer kann den Hof denn überhaupt verkaufen? Wer ist denn der jetzige Besitzer?«
Der Bürgermeister hob die Hand.
»Gemach, gemach«, antwortete er. »Von verkaufen kann gar keine Rede sein. Der Erbe hat sich, soviel ich weiß, beim Nachlassgericht gemeldet und Anspruch auf den Hof erhoben.«
Der Bergpfarrer stutzte.
»Was für ein Erbe? Ich denk’, aus der Familie Wendler gibt’s keine Nachkommenschaft?«
Bruckner wand sich, als wäre es ihm unangenehm, die Frage zu beantworten.
»Na ja, ein Verwandter vom Gotthilf ist es ja auch gar net«, bequemte er sich endlich, zu erklären. »Es handelt sich um einen ehemaligen Knecht. Kilian Brunner heißt der Mann.«
Brunner?
Die Mutter von Gotthilf und Alfred war eine geborene Brunner.
Ob da ein Zusammenhang bestand?
»Was weißt’ denn Genaueres über den Mann?«, fragte Sebastian den Bürgermeister.
Der schüttelte den Kopf.
»Eigentlich weiß ich gar nix über ihn«, erklärte er. »Ich hab’s selbst nur vom Hirschler, der war zufällig auf dem Gericht, als ein Mann ihn ansprach…«
Ludwig Hirschler, ein Rechtsanwalt aus St. Johann, hatte einen Termin beim Nachlassgericht in der Kreisstadt gehabt. Gerade als er aus der Tür wollte, sprach ihn ein Mann an und erkundigte sich, wo er wohl einen Anspruch geltend machen könne. Der Anwalt kam mit ihm ins Gespräch. Wie sich herausstellte, hieß der Mann Kilian Brunner und hatte lange Jahre als Knecht auf dem Wendlerhof gearbeitet, der seit dem Tode des Bauern verwaist war. Erst jetzt habe ihn der Nachlasspfleger ausfindig machen können, da er lange Jahre im Bayerischen Wald gelebt hätte. Nun aber sei er in die alte Heimat zurückgekommen, um den Hof, den Gotthilf ihm vermacht hatte, zu übernehmen.
»Der Ludwig hat ihm zwar gesagt, dass der Hof in einem elenden Zustand ist, und er wohl ein kleines Vermögen hineinstecken müsst, um ihn wieder zu einem florierenden Betrieb zu machen, aber das hat den Mann net beeindruckt. Am Geld soll’s net liegen, hat er gemeint.«
Sebastian nickte. Das klang alles sehr plausibel.
Warum sollte der alte Bauer seinem Knecht nicht den Hof vermachen, wenn er selbst keine Angehörigen hatte?
Andererseits – hatte Gotthilf Wendler denn Beweise dafür, dass sein Bruder Alfred schon damals nicht mehr lebte? Und selbst wenn es so war, gab es aus dieser Linie tatsächlich keine Nachkommen?
Sebastian Trenker war viel zu neugierig, um diese Fragen unbeantwortet zu lassen. Wenn es einen Sohn oder Enkel Alfred Wendlers gab, dann hatte dieser Anspruch auf das Erbe, und er, der Bergpfarrer, würde dafür sorgen, dass dieser Anspruch auch durchgesetzt würde. Doch dazu musste er erst einmal herausfinden, was aus Alfred Wendler geworden war.
Mit höflichem Dank für die Auskünfte, verabschiedete sich Sebastian vom Bürgermeister.
Kurz nachdem der Geistliche die Amtsstube verlassen hatte, griff Markus Bruckner zum Telefon. Es dauert eine ganze Weile, ehe am anderen Ende abgehoben wurde.
»Hildebrandt?«
»Bruckner hier, grüß Gott, Herr Doktor«, sagte der Bürgermeister, »ich hatte grad Besuch. Dreimal dürfen S’ raten von wem…«
»Und hat er’s geschluckt?«, wollte Andreas Hildebrandt wissen.