Der Umbau der Welt - Uwe Behrens - E-Book

Der Umbau der Welt E-Book

Uwe Behrens

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Beschreibung

Wird die Welt mit der Neuen Seidenstraße eine andere? Die Chinesen nennen es Yidai Yilu – »Ein Gürtel, eine Straße«, woraus im Englischen »Belt and Road Initiative« wurde. Die Deutschen erinnern sich vorzugsweise an Marco Polo, der vor fast achthundert Jahren den Händlern auf der alten Seidenstraße nach China nachfolgte und sprechen darum von der Neuen Seidenstraße. Es handelt sich um das vermutlich größte Infrastrukturprojekt der Menschheitsgeschichte, an dem sich inzwischen mehr als sechzig Staaten auf drei Kontinenten beteiligen. Bei der 2013 von Peking angeschobenen Initiative geht es nicht einfach um den Auf- und Ausbau eines interkontinentalen Handelsnetzes zu Lande und zur See, sondern auch um die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der angrenzenden Territorien, um neue Formen der Kooperation, die sich auf die Stabilisierung der Regionen auswirken und zur gleichberechtigten Zusammenarbeit führen. Das gigantische infrastrukturelle Vorhaben erreicht etwa zwei Drittel der Weltbevölkerung und betrifft ein Drittel der Weltwirtschaft. Der Logistiker Uwe Behrens, der 27 Jahre in China gearbeitet hat und darüber bereits berichtete (»Feindbild China«, 2020) stellt kenntnisreich und exklusiv dieses einzigartige Projekt vor. Er setzt sich auch mit den kritischen Angriffen und Vorhaltungen auseinander: China treibe die beteiligten Länder in eine Schuldenfalle, mache sie von Peking abhängig, gebe als Entwicklungshilfe aus, was in Wirklichkeit seiner ökonomischen und politischen Expansion und lediglich einem Ziel diene: die Volksrepublik China zur stärksten Wirtschaftsmacht zu machen und die USA von diesem Thron zu stoßen. Natürlich handelt China keineswegs selbstlos, es verfolgt wie jeder Staat auf dieser Welt nationale Interessen. Dennoch greift der Anspruch weiter, wie Behrens nachweist. Der Kapitalismus hat aller Welt vor Augen geführt hat, dass er kein Problem der Menschheit lösen kann und alle existierenden Probleme – Vernichtung der Ressourcen, Zerstörung der Umwelt und des Weltklimas etc. – verschärft. Peking versucht, durch ein grundsätzlich anderes Herangehen die Fragen der Produktion und des Zusammenlebens alternativ zu beantworten. Es geht um Harmonie statt um Hegemonie, die die Kultur des Westens bestimmt, nicht um Entweder-Oder, sondern um Sowohl-als-auch. Das komplexe Herangehen an zentrale Menschheitsfragen mit diesem Infrastrukturprojekt weist in die Zukunft jenseits tradierter Gesellschaftsvorstellungen.

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Impressum

Alle Rechte der Verbreitung vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist nicht gestattet, dieses Werk oder Teile daraus auf fotomechanischem Weg zu vervielfältigen oder in Datenbanken aufzunehmen.

edition ost im Verlag Das Neue Berlin –

eine Marke der Eulenspiegel Verlagsgruppe Buchverlage

ISBN E-Book 978-3-360-51051-8

ISBN Print 978-3-360-02804-4

1. Auflage 2022

© Eulenspiegel Verlagsgruppe Buchverlage GmbH, Berlin

Umschlaggestaltung: Verlag, Peter Tiefmann

www.eulenspiegel.com

Über das Buch

Vor etwa einem Jahrzehnt initiierte Peking das größte Infrastrukturprojekt der Menschheitsgeschichte. Es betrifft alle Kontinente, Australien und die Arktis ausgenommen. Was steckt dahinter? Uwe Behrens beschreibt alle Vorhaben, die laufenden wie die geplanten, und die Absichten, die ­damit verfolgt werden. Dabei setzt er sich gleichzeitig mit Unterstellungen und Behauptungen auseinander, die dagegen sprechen.

Über den Autor

Uwe Behrens, promovierter Logistiker, lebte und arbeitete 27 Jahre in China. Darüber berichtete er sehr kenntnisreich und kompetent in seinem Bestseller »Feindbild China. Was wir alles nicht über die Volksrepublik ­wissen«. Als Unternehmer und Manager war er auch beteiligt an den Anfängen der Neuen Seidenstraße. Er analysiert hier Pläne und Inten­tionen, die mit der Belt and Road Initiative verbunden sind.

Inhalt

Vorwort

Die historische Seidenstraße als Vorlage

Die Neue Seidenstraße und wichtige internationale ­Organisationen zur Unterstützung der BRI

Die maritime Seidenstraße

Diverse Seidenstraßen und einzelne Abschnitte

Tor zur Neuen Seidenstraße, die Provinz Xinjiang

Wege übers Land – die Straßen der Belt and Road ­Initiative in Südostasien

Die Belt and Road Initiative in Afrika

Die Neue Seidenstraße in Europa

Lateinamerika

Digitale Neue Seidenstraße

Die Neue Seidenstraße und der Klimawandel

Die Neue Seidenstraße der Gesundheit

Die Schuldenfalle und der Neokolonialismus

Build Back Better World und Gobal Gateway

Harmonie statt Hegemonie

Vorwort

Es gibt inzwischen eine Reihe von Publikationen zur Neuen Seidenstraße, elektronische und Printmedien berichten da­rüber. Und je nach Standort des Autors oder der Autorin wird entweder ablehnend oder positiv geurteilt. Es dominieren die tendenziell kritisch-distanzierenden Urteile, was wohl ursächlich darauf zurückzuführen ist, dass die Verfasser die offizielle Sicht der westlichen Staaten in Bezug auf die Volksrepublik China und deren Kommunistischer Partei teilen. Die Vorgaben des Mainstreams – die Freiheit des Wortes her oder hin – lassen wenig Raum für ein differenziertes, objektives Urteil. Und oft mangelt es auch an Sachkenntnis.

Ich reklamiere für mich, erstens frei im Denken und im Urteil zu sein, weil ich weder dem Mainstream noch irgendwelchen Vorgaben folgen muss. Und zweitens kann ich auf Kenntnisse und Erfahrungen zurückgreifen, die ich in einem halben Jahrhundert beruflicher Tätigkeit auf dem Gebiet internationaler Tansportökonomie gesammelt habe. Ich habe zum Thema studiert und promoviert und fast dreißig Jahre auf diesem Feld in der Volksrepublik China und auch in Indien gearbeitet. Ich habe in den beiden volkreichsten Staaten gelebt, die sich in Geschichte und Gesellschaft gewaltig unterscheiden. Ihre Traditionen und ihre Vorstellungen von der Zukunft habe ich ebenso kennengelernt wie deren Blick auf den »demokratischen Westen«, der sich selbst als Krönung der menschlichen Zivilisation versteht.

Kurzum, ich meine hinlänglich Kenntnisse in verschiedenen Kulturen gesammelt zu haben, die mir ein qualifiziertes Urteil erlauben. Ich kann Zustände und Entwicklungen bewerten etwa in Asien und im christlich-abendländischen Kulturkreis, in ­welchem der Kapitalismus geboren wurde, zur Blüte gelangte und sich im 20. Jahrhundert zum Beherrscher der Welt aufschwang.

In China leben vier Mal so viele Menschen wie in den USA und doppelt so viele wie auf unserem Kontinent Europa. Das ist eine nicht zu bestreitende Tatsache. Diese etwa 1,4 Milliarden Chinesen teilen den Wunsch aller Erdbewohner, in Frieden und Wohlstand glücklich und zufrieden zu leben. Wenn die Chinesen auch nur halb so gut leben wollen wie wir Europäer oder die Amerikaner (womit es gewiss recht unterschiedliche Vorstellungen von Wohlstand gibt), so hat dies eine logische Konsequenz: Die Volksrepublik China muss ihre Wirtschaftskraft derart steigern, dass sie am Ende die stärkste Wirtschaftsmacht der Welt sein wird. Und der Zusammenhang von Ökonomie und Politik führt zwangsläufig dazu, dass die Volksrepublik China auch eine politische Weltmacht, eine Supermacht werden wird.

Und nicht minder nüchtern und rational ist auch der Umkehrschluss. Wenn man verhindern möchte, dass also die Chinesen annähernd so gut leben können wie die Amerikaner und die Europäer, dass sie also wieder in Armut und Not vegetieren wie im 19./20. Jahrhundert – dann muss man politisch, ökonomisch und militärisch dafür sorgen, dass China sich nicht entwickelt.

Das ist keine Demagogie, sondern Realität.

Die westlichen Industriestaaten, insbesondere die USA, unternehmen alles, um Chinas Entwicklung zu be- und zu verhindern. Ein Konkurrent soll ausgeschaltet werden.

Das kapitalistische Selbstverständnis richtet sich auch gegen andere Staaten und Kontinente, aber diese Auseinandersetzung, diese Verhinderungsstrategie des reichen Westens richtet sich insbesondere gegen China. Die Volksrepublik muss eingehegt werden, um die ökonomische und damit die politische Vorherrschaft des Westens auf der Welt zu sichern.

Dabei dient die Ideologie, die vermeintliche Auseinandersetzung zwischen Demokratie und Diktatur, nur als Nebelvorhang. Und die Legitimation liefert das eurozentristische Weltbild – nämlich die Vorstellung, dass die in diesem Kulturkreis entstandene Form gesellschaftlichen Zusammenlebens als Erfolgsmodell überall praktiziert werden könnte und notfalls auch mit Waffengewalt durchgesetzt werden müsste. Die Heilslehre von freedom and democrazy, von nation building, von Menschenrechten ist die propagandistische Verhüllung ausschließlich ökonomischer Interessen. Sie schließt andere Formen gesellschaftlichen Zusammenlebens aus. Vor allem dann, wenn die kapitalistischen Eigentums- und Produktionsverhältnisse grundsätzlich in Frage gestellt und darum überwunden werden sollen.

Die Volksrepublik China geht andere Wege. Sie folgt als jahrtausendealte Kulturnation eigenen historischen wie gegenwärtigen Erfahrungen. Sie adaptiert die Überlegungen ihrer eigenen Denker wie die der ganzen Welt. Und sie nimmt auch in der Ökonomie Anleihen in der Vergangenheit. Etwa bei der Wiederbelebung der Seidenstraße – ein Begriff, den übrigens ein deutscher Geograf im 19. Jahrhundert kreierte. Damit bezeichnete der Forschungsreisende Freiherr Ferdinand von Richthofen ein Netz von Karawanenstraßen, das China und Europa miteinander verband. Mehr als anderthalbtausend Jahre lang zogen Kaufleute, Gelehrte und Handwerker von Ost nach West und von West nach Ost, um miteinander zu handeln und voneinander zu lernen. Sie überwanden über sechstausend Kilometer unter oft widrigen Bedingungen, aber zum gegenseitigem Vorteil. Verschiedene geostrategische Entwicklungen führten zum Ende des produktiven Austausch. Auch soll der »Schwarze Tod« daran mit Schuld gewesen sein – über die Seidenstraße sollen auch die Pestbakterien von Asien nach Europa gekommen sein.

Die chinesische Führung hat Vorstellungen von einer Neuen Seidenstraße entwickelt. 2013 stellte Xi Jinping den Auf- und Ausbau einer internationalen Handels- und Infrastruktur vor, in die – inzwischen – über 140 Staaten Asiens, Afrikas und Europas eingebunden sind. Der Plan trägt die Bezeichnung ­Pinyin Yīdài Yīlù, was so viel wie »Ein Gürtel, eine Straße« bedeutet (englisch: One Belt, One Road, abgekürzt mit den drei Buchstaben BRI für die inzwischen international übliche Benennung Belt and Road Initiative). In seiner Komplexität – ­bezogen sowohl auf seine räumliche Ausdehnung als auch auf die Tätigkeitsfelder – ist es das größte Infrastruktur­programm, das es jemals in der Geschichte gab.

Im nachfolgenden Text werde ich alle Aspekte dieses Programms und die damit verbundenem Intentionen darstellen. Und mich, wie angekündigt, dem Gegenstand anders nähern als andere Autoren. Nämlich vorurteilsfrei, sachlich-kritisch, faktengestützt und frei von christlich-abendländischem ­Dünkel.

Uwe Behrens,

Island, im Februar 2022

Die historische Seidenstraße als Vorlage

1877 veröffentlichte Freiherr Ferdinand von Richthofen einen fünfbändigen Reisebericht über seine mehrjährigen Forschungsreisen nach und durch China. Darin benutzte er den Begriff »Seidenstraße« zum ersten Male. Er bezeichnete damit Handelsrouten, auf denen chinesische Seide aus dem Han-Reich (206 v.u.Z. bis 220 u.Z.) nach Zentralasien transportiert worden war.

Obwohl der Kartograph nicht einmal alle Verkehrsverbindungen betrachtet hatte, übernahmen andere Forscher und Wissenschaftler diese Bezeichnung für ein in Wahrheit ganzes Geflecht von Handelsrouten und trugen damit ihren Teil zum Mythos über den sagenhaften Reichtum im Osten bei. Wie eben auch zu Narrativen über die Verbreitung von Religionen, von politischen und militärischen Allianzen.

Was wir im Allgemeinen unter dem Begriff »Seidenstraße« verstehen – nämlich eine Route, eine Verkehrsverbindung von A nach B und dergleichen –, trifft sowohl zu, ist aber auch irreführend. Tatsächlich existierte eine Vielzahl von Transportwegen zwischen Asien, Zentralasien und Europa, auf denen Waren gehandelt wurden und über die sich Kulturen und Religionen ausbreiteten. Sie waren das Band, das geopolitische und geostrategische Allianzen begründen half. Erste historische Belege und archäologische Beweise über den Handel von chinesischer Seide zwischen China und dem heutigen Europa reichen zurück bis 1200 v.u.Z., es war die Zeit der Shang-­Dynastie (1766–1046 v.u.Z.) In Ägypten fand man eine in Seide gehüllte Mumie, die dreitausend Jahre alt war. Das bedeutete, dass bereits damals Handelswege von Fernost nach Ägypten existierten.

Historiker datieren die Erfindung der Seidenproduktion auf 3000 Jahre v.u.Z. und gehen davon aus, dass mit der Domestizierung des Kamels als Reit- und Lastentier ein interkontinentaler Handel möglich wurde. Mit den Persern und später den Turkvölkern traten Vermittler zwischen Ost und West in die Geschichte.

Schriftliche Aufzeichnungen über den Verlauf der Routen liegen aus der Zeit der Han-Dynastie vor. Angefertigt hatte sie der chinesische Gesandte Zhang Qian (gestorben 113 v.u.Z.), der im Auftrage des Kaisers nach Zentralasien reiste, um mit – im heutigen Gebiet Usbekistans und Afghanistans lebenden – nomadischen Stämmen Allianzen gegen die »Hunnen« – eine Gruppe zentralasiatischer Reitervölker – zu schließen. Aus seinen Berichten wissen wir, dass der Handel über viele Handelsstationen, Oasen-Städte, kulturelle, religiöse und politische Zentren lief. Es ist anzunehmen, dass ein Ballen Seide mehrere Jahre unterwegs war, zwischendurch den Eigentümer mehrmals wechselte, bevor sich in Rom die aristokratischen Damen damit schmücken konnten.

Diese traditionelle Han-Dynastie-Route verlief von der damaligen chinesischen Hauptstadt Chang’an (heute Xi’an), über Wuwei, durch den Hexi-Korridor, über Dunhuang und Turpan in der Wüste Gobi, nach Urumqi in der heutigen Provinz Xinjiang und weiter durch das kasachische Grasland. In der Oasenstadt Dunhuang teilte sich die Route nach Süden und nach Norden, beide führten um die Wüste Taklamakan herum. Die eine ging weiter über Kaschgar, Samarkand, Buchara nach Mali im heutigen Iran. Von dort zogen die Händler nach Teheran, Bagdadad bis nach Rom und später Venedig.

Die andere Route führte über Kaschgar südlich über das Karakoram nach Islamabad im heutigen Pakistan.

Während der Han-Dynastie entwickelte sich der Handelsaustausch mit den Völkern Zentralasiens und mit Europa geradezu sprunghaft. Er war natürlich auch ein Instrument außenpolitischer Bemühungen. Deshalb tauschte man nicht nur Waren – Seide, Jade, Porzellan –, sondern auch Waffen, mit denen sich militärische Bündnisse und freundschaftliche ­Allianzen bilden ließen. Der Handel vollzog sich nicht auf einer Einbahnstraße, es flossen nicht nur Gold und Silber aus dem Römischen Reich ins Reich der Chinesen. Nach Europa kamen etwa auch Pferde asiatischer Rassen und Obstsorten aus Europa nach Asien, beispielsweise die Wassermelone (Xigua, was »Westmelone« bedeutet) und die Tomate (Xihongshi, das heißt »rote Frucht aus dem Westen«).

Die etwa vierhundert Jahre der Han-Dynastie gelten als die klassische Ära der antiken »Seidenstraße«. Zu jener Zeit existierten am Mittelmeer, in Mesopotamien, in Persien, in Zentralasien und in China große Imperien, die die Handelsrouten absicherten. Mit dem Erstarken verschiedener nomadischer Völker und dem Verschwinden von Imperien wurde der Verkehr auf der »Seidenstraße« zunehmend unsicherer und gefährlicher. Belegt ist dies beispielsweise durch eine Reise des chinesischen Mönchs Zhang Qian, die er im Jahre 147 v.u.Z. im Auftrage des chinesischen Kaisers nach Zentralasien antrat. Er kehrte erst nach dreizehn Jahren zurück und verlor alle 98 Mitglieder seiner Delegation.

Die Geschichte der »Seidenstraße« spiegelt sehr gut die These wider, dass dem Handel stets Kulturen und Religionen folgen. Schon vor der Zeitenwende breiteten sich griechische und persische Religionen nach Zentralasien aus – die Säulen von König Ashoka, der im 3. Jahrhundert v.u.Z. das erste indische Großreich begründete, weisen Inschriften in Griechisch und Aramäisch auf. Vom Westen nach Osten kamen die griechischen Götter und die persischen Religionen, später auch der Buddhismus, das Christentum sowie der Islam. Umgekehrt erschien im Westen das Gedankengut der chinesischen Philosophen und das Wissen der Chinesen von der Herstellung des Papiers und des Schießpulvers.

Der griechische Historiker Herodot (480–429 v.u.Z.) erwähnte die Kontakte, und in chinesischen Museen kann man griechische Kunstwerke bewundern, die in Gräbern in den Wüstenoasen Turfan und Dunhuang gefunden wurden. Eine nicht unbedeutende Rolle spielte auch Alexander der Große, der griechische König und Heerführer, der 336 v.u.Z. bis nach Indien marschierte und mit dessen Herrschaft das Zeitalter des Hellenismus in Europa begann. Zu jener Zeit verbreitete sich über die »Seidenstraße« auch der Buddhismus bis nach China.

Der Untergang der Han-Dynastie und des Römischen Reiches führten zu einem deutlichen Rückgang des Handels auf der »Seidenstraße«. Es gab praktisch nur noch Tauschhandel – barter trade genannt – zwischen den Oasen und nomadisierenden Stämmen des zentralasiatischen Graslandes. Erst während der Tang-Dynastie (618 bis 907 u.Z.) konsolidierte sich die Macht Chinas wieder, und der Handel nahm wieder zu.

Von außerordentlicher Bedeutung für die weitere kulturelle Entwicklung Chinas war die Reise des chinesischen Mönchs Xuan Zhang nach Westen. Zwischen 630 und 643 reiste er über den chinesischen Teils der »Seidenstraße« durch Afghanistan, Indien bis nach Sri Lanka und zurück über den Seeweg nach Südchina. Er sammelte buddhistische Schriften, die bis dahin in China noch nicht bekannt waren. Xuan Zhang brachte 657 Texte mit, die er im Auftrage des Kaisers übersetzte. In der Folge verbreitete sich der Buddhismus rasant, was von der daoistischen Führungsschicht in China akzeptiert wurde. Die buddhistischen Grotten in Kuche, Turpan oder Dunhuang lassen uns heute die Aktivitäten auf der »Seidenstraße« erahnen. Die mehreren Hundert Höhlentempel nahe der Stadt Dunhuang, bekannt als Mogao-Grotten, gehören zum Weltkulturerbe.

Im 9. Jahrhundert erschien der Islam auf der Weltbühne. Es entstanden im westlichen Teil der »Seidenstraße« verschiedene Kalifate, die sich zwar gegenseitig bekämpften, aber trotzdem den Warenaustausch förderten.

Die Ausbreitung des Islams nach Osten wurde gestoppt durch eine kriegerischen Auseinandersetzung zwischen einer islamischen und einer chinesischen Armee 751 u.Z. bei Taras, im heutigen Kirgisistan gelegen. Es war der Höhepunkt eines Jahrzehnte andauernden Konfliktes zwischen Arabern und Chinesen. Und es war, wie sich aber erst später erweisen sollte, eine der Entscheidungsschlachten der Weltgeschichte: Dadurch zog der Islam in die Turkvölker, weshalb heute Zentralasien zur islamischen Welt zählt.

Die Schlacht, die von zeitgenössischen Chronisten nahezu unbeachtet blieb, weil sie militärisch eher unbedeutend war, führte nicht nur zur Abgrenzung der beiden Reiche und Welten, sondern auch zum Ende des Handels. Im 10./11. Jahrhundert konsolidierte sich der westliche Teil der »Seidenstraße« so weit politisch, dass zumindest dort der Handel reaktiviert werden konnte. Wegen der mongolischen Eroberungen in Europa konnte er sich allerdings nicht durchgehend entwickeln. Das änderte sich erst mit der Herrschaft von Dschingis Khan (1162–1227), der durch die Festigung seines Reiches die »Seidenstraße« wieder sicherer machte.

Die Mongolen restaurierten die alten Mauerbauten, die schon seit Jahrhunderten China gegen die westlichen Reitervölker schützten, und reaktivierten die Karawansereien, in denen Händler sicheren Schutz fanden.

In jener Zeit bereisten Händler wie Marco Polo und Francesco Pegolotti, Missionare wie Johannes Plano di Carpine oder Wilhelm von Rubruck diese Route und brachten wundervolle Berichte nach Europa. Ihre Schilderungen begründeten den Mythos der sagenhaften »Straße in den Orient«, von mit Palmen gesäumten Oasen, goldenen Tempeln, von schönen Haremsdamen und Moscheen mit leuchtenden Kuppeln.

Während der Yuan-Dynastie (1279 bis 1368) lebten viele Nicht-Asiaten aus Europa im mongolisch beherrschten China. Die Gesellschaft war hierarchisch in vier Klassen eingeteilt: in Menschen mit farbigen Augen, in Mongolen, in Nordchinesen und in Südchinesen. Die Stellung Marco Polos am chinesischen Hofe war keine außergewöhnliche Besonderheit, er gehörte schließlich zur ersten Klasse, zu den Menschen mit farbigen Augen.

Wiederholt reisten Missionare der Franziskaner (dem römisch-katholischen Bettelorden) und der Dominikaner (ein in Spanien gegründeter Predigerorden) über die Routen der »Seidenstraße«. Ihnen verdanken wir viele Berichte, die Aufschluss über die damals sehr rege Handelstätigkeit mit Seide und Gewürzen geben. Im 14. Jahrhundert (1368) endete die Yuan-Dynastie, das Mongolen-Reich brach zusammen, wofür die Historiker mehrere Ursachen ausgemacht haben. Wesentlich war die Unfähigkeit, ein Weltreich dauerhaft zu verwalten, zweitens die Pest, die den Fernhandel zum Erliegen brachte, drittens mehrere Naturkatastrophen und viertens ­verschiedene Aufstände in Zentralchina.

Die Ming-Dynastie, die der Mongolen-Herrschaft folgte, wandte sich dem seeseitigen Handel zu und setzte auf Diplomatie. Vermutlich war das die Reaktion auf Timur (oder Tamerlan), ein islamischer Militärführer aus Samarkand (heute Usbekistan), dessen Reiter und Bogenschützen auf Kriegselefanten ein Territorium nach dem anderen eroberten und den Handel über die »Seidenstraße« zum Erliegen brachten. Timur besiegte die mongolischen Herrscher der Goldenen Horde an der Wolga, eroberte Damaskus und Bagdad und schuf eines der größten, wenn auch kurzlebigsten Reiche, die jemals in Zentralasien existierten. Dabei erlangte er den Ruf eines skrupellosen Eroberers, der die Bevölkerung in den unterworfenen Gebieten zu Hunderttausenden ermorden ließ.

Unter Zhu Di (1402–1424), dem zweiten Ming-Kaiser, segelten die legendären Dschunken-Flotten des Admirals He bis nach Afrika. Sie knüpften diplomatische Kontakte und organisierten Handelsverbindungen zum heutigen Sri Lanka, Bangladesch, Indien, Pakistan und dem Iran. Auf sieben Reisen zwischen 1405 und 1433 führte He große Flottenverbände. Auf der ersten Reise sollen es 62 Schiffe mit 28000 Mann Besatzung gewesen sein. Das Ziel der Reisen war der Handel, aber auch die Einforderung von Tributen und diplomatischer Unterwerfung der angesteuerten Territorien. Aufgrund der hohen Kosten und der daraus folgenden Unruhen in China wegen der zunehmenden Steuerbelastung – die Seereisen mussten schließlich finanziert werden – stellten die Ming-Kaiser diese Expeditionen ein. Es begann eine Politik der Abschottung gegenüber dem Rest der Welt.

Knapp hundert Jahre später, 1514, erreichten portugiesische Schiffe das Reich der Ming-Kaiser. Diese hatten inzwischen die Flotte abgewrackt, aber die Große Mauer auf- und ausgebaut, ein deutliches Symbol des Rückzuges und der Abschottung. In Europa befand man sich im Übergang vom Mittelalter in die Neuzeit, eine sich über drei Jahrhunderte hinziehende Epoche, in der man die kulturellen Leistungen der griechischen und römischen Antike wiederbelebte, weshalb man diese Kulturepoche später als Renaissance bezeichnete. Sie kreierte ein neues Menschenbild, das sich von dem bisher in Europa gepredigten unterschied, aber auch anders war als das Verständnis von Individuum und Gesellschaft und deren Beziehungen in anderen Teilen der Welt.

Dass ausgerechnet segelnde Portugiesen China als Erste über den Seeweg erreichten, war keineswegs zufällig.

Der vierte Sohn des portugiesischen Königs – der Nachwelt bekannt als Heinrich der Seefahrer (1398–1460) – machte sich in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts auf, die Welt zu entdecken und für die portugiesische Krone zu erobern. Das war der Beginn der europäischen Expansion. Ihm folgte schließlich Vasco da Gama, der 1498 den Seeweg nach Indien »entdeckte« (im Unterschied zu Kolumbus segelte er um Afrika und landete wirklich in Indien). 1513, andere Quellen schreiben 1515, landete Jorge Alvares an der Mündung des Perlflusses auf der Insel Lintin. Es folgten im Jahrestakt weitere Besuche, 1557 ließen sich die Portugiesen in Macau nieder, das sich bald zum Zentrum des portugiesischen Handels in Ostasien entwickelte. (1999 wurde Macau an China zurückgegeben.)

Wegen der unsicheren Verhältnisse auf dem Landweg verlagerte sich der interkontinentale Warenaustausch immer mehr aufs Wasser. Auf der ursprünglichen »Seidenstraße« ­verkehrten allenfalls Geographen und Historiker sowie Kunst- und Grabräuber.

Die von den chinesischen Kaisern angeordnete und konsequent durchgesetzte Abschottung illustrierte ein Schreiben Kaisers Qian Long an den englischen König Georg III. aus dem Jahr 1793: »Wie Euer Botschafter selbst sehen kann, besitzen wir bereits alles. Ich messe fremden oder ausgefallenen Dingen keinerlei Wert bei und habe keinen Bedarf an den Erzeugnissen Eures Landes.«

Von den Religionen, die über die »Seidenstraße« gekommen waren, hatte lediglich der Buddhismus als eine nicht monotheistische Religion in China nachhaltigen Einfluss, da sie sich mit den Lehren des Konfuzianismus, mit dem Daoismus und asiatischen Lebensformen vereinbaren ließ. Während der Ming-Dynastie (1368–1644) entstand der »chinesische« Buddhismus, geformt und verbreitet vom Philosophen Zhou Dun Yi. Er floss in das chinesische Bewusstsein ein und schlägt sich auch in den Überlegungen zur Neuen Seidenstraße erkennbar nieder.

Jahre der Kriege und des Hungers und die Alternative

Am 14. Oktober 2021 veröffentlichte die Welthungerhilfe, wie schon in der Vergangenheit, ihren Welthungerindex. Die Zahlen waren in den letzten Jahren wieder deutlich gewachsen, nachdem sie sich angeblich seit 1990 halbiert hatten. Weltweit, hieß es, hungerten 2020 etwa 811 Millionen Menschen, weitere 41 Millionen seien vom Hunger bedroht. Die Politiker und die Journalisten der westlichen Demokratien zeigten sich angesichts der Tendenz überrascht, fanden aber auch gleich eine Begründung: die Corona-Pandemie und der Klimawandel.

Zweifellos haben diese Faktoren zur Verschlechterung der Lebensbedingungen eines erheblichen Teils der Weltbevölkerung beigetragen, aber sie sind wohl kaum die wesentliche Ursache.

Der seinerzeitige deutsche Entwicklungshilfeminister, der sich vermutlich nicht grundlos im Herbst 2021 aus der Bundespolitik zurückzog, erklärte dazu, dass täglich 15000 Kinder verhungerten und nannte dies zutreffend »Mord«. »Hunger ist Mord, weil wir die Technik haben und das Wissen«, womit er meinte, dass es sich also um eine Unterlassungssünde handele. Mit rund 40 Milliarden zusätzlich pro Jahr sei eine Welt ohne Hunger bis 2030 möglich. »Warum tun wir es nicht? Weil der politische Mut fehlt«, so der CSU-Politiker. Da hatte er nicht Unrecht: Es fehlt der Mut, das kapitalistische System zu überwinden. Denn dieses System der Unterdrückung und Unterwerfung, der rücksichtslosen Ausbeutung aller Ressourcen im Interesse des Profits, ist ursächlich dafür verantwortlich, dass global gehungert wird.

Natürlich sorgt der Klimawandel auch dafür, dass Felder verdorren und die Wüsten wachsen, dass Ernten im Hagel untergehen und Sturzfluten ganze Landstriche verwüsten. Aber nicht deshalb bleiben Felder unbestellt und fliehen Menschen aus ihrer Heimat, um ihr Leben und das ihrer Kinder zu retten, sofern sie nicht Hungers oder im Kugelhagel sterben wollen. »Die Zahl der Menschen, die weltweit vor Krieg, Konflikten und Verfolgung fliehen müssen, war noch nie so hoch wie heute«, hieß es Ende 2021 von der UNHCR, der Flüchtlingshilfsorganisation der UNO. Und sie nannte 85 Millionen Menschen weltweit, die auf der Flucht seien. Und eine zweite Zahl hieß: eine Million. So viele Kinder seien zwischen 2018 und 2020 als Flüchtlinge geboren worden und starben möglicherweise bereits wieder.

Der United Nations High Commissioner for Refugees nannte als Fluchtursachen nicht etwa Klimawandel und Pandemie, sondern an erster Stelle: Kriege und Konflikte. Und er nannte Syrien, Afghanistan, Jemen, Irak und afrikanische Staaten sowie – in Europa – die Ukraine. In acht von den genannten zehn Ländern mit sehr ernster oder gravierender Hungersituation werde geschossen und getötet. Dafür aber gibt es keine wetter- und klimabedingten Gründe. Man muss also die Frage prinzipiell stellen: Wer führt Kriege und wozu?

Die zentrale Schlussfolgerung des Berichtes der Welthungerhilfe laute darum: Ein integrierter Einsatz, der Frieden und resiliente Ernährungssysteme zusammen denkt, kann sowohl Ernährungssicherheit als auch Frieden fördern.

Dem ist unbedingt zuzustimmen. Und vielleicht sollte man in diesem Kontext auch an die ersten beiden sogenannten Umsturzdekrete erinnern, die am 8. November 1917 – am Tag nach der Machtübernahme durch die russischen ­Bolschewiki – ­verabschiedet wurden. Das erste war das Dekret über den Frieden, womit die sofortige Aufnahme von Friedens­verhandlungen mit allen kriegführenden Ländern erklärt wurde, und das zweite das Dekret über Grund und Boden, in welchem das Land zum »Allgemeingut aller, die darauf arbeiten«, erklärt wurde. Diese ersten beiden Gesetze einer antikapitalistischen Gesellschaft machten nicht nur den engen Zusammenhang von Frieden und Ernährung deutlich, sondern fußten auch auf der Einsicht, dass die bisherige Art des Wirtschaftens die Menschheit in den Abgrund treiben würde.

Kriege beginnen immer mit Lügen. Sie werden mit Behauptungen gerechtfertigt, mit Phrasen und Unterstellungen. Das reicht von vermeintlichen Überfällen (auf den deutschen Sender Gleiwitz 1939, auf US-Kriegsschiffe im Golf von Tonkin 1964) über Bedrohungen (durch die Existenz von Massenvernichtungswaffen im Irak 2003, den »Hufeisenplan« in Jugoslawien 1999) bis hin zum Vorwand, reaktionäre Diktaturen überwinden und demokratische Staaten bilden zu wollen ­(Afghanistan, Syrien).

Dabei geht es immer nur um Einflusssphären, um Märkte und Ressourcen, um die Durchsetzung eigener nationaler Interessen. Die USA als größte und stärkste Wirtschafts- und Militärmacht ist dabei besonders rücksichtslos, das erklärt vielleicht auch, weshalb sie das wurden, was sie sind. »America first« war, wie irrtümlich angenommen wurde, keine ­Erfindung von Präsident Trump.

Am 23. Januar 1980 erklärte US-Präsident Jimmy ­Carter, das es im vitalen Interesse der USA liege, wenn die Vereinigten Staaten die Erdölproduktion im Nahen und Mittleren Osten kon­trollieren. Ein Angriff auf diese Interessen werde gegebenenfalls mit Waffengewalt abgewehrt und zurückgeschlagen. Mit dieser Maßgabe unterstützten die USA 1979 den Machtwechsel im Irak, fünf Monate nach der islamischen Revolution im Iran und wegen der Unionspläne mit Syrien, die Bagdad hegte. Der Mann der USA hieß Saddam Hussein, er war das Hätschelkind des Westens. 1982 strich man den Irak von der Liste der Terrorstaaten und rüstete ihn auf im Krieg gegen die »Ayatollah-­Diktatur« im Iran. In den achtziger Jahren importierte kein Land der Welt so viele Rüstungsgüter wie der Irak – oder im Umkehrschluss: In kein anderes Land lieferte der Westen so viele Waffen wie in den Irak und sicherte sich dadurch die Kontrolle über die wichtigste Erdöl-Region der Welt.

Allerdings verfolgte der von Saddam Hussein geführte Staat zunehmend eigene Interessen und versuchte diese in der Region auch mit militärischer Gewalt durchzusetzen. Nicht zuletzt die wirtschaftliche Auszehrung des Irak durch den acht Jahre währenden Krieges gegen den Iran, den sogenannten Ersten Golfkrieg (1980–1988), führte zum nächsten Krieg. Der Irak stand mit etwa 80 Milliarden Dollar im benachbarten Kuwait in der Kreide und hoffte mit einer Begrenzung der Erdölexporte den Weltmarktpreis zu steigern, um durch die Mehrerlöse seine Schulden bei den arabischen Nachbarn tilgen zu können. Angeblich steigerte Kuwait seine Ölproduktion, was zur Invasion irakischer Truppen führte. Das wiederum veranlasste die USA ihrerseits, militärisch zu intervenieren. Dafür besorgte sie sich mit Unwahrheiten im UN-Sicherheitsrat die Legitimation der Völkergemeinschaft: Die USA präsentierten »Beweise« für das barbarische Vorgehen der irakischen Truppen, die sogenannte »Brutkastenlüge«. Die Idee dazu war von einer Werbeagentur entwickelt worden. Am Ende stand eine Militärkoalition von 34 Staaten – in der die USA drei Viertel der 660000 Soldaten stellte. Dieser Zweite Golfkrieg (von Januar bis August 1991) diente nicht nur der Erprobung neuer Waffentechnik und Munition (so wurden erstmals uranabgereicherte Geschosse – ­Depleted Uranium, DU, verwandt). Es war auch der erste Schritt zur ­Errichtung einer neuen Weltordnung unter der Führung der letzten verbliebenen Großmacht. Der Ostblock war dabei sich aufzulösen und dessen Führungsmacht, die Sowjetunion, schickte sich an, die politische Weltbühne zu verlassen.

Und auch der Dritte Golfkrieg wurde mit einer Lüge losgetreten, um Saddam Hussein loszuwerden und den Irak endgültig unter amerikanische Vormundschaft zu bringen. Die vorgebliche Existenz von chemischen und biologischen Waffenarsenalen, vom US-Außenminister präsentiert, lieferte die Begründung für einen Präventivkrieg durch eine »Koalition der Willigen«. Diesmal versagte jedoch der UN-Sicherheitsrat das Mandat für eine militärische Intervention. Nachdem der US-Präsident im März 2003 den irakischen Staatschef ultimativ aufforderte, das Land binnen 48 Stunden zu verlassen, und Saddam Hussein dieser Forderung natürlich nicht nachkam, wurde Bagdad bombardiert. Von Kuwait und Jordanien aus drangen amerikanische und britische Truppen auf die Hauptstadt vor, Saddam Hussein, auf den ein Kopfgeld von 25 Millionen Dollar ausgesetzt worden war, wurde nach Verrat festgenommen und als offizieller Kriegsgefangener der USA arretiert. Nach Jahresfrist machte man ihm den Prozess, er wurde zum Tode durch den Strang verurteilt und am 30. Dezember 2006 gehenkt.

Massenvernichtungswaffen wurden keine gefunden. Die Besatzungstruppen zogen 2011 ab und ließen ein zerstörtes Land zurück, 2020 forderte das irakische Parlament den Abzug aller noch verbliebenen US-Truppen aus dem Irak …

Im Prinzip kaum anders endeten Aufstände und Proteste in arabischen Staaten im Nahen Osten und in Nordafrika, die Ende 2010 begannen und als Arabischer Frühling bezeichnet wurden. Was als Aufbruch in die Moderne, als Regime Change oder Nation Building deklariert wurde, endete meist in Chaos und Bürgerkrieg. Und das wiederum bedeutete Tod und Zerstörung, Hunger und Not, Flucht und Vertreibung. Die letzte Katastrophe registrierte die Welt, als sich im Sommer 2021 – nach zwanzig Jahren gewaltsamer Nation Buildung – die USA geradezu fluchtartig aus Afghanistan zurückzogen. Es folgten auch die internationalen Truppen, darunter auch deutsche Soldaten. Die Taliban proklamierten das Islamische Emirat Afghanistan und eliminierten die wenigen Fortschritte. Wobei es ein Irrglaube ist, dass die USA zwei Jahrzehnte zuvor ihre Militärmaschinerie nach Afghanistan geschickt hatten, um dort Brunnen zu bohren, Schulen zu bauen und Mädchen und Frauen eine gleichberechtigte Teilnahme am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen …

Afghanistan war (und ist) von außerordentlicher strategischer Bedeutung, da es – zwischen Russland und China gelegen – gleichsam den Eingang zu Zentralasien darstellt und als Militärbasis Zugriff auf beide Staaten ermöglicht. Allerdings scheiterten die USA daran, diesen Brückenkopf dauerhaft in ihre Globalstrategie einzubauen, wie schon die Sowjetunion nach zehn Jahren ihr Vorhaben beenden musste, das in Stammeskonflikten sich zerfleischende Afghanistan zu befrieden. Die Mujaheddin und Taliban, vornehmlich von den USA gegen die sowjetischen Truppen aufgerüstet, kehrten sich nach deren Abzug gegen ihre einstigen Gönner. Diese ­kapitulierten also nach zwanzig Jahren und überließen ihnen das Feld mit den bekannten Folgen. Seit die Alimentierung des Landes durch den Westen wegfiel, Infrastruktur und ­Verwaltung zusammenbrachen, befindet sich das Land am ­Abgrund. Millionen Menschen hungern und haben keine Perspektive.

Geostrategisch ist das Land nunmehr für die USA bedeutungslos geworden, daher wuchs zwangsläufig das Interesse an benachbarten Staaten wie Turkmenistan, Usbekistan, Tadshikistan, Kirgisistan und Kasachstan. Nicht von ungefähr kam es Anfang 2022 dort zu ersten Unruhen, die aber – auch mit militärischer Unterstützung Russlands – rasch beendet wurden.

Die Region bleibt für die USA von großer Bedeutung in deren inzwischen zum Hauptkonflikt erklärten Auseinandersetzung mit der Volksrepublik China. Dass dieser überhaupt entstand, hängt im Wesentlichen mit der Fehleinschätzung Washingtons zusammen, als zu Beginn der siebziger Jahre der Brückenschlag zu Peking erfolgte. In der seit Ende der fünfziger Jahre geführten ideologischen Auseinandersetzung zwischen Moskau und Peking – die bis zu militärischen Grenzkonflikten am Ussuri führte – glaubten die USA, China als Partner gewinnen zu können. Zudem führten sie seit Jahren einen ebenso sinnlosen wie barbarischen Krieg gegen Vietnam, den sie auch mit Hilfe der Chinesen beenden wollten. US-Präsident Nixon reiste 1972 nach Peking und vereinbarte nicht nur die diplomatische Anerkennung, sondern akzeptierte auch die Ein-China-Politik Pekings. Das wiederum hatte zur Folge, dass ­Taiwan seinen Platz im UNO-Sicherheitsrat für die Volksrepublik räumen musste. Bei diesem politischen Schachzug schwang die Annahme der Amerikaner mit, dass nach der Öffnung Chinas und mit den 1978 begonnenen Reformen das volkreichste Land der Erde sich auf einen »guten« kapitalistischen Weg machen werde. Staatseigentum wurde privatisiert, eine kapitalistische Klasse entwickelte sich. Ein ungebremstes Wachstum der Wirtschaft setzte ein. China fügte sich in die von den USA dominierte Weltordnung ein.

Die dennoch ungebrochenen Bekenntnisse der chinesischen Führer zur kommunistischen Gesellschaftsordnung wurden ignoriert und allenfalls belächelt. Was nicht der erste Fehler Washingtons war. Es sollte auch nicht der letzte Irrtum bleiben. Unter Generalsekretär Jiang Zemin (1989–2002) nahm die Kapitalisierung der ökonomischen und sozialen Beziehungen auf allen Ebenen der Gesellschaft zu. Unter seinem Nachfolger Hu Jintao (2002–2012) wurde dagegen bereits angegangen. Dennoch nahmen das rein quantitative Wirtschaftswachstum auf Kosten der Umwelt und die Ungleichheit zu. Der Kurswechsel setzte 2012 mit dem XVII. Parteitag ein und ist mit der Person Xi Jinping verbunden, der damals zum Generalsekretär gewählt worden war. Die bisherige Politik erfuhr eine deutliche Korrektur. So wechselte man zunehmend von der expansiven, typisch kapitalistische Massenproduktion zu einer qualitativ hochwertigen und umweltfreundlichen Produktion mit anspruchsvollen Innovationen. Peking begann eine »kon­trollierte Marktwirtschaft« und nahm stärker am Weltmarkt teil. Gleichzeitig wurden die Sozial- und Verteilungssysteme ausgebaut und der Kampf gegen die Korruption forciert, wurde begonnen, alle signifikanten Nebenwirkungen der kapitalistischen Markwirtschaft entschlossen und mit spürbarer Konsequenz zurückzudrängen und abzubauen.

Zunächst schien der neue Generalsekretär dem Westen in seiner Entschlossenheit zu gefallen. Zumal er sich auch von den Vorgängern durch sein manierliches Auftreten unterschied, er war offen und zugänglich. Glich also in gewisser Weise Gorbatschow, mit dem der Westen seinerzeit positive Erfahrungen gemacht hatte. Dieses neugierige Wohlwollen änderte sich schon bald, als unter dem neuen Generalsekretär Schritte unternommen wurden, die den Einfluss auf Chinas Wirtschaft und Gesellschaft von außen reduzierten und beschränkten. Die ausländischen Medien wurden zunehmend kontrolliert oder – wie Google – gar abgeschaltet, eine »Firewall« im Internet errichtet. Die eigene Währung wurde nicht dem internationalen Finanzmarkt geöffnet und damit der Kontrolle des US-Dollars unterworfen. Es war erkennbar: Die Volksrepublik öffnete ihre Ökonomie und Finanzwirtschaft nur in dem Maße, wie sie es für die Entwicklung der eigenen Produktivkräfte erforderlich hielt. Der nationale Markt wurde nicht, wie in kapitalistischen Ländern üblich, dereguliert, es geschah das Gegenteil: Der Staat und dessen regierende Partei sorgten mit Reformen dafür, dass das gesteuerte Wachstum dem Wohlstand aller zugute kam und kommt. Auf diese Weise wurden mehrere Hundert Millionen Menschen aus der Armut geholt.

Diese vermeintlich protektionistische Wirtschaftspolitik kollidierte mit den Prinzipien der Welthandelsorganisation (WTO), der die VR China 2001 beigetreten war, weshalb beide Seiten erhebliche Kompromisse eingingen. Die USA und die anderen westlichen Länder gaben in der Erwartung nach, einen »Wandel durch Handel« in China zu erreichen. Das erwies sich als irrtümliche Spekulation, weshalb sich die Beziehungen zu China zunehmend abkühlten. Das zeigte sich auch in den Darstellungen der Volksrepublik, ihrer Politik und Wirtschaft in den westlichen Medien. Herrschte dort jahrelang das Stereotyp von der billigen Werkstatt der Welt vor, der Markenpiraterie und der Massenproduktion, so machte dieses Bild bald einem anderen Platz. China schicke sich an, die Welt zu erobern, hieß es nun. Mit ökonomischer Macht, flankiert durch eine militärische, dränge China mit Gewalt an die Weltspitze. Das sei eine Bedrohung der freien Welt, der Demokratien schlechthin. Aus dem freundlichen Herrn Xi wurde alsbald der »Diktator«, aus dem chinesischen Vielvölkerstaat ein Völkergefängnis, das nationale Minderheiten unterdrückte und internierte. Die Volksrepublik war fortan eine Diktatur, deren vorangiges Ziel in der Unterdrückung der Demokratie und der Menschenrechte im Innern sowie in einer aggressiven Expansion nach außen bestünde. Was im Widerspruch zu der kolportierten These steht, dass China sich abschotte und auf Distanz zur Welt und den internationalen Institutionen gehe.

Die westliche Propaganda setzt auf Unkenntnis und Demagogie, auf Vorurteile und tradierte antikommunistische Ressentiments, die – nimmt man nur Deutschland – seit den Bismarckschen Sozialistengesetzen von 1878 gepflegt werden. Mit ihnen zog Hitlerdeutschland 1941 in den Eroberungs- und Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion. China war zu weit weg, wenngleich der Faschist Hitler schon in seinem ideologischen Machwerk »Mein Kampf« auch die Chinesen als den »minderen Rassen« zugehörig erklärte – der Chinese sei »rassisch gleich dem Neger«. Die heutige antichinesische Propaganda bewegt sich auf anderem Niveau, ist allenfalls punktuell rassistisch konnotiert – wir erinnern uns, als die ersten Corona-Fälle in Wuhan publik wurden und der Virus sich in der Folgezeit weltweit ausbreitete, sprach man da und dort von der »chinesischen Seuche«. (»Wie schlimm ist die neue China-Seuche?«, titelte noch vor Ausbruch der Pandemie die BILD am 9. Januar 2020.)

Propaganda ist die Begleitmusik zur Durchsetzung politischer und ökonomischer Interessen, Medien sind Resonanzboden und Verstärker in einem. Die NATO erklärte auf ihrem 2021er Gipfel China (wie auch Russland) zur Bedrohung, damit folgte das transatlantische Bündnis sowohl der Vorgabe des US-Präsidenten Biden als auch der Presse der »freien Welt«, die sich seit Jahren mit wachsender Lautstärke auf das sogenannte China-Bashing verlegt hatte. Die Bemühungen insbesondere der USA zur Neuordnung der Welt, womit die Durchsetzung der eigenen nationalen Interessen gemeint ist (»America First«), erfahren in den Mainstream-Medien Zustimmung und Unterstützung. Allerdings, auch das gehört zur Wahrheit, nimmt die Zahl der Kritiker an dieser in Gut und Böse geteilten Weltsicht zu – ohne dass sich dadurch der politische Umgang mit China (und Russland) grundsätzlich änderte. Aber die Frage »Wer bedroht wen?« – China den Westen oder der Westen China – wird immerhin schon gestellt und damit die einseitige Schuldzuweisung infrage gestellt, die seit Jahren erfolgt. Die Außen- und Sicherheitspolitik der Volksrepublik – zu der durchaus auch das Konzept der Neuen Seidenstraße rechnet – ist nicht vergleichbar mit dem aggressiven politisch-ökonomischen Vorgehen imperialistischer Staaten. Und was bei der Darstellung in den westlichen Medien keine Rolle spielt – womit wir wieder beim Ausgangspunkt sind, nämlich die Lüge als Anfang aller Kriege, denn halbe Wahrheiten sind ganze Lügen –, soll hier ausdrücklich festgehalten werden: Es gibt kein zweites Land, das vom westlichen Kolonialismus ausgebeutet und durch imperialistische Kriege verwüstet wurde und in den vergangenen Jahrzehnte seine Produktivkräfte derart entwickelt hat, dass eine Existenzsicherung und ein bescheidener Wohlstand für alle möglich ist. Und das eben nicht auf Kosten anderer Völker, durch deren Ausbeutung und Unterdrückung, durch direkte oder indirekte Kriege. In China herrschen Stabilität und innerer Frieden. Es sind keine paradisischen Verhältnisse, noch bestehen soziale Unterschiede und werden gesellschaftliche Konflikte ausgetragen. Aber es entwickelt sich eine erkennbar alternative, eine spürbar menschlichere Gesellschaft als in den kapitalistischen Staaten der Welt. (Denn das sind – was gelegentlich aus dem Blick gerät – nicht nur die wenigen reichen Industriestaaten des Nordens.)

Deshalb ist China eine »Bedrohung«.

Die Geschichte wiederholt sich

Der amerikanische Diplomat Georg Kennan verfasste 1946 zwei Dokumente, das »Lange Telegramm« und den »X-Artikel«, die die Blaupause für den Kalten Krieg gegen die Sowjetunion nach dem Zweiten Weltkrieg darstellten. 2021 publizierte der Thinktank »Atlantic Council« – eine 1961 gegründete Denkfabrik zur Unterstützung der US-Führung in internationalen Angelegenheiten – ein Dokument, das mit dem Kennan-Papier vergleichbar ist. Darin sind die strategischen Grundsätze für den Umgang der USA mit China fixiert. »The longer Telegram – Toward A New American China Strategy« ist es betitelt. Im Kern ist »Sowjetunion« im Kennan-Papier lediglich durch »China« ersetzt worden.

Das Kennan-Dokument ging vom Ungleichgewicht in der Welt nach dem Zweiten Weltkrieg aus. Die USA hatten den Krieg gewonnen und sollten diese Vormachtstellung behaupten, indem sie andere Nationen an deren Aufstieg hinderten, um sie als Konkurrenten zu verhindern, sie in Abhängigkeit zu halten oder sie in ein solches Verhältnis zu bringen. Die neue Weltordnung sollte die alten globalen kapitalistischen Macht­verhältnisse – unter der Führung der USA! – zemen­tieren.

Das Strategie-Papier des »Atlantic Council« von 2021 gründet auf den gleichen Vorstellungen, die Autoren fassten diese in drei Punkten zusammen.

Erstens: China verfüge »seit langem über eine integrierte, operative Strategie für den Umgang mit den Vereinigten Staaten. Die Vereinigten Staaten haben bisher keine solche Strategie gegnüber China«. Deshalb müsse, zweitens, eine solche entwickelt werden. »Die US-Strategie und -Politik gegenüber China muss sich auf die Bruchlinien zwischen Xi und seinem inneren Kreis konzentrieren – mit dem Ziel, ihre Ziele und ihr Verhalten und damit ihren strategischen Kurs zu ändern«. Und drittens schließlich: »Das wichtigste Ziel der US-Strategie sollte darin bestehen, Chinas herrschende Eliten zu dem Schluss zu bringen, dass es in Chinas bestem Interesse liegt, weiterhin innerhalb der von den USA geführten liberalen internationalen Ordnung zu agieren statt eine rivalisierende Ordnung aufzubauen, und dass es im besten Interesse der Kommunistischen Partei Chinas liegt, nicht zu versuchen, Chinas Grenzen zu erweitern oder ihr politisches Modell über ­Chinas Grenzen ­hinaus zu exportieren.«

Das alles kommentiert sich selbst und bedarf keiner Erläuterung. Allenfalls des Hinweises, dass Appelle zum Selbstmord, gerichtet an einen politischen »Rivalen«, noch nie in der Geschichte erfolgreich waren.

China war von Kolonialmächten etwa zweihundert Jahre lang ausgebeutet und unterdrückt worden und hatte 1949 sein koloniales Joch abzuwerfen begonnen. Das Kaiserreich war reich an Rohstoffen, aber militärisch und wirtschaftlich schwach. Das britische Imperium versuchte die chinesischen Zentralprovinzen von Shanghai, den Jangtse entlang bis nach Sichuan, einschließlich Tibet bis an die Grenze zu Indien zu beherrschen. Frankreich drängte nach Südchina, um es an Indochina anzuschließen. Russland versuchte die Äußere Mongolei und Teile der Mandschurei zu erobern, Japan wiederum die ganze Mandschurei und die Innere Mongolei.