Glanz und Elend der Friedrich - Wilhelms - Helmut H. Schulz - E-Book

Glanz und Elend der Friedrich - Wilhelms E-Book

Helmut H. Schulz

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Beschreibung

Unter "Hofberichte" geht der Autor dem Klatsch bei Kurfürsts, bei Preußens Königen und Kaisern nach, der die Zeitgenossen in Aufregung versetzte. Neben den Standesehen wurde geliebt und gehasst, wurden Ränke geschmiedet und versucht, Politik zu machen. Wer eine zusammenhängende Geschichtsdarstellung erwartet, der muss sie hinter den Banalitäten suchen, um auf seine Kosten zu kommen. Aber Fürsten – die wie in diesem Fall über Jahrhunderte Friedrich oder Wilhelm oder beides hießen, was auf die Fantasie der Namensgeber schließen lässt – sind eine In-stitution gewesen, sie lebten und webten außerhalb der gewöhnlichen und moralischen Maßstäbe und Regeln, die sie förderten, ohne ihnen zu unterliegen, umgeben von einem großen Hof und Höflingen. Darüber wird berichtet.

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Seitenzahl: 531

Veröffentlichungsjahr: 2014

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Helmut H. Schulz

Glanz und Elend der Friedrich - Wilhelms

Preußische Könige - Deutsche Kaiser, Hofberichte

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

KURFÜRST FRIEDRICH WILHELM VON BRANDENBURG, DER »GROSSE KURFÜRST«

KÖNIG FRIEDRICH I. VON PREUSSEN

DER ERBPRINZ

EBERHARD VON DANCKELMANN

DOROTHEA VON HOLSTEIN-GLÜCKSBURG, DIE STIEFMUTTER

ELISABETH HENRIETTE

SOPHIE CHARLOTTE

DAS TESTAMENT

KÖNIG FRIEDRICH WILHELM I. VON PREUSSEN

VOM CERO ZUM NERO

SOPHIE DOROTHEE VON HANNOVER

DER VATER

IN TORMENTIS PINXIT

KÖNIG FRIEDRICH II., DER GROSSE VON PREUSSEN

LIEBESLEBEN EINES GROSSEN KÖNIGS

FRIDERICUS REX, UNSER KÖNIG UND HERR

KÖNIG FRIEDRICH WILHELM II. VON PREUSSEN

DER KÜNSTLER

HANS RUDOLF VON BISCHOFFSWERDER

JOHANN CHRISTOPH WÖLLNER ODER DIE HERRSCHAFT DER PFAFFEN

DER KÖNIG ALS DRACHENTÖTER

WIE EIN WAHRER KÖNIG BEGRABEN WIRD

KÖNIG FRIEDRICH WILHELM III. VON PREUSSEN

JUGEND EINES KÖNIGS

BRÄUTIGAM UND ZAUNKÖNIG

BEYME, LOMBARD, LUCCHESINI UND EINIGE ANDERE HERRSCHAFTEN

DER NEUE ALEXANDER DER GROSSE

WOHLAUF, KAMERADEN,AUFS PFERD,AUFS PFERD

KÖNIG FRIEDRICH WILHELM IV. VON PREUSSEN

DIE JUGEND

DER KÖNIG

TSCHECHS UNTAT IM SCHLOSSHOF

VERFASSUNGSSTREIT UND REVOLUTION 1848

DIE STIRNE BREIT GESPALTEN ...

KÖNIG WILHELM I. VON PREUSSEN, DEUTSCHER KAISER

KINDHEIT UND JUGEND

AUGUSTA VON SACHSEN-WEIMAR, DIE KRONPRINZESSIN

DER KARTÄTSCHENPRINZ

DAS GOTTESGNADENKÖNIGTUM

LUDOLF CAMPHAUSEN

ALEXANDER FREIHERR VON SCHLEINITZ

BISMARCK

FAMILIENLEBEN

DIE REICHSEINIGUNGSKRIEGE

DER DEUTSCH- FRANZÖSISCHE KRIEG VON 1870/71

KÖNIG FRIEDRICH III. VON PREUSSEN, DEUTSCHER KAISER

KINDHEIT FRIEDRICHS III.

VICTORIA VON GROSSBRITANNIEN UND IRLAND

KÖNIG WILHELM II. VON PREUSSEN, DEUTSCHER KAISER

KINDHEIT EINES UNGEWÖHNLICHEN JUNGEN MANNES

DIE ENTLASSUNG

VORÜBUNGEN ZUR KATASTROPHE

DER REISEKAISER UND DIE MÄNNERGESELLSCHAFT AUF DER »HOHENZOLLERN«

MAROKKO, TRANSVAAL UND ORANJE UND ALLERLEI UNSINN

DAS ENDE

BENUTZTE LITERATUR

Impressum neobooks

KURFÜRST FRIEDRICH WILHELM VON BRANDENBURG, DER »GROSSE KURFÜRST«

KURFÜRST FRIEDRICH WILHELM VON BRANDENBURG, DER »GROSSE KURFÜRST«

LEBENSDATEN

Kurfürst Friedrich von Brandenburg

*16.2.1620 in Cölln/Spree, † 9.5.1688 in Potsdam

1. Eheschließung:

7.12.1646 mit Luise Henriette von Nassau-Oranien

*7.12.1627 in Den Haag, † 18.6.1667 in Cölln/Spree

.2. Eheschließung:

14.6.1668 mit Dorothea, geborene Prinzessin von Holstein-

Sonderburg-Glücksburg, verwitwete Herzogin

von Braunschweig-Lüneburg

*29.9.1636 in Glücksburg, † 8.8.1689 in Karlsbad

Nachkommen

aus der Ehe mit Luise Henriette von Nassau-Oranien

Wilhelm Heinrich

*21.5.1648, † 24.10.1649

Karl Emil

*6.2.1655, † 7.12.1674

Friedrich, der spätere Kurfürst und König

*11.7.1657, † 25.2.1713

Heinrich

*19.11.1664, † 26.11.1664

Amalie

*19.11.1664, † 1.2.1665

Ludwig

*8.7.1666, † 8.4.1687

Nachkommen

aus der Ehe mit Dorothea von Holstein-

Sonderburg-Glücksburg

Philipp, Markgraf von Brandenburg-Schwedt

*19.5.1669, † 19.12.1711

Maria

*26.11.1670, † 17.11.1739

Albrecht, Markgraf von Brandenburg-Schwedt,

Herrenmeister von Sonnenburg

* 24.1.1672, † 2I.6.1731

Karl, Markgraf von Brandenburg-Schwedt,

Herrenmeister von Sonnenburg

*5.1.1673, † 23.7.1695

Elisabeth

*5.4.1674, † 22.11.1748

Dorothea

*6.6.1675, † 11.9.1676

Christian Ludwig, Markgraf von Brandenburg-Schwedt,

Statthalter zu Halberstadt

*24.5.1677, † 3.9.1734

KURFÜRST FRIEDRICH WILHELM VON BRANDENBURG,

DER »GROSSE KURFÜRST«

Eigentlich; eigentlich kommt dem Kurfürsten Friedrich - demGroßen Kurfürsten-unterallen Friedrichen die Kronezu,die seine Nachkommen mehr oder minder verdienstlich getragen haben. Ohne ihn wären sie gewöhnliche deutsche Fürsten unter anderen gewöhnlichen deutschen Fürsten geblieben.

DerGroße Kurfürstwar ein fürstlicher Schwerarbeiter,der sein kleines Reich zusammengefochten hat,das er sich zuletzt vielleicht universalistischer gewünscht hätte, als es am Ende geworden war.

Ein besonderes Vermächtnis in seinem politischen Testament legt diesen Schluss nahe. Er mahnt seine Erben, dafür zu sorgen, dass alle in seinem Land nebeneinander leben könnten. Fehlt nur noch der Wunsch jenesHeinrichsIV von Frankreich, jedem Untertan das Suppenhuhn in den Topf legen zu können.Soweit gehen wir nicht. Vielleicht aber war derGroße Kurfürstauch nur derletzte Fürst alter Zeit und fühlte so etwas wie eine Sorgepflicht nicht nur seinem Clan gegenüber, sondern allen, die er regierte. Vielleicht zwang ihndie Not zu Toleranz, oder er musste regieren, ohne daraus eine Staatskunst zu machen.

Jedenfalls kann,werwill, an diesemGroßenKurfürsteneine Menge persönlicher Eigenschaften entdecken, die er selbst tragen möchte. Dieser Kerl ist wenigerPreußeals Brandenburger, obschon es dieses Preußen im Geistenoch nicht gab.Franz Mehring sagtvon Friedrich Nicolai, der sieben Jahre alt war,als Friedrich derGroße Königwurde,er sei der ersteeingeborene Preuße gewesen.Dieses Preußen bekam erst später seinen besonderen Ruf,dass ein bayerischer Vater,dessen Tochter einen Neger geheiratet hatte, darauf angesprochen, antworten konnte:Wenn's nur kaaPreiß is...Esist schon merkwürdig, dass keiner der Nachfahren desGroßen Kurfürsten,obschon sich alle auf ihn berufen,diesem Mann ähnlich wurde.Und dies, obgleich Preußens Aufstiegzur Großmacht ohneihn nicht gedacht werden kann.

KÖNIG FRIEDRICH I. VON PREUSSEN

KÖNIG FRIEDRICH I.VON PREUSSEN

LEBENSDATEN

KönigFriedrich I.von Preußen

*11.7.1657 in Königsberg i. Pr.,†25.2.1713 in Berlin

1.Eheschließung:

23.8. 1679 mitElisabethHenriettevon Hessen-Kassel

*18.11.1661in Kassel,†7.7.1683 in Cölln/Spree

2. Eheschließung:

8.10.1684mitSophie Charlottevon Braunschweig-Lüneburg

*30.10.1668inSchloß Iburg bei Osnabrück,

†1.2.1705inHannover

3.Eheschließung:

28.11.1708 mitSophie Luisevon Mecklenburg-Grabow

*16.5.1685 in Schwerin,†29.7.1735 in Berlin

Nachkommen

aus der EhemitElisabeth Henriettevon Hessen-Kassel

Luise

*29.9.1680,†23.12.1705

Nachkommen

aus der Ehe mitSophie Charlottevon Braunschweig-Lüneburg

Friedrich August

*6.10.1685,†13.1.1686

FriedrichWilhelm,der spätere König

*14.8.1688,†31.5.1740

KÖNIG FRIEDRICH I.VON PREUSSEN

Dieser Friedrich wurde am 11. Juli 1657 im Stadtschloß zu Königsberg keineswegs als König geboren, in der Schlosskirche, und zwar der lutherischen, obschon der Kurfürst Kalvinist war,getauft und also in die Sündenwelt entlassen. Seine Taufpaten waren ungeheuer erlauchte Herren und Herrschaften, nämlich der deutscheKaiser Leopold I.,mit dem ihn ein ambivalentes, ein wechselndes Verhältnis verbinden wird, Ludwig XIV,der von Frankreich,des späteren Friedrichs überlegener Gegenspieler,Johann Georg von Sachsen, ein Kollege des brandenburgischen Kurfürsten, der bald darauf imHeiligen Römischen Reich Deutscher Nationnach dem Sieg bei Fehrbellin über die Schweden derGroße Kurfürstgenannt wird, vorläufig bloß der Vater seines dritten Sohnes, eben jenesFriedrich, dessen Taufe wir gerade beiwohnen, eine immerhin erfreulichere Sache, als die ewigen Kriege. Ein Herr mit Namen Christian Ludwig von Braunschweig-Lüneburg vervollständigt die Reihe.Aus der Aufzählung dieser Paten ergibt sich folgendes: Sie alle waren miteinander so verwandt, ihre Interessen waren so verfilzt, dasssie sich dauernd in den Haaren liegen mussten. Der Große Kurfürst selbst war ein Sohn der Charlotte von der Pfalz, Schwester des Winterkönigs, der die wichtigste Schlacht seines Lebens verlor, weshalb man nur noch den Namen Winterkönig von ihm kennt.Onkel und Neffen, Großonkel und Großneffen,Nichten und Brüder sowie Schwestern waren sie alle irgendwie, was sie gleichwohl nicht daran hinderte, bei nächstbester Gelegenheit übereinander herzufallen,oder sich an einem fraglichen Tag nach derglücklichen Geburt des Prinzen im Stammland des Kurfürsten zu einer Kindstaufe freudig zu vereinen, zumindest symbolisch, wennschon nicht in Person.Über einen solchen Winzling, wie das Prinzchen Fritz - als Erbprinzen dürfen wir ihn noch nicht bezeichnen, denn in diese Rolle muss er durch einen tragischen Todesfall, dessen Opfer sein älterer Bruder Karl Emil werden sollte (der allerersteThronprätendent Wilhelm Heinrich weilt bereits seit acht Jahren nicht mehr unter den Lebenden), erst noch hineinwachsen - ist naturgemäß wenig zu vermelden, nichts Gutes, aber immerhin vorläufig auch nichts Schlechtes.Es ist ein Wunder, woher die vielen großen Teufel kommen,da wir doch einmal solch kleine Engelgewesensind. Ob das Kind beider Zeremonie gelacht oder geweinthat und sich in dieHosen machte, ist nicht überliefert,obschoneswichtig wäre,hierüber Bescheid zuwissen. Wohl aber sind hiereinige Sätzeüber dieEltern des Knäbleinseinzuflechten. Des Großen Kurfürsten hatten wirschonoberflächlichgedacht.Zur Zeitdes TauffallesistFriedrich Wilhelm,Kurfürst von Brandenburg und Chef des HausesHohenzollern, zur einen Hälfte deutscherReichsfürst, zur anderen polnischer Lehnsmann; geradewieder,muss es heißen, nacheinem kriegerischen Zwischenspiel mit seinen liebenschwedischen Verwandten,worüber noch zu redensein wird.Außerdem ister eben siebenunddreißigJahre alt. Geboren wurde er 1620zuCölln an der Spree, in einem heruntergekommenen Schloss. Dieserinden bestenJahrenstehende Mann hat schon einigeshintersich. Mitzwanzig Jahren, 1640, wurde er KurfürstinNachfolgeseinesVaters,und fallsder junge Mannvorgehabt haben sollte, sogleich zuregieren, so saher sich kräftig daran gehindert.Er erbte nämlicheinen energischen und streng katholischen Statthalter namensSchwartzenberg.Nach Otto Hintze, einer derKenner,wennnicht derSachkundigste in brandenburgischer Geschichte,wollte jenerHerr sogar ein märkischer Wallenstein werden,wozu esaus mancherlei Gründen nicht gelangt haben dürfte. Immerhin aber hielt Schwartzenberg den jungen Kurfürsten bei der kaiserlichenStange.Ein Jahr später sah sich der neue Kurfürst von diesem Aufpasser durch den kalvinistisch gesinnten Gott befreit(dasWunder der Hohenzollern;esberuhtdarauf, dasssich das Schicksal im letzten Moment für dieDynastie entscheidet und gegen deren Feinde, ein in der Tat häufiger Fall und einausgemachtes und höchst wunderbaresMysterium) und trat in die europäische Politik ein.Dasheißt,er schlosseinen Waffenstillstand mit denSchweden und bewarb sich um dieHand der schwedischen Königin Christine,die geradeverwitwetwar,aber er bekameinen Korb und unser Fritzchen infolgedesseneine andereMutter.

Der GroßeKurfürst warein Neffe des schwedischen Gustav Adolf,der1632gefallen war,und hatte alsHeranwachsender die Überführung derköniglichen Leichenach Schweden bis Wolgast begleitendürfen.Zwischen1640 und 1643hielt sich Friedrich WilhelminPreußenauf.Im letztgenannten Jahr kamer nachCölln undan die Spree undfandeinehalbe Ruine statt eines bewohnbaren Schlossesvor. Aberergingmit EnergieansWerk,undschließlich wares ein wenig aufwärts gegangen, einneues Heerwurde aus derkargen märkischenErde gestampft, was auchbitternötigwar,denn nach demgroßen Frieden dachten diefremden Truppenkeineswegsdaran, ausderMark abzuziehen.Ineben jenem WestfälischenFrieden 1648ward dem brandenburgischenKurfürstengestattetworden, eigeneTruppen zu halten und Bündnisse zuschließen, mit wem er das immerwollte.ZweiJahrevor diesem Geburtstage,an demwir unsin dasWelttheater eingeschaltethaben,nämlichimJahre 1655,hatte es schonwiedereinenKrieg gegeben, alsKarlX.Gustav seine Heerein Poleneinfallen ließ ...

EsmagdemsiebenunddreißigjährigenKurfürsten, als er den Sohnüber dasTaufbecken der Schlosskirche zuKönigsberg hielt, durch denKopfgegangensein,wie schändlichergezwungen wordenwar, Ostpreußenals Lehenausder Handeines neuen Souveräns,desSchwedenkönigs, seineslieben Verwandten,entgegenzunehmen.Die Schlacht bei Warschauzwischen dem28. und 30.Juli1656hatte die Lageabermals,allerdingsnur geringfügig,verändert.Es waren dieTagedesFriedens zuLabiauangebrochen,im November desgleichen Jahres,mit demschwedischenVerzicht aufdieLehnshoheit überPreußen undso weiter undsofort.Zur Stunde waren die Verhältnissealles andere als stabil.Nunja, ein langergeruhsamer Friede stand ihnen wohl kaum insHaus ...

DerVaterdesTäuflingsundGroße Kurfürst hatte diemeisteZeitseines LebensaufFeldzügen imSattel und im Heerlagerverbracht, verbringen müssen. Immerhin, es warebenauchgeheiratetworden, undzwarimreifen Alter vonsechsundzwanzig JahrenundindenNiederlanden,zu Den Haag. Im Dezemberdes Jahres1646 ehelichteder jungeMann und nachmaligeGroße Kurfürst dasBeste, wasdie Niederlande an Weiblichkeitzu bieten hatten,die wunderschöneneunzehnjährige Prinzessin vonNassau-Oranien, Luise Henriette, und sogaranihrem Geburtstag,einem7.Dezember.Das zeugtvoneinemguten Stil undSinnfür Symbolik.Friedrich Wilhelm kanntedieNiederlande,er war als Knabein diesesMekkabürgerlichenWohlstandsund findigenwierücksichtslosenKaufmannstums geschicktworden,umetwaszu lernenundvonder übrigen Welt,dieBrandenburgund Preußen umgab,zusehenundwomöglichzubegreifen. Er hatte gutgelernt, und ein wirtschaftlich hochentwickeltes Land und politisch selbstbewusste Bürger gesehen, die sich nicht lange bedachten und blankzogen, wo es galt, ihreeinst blutig erkämpften Freiheiten wie ihre Ehre bis zum äußersten zuverteidigen, ein üppiges Land mitlach- und lebenslustigen Leuten, dieeben darangingen, sichein gewaltiges überseeisches Reich zu begründen.Dieser Ehe war einKnabe entsprungen, der das zweite Jahr nicht überstand, ein Mensch mit Namen Wilhelm Heinrich, von dem wir nicht wissen, welches Wunder er vollbracht haben würde, hätte er nur etwas längergelebt.Auch Lessing hat bekanntlich die Begabung seines Sohnes stehenden Fußes noch am Kindbett erkannt und als Tatsacheder Nachwelt überliefert,obschon der KnabenureinigeTage an Lebensalter erreichte. Der zweite Sohn desKurfürsten,Karl Emil, stand 1657 auf immerhin zweijährigenerbprinzlichen Beinen, als das Brüderleinauf den Namen Friedrich getauft wurde.Und nun haben wir, die nachgeborenen Miterlebenden, also den dritten Sohndes Kurfürsten glücklicherweise in der heiligen Taufe. Es sollten noch einige Kinder, nämlich drei,zur Welt kommen, bisdie schöne Luise Henriette starb,mit vierzig Jahren.Worauf derGroße Kurfürst eine neue Ehe einging. Friedrich, den wir gerade der Christenheit übergeben haben, soweit sie kalvinistisch ist,wird seineGeschwister überleben. Dass diese Weltprotestantisch,wennschon nicht kalvinistisch wird,darum haben wir in Deutschland und in Böhmen gerade dreißig lange Jahre gekämpft und eineWüste hinterlassen, immerhin eine Wüste deswahren Glaubens,besser gesagt, aller möglichen Varianten des Protestantismus, auf derBasis einer alten Formel,der des Augsburger Religionsfriedens,einesdauerhaften Knebels für die Entwicklung des Reicheszum modernen Zentralstaat. Aber esist ein schönes Resultat auf dem ideologischen Nebenkriegsschauplatz Brandenburg, dass dieser Kurfürst eines Tages ein Toleranzedikt, zwar nicht ideologisch-förmlich alseineManifestation, aber via Praxis erlässt, was nun wiederSchwierigkeiten mit dem französischen Ludwig XIV., dem lieben Verwandten, bringen wird.Einige hunderttausend Flüchtlinge angeln die Agenten des Großen Kurfürstenan denGrenzen Brandenburgs,rüsten sie mit Geld aus,leiten sie weiter,keineSchwachköpfeund Sozialfälle,sondern selbstbewusste Leute,trefflich ausgebildeteHandwerker, Manufakturisten, Apotheker, Drucker, Gärtner;amEnde ist jeder fünfte Brandenburger ein Franzos mit juristischen wie konfessionellen Sonderrechten, eine unter sich lebende und üppig gedeihende hochprivilegierte Überklasse, deren Integration Jahrhunderte gedauert hat ...

Für jetzt,fällt dem Kurfürsten bei dieser Kindstaufe ein, wäre es schön, erst einmal die viehische Soldateska des lieben schwedischen Verwandten und ideologischen Verbündeten in Sachen christlicher Kirche aus Brandenburg, Pommern und Polen vertreiben zu dürfen. Dieser ewige Krieg könnte dahin führen, dass man zwar über eine protestantisch -kalvinistische Welt herrscht,die einer trostlosen Schädelstätte gleicht, auf der nur noch die Raben krächzen.

Diese Art Gedanken,Erinnerungen,Projekte und Hoffnungen mögen den Vater des künftigenKönigs in Preußen,vorläufig nur ein kleiner Hosenscheißer,bewegt haben. Leider dürfen wir dieser prächtigen Figur der brandenburgisch-preußischen Geschichte,dürfen wir dieses Großen Kurfürsten nur noch am Rande gedenken.AndreasSchlüter,der Türmebaute, die sich der sumpfigen berlinischen Niederung nicht gewachsen zeigten und umfielen, hat ein Standbild des Kurfürsten gemacht und sich bei dieser Gelegenheit ein Urteil über den Manngebildet.Ein Urteil über den Gatten hatte sich auch die gütige, warmherzige Luise Henriette längst gebildet. Wer meint, es habe sich um eine rein dynastische Allianz gehandelt,als der jungeMann diese Luise heiratete,der verkennt den Charakter dieses Hauptkerls,dem das Wichtigste an seiner Frau das Weib gewesen sein muss,nach allem,was über diese beiden bekannt wurde.Sie gebar ihm Kinder, wie wir sahen, oder vielmehr lasen, sie ging bei Gelegenheit auf den jähzornigen, wankelmütigen und oft schwachen Mann und Gatten entschieden zu rabiat los, da sie selbst einen starken Willen besaß. Jetzt schreiben wir ab, was aus anderer Quelle, die auch nicht klarer ist als unsere Phantasie, geschöpft wird. „Beherrschen Sie sich, Madame!“, soll der Kurfürst aus Anlass einer handgreiflichen Ehekrise geschrien und seinen Hut zu Boden geworfen haben.Da mag seine Gattin gelächelt haben; denn überzeugend war der Große Kurfürst in diesem Falle nicht.Die Empfehlung, beherrschter zu sein, als er selbst es war, schmeckt nach Rückzug, obgleich der harsche Ton gebieterisch, aber auch nach Ritterlichkeit klingt. Nein, es muss eine gute Ehe gewesensein,und derKurfürst wartief unglücklich über den Verlust seiner klugen Frau und Geliebten,die ihn häufig genug auf seinen beschwerlichen Feldzügen begleitete,die ihn beriet und pflegte, denn der robust aussehende,starkeMann mit der gewaltigen Hakennase im Gesicht und der ungeheuren Allongeperücke,wie sie damalsin Mode kam, war nicht eben kerngesund. Schlüter jedenfalls fand dennoch, dass der GroßeKurfürst vorteilhaft neben dem kleinen dicken Schwedenkönig aussah.Dieübrige politische Welt hielt von diesem Mann gar nichts; sie fand, er sei nicht nur wankelmütig, sondern wortbrüchig, was ohne Zweifel zutrifft, wie die anderen, seine Gegenspieler,böse,gewalttätig und noch treuloser gewesen sind.

DER ERBPRINZ

Friedrich war ein Sorgenkind. Infolge eines Sturzes vom Sitz eines Wagens hatte sich der Kleine die Wirbelsäule schwer verletzt. Offenbar wurde die Gefährlichkeit dieser Erkrankung nicht oder zu spät erkannt. Die Knochen waren weitergewachsen; das Kind litt unter ständigen Schmerzen, und zuletzt war der Rücken des künftigen Kurfürsten verwachsen, zu Deutsch, es hatte sich ein Buckel gebildet. Überdies litt der Prinz an Atembeschwerden, asthmatischer Art wahrscheinlich, die sich bis zu Erstickungsanfällen steigern konnten. Ob die Missbildung der Füße, die beim Gehen und Stehen nach innen gerichtet waren, als eine Folge der Rückenverletzung anzusehen ist und zu Haltungsfehlern führte, kann nur vermutet werden. Eine zärtlich besorgte Mutter und Großmutter ließen nichts unversucht, um diesem leidenden Kind zu helfen. An sich war die Orthopädie gegenüber den anderen Bereichen der Medizin, etwa der Inneren, durchaus entwickelt. Die Kriege hatten sicherlich mitgeholfen, dem Wundarzt Einblicke in die Lage der Knochen des menschlichen Skeletts zu verschaffen. Verschiedene Hilfsmittel waren ebenfalls schon bekannt. Korsetts wurden aus Fischbein, aus Metallstangen, Stoff und Leder verfertigt, Krücken konnten gemacht werden. Fritz wurde also zahlreichen Ärzten vorgestellt; endlos weite und anstrengende Reisen unternahmen die beiden Frauen mit dem Kind, vergeblich, bis sie an den berühmten Orthopäden Schot gerieten. Dem gelang es immerhin, die Fußstellung des Kindes so weit zu verbessern, dass es wenigstens richtig gehen konnte. Ergrimmt nannte die Großmutter Friedrichs alle diese Ärzte in Kassel, Kleve, Utrecht, die nacheinander konsultiert worden waren, bloß Quacksalber und Pfuscher. Indessen verstand es der Arzt Fay, eine weitere Koryphäe, schließlich sogar den Buckel zu mindern, jedenfalls durch komplexe Behandlung, orthopädische Gymnastik und die Verbesserung des allgemeinen Zustands des Jungen. Es muss gesagt werden, dass Erziehung und Fürsorge für die Kinder nicht bloß in Fürstenhäusern miserabel gewesen sind. Auch die Kindersterblichkeit war verzweifelt hoch. Luise, die Mutter Friedrichs, wurde, vielleicht durch den Verlust ihres ersten Kindes, zu einer überängstlichen Sorge veranlasst. Immerhin, was für den Sohn getan werden konnte, das wurde getan.

Die ersten Lebensjahre verbrachte ihr Kronsohn unter ihren Fittichen, entweder in Königsberg oder zu Cölln, dem Berliner Schloss, das der Kurfürst um die Mitte der vierziger Jahre in einem jämmerlichen Zustand vorgefunden hatte, wie wir bereits lasen, oder auf Reisen. Viel dürfte sich zwischen 1537 und 1657 an der kurfürstlichen Residenz nicht gebessert haben. Der Dreißigjährige Krieg - er war 1648 zu Ende gegangen, der Kurfürst hatte den Friedensschluss achtundzwanzigjährig erlebt - und die mühseligen Jahre der Regentschaft des Großvaters waren nicht eben dazu angetan, die kulturellen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für das Aufblühen Kurbrandenburgs zu verbessern. Die Jahreszahl 1537 kommt nicht zufällig hier herein; denn uns liegt eine fabelhafte Überlieferung darüber vor, wie es im Schloss zu Cölln zuging. Damals wie heute spielen sich wichtige öffentliche Dinge oft genug beim Essen ab; solche Treffen nennt man deshalb auch Arbeitsessen, weshalb sie der brave Bürger steuerlich absetzen darf. Seinerzeit rief ein Signal, Trompete, Fanfare, Posaune, was auch immer, die Fresser und Säufer, die keine Abgaben kannten und überhaupt nichts freiwillig hergaben, zu Tisch in den Rittersaal des Schlosses. Dort nahmen die Herrschaften entsprechend ihrem Rang an gesonderten Tischen die Mahlzeit ein; Räte, Edelmänner und sogenannte Einrösser, also der märkischen Ritterschaft (ein in sich gegliederter Stand unterschiedlichster Ränge selbst halber und gevierteilter Rösser) angehörende Personen, bekamen die ihnen zukommenden Plätze zugewiesen. Dann wurden alle Türen verschlossen, um das Abschleppen, also das Stehlen von Esswaren und Getränken vom Herrentische, zu erschweren. Wein- und Bierkeller wurden ohnedies immer verschlossen gehalten. Beim Verlassen des Saales konnte ein jeglicher bequem kontrolliert werden. Dem Gelage stand ein sogenannter Marschalk vor, der nicht nur das Auf- und Abtragen der Speisen und Getränke überwachte, sondern auch auf Zucht und Sitte bei Tische achtete, was offenbar nötig. Noch zu Joachims Zeiten war die märkische Ritterschaft nicht in der Lage gewesen, einen Protokollführer zu stellen, weil keiner von ihnen des Schreibens kundig sei, wie der Kurfürst zu wissen bekam. Nach dem Essen durften sich die Herren ins Frauenzimmer zurückziehen; daher der keineswegs abwertende Ausdruck für eine Frau schlechthin. Dort saßen denn die Jungfrauen in einer Reihe den Herren gegenüber, weil das Sitzen zu zweit nicht gestattet war. Mit Recht. Wir bestätigen; es kommt nichts dabei raus, wenn jugendliche Frauenzimmer und Herren zu dicht beieinander sitzen. Da springt allzu leicht der Funke in die entflammbaren jungen Herzen, und niemand weiß, wie die Glut gelöscht werden kann. Dass nichts passierte, dafür sorgte eine Hofbeamtin. die Hofmeisterin, und um zwanzig Uhr war es ohnehin Zappen duster und Schlafenszeit. Nun ist es allerdings zu befürchten, dass die Kammern der Jungfrauen belebter waren, als sich die Hofmeisterin träumen ließ, denn das Zeitalter war sinnenfreudig gestimmt, katholisch, kalvinistisch oder alt-lutherisch, wie auch immer, davon überzeugt, es stünde am besten mit einem, wenn man genieße, was einem gegeben... Zu Bett zu Bett,wer eine hat, wer keine hat muß auch zu Bett, sangen die kleinen und großen Kinder. Alle Feuer und Lichter im Schlosse wurden gelöscht, die Tore gänzlich verschlossen.

Zu Friedrichs Zeiten wird sich daran kaum etwas geändert haben, schon deshalb nicht, weil Luise Henriette eine fromme, und das heißt eine strenge Kalvinistin war, in diesem Punkt hatten die beiden Gatten keinerlei Meinungsverschiedenheiten. Für den Prinzen wird diese Hausordnung, mag sie nun schon etwas gelockerter gewesen sein oder den höfischeren Zug angenommen haben, keine Bedeutung gehabt haben. Er hätte auch ohne Hofordnung zu Bett und mit den Hühnern schlafen gehen müssen, sozusagen. Luise Henriette, die oranische Prinzessin, war, so scheint es, ihrem sozialen Erbe nach weit eher den bürgerlichen Traditionen der Niederlande verbunden als eine Prinzessin neuerer höfischer Observanz. Das Dasein der damaligen Fürsten der Zeit unmittelbar nach dem Dreißigjährigen Krieg war im ganzen gesehen barock und erfreulich lebensnah, grobianisch, liest man im Simplizissimus, geschrieben von einem, der gut Bescheid damit wusste, Grimmelshausen. Zuletzt riet er uns allen zur Askese. Gleichviel, man rieb sich noch an der Erde wie am Leben. Jedenfalls hätten wir der Mutter des kleinen Erbprinzen Friedrich ohne Bedenken unser eigenes krankes Kind anvertrauen können. Von der Geburt ihres Fritzchens an gerechnet, hatte diese Frau nur noch zehn Jahre zu leben, die ausgefüllt gewesen sind mit Kinder pflegen und Kinder gebären, mit Reisen und Sorgen um das Glück ihrer Familie. Die Schwindsucht brach aus, vergeblich fuhr die Kurfürstin ihrer schwachen Lungen wegen zu Kuren nach Aachen und Spa; sie wollte leben, leben. Sie beobachtete, wie sich der Prinz fleißig darin übte, die Rolle eines Fürsten zu spielen. Er verkleidete sich gern, ließ sich als Prinzvon Halberstadt anreden und stiftete im Alter von neun Jahren selbstbewusst einen Ritterorden, den OrdendeLa generosite. So weit weg von der großen Welt war der Berliner Hof nicht, dass die Kunde von diesem eigenartigen jungen Mann nicht bis nach England, eine der Seemächte, und anderswohin gedrungen wäre. Flugs ernannten ihn die Dänen und die Söhne Albions zum Ehrenmitglied ihrer eigenen verspielten Orden, des Hosenband-, des Elefantenordens.

Dieser verwöhnte und verzärtelte Muttersohn, dieser schwächlich-kranke Knabe, der so völlig anders war als sein nur wenig älterer, kräftiger und kerngesunder Bruder, hatte gleichwohl in dieser Zeit die ganze Liebe seines Vaters, des Kurfürsten. Wie auch sein Bruder Karl Emil, durfte er den Papa auf Jagden und ins Feldlager begleiten, auf wilden Pferden reiten, ohne solche Exzesse sonderlich zu lieben, durfte mit dem Schwert fechten, ohne den Ehrgeiz, ein Prinz Eugen von Savoyen zu werden, und lernte den Umgang mit Blei und Büchse. Nicht einmal den Tanz soll Friedrich sonderlich geliebt haben, und der Tanz war als Abendvergnügen bei Hofe damals ausgesprochen beliebt; vielleicht hinderte ihn sein misslich gestalteter Körper daran, solche Unterhaltung zu genießen. Der Kurfürst war, wie alle cholerischen bis sanguinischen Naturen, wechselnd großmütig und kleinlich, konnte sanft sein wie eine Taube und brüllen wie ein Löwe, sich wie ein biederer Hausvater aufführen, zusammen mit Frau und Kindern auf Kleinstadtmärkten herum streifen und die Dreistigkeiten der Leute anhören, einkaufen, mit den Jungen spielen und sich andererseits bis zur Weißglut über einen Dreck aufregen. Mochte der Große Kurfürst auch manch einen störrischen Esel von Untertanen oder albernen Dummkopf von Rat aufbrausend rüffeln, seinen Kindern gegenüber war er nachsichtig oder zeigte sogar eine bemerkenswerte Feinfühligkeit, wenn es um die Erziehung der Knaben ging. Karl Emil wollte sich mehr in Richtung eines Taugenichts entwickeln, aber der spätere Erbprinz widmete sich mit Leidenschaft seinen zunächst noch spielerischen Studien, seinen Entwürfen am Zeichenbrett, übte sich in der Musik, er erlernte, wie sein Nachfahre und Enkel, das Flötenspiel und traktierte, wie seine spätere Gemahlin, heftig das Klavichord. Soweit sind wir aber noch nicht.

EBERHARD VON DANCKELMANN

Unversehens war die Frage an das Elternpaar herangetreten, wie sollen die beiden Knaben erzogen, wie und von wem unterrichtet werden? An sich ist es schon auffallend, dass es der Kurfürst überhaupt für notwendig hielt, seinen Sprösslingen so etwas wie eine wissenschaftliche Ausbildung angedeihen zu lassen. Kurfürst wäre der eine oder der andere ja ohnehin geworden. Militärisches hätte sie das kriegerische Dasein der Fürsten seiner Zeit mehr oder minder ohnehin gelehrt; denn der Krieg war die Regel, Frieden die Ausnahme, wenn auch nicht alle Tage Schlachten geschlagen wurden. Die Verwaltung lag in Händen spezieller Berater, aber die Zeiten hatten sich geändert, alles schien komplizierter geworden, und ein Fürst musste offenbar in Zukunft mehr können, als seinen Namen unter ein Schriftstück setzen, das ihm seine Räte vorlegten. Kurzum, dem Kurfürsten war klar, dass es mit einer waldursprünglichen Erziehung nicht mehr lange gut ginge. Das Elternpaar hielt Rat. Als Hofmeister, also Erzieher, bot sich Otto von Schwerin an, ein bewährter altgedienter Mann. Falls der Kurfürst einen anderen im Sinne gehabt haben sollte, so setzte sich seine Gemahlin gegen ihn durch, obschon auch der Kurfürst Schwerin gut genug kannte. Der damals zweiundvierzigjährige Otto diente ihm als Minister und Präsident des sogenannten Geheimen Rates. Diesem Mann war Karl Emil seit seinem sechsten Lebensjahr anvertraut worden. Otto war eigentlich Lutheraner. Als Konvertit und nunmehriger Kalvinist genoss er das Vertrauen Luises vollständig, weil sein Glaubenseifer sie absolut überzeugte, wie alle Seitenwechsler den Brustton der Überzeugung haben, der einen hohlen Klang macht, wie Schnitzler seinen Minister in Professor Bernardi sagen lässt. Indessen machte Otto keineswegs nur einen hohlen Klang. Er übernahm mit wahrer Hingabe das Amt, sowohl den Karl Emil, als auch den Friedrich zu wahren Christen, das heißt zu Kalvinisten, zu vorbildlichen Kurfürsten und Menschen zu bilden. Nicht nur, dass er den Unterricht der Kinder leitete und beaufsichtigte, er pflegte auch die Mahlzeiten mit ihnen einzunehmen und die Schlafkammer zu teilen. War Otto ein kluger und gutmütiger und rechtschaffen ambitionsloser Trottel, so lässt sich von seinem Gehilfen Eberhard von Danckelmann einiges mehr mitteilen. Neben seiner Intelligenz besaß dieser Danckelmann, bei dem wir uns etwas länger aufhalten werden, weil er einen bedeutenden Einfluss auf Friedrich ausgeübt hat, leider etliche dunklere Charakterseiten. Der Vater Eberhards hatte an den Friedensverhandlungen in Westfalen teilgenommen, und zwar als Jurist, also als Staats- oder Völkerrechtler. Eberhard war das vierte von dreizehn Kindern dieses trefflichen Menschen und eines der so häufigen Wunderkinder. Er geigte zwar nicht mit vier Jahren, er spielte auch nicht mit sechs Klavier oder dirigierte mit acht die 9. Symphonie Beethovens, die noch gar nicht geschrieben war, nein, das alles tat er nicht, aber er legte doch immerhin mit zwölf Jahren ein juristisches Examen ab. Besorgte Eltern tun manchmal alles, um ihren Kindern das Beste an Erziehung angedeihen zu lassen, wessen sie habhaft werden können. Der Kolporteur dieses Buches über alle Friedriche und Wilhelme der Welt, soweit sie preußisch waren, bekennt freimütig, er hätte es sich wohl überlegt, seinem Sohn diesen vorzüglichen Eberhard aufzuhalsen, was nicht mehr ist als ein Vorurteil. Denn: Eberhard war nämlich schon weit gereist, er kannte die Niederlande, die fetten, wohlhabenden, die reichen flämischen Provinzen, er kannte das vornehme Frankreich der enormen Perücken, der seidenen, brokatenen, samtenen und goldbestickten Schlaf- und Staatsröcke wie die unbeschwerte gallische Lebensweise. Er hatte sich in dem nüchternen, trockenen England aufgehalten und auch in Italien. Das hob ihn heraus, denn Reisen bildet. Dieser Danckelmann ist im Übrigen eine wirklich interessante Figur, eine der interessantesten am Berliner Hof, wenn auch eine finstere, und es spricht für die Geschicklichkeit wie die Selbstsicherheit dieses Erziehers, sich augenblicklich die Zuneigung des kleinen Fritz gesichert zu haben, wo selbst Mutter und Großmutter alsbald in der Beurteilung seines Charakters erheblich zurückhaltender wurden. Ehe wir diese Jahre Friedrichs näher betrachten, werfen wir noch einen Blick auf die unglaubliche Karriere dieses Danckelmann.

Durch die Staats- oder Verwaltungsreform von 1651 war dieser Mann in seine alles beherrschende Stellung gelangt. Der GeheimeRat, ein Regierungsinstrument des Kurfürsten, wurde in seinen Händen zum Kontrollinstrument der Länder des Kurfürstentums. Alle Direktoren der Verwaltungsdepartements Brandenburgs und Preußens sowie der kleineren Gebiete gehörten dem Geheimen Rat automatisch an. Erst das Generaldirektorium, unter dem Enkel des Großen Kurfürsten, Wilhelm I., 1723 gebildet, löste diese geheime Kammer ab. Danckelmann sammelte alle exekutive Macht unter das Dach dieses zentralen Rates. Die Departements wurden zahlreicher und ihre Interna unübersichtlicher. Die Departements, die Regierungsbezirke, gediehen unter der Hand beinahe von allein und durch den Rat. Streng genommen war er überflüssig geworden, zumal die raschen Entscheidungen längst im Kabinett getroffen wurden. Hier zeichnete sich schon der Übergang zum Kabinettsregime ab. Man darf bei dieser kurzweiligen Betrachtung nicht vergessen, dass der Kurfürst Friedrich Wilhelm eine moderne Verwaltung zusammen mit seinem Staat erst schaffen musste. Wir sind jetzt ein wenig vorausgeeilt. Aber zurück zu Danckelmann als Prinzenerzieher.

Was die Erziehung seiner Söhne anbelangt, so hatte der Kurfürst immerhin klare Vorstellungen; er entwarf selbst die Studienprogramme und kontrollierte die Fortschritte seiner Kinder. Die Sprache ihrer Mutter Luise, das Französisch, stand natürlich obenan auf dem Programm, aber auch Latein, Holländisch und, was in Erstaunen versetzt, Polnisch hielt der Kurfürst für wichtig genug, es zu erlernen. Man wird bei diesem Pensum Algebra, Physik und dergleichen vermissen. Es mag im Ermessen des Lehrers gelegen haben, solche Kenntnisse, falls er sie besessen hat, gelegentlich an seine Schüler weiterzureichen. Aber hier zeigt sich der Beginn eines Rückstandes in Deutschland und namentlich in Brandenburg und Preußen zum übrigen Europa, vielleicht nicht nur infolge des langen, alle zivilen Entwicklungen lähmenden Krieges. Frankreich, die Niederlande, Italien und selbst das benachbarte Sachsen waren auf allen Gebieten erheblich weiter. Der wissenschaftliche Gerätebau gilt als Gradmesser der Entwicklung; darin waren die genannten Länder weit, weit vorn. Newton hatte die Physik, die Mathematik erneuert, optische Instrumente, Land- und Seekarten, Globen und dergleichen mussten in das östliche Europa eingeführt werden. Peter I. brachte von seiner ausgedehnten Reise durch die westeuropäischen Staaten, zu der er einige Lernunwillige zwangsweise verdonnert hatte, der sogenannten Großen Gesandtschaft, (angetreten am 20. März 1697 in Moskau) logischerweise massenhaft Geräte mit nach Hause, Uhren und Sextanten, Fernrohre, Brillen, einfache Maschinen und was er sonst noch ergattern konnte. Auf seinem Schreib- und Arbeitstisch standen immer optische Geräte, und er unternahm den hoffnungslosen Versuch, Russland zu einem Sprung aus dem Urzustand in das Feudalzeitalter zu veranlassen. Ab 1750 datieren die heutigen Wirtschaftshistoriker bereits den Beginn des neuen technisch-wissenschaftlichen Zeitalters, des Kapitalismus.

Danckelmann sorgte jedenfalls auch für geographische Karten und Globen, deren Bedeutung der Kurfürst sicherlich in seinen niederländischen Lehrjahren kennengelernt hatte. Was wurde noch in die Prinzenköpfe getrichtert? Geschichte hielt der Vater für wichtig und natürlich haufenweise Religion, nicht nur als Lehrstoff, sondern vor allem als inneres Erlebnis. Psalmen wurden täglich mehrmals in der Familie gesungen, aus der Bibel fortwährend gelesen. Der Kurfürst und Vater war überdies ein großer Freund wirkungsvoller Rhetorik; also lernten die Prinzen allerlei auswendig, Gedichte und Texte, die sie vortragen mussten, Karl Emil mit Verdruss, sein Bruder vielleicht mit eitlem Vergnügen, sich die wunderbare Gelegenheit zu würdevoller Gespreiztheit nicht entgehen lassend. Außerdem wurde gezeichnet, getanzt, musiziert, sich also ein wenig vergnügt. Dieses anheimelnde Bild trügt; in Wirklichkeit herrschten am Berliner Hof die Intrige, die Verleumdung und die Missgunst. Selbst der Lehrer des Erbprinzen, unseres Friedrichs, übte seine Lehraufgabe mit dem aus, was er als notwendige Strenge bezeichnete, der Bestrafung. Die Mutter, auch die Großmutter führten heftige Klage wegen dieser ihnen als unmäßig erscheinenden Härte. Aber Danckelmann hatte in Otto von Schwerin einen bedeutenden Verbündeten, einen Mann, der ihm die Stange hielt. War das Fritzchen abgestraft worden, so flüchtete es zur Mutter, dass sie ihn tröste und aufrichte. Trotzdem hat der Knabe seinen Erzieher zunächst nicht gehasst, sondern, im Gegenteil, ihn verehrt und sogar geliebt, zumindest aber hat er ihn gefürchtet und sich am Ende unter der biedermännischen Maske seines Rechts bitter für die ihm angetane Gewalt gerächt. Die Bindung an Danckelmann verstärkte sich sogar noch, als Luise starb, seine vielgeliebte Mama, der er viele Tränen nachschickte. Friedrich war zehn Jahre alt, als er die Mutter verlor und zur Halbwaise wurde. Nun übernahm der Lehrer neben der Vater- auch noch die Mutterstelle bei dem Prinzen, er pflegte ihn eigenhändig, wenn der Knabe krank wurde, was ziemlich häufig geschah. All diese Wohltat dankte der Schüler dem Lehrer, als er ihn am 20. Mai 1688 zum Staatsrat und Kriegsrat und Premierminister ernannte. In Wirklichkeit kühlten sich die Beziehungen rasch ab. Irgendwie hat aber der Chronist sich einer dauernden Präsenz dieses Dunkelmanns gewiss zu sein, bis zu dessen Sturz. Das hat noch Weile. Friedrich zählt zehn Jahre, er hat die hochgeliebte Mutter verloren, er trauert tief und mit wie viel Recht, das sollte sich bald erweisen.

Es ergänzt das Bild der Mutter auf eine besondere Weise, wenn man das Testament Luise Henriettes liest. Sie ordnete nämlich an, dass im Falle ihres plötzlichen Todes die Kinder auf dem Gut Schwerins in Alt-Landsberg bei Warta erzogen werden sollten. Sollte sich der Kurfürst alsbald wieder verheiraten, wie sie richtig voraussah, so hatte Anhalt, ein Verwandter, die Sorge für ihre Kinder zu übernehmen. Luise kannte ihren Herrn Gemahl viel zu gut, kannte seine unkontrollierbaren Wutausbrüche, seine Unberechenbarkeit wie seine Verletzlichkeit, um zu wünschen, dass die Knaben in seiner Nähe blieben, ohne ihren mildernden Einfluß auf den Vater. Schwerin war im Übrigen der richtige Mann; er besaß eine umfassende Bildung; in Alt-Landsberg lebte er inmitten seiner Sammlungen, seiner großen, sorgfältig ausgewählten Bibliothek, er war tolerant bis phlegmatisch, ihm fehlte es an Ehrgeiz, seine Stellung zur Intrige zu nutzen, er war der echte und rechte Fürstendiener. Diese weltkluge Holländerin wusste offenbar mit Menschen Bescheid, und sie sah vieles voraus, aber nicht alles. Es kam ganz anders.

DOROTHEA VON HOLSTEIN-GLÜCKSBURG, DIE STIEFMUTTER

Keine dieser Verfügungen Luises wurde erfüllt, denn der Große Kurfürst, der sich nach einundzwanzig Jahren Ehe durch den Tod seiner Frau heftig vereinsamt fühlte, wie jeder Witwer, der eine Frau verloren hatte, die ihm gesagt hat, wann er die Wäsche wechseln soll, ging bereits ein Jahr später ziemlich überstürzt und unüberlegt eine neue Ehe ein. Hübsch, möchte man sagen, wenn man alle diese Porträts, Halbporträts und Ganzbilder betrachtet; sorgfältig frisierte Frauen mit feinem Lächeln in den leicht gedunsenen Gesichtern, mit haarfeinem Pinsel ausgezogene Brauen, große Dekolletés und Berge von Samt, von durchbrochenen Spitzen und stets schlanke, überfeine, vom Maler höchst sorgfältig behandelte Hände, die wie zufällig einen Brokatumhang oder eine silberne Stola raffen. Die Männer stecken hingegen in kriegerisch brüniertem Blech, über welches Leopardenfelle und gewaltige Mäntel fallen. Die Gefäße ihrer Degen blitzen gefährlich, und unter ihren Allongeperücken betrachten wir Gesichter voller falscher, öder Ruhe oder der edlen Einfalt beschäftigungsloser Schwachköpfe. Manchmal halten sie das Pferd, auf dem sie sitzen, die Hand mit einem Marschallstab aufgestützt, im Sprunge an, wie in einer fotografischen Momentaufnahme, und so durch die Jahrhunderte. Nein, auf die Charaktere jener Menschen lassen die Bilder nicht schließen. Nehmen wir sie als das, was sie sind, hübsche Dekorationen.

Diese einunddreißigjährige Witiberin Dorothea von Holstein-Glücksburg, des Prinzen neue Mama, war eine gewaltige Frau mit allerlei Energie und einigen Leidenschaften, darunter die, welche einem Lande am wenigsten bekömmlich ist, der Hang zur Politik. Auf ihren Gütern Caputh, Glienicke und Bornim wirtschaftete sie allerdings mit viel Glück und Geschick als Gutsherrin. Die Stadt Berlin verdankt ihr den Stadtteil, der ihren Namen trägt, Dorotheenstadt, und sie war diejenige, die auf den trefflichen Einfall kam, die einzige große Allee Berlins mit Linden dicht an dicht zu bepflanzen, weshalb diese schöne Straße auch bis heute Unter denLinden heißt. Viel mehr braucht man von Berlin eigentlich nicht zu sehen; alles andere wurde von Kommerzienräten erdacht und errichtet, die in unserem Zeitalter vom Geniearchitekten abgelöst wurden, deren Ziel die Entvölkerung genau der Städte ist, die von ihren Vorgängern erst zu lebendigen Zentren gemacht wurden. Deshalb heißen die Alten auch Baumeister, da sie das Bauen so meisterlich verstanden. Dass Dorothea dem Kurfürsten sieben Kinder schenkte, spricht für eine andere Art Energie, und weshalb diese unheimlich tätige Frau alsbald die Berliner Agrippina, jener Dame aus dem klassischen Zeitalter, genannt wurde, werden wir erfahren. Jedenfalls wurde sie bald zur bösen Stiefmutter, ihr Geltungsdrang wie ihre Rachsucht schufen ihr in der Tat auch keine Freunde in Berlin.

Für den jungen Friedrich brachen schwere Zeiten an, das ist wohl wahr. Aber es ist auch verbürgt, dass diese Frau ebenso wie die verstorbene natürliche Mutter des damals noch kleinen Fritzchen gegen die unmäßige Härte Dunkelmanns einschreiten wollte. Wir finden in der an sich reichen Literatur über Friedrichs frühes irdisches Dasein keinen Hinweis darauf, dass der Vater Großer Kurfürst auf diese Einsprüche seiner beiden Damen in Sachen Erziehung auch nur vorsichtig reagiert hätte. Von heute aus sind die Beziehungen zwischen ihm, seiner zweiten Frau und den Söhnen aus erster Ehe kaum noch gerecht zu beurteilen. Sie waren für die Kinder nicht gut, das mag festgestellt werden. Friedrich selbst hat anscheinend nie Klage gegen Dunkelmanns Bestrafungen geführt, er hat ihm auch noch als Erwachsener einfach gehorcht, bis zu einem Punkt, bei dem möglicherweise eher sein Erzieher im Recht gewesen ist. Da ging es vordergründig ums Sparen, in Wirklichkeit ging es um mehr, um die Befreiung des Kindes von der Vormundschaft, was man heute als einen Generationenkonflikt mehr oder minder zutreffend bezeichnet.

Mit dem Einzug Dorotheas begannen sich die Beziehungen zwischen Vater und Sohn rasch zu verschlechtern. Dafür gibt es keine offenliegenden Gründe. Unmittelbar nach dem Tode der geliebten Luise Henriette hatte sich Friedrich Wilhelm zurückgezogen und nach Art heftiger Charaktere gegrollt - mit dem Schicksal, das ihn genarrt und alles genommen, mit seiner Einsamkeit, die er nicht gut ertrug. Er brauchte Leben, Aufruhr und die Genugtuung einer Tat um sich herum. Er hat, so wird berichtet, auch die Möglichkeit eines morganatischen Verhältnisses zu einer Frau erwogen, was ihm aber sicherlich nicht lag. In einer solchen Ehe wird die Frau zwar kirchlich getraut, tritt jedoch nicht in alle Rechte einer Ehegattin ein, sie erhält nur die Morgengabe, das Morganat, nicht aber das volle Witwenrecht. Auch ihre Kinder treten nicht in das ganze Erbe ein. Mit einem Wort: es handelt sich um eine Missheirat, eine Mesalliance. In einer solchen Beziehung liegt der Reiz entweder im Verbotenen, wozu man ein standhafter Charakter oder ein Phlegmatiker sein muss, oder es handelt sich um eine Neigungsehe, wie sie häufig vorkam. Der Große Kurfürst mag etwas anderes gesucht haben, ein berechenbar-unberechenbares Glück von der Art, wie es ihm Luise Henriette geboten, auch kein galantes Verhältnis mit seinen Zweideutigkeiten. Ob ihn Gewissensgründe von einer morganatischen Ehe abgehalten hätten, ist zu bezweifeln, da das religiöse wie kirchenrechtliche Trauungsverfahren zwischen den Glaubensrichtungen keineswegs ganz geklärt war. Luther hatte das katholische Ehesakrament für zweifelhaft gehalten, aber dennoch die kirchliche Trauung beibehalten. Der Kurfürst Joachim I., in dessen Lebens- und Amtszeit die Reformation fällt, hatte diese verworfen. Kurfürst Joachim II. wurde zwar ihr Anhänger, führte aber im Schmalkaldischen Krieg auf Seiten des Kaisers gegen die Reformierten Krieg und verleibte sich seelenruhig die Kirchengüter Brandenburgs ein. Elisabeth, die Kurfürstin, nahm 1525 das Abendmahl in lutherischer Gestalt und flüchtete vor ihrem Herrn Gemahl 1528 nach Wittenberg. Aber 1613 trat ein brandenburgischer Kurfürst zum Kalvinismus über; kurz, es hat ein erhebliches Nebeneinander in Glaubensfragen geherrscht. Melanchthon hat Ehen zur linken getraut, zumindest Fürsten, was im Klartext heißt, er ließ eine zweite Gattin rechtlich zu und wie eine ehelich Angetraute gelten, ja, er lieferte auch die entsprechende Auslegung der Schrift für dieses Verfahren, was sicherlich zu den höchsten Mysterien des wahren Glaubens zu rechnen ist. Allein der Große Kurfürst und Witwer suchte etwas Besseres, als dieses schwierige Durcheinander von Konkubinat und christlicher Ehe, und heiratete einfach standesgemäß. Dennoch, diese böse Dorothea blieb über zwanzig Jahre an der Seite des Großen Kurfürsten, sie wurde seine getreueste Begleiterin auf all seinen Reisen und Feldzügen, sie stand ihm bei seinen Erkrankungen zur Seite, und sie war bei ihm bis zum Tode, wirklich also, bis daßderTodsie schied. Ihr wird nachgesagt, sie habe einen ihrer eigenen Söhne auf den Thron zu bringen versucht und einen der erstgeborenen Söhne des Kurfürsten verdrängen wollen. Ja, und?, antworten wir, was weiter? Es mag stimmen, und wie die Verhältnisse lagen, war es nur natürlich, dass sie dies anstrebte. Freilich ist es ihr nie gelungen, die Sympathie ihres Stiefsohnes Friedrich zu gewinnen, der von Anbeginn etwas gegen diese Stiefmutter gehabt hat. Die Dinge sollten bald eine Wendung nehmen, die Friedrich überraschend zum Kronprätendenten machten.

Der Thronfolger Karl Emil war seinem Vater ins Feldlager gefolgt. Es geht gerade um den neunjährigen Krieg, um das Erbe Holland. Aus verschiedenen Gründen, die wir hier übergehen dürfen, hatte sich der Kurfürst dazu entschlossen, in Straßburg zu überwintern. Größere Feldzüge waren damals zur Winterszeit nicht möglich. Im Dezember 1674 brach im Lager die Ruhr aus, und Karl Emil verstarb an dieser Seuche, neunzehn Jahre alt. Der Vater und Kurfürst zeigte sich ob dieses neuen Verlustes tief erschüttert; er hatte diesen ihm nachgeratenen Bengel sehr geliebt, und den musste er nun auch noch verlieren, nachdem ihm schon die geliebte Frau genommen worden war. Bewegt veranlasste er die Überführung der Leiche seines Sohnes nach Berlin, um ihn im Dom beizusetzen. Ein Jahr weiter verließ auch die Großmutter Amalie, die verwitwete Prinzessin von Oranien, eine der Stützen des Prinzen Friedrich, diese Welt der Affereien und Allfenzereien. Die Tante, Schwester des Großen Kurfürsten, Luise Charlotte - was bei den Männern die Friedrichs, sind die Luises bei den Frauen - kam zuerst selten, später gar nicht mehr von ihrem Besitz in Kurland nach Berlin; überdies starb auch sie 1676. Eine üble Lage, nicht nur für einen Prinzen, jetzt sogar noch einen Kronprinzen, den keiner lieb hatte und der seinerseits höchstens durch seine Mittelmäßigkeit auffiel. Auch nach dem Tode Karl Emils wurde das Verhältnis zwischen Vater und Sohn kaum besser. Der Erbprinz fand seine Stiefmutter weiterhin abscheulich, eine Agrippina, die nahen mütterlichen Verwandten waren tot oder unerreichbar fern. Doch eine Frau gab es, die ihren liebenPrinz Friedrich vergötterte, auch. eine Schwester des Kurfürsten, ebenfalls Witwe, die Landgräfin von Hessen-Kassel, Hedwig Sophie. Diese Frau sollte kurzfristig eine besondere Rolle im Leben des jungen Prinzen spielen. Der Onkel Johann Georg von Anhalt, mit einer Schwester der verstorbenen Luise Henriette verheiratet, der nämliche, der auf Fritz hatte achtgeben sollen, falls sich sein Vater wieder verheiraten würde, sprang dem Neffen schon deshalb bei, weil er den Abscheu des jungen Mannes gegen die Kurfürstin Dorothea teilte. Es war ein rechtes Familientheater nach dem Muster antiker Dramen, das sich jetzt anbahnte. Selbst das Gift fehlte nicht, mit dessen Hilfe dem Schicksal nachgeholfen werden sollte.

ELISABETH HENRIETTE

Warum, fragt der Beobachter, Sozial-, Kulturkritiker, warum, zum Teufel, gibt es massenweise Bilder ernster Damen und würdevoller Herren und kaum eine gute Darstellung jugendlicher Prinzen, oder nur ausnahmsweise und ins Zwergenhafte gewendete Erwachsene? Weil das Zeitalter nicht jugendfreundlich gewesen ist, lautet die Antwort, und weil man erst einmal etwas werden musste in dieser Welt des Scheins, der Trugbilder und der harten Wirklichkeiten. Vergessen darf auch nicht werden, dass diese Pinselei für die Fürstengalerien der Herrscherhäuser bestimmt war. Kunst, wird man dem Maler gesagt haben, wird von Ihnen nicht verlangt, Monsieur, wohl aber die Darstellung der Repräsentation, der tristen Vornehmheit und des bescheidenen Größenwahns. Richten Sie sich danach, Monsieur, wenn Sie wollen, dass man Sie auch bezahlt!

Ach, unsere Elisabeth Henriette wurde von einem Hermann Heinrich de Quitter gemalt. Sein Bild zeigt eine wahrscheinlich mittelgroße Dame im Samtkleid mit bis zur Büste freien Schultern, mit schönen, zierlich gespreizten Händen, die vermutlich Grübchen aufweisen, und ein rund- ovales Gesicht mit einem leichten, vertrauenerweckenden Lächeln. Perücke trägt Elisabeth nicht, das Haar ist schlicht aufgesteckt. Diese Dame wurde nur zweiundzwanzig Jahre alt; auf dem Gemälde des Heinrich Quitter sieht sie aus wie Mitte Dreißig. Das dürfte auch angestrebt worden sein. Vorbei die Zeit der Renaissancekunst mit den erschütternd menschlichen Bildern von büßenden - gleichwohl erotischen - Magdalenen, üppig bebrüstet, von Männern mit kraftgeschwellten Hälsen und Lenden, wo jedes Bild ein Schrei der Lust und der Befreiung gewesen ist. Die Maler hatten zu malen, die Mäzene zu sehen verlernt. Was, um alles in der Welt, brachten die Leute nur aus Italien mit, in welches sie massenhaft pilgerten, vorgeblich um etwas zu lernen und die Malerei Michelangelos zu studieren? Nichts brachten sie mit, ausgenommen billig Eingekauftes, genau wie heute.

Dieses wunderbare Mädchen Elisabeth von noch nicht einmal zwanzig Jahren wohnte in Kassel und war die Cousine Friedrichs. Hier ist einzuflechten, dass sich die Stiefmutter Dorothea schon an dem älteren Karl Emil heiratsstifterisch versuchte und ihm eine Niederländerin ins Bett legen wollte. Dieser junge Mann hatte es jedoch kategorisch abgelehnt, eine andere als ein gehorsames deutschesMädchen zu ehelichen, und die oranische Prinzessin schnöde abgewiesen. Nun sollte es der Bruder des Verstorbenen sein. Zwar drohte die Berliner Agrippina dem anderen Sohn ihres Gemahls aus erster Ehe, er werde es zu bereuen haben, ihr in dieser Sache Paroli zu bieten, der Herr Stiefsohn aber blieb widerspenstig. Es kam zu heftigen Auftritten, und Friedrich hatte nun endlich Ursache, seiner Stiefmutter das Allerschlechteste zuzutrauen. Der Kurfürst hatte allerdings ebenfalls Pläne mit dem Thronerben, er wünschte sich die verwitwete Schwester des Kaisers Leopold zur Schwiegertochter. Diese Frau war einst die Gattin des Königs Michael von Polen gewesen und seit dem November 1673 in den Witwenstand zurückversetzt worden. Die Historiker erklären ziemlich einstimmig ihr Unverständnis darüber, dass der Kurfürst gegen eine Verbindung mit der Kasselerin Elisabeth war, der Herzensdame des Erbprinzen. Wir aber wissen, dass Friedrich Wilhelm sich schon früher gern mit einem richtigen Königshaus verbunden hätte. Damals war es die Königin Christine gewesen, heute die ältliche Witfrau. Fritz war zur Zeit all dieser Verwicklungen, die wir auf das Jahr 1679 datieren wollen, als dem Kulminationsjahr, man eben zweiundzwanzig Jahre alt; Elisabeth, 1661 geboren, also achtzehn. Überdies, neben der rührend gefahrvollen Jugendlichkeit des Paares, waren die Beziehungen des Thronfolgers zu Tante Hedwig Sophie und den Kasselern immer innig gewesen. Die beiden jungen Leute kannten sich seit den Kindertagen. Elisabeth war die zweite Tochter der Hedwig und des Landgrafen von Hessen-Kassel, Wilhelm IV. Aus dem Erbprinzen war inzwischen leider ein ausgemachter Geck geworden, der sich selbst für dieses Zeitalter herausfordernd kleidete, der ungeheure Perücken trug und sich mit allerlei Spielereien die Zeit vertrieb, wiewohl es ihm andererseits nicht an Energie fehlte, den täglichen Kleinkrieg mit der Stiefmutter Dorothea zu führen. Dieses Paar zumindest lebte sich erfrischend aus.

Was der Ratgeber Danckelmann tat, ist bald gesagt; vorläufig nichts. Ziehsohn und Ziehvater, als welcher sich Danckelmann mehr und mehr fühlte, verstanden sich in diesem Punkt der Heirat auf das vorzüglichste. Nach einigen heftigen Auseinandersetzungen mit der Stiefmutter packte Friedrich seine sieben Zwetschgen, den Erzieher und Freund sowie einen Kammerdiener und entfloh der Stadt Berlin in Richtung Kassel. Überlassen wir nun das Feld den jungen Liebenden; denn auch Elisabeth war für diesen aufgeputzten Affen aus Berlin entflammiert. Es bahnte sich möglicherweise etwas in diesem Zeitalter und in diesen Gesellschaftskreisen höchst Seltsames an: eine Liebesheirat aus kindischem Trotz? Der Prinz wollte seinen Kopf gegen die verhasste Stiefmutter durchsetzen, so scheint es zumindest.