Der Untergang einer alten Weltordnung - Lutz Vogt - E-Book

Der Untergang einer alten Weltordnung E-Book

Lutz Vogt

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Beschreibung

Die alte Weltordnung, geprägt von den Ergebnissen des 2. Weltkrieges und des 1. Kalten Krieges und formuliert von den Siegern dieser Kriege, stirbt. Neue Ordnungen haben schon immer in der Geschichte Zeit gebraucht, um zu wachsen, um irgendwann zu dominieren. Im Neuen wurden immer auch altbewährte Teile des Unterge-gangenen verwendet. Oft dauerte das mehr als nur eine Gene-ration. Heute erleben wir den Wandel in der Welt sozusagen in Zeitraffer. Ein zentraler Teil des Fundamentes der alten Ordnung war die Rüstungskontrolle der Atomwaffen. Seit sie in der Welt sind, hängt das Überleben aller davon ab, ob die wenigen, die über diese Waffen verfügen, sie auch einsetzen oder eben nicht. Über fast ein halbes Jahrhundert wurden zentrale Teile der alten, vereinbarten Ordnung zwischen den Staaten errichtet. Seit drei Jahrzehnten wird sie Schritt für Schritt zerstört. Im Chaos aus Vereinbarungen und willkürlich erklärten Regeln entstehen die Umrisse einer neuen Welt aus der Asche der Alten.

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Impressum

Lutz Vogt

Der Untergang einer alten Weltordnung

Rüstungskontrolle als Waffe in Kalten Kriegen

ISBN 978-3-96521-942-7 (E-Book)

© 2023 EDITION digital Pekrul & Sohn GbR Godern Alte Dorfstraße 2 b 19065 Pinnow Tel.: 03860 505788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.edition-digital.de

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Vorwort

Mit Lutz Vogt hat sich diesem hochkomplizierten und für die internationale Politik wie auch dessen Geschichte fundamentalen Thema ein Autor zugewendet, der nicht nur über ein umfassendes wie tiefgründiges Wissen der behandelten Materie verfügt, sondern dieses in seiner mehrjährigen diplomatischen Tätigkeit zielgerichtet, von seinen Partnern geschätzt und anerkannt, eingesetzt hat.

Peter Steglich

Botschafter a.D.

Im 1. Kalten Krieg

Armageddon – In der Schlussphase des 1. Kalten Krieges.

Am Übergang von den 1970er zu den 1980er Jahren begann eine erneute Zuspitzung des Kalten Krieges zwischen den beiden stärksten Nuklearmächten, den USA und der UdSSR und ihren Koalitionen – NATO und Warschauer Vertrag. Dieser Kalte Krieg des 20. Jahrhunderts wurde seit dem Ende des 2. Weltkrieges als ein umfassender Krieg zwischen den von gegensätzlichen Eigentumsstrukturen und ihren Weltanschauungen geprägten gesellschaftlichen Systemen geführt. 50 Jahre später wird man diese Art von Kriegen als hybride Kriege bezeichnen. Diesen Charakter trug bereits der 1. Kalte Krieg von Beginn an. In seinem Verlauf wurden die nicht-militärischen Mittel und Methoden der Kriegführung immer weiterentwickelt und schließlich zu den bestimmenden Elementen des 1. Kalten Krieges.

In mancher Hinsicht ähnelte er in vielen Erscheinungsformen insbesondere in seinen weltanschaulichen Aspekten dem europäischen Krieg im 17. Jahrhundert zwischen christlichen Staaten katholischer oder protestantischer Prägung, der mit dem Frieden von Westfalen nach über 30 verheerenden Jahren sein Ende fand. US-Präsident Ronald Reagan gab den 1980er Jahren, der Schlussphase des 1. Kalten Krieges, in christlich fundamentalistischer Weise das Motto des biblischen Armageddon, des Endkampfes oder des Entscheidungskampfes zwischen den aus seiner Sicht Kräften von Gut und Böse in der Welt. Dieses Endkampf-Konzept der US-Strategie war absolut ernst gemeint und wurde mit allen der Politik zur Verfügung stehenden Instrumentarien sehr konsequent und diszipliniert umgesetzt. Damit wurden durch die USA zugleich die allgemeinen Rahmenbedingungen für die internationale Rüstungskontrolle gesetzt.

Der Kalte Krieg im 20. Jahrhundert war, wie jeder Krieg, von Anfang an „ein Akt der Gewalt, um den Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen“ (Clausewitz „Vom Kriege“, Buch I, Kap. 1, Abschn. 2). Krieg ist Politik mit gewaltsamen Mitteln. Krieg und Gewalt (gewaltsame Mittel) reduzierten sich dabei noch nie auf den bewaffneten Kampf. Genau um diesen Zusammenhang ging es auch Clausewitz in seinem Buch „Vom Kriege“. Der Schwerpunkt seines oft wiederholten, aber selten verstanden Satzes zum Verhältnis von Politik und Krieg liegt nicht auf dem Wort „ANDERE“ Mittel, sondern darauf, dass Krieg eben nur Politik ist; in einer anderen äußeren Form. Bewaffneter Kampf, Diplomatie und die ganze breite Palette politischer und wirtschaftlicher Instrumente der Kriegführung sind in ihrem Wesen immer wieder auf Politik zurückzuführen. Der bewaffnete Kampf war und ist oft, aber keinesfalls immer, nur die sichtbare Oberfläche eines Krieges. Clausewitz definierte Krieg grundsätzlich als Akt der politischen Gewalt; er reduzierte ihn nie auf den bloßen bewaffneten Kampf militärischer Streitkräfte. Vielmehr erfasste er alle gewaltsamen Mittel/Instrumente der Politik eines Staates. Auch das Gewaltverbot in der UN-Charta und der Schlussakte von Helsinki umfasst den Gewaltbegriff in umfassender Weise und reduziert ihn ausdrücklich nicht auf militärische Gewalt. Die komplexe und brillante Wesensbeschreibung des Krieges durch Clausewitz bestätigte sich erneut auch im 1. Kalten Krieg. Bis heute hat sich daran nichts geändert.

Im 1. Kalten Krieg zwischen 1946 und 1991 wurden von allen Kriegsparteien weltweit alle verfügbaren, gewaltsamen Mittel und Methoden zur Erzwingung ihrer politischen Ziele angedroht und eingesetzt. Der Einsatz oder die Androhung militärischer Mittel, darunter auch des bewaffneten Kampfes, war von Beginn an lediglich eines der Elemente im breiten Spektrum gewaltsamer Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele im 1. Kalten Krieg. Er dauerte länger als der 30-jährige Krieg in Europa und in diesen mehr als vier Jahrzehnten vollzogen sich grundlegende technologische Veränderungen mit vielfältigen Auswirkungen auf alle Elemente des gesellschaftlichen Lebens. Unter anderem betraf dieser Wandel auch „das Militär“ und alle mit ihm besonders stark verflochtenen gesellschaftlichen Bereiche. Die These von Clausewitz, dass der Krieg wie ein Chamäleon sei, bestätigte sich im 1. Kalten Krieg auf glänzende Weise (Clausewitz „Vom Kriege“, Buch I, Kap. 1; Abschn. 28).

Der 1. Kalte Krieg hatte bis zu seiner Schlussphase sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens aller kriegführenden Parteien durchdrungen, tiefgreifend geprägt und deformiert.

Der Krieg, seine Mittel und Methoden, veränderten sich zwischen 1945 und 1991 ebenso tiefgreifend wie die ihn bestimmende Politik aller Kriegsparteien.

Das vorrangige Kriegsziel, die Beseitigung des gegensätzlichen, konkurrierenden Systems blieb zumindest auf Seiten der USA und ihrer globalen Verbündeten unverändert. Dieses Ziel wurde mit aller Konsequenz verfolgt. Auf Seiten der UdSSR und der von ihr dominierten Staaten verschwamm das Kriegsziel in diesem gesamtgesellschaftlichen Überlebenskampf Schritt für Schritt immer mehr. Diese Staatengruppe folgte, trotz mancher nachrangiger ideologischeren Streitigkeiten, den sowjetischen Vorgaben in Politik, Wirtschaft und Weltanschauung.

In dem Maße, wie das sowjetische Gesellschaftssystem im Inneren nicht mehr mit den Anforderungen der Produktivkraftentwicklungen mithalten konnte, schwand auch deren Widerstandskraft nach außen. DAMIT war der 1. Kalte Krieg in seinem Ausgang entschieden. Die in diesen über vier Jahrzehnten von beiden Kriegsparteien schrittweise vereinbarte globale Ordnung brach folgerichtig zu Ende dieses Krieges mit der umfassenden Niederlage und dem Verschwinden der Sowjetunion und ihrer Koalition vollständig in sich zusammen.

Ziele und Mittel

Dieser 1. „Kalte Krieg“ wurde als umfassende Auseinandersetzung zweier unversöhnlich gegensätzlicher gesellschaftlicher Systeme und Weltanschauungen als weltweiter Krieg und unter Nutzung des gesamten verfügbaren Potenzials an gewaltsamen Mitteln geführt. Geprägt wurde er seit seinem Beginn durch das fast zeitgleiche Auftauchen von Kernwaffen in den militärischen Arsenalen der wichtigsten Kriegsgegner.

Die Kernwaffen veränderten nach 1945 alles von Grund auf. Sie machten aufgrund ihrer nie vorher gekannten Vernichtungskraft eine direkte militärische Auseinandersetzung der kernwaffenbesitzenden Kriegsparteien zur militärischen Erzwingung politischer Ziele unmöglich. Zwischen Kernwaffenstaaten können Kriege nicht mehr unter Einsatz von Atomwaffen geführt werden, sondern nur noch beendet werden. Dennoch werden Kriege nach wie vor durch Menschen ausgelöst und das verleiht Politik ebenso wie Kriegsführung ein gewisses Maß an Unberechenbarkeit, basierend auf „nicht-vernünftigen“ Entscheidungen. In diesem Sinne ist ein allgemeiner thermonuklearer Krieg zwar politisch nicht sinnvoll oder zweckmäßig und sollte unmöglich sein. Dennoch sind politische Entscheidungen schon immer so vielschichtig, dass die politisch Handelnden sich niemals der komplexen Folgen ihres Tuns sicher sein können. Von der „Unmöglichkeit“ eines umfassenden Atomkrieges zu sprechen ist daher ebenso programmatisch wie unsicher. Unüberlegte Handlungen einzelner Staaten können auch diesen Krieg so wie frühere Kriege „möglich“ machen. Dieses Dilemma zwischen der Vernichtungswirkung der vorhandenen Massenvernichtungswaffen und deren Unvereinbarkeit mit rationalen politischen Zielen führte zu einem über die Jahre immer mehr ausgebauten Vertragsgeflecht, das schließlich das Regelwerk der damaligen geopolitischen Ordnung bildete.

Über die Jahrzehnte des 1. Kalten Krieges entwickelte sich viel Neues im Kampf der kernwaffenbesitzenden Hauptkontrahenten verglichen mit früheren und mit zeitgleich verlaufenden, nichtnuklearen Konflikten. Eines war jedoch von Anfang an klar: So wie erwartet, konnte dieser Krieg nur mit dem vollständigen politischen Untergang einer der kriegführenden Seiten enden. In welchen Formen und mit welchen Mitteln dies geschehen würde, war dann schon wieder von vielen Umständen abhängig.

Mit zunehmender Dauer des 1. Kalten Krieges formulierten allerdings nur noch die USA ein klares und zielstrebig verfolgtes Kriegsziel – die Vernichtung des konkurrierenden gesellschaftlichen Systems und seiner Weltanschauung, die die UdSSR und deren Koalitionäre repräsentierten. Dass dieses Ziel auch ohne den direkten bewaffneten Kampf zwischen NATO und Warschauer Vertrag erreichbar sein würde, ging vielen der damaligen „Krieger“, insbesondere in der sowjetischen Koalition einfach nicht in den Kopf. Sie praktizierten im 1. Kalten Krieg eine Politik, die auf fast vollständiger ideologischer Verblendung und Wirklichkeitsverweigerung basierte. Die Ironie der Geschichte besteht heutzutage gerade darin, dass die Sieger im 1. Kalten Krieg zunehmend selbst dieses ideologische und realitätsverweigernde Politikmodell kopieren.

Nur auf Seiten der USA wurde im 1. Kalten Krieg ein wesentliches „Ziel des Krieges, … den Feind wehrlos zu machen“ bis zum siegreichen Ende konsequent verfolgt (Clausewitz „Vom Kriege“, Buch I, Kap. 1. Abschn. 4). Hier zeigte sich auch die Bedeutung und das Gewicht jener Instrumente und Methoden eines Krieges, die nicht direkt dem bewaffneten Kampf zuzuordnen waren. Die Schlussphase des 1. Kalten Krieges war der erste moderne Hybrid-Krieg in der Kriegsgeschichte. Die im klassischen Verständnis nicht-militärischen Mittel und Methoden moderner Kriegführung wurden auf sowjetischer Seite vollkommen unterschätzt und als nebensächlich abgetan.

Auf sowjetischer Seite endete die Definition des Kriegsziels im 1. Kalten Krieg zunehmend in verschwommenen, wohlklingenden, aber sinnentleerten Dogmen. Die Formel von der „friedlichen Koexistenz“ von Staaten unterschiedlicher Gesellschaftsordnung war nur ein Ausdruck an der Oberfläche dieser Entwicklung. Der ursprüngliche Ansatz der „friedlichen Koexistenz“, eine globale Apokalypse zu verhindern, verkam durch die Führung der Bolschewiki in der praktischen Politik mehr und mehr zum schön klingenden, niemals zu hinterfragenden Dogma. Dieses Dogma der Konfliktvermeidung um jeden Preis diente der Rechtfertigung einer zunehmend passiven, auf Illusionen fußenden und schließlich kapitulierenden sowjetischen Außenpolitik. Die KPdSU-Führung sorgte aufmerksam und notfalls rücksichtslos dafür, dass dieser passive Politikansatz von keinem ihrer Koalitionäre auch nur hinterfragt wurde. Alle Verbündeten hatten sich dabei den Zielen und aktuellen Interessen der UdSSR, so wie sie vom jeweiligen Politbüro definiert wurden, zu unterwerfen. Gleiches galt im Übrigen auch für die kommunistischen Parteien in aller Welt. Die Parteien, die sich diesem Anspruch der KPdSU-Führung nicht unterwerfen wollten, wurden verteufelt, isoliert und bekämpft (siehe auch: Junge Welt, 20.02.2023). Dieser politische Ansatz führte in der Konsequenz zur Katastrophe auch für die meisten kommunistischen Parteien am Ende des 1. Kalten Krieges.

Je mehr sich die KPdSU von ihren erklärten politischen Zielen des Aufbaus einer neuen, produktiveren, gerechten und lebenswerten Gesellschaft im Innern entfernte, umso verschwommener wurden auch ihre Aktionen nach außen. Am Ende der 1980er Jahre erklärten selbst die dafür politisch Zuständigen im Apparat der KPdSU, sowjetische Sicherheitsinteressen nicht mehr definieren zu können oder sie bestritten sogar, dass es solche gäbe. In ihrer ideologischen Verblendung oder Naivität ignorierten die Führungen der Sowjetunion und deren Verbündete die Realität. Sie ersetzten die reale Welt nach innen und außen durch eine Welt aus hohlen Phrasen. Wie so häufig in der Weltgeschichte wirken diese damals eingeübten Rituale bei vielen „Experten“ und Politikern bis heute nach.

Die gleichzeitige Verfügung der sowjetischen Führung über das weltgrößte Kernwaffenarsenal machten die Welt allerdings keinesfalls zu einem sicheren Platz. Politische Führungskreise von Staaten, vor allem kernwaffenbesitzender Staaten, die ihre Interessen verleugnen, sind Quellen höchster Gefahr nach innen und außen. Sie setzen ihren Staat und ihr Volk der Gefahr der völligen Vernichtung aus. Das Ergebnis dieser Konstellation in der Sowjetunion ist bekannt. Es hätte auch anders, mit globaler Zerstörung, enden können. Rückblickend muss man sagen, dass es eher pures Glück als nüchternes Verhalten war, das der Welt am Ende des 1. Kalten Krieges den atomaren Untergang ersparte.

Entscheidend für den Ausgang des Kalten Krieges im 20. Jahrhundert blieb für beide kriegführenden Koalitionen jedoch zu jeder Zeit ihre Fähigkeit oder Unfähigkeit zum Aufbau produktiver und effektiver und damit attraktiverer Wirtschaftssysteme und Lebensverhältnisse. Nur aus solchen Verhältnissen erwachsen die Fähigkeit und Bereitschaft der im Krieg befindlichen Völker und ihrer politischen Führungen zur aktiven Entwicklung ihrer Gesellschaft und in deren Folge auch zur aktiven Verteidigung der eigenen, als besser und freier empfundenen Lebensweise. Die sowjetisch geführte Koalition war dazu letztlich nicht in der Lage.

Überleben – das Kernelement im 1. Kalten Krieg und der globalen Ordnung seit Hiroshima

Die sich gegenüberstehenden militärpolitischen Koalitionen waren seit Hiroshima und Nagasaki und weiteren über zweieinhalbtausend nuklearen Testexplosionen stets bestrebt, ihre eigenen Territorien nicht von solchen militärischen Kampfhandlungen, die zu einem Kernwaffeneinsatz führen konnten, vernichten zu lassen. Die beiderseitige Verfügung über thermonukleare Waffen und deren Trägersysteme verschiedenster Reichweite und Stationierungsart blockierte weitgehend die offene militärische Gewaltanwendung zwischen den Hauptkriegsparteien auf ihren eigenen Territorien.

Andere, vor allem nicht-bewaffnete Mittel und Methoden der Kriegführung, die sich durchaus seit langem ebenfalls in den Arsenalen der Kriegführung Anwendung befanden, wurden im Kriegsverlauf ausgebaut und „verfeinert“. Diese Entwicklung war sozusagen logische Konsequenz der weitgehenden Blockade der stärksten Vernichtungsmittel der Hauptakteure im 1. Kalten Krieg. Die „Lösung“ für das eingangs genannte Problem lag ebenso nahe – Krieg ist nicht nur bewaffneter Kampf. Er ist die „Anwendung gewaltsamer Mittel“ in all ihrer Vielfalt zur Durchsetzung politischer Ziele. Das „Wehrlosmachen des Gegners“ kann gerade angesichts der gegenseitigen Blockierung der Streitkräfte der Kriegsgegner „auch durch nichtmilitärische Maßnahmen (z.B. Verlust des Kampfeswillens im Feindesland z.B. durch Propaganda; politische Isolation der Kriegstreiber des Gegners durch Unterstützung der ausländischen Opposition)“ erreicht werden. „Als Mittel zum Erreichen des gesetzten Zieles dient somit alles, worin der menschliche Verstand ein Hilfsmittel entdeckt, also alle moralischen und physischen Kräfte eines Staates“ (Clausewitz „Vom Kriege“, Buch I, Kap. 1, Seite 1). Der 1. Kalte Krieg wurde sozusagen an seiner zentralen Front gerade durch den Einsatz immer wirksamerer nicht-militärischer Mittel entschieden. Dies gilt umso mehr in der Gegenwart, in der diese nichtmilitärischen Mittel oft genug den direkten bewaffneten Kampf in den Hintergrund drängen, ja ihn sogar „überflüssig“ machen. Heutzutage wird diese Kriegführung gern als „Hybridkrieg“ oder „Farbrevolution“ bezeichnet und als neu etikettiert. Völlig neu ist sie keinesfalls. Verschoben haben sich die Gewichte der Mittel und Methoden, die durch neue Technologien nutzbar wurden.

Die gegenseitige nukleare Blockade der Großen und Supergroßen verhinderte aber schon im 1. Kalten Krieg zu keiner Zeit die mehr oder weniger verdeckte und die vor der Öffentlichkeit beider Seiten oftmals geheim gehaltene, unmittelbare Anwendung konventioneller militärischer und nicht-militärischer Gewalt gegen Mitglieder der gegensätzlichen militärpolitischen und wirtschaftlichen Bündnissysteme zur Durchsetzung politischer Ziele. Auf beiden Seiten starben tausende Seeleute, Piloten, Spione und Angehörige verschiedenster Sondereinsatztruppen. Der 1. Kalte Krieg war eben nicht, wie heute so gern behauptet, eine unblutige Angelegenheit – auch nicht in den direkten Konfrontationen der kriegführenden Koalitionen.

Außerhalb der unmittelbaren Territorien der beiden Bündnissysteme Warschauer Vertrag und NATO wurden jedoch in den Jahrzehnten des 1. Kalten Krieges auf allen Kontinenten heiße Kriege und Militärputsche mit vielen Millionen Toten unter massivem Einsatz militärischer, politischer, ideologisch-propagandistischer und in wachsendem und sehr effektivem Maße wirtschaftlicher und finanzwirtschaftlicher Mittel geführt. Für diese Völker und Staaten war der Begriff eines „Kalten“ Krieges stets ein äußerster, menschenverachtender Zynismus. Sie zahlten einen sehr hohen Blutzoll und oft genug mit der Verelendung ganzer Völker. In diesen Ländern Afrikas, Asiens, Europas und Südamerikas fanden über 40 Jahre lang „klassische“ Kriege mit zig Millionen Toten, Verstümmelten und Waisen statt. Meist wurden diese Kriege bzw. Bürgerkriege als sogenannte Stellvertreterkriege der beiden Supermächte UdSSR und USA geführt (siehe auch: Junge Welt, 20.02.2023). Ein geradezu klassisches Beispiel hierfür war der Vietnam-Krieg, in dem fast alle Staaten des „Kollektiven Ostens wie des Westens“ aktiv beteiligt waren.

Die zig Millionen Toten des 1. Kalten Krieges zu vergessen und zu leugnen, ist eine schwere Sünde heutiger Politiker und ihrer ideologischen Satrapen auf fast allen Seiten des politischen Spektrums. Der 1. Kalte Krieg war entgegen der Behauptungen vieler selbsternannter Fachleute eben weder kalt noch unblutig. Der weltweite 1. Kalte Krieg zerfiel außerhalb der großen militärpolitischen Blöcke in eine Vielzahl räumlich begrenzter bewaffneter Konflikte und war in diesem Sinn tatsächlich ein weiterer Weltkrieg. Dass es an der mitteleuropäischen Zentralfront zwischen NATO und Warschauer Vertrag nicht zum „großen Knall“ kam, berechtigt niemanden zu der unmoralischen, ja menschenverachtenden Behauptung, der 1. Kalte Krieg sei nicht heiß geworden.

Eine Weltordnung zur Kontrolle des Unbeherrschbaren

Das Aufkommen thermonuklearer Waffen schuf zwischen 1945 und 1953 nicht nur eine fundamentale Ungleichheit zwischen den Staaten, die diese Waffen besitzen und denen, die keine Kernwaffen besitzen. Die Anwendung dieser Waffen stellt nicht mehr die Frage nach Sieg oder Niederlage von Staaten, sondern die der Existenz oder völligen Auslöschung von Völkern und Nationen. Diese prinzipiell neue Lage einer absoluten Ungleichheit von Staaten aufgrund absolut ungleicher gewaltsamer Machtmittel und die gleichzeitigen Gefahren für das eigene Überleben der Atommächte fand und findet in gewissem Umfang ihre völkerrechtlichen „Grenzen“ in den Prinzipien der UN-Charta, der KSZE-Schlussakte, den Verträgen zur Begrenzung der strategischen Atomwaffen und in anderen Völkerrechtsakten, die nach wie vor die Gleichheit und Souveränität aller Staaten postulieren.

Der eher stärker werdende Widerspruch zwischen dem kodifizierten Völkerrecht und der Realität ist jedoch nicht dauerhaft lösbar, solange Kernwaffen oder andere, vergleichbare Massenvernichtungswaffen existieren. Dennoch wurden die vereinbarten Völkerrechtsgrundsätze und die parallel geschaffenen internationalen Strukturen immer wieder erfolgreich genutzt, um zugespitzte Situationen zu entschärfen oder offen ausgebrochene Kriege zu beenden. Etwas Besseres haben die Staaten, gleich ob große oder kleine, bisher nicht vereinbaren können. Das zwischen den Vereinten Nationen und auf regionaler Ebene geschaffene internationale Recht hat seine Wirksamkeit und Überlebensfähigkeit wiederholt unter Beweis gestellt. Heute ist es an der Zeit, diese Grundsätze erneut zu stärken und auf eine solidere Basis zu stellen.

Von Anfang an, und bis heute unverändert, bestehen die Kernwaffenmächte, von denen die meisten zugleich auch Ständige Mitglieder des UN-Sicherheitsrates sind, darauf, ihren Exklusivitätsstatus gegen jeden Neuankömmling in diesem Club zu verteidigen. Sie verweigern allen anderen Staaten einen gleichberechtigten Status als Nuklearmacht. An diesem Punkt, an dem es um die Überlebensinteressen jeder Nation geht, musste auch die „Forderung“ der KPdSU und der Sowjetunion nach Gleichberechtigung aller Staaten reines Lippenbekenntnis bleiben. Die tatsächlichen Verhältnisse waren und sind nicht so. Durch die Vereinbarung immer neuer, den jeweiligen Kräfteverhältnissen angepasster modi vivendi, wurde und wird zumindest versucht, den Konflikt zwischen Recht und Realität, souveräner Gleichheit und verweigerter Gleichberechtigung nicht zu groß und vor allem nicht vor aller Welt offensichtlich werden zu lassen. Dazu wurde über viele Jahre und mit großen Mühen ein Geflecht von Verträgen und Völkerrechtsgrundsätzen geschaffen, das gerne als Weltordnung bezeichnet wird. So eine globale Ordnung ist immer ein sich stets neu auspendelndes Verhältnis der Staaten untereinander, das sozusagen um die vereinbarten Rechtsgrundsätze praktiziert wird. Seit es codierte Staatenbeziehungen gibt, sind sie stetigen Veränderungen und Anpassungen an sich verändernde Kräfteverhältnisse unterworfen. Diese scheinbar banale Tatsache, die innere Dynamik der Staatenbeziehungen zu ignorieren, führt schon immer zu gefährlichen Situationen.

Die Risikobereitschaft der jeweiligen politischen Führung der beiden Kriegsblöcke, gewaltsame Mittel und Druck aller Art unterhalb der sogenannten nuklearen Schwelle aktiv anzuwenden, wurde insbesondere in der zweiten Hälfte des 1. Kalten Krieges zu einem wichtigen Element, um dem Gegner seinen politischen Willen aufzuzwingen. Zur Erringung der strategischen Initiative mussten dabei Risiken kalkuliert und planmäßig eingegangen werden. Gerade während der Reagan-Administration agierten die USA in dieser Hinsicht äußerst aktiv und effektiv. Die USA gingen dabei bewusst, aber überlegt, große Risiken ein, um die damalige KPdSU-Führung gezielt in ihrer Kriegsparanoia zu bestärken und sie zu veranlassen, weitere Kapazitäten für sinnlose Rüstungsaktivitäten statt für die Verbesserung der Lebensbedingungen ihrer Bevölkerung einzusetzen. Mehr oder weniger Gleiches geschah in den mit der Sowjetunion verbündeten Staaten. Diese effektive Methodik der psychologischen Kriegsführung durch die NATO-Staaten hatte ihr Gegenstück in den außenpolitischen Kampagnen der Warschauer Vertrags Staaten vor allem gegenüber NATO-Staaten zur Schürung von Ängsten vor dem nuklearen Untergang. Am besten funktionierten diese Angst-Kampagnen jedoch im eigenen, sowjetischen Lager; dafür sorgte der eingespielte Propagandaapparat, der keinerlei Abweichungen von der offiziellen „Linie“ zuließ. Lange vor dem Untergang der Sowjetunion und ihrer Verbündeten fürchteten sich vor allem die führenden Vertreter dieser Staaten schon vor ihrem eigenen Schatten. Sie hatten sich, ganz im klassischen Sinne von Clausewitz, selbst ihren Willen zum Sieg gebrochen.

Damit waren zugleich auch die allgemeinen Rahmenbedingungen für das Feld der globalen und regionalen Rüstungskontrolle in diesem letzten Jahrzehnt des 1. Kalten Krieges gesetzt. Im Bereich der Rüstungskontrolle werden für die vertragliche Begrenzung und Steuerung der militärischen Elemente einer kriegerischen Konfrontation die Grenzen durch die Seite gesetzt, die die größten Handlungsspielräume für sich bewahren und im Gegenzug dem „Vertragspartner“ den größtmöglichen Schaden zufügen will. Rüstungskontrollvereinbarungen in der Periode des 1. Kalten Krieges – oftmals illusorisch oder „programmatisch“ verbrämt als Abrüstung bezeichnet – waren zu jeder Zeit ebenfalls wirksame Instrumente der Kriegführung. Anders konnte es gar nicht sein. Sie dienten sowohl der Zementierung bestehender Vorteile einzelner Staaten, der zeitweisen Ausbalancierung von Streitkräftepotenzialen, einer gewissen Berechenbarkeit von Fähigkeiten und Absichten und soweit möglich auch dazu, dem oder den Vertragspartnern größtmöglichen und langfristigen Schaden zuzufügen. Sie wurden insbesondere von den USA schon sehr frühzeitig dazu genutzt, die sowjetische Führung mehr und mehr auf dieses außenpolitische Thema zu fixieren und ihr – sehr erfolgreich – mittels strategischer Rüstungskontrolle einen symmetrischen Rüstungswettlauf aufzudrängen, bei dem die UdSSR stets der reagierende Teil blieb. Numerische Gleichheit zwischen USA und Sowjetunion bei einigen strategischen Kernwaffenkomplexen wurde für die UdSSR zu einem politischen Fetisch, zu einem Zweck an sich, der offiziell bis zum Schluss nicht infragegestellt werden durfte. Für diesen stupiden Rüstungswettlauf, bei dem die USA Richtung und Tempo bestimmten, gab vor allem die UdSSR gewaltige wirtschaftliche Mittel aus. So lange, bis die Kriegskasse leer war. Dieser Umstand hat schon seit Jahrtausenden Kriege beendet.

Spätestens seit dem ersten Vertrag zwischen der UdSSR und den USA über die Begrenzung strategischer Waffen (heute als ABM-Vertrag bezeichnet) behauptete die sowjetische Partei- und Staatsführung, dass mit diesem Vertrag ihre Anerkennung als „gleichrangig“ durch die USA erfolgt sei. Einer größeren politischen Illusion kann man wohl nicht aufsitzen. Es sei denn, man reduziert wie die KPdSU-Führung die Gleichrangigkeit auf die Zahl der Waffen anstatt auf Wirtschaftskraft und Lebensqualität der Bevölkerung. Die USA haben die Sowjetunion und ihr Gesellschaftssystem zu keiner Zeit als gleichrangig und gleichberechtigt anerkannt. Im Gegenteil – sie blieben bis zum Schluss Todfeinde.

Man mag es mögen oder nicht – die nukleare Abschreckung hat zumindest zwischen den Besitzern dieser Waffen und zwischen ihren Koalitionen in der Zeit des 1. Kalten Krieges große, offene bewaffnete Auseinandersetzungen in der bis dahin bekannten, klassischen Form zwischen ihnen verhindert. Es war eine lebensgefährliche Balance, aber es war eine Balance. Bis zum Kriegsende verfügten beide Seiten – die UdSSR und die USA – stets über die gesicherte Fähigkeit zu einem alles vernichtenden Antwortschlag auf einen Angriff mit Kernwaffen. Alles Gerede über eine angeblich mögliche, schnelle Zerstörung der sogenannten strategischen Stabilität durch diese oder jene Seite war nichts weiter als politische Hysterie und propagandistische Panikmache oder bezweckte oft genug schnöde materielle Interessen, um noch mehr Ressourcen in den einen oder anderen Rüstungsbereich zu lenken.

Wer jedoch keine Kernwaffen besaß oder nicht besitzt, wurde und wird seit dem Ende des 2. Weltkrieges immer wieder Opfer militärischer und vor allem nicht-militärischer Gewaltanwendung oder Erpressung. Diese Staaten besitzen keine Souveränität im eigentlichen, klassischen Sinn und sind letztendlich von anderen abhängig und erpressbar.

Im Verlauf dieses neuartigen Krieges, der als Kalter Krieg bezeichnet wird, vervollständigten beide kriegsführenden Seiten zunehmend das breite Instrumentarium für eine intensive und umfassende Anwendung nichtnuklearer und vor allem in der US-geführten Koalition nicht-militärischer Mittel der Kriegführung oder mit anderen Worten der Gewaltanwendung oder Gewaltandrohung ohne direkten Einsatz des bewaffneten Kampfes. Sie setzten, trotz aller Verträge und vereinbarter Völkerrechtsgrundsätze, ihre Ziele wie in jedem Krieg mit gewaltsamen, jedoch nur in ausgewählten Fällen mit militärischen Mitteln durch. Die USA errichteten nach dem 2. Weltkrieg ein globales, durch sie dominiertes Wirtschafts- und Finanzsystem. Der US-Dollar wurde zur allgemeinen Massenvernichtungswaffe, der die sowjetische Koalition zunehmend weniger entgegen zu setzen hatte. Bis zum Kriegsende fand die KPdSU keinen Ausweg aus dieser zumindest teilweise selbstverschuldeten Zwickmühle.

Keine Seite verzichtete über die gesamte Dauer des 1. Kalten Krieges auf die Anwendung oder Androhung bewaffneter Gewalt in ihren auswärtigen Beziehungen. Sie setzten diese Art der Gewaltanwendung jedoch vor allem in den vielen sogenannten Stellvertreterkriegen und nicht im direkten bewaffneten Kampf gegeneinander ein. In gewisser Weise ermöglichte die stabile gegenseitige nukleare Abschreckung zwischen den Koalitionen der USA und der UdSSR sogar erst die äußerst intensive Kriegführung und diversifizierte Gewaltausübung in fast allen anderen geografischen Regionen.

An diese allgemeinen Rahmenbedingungen für die Rüstungskontrolle eingangs zu erinnern, ist umso notwendiger, weil sie sich in großen Teilen wie die Beschreibung aktueller Verhältnisse im 21. Jahrhundert lesen.

Rahmenverträge zur Rüstungskontrolle zwischen Atommächten. Ein spektakulärer Teil der globalen Ordnung

Rüstungskontrollvereinbarungen insbesondere zwischen der UdSSR und den USA waren im 1. Kalten Krieg zuallererst Ausdruck und vertragliche Fixierung der Dominanz dieser beiden Mächte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Entscheidend waren die Bereitschaft und das Interesse der führenden Politiker beider Seiten, gewisse Risiken ihres gegeneinander geführten Krieges berechenbar und teilweise steuerbar zu halten. Im Bereich der Kernwaffen wurden Verträge zur kontrollierten Rüstung bis auf einige Ausnahmen vor allem zwischen den USA und der UdSSR geschlossen. Angesichts der jede Rationalität sprengenden Mengen an Kernwaffen im Besitz dieser zwei Staaten konnte es auch gar nicht anders sein. Heute, unter den Bedingungen wachsender Multipolarität erfassen wichtige Teile der alten Rüstungskontrollverträge nicht mehr die neuen Realitäten. Die USA und Russland können ihre nukleare Sicherheit nicht mehr exklusiv untereinander absprechen und koordinieren. Diese Zeiten sind endgültig vorüber. Was aus dieser Situation folgt, welche neuen Vereinbarungen daraus resultieren mögen, ist in vielen Aspekten noch völlig ungewiss.

Wesentliche Mittel, die unter anderem zur halbwegs berechenbaren Aufrechterhaltung der gegenseitigen nuklearen Abschreckung und zum Erhalt der Steuerungsfähigkeit der Beziehungen zwischen den kernwaffenbesitzenden Staaten und ihren militärpolitischen Koalitionen dienen sollten, waren im 1. Kalten Krieg neben Rüstungskontrollvereinbarungen zwischen der UdSSR und den USA solche im Rahmen der Vereinten Nationen. Unabhängig davon, dass die offizielle Propaganda der beteiligten Staaten diese Regelungen als Abrüstung verbrämte – es ging in der Realität stets um Rüstungskontrolle. Alle substantiellen Rüstungskontrollverträge waren quasi als Verträge der Unterzeichnerstaaten zu lesen, wie und in welche Richtung ihre Rüstungsaktivitäten im jeweiligen Vertragszeitraum verlaufen sollten. Jedenfalls soweit es die Waffensysteme betraf, die von den Verträgen erfasst wurden. Aus der vereinbarten technischen Waffenentwicklung konnten alle Seiten zugleich auf die damit verbundenen militärischen und politischen Konzepte und die damit möglicherweise verbundenen politischen Ziele schließen. Schließlich waren die jeweiligen Vertragsgegenstände Teil jener Mittel, die die Politik bei Bedarf einzusetzen gedachte.

Die damaligen Rüstungskontrollvereinbarungen enthielten eine Reihe von Regularien, um die materiellen Potentiale der militärischen Konfrontation berechenbarer zu gestalten. Daher spielte bei ihrer Aushandlung die Überprüfbarkeit der Vereinbarungen so eine große Rolle. Das gegenseitige Misstrauen war sozusagen abgrundtief und bedurfte umfangreicher Kontrollmechanismen für die Rüstungskontrollverträge. Hauptelemente dieser Regularien waren:

- der Vertrag für das Verbot von Kernwaffentests in der Atmosphäre, im Weltraum und im oder unter Wasser vom 05.08.1963,

- der Vertrag über die Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen (Non-Proliferation-Treaty/NPT) vom 01.07.1968; in Kraft getreten am 05.03.1970,

- der Vertrag über die Begrenzung der strategischen Raketenabwehrsysteme (Anti-Ballistic-Missile Treaty/ABM-Vertrag) vom 26.05.1972 und

- die auf dem ABM-Vertrag basierenden, nachfolgenden Verträge über die Begrenzung strategischer nuklearer Offensivwaffen (später als SALT-, SORT- und START-Verträge bezeichnet).

Der vor allem von den großen, kernwaffenbesitzenden Staaten initiierte Nichtweiterverbreitungsvertrag (Atomwaffensperrvertrag) vom 01.07.1968 (NPT-Non-Proliferation Treaty) war unter anderem die völkerrechtliche Fixierung der grundsätzlichen Ungleichheit der Staaten. Mit der gezielten Etablierung einer Exklusivität des Kernwaffenbesitzes für wenige Staaten wurden in den Artikeln I bis III zugleich grundlegend undemokratische, weil nicht gleichberechtigte Grundsätze im Völkerrecht geschaffen.

Dieser Vertrag und etliche Folgevereinbarungen beinhalten auch wesentliche Verbote und Beschränkungen der Nichtkernwaffenbesitzer für ihre wissenschaftliche, technologische und wirtschaftliche Entwicklung und damit grundlegende Einschränkungen ihrer Souveränität. Angesichts der damaligen Blockkonfrontation erschienen diese Entwicklungen kurzfristig als tolerabel. Viele Regierungen glaubten ja tatsächlich, dass die großen Kernwaffenbesitzer bereit seien, im „Notfall“ für die Interessen ihrer kleinen Koalitionäre selbst in den atomaren Tod zu gehen. Heutzutage ist die Zahl dieser Gläubigen deutlich geringer geworden. Es gab immer wieder in der jüngsten Geschichte Beispiele dafür, dass die Atommächte, sobald sie als Garantiemächte für Dritte auftraten, im Konfliktfall ihr eigenes Überleben und ihre eigenen Interessen über die Interessen jener Staaten stellten, die sie ursprünglich zu garantieren versprochen hatten. Diese Politik wird sich auch niemals ändern.

Die Unterzeichnerstaaten des NPT wollten vorrangig die Zahl der Kernwaffenbesitzer soweit wie möglich begrenzen. Als „Ausgleich“ für diese Selbstbeschränkung wurde im Artikel VI des NPT die Verpflichtung der Kernwaffenbesitzer zur nuklearen Abrüstung in den Vertrag geschrieben. In der Realität ergaben sich die damaligen Nichtbesitzer von Kernwaffen mit ihrer Unterschrift unter den NPT nur den machtpolitischen Realitäten, die sie ohnehin nicht ändern konnten. Nur wenige Staaten wagten es, diesem Vertrag gar nicht erst beizutreten.

Rückblickend hatten die Kernwaffenbesitzer ganz offensichtlich niemals die Absicht, ihren Teil der Vertragsverpflichtungen – die nukleare Abrüstung – zu erfüllen. Für die Verlierermächte des 2. Weltkrieges (Feindstaaten der Vereinten Nationen) war der Nichtbesitz von Kernwaffen ohnehin lediglich eine weitere Kriegsfolge, die hinzunehmen war. Langfristig war und ist der NPT jedoch ein Eckpfeiler für ein völlig neuartiges völkerrechtliches Grundgerüst, das auf der Etablierung einer kleinen Gruppe nahezu unantastbarer Staaten und einer Mehrzahl von Staaten, die jederzeit politisch erpressbar sind, beruht.

Die Staaten, die im NPT als „Kernwaffenmächte“ formell „anerkannt“ sind (dies war immer eine Selbstermächtigung) sind auch zugleich die Staaten, die Ständige Mitglieder des UN-Sicherheitsrates sind und die damit ohnehin Exklusivrechte gegenüber allen anderen UN-Mitgliedstaaten besitzen. China und Frankreich ließen sich mit der Unterzeichnung des NPT bis 1992, also bis nach dem Ende des 1. Kalten Krieges, Zeit. Zu dieser Zeit waren beide Staaten bereits „anerkannte“ Nuklearmächte. Indien, Pakistan und Israel haben diesen Vertrag nie unterschrieben, weil sie niemals auf ihr originäres Recht verzichten wollten, ihre nationale Sicherheit und Existenz unter allen Umständen selbst schützen zu können.

Von den Kernwaffenbesitzern und ihren Unterstützern wird nach wie vor heftig bestritten, dass der NPT – wie jeder Rüstungskontrollvertrag – eine freiwillige Selbstverpflichtung der Vertragsstaaten ist. Der Verzicht eines Staates auf den Erwerb und Besitz von Kernwaffen ist weder ein gottgegebenes Recht derer, die stark und schnell genug waren, sich diese Waffen zuzulegen, noch ist es ein „immerwährender“ Verzicht nuklearer Habenichtse. Deren Austrittsrecht aus dem NPT ist im Vertrag im Artikel X ausdrücklich vereinbart worden. Das Austrittsrecht gehört zu den Geschäftsgrundlagen des NPT. Das Austrittsrecht ist zudem das einzige Recht, das in allen substantiellen Rüstungskontrollverträgen verankert ist. Es ist immer konstituierender Teil der Geschäftsgrundlage all dieser Verträge. Gerade wenn die Kernwaffenbesitzer ihrer vertraglichen Pflicht zur nuklearen Abrüstung nicht nachkommen und gegenüber Dritten eine Politik der Gewalt und Zerstörung praktizieren, ist kein anderer Staat endlos rechtlich und politisch verpflichtet, sich selbst dem Wohlwollen der Kernwaffenstaaten auszuliefern. Das gilt für alle Staaten außer Deutschland. Im 2+4-Vertrag hatten sich die damals noch zwei deutschen Staaten zu einem vollständigen und endgültigen Verzicht auf atomare, chemische und biologische Waffen verpflichtet. Endgültig und unwiderruflich – es sei denn, die verbliebene Bundesrepublik Deutschland kündigt den 2+4-Vertrag auf.

Die Reaktion der im NPT legitimierten Kernwaffenbesitzer, die ihre militärische und politische Macht und ihre wirtschaftlichen und wissenschaftlich-technischen Profite, die aus dem NPT-Regime resultieren bewahren wollen, würde wohl immer sehr heftig ausfallen, wenn weitere Staaten ihre Sicherheit auch atomar gewährleisten wollen. Sie haben stets alle ihnen opportun erscheinenden Druckmittel gegen jeden potentiellen Neuankömmling im Nuklearclub eingesetzt. Wie gesagt: alle für sie opportunen Mittel bis hin zum Krieg.

Der politische Ansatz des NPT implizierte für die USA und die UdSSR die Betrachtung der jeweiligen Koalitionspartner und des gesamten „Restes der Welt“ als operatives und de facto (bei Bedarf auch de jure) nicht gleichrangiges Vorfeld. Frühzeitig wirkten Großbritannien, Frankreich, China und später auch Israel, Indien und Pakistan diesem sicherheitspolitischen Konstrukt der beiden Führungsmächte von NATO und Warschauer Vertrag mit dem Aufbau eigener nuklearer Abschreckungsstreitkräfte entgegen. Daran änderte auch die beharrliche Verweigerung des strategischen Status der französischen, britischen und chinesischen Kernwaffen vor allem durch die Sowjetunion nichts.

Weitere Staaten wie Nordkorea, die Türkei, der Iran, Brasilien oder Saudi-Arabien bauen heutzutage aktiv ihre eigenen Nuklearkomplexe auf. Sie tun dies – außer Nordkorea, das bereits eine Atommacht wurde - noch im Rahmen des NPT als ihnen auch formal-völkerrechtlich zustehende friedliche oder zivile Nutzung der Kernenergie. Spätestens beim Besitz auch der nuklearen Aufbereitungskomplexe ist die Grenze zur militärischen Nutzung der Kernenergie kaum noch erkennbar. So wie es bisher aussieht, wird Russland den türkischen und die USA den saudi-arabischen Nuklearkomplex mit aufbauen. Dadurch sichern sich beide Staaten gewichtige Einflussmöglichkeiten in Politik, Militär, Wirtschaft und Wissenschaft der Türkei und Saudi-Arabiens. Zudem sind die eingeleiteten Prozesse äußerst lukrative und langfristige Geschäfte.

Der NPT gestattet unter anderem allen Unterzeichnerstaaten ausdrücklich den Aufbau nuklear angetriebenerziviler Schiffe. Bisher nutzt dieses Recht nur Russland (früher die Sowjetunion) für ihre Atom-Eisbrecher und das aktuell einzige nuklear angetriebene Frachtschiff für den Arktisverkehr. China ist dabei, in den nächsten Jahren nachzuziehen. Grundsätzlich haben allerdings alle Staaten laut NPT das Recht, zum Beispiel aus Umweltschutzgründen, die luftverschmutzenden Schwerölantriebe ihrer Handelsflotten oder Eisbrecher auf Nuklearantrieb umzustellen. Die Reaktoren für derartige Antriebe werden aber schon immer mit hoch-angereichertem Kernbrennstoff betrieben. Hoch-angereicherter Kernbrennstoff ist der zivile Ausdruck für „waffenfähiges Uran“. Mit diesem Teufelszeug kann „man“ alles Mögliche anstellen.

Nur am Rande sei wiederholt: Für die noch immer als Feindstaaten der Vereinten Nationen in deren Charta definierten Verlierermächte des 2. Weltkrieges bestand im Übrigen bis heute und zu keinem Zeitpunkt eine reale Option, selbständige Kernwaffenmächte zu werden.

Die bestehenden Rüstungskontrollverträge insbesondere zu Massenvernichtungswaffen folgen alle einer quasi inneren Logik. Niemals sollte vergessen werden, dass alle Rüstungskontrollverträge bei den sogenannten strategischen Offensivwaffen der UdSSR und der USA nur möglich wurden, nachdem die beiden Staaten ihre Systeme zur Abwehr von Langstreckenraketen (ABM) zahlenmäßig einfroren und deren Stationierungsorte begrenzten. Diese Geschäftsgrundlage der strategischen nuklearen Rüstungskontrolle hielt über 30 Jahre bis zum Austritt der USA aus dem ABM-Vertrag. Der „ABM-Vertrag“ war nicht irgendeiner unter vielen weiteren Verträgen. Auf den im Vertrag vereinbarten Begrenzungen basierte das gesamte weitere Konstrukt der Rüstungskontrolle für die sogenannten strategischen nuklearen Offensiv-Waffen der UdSSR/Russlands und der USA. Geschäftsgrundlage und Zweck all dieser Verträge war die berechenbare Aufrechterhaltung der gegenseitigen gesicherten nuklearen Vernichtung – genannt „Abschreckung“. Der ABM-Vertrag kodifizierte den politischen Ansatz, zwischen den beiden nuklearen Supermächten diese gegenseitige Vernichtungsfähigkeit zu akzeptieren und für den Fall nuklearer „Unfälle“ oder gegen kleine Kernwaffenstaaten eine Art begrenzter Rückversicherung aufrecht zu erhalten. Soweit jedenfalls die gängige Theorie.

Als die USA diesen Vertrag in ihrem Siegesrausch nach dem 1. Kalten Krieg und der Fast-Vernichtung Russlands kündigten, zerschnitten sie auch das gesamte Netz von Rüstungskontrollverträgen. Dieses Netz war dicht und stark geknüpft und es dauerte seine Zeit, bis das von den USA geschlagene Loch und seine Konsequenzen sichtbar wurden. Dieses Loch hatten die USA am Ende des Netzes geöffnet. Dort klafft nun eine wachsende Lücke, die aus dem früheren Netz ein Fass ohne Boden macht. Bis heute sind die USA aktiv dabei, immer weitere Rüstungskontrollvereinbarungen aufzukündigen. Es gibt heutzutage kein Rüstungskontrollnetz mehr. Die USA haben von diesem alten Netz nur noch Fetzen zurückgelassen.

Das KSZE-Treffen in Madrid. Ein neuer Anlauf auch zur europäischen Rüstungskontrolle

Ende der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts war klar, dass die bevorstehende, weitere Runde des 1. Kalten Krieges auf einem bis dahin nicht da gewesenen qualitativen technologischen Niveau der militärischen Potentiale beider Seiten stattfinden würde. Insbesondere die Fähigkeit der beiden mächtigsten Nuklearstaaten zu präzisen Vernichtungsschlägen mit nur sehr kurzen Vorwarn- und Reaktionszeiten und die verstärkte Militarisierung des Weltraums untergruben zunehmend die strategische Stabilität. Die zur Aufrechterhaltung der gegenseitig gesicherten Abschreckung auf der operativen und strategischen Ebene durchgeführten Maßnahmen beider Koalitionen vergrößerten das Risiko, dass außer Kontrolle geratene Ereignisse eine mit politischen Mitteln nicht mehr rückgängig zu machende Eigendynamik entwickeln könnten. Die reale Gefahr entstand, dass die militärischen Mittel der Politik von den Akteuren mit dem bestehenden Instrumentarium nicht mehr beherrscht werden könnten. Vor allem die Führung der KPdSU wurde in dieser Lage zunehmend nervös bis zur Hysterie. Die sowjetische Einschätzung, dass USA und NATO unmittelbar den nuklearen Krieg vorbereiten, war jedoch nur dann richtig, wenn man ernsthaft der anderen Seite unterstellte, Selbstmord begehen zu wollen, oder wenn (wie in diesem Fall) die sowjetische Seite gar nicht mehr bereit war, sich unter Einsatz aller verfügbaren Mittel zu verteidigen.

Aus diesem Dilemma zog die Führung der KPdSU immer öfter Schlussfolgerungen, die einer die UdSSR selbst lähmenden Appeasement-Politik gegenüber der USA gleichkamen, während die politische Führung der USA gerade in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts einen selbstbewussten und offensiven politischen Kurs einschlugen. Die strategische Initiative ging in diesen Jahren bis zum Ende des 1. Kalten Krieges an die USA und deren Verbündete über.

In dieser von Ungewissheiten und Risiken geprägten internationalen Situation stand im Herbst 1980 erneut ein Treffen der Mitgliedsstaaten der KSZE, diesmal in Madrid, auf der Tagesordnung der Ost-West-Diplomatie. In die Zeit ihres Beginns fielen die Präsidentschaftswahlen in den USA, die der republikanische Kandidat Ronald Reagan gewann. Mit dem Wechsel der politischen Entscheidungsträger in den USA verband die politische Führung in Moskau Hoffnungen auf neue Möglichkeiten zur Stabilisierung der internationalen Lage und zu Fortschritten auch bei der Rüstungskontrolle. Im Warschauer Vertrag war man bereit, einen neuen Anlauf zur Entwicklung von Sicherheit und Zusammenarbeit zu wagen.

Neue Vereinbarungen zur Rüstungskontrolle, insbesondere auf bisher nicht davon erfassten Gebieten der Waffenentwicklung, konnten in der angespannten Lage zu Ende der 1970er Jahre nicht kurzfristig erreicht werden. Das war allen Beteiligten klar. Daher gewann ein anderer Aspekt der internationalen Sicherheitspolitik zunehmend an Bedeutung. Angesichts der Vielfalt und Komplexität der militärischen Bedrohungspotenziale wurde die richtige Interpretation der Handlungen und Absichten der jeweils anderen Seite immer wichtiger. Dies wurde damals von Politikern in beiden Blöcken so gesehen.

Die Verbesserung der gegenseitigen „Berechenbarkeit“ wurde Ende der 1970er Jahre als eine Möglichkeit betrachtet, um Fehlinterpretationen militärischer Handlungen und daraus resultierenden Reaktionen zumindest etwas vorzubeugen. Solange der schmale Grat zwischen Berechenbarkeit und Verzicht auf die Durchsetzung eigener Interessen nicht zum permanenten Rückzug einer Seite führt, ist gegen Berechenbarkeit nichts einzuwenden. Angesichts des Umstandes, dass die sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen in substantieller Hinsicht nicht zu entspannen waren, sollte seinerzeit wenigstens bei der Bewertung der jeweils aktuellen Lage Irrtümern möglichst vorgebeugt werden. „Berechenbarkeit“ war der damals kleinste gemeinsame Nenner für die Rüstungskontrolle zwischen NATO und Warschauer Vertrag. Der Vollständigkeit halben sei erwähnt, dass bis heute außenpolitische Panikmacher gern behaupten, dass alle möglichen militärischen Entwicklungen angeblich bestehende Stabilitäten, seien es „strategische“, „europäische“ oder sonstige, untergraben würden. Diese Panikmache täuscht „Verantwortungsbewusstsein“ vor, schafft Druckkulissen und entsprach noch nie den politischen und militärischen Realitäten. Die Forderung nach „Berechenbarkeit“ in zwischenstaatlichen Beziehungen ist, wie die Erfahrungen immer wieder zeigen, eine sehr vielschichtige und vieldeutige. Mit der Forderung nach Berechenbarkeit hat der sogenannte kollektive Westen die UdSSR und deren Verbündete in jede gewünschte Richtung manipuliert. Letztere fanden das auch noch positiv und richtig, weil sie ja damit bewiesen, dass sie „die Guten“ waren. Jeder, der nicht unter die Räder kommen will, sollte sich daran erinnern.

Die Staaten des Warschauer Vertrages schlugen in der damals festgefahrenen Situation bereits im Vorfeld des in der 2. Hälfte des Jahres 1980 anstehenden KSZE-Treffens in Madrid vor, eine Konferenz über militärische Entspannung in Europa einzuberufen. Nach dem außenpolitischen Scherbenhaufen, den die Carter-Regierung in den Beziehungen zur UdSSR und auch innerhalb der KSZE hinterlassen hatte, war die sowjetische Führung Ende 1980 bereit, mit dem neu gewählten Präsidenten Ronald Reagan einen Neubeginn zu wagen. Einer der strategischen Vordenker und Planer der Reagan-Administration, Max Kampelmann, war zum Leiter der US-Delegation auf dem Madrider Treffen ernannt worden. Die sowjetischen Hoffnungen auf eine Art Neubeginn in den Beziehungen zu den USA hatten direkte Folgen für das Madrider KSZE-Treffen. In buchstäblich allerletzter Minute erhielten die Diplomaten von Warschauer Vertrag und NATO das „Go“ ihrer Regierungen für diese am Ende drei Jahre dauernden Verhandlungen.

Es war dann die polnische Delegation, die in Madrid den Vorschlag für die Einberufung einer „Konferenz für militärische Entspannung und Abrüstung in Europa“ im Namen der Warschauer Vertrags-Staaten vorlegte. Diese Konferenz zu vereinbaren, war deren erklärtes Hauptziel auf dem Madrider KSZE-Treffen. Dabei ging es ihnen keinesfalls nur um eine Reihe vertrauensbildender Maßnahmen. Sie wollten in allererster Linie substantielle, politische und vertraglich bindende Vereinbarungen zur Verringerung der Kriegsgefahr und der Verbesserung der Sicherheit aller Teilnehmerstaaten vereinbaren. Der vom Warschauer Vertrag eingebrachte Vorschlag war politisch inhaltsreich und geeignet, tatsächlich die Sicherheit in Europa zu festigen. Er stellte von Anfang an die Festigung der politischen Zusammenarbeit und des gegenseitigen Respekts der Sicherheitsinteressen der KSZE-Staaten in den Mittelpunkt. Anders gesagt war er keinesfalls auf numerische Waffenbegrenzungen fokussiert, ohne dieses Element völlig auszuschließen. Die Verhinderung eines Krieges und die Festigung von Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa wurden immer und vor allem als politische Aufgabe betrachtet. Dass dieser sehr komplexe Vorschlag für die Warschauer Vertragsstaaten innerhalb der KSZE-Strukturen seinen politischen Preis haben würde, war von Anfang an allen Seiten klar.

Frankreich präsentierte seitens der NATO-Staaten vor der Madrider KSZE-Konferenz die Idee einer „Konferenz über Abrüstung“. Folgerichtig brachte seine Delegation einen entsprechenden Vorschlag im Namen der NATO in die Verhandlungen von Madrid ein. Der Name der Konferenz im französischen Vorschlag war jedoch von Anfang an vollkommen irreführend; er segelte sozusagen unter falscher Flagge. Der Vorschlag der NATO beschränkte und reduzierte das Thema „Abrüstung“ lediglich auf einen Satz sogenannter vertrauensbildender Maßnahmen. Zu mehr waren die NATO-Staaten nicht bereit. Eine größere Pervertierung des Begriffs „Abrüstung“ war nur schwer vorstellbar. Die NATO hatte das Ei, das sie in den sogenannten Korb 1 der Madrider Verhandlungen gelegt hatte, vorher vorsorglich ausgeblasen und zu einem „Windei“ gemacht. Sollte es jemals interne Ideen unter einigen NATO-Mitgliedern gegeben haben, der sogenannten Abrüstungskonferenz mehr Inhalt einzuhauchen, wurde dies spätestens durch die US-Delegation und deren Leiter Max Kampelmann beendet. Schließlich gehörte Herr Kampelmann zu den Schöpfern der erfolgreichen außenpolitischen Strategie der Reagan-Administration für die Endphase des 1. Kalten Krieges.

Die Tür für die späteren Vereinbarungen im Schlussdokument des Madrider KSZE-Treffens war jedoch geöffnet, weil die Sowjetunion und ihre Verbündeten auch minimalste Lösungen für Fortschritte der militärischen Entspannung in Europa nutzen wollten. Die äußere Form war der sowjetischen Seite wichtiger als die Inhalte. Der vermeintlich „Klügere“ gab mal wieder im Namen der „friedlichen Koexistenz“ nach und der „Andere“ setzte sich durch. Am Ende des Madrider Treffens im Frühsommer 1983 beschieden sich alle Seiten, oder vielmehr nur die Warschauer Vertragsstaaten, mit dem Beginn von Verhandlungen über Vertrauens- und Sicherheitsbildende Maßnahmen in Stockholm (VSBM) und der vagen Perspektive, in der Zukunft auch Teile der konventionellen Bewaffnung in gesamteuropäische Rüstungskontrollvereinbarungen einzuschließen. Dieser inhaltlich beschränkte Ansatz entsprach im Kern dem von Anfang an durch Frankreich vorgetragenen Vorschlag der NATO.

Die in Stockholm auszuarbeitenden VSBM waren zudem auf große Aktivitäten der Landstreitkräfte in Europa beschränkt. Den von den Warschauer Vertragsstaaten geforderten Einschluss von selstständigen Übungen auch der Luft- und Seestreitkräfte verweigerte die NATO während des Madrider KSZE-Treffens bis zum Schluss erfolgreich. Der territoriale Geltungsbereich künftiger VSBM wurde auf ein „Europa“ beschränkt, dessen Grenzen, grob gesagt, zwischen den Azoren und dem Ural und den darüber befindlichen Luftraum abgesteckt wurden (Anhang I des Stockholmer Dokuments). Die Territorien der USA und Kanadas, überseeische Gebiete europäischer Staaten und – im Gegenzug – der asiatische Teil der Sowjetunion blieben außen vor.

Die Vereinbarung des inhaltlich begrenzten und in dieser Hinsicht nicht den ursprünglichen Zielen des Warschauer Vertrages entsprechenden Mandates für die Stockholmer Verhandlungen wurde jedenfalls 1983 auch deshalb als außenpolitischer Erfolg der Warschauer Vertragsstaaten bewertet, um die in anderen Bereichen, insbesondere dem sogenannten Korb 3 der KSZE, gemachten substantiellen Zugeständnisse der Warschauer Vertragsstaaten zu rechtfertigen.

Nur der Vollständigkeit halber sei festgehalten, dass es den USA in Madrid erneut gelang, den sogenannten Korb 2, der die Entwicklung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit in Europa voranbringen sollte, vollkommen zu marginalisieren. Kompromisse sind sozusagen eines der Lebenselixiere der Politiker, die die Diplomaten auszuhandeln haben. Sie sind notwendig und letztlich unvermeidlich für einen „Deal“. Dennoch ist es wie in der Medizin – die Dosis macht das Gift.

Die Stockholmer Konferenz als Nachhall von Madrid

Aus Sicht der Warschauer Vertragsstaaten wurde das eher beschränkte Ergebnis des Madrider Treffens hinsichtlich der militärischen Entspannung als Erfolg bewertet, hatten sie doch ein neues Verhandlungsinstrument initiiert, von dem die politischen Führungen hofften, damit die sicherheitspolitischen Spannungen in Europa und im euro-atlantischen Raum beherrschbarer machen zu können. Zumindest wollten die politischen Entscheidungsträger in Moskau und den anderen Hauptstädten des Warschauer Vertrages dies unbedingt so sehen.

Die Vereinbarung einer gesamteuropäischen Konferenz zur Abrüstung (was zwar ein hehres Ziel blieb, aber keinesfalls dem Inhalt der Madrider Vereinbarung entsprach) war nun mal das erklärte Hauptziel des Warschauer Vertrages für das Madrider KSZE-Treffen gewesen. Dieses weitgesteckte Ziel trotz weitgehender Zugeständnisse an „den Westen“ in anderen Bereichen, nicht erreicht zu haben, war seinerzeit schlicht nicht publizierbar. In den damaligen gesellschaftlichen Strukturen wäre das einem Angriff auf die Parteiführungen dieser Staaten gleichgekommen. Heutzutage erinnert sich kaum noch jemand an deren Namen.

Dennoch besteht ein innerer Zusammenhang zwischen dem beschränkten Mandat der Stockholmer KSZE-Konferenz zu Vertrauens- und Sicherheitsbildenden Maßnahmen (VSBM) und der schließlich doch am Ende der 1980er Jahre durchgeführten Europäischen Abrüstungskonferenz (KSE). Die Vereinbarungen der KSE sollten Teile der konventionellen Rüstungen der Landstreitkräfte jener KSZE-Staaten, die der NATO und dem Warschauer Vertrag angehörten, nach Umfang und Stationierungsregion begrenzen. Es passiert allerdings nicht so oft in der Geschichte, dass zum Abschluss der KSE-Verhandlungen ein Vertrag zwischen Mitgliedern von Militärallianzen unterzeichnet wird, von denen eine dieser Allianzen gar nicht mehr existiert. Da der KSE-Vertrag notgedrungen von Einzelstaaten unterzeichnet wurde, hat sozusagen der Warschauer Vertrag noch aus dem Grab heraus mit toter Hand seine Unterschrift geleistet. Makabrer geht es kaum. Dieser Teil europäischer Rüstungskontrolle hatte in Madrid mies begonnen und war in Wien elend gescheitert. Nach dem Sieg der USA und der NATO im 1. Kalten Krieg war das aber auch schon mehr oder weniger egal. Später zeigte sich zunehmend, wie sinnentleert und ungleichberechtigt die Paragraphen des KSE-Vertrages tatsächlich sind. Sie taugen heutzutage nur noch zu immer wieder mal gerittenen Propagandaattacken gegen Russland. In gewisser Weise haben die sowjetischen außenpolitischen Planer und Verhandler mit diesem Vertrag bis heute ihren russischen Nachfolgern ein „diplomatisches Ei“ gelegt, das vor sich hin stinkt.

Die größte und schlagkräftigste Konzentration von Landstreitkräften in Europa stand sich im 1. Kalten Krieg entlang der Grenzlinie zwischen NATO und Warschauer Vertrag von Flensburg bis Passau gegenüber. Auf beiden Seiten dieser Linie fanden während des Kalten Krieges jährlich wiederkehrend Großmanöver beider Koalitionen statt. Dabei wurden Zehntausende Soldaten und modernste Militärtechnik eingesetzt. Die NATO übte regelmäßig unter dem Namen „Reforger“ mit erheblichem Aufwand gewaltige Truppenverlegungen aus den USA nach Westeuropa zu den dort ständig dislozierten riesigen Lagern mit schwerer Militärtechnik und Ausrüstung. Dementsprechend fanden die größten NATO-Heeres-Manöver regelmäßig zwischen Flensburg und Passau statt. Die alte BRD war sozusagen der Schießplatz der westlichen Supermacht.

Die Manöver der Warschauer Vertragsstaaten an der Konfrontationslinie zur NATO waren auch nicht ohne. Insbesondere die operativ-strategischen Übungen in der westlichen strategischen Richtung zur Abwehr eines luft-kosmischen Überfalls der NATO, bei denen der Anteil der Landstreitkräfte relativ begrenzt war, gehörten weltweit zu den größten ihrer Art. Die größten Übungen der Landstreitkräfte des Warschauer Vertrages außerhalb der UdSSR wurden vor allem auf dem Territorium der DDR durchgeführt.

Dementsprechend war von Anfang an klar, dass insbesondere die Manöver auf den Staatsgebieten der DDR, der CSSR und der BRD im Mittelpunkt der in Stockholm zu vereinbarenden VSBM stehen würden. Mit den 3 Panzer- und 2 allgemeinen Armeen der GSSD und dem V. und VII. Korps der 7. US-Armee und der britischen Rheinarmee einschließlich der ihnen zugeordneten Luftarmeen befanden sich in diesem Raum auch die modernsten und schlagkräftigsten operativen Gruppierungen beider Führungsmächte von Warschauer Vertrag und NATO. Entlang der mitteleuropäischen Konfrontationsline standen sich im 1. Kalten Krieg bereits in Friedenszeiten auf jeder Seite über 1 Million Soldaten gegenüber.

In der DDR-Delegation zur Stockholmer Konferenz arbeiteten von 1984 bis 1986 Diplomaten und Offiziere unter Federführung des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten erfolgreich bei der Vereinbarung eines Satzes „Vertrauens- und Sicherheitsbildender Maßnahmen (VSBM)“ für die Mitgliedsstaaten der KSZE zusammen. Aus der Realisierung dieser Vereinbarungen wollte sich das Außenministerium ursprünglich weitgehend heraushalten. Die Arbeit der Diplomaten war getan, nun sollten die Militärs wie von der Staatsführung beschlossen, die vor allem sie betreffenden Vereinbarungen umsetzen. Zudem war allen Beteiligten bewusst, dass für die Umsetzung der Stockholmer Vereinbarungen ein erheblicher personeller, materieller und natürlich auch finanzieller Aufwand und entsprechende Strukturen notwendig waren. Auch die militärische Fachspezifik führte „notwendiger“ Weise zum (Be)Schluss, dass die Realisierung der Stockholmer Vereinbarungen bei der NVA angesiedelt werden musste.

Dennoch – es kam, wie es (fast) zu erwarten war. Der Minister für Nationale Verteidigung, der auch Mitglied des Politbüros des ZK der SED war, bat seinen Kollegen im Außenministerium, Oskar Fischer, kurz vor Beginn der ersten KSZE-Manöverbeobachtung, dass man das, was man in gemeinsamer Arbeit in Stockholm ausgehandelt hatte, nun auch gemeinsam umsetzen sollte. Offen gesagt war die Führung des Verteidigungsministeriums der Meinung, dass die Diplomaten des Außenministeriums, die Suppe, die sie den Militärs eingebrockt hatten, nun auch mit auslöffeln sollten.

Der zuständige Leiter der Hauptabteilung Grundsatzfragen und Planung, Botschafter Ernst Krabatsch, beauftragte seinen Mitarbeiter Lutz Vogt, die Zusammenarbeit mit dem MfNV zur Realisierung der Stockholmer VSBM-Vereinbarungen in der DDR umzusetzen. Vogt hatte in den DDR-Delegationen zum Madrider KSZE-Treffen und den Stockholmer Verhandlungen gearbeitet und unter anderem als Referent für NATO und Streitkräfteanalysen die Sicherheitspolitik der Staaten, aus denen die künftigen Manöverbeobachter kamen, verfolgt.

So gab es von Anfang an neben dem Ständigen Begleiter der NVA für die Manöverbeobachter auch einen Ständigen Begleiter des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten. Die Verantwortung für die Umsetzung der Stockholmer Vereinbarungen zu VSBM wurde sozusagen auf breitere Schultern verteilt. Aus dieser „Klarstellung“ zwischen den beteiligten Ministern wurde nachfolgend, auch ohne formelle Beschlüsse, eine sehr erfolgreiche, intensive und beidseitig fruchtbare Zusammenarbeit der zuständigen Vertreter beider Ministerien.

Der Außenminister der DDR, Oskar Fischer hat übrigens zu keiner Zeit die Ausarbeitung irgendeiner rüstungskontrollpolitischen Maßnahme in seinem Haus in Auftrag gegeben, die nicht im Detail mit den zuständigen Mitarbeitern des MfNV und der NVA abgestimmt wurde. Die Stockholmer VSBM-Vereinbarungen stellten diesen bewährten Arbeitsgrundsatz zusätzlich auf eine solide Grundlage vielfältiger Kontakte auf der sogenannten Arbeitsebene.

Zu erheblichen Verwerfungen führten seinerzeit andere, mit keinem der betroffenen Ministerien abgestimmte und willkürliche „Abrüstungs-Initiativen“ aus bestimmten, vor allem mit der Wirtschaft befassten Teilen des Apparates des ZK der SED (siehe auch: Generaloberst Horst Stechbarth, „Soldat im Osten“, S. 213). Ein eklatantes Beispiel hierfür war die kurzfristige Auflösung von 6 Panzerregimentern und eines Jagdfliegerregiments, die die Lebensplanung tausender Berufssoldaten und Offiziere und deren Familien faktisch über Nacht rücksichtslos zunichtemachte. Das war die typische Handschrift eines Günter Mittag. Außer einigen Propagandaschlagzeilen kam bei dieser Aktion aus dem ZK der SED nichts Gutes heraus. Die Betroffenen aller Ränge und Dienststellungen der NVA und auch die Rüstungskontrollfachleute im MfAA erfuhren davon aus Presse, Rundfunk und Fernsehen. Militärpolitik nach Kassenlage wird so etwas heute üblicherweise genannt.

Umsetzung des Stockholmer VSBM-Vertrages durch die DDR

Mit dem Stockholmer Dokument wurde am 19. September 1986 erstmals ein Abkommen zwischen den KSZE-Staaten unterzeichnet, welches vergleichsweise umfassend den geregelten und unmittelbaren Zugang von Beobachtern zu einigen militärischen Aktivitäten der Landstreitkräfte aller KSZE-Mitglieder ab einem bestimmten Umfang dieser Aktivitäten auf dem europäischen Festland ermöglichte. Dies war in der Tat neu und wurde angesichts der Konfrontation im Kalten Krieg häufig als spektakulär empfunden.

Erklärtes Ziel der Vertragspartner der Stockholmer Vereinbarungen war, Fortschritte bei der Festigung des Vertrauens und der Sicherheit der beteiligten Staaten sowie in der Folge auch bei der Rüstungskontrolle konventioneller Waffen zu erzielen.

Vereinbart waren folgende Schwerpunkte:

- Enthaltung der Androhung oder der Anwendung von Gewalt, so, wie in den zehn Prinzipien der KSZE-Schlussakte von Helsinki festgelegt (Prinzip II der KSZE-Schlussakte);

- Festlegung der Anwendungszone für vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen (VSBM) unter Beachtung der Erklärungen des Vorsitzenden der Konferenz zum Dokument in seinen Anhängen (Anhang I des Stockholmer Dokuments).

- Erarbeitung und Austausch zwischen den Teilnehmerstaaten von Jahresübersichten definierter militärischer Aktivitäten der Landstreitkräfte auf ihren jeweiligen Staatsgebieten sowie gewisse beschränkende Bestimmungen, ohne Einbeziehung der selbständigen Aktivitäten der Luft- und Seestreitkräfte (Pkt. 30 und 55-58 des Stockholmer Dokumentes);

- Vorherige Notifizierung bestimmter militärischer Aktivitäten – 42 Tage Ankündigungsfrist für militärische Aktivitäten, die mehr als 13 000 Mann oder 300 Panzer umfassten (Punkt 29 des Stockholmer Dokuments);

- Einladung von Beobachtern für militärische Aktivitäten, die mehr als 17 000 Mann umfassten (Punkt 38.4 des Stockholmer Dokuments);

- Verifikation der Einhaltung des Dokumentes durch bis zu drei Inspektionen auf den Territorien der Teilnehmerstaaten (Punkt 66; 67 des Stockholmer Dokuments)

Verantwortlich für die Einhaltung des Stockholmer Dokumentes war immer der Staat, auf dessen Territorium militärische Aktivitäten geplant und durchgeführt wurden (Territorialprinzip laut Punkt 30 des Stockholmer Dokuments).

In der DDR begannen die aktiven Vorbereitungen auf die Realisierung der Vereinbarungen der Stockholmer Konferenz über „Vertrauens- und Sicherheitsbildende Maßnahmen und Abrüstung in Europa“ noch vor deren formalem Abschluss. Kurz nach der Unterzeichnung des Stockholmer Dokumentes fasste die Regierung der DDR am 30. September 1986 einen Beschluss, der Aufgaben und Schlussfolgerungen benannte, die sich daraus für die NVA und ihre Zusammenarbeit mit der Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland (GSSD), ergaben. Dazu wurde im Hauptstab des Ministeriums für Nationale Verteidigung (MfNV) der DDR ein Strukturelement gebildet, das dem Stellvertreter des Chefs des Hauptstabes für operative Fragen unterstellt wurde und als dessen Stellvertreterbereich für Internationale Arbeit (im weiteren StIA) wirkte. Als Leiter wurde Oberst Peter Herrich durch den Minister für Nationale Verteidigung ernannt. Oberst Herrich verfügte durch seine früheren Dienststellungen im operativen Truppen- und Stabsdienst und sein Studium an der Generalstabsakademie in Moskau über umfangreiche Qualifikationen für die anstehenden komplexen Aufgaben.

Dienstantritt für den neuen Bereich STIA war am 1. Dezember 1986. Die personelle Auffüllung des Bereiches, Schaffung entsprechender Arbeitsbedingungen und Herstellung der Arbeitsbereitschaft war am 15. Dezember 1986 mit dem Austausch der Jahresübersichten militärischer Aktivitäten für 1987 durch die Teilnehmerstaaten des Stockholmer Dokumentes abgeschlossen.

Termingerecht wurde der dem StIA zugeordnete personelle Bestand von neun Mann erreicht (Arbeitsgruppe Manöverbeobachtung, Arbeitsgruppe Inspektion und 1987 mit drei weiteren Offizieren die Arbeitsgruppe INF-Vertrag) und einem Unteroffizier ergänzt. Alle Offiziere hatten einen akademischen Abschluss und ihren Dienst auf unterschiedlichen, teilweise sehr hohen operativen Führungsebenen in den Teilstreitkräften der NVA bzw. im MfNV versehen.

Im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der DDR war die Hauptabteilung für Grundsatzfragen und Planung (HAGP) für die Umsetzung der Stockholmer Vereinbarungen zuständig. Diese Hauptabteilung war von Anfang an unter anderem verantwortlich für alles, was mit dem KSZE-Prozess und seinen Vereinbarungen und mit einem Großteil der Rüstungskontrollverhandlungen bis 1990 zu tun hatte. Ihre leitenden Mitarbeiter hatten schließlich die KSZE-Schlussakte von Helsinki und deren Folgedokumente von Beginn an ausgehandelt. Sie war auch bei den Stockholmer Verhandlungen federführend. In der DDR-Delegation in Stockholm arbeiteten Mitarbeiter der Sektoren KSZE und Abrüstung und Vertreter des Ministeriums für Nationale Verteidigung zusammen.

Für eine effektive Arbeit zur Realisierung der Stockholmer Vereinbarungen war eine umfassende und klar bestimmte Zusammenarbeit des MfNV/StIA mit folgenden Bereichen und Institutionen der DDR erforderlich:

- Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten (MfAA);

- Generalstab der Streitkräfte der UdSSR in Moskau und

- Stab der GSSD in Wünsdorf.

- Ministerium des Inneren (MdI);

- Ministerium für Handel und Versorgung (MfHV), Bereich Vereinigung Interhotel;

- Ministerium für Staatssicherheit (MfS), Bereich Personenschutz;

- Räte der Bezirke und Bezirksleitungen der SED;

Innerhalb der NVA wurde das Zusammenwirken organisiert:

- im Ministerium für Nationale Verteidigung besonders mit den Bereichen des Hauptstabes (Nachrichten), den Rückwärtigen und Technischen Diensten sowie dem Bereich Finanzen;

- mit den Kommandos der Land- und Luftstreitkräfte/ Luftverteidigung sowie

- mit den Wehrbezirkskommandos der NVA.

Die Angehörigen der NVA standen vor einer völlig neuen Art internationaler Zusammenarbeit, da die bisherige sich ja vor allen Dingen im Rahmen des Warschauer Vertrages abspielte. Dass die politisch geforderte Öffnung gegenüber westlichen Vertretern von NATO-Armeen anfangs geradezu suspekt erschien, war nur normal. In späteren Gesprächen mit Offizieren von „westlich der Elbe“ wurde schnell klar, dass es denen keineswegs anders ging. Folglich bestand die tägliche Arbeit zur Umsetzung der Stockholmer Vereinbarungen nicht nur in der Erfüllung laufender Aufgaben, sondern vor allem im Sammeln neuer Erfahrungen. Es war ein ständiger und auch sehr schneller Lernprozess für alle Beteiligten. Zeit für langes Abwägen gab es nun mal nicht.

Die durch die Regierung der DDR eingeladenen Manöverbeobachter (bis zwei Mann je Staat) bzw. die sich „selbst einladenden“ Inspektoren (bis vier Mann je Staat) kamen in der Praxis aus bis zu 22 Teilnehmerstaaten der KSZE und waren Militärs oder/und Diplomaten. Der die Manöverbeobachtungen und Inspektionen sicherstellende Staat hatte die Verantwortung für die Sicherheit, den diplomatischen Schutz, die Unterbringung und allgemeine Versorgung, die medizinische Betreuung sowie den Transport der Manöverbeobachter. Die Unterbringung der Manöverbeobachter in der DDR erfolgte stets in Interhotels, die möglichst zentral innerhalb des geplanten Manövergebietes lagen. Das betraf dementsprechend die Hotels in Potsdam, Magdeburg und Cottbus. Für die Hotels war das durchaus vorteilhaft – sie erhielten in der Regel umfangreiche neue Ausstattung, auf die sie „normalerweise“ hätten lange warten müssen.

Die Beobachter und Inspektoren waren über Umfang und Handlungen der Truppen bei einer militärischen Aktivität (bei Beobachtungen) bzw. im „bezeichneten Gebiet“ (bei Inspektionen) und über den Ablauf der Aktivitäten nach Zeit und Raum zu informieren. Ihnen wurden entsprechende Unterlagen (Karten, Ablaufpläne und Beobachtungsprogramme) übergeben. Wünschen nach Beobachtungs- und Informationsmöglichkeiten war im Rahmen des Stockholmer Dokumentes stattzugeben und anderes mehr.

Neu und ungewohnt waren natürlich anfangs für alle Beteiligten, insbesondere für die betroffenen Truppen und deren Kommandeure, die direkten und persönlichen Kontakte mit dem militärischen „Gegenüber“. Dabei waren besonders die ersten Beobachtungen und Inspektionen auf beiden Seiten eher geprägt von Misstrauen, Unsicherheiten und der Vorstellung, auf mögliche Unehrlichkeit und bewusste Täuschungen zu treffen. Nach jahrelanger Konfrontation im Kalten Krieg war das allerdings nicht außergewöhnlich und die Vertreter des NVA-Verifikationszentrums konnten damit gut umgehen. Auch in den übenden Divisionen der NVA und den höheren Stäben und Kommandos sprach sich recht schnell rum, dass die Anwesenheit westlicher Manöverbeobachter nichts Dramatisches darstellte. Nach den ersten Manövererfahrungen mit KSZE-Beobachtern wurden auch die planenden Stäbe und übenden Truppen zunehmend selbstsicher im Umgang mit den Kollegen aus Armeen westlich der vordersten Linie des Warschauer Vertrages. Insbesondere die Aufhebung unsinniger Geheimhaltungsregeln und der Verzicht auf vorgegebene Antworten durch die Polit-Offiziere der NVA-Landstreitkräfte entspannten die Lage für die operativen Kommandeure und ihre Soldaten erheblich. Beim Chef Landstreitkräfte der NVA fanden Vorschläge des StIA zur Beendigung sinnloser Geheimhaltungsrituale und für ausreichende Spielräume seiner Kommandeure im Umgang mit Manöverbeobachtern stets offene Ohren und Zustimmung.

Den sowjetischen Truppen erging es in dieser Zeit der Manöverbeobachtungen nicht so gut wie ihren deutschen Waffenbrüdern. Etliche Stäbe und Truppenkommandeure sahen Manöverbeobachtungen wohl eher als Gelegenheiten, sich im Thema Täuschen des Gegners zu üben. Wenn man eben diesen Gegner jedoch unterschätzt, klappt es meist nicht wirklich, ihn zu täuschen.

Manöverbeobachtungen durch Offiziere der NVA im Ausland

In Erfüllung der Stockholmer Vereinbarungen tauschten alle KSZE-Unterzeichnerstaaten jeweils bis zum 15. Dezember für das folgende Kalenderjahr auf diplomatischem Wege Noten mit den Jahresübersichten über militärische Aktivitäten auf ihren Staatsgebieten aus. Ausgehend von der Festlegung für die NVA, an allen Manöverbeobachtungen im Rahmen der KSZE teilzunehmen, wurden entsprechend der eingegangenen Jahresaufstellungen die Manöverbeobachter der DDR ausgewählt. Es wurden ausschließlich Offiziere aus dem Bereich Internationale Arbeit/Militäraufklärung und aus den Landstreitkräften der NVA als Manöverbeobachter vorgesehen, da Aktivitäten der Luft- und Seestreitkräfte keiner Beobachtung bzw. Inspektion unterlagen.

Zu keiner Zeit waren Vertreter des DDR-Außenministeriums an Manöverbeobachtungen außerhalb der DDR beteiligt. Eine direkte Teilnahme war aus Sicht des Ministeriums nicht von Interesse. Ohnehin erhielt das MfAA die zusammengefassten Ergebnisse als Bericht.

Nach dem Vorliegen erster Erkenntnisse aus den Manöverbeobachtungen wurden ab Herbst 1987 zusätzliche gemeinsame Vorbereitungen im Rahmen der Militärstrukturen des Warschauer Vertrages mit dem Ziel durchgeführt, übereinstimmende Auffassungen zur Umsetzung des Stockholmer Dokumentes zu entwickeln. Diese Gemeinsamkeiten waren nicht von Anfang an vorhanden.

Einige Vertreter aus verschiedenen Warschauer Vertragsstaaten auf der eher operativen Stabsebene waren teilweise recht übereifrig bemüht, der „anderen Seite“ ihre zusätzlichen Aufklärungsmöglichkeiten durch willkürliche Einschränkungen zu behindern. Es war eben für alle Seiten ein Lernprozess, der für den einen oder anderen durchaus schmerzhaft und äußerst langwierig sein konnte.

Die Verantwortlichkeiten für die gemeinsamen und abgestimmten Vorbereitungen von Manöverbeobachtungen in NATO-Staaten waren wie folgt festgelegt: Die UdSSR für die amerikanischen Streitkräfte; die DDR für die Aktivitäten der Bundeswehr; Polen und CSSR für die Streitkräfte Frankreichs und des Vereinigten Königreiches; Bulgarien für die Armeen der Türkei und Griechenlands.

Die erste Manöverbeobachtung auf dem Territorium eines NATO-Staates fand im September 1987 in der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen der Übung „Reforger“ statt. Dem waren schon Beobachtungen auf dem Territorium der DDR (drei) und in anderen Staaten des Warschauer Vertrages vorausgegangen, so dass der Bereich StIA bereits über Vergleichsmöglichkeiten zur Arbeit mit Manöverbeobachtungen, besonders zu deren Sicherstellung, verfügte.

Gewollt oder ungewollt hatte diese Manöverbeobachtung in der BRD einen besonderen Stellenwert, weil unter Leitung von Oberst Peter Herrich erstmals Offiziere der NVA in Uniform in der Bundesrepublik Deutschland auftraten. Die bundesdeutschen Medien hatten ihren speziellen Anteil daran, dass wie schon beim vorangegangenen, ersten Auftreten von Offizieren der Bundeswehr als Manöverbeobachter in der DDR im März 1987 diese Zusammentreffen als besondere Ereignisse hochgespielt wurden, obwohl auch die Manöverbeobachter aus den anderen Staaten des Warschauer Vertrages erstmals im Bereich der NATO auftraten.

Sicherlich war diese Beobachtung schon etwas Neues, aber mit der Rolle des Teilnehmers an einem besonderen deutschen Verhältnis fühlten sich die NVA-Offiziere nicht wohl. Schon beim Empfang im Bundesministerium für Verteidigung in Bonn wurden sie besonders begrüßt, im Hotel in Osnabrück wurden sie im Gästebuch besonders hervorgehoben und auch im Umfeld war ihnen besondere Aufmerksamkeit sicher – die NVA-Offiziere waren eben auch Deutsche und es gab keine Sprachbarrieren. Wer wollte, konnte sich zu den abendlichen Essen auch an den traditionellen und gut geschnittenen Uniformen der NVA-Vertreter erfreuen; Medienvertreter achten halt auf solche Details. Schon bei der Gründung der NVA hatten die sowjetischen Berater Wert daraufgelegt, im Uniformschnitt der Volksarmee der DDR eigene, deutsche Traditionslinien zugrunde zu legen und nicht die Uniformen der Sieger im 2. Weltkrieg zu kopieren. Andere Siegermächte sahen das etwas anders und so unterschieden sich halt die beiden deutschen Armeen von Anfang an auch optisch.

Was einerseits nicht unangenehm war, konnte allerdings zu Irritationen bei Vertretern der verbündeten Armeen führen, so dass die NVA-Offiziere höflich, auch gegenüber den Medien, einer besonderen Rolle widersprachen und immer unterstrichen, dass sie im Bestande aller Manöverbeobachter ihre Aufgaben zu erfüllen hatten. Letztlich bleibt festzustellen, dass bei dieser und allen weiteren Manöverbeobachtungen ein korrektes, professionelles Verhältnis zum jeweiligen Gastgeberland, zum Gastgeber in Person und zu allen anderen Manöverbeobachtern dominierte. Mit mancher Spezifik im Verhältnis von NVA und Bundeswehr mussten die beteiligten Offiziere zu leben lernen. Schließlich wurde es ja auch von den Vertretern kleinerer Staaten stets aufmerksam beäugt, wenn die Vertreter der USA und der UdSSR für den Geschmack der „Kleinen“ zu oft miteinander sprachen.

Manöverbeobachtungen auf dem Territorium der DDR

Manöver der Warschauer-Vertrags-Armeen mit Beteiligung von KSZE-Manöverbeobachtern fanden in der DDR zwischen 1987 und 1989 statt. Der jährliche Manöverplan für KSZE-Beobachter wurde dem MfAA übergeben. Durch das Außenministerium erfolgte die Notifizierung aller militärischen Aktivitäten von Warschauer Vertrags Armeen auf dem Territorium der DDR an die anderen KSZE-Staaten.

Die erste dieser Übungen unter Leitung des damaligen Oberkommandierenden der GSSD, Armeegeneral Belikow, fand vom 25. bis 28. März 1987 im Mittelabschnitt der DDR statt. Das letzte derartige Manöver mit Einheiten der GSSD und der NVA wurde vom 16. bis 20. Mai 1989 im Raum zwischen Magdeburg, Neustrelitz und Brandenburg durchgeführt. Die für den Frühsommer 1990 angekündigte Übung der Schweriner 8. MSD wurde von der DDR-Regierung abgesetzt, die KSZE-Staaten entsprechend informiert. Nicht informiert wurden jedoch in dieser „Zeit der Wirren“ der zuständige Militärbezirk 5 in Neubrandenburg und die hauptsächlich betroffene 8. Mot.Schützen-Division. Die zuständigen Stäbe planten die Übung so lange, bis sie durch Zufall erfuhren, dass es nur noch eine sinnentleerte Fingerübung war.

Bei den Manövern mit KSZE-Beobachtern auf dem Territorium der DDR war eine langfristige Planung und Vorbereitung die Grundlage der Arbeit aller Beteiligten. Entsprechend der Jahresübersicht militärischer Aktivitäten auf dem Territorium der DDR, die dementsprechend auch Aktivitäten der in der DDR stationierten GSSD oder weiterer verbündeter Armeen wie z.B. der polnischen Volksarmee einschloss, wurde die Einladung von Manöverbeobachtern der Unterzeichnerstaaten der Stockholmer Vereinbarung für die Regierung der DDR vorbereitet. Der Stab der Landstreitkräfte der NVA in Potsdam erarbeitete die Jahresübersicht der meldepflichtigen NVA-Manöver gemeinsam mit dem zuständigen Vertreter des DDR-Außenministeriums. Die Abstimmung der zu beobachtenden Manöver der GSSD erfolgte mit deren Stab in Wünsdorf. Frühzeitig wurden die Orte der Unterbringung der Manöverbeobachter festgelegt. In Zusammenarbeit mit dem Innenministerium wurde der Transport der Manöverbeobachter organisiert.

Die Gesamtverantwortung für diese Organisation oblag dem Minister für Nationale Verteidigung der DDR und die konkrete Umsetzung der Aufgaben dem Bereich Internationale Arbeit.

Der Ablauf der Beobachtung selbst wurde dann am Unterbringungsort (Hotel) der Manöverbeobachter von einer Gruppe geführt, die im folgenden Bestand arbeitete: ein Stellvertreter des Chefs des Hauptstabes als Vertreter und Beauftragter der Regierung der DDR („Ständiger Begleiter“), der Stellvertreter für Internationale Arbeit und die Arbeitsgruppe Manöverbeobachtung; der Vertreter des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten; Offiziere der Bereiche Rückwärtige Dienste, Nachrichten und Finanzen; Militärdolmetscher aus dem Hauptstab; Vertreter der Ministerien des Inneren und für Handel und Versorgung sowie hochrangige Vertreter des Stabes der GSSD und der jeweils übenden Armee der GSSD, wenn militärische Aktivitäten der Gruppe unter Beobachtung standen.

Die Begrüßung und Einweisung der Beobachter in den Manöververlauf erfolgten immer zu Beginn des Programms. Dabei wurden auch die in Stockholm festgelegten Dokumente übergeben, Fragen beantwortet sowie Bitten der Beobachter geprüft und bei Möglichkeit realisiert.

Ausgehend von der unterschiedlichen Praxis bei der Durchführung militärischer Aktivitäten in den Staaten der NATO und des Warschauer Vertrages gab es vor allen Dingen Fragen zu den Räumen der Übung (in der DDR die Truppenübungsplätze) und zu Handlungen außerhalb dieser Plätze; den Bezeichnungen/Nummerierungen und die ständige Dislozierung/Kasernen der teilnehmenden Truppen; zu notwendiger oder übertriebener Geheimhaltung; der Realitätsnähe der militärischen Handlungen und anderen Themen.

Bei den Bitten der Manöverbeobachter zu ihren Informationsmöglichkeiten standen u. a. im Mittelpunkt: die Gewährleistung von Gesprächsmöglichkeiten mit Übungsteilnehmern, die Besichtigung von Ausrüstung und Technik, zusätzliche Beobachtungsmöglichkeiten bei Verladungen/Verlegungen von Truppen, Interpretation einzelner Elemente der Stockholmer Vereinbarungen und Möglichkeiten zum Überflug über das Manövergebiet.

Es gab bei den Manöverbeobachtungen keinen Fall, dass Fragen nicht beantwortet oder Bitten abgeschlagen wurden, wenn ihre Erfüllung den Rahmen des Stockholmer Dokumentes nicht überschritt.

Die NVA bot den KSZE-Beobachtern wiederholt die Möglichkeit, die teilweise sehr weiträumigen Manövergebiete mit Hubschraubern des Transporthubschraubergeschwaders-34 aus Brandenburg-Briest zu überfliegen. Anhand der unterschiedlichen Fortschritte der Manövertruppen beim Ausbau ihrer Handlungsräume auf den verschiedenen Truppenübungsplätzen war aus der Luft gut zu erkennen, in welcher Reihenfolge sich die Manöverhandlungen am Boden entwickeln würden. Bei diesen Flügen wurde den Beobachtern auch die in der DDR übliche Verlegung von Manövertruppen über ein dichtes Netz sogenannter Panzermarschstraßen verdeutlicht. Durch die Nutzung dieses militärischen Wegenetzes wurden in erheblichem Umfang Manöverschäden an Straßen und auf landwirtschaftlichen Feldern vermieden. Diese Hubschrauberflüge bestätigten eindrucksvoll die vorherigen Erklärungen der NVA-Offiziere zum geplanten Manöververlauf und trugen wesentlich zur Vertrauensbildung bei.

Begrüßung und erste Einweisung der Manöverbeobachter in die Gesamtidee des Manövers durch Generalleutnant Leistner im Interhotel Magdeburg Quelle: Privatarchiv L. Vogt