Der Traummann auf der Bettkante - Gina Greifenstein - E-Book

Der Traummann auf der Bettkante E-Book

Gina Greifenstein

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Beschreibung

Anne, leidenschaftliche Köchin und Autorin zahlreicher Kochbücher, hat sich in ihrem Leben ohne Mann eigentlich sehr gut eingerichtet. Bis sie in einer Hotellobby zufällig auf den Starschauspieler Pit trifft: Ein unsolider Frauenheld von der üblichen Sorte, denkt sie. Dann überschlagen sich die Ereignisse, und Anne lässt sich zu einem gemeinsamen PR-Gag hinreißen. Die Presse bejubelt sie als neues Promipaar, ihre Kochbücher finden reißenden Absatz. Doch was als rein geschäftliches Unternehmen geplant war, entwickelt eine gewisse Eigendynamik – und Anne muss sich eingestehen, dass ihr mehr an Pit liegt, als ihr lieb ist … Ein turbulenter Roman nach der Devise: Es kommt erstens alles anders und zweitens, als man denkt.

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ISBN 978-3-492-98264-1

April 2016

© für diese Ausgabe: Piper Fahrenheit, ein Imprint der Piper Verlag GmbH, München/Berlin 2016

Piper Verlag GmbH, München/Berlin 2007

Covergestaltung: Favoritbüro, München

Covermotiv: Ivonne Wierink/shutterstock.com

Datenkonvertierung: abavo GmbH, Buchloe

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Müde drückte Anne auf den automatischen Fensterheber, und die Scheibe zu ihrer Linken verschwand lautlos nach unten. Kühle Morgenluft strömte in den Wagen und mit ihr ein Schwall kalter Regentropfen, die wie Nadelstiche auf ihren nackten Arm und die linke Gesichtshälfte einpickten. Sie fröstelte, merkte aber, wie die Müdigkeit von ihr abfiel, die sie die letzten Kilometer mehr und mehr eingelullt hatte.

Sie warf einen missbilligenden Blick auf Marie, die zusammengerollt wie ein Embryo neben ihr auf dem Beifahrersitz selig vor sich hin schlummerte. Tolle Freundin, die sie sich da ausgesucht hatte! Eigentlich hatte sie Marie mitgenommen, um während der langen Fahrt nach Berlin Unterhaltung zu haben und wach zu bleiben!

Das eintönige Gedudel im Radio war auch nicht unbedingt die Art von Musik, die einem die Augenlider offen hielt, entschied Anne und kramte mit einer Hand aufs Geratewohl zwischen den Kassetten, die in der Ablage wild durcheinander lagen.

Rammstein stand auf der ersten, die sie aus dem Sammelsurium herauszog. Deutscher Rock, laut und hart – prima, genau das, was sie jetzt brauchte!

Sie steckte die Kassette in den Recorder, zögerte kurz und blickte noch einmal zu Marie hinüber. Nein, sie hatte kein Mitleid mit der verpennten Freundin, ganz im Gegenteil!

Bevor sie auf Start drückte, drehte sie den Lautstärkeregler fast bis zum Anschlag nach rechts, und gleich darauf ertönten ohrenbetäubende Schlagzeugklänge, dröhnten durch das Auto und brachten ihren Magen zum Erbeben. Ah, das war gut – grinsend umschloss Anne das Lenkrad, während sie mit offenem Fenster über die fast leere Autobahn schoss.

Wie vom Donner gerührt fuhr Marie auf ihrem Sitz hoch.

»Sag mal, spinnst du?«, schrie sie gegen die erdigen Bässe und die rauchig tiefe Stimme des Sängers an, der gerade aus vibrierenden Lautsprechern heraus Asche zu Asche ins Wageninnere röhrte. Nachdem sie den infernalischen Lärm endlich leiser gestellt hatte, funkelte sie Anne wütend an. »Kannst du dir diesen schrecklichen Krach nicht anhören, wenn du allein bist? Da wird ja jeder normale Mensch taub!«

»Die Musik hält zumindest wach, was man von dir nicht gerade behaupten kann«, gab Anne lachend zurück.

Fröstelnd schlang sich Marie die Arme um den Körper.

»Ich bin für ein paar Minuten eingenickt, das kann doch mal passieren.«

»Ein paar Minuten? Ha! Seit fast zwei Stunden schnarchst du mir was vor. Hast du überhaupt eine Ahnung, wie ansteckend das ist?« Anne gähnte herzhaft – ganz hatte sie die Müdigkeit doch noch nicht abgeschüttelt.

»Mach doch mal das Fenster zu, das ist ja eklig.« Mürrisch drückte Marie auf den Fensterheberknopf. »Du bist eklig!«, stellte sie kurz darauf fest und angelte sich ihre Jeansjacke von der Rückbank. Da sie zu faul war, den Sicherheitsgurt zu öffnen, dauerte es einige Zeit und mehrere kunstvolle Verrenkungen, bis sie endlich hineingeschlüpft war. »Wenn du schon am Anfang der Reise so widerwärtig bist, wie werden dann wohl die nächsten Tage mit dir sein? Wär ich bloß daheim geblieben!«

»Die meisten Freundschaften gehen übrigens in die Brüche, wenn die Leute zusammen in den Urlaub fahren, hast du das gewusst?« Anne warf ihrer Beifahrerin einen kurzen Blick zu, der nur mit einer grantigen Grimasse quittiert wurde. »Ehrlich, das ist wissenschaftlich erwiesen. Da hockt man plötzlich mehrere Tage lang aufeinander – und das in der gleichen Ferienwohnung oder im gleichen Hotelzimmer … oder in einem engen Auto … Der eine schläft gern lang, der andere ist Frühaufsteher. Der eine ist geizig und will jeden Tag kochen, der andere möchte den Urlaub total genießen und immerzu essen gehen. Der eine ist extrem ordentlich, der andere eine Schlappsau. Man kann sich nicht aus dem Weg, dafür aber so richtig schön auf die Nerven gehen. Und wenn dann das Wetter ordentlich mies ist – bumm –, kommt man mit jeder Menge Dreckwäsche und einer Freundin oder einem Freund weniger nach Hause.«

»Ich will in Berlin mein eigenes Zimmer«, brummelte Marie düster und starrte in den Regen hinaus. »Und das Wetter ist ja wirklich sehr erheiternd! Ob das ein schlechtes Omen ist?«

Einige Zeit fuhren sie schweigend durch das eintönige Grau, während die Jungs von Rammstein um einiges leiser sangen, dass Engel sich an Sterne krallen müssen, damit sie nicht vom Himmel fallen, und dass sie deswegen auf keinen Fall Engel sein möchten. Wer will das schon?, dachte Anne bei sich und summte mit.

»Wie wär’s mit einem schönen heißen Kaffee?«, lockte sie Marie wenig später, als sie an dem Schild vorbeirauschten, das die nächste Raststätte in fünf Kilometern Entfernung ankündigte.

»Kaffee ist immer gut«, stellte Marie etwas freundlicher fest und strubbelte sich eingehend durch die sowieso schon wilde Haarpracht.

Kurze Zeit später parkten sie zwischen unzähligen Riesenlastern vor dem verglasten Autobahnrestaurant.

»Wie weit ist es denn noch?«, fragte Marie schließlich, während sie ihr Tablett mit den beiden Jumbokaffeetassen an der Theke entlang schoben. Anne deutete diesen unvermuteten Redeschwall als Versöhnungsversuch.

»Schätzungsweise noch um die dreihundert Kilometer.« Sie stellte noch einen Teller mit zwei leicht angetrockneten Schinkenbrötchen dazu und zahlte für sie beide, sozusagen als Friedensangebot von ihrer Seite.

Sie einigten sich auf einen Tisch direkt am Fenster und schlürften geräuschvoll den heißen Kaffee. Es hatte aufgehört zu regnen, und einige Sonnenstrahlen tasteten sich gerade zaghaft durch die graue Wolkendecke. Gedankenverloren kauten sie auf den zähen Brötchen herum. Schließlich lachte Marie sie an.

»Das mit dem eigenen Zimmer war nicht so ernst gemeint!«

»Hab ich mir fast gedacht«, lachte Anne zurück. Sie waren schon oft zusammen verreist, hatten tagelang in einem engen Zwei-Mann-Zelt gehaust und auch schon diverse Zimmer miteinander geteilt. Seit fast zehn Jahren waren sie befreundet und hatten so einiges gemeinsam überstanden. Die von ihr erwähnte wissenschaftliche Studie hatte mit Sicherheit nichts mit ihnen zu tun, denn eigentlich konnte ihrer Freundschaft nichts gefährlich werden konnte. Kein Mann hatte es bis jetzt geschafft, sie auseinanderzubringen – vielleicht war einfach keiner von ihnen wichtig genug gewesen. »Außerdem könnten wir uns gar keine zwei Zimmer leisten«, fügte sie hinzu.

»Und wir wohnen wirklich im Adlon?« Marie konnte es noch immer nicht so recht glauben.

»Wir wohnen wirklich im Adlon!«, bestätigte Anne mit einem breiten Grinsen. Ihre Haltung straffte sich, und graziös spreizte sie den kleinen Finger, während sie trank.

»Allerdings müssen wir noch etwas an unserem Auftreten feilen, denn dieser Laden ist schrecklich distinguiert.« Sie klimperte affektiert mit den Wimpern und schaute entsetzlich blasiert aus der Wäsche.

Marie kicherte in ihre Tasse hinein und verschluckte sich fast. »Und wenn sie uns in diesem Aufzug gar nicht reinlassen?«

Anne betrachtete ihre ausgewaschenen Jeans, die von unzähligen bunten Flicken vor dem endgültigen Zerfall bewahrt wurden. Auch die hellbraunen Wanderschuhe, die nun seit mehreren Jahren ihre ständigen Begleiter waren, hatten eindeutig schon bessere Zeiten erlebt. Aber es waren ihre Lieblingsschuhe, genauso wie die geflickte Hose ihre Lieblingshose war.

»Ich trage eine exklusive Designerhose, ich weiß gar nicht, was du willst.« Sie zwinkerte der Freundin fröhlich zu. »Außerdem haben wir das nötige Kleingeld, warum sollten sie uns nicht reinlassen? Wer das Geld hat, kann sich fast alles erlauben.«

»Hoffentlich wissen die das auch an der Rezeption«, zweifelte Marie. Sie strich sich den fransigen und ebenfalls ausgewaschenen Jeansrock glatt, der kurz über dem Knie endete. Ihre nackten Beine wiederum endeten sockenlos in ausgetretenen Turnschuhen, die kaum besser aussahen als Annes Fußbekleidung.

»Sie müssen uns so reinlassen – ich hab gar nichts anderes zum Anziehen dabei! Noch ’nen Kaffee?«

Marie sah sie ungläubig an.

»Willst du mir weismachen, dass du nur diese Jeans dabei hast? Und was ist mit der Talkshow? Willst du da auch so auftauchen?!« Marie war eindeutig fassungslos, ein Zustand, der bei ihr äußerst selten zu beobachten war.

»Ich hab noch meine kurze Jeanslatzhose eingepackt«, sagte Anne leichthin und stand auf, um eine zweite Runde Kaffee zu holen. »Es soll heiß werden, sagt der Wetterbericht.«

»Deine Jeanslatzhose?« Marie war ebenfalls aufgestanden und folgte Anne. »Mann, da geht es um deine Karriere, und du hast nur deine Jeanslatzhose eingepackt?!«

»Was regst du dich denn so auf?« Anne ließ ihre beiden Tassen mit frischem Kaffee volllaufen. »Sie wollen mit mir nur über mich quatschen, sie wollen mich nicht heiraten!

Warum soll ich mich dafür verkleiden? Immerhin hat die Latzhose keinen einzigen Flicken … «

»Musst du eigentlich immer mit dem Kopf durch die Wand?« Marie zückte ihren Geldbeutel. »Die Runde geht auf mich.« Annes Kommentar – »Logisch!« – hörte sie gar nicht.

»Wir können doch auch bei meinem Bruder und seiner Freundin pennen«, schlug Marie zum wiederholten Male vor, als sie wieder an ihrem Tisch am Fenster saßen. »Die haben jede Menge Platz in ihrer Altbauwohnung!«

Anne rollte genervt die Augen. »Wenn du solche Angst hast, dass wir im Adlon nicht reingelassen werden, kann ich dich ja gleich bei deinem Bruder absetzen. Ich für meinen Teil werde im Adlon wohnen, komme, was da wolle! Und wenn denen meine Hose nicht passt, dann ziehe ich sie einfach aus!«

Marie prustete ungehalten los.

»Das trau ich dir glatt zu«, kicherte sie in ihre Tasse hinein.

»Stell dir nur die Gesichter vor, wenn du tatsächlich an der Rezeption die Hosen fallen lässt!«

Wenig später stiegen sie ins Auto. Bevor sich Anne wieder in den fließenden Verkehr einfädelte, warf sie einen missbilligenden Blick auf den Stapel Zeitungen und Zeitschriften auf Maries Schoß, den diese schnell noch besorgt hatte.

Marie grinste breit.

»Klatschblätter, ich weiß, was du davon hältst. Aber da wir jetzt auf dem Weg zu den Reichen und Schönen sind, sollten wir uns einen Überblick verschaffen, wer was mit wem tut oder getan hat oder noch tun will.« Sie deutete nach vorne.

»Du fährst und ich lese dir vor, o.k.?«

»Tu, was du nicht lassen kannst – Hauptsache, ich schlafe am Steuer nicht ein!«

»Also denn, dann wollen wir mal sehen, was bei den Stars so abgeht.« Genussvoll schlug Marie die erste Zeitschrift auf.

»Ach hier, ein Bericht über Prinz Werner von Tiefenbachs Eskapaden? Bloß – wen interessieren schon Prinz Werner von Tiefenbachs Eskapaden?« Sie sah Anne forschend an.

»Kein Schwein!«, erwiderte diese trocken und setzte den Blinker, um einen Blumenlaster aus Holland zu überholen. »Prinz Werner von Dingsbums – wer ist das überhaupt?«

»Meine Rede, kein Schwein!« Marie blätterte weiter. »Aber hier: die Wahrheit – die wahre Wahrheit!! – über Pit Arnold!«

Sie schickte einen Stoßseufzer gen Himmel und versank fast in dem ganzseitigen Foto von diesem Pit Arnold. »Pit Arnold! Der einzige Mann, der mir im Moment wirklich gefährlich werden könnte!«

»Wer zum Teufel ist nun wieder Pit Arnold?« Anne hatte den LKW überholt und fädelte sich wieder rechts ein. Vorsichtig schielte sie in Maries Zeitung.

»Soll das heißen, du kennst Pit Arnold nicht?« Marie schnappte geräuschvoll nach Luft. »Den mit Abstand tollsten Mann, der auf Gottes Erdboden herumläuft!«

»Tut mir Leid, ich kenn ihn trotzdem nicht.« Anne verrenkte sich fast die Augen, um einen Blick auf das Foto dieses sensationellen Mannes zu erhaschen.

»Ist auch gar nicht deine Preislage – viel zu … hm, ordentlich, wenn du weißt, was ich meine.«

»Definiere ordentlich doch bitte etwas näher!« Das Gesicht dieses Pit Arnold lag nun ausgebreitet auf Maries Schoß, während diese verträumt in den inzwischen strahlend blauen Himmel blickte. Anne erkannte ein wohlgeformtes männliches Antlitz, markant, aber doch nicht zu männlich, aus dem stahlblaue Augen hervorstachen. Sympathisch, fand sie, aber fast ein bisschen zu schön.

»Na, ein Anzugmann, das mein ich mit ordentlich. Vom Feinsten eben, Boss, Armani, Gucci. Der muss keine Angst haben, dass man ihn nicht ins Adlon reinlässt!«

»Ich hab’ auch keine Angst, dass man mich nicht ins Adlon reinlässt«, bemerkte Anne leicht gereizt, und dieses hübsche Männergesicht verlor augenblicklich einen Großteil seiner sympathischen Ausstrahlung.

»Aber ich«, antwortete Marie besorgt und vertiefte sich wieder in das Hochglanzbild dieses Pit Arnold.

»Wer wird denn gleich so spießig sein!«, kicherte Anne. Ihr Blick glitt prüfend über Maries Outfit. »So richtig elegant bist du nun auch nicht gerade angezogen. Bestimmt würde dieser wunderbare Pit Soundso nur die Nase über dein Erscheinungsbild rümpfen!«

»Arnold! Er heißt Pit Arnold!«

»Gut, Pit Arnold. Oh, Gott, was ist ›Pit‹ bloß für ein grauenhafter Name? Wie kann man nur so heißen und nichts dagegen tun? Klingt ja fast wie Pitbull! Und was leistet dieser Pit Arnold Wunderbares, dass du ihn so anhimmelst?«

»Er ist Schauspieler.« Marie hielt das Bild so, dass Anne es besser sehen konnte. »Ist er nicht himmlisch? Also, ich stieße ihn ganz bestimmt nicht von meiner Bettkante!«

»Zum Glück wirst du nicht in die Verlegenheit kommen, ihn von deiner Bettkante stoßen zu müssen!«, lachte Anne, der der Mann auf dem Foto zugegebenerweise sehr gut gefiel.

»Wer weiß …«, hauchte Marie schwärmerisch.

»Mach dich nicht lächerlich! Wir sind fast vierzig – in diesem Alter solltest du definitiv damit aufhören, solchen Träumereien nachzuhängen!« Automatisch war Anne aufs Gas getreten und schoss jetzt mit hundertsiebzig über die Autobahn Richtung Berlin.

Marie seufzte tief.

»So schön, wie der ist, ist er mit Sicherheit schwul«, bemerkte Anne trocken, um die Freundin ein bisschen zu ärgern. »Ein so schöner Mann und dann noch Künstler … glaube mir, der Typ ist schwul – oder zumindest bi!«

»Du hast ja ’nen Knall!«, echauffierte sich Marie, und es sah fast so aus, als wollte sie der Freundin geradewegs ins Gesicht springen. »Wie kannst du nur so was Gemeines sagen, du kennst ihn doch gar nicht!«

Anne tat es leid, dass sie so boshaft gewesen war.

»Nun lies schon vor, was sie über deinen Pit Arnold schreiben!«, sagte sie begütigend. »Ich will doch nicht dumm sterben!«

Zuerst bockte Marie ein wenig, dann las sie mit trotziger Stimme vor. Als Marie mit den zwei Seiten fertig war, wusste Anne, dass Pit Arnold demnächst zweiundvierzig würde, sich liebevoll um seine arme verwitwete Mutter kümmerte und junge Frauen – genauer gesagt: blutjunge Frauen – als Bettgefährtinnen bevorzugte. Er lebte in Hotels – Häuser und Eigentumswohnungen fand er schrecklich spießig und langweilig. Er wollte erst einaml keine Kinder, am liebsten eigentlich nie. Und Tiere waren nicht gerade seine Leidenschaft. Er träumte von einer Karriere in Hollywood. Lächerlich, dachte Anne, als sie das hörte – wie konnte ihn jemand in Hollywood haben wollen, wenn sie selbst noch nie etwas von ihm gehört hatte? Etwas kleinlaut las Marie den Absatz, in dem es um Pit Arnolds ausschweifenden Lebenswandel ging: Partys ohne Ende, exzessiver Alkoholkonsum, Schlägereien.

»Er ist ein Arschloch!«, resümierte Anne, als Marie fertig gelesen hatte. »Zugegeben: ein gut aussehendes Arschloch, aber trotzdem ein Arschloch! Glaub mir, keine Frau verdient so einen Typen!«

Marie schwieg einige Zeit betroffen.

»Und wenn du ihn kennenlernen würdest?«, fragte sie schließlich und sah die Freundin prüfend von der Seite an. »Wenn er dich zum Essen einladen würde?«

»Dann wäre er immer noch ein Arschloch, und ich wüsste gleich, dass er es nicht ernst meint, weil ich fast so alt bin wie die Mütter der Mädels, die er sonst einlädt!«

»Gingst du mit ihm essen?«, bohrte Marie weiter.

Anne überlegte kurz.

»Klar, unter zwei Bedingungen: Er zahlt und ich darf in diesen Jeans kommen!«

Marie schlug mit der Zeitschrift nach der Freundin.

»Du bist wirklich eklig, ich weiß gar nicht, warum ich mit dir befreundet bin!«

»Weil ich so wunderbar ehrlich bin und es nie langweilig mit mir wird.«

Marie kicherte und nahm Deutschlands meistgelesene Tageszeitung zur Hand.

»Oh, nein!«, stöhnte sie und vertiefte sich in den Bericht, den sie aufgeschlagen hatte.

»Was?«

»Pit« – sie sagte »Pit«, als ob sie ihn tatsächlich kennen würde, als ob er ein guter Bekannter oder Freund von ihr wäre, mit dem sie gestern noch Kaffee getrunken hatte! –, »Pit ist mit einem Mann im Bett erwischt worden!«

»Na, was hab ich gesagt? Ein Arschloch! Und ich habe noch untertrieben: ein schwules Arschloch«, kommentierte Anne, setzte den Blinker nach rechts und bog Richtung Rastplatz ab. Die zwei Riesentassen Kaffee meldeten sich mit einem unangenehmen Druck auf die Blase. »Halt, ich verbessere: ein dummes schwules Arschloch, wenn er sich auch noch dabei erwischen lässt!«

Marie sah sie schockiert an.

»Wie kannst du so herzlos sein?!«

Anne traute ihren Ohren nicht und betrachtete die Freundin mit hochgezogenen Augenbrauen.

»Marie! Wir kennen diesen Menschen doch gar nicht! Es kann uns doch völlig egal sein, was er tut oder nicht tut, ob er Teenager vögelt oder Großmütter oder Männer. Meinetwegen kann er sich auch gerne mit Elefanten vergnügen. Er ist ein Fremder und wird das immer bleiben, genauso wie George Clooney oder Keanu Reeves oder Brad Pitt – wir werden sie alle nie kennen lernen –, was ich bei den letzteren Dreien allerdings zutiefst bedaure.«

Marie schwieg.

»Ich gehe jetzt aufs Klo, und wenn ich wiederkomme, fahren wir weiter und verlieren kein Wort mehr über diesen komischen Pit Arnold, einverstanden?«

Marie nickte stumm.

»Kannst du mir sagen, was das soll?«

Die Zeitung klatschte auf Pit Arnolds Bettdecke. Mühsam sortierte er seine Gedanken und rappelte sich hoch.

»Was ist denn los, verdammt noch mal? Kann ich denn nicht mal in Ruhe ausschlafen?« Pit zwinkerte in das grelle Sonnenlicht, als Tom Berger die Vorhänge rücksichtslos zur Seite zerrte.

»Ich werde dich entlassen«, drohte er, konnte aber immer noch nichts sehen.

»Es ist gleich drei – f-ü-n-f-z-e-h-n Uhr!« Tom sprach die letzten Worte aus, als hätte er es mit einem geistig Behinderten oder zumindest einem Schwerhörigen zu tun.

»Außerdem wäre es unter den momentanen Umständen wirklich eine Wohltat, von dir entlassen zu werden. Du solltest eher den lieben Gott bitten, dass ich nicht selbst kündige.« Er goss heißen, extrastarken Kaffee in die Tasse, die auf einem Tablett auf dem Mahagonitisch stand, und trug sie zu Pit ans Bett.

»Hier, trink das, damit du endlich wieder zur Besinnung kommst!«

Pit Arnold trank gierig von dem tiefschwarzen Gebräu und verbrannte sich prompt die Zunge.

»Verdammt«, fluchte er, »ist das heiß!«

»Kaffee ist nun mal heiß«, fauchte Berger schlecht gelaunt. Er gönnte Pit die Schmerzen, und wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte es ruhig noch ein bisschen heftiger wehtun können. Immerhin hatte Pit sich da wieder eine dicke Suppe eingebrockt, und aus Erfahrung wusste er, dass er, Tom, diese Suppe wieder für ihn auslöffeln musste. Ich bin total unterbezahlt, dachte er zum wiederholten Male.

»Was hast du dir nur dabei gedacht?« Er deutete auf die Zeitung, die noch immer auf Pits Bettdecke lag.

»Wobei gedacht?« Pit wurde nur sehr langsam wach.

»Dich mit einem Typen im Bett erwischen zu lassen!«

Pit Arnold kicherte unkontrolliert vor sich hin.

»Bist du am Ende eifersüchtig?«

»Du bist wirklich ein Blödmann!« Berger wandte sich wütend von seinem Freund und Chef ab und starrte in den sonnigen Nachmittag hinaus. Am liebsten wäre er an Ort und Stelle geplatzt, aber das hätte nichts gebracht. Er musste sich beruhigen, wenigstens einer sollte hier die Ruhe und vor allem einen klaren Kopf bewahren, wenn sie mit einigermaßen heiler Haut aus diesem Schlamassel herauskommen wollten.

Pit Arnold griff nach der Zeitung und las, was Tom so aufgebracht hatte.

»Ach so, das«, murmelte er schulterzuckend. »Das war ein Missverständnis, ehrlich! Ich hab wirklich nichts mit Männern am Hut. Wenn einer das weiß, dann du! Mann, Tom, ich war sturzbesoffen und bin auf diesem Bett eingepennt!« Sein Blick war voller Reue, und er schien tatsächlich den Tränen nahe. »Ich kenn den Typen doch gar nicht, der da neben mir lag.« Er betrachtete das Foto genauer. »Ist auch gar nicht meine Kragenweite«, stellte er frech grinsend fest.

»Du bist so erbärmlich!«, zischte Tom. »Erst vögelst du halbe Kinder und dann das! Du warst auf dem besten Weg, ein Star zu werden, aber solche Geschichten können alles kaputt machen! Wie soll ich das wieder geradebiegen, kannst du mir das verraten? Wer will schon einen Hauptdarsteller in heiteren Beziehungskomödien sehen, der kleine Mädchen und Männer vernascht?«

»Jetzt bausch das Ganze doch nicht so auf! Es wird in der Presse ein paar Wellen schlagen und dann wieder in Vergessenheit geraten, wenn die Welt einen neuen Skandal zum Breittreten gefunden hat. Wer hat mir denn vor nicht allzu langer Zeit geraten, dass ich mein glattes Braver-Bubi-Image etwas aufrauen soll?« Sein Kopf schmerzte – vielleicht sollte er sich beim Saufen doch ein bisschen zurückhalten?

»Mit ›etwas aufrauen‹ habe ich nicht gemeint, dass du dich zum Bösen Buben der Nation entwickeln sollst. Was du seit geraumer Zeit treibst, ist karriereschädigend, mein Junge. Und wenn erst einmal der Verdacht aufgekommen ist, dass jemand schwul sein könnte, dann wird die Welt das nie vergessen. Das ist wie Aussatz, wie ein Feuermal mitten im Gesicht – glaub einem, der es wissen muss!« Tom schnaubte verächtlich. »Dann kannst du dir die gutbezahlten heiteren Beziehungskomödien abschminken, mit denen du dein teures Leben finanzierst! Niemand nimmt einem Schwulen den schmachtenden Frauenverführer ab.«

»Ich bin doch aber nicht schwul!«, verteidigte sich Pit.

»Das weißt du, und ich weiß es auch, aber die Welt da draußen weiß es nicht hundertprozentig. Glaub mir, die Menschen sind grausam. Genauso, wie sie dir jahrelang zu Füßen gelegen und dich angehimmelt haben, genauso werden sie sich an deinem Niedergang ergötzen und mit dem Finger auf dich zeigen.«

Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: »Es wundert mich sowieso, dass die Schmierfritzen noch so zahm sind – anscheinend haben sie in ihrer ersten Freude über diese wunderbare Enthüllung ganz vergessen, dass dein Manager und Berater schwul ist – und, dass genau ich dieser Manager und Berater bin.«

»O Gott, warum passiert ausgerechnet mir immer diese Scheiße?« Stöhnend ließ sich Pit auf das Kissen zurückfallen. Langsam wurde ihm die Tragweite seines Ausrutschers bewusst. Am liebsten hätte er sich unter der Bettdecke verkrochen und wäre nie wieder hervorgekommen.

»Weil du nie an irgendwelche Konsequenzen denkst. Wie ein kleines Kind trampelst du durch dein Leben und durch das Leben anderer, Pit, kaum zu glauben, dass du tatsächlich über vierzig bist!« Tom ließ sich erschöpft in einen Sessel fallen und vergrub das Gesicht in den Händen.

»Ich werde mich ändern«, versprach Pit und er meinte es in diesem Moment wirklich ernst.

»Ach ja, willst du mir auch verraten, wie du das anstellen willst?«, kam es zwischen Toms Fingern hindurch.

»Keine Weibergeschichten mehr!«, verkündete Pit.

»Toller Schachzug, ehrlich, und für alle Welt der Beweis, dass du tatsächlich schwul bist. Hast du noch mehr so wunderbare Vorschläge auf Lager?« Tom stöhnte, als litte er große Schmerzen.

»Im Moment nicht, aber ich arbeite daran. Vielleicht fällt mir ja unter der Dusche was ein.«

Gegen sechzehn Uhr kamen Anne und Marie endlich im Hotel Adlon an. Energisch wickelte sich Anne ihren ewig langen hauchzarten Seidenschal mit den kleinen Goldglöckchen mehrmals um den Hals, packte ihre Reisetasche und marschierte zielstrebig und leise klingelnd ins Foyer. Marie hatte Schwierigkeiten, Schritt zu halten.

»Hättest du nicht wenigstens diese albernen Glöckchen von dem Schal abmachen können?«, raunte sie tonlos. Der Anblick all des Prunks und Protzes verschlug ihr fast den Atem. Vielleicht wären sie ja mit ihren Klamotten gar nicht so sehr aufgefallen, aber nach dem Schlittengeläute drehte sich jeder um und musterte sie argwöhnisch.

»Die haben dich doch bisher auch nicht gestört«, wunderte sich Anne und drang unbeirrt zur Rezeption vor. Dort angekommen, ließ sie die Tasche mit lautem Plumps auf den Boden fallen.

»Anne Jünger – ich habe ein Doppelzimmer reservieren lassen«, flötete sie dem älteren Herrn dahinter mit strahlendem Lächeln zu.

Marie wusste nicht, ob sie dessen Blick unter »verblüfft« oder »schockiert« einordnen sollte.

Jetzt!, dachte Marie und zog abwehrend die Schultern hoch Jetzt schmeißt er uns bestimmt hochkant raus – und wenn nicht er, dann irgendwelche Hotelpagen oder Hoteldetektive!

»Anne Jünger?«, fragte der Herr im gut sitzenden dunklen Anzug nach, und ein Lächeln erhellte seine gerade noch so grimmigen Züge. »Sind Sie nicht die Kochbuchautorin?«

»Ja, die bin ich!« Anne war überrascht, dass sie hier jemand kannte.

»Meine Frau und ich besitzen alle Ihre Bücher – wir sind nämlich begeisterte Hobbyköche. Wir haben Sie gesehen, wie Sie mit dem Herrn Lichter gekocht haben.« Er schüttelte ihr über die Anmeldung hinweg begeistert die Hand. »Meine Frau wird es gar nicht glauben, wenn ich das heute Abend erzähle.«

»Wenn Sie ihr ein signiertes Buch mitbringen, dann muss sie es glauben«, schlug Anne lächelnd vor.

»Das würden Sie tun?«

»Für unseren Zimmerschlüssel täte ich fast alles – ich brauche nämlich dringend eine erfrischende Dusche!«

»Aber ja, tut mir leid, ich wollte Sie natürlich nicht aufhalten«, entschuldigte sich der Rezeptionist eilfertig und überprüfte die Reservierungen. »Hier haben wir Sie ja!« Er überreichte ihr den Zimmerschlüssel. »Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt in unserem Haus, Frau Jünger.«

»Ich danke Ihnen vielmals« – sie las den Namen auf seinem Ansteckschild –, »Herr Joergensen! Und denken Sie morgen an die Bücher, damit ich sie signieren kann!«

Anne und Marie winkten dem herbeieilenden Pagen dankend ab und trugen ihr karges Gepäck selbst zum Aufzug.

»Wir sind drin – wir sind wirklich und wahrhaftig drin!«, jauchzte Marie, als sich die Aufzugtür schloss. »Du bist einfach genial!«

»Wird aber auch höchste Zeit, dass du das mal merkst«, brummte Anne.

Im vierten Stock stiegen sie aus und atmeten tief durch, bevor sie die Tür ihres Zimmers aufschlossen.

»Bist du bereit?«, fragte Anne.

»Ich glaube schon«, gab Marie aufgeregt zur Antwort.

Ehrfurchtsvoll betraten sie den großen Raum, der sich vor ihnen auftat.

»Nicht zu fassen!«, stöhnte Marie und schloss die Tür. Während sie sich übermütig aufs Bett warf, inspizierte Anne das luxuriöse Bad. »Wir sind drin! Sie haben uns tatsächlich reingelassen!«

Sie stand auf und angelte sich einen blank polierten roten Apfel aus dem üppigen Obstkorb auf dem Tisch.

»Mir war gar nicht bewusst, dass du sooo berühmt bist!«, rief sie mit vollem Mund ins Bad hinein, wo sich Anne die Hände wusch.

»Vielleicht solltest du ab sofort Sie zu mir sagen«, kam die lachende Antwort.

Bevor Pit sie sah, hörte er sie – beziehungsweise das leise Klingeln, mit dem sie das Foyer erfüllte. Die gedämpften Stimmen verstummten, und alles sah sich verwundert nach ihr um.

Er betrachtete sie ebenfalls, wie sie selbstbewusst durch die heiligen Hallen schritt und bei jeder Bewegung dieses zarte Läuten verursachte. Sie war keine Schönheit, stellte er fest, groß, schlank, nicht mehr ganz jung, vierzig vielleicht, ein paar Jahre mehr oder weniger. Dennoch hatte sie etwas, er konnte es nicht beschreiben, und er konnte seinen Blick nicht von ihr losreißen. Sie lachte viel, das sah er ihrem offenen Gesicht an, den unzähligen Lachfältchen, die sich um die Augen eingegraben hatten. Ihr Gang war kraftvoll und zielstrebig, bestimmt war sie begeisterte Sportlerin. Ihre Kleidung allerdings wirkte irgendwie grotesk – wie konnte ein erwachsener Mensch nur freiwillig so verlottert herumlaufen? Doch komischerweise passte alles an ihr zusammen, wirkte so anziehend auf ihn, dass er mitten in der Halle innehielt und ihr nachsah.

Sie lachte mit dem Rezeptionsmenschen, der sonst so schrecklich ernst und vornehm auftrat. Joergensen lag ihr zu Füßen, das erkannte er von hier aus, und das hatte er bei diesem Menschen noch nie erlebt. Wer, verdammt noch mal, war sie?

Nachdem sie mit leisem Geläute im Aufzug verschwunden war, ging er zur Rezeption.

»Lieber Herr Joergensen, verraten Sie mir, wer die Dame ist, die sich gerade mit Schellengeläute bei Ihnen angemeldet hat!«

Joergensen sah Pit vernichtend an, nichts deutete darauf hin, dass er gerade noch mit dieser geheimnisvollen Unbekannten gescherzt hatte.

»Aber, Herr Arnold, Sie kennen doch die Prinzipien unseres Hauses: Die Gäste bleiben unbedingt anonym«, wies er ihn zurecht.

Pit zückte einen Fünfzig-Euro-Schein und streckte ihn verdeckt über den Tresen. »Ich bin sicher, dass die Dame früher mit mir auf der Schule war. Ich will nur ihren Namen wissen, mehr nicht«, bettelte er.

Joergensen überschlug das ungefähre Alter der Kochbuchautorin und des Schauspielers und kam zu dem Schluss, dass sie wirklich etwa gleich alt sein mussten. Sollte er den Namen verraten? Entrüstet schob er schließlich Pits Hand zurück.

»Das ist Anne Jünger, die bekannte Kochbuchautorin – aber von mir wissen Sie das natürlich nicht«, murmelte er schließlich und drehte sich demonstrativ in die andere Richtung, um dort geschäftig in irgendwelchen Papieren zu wühlen.

»Wusste ich’s doch! Anne, klar, sie saß eine Reihe hinter mir«, log Pit laut und steckte das Geld wieder ein. »Einen schönen Tag noch, Herr Joergensen!«

Um zwanzig Uhr trafen sich Anne und Marie mit Maries Bruder Jochen und seiner Freundin Hanna, die nun schon seit drei Jahren in Berlin lebten. Er hatte sein Jurastudium im vierten Semester abgebrochen und arbeitete jetzt als Barkeeper in irgendeiner Szenekneipe. Während sie den Kurfürstendamm entlangschlenderten, erzählte er, dass er ein »Schweinegeld« verdiene und nie wieder freiwillig von Berlin weggehen werde, weil es die tollste Stadt überhaupt sei. Hanna studierte Musik und wollte irgendwann als Pianistin und Musiklehrerin ihre Brötchen verdienen.

Sie aßen einen Döner im Gehen, und Anne dachte mit Schrecken an diese Talkshow morgen, bei der sie wunderbar nach Knoblauch duften würde. Die Nacht war angenehm warm und es war sehr spät, als sie endlich ins Hotel zurückkamen.

»Ich hätte nie gedacht, dass Berlin so schön ist«, schwärmte Marie kurz vor dem Einschlafen. »Eigentlich könnte ich hierbleiben und erst mal bei Jochen und Hanna wohnen, bis ich einen Job gefunden habe.«

»Mach’s doch«, murmelte Anne, die schon fast schlief und eigentlich gar nicht mehr richtig zuhörte.

»Du hast leicht reden«, erwiderte Marie leise und lauschte dem gleichmäßigen Atem der anscheinend schon schlafenden Freundin neben ihr.

»Man darf nicht immer nur von etwas träumen«, kam doch noch eine Antwort, »man muss es einfach tun.«

Es war weit nach Mitternacht, als Pit aus der Bar kam und den Aufzug anpeilte. Er hatte sich heute mit den Drinks zurückgehalten und war ziemlich stolz auf sich.

Da hörte er wieder dieses leise Klingeln und wusste sofort, dass sie in der Nähe sein musste. Und tatsächlich: Sie stand plaudernd mit einer anderen Frau vor dem Aufzug und trug noch immer diese geflickte Hose. Der Hintern, der darin verpackt war, war gar nicht so übel, stellte er mit Kennerblick fest. Bevor er sich entscheiden konnte, ob er den beiden in den sich öffnenden Fahrstuhl folgen sollte oder nicht, schloss sich dir Tür wieder, und Anne Jünger entschwand seinen Blicken.

Nichtsahnend trat Pit Arnold am nächsten Morgen aus dem Aufzug. Es war kurz nach sieben, und er wollte joggen gehen, das tat er manchmal, wenn er mal wieder auf dem Gesundheitstrip war. Er trug einen dunkelgrauen Trainingsanzug und eine Sonnenbrille. So unrasiert, wie er seit drei Tagen war, fühlte er sich wunderbar getarnt. Seit jenem fatalen Zeitungsbericht stand Toms Telefon nicht mehr still, Reporter forderten Exklusivinterviews, Talkshows luden ihn zu Gesprächen ein, und Fotografen lauerten überall auf einen Schnappschuss von ihm. Er war ein gewisses Medieninteresse gewöhnt, aber zurzeit benahmen sich alle wie Schmeißfliegen. Tom war am Durchdrehen und dementsprechend ungenießbar. Also versuchte Pit, ihm so weit wie möglich aus dem Weg zu gehen.

Das war auch der Grund, warum Pit sich entschlossen hatte, zu dieser frühen Stunde zu joggen, die frische kalte Morgenluft würde seinen Kopf frei machen. Oft kamen ihm gerade beim Joggen die besten Einfälle. Und gesund war es noch dazu.

Doch als er gerade das Foyer durchqueren wollte, stürzte sich die Meute der wartenden Reporter auf ihn, Blitzlichtgewitter tauchte den Raum in helles Licht, und er war heilfroh, dass er die Sonnenbrille auf der Nase hatte. Schliefen diese Aasgeier denn nie?

»Herr Arnold, Herr Arnold!«, schrien sie alle auf einmal, und Pit war es unmöglich, aus dem Durcheinander eine einzelne Frage herauszuhören. Am liebsten hätte er sich in einem Mauseloch verkrochen, aber dafür war es jetzt eindeutig zu spät.

Während die unangenehmen Fragen der Reporter auf ihn einprasselten, sah er aus dem Augenwinkel heraus, wie sich die Fahrstuhltür öffnete und eine Frau heraustrat. Er konnte das leise Läuten nicht hören, aber er wusste trotzdem, wer sie war. Und da kam ihm eine spontane Idee, der rettende Strohhalm, der sich ihm mit ihrem Erscheinen bot.

Er winkte und rief über die Köpfe der Reporter und Fotografen hinweg.

»Anne, Liebes«, schrie er und drückte gegen die Wand von fragenden Menschen an. »Entschuldigen Sie«, redete er auf die Reporter ein, »dort ist meine Verlobte, lassen Sie mich doch bitte durch! Anne, Anne, warte doch auf mich!«