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In dritter Instanz verurteilt das oberste Gericht Georg Z., zur Tatzeit bereits volljährig, wegen fortgesetzter Unzucht mit einem Kinde unter vierzehn Jahren zu achtzehn Monaten Haftstrafe. Folgte die Verurteilung einem unerbittlichen Gesetz? Es war doch echte Zuneigung, die diese beiden jungen Menschen verband. Helmut H. Schulz ergründet hinter dem Fall die Geschichte des Liebespaares und verwurzelt sie im Alltag und im Schicksal der elterlichen Familien und der Dorfgemeinschaft.
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Seitenzahl: 106
Veröffentlichungsjahr: 2014
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Helmut H. Schulz
Der Sündenfall
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Kapitel I
Kapitel II
Kapitel III
Kapitel IV
Kapitel V
Kapitel VI
Kapitel VII
Kapitel VIII
Kapitel IX
Kapitel X
Kapitel XI
Kapitel XII
Kapitel XIII
Impressum neobooks
Die Gemeinde Groß-N.zählte1945etwa zweitausend Einwohner,soviel wie heute in einem großstädtischen Hochhauskomplex untergebracht werden können. Der Ort zerfiel räumlich und sozial in zwei Hälften, das Dorf und die Siedlung. Landwirtschaftliche Nutzflächen fehlten der Siedlung, dafür hatte sie die schönere Umgebung zwischen einem See und einem Fluss. Ein breiter Streifen Niederung, der seltenen Wasservögeln,Lurchen und Schlangen Lebensraum bot und den Fressern dieser Tiere - Storch,Weihe und Reiher-, machte sie zu einem malerisch schönen Ort. Die eigenartige Natur des Flussgebietes hatte die Siedlung überhaupt erst entstehen lassen. Anfang der dreißiger Jahre siedelten hier vereinzelt Großstädter, bauten Lauben und kleine Wochenendhäuser,zäunten Parzellen ein und verbrachten ihre freie Zeit in den Gärten und am See. Elektrisches Licht galt als Luxus und gutes Wasser, das aus kleinen Brunnen von Hand gepumpt wurde,als ein Segen.
Diese Verhältnisse blieben im Großen und Ganzen bis ins Jahr1960erhalten.Zwar wurde im Dorf eine Genossenschaft gegründet, aber nur wenige Bauern traten ihr bei;die Mehrzahl arbeitete in der herkömmlichen Weise,verkaufte Holz aus eigenen Wäldern, wenn die Ernte schlecht ausfiel, und züchtete Schlachtvieh.
Zwischen dem Dorf und der ungefähr zwölf Kilometer entfernten Kleinstadt verkehrte seit den zwanziger Jahren ein Autobus;zuerst ein postalischer, dann erhielt ein Fuhrunternehmer die Konzession. Der Autobus7transportierte Dörflerwie Siedler bis zur Bahnstationder Kleinstadt,von dort bestand eine Eisenbahnverbindung zur Großstadt R.
Die Flächenbombardementsmachten zahlreiche Menschen obdachlos. Wer konnte und schon vor demKrieg hier Wochenendbehausungen besessen hatte,zog sich ganz nach Groß-N. zurück,um das Ende des Krieges abzuwarten.Die zur Arbeit Verpflichteten musstenallerdings weite Wege zu ihren Dienststellen in Kauf nehmen,ein Ausweg in auswegloser Lage. Die Zeit unmittelbar nach dem Kriege änderte diese von selbst entstandenen Bedingungen nicht sogleich, obschon viele der in Lauben und Holzhütten mehr schlechtals recht Lebenden gern wiederin die Stadt zurückgegangen wären; sie galten als Landbevölkerung,erhielten Lebensmittelkarten,aber die niedrigsten Rationen, und standen furchtbare Winterdurch, ohnefeste Häuser,ohne Kohlen, die der Landbevölkerung verweigert wurden.Wem es möglich war,der versuchte sich selbst zu helfen, fing an, den Garten besserzu bestellen,düngte,säte und pflanzte Kartoffeln, züchtete oder hielt zumindest Kleinvieh, Hühner,Kaninchen, Enten. Mancheinerrang der Naturseinen Lebensunterhalt ab, aber ringen ist der falsche Ausdruck, die Natur spendete nach den ihr eigenen Regeln. Trockenheit,Kälte und Unwetter machten häufig alle Bemühungen zunichte.Andererseits gab es auch reiche Ernten. So wurden aus den Stadtflüchtlingen Sesshafte,die in derUmgebungArbeitfanden.Später waren sie eine Bereicherung für die umliegenden Ortschaften,lebten nebeneinanderund miteinander,in Frieden und Streit,und wenn es stimmt, daß in solch kleinen menschlichen Gemeinschaften alleWege überschaubarer sindalsin der Stadt, so war Groß-N.ein Beleg dafür.
Überschaubar istdas Leben in Dorf und Siedlung gewesen.Jederwusste,was jeder tat,wovon und wie er lebte;Toleranz erzeugte diese Kenntnisaber nicht. Viel gefehlt hätte nicht,und die Bewohner der Gemeinde Groß-N.wären mit Axt und Schwert aufeinander losgegangen, wie in alten Zeiten,um ihre Konflikte zu lösen.Es geschah genug,was erzählenswert ist,so idyllisch fossil wie die Natur war auch die Menschenwelt dieser Gegend in der Zeit, in der unsere Geschichte beginnt.
In der Siedlung lebte ein Mann. Erwar gegen Ende des Kriegesin eines der Häusergezogen, weil erseine Stadtwohnung verloren hatte.Von Beruf Handwerker, schon nicht mehr jung und schwer verwundet aus dem Krieg entlassen,musste er als Dienstverpflichteter in einer der nahegelegenen Fabriken arbeiten. Nach dem Krieg änderte sich daran nichts,morgens fuhr er mit dem Bus, mit der Eisenbahn in den nun schon volkseigenen Betrieb,abends machte er dieselbeTourzurück.Er bestellte seinen Garten,zog Kleinvieh, besserte anseinem Hausherum und reparierte nebenbei die Maschinen der Bauern. Diese mochtenihren Hermann Zanderwegen seiner Gewissenhaftigkeit,seines Fleißesundseiner Erfindungsgabe. Leicht hätte ersich selbstständig machen können. Mit einem Reparaturbetrieb wäre er gut gefahren, zumaler bald nach dem Krieg eine Frau genommen hatte, die zu ihm passte wie keineZweite.Eine ihm selbst nicht ganz erklärliche Furcht oder Zukunftsangst hieltihn ab,seine sichere Stellein der Fabrikgegen dasunsichere Leben einesSelbstständigen einzutauschen.Es gab noch ein Hindernis.GegenEnde desJahres1945warZanderin die KommunistischePartei eingetreten; er hatte geglaubt, in dieserPartei und mitihrin eine bessere Zukunft zumarschieren,und darüber nachgedacht, ob und wie viel Schuld an der Hitlerherrschaft und am Krieg ihntraf, und warzu dem Schlussgekommen,daßdie Kommunisten am saubersten dastanden. Wie die neue Welt,die sie versprachen, aussehen würde,das konnte sich Zander nicht ganz vorstellen. Zunächst tat er, was ihm die Partei sagte, ohne zu prüfen, wie viel daran richtig und wie viel falsch, wenn überhaupt etwas falsch war. Er trieb im Strom der Zeit mit denen, die auch entwurzelt waren und neuen Grund suchten.
Er kannte noch die Jahre der Weimarer Republik mit ihren Parteien und Auseinandersetzungen. Damals war er nicht auf den Gedanken gekommen, sich einer der Parteien anzuschließen.Ihn verwirrten das ihm unerklärliche Chaos in der Politik und die Gewalttätigkeiten. Die Krise1929machte ihn, den zwanzigjährigen Werkzeugmacher, nicht brotlos.Er hatte Glück, aber von der Sache selbst, der sozialen Katastrophe, der Massenarbeitslosigkeit,begriff Zander nicht viel.Mit der Regierung Hitler-es sind immer Namen, die im Gedächtnis bleiben, nicht die Systeme - sah Zander endlich Ordnung einziehen. Der Partei Hitlers trat er nicht bei, aber er hielt sich an diesen Reichskanzler. Im Krieg, der bald darauf ausbrach-für Menschen wie Zander bricht immer aus, was nicht vorhergesehen wird-, zog er nach Polen, trug als Dreißigjähriger sein Feldgrau nach Frankreich, wurde bei Kertsch schwer verwundet und nach langem Lazarettaufenthalt aus der Wehrmacht entlassen. Bald darauf kam er nach Groß-N.
Etwas tat er nicht,er nahm kein Land aus dem Bodenfonds, wie ihm geraten worden war, er lehnte es ab, Bauer zu werden. Zander fühlte sich als Handwerker, und er verfügte auch über alle guten Eigenschaften eines Handwerkers. Im Laufe der Zeit eignete er sich gleichsam nebenher Kenntnisse über landwirtschaftliche Maschinen an, baute um, konstruierte und erhielt am Leben, was ohne ihn auseinandergefallen wäre. Mitte1950entstand die Genossenschaft in Groß-N., Zander konntekein Mitgliedwerden,dazu hätte er einen Anteil einbringen müssen,den er nicht besaß,aber er übernahm die Reparaturwerkstatt als Leiter.Für die bäuerlichen Genossenschaftler wie für die selbstständig gebliebenen Universalbauern - bis1960gab esnoch welche in Groß-N. - war Zander unbezahlbar,denn es mangelte an allem, jede Schraube war kostbar, jeder Reifen eine Rarität.
In freien Stunden war Hermann Zander ein geselliger Mensch, der gern Leben um sich hatte,und gutmütig wie häufig in sich ruhende Leute mit beschränktem Aufnahmevermögen.Er wirkte männlich; bei den geltenden Wertvorstellungen auf dem Lande musste Zander auffallen. Körperbau und Gesichtsausdruck - Zanderwar groß und kräftig, hatte blaue Augen und dichte schwarze Brauen bei vollem,ergrautem Haupthaar - passten in die Vorstellungen der Bauern von einem Könner. Immer sauber gekleidet, mäßiger Trinker, war er auchvonden Frauen geachtet.
Zanders erste Frau und seine beiden Kinder waren in der Stadtwohnung verbrannt; diese Nachricht erhielt er während seiner Genesung im Lazarett.Nach seiner Entlassung aus der Wehrmacht versuchte er gar nicht mehr, in der Stadt ein Quartier zu bekommen, sondern ging direkt nach Groß-N.; dort fand er seine zweite Frau unter den Flüchtlingen aus dem Osten.Das Dorf musste einige Familien aufnehmen,aber die Bauern wehrten sich jäh und oft erfolgreich gegen die unliebsamen Einquartierungen.Die leer stehenden Wochenendhäuser in der Siedlung boten denen eine notdürftige Bleibe, die anderswo nicht untergekommen waren. Zander nahm eine alte Frau und deren Tochter auf.Sein Haus hatte zwei Zimmer,eine Küche und eine Veranda, die im Winter eiskalt war. An Sachen besaßen die Frauen,was in einen Koffer und ineinen Persilkarton hineinging. Die alte Frau lebte nur noch ein paar Monate; sie wurde auf dem Dorffriedhof beigesetzt.Kurz danach heiratete Zander diejunge Frau. Georg wurde1946geboren, er blieb das einzige Kind dieser Ehe.
Maria Zander, geborene Klett, war etwas kleiner als ihr Mann,also von Mittelgröße.Ihr rundes weiches Gesicht wäre eines vom Dutzend gewesen ohne den Ausdruck heiterer Sinnlichkeit. Es ist schon vorstellenswert: Da lebte einer mit Frau und Kind so um die frühen Fünfziger in einer ordentlichenWelt, in der er sich als Herr fühlte. Frau und Sohn waren ihm zwar nicht untertan,standen aber seiner Anschauung nach in der Rangfolge unter ihm.Er herrschte; trotzdem waren sie glücklich oder doch zufrieden mit ihrem Leben.Es hätte ihnen schlechter gehen können, als es ihnen ging. Geld bedeutete beiden viel, aber nicht alles. Zu kaufen gab es ohnehin nichts. Er half, sie half,Freundschaft war noch nicht zur Beziehung verkommen, der Vorstufe zur Korruption.Sie brauchten nicht viel,wünschten nicht, was sie nicht haben konnten, und erwarben unter Anstrengung, wassie brauchten. Zum Beispiel bauten sie lange an dem Haus herum. Wem das Wort Glück zu abgegriffen ist oder unpassend für diese kümmerliche Eintracht, der möge ein anderes für den Zustand finden, in dem die Familie Zander lebte.
Mittelpunkt ihres Interesses wurde mehr und mehr Georg;das Bürschlein regierte in Haus und Garten, wie Spätgeborene und Einzige regieren.In althergebrachter Weise fürchtete die Mutter um seine Gesundheit, obschon es keinen Grund zur Besorgnis gab. Dem Vater lag die geistige,und das heißt hier die moralische Entwicklung des Jungen am Herzen.Er sollte nicht hinter dem zu fordernden Maß an Verstand,Geschicklichkeit,an Ehrgefühl und männlichem Mut zurückbleiben. Georg aß und trankundwuchs und lernte leicht,was ihm vom Vater gezeigtwurde. Allerdings war er ohne Konkurrenz im Wohnhaus und in der häuslichen Werkstatt und späterhin auch unter den Kindern des Dorfes. Nicht immer mag diese ArtErziehung anschlagen; trägere Kinder brauchen vielleicht andere Eltern.
Jedes Haar hat seinen Schatten, jede Ameise ihren Zorn.Daher war auch den ordentlichen Zanders kein ungetrübtes Glück beschieden, und da wir bei den Kernsprüchen sind,es kann der Frömmste nicht in Frieden leben,wenn's dem bösen Nachbarn nicht gefällt. Ausgerechnet diesen Pedanten waren Nachbarn gegeben worden,die alle fünfe gerade sein ließen.Stand Zanders Haus sauber verputzt, mit neuen Schornsteinköpfen und weiß lackierten Fensterrahmen da,war der vordere Teil ihres Gartens immer gepflegt und der hintere wenigstens aufgeräumt, hielt sich das Zandersche Kleinvieh in Volieren und Ställen auf,so hing bei Behrends der Schornstein schiefüber dem Dachgiebel, senkte sich der Firstbalken, Ziegel lösten sich,Farbe blätterte von den Holzrahmen.Behrends Hühnersuchten sich Schlupflöcher im Zaun und drangen in Zanders Garten ein; sie scharrten Pflanzen und Blumen heraus.
Behrend hatte es mit Frau und Kindern auf ähnliche Weisein die Siedlung verschlagen wie Maria Zander, allerdings etwas später. Der aus dem Sudetenland vertriebene Bauer bekam1946Land aus dem Fonds der Bodenreform, erhielt eine Kuh,etwas Hausrat und Gerät.Als Landwirt,als Neubauer,wurde ihm zunächst viel geholfen,mitGeldundSaatgut. Das aber hörte baldauf,und Behrendwarnicht geschickt genug,nicht genug rechnender Bauer,um sich unter diesen Bedingungen selber aus dem Dreck zu ziehen.Erwar ein knochiger,kleiner Kerlvonsanguinischem Temperament,liebte Bierund Schnaps.Seine beiden Söhne leistetenihmbeimTrinken Gesellschaft, als sie dasAlter erreicht hatten und dem Vaterals Saufkumpanebeistehen konnten.
Zuerst war die Reaktion der Zanders auf die Nachbarn nachsichtig. Dass dieHühner gelegentlich beiihnen Schadenanrichteten, wolltensienicht überbewerten. Zander sprach Behrend an, bat ihn,seinenZaun zureparieren oder die Hühner einzusperren.Behrend versprach es,lamentierte herum,erhabealles verloren und müsse sich erst wieder zurechtfinden; ihm,dem Heimatvertriebenen, fehle es an Werkzeug und Material,auchan Geld.Zander hörte sich dieses Gerede ruhig,nicht ohne Verständnis und Mitgefühl an und erbot sich zu helfen.Von gleichund sofort war bei Behrend keine Rede,dagegen viel von mor