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…der Tod hingegen ist ein Morgen. Was inzwischen als Tattoo den Arm seines Sohnes ziert und traurig-schöne Erfahrung seiner Liebsten ist, entfloss einst als Gedichtzeile der Feder Samuel Widmers und wurde zum Titel seines Sterbebuches. 2015 veröffentlichte er es, 2 Jahre vor seinem eigenen Tod. Es ist eine Zusammenfassung seiner lebenslänglichen Reflexion über Tod und Sterben. Damit handelt es vom Leben in all seinen Stadien – von der Geburt, über das Altwerden, das bereits direkt nach derselben seinen Lauf zu nehmen beginnt, bis hin zum eigentlichen Sterben, dem Tod und darüber hinaus. Samuel Widmers Betrachtungen sind klar, unverblümt und doch poetisch. Neben den inneren Einsichten, berichtet er von seinen konkreten Erfahrungen mit dem Tod: Seine Herzinfarkte und der spürbar nahende eigene Tod, Begegnungen mit Sterbenden und Toten – und deren lebenden Angehörigen – während seines ärztlichen Notfalldienstes, eine unerwartete Genesung und plötzliche Abschiede von Freunden. Samuel Widmer wusste, dass Sterben und Tod die ultimative und unausweichliche Konfrontation mit Wirklichkeit beinhaltet. Unter uns Menschen sei der Tod aber ein ungeliebtes Wesen. Der Durchschnittsmensch versuche der Konfrontation mit ihm ein Leben lang auszuweichen. So sei er dem Tod am Ende nicht gewachsen und dieser werde ihn mit dem letzten Atemzug auslöschen, seine Energie zerstreuen. Dass auch etwas anderes möglich wäre, darüber schreibt Samuel Widmer in seinem Buch: Er nutzte den Tod Zeit seines Lebens als Ratgeber. Im Bewusstsein seines einstweiligen Todes und des Todes aller um uns herum, nehme man sich weniger wichtig, betrachte seine menschlichen Anliegen aus einem grösseren Raum heraus. Man etabliere in sich einen Kriegergeist, aus dem heraus man aus der uns hier gegebenen Zeit das Bestmögliche mache. Das Altwerden und Sterben, das schon ab der Kindheit beginnt, und dann im Erwachsenenalter immer anstrengender wird, würdevoll zu vollziehen, betrachtete Samuel Widmer als die eigentliche Meisteraufgabe eines Lebens. Den Tod sah er als Freund, der uns zu gegebener Zeit aus der Enge eines Körpers und eines Menschenlebens ins grosse Eine befreit. Davon ging er aus, dass aus einer bewussten Konfrontation mit dem Tod ein wesenhaftes Sein als Energie im Universum, im einen Ganzen entspringen würde. Sicher wusste er es nicht, vor seinem Tod. Nun danach kann er es seinem Buch über das Sterben und den Tod nicht mehr anfügen: Es bleibt uns selber überlassen, es einstweilen zu erfahren.
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Veröffentlichungsjahr: 2021
Tagebuchnotizen
von Samuel Widmer Nicolet
Samuel Widmer Nicolet ist Samuel Widmer Nicolet. Wie jeder andere Mensch bemüht er sich zwar, kompetent aufzutreten, und möglichst vorzugeben, dass er genau weiss, wer und wo er ist und worum es geht. Allenfalls versucht er dies, das heisst sein Recht darauf, auch durch entsprechende Titel und vergangene Ereignisse zu untermauern. Tatsächlich erkennt er allerdings im Prozess des tantrischen Erwachens mehr und mehr, dass er genauso wie jeder andere Mensch bezüglich des Wer, Wo und Warum keine Ahnung hat.
2015 Basic Editions - Samuel Widmer Nicolet
Schweiz, 1. Auflage
Layout & DTP
Romina Mossi, CH-4574 Nennigkofen
Druck
Henrich Druck + Medien GmbH, D-60528 Frankfurt a.M.
ISBN
978-3-9524413-2-9 (gedrucktes Buch)
Verlag
Basic Editions, CH-4574 Nennigkofen,
[email protected], www.basic-editions.ch
Was findest du in diesem Buch?
Es lohnt sich nicht, es hier zusammenzufassen. Das Buch selbst ist eine Zusammenfassung, eine Bilanz zu Leben und Sterben, ein Resümee zum Lebensende hin.
Besser erzähle ich dir etwas darüber, was Leben und Sterben zu einem Glück machen, von der Prioritätenliste, nach der ich mein eigenes Leben ausgerichtet habe und die ihm Sinn gegeben hat.
Prioritätenliste?
1. Lieben - Für nichts und wieder nichts und rundherum.
2. Wir - Sich bezüglich allem so einrichten und sein ganzes Leben derart organisieren, dass es uns gut geht, wir beständig im richtigen Zustand und glücklich sind.
3. Du - Dasselbe von mir und vor allem für dich.
4. Sexualität - Sich mit allem so einrichten und sein ganzes Leben drumherum in einer Weise organisieren, dass die Sexualität für immer beglückend bleibt und jederzeit genug Energie zur Verfügung steht, um orgastisch potent und bereit zur Liebe zu sein.
5. Liebesgeschichten - Dasselbe wie unter Zwei und Drei für weitere Beziehungen und Liebesgeschichten.
6. Verantwortung und Pflichten - In der Familie, der Gemeinschaft, dem Beruf, der Berufung, der Welt und der Gemeinschaft aller Wesen.
7. Ich - Unwesentliches wie sich ärgern und aufregen, Vergnügungen nachgehen, sich von unwesentlichen Beziehungen vereinnahmen lassen etc. etc..
Möge das Glück mit dir sein
BASIC EDITIONS
… denen, die vor mir gehen und
denen, die nach mir kommen …
Titelbild:
„Der Morgen“ von Samuel Widmer Nicolet, Öl auf Hartspanplatte, 165/122 cm, 2013
„Ich bezweifle, dass irgendein wahrhaft grosser Mann je wahre Freunde haben wird. Feinde, das ja.“
(Julius Cäsar)1
„Wie kann man von etwas Abschied nehmen, das gar nie da war?“
(Thomas Bucheli)2
1 Julius Cäsar im Kinderbuch „Marcus Gladiator“ von Simon Scarrow (artedition 2012)
2Thomas Bucheli, Meteorologe beim Schweizer Fernsehen am Ende des tragischen Sommers 2014
Du warst viel da
bei mir heute Nacht,
Liebste.
Oder ich war bei dir.
Du mischtest dich
unter die vielen Eindrücke,
die ich tagsüber
aufgenommen hatte,
die Eindrücke von all dem,
was in Häusern webt
und an Dingen klebt,
und kamst zu mir
mit der Wucht
der gewaltigen Berge
im Umkreis und dem
Rauschen des Regens,
der wie ein Wildbach
durch meine Seele fegte
und alles mit sich nahm.
Und das Übermächtige
darin verdichtete sich
zur Frage, die allem
einen Sinn zu geben
scheint und welche
die meisten nie
zu stellen scheinen und
die dem Leben
allen Sinn nimmt, wenn
sie nicht gestellt wird:
Wofür lebst du?
Wofür lebe ich?
Das Sterben hat angefangen.
Schon lange hat das Sterben angefangen. Schon vor etlichen Jahren, vielleicht zehn (2005). Es ist ein langer, langer Prozess. Wahrscheinlich wird er nochmals viele Jahre dauern.
Eigentlich hat er schon mit Dreiundzwanzig begonnen, als mir zum ersten Mal auffiel, dass ich keine Nächte mehr durchmachen konnte. Nicht mehr mühelos auf jeden Fall.
Und danach gab es ein unaufhaltsames Fortschreiten. Die Jugend hat nur kurz gedauert, nur für die Zeitspanne einer dummen Illusion.
Wie hat es Albert Camus in seinem Buch „Hochzeit des Lichts“3 in den Essays „Sommer in Algier“ und „Minotaurus“ zur am Strand flanierenden, überheblichen und verblendeten Jugend Algeriens ausgedrückt?
Immer mal wieder ist etwas weggefallen, anfänglich im Rhythmus von Jahren, später immer schneller: die Haare, die Zähne, das Leistungsvermögen, das Gedächtnis. Vor neun Jahren gab es dann einen plötzlichen Einbruch. Seither gibt es keinen Augenblick mehr, wo sie nicht da sind, das Sterben und der Tod. Und damit auch der absolut notwendige und letztlich doch zu kläglichem Scheitern führende Versuch, sie abzuschütteln, ihnen zu widerstehen, sich nicht gehen zu lassen und ihnen widerstandslos einfach nachzugeben.
Letzteres würde sonst zu einem rasanten Abbau aller Kräfte führen, zu einem würdelosen Verkommen, nicht zu einem würdevollen Dahinscheiden. Dafür ist ein Krieger nicht gedacht. Er stellt sich seinem vierten Feind; überwindet ihn lange, wohlwissend, dass er ihn am Ende nicht wird besiegen können. Aber enden wie Camus‘ algerische Jugend will er im Alter nicht.
Schon lange wollte ich darüber schreiben, über den Prozess des Sterbens. Schon lange schleiche ich darum herum. So viele Einsichten und Gedanken hat dieser schöne und reiche Abschnitt des Lebens geboren, die ich alle verloren habe, weil ich mich noch nicht dafür aufzuraffen vermochte, sie aufzuschreiben. Obwohl ich genau wusste, dass dies zum Auftrag gehört, den mir das Schicksal erteilt hat: alles zu kartographieren nämlich, was ein wirklich gelebtes Menschendasein beinhaltet.
Aber ich war noch nicht so weit. Das Leben wollte noch zu viel von mir. Der Deal mit dem Tod, noch dreissig Jahre zu brauchen, um alles zu vollenden, was von mir gefordert war, ging vor.
Ein Projekt übers Sterben als Fortsetzungsserie zu gestalten, wäre wohl mehr als eigenartig. Trotzdem könnte es passieren, dass irgendwann, sofern mein „Deal mit dem Tod“, von dem ich später erzählen werde, nicht platzt, in zwanzig Jahren noch ein „Sterben II“ dieses Buch hier ergänzen wird.
Danièle, meine Ehefrau und Lebenspartnerin, würde wohl, sollte sie sich je mit den Themen Alter, Sterben und Tod befassen, viel mehr übers „Träumen“ und seine Implikationen bezüglich des „Darüber-Hinausgehens“ schreiben. Als Pirscher ist es mehr meine Art, mich wie an alles auch an den Tod heranzupirschen. Gelegentliche Ausschweifungen in den Bereich des Mysteriums des Träumens, das ja weit gehend dem Reich des Todes entspricht, sind, wie wir sehen werden, allerdings allen Kriegern beschieden.
Ein paar Gedichte sind entstanden. Immer mal wieder eines, eingeordnet im File „Sterben“. Du findest sie eingestreut in meinen Text. Es werden noch mehr kommen. Vor allem dann aufs Ende hin. Das Sterben äussert sich knapp. Sparsam. Der Tod ist effizient. Er macht schliesslich keine Worte mehr.
Nicht dass du dir falsche Vorstellungen machst! Das Sterben ist genau so, wie man es befürchtet. Einerseits. Und andererseits ist es ganz anders.
Es ist kein tragischer Prozess. Das wird es nur, wenn du dich in deinem Leben nie vom Selbstmitleid befreit hast, von den idiotischen Ideen, den eingehämmerten Konditionierungen, die besagen, dass der Tod nicht sein sollte, nicht zum Leben gehöre.
Eigentlich, wahrhaftig, ist der Tod ein äusserst interessantes, magisches Phänomen, ein ganz ausserordentlicher Höhepunkt im Ablauf eines Lebens, und das Sterben eine letzte Entfaltung voller Schönheit und erfüllt von einer reifen und erhabenen Einsamkeit.
Meinem Wesen scheint es auch mehr zu entsprechen, Alter und Sterben vom Standpunkt des Abschiednehmens aus zu sehen. Dies ist mir erst im Laufe des Zusammentragens der Gedichte und Texte aufgefallen. Ich gehe, die anderen bleiben zurück; das scheint meinen Erwartungen zu entsprechen. Damit, dass ich bleibe und die anderen vorausgehen, scheine ich mich weniger zu identifizieren.
Dies mag einerseits damit zusammenhängen, dass ich mich mit der Zeit eher mit jüngeren Menschen, auf jeden Fall was meine innigsten Beziehungen anbelangt, umgeben habe. Vielleicht drückt sich darin jedoch neben meiner Lebensgestaltung tatsächlich auch mein Schicksal und mein Naturell aus. Dass mir das Leben aufs Alter noch eine weitere Liebesbeziehung mit Nina Romina4 geschenkt hat, in der wir den Eindruck teilen, dass nicht sie, obwohl mehr als zwanzig Jahre jünger, mich beim Sterben und in den Tod begleiten wird, sondern ich sie, mag eine Illusion sein, die uns beiden Trost spendet. Es entspricht allerdings meiner Erfahrung, dass solche Ahnungen oft auf ein Wissen hinweisen, das aus den Tiefen des Bewusstseins zu uns durchdringt und uns hilft, uns besser auf das Kommende vorzubereiten. Voraussicht, Synchronizitäten, Deals mit Schicksal und Tod haben mich ein Leben lang begleitet, und die Treffsicherheit in diesen allerdings nie zu Gewissheiten heranreifenden Ahnungen hat mich oft überrascht.
Auch ist noch zu erwähnen, dass ich gezwungenermassen das Sterben und den Tod aus der Sicht des Mannes beschreibe. Erst als das Werk fast vollendet war, begann mir dies aufzufallen. Aus der Sicht der Frau gäbe es wohl noch anderes und über andere Aspekte zu berichten. Gleiches musste ich ja bereits beim Schreiben über die Sexualität berücksichtigen. Jedenfalls erkenne ich da Unterschiede, wenn ich mich mit Frauen über diese Thematiken unterhalte. Davon Genaueres zu erzählen, überlasse ich aber lieber ihnen.
Wie viele Jahre vor dem Tod darf man ein Buch über das Sterben schreiben und veröffentlichen, ohne das Schicksal damit herauszufordern? Ist es dies, die Furcht vor irgendeiner weichenstellenden Magie unseres Tuns, die mich bis jetzt davon abgehalten hat, damit zu beginnen? Der Respekt vor dem Grossen darin? Oder bin ich tatsächlich noch nicht so weit, etwas dazu zu sagen zu haben? Oder will ich mich drücken?
Samuel Widmer Nicolet
Nennigkofen-Lüsslingen, Frühling 2015
3Albert Camus: Hochzeit des Lichts; Arche, 2013
4Samuel Widmer Nicolet: Liebe; Basic Editions, 2014
Meine Liebe ist müde;
sie schreibt gerade keine Gedichte.
Aber sie sucht die deine,
trifft sich mit ihr
und lädt die Traurigkeit
und die Einsamkeit
als zusätzliche
Gespielinnen dazu.
Lass uns tanzen, sagt sie,
aber einen stillen Tanz!
Lass uns tanzen,
heute Nacht, auf deinen Bergen,
über dem fallenden Wasser
und hoch in den Wolken,
tanzen wie ein verwunschenes,
verlorenes Schattenspiel,
im letzten Licht eines
schwindenden, sterbenden Tages!
Lass uns taumeln, müde tanzen,
über dem dunklen Tal
und durch seine stille Hütte
– und glücklich sein!
Ein Aquarellhimmel
heute Abend
Die Augen müde
noch ist es nicht still
Aber bald schon
senkt sich die Nacht
über alles und
Einssein nimmt dich mit
Und ich lehne mich
zu dir hinüber
erforsche dein Herz
und den Augenblick
Der weitet sich und
wird schliesslich ewig
und nimmt mich mit
und nimmt mich mit –