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Es hätte ein so schöner Sonntag werden können. Doch stattdessen wird Kriminalkommissar Enno Frowein nach einem feuchtfröhlichen Abend von seiner neuen Partnerin Hedda Wunderlich früh am Morgen unsanft aus dem Schlaf gerissen. Ein Schlauchbootfahrer hat eine tote Frau im Uferschilf der Nordsee entdeckt und es stellt sich heraus, dass diese Opfer eines Verbrechens wurde. Nun sind Froweins und Wunderlichs Ermittlungskünste gefragt und es gilt, die Tat in Windeseile aufzuklären. Ein Verdächtiger ist schnell gefunden, aber im trügerischen Gewässer der Nordsee und ihren Gezeiten tauchen düstere Geheimnisse und weitere suspekte Personen auf, die Hedda und Enno daran zweifeln lassen, ob dieser der wahre Täter ist. Gegenwind bekommen sie von Kripochef Harmsen, der den Fall am liebsten gleich zu den Akten legen möchte. Doch damit noch nicht genug. Zu Ennos Leidwesen verdingen sich seine Mutter Frida und ihr Freund Helge Schlicker erneut als Hobbydetektive und fördern dabei Überraschendes zutage. Können Frowein und Wunderlich diesen undurchsichtigen Fall im unruhigen Fahrwasser der Nordsee in einen sicheren Hafen steuern? Wer findet am Ende das entscheidende Sandkorn im Watt, um den Mord aufzuklären? Und wie viele Fischbrötchen müssen verspeist werden, bis der Mörder endlich im Netz landet und anschließend in einer Zelle vor Anker geht? Spannung zum Miträtseln garantiert! Begleiten Sie die sympathischen Kommissare Enno Frowein und Hedda Wunderlich bei ihrem zweiten Kriminalfall vor der malerischen Kulisse der Nordseeküste!
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Mörderisches Friesland
Über den Autor
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
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Nachwort
Weitere Bücher
Leseprobe: Mörderisches Friesland, Band 1
Ein Nordseekrimi
von
CHRIS KARLDEN
Mörderisches Friesland – Die Tote im Schilf
Copyright © 2025 by Chris Karlden
Alle Rechte vorbehalten
Umschlaggestaltung: https://buchcover.design
Korrektorat und Lektorat: Heidemarie Rabe,
E-Mail: [email protected]
Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jedwede Verwendung des Werkes darf nur mit schriftlicher Genehmigung des Autors erfolgen. Dies betrifft insbesondere die Vervielfältigung, Verbreitung und Übersetzung. Dies ist ein fiktiver Roman. Die Figuren und Ereignisse darin sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit echten Personen, lebend oder tot, wäre zufällig und nicht beabsichtigt.
Es hätte ein so schöner Sonntag werden können. Doch stattdessen wird Kriminalkommissar Enno Frowein nach einem feuchtfröhlichen Abend von seiner neuen Partnerin Hedda Wunderlich früh am Morgen unsanft aus dem Schlaf gerissen. Ein Schlauchbootfahrer hat eine tote Frau im Uferschilf der Nordsee entdeckt und es stellt sich heraus, dass diese Opfer eines Verbrechens wurde. Nun sind Froweins und Wunderlichs Ermittlungskünste gefragt und es gilt, die Tat in Windeseile aufzuklären. Ein Verdächtiger ist schnell gefunden, aber im trügerischen Gewässer der Nordsee und ihren Gezeiten tauchen düstere Geheimnisse und weitere suspekte Personen auf, die Hedda und Enno daran zweifeln lassen, ob dieser der wahre Täter ist. Gegenwind bekommen sie von Kripochef Harmsen, der den Fall am liebsten gleich zu den Akten legen möchte. Doch damit noch nicht genug. Zu Ennos Leidwesen verdingen sich seine Mutter Frida und ihr Freund Helge Schlicker erneut als Hobbydetektive und fördern dabei Überraschendes zutage.
Können Frowein und Wunderlich diesen undurchsichtigen Fall im unruhigen Fahrwasser der Nordsee in einen sicheren Hafen steuern?
Wer findet am Ende das entscheidende Sandkorn im Watt, um den Mord aufzuklären?
Und wie viele Fischbrötchen müssen verspeist werden, bis der Mörder endlich im Netz landet und anschließend in einer Zelle vor Anker geht?
Spannung zum Miträtseln garantiert! Begleiten Sie die Kommissare Enno Frowein und Hedda Wunderlich bei ihrem zweiten Kriminalfall vor der malerischen Kulisse der Nordseeküste!
Chris Karlden, geb. 1971, studierte Rechtswissenschaften. Seine Bücher steigen regelmäßig auf Spitzenpositionen in den Bestsellerlisten und begeistern Hunderttausende Leser. Insbesondere seine Thriller-Reihe um die Kommissare Adrian Speer und Robert Bogner erfreut sich einer immer größer werdenden Anhängerschaft.
Die Tote im Schilf ist der zweite Band seiner neuen Nordsee-Krimireihe Mörderisches Friesland.
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Für Sanni und Bernd,
die ich im Urlaub in Hooksiel kennenlernen durfte und die schnell zu lieben Freunden wurden.
Paula West stapfte aufgebracht aus dem Festzelt, in dem der örtliche Musikverein Nordsee anlässlich seines achtzigjährigen Gründungsjubiläums ein internationales Blaskapellen-Festival ausrichtete. Als Veranstaltungsort diente eine große Wiese vor dem Deich. In Gedanken war Paula noch bei dem unschönen Aufeinandertreffen mit ihrem Ex-Freund, das sich gerade im Zelt abgespielt hatte. Beim Rausgehen war sie daher völlig durch den Wind und um ein Haar wäre sie mit einer Gruppe von Leuten zusammengestoßen, die hineinwollten.
Draußen blieb Paula stehen, atmete durch und sah sich kurz um. Da es auf dem Gelände keine Platzanweiser gab, standen die Autos der Besucher kreuz und quer auf der Wiese und vor den wenigen Dixi Klos bildeten sich lange Warteschlangen.
Ohne dass sie etwas dagegen tun konnte, kamen ihr plötzlich die Tränen und rannen über ihre Wangen. Schluchzend wischte sie diese mit dem Handrücken weg und ging in Richtung Meer auf den Deich zu.
Sie war so schrecklich wütend auf Philip, dass er ihr den Abend verdorben hatte, und die Vorhaltungen, die er ihr ungeachtet der Menschen um sie herum gemacht hatte, waren ihr zudem peinlich.
Schnellen Schrittes überquerte sie die schmale Straße, die an der Festzeltwiese entlangführte und stakste den Hang des Deiches hinauf. Auf dem Kamm stoppte sie und starrte auf das spiegelglatte Wattenmeer. Sie konnte unmöglich zurück ins Zelt. Schließlich war Philip noch dort und sie hatte das Gefühl, dass dann alle Augen auf sie gerichtet sein würden.
Nur schade, dass ihre beiden Freundinnen, die sie erst seit ein paar Wochen kannte und mit denen sie hierhergekommen war, es nicht für nötig hielten, nach ihr zu sehen. Aber vielleicht dachten die beiden auch, dass sie jetzt lieber für sich allein wäre.
Ein leichter Windzug umwehte ihr schulterlanges dunkles Haar und sie atmete die salzige Nordseeluft tief durch die Nase ein und durch den Mund wieder aus. Während sie den Vorgang ein paar Mal wiederholte, normalisierte sich ihr Puls langsam wieder.
Philip war wie aus dem Nichts sturzbetrunken zu ihrem Tisch gekommen und hatte ihr lautstark Vorwürfe gemacht, weil sie sich von ihm getrennt hatte.
Das war vor drei Wochen geschehen und er war ganz offenkundig noch immer nicht dazu bereit, ihre Entscheidung zu akzeptieren. Dabei hatte er es sich selbst zuzuschreiben, dass sie die Beziehung beendet hatte.
Sie hatten sich an der Uni kennengelernt und waren irgendwann ein Paar geworden. Mehrfach hatte sie ihn seitdem in Bars und auf Studentenpartys beim Fremdflirten erwischt. Wenn sie ihn zur Rede stellte, hatte er sein Fehlverhalten stets abgetan und es sogar als sein gutes Recht angesehen, auch mit anderen Frauen sprechen zu dürfen. Dabei hatte sie dagegen gar nichts einzuwenden, solange er den anderen Mädchen keine eindeutigen Signale sendete, dass er sie anziehend fand.
Von Beginn an hatte Philip sie zudem von oben herab behandelt, als ob er etwas Besseres sei, und sie hatte sich oft gefragt, ob er der Richtige für sie war. Dem ein Ende zu setzen und ihn zu verlassen, hatte sie aber nie wirklich in Erwägung gezogen.
Jetzt war sie froh, dass sie noch nicht mit ihm in eine Wohnung gezogen war. Denn sie hatte sich vor vier Wochen in einen anderen Mann verliebt und sich daraufhin sofort von Philip getrennt.
Sie war sich sicher, dass er sie ohnehin nicht liebte. Er wollte sie nur wegen seines Egos zurück, weil er nicht ertragen konnte, dass eine Frau sich von ihm abwandte. Sein Spruch von eben schoss Paula durch den Kopf: Sie könne sich nicht von ihm trennen, schließlich habe sie ihm so viel zu verdanken. Nach dieser Aussage war ihr die Zornesröte ins Gesicht gestiegen, und wenn nicht so viele Leute um sie herum gewesen wären, hätte sie ihn ordentlich deswegen heruntergeputzt. Aber so hatte sie ihren Ärger runtergeschluckt. Als ob der Praktikumsplatz, den Philip ihr vermittelt hatte, Grund genug wäre, eine desolate Liebesbeziehung aufrechtzuerhalten.
Dann hatte er auch noch an ihr rumgetatscht. Sie war zurückgewichen und er hatte ihr T-Shirt einfach nicht losgelassen. Nun hing es völlig ausgeleiert wie ein alter Putzlappen an ihr herunter.
Schließlich waren ihre Freundinnen eingeschritten und sie war den Tränen nahe aus dem Festzelt gerauscht.
»Paula!«
Erschrocken drehte sie sich um. Philip war ihr gefolgt und stolperte den Damm herauf.
»Hau ab!«, rief sie ihm zu.
»Du hättest nicht mit mir Schluss machen dürfen«, brüllte er lallend. »Wir gehören doch zusammen!« Er stolperte, fiel auf die Knie und rappelte sich wieder auf.
Einmal, als Philip auf einer Party so betrunken wie heute gewesen war und mit einer anderen Kommilitonin anbandelte, hatte sie ihm, um ihm eins auszuwischen, das Lügenmärchen erzählt, dass sie mit einem seiner Freunde geknutscht hätte. Er hatte sie unvermittelt geohrfeigt. Später hatte er seine Übergriffigkeit auf den Alkohol zurückgeführt und sie zur Entschuldigung zum Essen in ein teures Restaurant eingeladen. Sie hatte damals noch einmal Gnade vor Recht ergehen lassen und seine Entschuldigung angenommen. Nun bereute sie das zutiefst, und dass er ihr jetzt nachgefolgt war, jagte ihr eine Heidenangst ein.
Schnell flüchtete sie hinunter auf den Fahrradweg, der am Nordseestrand entlangführte. Als sie sich umblickte, sah sie Philip oben auf dem Damm stehen, genau an der Stelle, wo sie sich eben noch befunden hatte.
»Verschwinde! Schlaf deinen Rausch aus und lass mich in Ruhe!«, schrie Paula.
Statt ihrer Aufforderung nachzukommen, kam Philip auf sie zu.
Paula sah sich panisch um. In welche Richtung sollte sie jetzt am besten weglaufen? Doch als sie wieder zu ihrem Ex-Freund hinaufsah, war dieser stehen geblieben. Seine Augen hafteten noch einen langen Moment an Paula, als ob er unschlüssig wäre, was er als Nächstes tun sollte. Dann machte er kehrt und entfernte sich über den Kamm des Dammes Richtung Festzelt. Paula hielt den Atem an, bis er ganz aus ihrem Sichtfeld verschwunden war.
Unschlüssig blieb sie aber noch an Ort und Stelle stehen. Sollten ihre eindringlichen Worte doch Wirkung bei ihrem Ex-Freund gezeigt haben? Und hatte er es tatsächlich aufgegeben, ihr nachzusteigen, oder würde er ihr auflauern, wenn sie den gleichen Weg zurücknahm und zu ihrem Wagen ging?
Plötzlich erschien eine Frau auf dem Damm. Sie war schlank und hatte lange Haare, die zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden waren.
Als sie oben war, sah sie zu Paula und stemmte die Hände in die Hüften. »Du kannst wieder raufkommen! Er ist zurück ins Zelt getorkelt!«
Die Frau war ebenfalls auf dem Fest gewesen und Paula atmete erleichtert aus.
Nun zog lautes Gejohle Paulas Aufmerksamkeit auf sich und sie wandte den Kopf in die Richtung, aus der es kam. Wenige Hundert Meter entfernt näherte sich ein Radfahrer, der lauthals ein Lied sang. Es war der Song, ‚Heute ist ein guter Tag‘, von Lea und Max Raabe. Allerdings trällerte der Radfahrer das Stück nicht wie im Original mit hoher Stimme, sondern rau und dunkel, sodass der Song eher an eine Nummer von Rammstein erinnerte.
Konsterniert wandte sich Paula ab und begab sich schnell den Damm hinauf, wo die Frau mit zusammengezogener Stirn ihren Blick auf den Radfahrer richtete. »Heute scheinen jede Menge Verrückte unterwegs zu sein.«
»Das könnte am nahen Vollmond liegen«, scherzte Paula, als sie oben bei ihr ankam. »Die Auswirkungen auf das menschliche Verhalten sind noch viel zu wenig erforscht.«
»Kann sein«, lachte die Frau. »Ich bin kurz nach dir aus dem Zelt gegangen. Den Streit, den du mit dem Typen hattest, habe ich drinnen aus den Augenwinkeln mitbekommen.«
Der Biker fuhr jetzt direkt unterhalb von ihnen auf dem Weg und grüßte sie vergnügt: »Moin, die Damen«. Dann sang er, ohne einen Ton zu treffen, ungeniert laut weiter und radelte, heftig in die Pedale tretend, an ihnen vorbei.
Beide Frauen blickten ihm kurz schweigend hinterher, ließen sein leicht verrückt anmutendes Gebaren aber unkommentiert.
»Wieso hat Philip so plötzlich aufgehört, mir hinterherzulaufen?«, fragte Paula. »Er ist es gewohnt, immer alles zu bekommen, was er möchte, und normalerweise lässt er sich von etwas, das er sich in den Kopf gesetzt hat, nicht so einfach abbringen.«
»Ach, Philip heißt der Unsympath also. Ich habe ihm zugerufen, dass mein Freund Polizist ist, sich im Festzelt befindet und ihn über Nacht in eine Ausnüchterungszelle stecken wird, wenn er dich nicht sofort in Ruhe lässt.«
»Danke«, sagte Paula und lächelte. »Stimmt die Geschichte mit deinem Freund im Zelt?«
»Allerdings. Nur bin ich mir nicht ganz sicher, ob er hier draußen tatsächlich eine Hilfe gewesen wäre. Er knobelt seit Stunden mit ein paar Kumpels und nach jeder Runde gibt es Bier für alle, die der Verlierer bezahlen muss.«
»Verstehe!«, sagte Paula. »Männer eben!«
Die Frau nickte. »Ich bin übrigens Franzi. Ich trete jetzt den Heimweg an, bevor ich mich noch mehr darüber ärgere, dass mein Freund mich wegen dieses blöden Trinkspiels noch länger links liegen lässt. Außerdem dröhnen die Tuba und die Posaune des ungarischen Blasorchesters, das da gerade auf der Bühne musiziert, in meinen Ohren.«
Paula nannte nun ebenfalls ihren Namen. »Ich bin mit dem Auto da. Kann ich dich irgendwohin mitnehmen?«
»Nein danke, mein Fahrrad steht gleich da vorn«, antwortete Franzi und zeigte auf eine Stelle neben dem Zelt. »Ich wohne auch nicht weit entfernt. Wohnst du auch in Hooksiel?«
Gemeinsam begaben sie sich nun den Damm hinunter.
»Nein, also eigentlich doch.«
Franzi lachte. »Na, was denn nun?«
»Ich studiere BWL in Bremerhaven und absolviere in dem Rahmen in dem großen Fischereibetrieb von Philips Cousin zweiten Grades ein sechswöchiges Praktikum. Für diese Zeit habe ich in Hooksiel eine kleine Ferienwohnung gemietet.«
»Wie groß ist denn die Fischerei, dass sich dort ein Praktikum für dich anbietet?«, zeigte Franzi sich interessiert.
»Sehr groß. Die Firma hat eine eigene Fangflotte und verarbeitet den Fisch auch gleich zu Tiefkühlprodukten.«
»Dann hoffe ich, dass das Praktikum dir Spaß macht.«
Paula seufzte. »Nur noch ein paar Tage, dann habe ich es endlich hinter mir. Philip studiert zwar auch in Bremerhaven. Aber an der Uni kann ich ihm besser aus dem Weg gehen als im Betrieb seines Großcousins, wo er mich in den letzten Wochen ständig im Büro aufsucht. Er kann in der Firma praktisch jederzeit ein und aus gehen, wie er will, und ich fühle mich deshalb dort wie in einer Falle. Da zurzeit Semesterferien sind und er im Gegensatz zu mir frei hat, nutzt er das voll aus.«
»Verständlich, dass du es dann schnellstmöglich hinter dich bringen willst.«
»Ja, es ist wirklich schade, dass es jetzt so endet. Anfangs hat es mir richtig gut dort gefallen. Udo Kruse, das ist der Inhaber, hat mir gleich ein eigenes kleines Büro zur Verfügung gestellt und mich in alle Bereiche reinschnuppern lassen. Viele Aufgaben durfte ich nach kurzer Zeit sogar in eigener Verantwortung erledigen.«
Sie erreichten die Stelle, an der eine Menge Fahrräder standen, und Franzi zeigte auf ein Mountainbike. »Das ist meins.«
»Und doch ...« Paula sah betrübt zu Boden und beendete den angefangenen Satz abrupt.
»Was denn?«, fragte Franzi.
»Ach nichts, es ist eben nicht alles Gold, was glänzt«, meinte Paula dann.
»Willst du mir näher erklären, was du damit meinst?«
Paula sah Franzi an und ein kurzes Lächeln überflog ihre Lippen. »Eigentlich nicht. Falscher Zeitpunkt. Aber wenn ich das Praktikum samt Bescheinigung in der Tasche habe, werde ich mir das, was ich dort noch so mitbekommen habe, bei irgendwem von der Seele reden.«
»Wie du meinst«, sagte Franzi.
»Also dann mal auf Wiedersehen und danke nochmals, dass du mich vor Philip gerettet hast.«
»Daar neet för«, winkte Franzi ab und machte sich daran, ihr Fahrradschloss zu öffnen.
Paulas Wagen stand nur etwa zwanzig Meter entfernt. Sie entriegelte das Auto, setzte sich hinters Steuer und seufzte.
Es war erst kurz nach halb zehn. Ein Lichtblick des heutigen Abends stand dankenswerterweise noch bevor. Sie hatte sich mit ihrem neuen Freund für kurz nach zehn ganz in der Nähe am Nordseestrand an seinem Lieblingsbadeplatz verabredet.
Obwohl es dort trotz der Nähe zum offiziellen Nacktbadestrand verboten war, sich im Adamskostüm ins kühle Nass gleiten zu lassen, tat ihr Freund das dennoch regelmäßig an dieser Stelle. Er hatte ihr auch verraten, dass er das nur im Dunklen tue, wenn sich niemand mehr daran stören würde.
Fünf Minuten später fuhr sie auf den Parkplatz vor dem Deich. Niemand außer ihr parkte um diese Uhrzeit noch hier, und die tief hängenden Äste der Bäume und die Sträucher des angrenzenden Waldes, deren Blätter sanft im Wind wogten, wirkten irgendwie beängstigend auf sie. Jetzt war sie froh, dass es nur dämmrig und noch nicht ganz dunkel war.
Sie nahm das zusammengerollte Badetuch vom Beifahrersitz und stieg aus. Ein eulenartiger Laut, der durch die Baumwipfel drang, ließ sie zusammenschrecken. Vermutlich saß ihr einfach noch der Schrecken des Streits mit Philip in den Gliedern. Sie fragte sich, wie weit er gegangen wäre, wenn Franzi nicht gekommen wäre und ihn zurechtgewiesen hätte.
Kurz lauschte sie noch in die Stille, und als sie keinen weiteren Vogellaut oder sonst etwas Ungewöhnliches vernahm, zuckte sie die Schultern. »Jetzt reiß dich mal zusammen, Paula West! Du bist doch sonst nicht so zimperlich!«
Voller Vorfreude auf ihr Date überquerte sie die Straße und stieg die Treppe hinauf, die auf den Deich führte. Oben ließ sie ihren Blick über die herrliche Küstenlandschaft schweifen. In weiter Ferne sah sie das Strandhaus 3, dessen Gastronomie schon geschlossen war. Noch weiter rechts erkannte sie die Silhouetten von ein paar Leuten.
In einer halben Stunde würde die Sonne am Horizont vermutlich schon untergegangen sein. Dann würde der Mond die Umgebung in ein silberblaues Dämmerlicht tauchen. Es herrschte Flut und der Wasserstand in Küstennähe war hoch. Perfekte Bedingungen, um an einem lauen Sommerabend ein kühles Bad zu nehmen.
Paula ging nun die Treppe auf der anderen Seite des Deiches hinunter und flanierte auf dem asphaltierten Weg nach links in Richtung des naturnahen Strandes.
Nach einem kurzen Spaziergang überquerte sie den Grünstreifen und erreichte kurz darauf den Strand, der hier an einem von dichtem grünem Schilf bewachsenen Uferstreifen endete. Das Gewächs reichte einige Meter ins Wasser hinein und auf festem Grund bis zum Radweg vor dem Deich. So war eine natürliche Trennung zwischen den Strandabschnitten und dem wenige Hundert Meter hinter dem Schilfstreifen gelegenen Campingplatz entstanden.
Paula nahm nun ihre Schuhe in die Hand und begab sich barfuß bis zu den Knöcheln ins Wasser. Die Sonne war jetzt fast hinter dem Horizont verschwunden und zauberte Lilafarbtöne zwischen die Schleierwolken des dunkelblauen Himmels.
Paula wich vor den niedrigen und leise anbrandenden Wellen zurück und setzte sich auf ihr Badetuch. Als sie sich an dem Naturschauspiel sattgesehen hatte, war die Sonne untergegangen. Wie sie es angenommen hatte, tauchte nun der Mond die Umgebung in ein schummriges Licht. Paula überlegte, ob sie sich die Wartezeit mit einem vorgezogenen Bad im Meer verkürzen sollte. Schnell verwarf sie den Gedanken wieder. Sie hatten verabredet, gemeinsam im Licht des Mondes schwimmen zu gehen. Dem romantischen Erlebnis wollte sie nicht vorgreifen, und wenn sie jetzt schon ins Wasser gehen würde, wäre ihr kalt, wenn er zu ihr stoßen würde. Plötzlich riss sie ein Geräusch hinter sich aus ihren Gedanken.
Schnell drehte sie sich um. Er war spät. Vermutlich war er das. Vorsichtig sah sie sich um, konnte aber niemanden sehen. Noch einmal erklang das Geräusch. Jetzt identifizierte sie es als ein Rascheln, das aus dem Schilf neben ihr kam. Es war lauter als eben, was bedeutete, dass die Ursache dafür näher gerückt war. Die feinen Härchen auf ihren Unterarmen stellten sich auf.
Vermutlich befand sich irgendein Tier im Schilf. Ein Vogel oder ein Biber? Hätte sie im Biologieunterricht in der Schule besser aufgepasst, hätte sie vielleicht gewusst, welche Artgenossen im Schilf ihr Zuhause hatten. Aber da dem nicht so war, hatte sie nun keine Ahnung, welche nachtaktiven Tiere in Meeresnähe lebten.
Da war es wieder, diesmal ganz in ihrer Nähe. Erschrocken sprang sie auf und entfernte sich rückwärts vom Schilf weg. Gleich darauf wurde das dicht geschlossene Grasgewächs auseinandergedrückt. Aber es war kein Tier, das zwischen den Schilfrohren zum Vorschein kam.
Paulas Augen weiteten sich. Ein Schauder überlief ihren Rücken. Dann trat jemand aus dem Dickicht heraus und kam auf sie zu.
Das Klingeln seines Diensthandys sickerte gedämpft, als ob sein Kopf in Watte gepackt wäre, in Enno Froweins Bewusstsein. Im Halbschlaf hatte er noch kurz geglaubt, von einem bösen Traum heimgesucht zu werden. Doch je länger das nervtötende Gebimmel anhielt, desto klarer wurde ihm: Das war die grausame Realität!
Gleichzeitig begann sich ein stechender Schmerz hinter seiner Stirn zu manifestieren, der mit jedem Klingelton immer schlimmer wurde. Mit geschlossenen Augen grapschte er nach seinem Handy auf dem Nachttisch und verfluchte sich, dass er vor dem Zubettgehen vergessen hatte, den Ton leiser zu stellen.
Als er das lärmende Gerät ertastet hatte, rutschte es ihm aus der Hand und polterte zu Boden. Enno stöhnte auf. Selbst der harte Aufschlag auf dem Parkettboden tat der Bimmelei keinen Abbruch.
Er ließ nun den Arm am Bettrand herunterbaumeln und fischte das noch recht neue Smartphone wieder nach oben. Dann nahm er das Gespräch, ohne auf das Display zu schauen, entgegen und presste sich das Telefon ans Ohr. Gleichzeitig öffnete er den Mund, um dem Anrufer etwas Unflätiges an den Kopf zu werfen, aber leider klebte seine Zunge am Gaumen, sodass er kein Wort herausbrachte und stattdessen in einen kurzen Hustenanfall verfiel.
»Schönen guten Morgen!«, tönte die quietschfidele Stimme seiner hibbeligen Kollegin Hauptkommissarin Hedda Wunderlich in seinen Gehörgang.
Ennos Hals war so trocken wie nach einem Tag in der Wüste ohne Wasser. Zudem fühlte sich seine Kehle so rau an, als hätte sie jemand mit Schmirgelpapier abgerieben.
»Bis du krank?«, fragte Hedda.
Enno räusperte sich. Irgendwie war er das schon. Aber zugeben wollte er es nicht. Schon gar nicht wollte er den Grund für sein Unwohlsein preisgeben. »Das passt schon!«, sagte er daher. »Aber was soll denn das mit dem Anruf zu dieser Unzeit?«
Enno wusste nicht, wie spät es war, aber er nahm an, dass es verdammt früh war.
»Du hörst dich aber gar nicht gut an«, hakte Hedda nach.
»Es ist alles in Ordnung«, beharrte Enno heiser und schluckte seinen Ärger über ihren Anruf hinunter.
Vermutlich hatte sie einen triftigen Grund, ihn aus dem Tiefschlaf zu holen. Falls nicht, konnte er sie immer noch beschimpfen. Außerdem schien jedes Wort, das er sprach, seine Kopfschmerzen nur noch mehr anzufachen, und er war kein Masochist.
»Ach, na dann ist ja gut«, meinte Hedda. »Ist auch besser so.«
Während Hedda sprach, rieb Enno sich den Schlaf aus den Augen und schaute auf den Wecker neben seinem Bett. Es war gerade mal sieben Uhr fünfundvierzig.
»Wir haben nämlich schon wieder einen Todesfall in Hooksiel«, fuhr Hedda fort. »Es handelt sich um eine junge Frau. Ein Schlauchbootfahrer hat ihre Leiche heute Morgen im Schilf beim Nordseestrand treiben sehen. Die Kollegen von der Streife sind schon vor Ort und kümmern sich um das Nötigste. Harmsen meinte, wir sollen uns umgehend dorthin begeben.«
Kriminalrat Bauko Harmsen war Leiter des zentralen Kriminaldienstes der Polizeiinspektion Wilhelmshaven/Friesland. Enno und Hedda waren ihm unterstellt und bearbeiteten die Straftaten, die sich gegen Leib und Leben richteten.
Erst vor wenigen Wochen hatte Harmsen Enno regelrecht genötigt, den Posten seines überraschend verstorbenen Vorgesetzten Horst Kirschner zu übernehmen. Hedda, die zu der Zeit vom Landeskriminalamt Saarbrücken zur Kripo nach Wilhelmshaven gewechselt war, hatte Harmsen ihm kurzerhand als neue Partnerin zugeschustert.
Neben Enno und Hedda gab es mit Gerfried Silbermann und Arne Borchert noch ein weiteres Gespann, das sich mit Körperverletzungs- und Tötungsdelikten herumschlug.
Seinen Spitznamen Goldlöckchen hatte Borchert seinem blonden lockigen Haar zuzuschreiben. Anders als der sanft anmutende Name erwarten ließ, war das Goldlöckchen bei der Polizeiarbeit ein ziemlich scharfer Hund und ließ nicht die kleinste Verfehlung ungeahndet.
Hedda wohnte bei ihrer Oma Hiltrud Hansen in Hooksiel in der Nähe des alten Hafens. Gleich am Tag ihrer Ankunft hatten sie und Enno es mit einem rätselhaften Mord zu tun bekommen. Sie hatten den Fall mit der Hilfe seiner Mutter Frida und deren Freund Helge Schlicker lösen können. Aber das gab Enno gar nicht gerne zu.
Zu seinem Leidwesen betätigten sich die beiden nur allzu gern als Hobbydetektive und mischten sich in seine Ermittlungen ein. Ein Rezept, wie er dem einen Riegel vorschieben konnte, hatte er noch nicht gefunden.
»Und weshalb hat der Harmsen dich und nicht mich informiert? Schließlich bin ich ja nun dein Vorgesetzter und nicht umgekehrt!«
»Danke für die Erinnerung daran, dass ich deine Untergebene bin. Aber denk doch mal nach, Kollege Frowein! Dann kommst du sicher von selbst drauf, weshalb der Herr Harmsen so früh am Morgen gleich mich kontaktiert hat und nicht den Umweg über dich genommen hat!«, konterte Hedda keck.
Enno schnaubte mürrisch und schob die Decke beiseite. Mit dieser schlagfertigen Saarländerin hatte Harmsen ihm etwas Schönes eingebrockt.
Er setzte sich auf die Bettkante und fluchte innerlich. Nach der Schule hatte er nicht gewusst, wie es beruflich mit ihm weitergehen sollte. Seine Mutter dagegen schon. Polizist sollte er werden. Warum hatte er ihr nur den Gefallen getan? Teil seiner Arbeit war es jetzt, zumindest hier oben in Friesland und Wilhelmshaven, dass er auch sonntags einem Todesfall nachzugehen hatte, der möglicherweise nicht so ganz natürlich war. Aber es half ja nichts. Was sollte er jetzt auch noch darüber jammern!
»Ich bin gerade erst wach geworden. Da denkt es sich bei mir noch nicht so leicht«, echauffierte sich Enno schnodderig. »Also raus mit der Sprache! Weshalb hat Bauko Harmsen dich zuerst informiert?«
»Harmsen meinte am Telefon, dass mit dir nach dem gestrigen Abend heute Morgen nicht gut Kirschen essen sein wird. Außerdem befürchtete er, dass du gar nicht erst an dein Handy gehst.«
Enno brauchte einen Moment, dann ächzte er laut und fasste sich an den Schädel. Gerade hatten die Erinnerungen an den Abend vor seinem geistigen Auge wieder Gestalt angenommen.
Er hatte mit seinen alten Fußballkollegen, die er seit Grundschultagen kannte, einige Biere geleert. Nachdem der letzte Ton des ungarischen Blasorchesters verklungen war, hatte ein im Ort bekannter Party-DJ die Bühne geentert und danach war der Abend erst so richtig in Fahrt gekommen.
Ennos Mutter Frida hatte mit Bauko Harmsen das Tanzbein auf dem freien Platz vor der Bühne geschwungen, während Helge Schlicker nur griesgrämig zugesehen hatte. Bauko war mit seiner Tanzpartnerin anmutig und leichtfüßig über das Parkett gefegt.
Enno stellte sein Handy auf Lautsprecher und legte es auf dem Nachttisch ab. Dann erhob er sich aus dem Bett und begann, sich anzuziehen.
»Harmsen hat mir auch von dem Armdrücken erzählt!«, trällerte Hedda. Ihrem Unterton entnahm Enno eine gewisse Belustigung.
Enno stöhnte auf. Harmsen war eine Tratschtasche, und wenn er der Wunderlich davon erzählt hatte, dann würde er es am Montag auch im Revier herumerzählen. Dabei hätte Enno das Ereignis am liebsten aus seinem Gedächtnis verbannt.
»Du und Goldlöckchen! Das hat sich Herr Harmsen natürlich nicht entgehen lassen«, bohrte seine Kollegin weiter.
Die Szene, die sich nun vor Ennos innerer Leinwand abspielte, wollte er sich lieber nicht bis zum Ende ansehen. Doch der Filmvorführer in seinem Kopf kannte kein Erbarmen.
Borchert hatte ihn gefragt, wie viele Kilo er im Fitnessstudio auf der Hantelbank drücken würde. Enno hatte geantwortet, dass er es nicht wüsste, weil er noch nie verstanden habe, weshalb man seine Zeit mit dem Stemmen von Eisen verschwenden sollte. Das Goldlöckchen hatte verächtlich gelacht und gestichelt, dass er ihm beim Armdrücken beweisen könne, wozu das Training gut sei. So hatte eins zum anderen geführt.
Sie hatten gegenüber Platz genommen, ihre rechten Ellenbogen auf den Tisch gesetzt und sich die nach oben gestreckten Hände gereicht. Ennos Kumpel hatte das Startkommando gegeben.
Goldlöckchen hatte die Zähne zusammengebissen, die Augen zugepresst und vor Anstrengung einen roten Kopf bekommen. Enno hatte gut dagegenhalten können, was er sich selbst nicht so recht erklären konnte. Vielleicht hatte ihm das viele Bier gleich einem Zaubertrank zu ungeahnten Kräften verholfen. Arne Borchert war hingegen stocknüchtern, fit wie ein Turnschuh, prustete aber schon nach wenigen Sekunden wie ein Walross.
Womöglich lag es auch einfach an den Genen, dass Enno im Folgenden, ohne je seine Muskeln trainiert zu haben, Arnes Arm Zentimeter für Zentimeter Richtung Tischplatte bewegte. Allerdings wusste Enno nicht, wer sein und Zwillingsschwester Dinas Vater war, weshalb er wegen der Gene auch nur mutmaßen konnte.
Angefeuert von seinen Kumpels Hinnerk und Frieder legte Enno noch einen Gang zu und bewegte Arnes Handrücken weiter langsam auf die Tischfläche zu. Als der Niedergang begonnen hatte, war er auch nicht mehr aufzuhalten. Mit einem letzten Kraftakt entschied Enno das Duell für sich und kassierte einen dolchartigen Blick seines vor Wut kochenden Kontrahenten.
Leider war er das feindselige Verhalten seines Kollegen ihm gegenüber schon gewohnt. Der Grund für Goldlöckchens Zorn lag zwar Jahre zurück, aber was das anging, schien Arne über ein Elefantengedächtnis zu verfügen.
Enno war nach einer Dienstjubiläumsfeier im Bett von Arnes damaliger Freundin eingedöst. Arne hatte sie schlafend vorgefunden, ihnen aber nicht geglaubt, dass außer der gemeinsamen Nachtruhe nichts zwischen ihnen gelaufen war.
Seitdem ließ Arne weder beruflich noch privat eine Gelegenheit aus, Enno ans Zeug zu flicken. Dass Kripochef Bauko Harmsen nun vor ein paar Wochen auch noch Enno den Vorgesetztenposten zugeschustert hatte, auf den Arne scharf gewesen war, hatte bei ihm das Fass überlaufen lassen und für neuen Zündstoff hinsichtlich seiner Fehde mit Enno gesorgt.
Gestern Abend hatte Arne dann wohl mit einem schnellen Sieg beim Armdrücken ein klein wenig Rache nehmen wollen. Leider hatte sich das Unterfangen für das Goldlöckchen mal wieder zum Rohrkrepierer entwickelt.
Das lag aus Ennos Sicht an Arnes grenzenloser Selbstüberschätzung. Enno war sich aber sicher, dass die misslungene Aktion nur oberflächliche Kratzer an Goldlöckchens Ego hinterlassen hatte, die dieser mühelos und schnell wieder wegpoliert haben würde.
»Schickst du mir noch die genauen Koordinaten des Fundorts der Leiche aufs Handy?«, fragte Enno, als er aus dem Schlafzimmer kam.
»Das wird nicht nötig sein«, feixte Hedda. Im gleichen Moment klopfte es ans Fenster und Heddas Gesicht tauchte breit lachend vor der Scheibe auf. Wie üblich waren ihre braunen wallenden Haare völlig vom Wind zerzaust.
Enno stapfte zur Tür, und als er sie öffnete, bedachte er Hedda mit einem wütenden Blick.
Hedda schluckte, sah ihn mit ihren Rehaugen und einem entschuldigenden Gesichtsausdruck an. »Harmsen meinte ja, es kann sein, dass du nicht ans Telefon gehst, da dachte ich mir, ich fahr am besten gleich zu dir. Als ich angerufen habe, stand ich schon in der Einfahrt vor dem Haus. Ich kann dich also mit meinem Wagen mitnehmen.«
»Ja, verkehrt ist das natürlich nicht«, räumte Enno ruppig ein und nickte seiner Kollegin, die ja nun nichts dafür konnte, dass er einen Brummschädel hatte, aufmunternd zu.
Heddas Miene hellte sich nun wieder auf. Mit einem verschmitzten Grinsen trat sie nahe an ihn heran, stellte sich auf die Zehenspitzen und schnupperte an seinem Atem. »Und dass ich fahre, ist wohl angesichts deines Restalkohols auch ganz ratsam, Kollege Frowein!«
Fünf Minuten später saßen sie in Heddas Kleinwagen, der so sehr in den Kurven schlingerte, dass Enno ganz schlecht wurde.
Er hatte sich im Bad ein paar Hände kaltes Wasser ins Gesicht geklatscht, sich die Zähne geputzt und seine stark drückende Blase erleichtert.
Eigentlich hatte er noch einen Kaffee zu Hause trinken wollen. Doch diesem Wunsch war Hedda entschieden entgegengetreten. »Es eilt«, hatte sie geplärrt. »Die Streife hat Mühe, die gefräßigen Möwen von der Toten fernzuhalten. Und außerdem habe ich eine Thermoskanne mit frisch gebrühtem Kaffee dabei. Da ist genug für uns beide drin.«
Da Enno auf Anhieb keine passenden Widerworte fand, hatte er schweigend seine Schuhe angezogen und war ihr durch den Garten des Hauses seiner Mutter, in dem sein kleines Blockhaus stand, hinterhergetrabt.
Nun lenkte Hedda ihr Auto von der Bäderstraße so scharf um die Ecke auf den Parkplatz vor dem Deich, dass die Reifen quietschten, die Räder kurz die Bodenhaftung verloren und Enno mit dem Kopf gegen die Scheibe donnerte. Jetzt war er froh, sich während der Fahrt noch keinen Kaffee eingegossen zu haben. Denn spätestens jetzt hätte dieser sich über sein hellblaues Hemd und seine Jeanshose ergossen.
Vorwurfsvoll sah er Hedda an, nachdem sie den Wagen mit einer Vollbremsung auf dem geschotterten Platz zum Stillstand gebracht hatte. »Sag mal, geht’s noch!«
»Es eilt, ich weiß also nicht, was gerade dein Problem ist«, entgegnete Hedda.
Enno holte tief Luft, um seinen Unmut kundzutun. Aber
Hedda kam ihm zuvor. Sie nahm ihre Thermoskanne und einen Pappbecher aus ihrer riesigen Umhängetasche und wedelte damit vor Ennos Nase herum. »Überleg dir jetzt genau, was du sagst, wenn du Kaffee von mir willst! Ich kann dir sagen, er duftet herrlich und schmeckt noch besser.«
Enno presste die Lippen aufeinander und verzog griesgrämig das Gesicht. Dann schnappte er sich den Becher aus ihrer Hand und hielt ihn ihr zum Einschenken hin. Doch zu seinem Leidwesen steckte Hedda die Kanne wieder in ihre Tasche.
»Was soll denn das nun schon wieder?«
»Den Becher bekommst du jetzt schon, den Kaffee gibt es erst, wenn wir da sind«, bestimmte Hedda und schwang sich flink aus ihrem Wagen. Enno, der ein gutes Stück größer als seine Kollegin war, hatte hingegen seine Probleme, aus der engen Kiste wieder herauszukommen. Seine Knie pressten sich an das Handschuhfach und beim Aussteigen drohte ihm die Gefahr, sich zu verrenken. Schließlich umfasste er mit beiden Händen den Türrahmen und zog sich aus dem Sitz.
Vom Parkplatz aus überquerten sie die Bäderstraße und gingen die Treppe zum Deich hinauf. Zweihundert Meter weiter links unten auf dem Radweg vor dem Strand parkten bereits die schwarze Limousine des Bestatters und ein Streifenwagen.
Enno stieß einen tiefen Seufzer aus. »Ein paar Meter hinter der Einfahrt zum Campingplatz geht es rechts auf den Radweg. Wären wir so gefahren, wären wir jetzt schon da.«
Hedda zuckte mit den Schultern. »Ich hab die erstbeste Strecke genommen, die das Navi mir vorgegeben hat. Außerdem tut uns ein wenig Bewegung an der frischen Luft sicher gut.«
Die Streifenpolizistin, die am Strand bei der Leiche stand und mit den Händen in der Luft wedelte, um die zum Landeanflug ansetzende Möwe in Schach zu halten, war Elsje Feddersen von der Polizeistation in Wangerland. Enno erkannte sie sofort an ihren zum Pferdeschwanz zurückgebundenen blonden Haaren.
Elsje war sieben Jahre jünger als Enno und seine Zwillingsschwester Dina und sie waren als Nachbarskinder groß geworden. Da Elsjes Mutter früh verstorben war und ihr Vater tagsüber arbeiten musste, war sie von klein auf regelmäßig zum Mittagessen Gast im Hause Frowein gewesen. Noch heute wohnte sie mit ihrem Vater in ihrem Elternhaus unter einem Dach. Enno erinnerte sich noch gut an die kleine Elsje, die immer eine dankbare Abnehmerin von Dinas ersten Backversuchen gewesen war, und wie sie zu dritt auf der Straße Fußball oder Federball gespielt hatten. Für Enno und Dina war Elsje dadurch fast schon zu einer kleinen Schwester geworden.
Auch Elsjes Kollege war Enno wohlbekannt. Es handelte sich um Nils Dröger, der sich gerade aus einem unerfindlichen Grund einen Weg ins Schilf bahnte und darin verschwand, anstatt den Bereich um die Leiche abzusichern.
Beim Verlassen des Deiches ließ Enno seinen Blick über die Umgebung schweifen. Es herrschte Ebbe und statt Wasser war bis zur weit entfernten Wasserkante nur schwarzer Nordseeschlick zu sehen. Auf dem Damm grasten friedlich einige Schafe, die es überhaupt nicht scherte, dass in nächster Nähe ein Mensch ums Leben gekommen war. Die Strände waren noch wie leer gefegt, was wohl daran lag, dass die meisten Touristen noch in ihren Ferienbetten lagen, und deshalb gab es auch dankenswerterweise noch keine Schaulustigen in der Nähe der Leiche.
