Der Wächter (Die Geschichte von Sin und Miriam 2) - Sabine Schulter - E-Book

Der Wächter (Die Geschichte von Sin und Miriam 2) E-Book

Sabine Schulter

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Beschreibung

**Folge den Pfaden der Magie und erfahre Unglaubliches…** Miriam, Sin und die übrigen Wächter haben zwar die Suchenden zurückgeschlagen, doch ist immer noch unklar, mit welchen Mitteln diese den magischen Bäumen die Kräfte rauben konnten. Antworten scheint es in Ägypten zu geben, wo die ältesten und weisesten Magiebäume der Welt zu finden sind. Doch das Wüstenland hat mehr zu bieten als den Zauber der Natur. Dort nahm vor Jahrhunderten die Organisation der Wächter ihren Anfang, aber auch die Bedrohung durch die Suchenden. Während Miriam Unglaubliches über ihre Magie erfährt, wird ihre Liebe zu Sin auf die Probe gestellt. Allerdings können sie nur gemeinsam Miriams Aufgaben auf dieser Welt entschlüsseln…  Band 2 der Saga führt zu magischen Orten und bereitet den Weg für das große Finale der Reihe. //Dies ist ein Roman aus dem Carlsen-Imprint Dark Diamonds. Jeder Roman ein Juwel.// //Alle Bände der düster-romantischen Geschichte von Sin und Miriam: -- Die Erwachte: Die Geschichte von Sin und Miriam 1 -- Der Wächter: Die Geschichte von Sin und Miriam 2 -- Die Revolution: Die Geschichte von Sin und Miriam 3//

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Veröffentlichungsjahr: 2018

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Dark Diamonds

Jeder Roman ein Juwel.

Das digitale Imprint »Dark Diamonds« ist ein E-Book-Label des Carlsen Verlags und publiziert New Adult Fantasy.

Wer nach einer hochwertig geschliffenen Geschichte voller dunkler Romantik sucht, ist bei uns genau richtig. Im Mittelpunkt unserer Romane stehen starke weibliche Heldinnen, die ihre Teenagerjahre bereits hinter sich gelassen haben, aber noch nicht ganz in ihrer Zukunft angekommen sind. Mit viel Gefühl, einer Prise Gefahr und einem Hauch von Sinnlichkeit entführen sie uns in die grenzenlosen Weiten fantastischer Welten – genau dorthin, wo man die Realität vollkommen vergisst und sich selbst wiederfindet.

Das Dark-Diamonds-Programm wurde vom Lektorat des erfolgreichen Carlsen-Labels Impress handverlesen und enthält nur wahre Juwelen der romantischen Fantasyliteratur für junge Erwachsene.

Sabine Schulter

Der Wächter (Die Geschichte von Sin und Miriam 2)

**Folge den Pfaden der Magie und erfahre Unglaubliches …**Miriam, Sin und die übrigen Wächter haben zwar die Suchenden zurückgeschlagen, doch ist immer noch unklar, mit welchen Mitteln diese den magischen Bäumen die Kräfte rauben konnten. Antworten scheint es in Ägypten zu geben, wo die ältesten und weisesten Magiebäume der Welt zu finden sind. Doch das Wüstenland hat mehr zu bieten als den Zauber der Natur. Dort nahm vor Jahrhunderten die Organisation der Wächter ihren Anfang, aber auch die Bedrohung durch die Suchenden. Während Miriam Unglaubliches über ihre Magie erfährt, wird ihre Liebe zu Sin auf die Probe gestellt. Allerdings können sie nur gemeinsam Miriams Aufgaben auf dieser Welt entschlüsseln …

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Vita

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© privat

Sabine Schulter wurde 1987 in Erfurt geboren, lebt nun aber mit ihrem Mann in Bamberg. Trotz ihres abgeschlossenen Oecotrophologie-Studiums fokussierte sie sich auf das Schreiben von Fantasy-Büchern. Sie liebt das Spiel mit den Emotionen und möchte ihre Leser tief in ihre Bücher ziehen, die oft von dem Zusammenspiel der Protagonisten untereinander geprägt sind. Viel Spannung gehört in ihre Geschichten genauso wie ein Happy End und unvorhergesehene Wendungen.

Für Sin, der mich so oft auf meinen Wegen beschützte.

Prolog

Nachdenklich schaute er aus dem Fenster des Hochhauses über die Dächer von Frankfurt und drehte langsam ein Glas Wasser zwischen den Fingern. Es begann bereits zu dämmern und nach und nach tauchte der magische Baum dieser Stadt über ihm auf. Er seufzte tief, denn allzu viel Zeit blieb ihm nicht mehr, bis sein Wagen bereitstand, und vorher wollte er noch zu gern einen Blick auf die Frau werfen, wegen der er hierher nach Deutschland gerufen worden war. Zwar würde er sie in ein paar Tagen persönlich kennenlernen, doch er wollte sich vorher ein Bild machen und sich vergewissern, ob Mirassa recht hatte.

Dass er sich hier und dann auch noch in einem Stützpunkt der Wächter befand, schien ihm sehr riskant, da ihn niemand kannte. Aber bevor er seine Reise angetreten war, hatten die hiesigen Wächter ihm versichert, dass er nicht in Gefahr sei. Leise schnaubte er. Jetzt konnte er sich vorstellen, wie sich die Erwachten fühlten, wenn sie stets damit rechnen mussten, von Suchenden angegriffen zu werden.

Er drehte sich um und betrachtete die gigantische Halle hinter sich und speziell die Reihe von Fahrstühlen, die eine gesamte Seite des gefliesten Raumes einnahmen und ständig neue Wächter ausspuckten und aufnahmen. Wie sehr sich doch diese Stadt von seiner Forschungsanlage unterschied. Der Stützpunkt wirkte fast wie ein großer Bienenstock und soweit er wusste, war das Hauptquartier in München sogar noch größer. In diesem Moment kam ein weiterer Fahrstuhl an und eine Gruppe junger Leute betrat den Eingangsbereich des Wächterstützpunktes. Interessiert merkte er auf, da er spüren konnte, dass dies diejenigen waren, auf die er gehofft hatte. Die zwei Männer und drei Frauen bewegten sich zielstrebig durch die Halle. Zwar hatte er sie bisher noch nie in natura gesehen, doch die Fotos in ihren Personalakten genügten, um sie sofort zu erkennen.

Der muskulösere der beiden blonden Männer ließ seinen Blick über die Masse an Wächtern gleiten und zog sanft die Frau an seiner Seite aus dem Weg, da sie, in ein Gespräch vertieft, beinahe in einen anderen Limaren gelaufen wäre. Fire.

Die Frau, auf die er gerade achtgegeben hatte, besaß rotbraune Haare und war die größte der drei Frauen. Sie gehörte offiziell nicht mehr zu den Wächtern, begleitete die Gruppe aber oft, meist als medizinische Unterstützung. Trotzdem sah er ein Schwert an ihrer Seite. Storm.

Die Frau, mit der sie sich im Gespräch befand, war die zierlichste der Gruppe, aber die Aggressivste im Kampf. Sie besaß lange, hellblonde Locken und wäre sehr hübsch gewesen, wenn sie nicht so finster dreingeschaut hätte. Thunder.

Dann wanderte sein Blick zu den beiden, die die Gruppe durch die Halle führten. Der athletische, blonde Mann zeigte gerade nach vorn zu einer doppelflügeligen Tür, die in den inneren Bereich des Stützpunktes führte. Auf seinen Lippen lag ein leichtes Lächeln, das sich vertiefte, als die Frau neben ihm zu ihm aufsah. Sin.

Der erste Wächter der Erwachten, die neben ihm lief.

Und wegen dieser Erwachten war er also hier. Vom Aussehen her fiel sie im Gegensatz zu ihren Wächtern nur gering auf. Lange, braune Haare und eine zarte Gestalt ließen nicht darauf schließen, dass sie eine außergewöhnliche Person darstellte. Auch die beiden Klingen, die sie in einer speziellen Scheide kurz über dem Steiß trug, hob sie zwischen all den Kriegern nicht hervor. Es war eher ihre Magie, die ihn aufs Äußerste faszinierte. Ihre magische Aura schien alle anderen hier im Raum zu überdecken, so stark wallte sie aus ihr heraus, und den markanten Hauch der unbekannten magischen Komponente würde er überall erkennen. Sie war die einzige Erwachte, von der er bisher gehört hatte, die sich nicht vor den Suchenden verbarg, sondern aktiv gegen sie vorging. Zwar geschah dies weniger im Kampf, sondern eher in beratender Funktion, aber das hatte ihr inzwischen einen gewissen Ruf beschert. Miriam.

Nachdenklich sah er sie an. Mirassa hatte vermutet, dass sie eine Kämpfernatur sei, doch bisher war er nicht davon überzeugt gewesen. Es brauchte nicht viel Mut, um hinter einer Reihe aus Jägern und aktiven Wächtern zu stehen und mit einem herausragenden magischen Gespür die Suchenden zu finden. Doch nun, da er sie mit selbstbewusstem Schritt durch die Halle schreiten sah und den zielstrebigen Ausdruck in ihren grünen Augen erkannte, lächelte er. Ja, Mirassa hatte wieder einmal recht behalten. Vielleicht war es doch die richtige Entscheidung gewesen, hierherzukommen.

»Professor? Ihr Wagen steht jetzt bereit. Wenn Sie mir bitte folgen würden.« Ein Wächter trat vor ihn und deutete mit einer höflichen Geste auf die Fahrstühle. Im selben Moment blieb die Erwachte stehen und ließ mit gerunzelter Stirn den Blick durch die Halle schweifen. Überrascht hob der Professor eine Augenbraue. Scheinbar hatte sie ihn tatsächlich zwischen all den Wächtern gespürt. Faszinierend. Normalerweise sollte dies nicht einmal den besten Spähern der Wächter gelingen.

Mit einem Lächeln wandte er sich ab.

»Ja, lassen Sie uns gehen«, sagte er zu dem Wächter und folgte ihm, bevor die Erwachte ihn entdeckte. Noch wollte er ihr nicht begegnen.

Kapitel 1

Miriam

»Was ist?«, fragte Sin neben mir, als ich plötzlich stehen blieb.

Einen Moment ließ ich noch meinen Blick über die Leute wandern, ehe ich mich ihm zuwandte.

»Ich weiß es nicht. Mir kam es einen Moment so vor, als hätte ich etwas gespürt, was nicht hierhergehört. Aber es ist wieder weg«, sagte ich mit einem Kopfschütteln und sah hoch in seine goldenen Augen. Ich hatte mich inzwischen so sehr daran gewöhnt, dass ich oftmals vergaß, dass nicht jeder Mensch diesen goldenen Schimmer sehen konnte. Dabei war ich gerade die Einzige hier in der Halle, die menschliche, grüne Augen besaß. Denn die Wächter, in deren Stützpunkt wir uns befanden, gehörten dem Volk der Limare an, die unerkannt unter den Menschen lebten.

Unerkannt deswegen, da wir Menschen durch ein Gewebe in unserer Magenwand von der Magie, die die Augen der Limare golden färbte, abgeschnitten wurden und somit von alldem nichts mitbekamen. Dass ich in die Welt der Magie hineingerutscht war, konnte als eine Laune der Natur gesehen werden. Denn in meinem Blut gab es eine kleine Veränderung, die bewirkt hatte, dass mein Gewebe abgestoßen wurde und ich nun die Magie wahrnahm. Menschen mit dieser Eigenart nennen die Limare Erwachte. Leider war die magische Sicht nicht das Einzige, was mich durch die Eigenart in meinem Blut von anderen unterschied. Die Suchenden, ein Volk von magiefressenden Wesen, konnten sich besonders gut dadurch fortpflanzen, dass eine ihrer Königinnen mein Blut trank. Aus diesem Grund waren Sin und meine anderen Wächter an meiner Seite. Sie beschützten und verbargen mich vor den gierigen Augen der Suchenden.

»Vielleicht habe ich mich auch nur geirrt«, meinte ich nun und nahm den Weg wieder auf.

»Du irrst dich eigentlich nie, wenn es um dein Gespür geht, Miri«, sagte Sophie oder Storm, wie sie unter den Wächtern hieß.

Müde rieb ich mir die Augen. »Wahrscheinlich liegt es an dem Stress zurzeit. Ich brauche endlich wieder einen Tag Ruhe. Das ist das sechste Wochenende am Stück, das wir für Sun unterwegs sind.«

Sin griff nach meiner Hand. »Nach diesem Auftrag kannst du dich die nächsten Wochen entspannen.«

Seine Stimme klang ruhig und tief und als ich sein charmantes Lächeln sah, erfüllte mich ein warmes Gefühl. Selbst nach fast zwei Jahren Beziehung konnte ich mich nicht an ihm satt sehen.

Schief lächelte ich. »Ja, aber nur weil meine letzte Prüfungsphase bald beginnt und dass ich mich da entspannen kann, wage ich zu bezweifeln.«

»Dann werde ich mich wohl darum kümmern müssen, dass du Ruhe erhältst«, meinte er und hob meine Hand an seine Lippen, um sanft meine Finger zu küssen.

»Aber vorher müssen wir noch diesen Job erledigen«, sagte Thunder und zog damit unsere Aufmerksamkeit auf sich. »Seht, da vorn erwartet uns schon jemand.«

Sie deutete in die Richtung, in die wir gerade unterwegs gewesen waren. Tatsächlich wartete dort ein streng dreinblickender, älterer Wächter und sah uns abwartend entgegen. Er trug einen Anzug, der über seinem üppigen Bauch leicht spannte, und wippte in seiner Ungeduld auf den Füßen vor und zurück. Man sah ihm an, dass er ein Inaktiver war und scheinbar eine hohe Position hier in Frankfurt innehatte.

»Dann sollten wir ihn nicht allzu lange warten lassen. Je schneller wir hier fertig werden, umso eher können wir wieder heim«, sagte Fire und scheuchte uns vorwärts.

Ich atmete tief durch und straffte die Schultern, bevor ich einen Schritt vor meinen Wächtern an den Mann herantrat. Jedes Mal, wenn wir von Sun gebeten wurden die Wächter in anderen Städten zu unterstützen, wurde ich zuerst von denjenigen belächelt. Sie waren selten davon überzeugt, dass ich mit meinen vierundzwanzig Jahren bereits erfahren und trainiert genug war, um das zu schaffen, was ihre Wächter nicht bewerkstelligen konnten. Vor allem da ich erst vor zwei Jahren meine Fähigkeiten bekommen hatte. Doch seit ich erwacht war und das Auftauchen einer Suchendenkönigin mich dazu gezwungen hatte, mein Talent des magischen Gespürs zu trainieren, war ich zu einer der besten Späherinnen der Wächter in München geworden.

Die Wächter konnten als eine weltweite Geheimorganisation angesehen werden, die dafür zuständig war, die Population der Suchenden gering zu halten und somit das Leben der Limare und der wenigen Erwachten zu schützen. Nach mir hatte es bisher keinen neuen Erwachten in Deutschland gegeben und wir zählten gerade einmal neun Mann. Woran deutlich wurde, wie selten meine Eigenart im Blut auftrat.

Auf jeden Fall empfand ich dies hier als undankbaren Job und tat ihn nur aus Gefälligkeit gegenüber Sun. Weder war ich bei den Wächtern angestellt, noch wurde ich für diese zusätzlichen Aufgaben bezahlt. Eigentlich sollte ich in München sitzen und für die Klausuren meines Medizinstudiums büffeln. Aber die Wächter beschützten mich und wenn ich dabei helfen konnte, dass weniger Limare durch Angriffe der Suchenden zu Tode kamen, ärgerte ich mich auch mit zweifelnden Wächtern herum.

»Erwachte Nummer neun?«, fragte der finster dreinblickende Mann und hielt mir eine Hand entgegen.

Ich ergriff sie und neigte leicht den Kopf. »Ja, die bin ich. Aber nennen Sie mich bitte Miriam. Es ist mir unangenehm, mit einer Nummer betitelt zu werden.«

Der Mann nickte steif. »Wie Sie wünschen. Mein Name ist Mirakel. Ich bin der oberste Sekretär von Shadow, dem Chef der Wächter hier in Frankfurt. Ich werde mich während Ihres Aufenthaltes um Sie kümmern.«

Ich lächelte unverbindlich und warf meinen Wächtern einen belustigten Blick zu, als sich Mirakel abwandte, um uns durch eine Tür tiefer in den Stützpunkt zu führen. Sun war eine der drei obersten Chefs der Wächter hier in Deutschland und besaß nicht einen einzigen Sekretär. Sin und Fire konnten sich ein Grinsen nicht verkneifen, wodurch sie die Aufmerksamkeit einiger Wächterinnen auf sich zogen, die sogleich miteinander tuschelten und den beiden hinterhergafften. Sie sahen aber auch unverschämt gut aus. Die Brüder waren nicht nur gut gebaut, sondern von ihrer Art her auch sehr smart und ihr Lächeln konnte die Frauen reihenweise in Ohnmacht fallen lassen. Doch sie ignorierten die Blicke und auch ich und Sophie hatten uns bereits daran gewöhnt, obwohl ich gestehen musste, dass es mich zu Beginn sehr gestört hatte. Thunder verdrehte indes nur die Augen.

Wir folgten Mirakel durch lange, hochmoderne Flure, deren Außenwände komplett aus Glas bestanden und eine atemberaubende Aussicht auf Frankfurt gewährten. Die Menschen glaubten, dies sei das Gebäude einer Bank, doch alle Stockwerke wurden verwendet, um den inaktiven Wächtern Büros zur Verfügung zu stellen oder den Jägern Platz für ihr Training zu bieten. Es faszinierte mich immer wieder, welche Organisation doch hinter alldem steckte.

Mirakel führte uns in ein opulentes Vorzimmer, das mit allerlei teurem Schnickschnack ausgestattet war. Teure Teppiche verdeckten die edlen Fliesen, Ölgemälde moderner Kunst lockten das Auge mit dem Versuch, den versteckten Sinn zu ergründen, und in mehreren Vitrinen lagen sehr alt aussehende Bücher und Relikte. Ich entschied, dass ich die Einfachheit des Hauptquartiers in München angenehmer fand.

»Bitte warten Sie einen Moment. Ich werde Sie bei Shadow anmelden«, sagte Mirakel nasal und eilte für einen so dicken Mann ziemlich schnell davon.

»Das kann ja was werden. Ich hoffe, die Jäger sind nicht so abgehoben wie ihre Chefetage«, schnaubte Thunder und besah sich ein Gemälde, das irgendeine abstrakte Kunst zeigte.

»Sei nicht so übellaunig. Wir haben bisher doch nur eine Person kennengelernt. Es wäre nicht richtig, von ihm auf alle anderen zu schließen«, erwiderte ich und ließ mich auf ein Sofa fallen, das mitten im Raum stand.

Fire setzte sich neben mich. »Das ist wieder typisch unsere Prinzessin. Du bist zu allem und jedem verständnisvoll.«

»Sei lieber froh darüber, sonst würde ich es mit euch gar nicht aushalten«, erwiderte ich und grinste ihn frech an. Er lachte und ließ es zu, dass sich Sophie auf eines seiner Beine setzte.

»Meinst du, Alerand hält noch ein wenig Ruhe?«

Wir alle blickten kurz durch das große Panoramafenster nach draußen. Ja, Alerand … Er mochte es nicht, wenn ich in unbekannten Städten unterwegs war, da er dort nie wusste, was auf mich wartete. Von daher sollten wir ihm so schnell wie möglich Bescheid geben, wenn alles in Ordnung war. Ansonsten konnte er ganze Gebäude zum Einsturz bringen.

Denn Alerand war ein Drache. Vor zwei Jahren hatte der Baumgeist Alerandhera mir aus Dankbarkeit eine Flöte geschenkt, mit der ich einen ausgewachsenen, goldenen Drachen rufen konnte, der über mich wachen würde, wenn ich Hilfe bräuchte. Doch Alerand, wie wir ihn getauft hatten, war mit der Zeit zutraulicher geworden. Vor allem als wir herausgefunden hatten, dass Alerandheras Berührung mein Blut dahingehend verändert hatte, dass ich den Drachen nun auch verstand. So genoss er es regelmäßig, mit mir zu plaudern. Und er bestand darauf, dass er mich auf den Missionen in anderen Städten begleitete. Es konnte ziemlich spektakulär sein, einen Drachen als Begleiter zu haben, und allein er brachte mir bei den Wächtern jede Menge Respekt ein, aber ich hatte des Öfteren Angst, dass er ganze Glasfronten zerstörte.

»Wahrscheinlich haben wir noch etwas Zeit. Frankfurt ist groß und er wollte zuerst die Stadt erkunden«, meinte ich und ließ meinen Blick über den langsam dunkler werdenden Himmel wandern. Es war bereits nach neun Uhr abends und ich hoffte, dass wir nach einer kurzen Besprechung in unsere Zimmer konnten. Die Beschreibung meines Zustandes übertraf todmüde bei Weitem.

»Sun sollte dir nicht so viel zumuten«, meinte Sophie mit einem tadelnden Ton, als ich mich mit einem Seufzen tiefer in das Sofa sinken ließ und die Augen schloss.

»Wahrscheinlich vergisst sie immer wieder, dass Miriam keine Magie einsetzen kann, um sich zu stärken«, sagte Sin.

In diesem Moment kam Mirakel zurück.

»Shadow möchte euch nun sehen«, verkündete er und hielt uns demonstrativ die Tür auf. Fire half mir auf die Füße und zusammen mit meinen Wächtern betrat ich das angrenzende Büro. Es war fast doppelt so groß wie der Vorraum, aber spartanischer eingerichtet. Erfreut stellte ich fest, dass die Gläserfront hier einen Zugang zu einem kleinen Dachgarten besaß. Vielleicht konnte ich von dort Alerand kurz eine Nachricht schicken.

Doch vorerst nahm ein großer, hagerer Mann mit einem gepflegten Vollbart meine Aufmerksamkeit in Beschlag. Er stand auf, als wir den Raum betraten, und kam sogar um seinen Schreibtisch herum. Er schien nicht so hochgestochen zu sein wie sein oberster Sekretär und erinnerte mich ein wenig an Jupiter, einen weiteren obersten Wächter aus München. Was ihn mir gleich viel sympathischer machte.

»Willkommen in Frankfurt, Miriam. Es ist schön, dass Sie und Ihre Wächter unserer Bitte nachgekommen sind«, begann er und ich ergriff erfreut seine mir dargebotene Hand. »Mir ist durchaus bewusst, dass Sie eine viel beschäftigte Frau sind, und ich will Sie hier nicht allzu lang aufhalten, aber meine Späher sind mit der Situation einfach überfordert. Bevor ich Ihnen jedoch einen kleinen Überblick gebe, setzen Sie sich bitte.«

»Vielen Dank für die nette Begrüßung, Shadow«, begann ich, »aber wäre es für Sie in Ordnung, wenn ich erst einmal kurz Ihren Dachgarten missbrauche?«

Überrascht blinzelte Shadow und blickte zu der Glastür. »Was haben Sie denn vor?«

In diesem Moment erscholl bereits ein solch lautes Brüllen, dass die Glasfronten erzitterten.

»Ich muss Alerand Bescheid geben, dass alles in Ordnung ist.«

Shadow sah mich mit großen Augen an und ich hörte durch die Tür einen kleinen Tumult, als die Leute zu den Fenstern strömten, um den Flug des anmutigen Tieres zu verfolgen. »Sie haben Ihren Drachen mitgebracht?«

Obwohl Alerand die Größe eines kleinen Hauses aufwies, flog er leicht wie ein Spatz durch die abendlichen Winde und steuerte gekonnt durch die engen Straßenschluchten und zwischen den Hochhäusern hindurch, immer wieder um das Gebäude herum, von dem er wusste, dass ich mich mit meinen Wächtern darin befand.

»Es ist nicht so, dass ich ein großes Mitspracherecht hätte. Alerand hat seinen eigenen Kopf. Und wenn er mitwill, tut er es einfach«, erklärte ich und ging bereits Richtung Dachterrasse. Sin begleitete mich, während die anderen Abstand hielten. Sie wussten, dass ihre Anwesenheit von dem Drachen nur geduldet wurde, wenn er gute Laune hatte, ansonsten ließ er nur mich und Sin an sich heran. Dies sagte ich auch Shadow, als er uns auf die Terrasse folgen wollte.

»Wieso das?«

»Wie Sie sicher wissen, meiden Drachen unsere Gesellschaft normalerweise. Bei mir macht er eine Ausnahme, weil er den Auftrag bekommen hat, mich zu schützen, und da Sin mein Partner ist, ist er der Einzige, der ebenfalls kompromisslos anerkannt wird«, antwortete ich und zog die kleine Flöte hervor, die an einer silbernen Kette um meinen Hals hing.

Sin und ich traten in die Mitte des kleinen Gartens und ich blies eine kurze Folge von Noten. Schon sehr bald, nachdem Alerand begonnen hatte öfter unsere Nähe zu suchen, entwickelten wir verschiedene Tonfolgen, die Nachrichten für den Drachen enthielten. Die Jetzige bedeutete, dass alles in Ordnung war und Alerand sich keine Sorgen machen musste. Der Drache antwortete mit einem Brüllen und erschien im nächsten Moment hinter einer Ecke des Gebäudes.

»Irgendwie habe ich das Gefühl, dass er sich heute nicht mit einer Nachricht zufriedengibt«, murmelte Sin mit gerunzelter Stirn, als Alerand eine enge Kurve über uns flog und sich anschickte auf der viel zu kleinen Dachterrasse zu landen.

Ich fluchte und blies erneut in die Flöte. Diesmal erscholl ein lauter, warnender Ton, aber Alerand ignorierte ihn einfach und setzte zur Landung an. Schnell griff Sin nach mir und zog mich fest an sich. Wir hatten bereits mehrmals feststellen müssen, dass ich ohne Magie nicht fähig war gegen den heftigen Wind anzukommen, den der Drache hervorrief. Sin hatte fast einen Wutanfall bekommen, als Alerand einmal zu stürmisch gelandet war und mich beinahe von einem Hausdach geweht hätte. Und das wollte schon etwas heißen, denn sonst ließ nichts Sin aus der Haut fahren. Seither begleitete er mich jedes Mal, wenn ich auf ein Dach stieg, um mit Alerand zu reden.

»Alerand, der Platz ist zu klein für dich. Du zerstörst nur etwas!«, rief ich, so laut ich konnte. Aber entweder hörte es der Drache nicht oder er ignorierte es. Mit einem letzten heftigen Flügelschlag, dessen Wucht die Fenster hinter mir zum Klirren brachte, landete er. Staub und Erde wurden aufgewirbelt. Ich verbarg mein Gesicht an Sins Brust und hörte nur, wie irgendetwas verbogen wurde und Glas zu Bruch ging.

Sin lachte. »Na wenigstens ist er nicht durchgebrochen.«

Ich hob vorsichtig meinen Kopf und blickte direkt in eines von Alerands dunklen Augen.

Erwachte, drang seine grollende Stimme in meinen Kopf und er reckte mir seine Schnauze entgegen. Selbst nach zwei Jahren war es immer wieder ein erhabener Anblick, das große, goldene Tier so nah bei sich zu sehen. Die Schuppen schimmerten in der untergehenden Sonne und die Augen zeugten von einer Intelligenz, die man einem Tier nie zugetraut hätte. Und er ragte so riesig vor mir auf. Sein Auge allein war so groß wie mein Kopf und wenn er gewollt hätte, hätte er mich wohl mit einem Happs verschlingen können. Seine langen Krallen bohrten sich tief in die Erde des kleinen Gartens und sein langer Schwanz hatte sich um die nächste Ecke des Gebäudes geschlungen, damit er seinen Halt nicht verlor. Dort waren auch einige der Fenster zu Bruch gegangen und ich konnte Schemen erkennen, die aufgeregt umherliefen. Ich seufzte.

»Habe ich dir nicht oft genug gesagt, dass du nirgends landen sollst, wo du nicht draufpasst? Wir müssen es immer ausbaden, wenn du etwas zerstörst«, rügte ich ihn.

Doch Alerand schnaubte nur und schob seine Schnauze noch ein wenig weiter nach vorn. Sin schmunzelte und ich rollte mit den Augen, als wir verstanden, dass er nur landete, um von uns berührt zu werden.

»Manchmal kommt er mir wie eine verschmuste Katze vor«, sagte ich an Sin gewandt und legte dem großen Drachen eine Hand zwischen die Nüstern. Zufrieden ließ Alerand die Schnauze auf den Boden sinken und blickte dann mit seinen Augen Sin an.

»Ja, so könnte man es fast sehen. Er ist wie ein zu groß geratenes Haustier«, meinte dieser und legte seine Hand über meine auf die zähe Haut des Drachens. Es kam immer wieder vor, dass Alerand erst Ruhe gab, wenn er ein paar Liebkosungen von uns beiden erhielt. Und dann wiederum konnte es sein, dass wir ihn mehrere Wochen gar nicht sahen. Er hatte halt wirklich seinen eigenen Kopf.

»Hast du denn etwas Interessantes in dieser Stadt gefunden?«, fragte ich ihn.

Alerand öffnete die Augen wieder, die er halb geschlossen gehabt hatte. Der Baum ist stark und es gibt einige Drachenschwärme hier. Eine sehr spannende Stadt.

»Und hast du Suchende gespürt?«

Nein, aber das muss nichts bedeuten. Sie verkriechen sich wie Mäuse im Boden, grollte er und schnaubte uns einen warmen Schwall Luft entgegen. Und du bist hier in Sicherheit?

Sein Blick schweifte über Shadow und die Wächter, die in dichten Reihen an den Fenstern standen und den Drachen begafften. Verdenken konnte ich es ihnen nicht.

»Ja, mach dir darüber keine Sorgen. Übermorgen fahren wir wieder heim. Solange kannst du mit den Winden spielen. Ich rufe dich, wenn ich dich brauche.«

Dahingehend beruhigt, entzog er uns seine Schnauze und machte Anstalten, wieder abzuheben. Sin ergriff meine Hand und zog mich Richtung Büro zurück. Ich verzog das Gesicht, da ich noch mehr zu Bruch gehen hörte, als sich der Drache vom Rand des Gartens fallen ließ. Er stieß ein lautes Brüllen aus, als er sich in die aufkommende Nacht erhob, und ich schickte ihm zwei Töne mit der Flöte hinterher. Einen Moment folgten Sin und ich ihm noch mit Blicken und wandten uns dann Shadow zu.

»Jetzt müssen wir uns wieder etwas wegen der Zerstörung anhören«, grummelte ich leise.

Sin sah mich mit seinem charmanten Lächeln an, das mich immer noch verzauberte. »Das ist eine gute Übung für spätere Kinder«, meinte er mit einem Grinsen und ich musste lachen.

»Ich hoffe, dass die aber keine Gebäude beschädigen.« Zusammen gingen wir zurück in Shadows Büro.

Kapitel 2

Miriam

Es war inzwischen kurz nach elf Uhr und ich saß mit meinem Laptop auf dem Bett in unserem Quartier, das uns für unseren Aufenthalt zur Verfügung gestellt wurde, und arbeitete noch etwas für die Uni aus. Eigentlich müsste ich bereits jetzt viel mehr lernen, da meine erste Prüfung schon nächste Woche anstand. Aber ich fand zu wenig Zeit dazu. Sin besetzte gerade das Bad und ich hatte die Chance genutzt, um über ein paar Sachen zu brüten. Jetzt verstand ich viel besser, warum er immer so viel arbeitete. Anders funktionierte es nicht.

Shadow war viel weniger über Alerands Verwüstung entrüstet gewesen, als ich gedacht hatte. Vielleicht sorgte der Anblick eines Drachens aus so geringer Entfernung für genug Entschädigung. Auf jeden Fall fiel kein Wort darüber und er hatte uns nur noch eine kurze Zusammenfassung der Situation gegeben und unsere Aufgabe erläutert, bevor er uns auf unsere Zimmer entließ.

Scheinbar verschanzten sich einige Suchende in alten Kanälen unter Frankfurt und gruben Tunnel, die so verwinkelt waren, dass die Späher die Orientierung verloren. Wir würden am nächsten Tag eine Gruppe Jäger begleiten und ich sollte ihnen den Weg zum Nest zeigen. Es belustigte mich, dass ich die Wächter durch ein Tunnelsystem führen sollte, das ich vorher noch nie betreten hatte. Mein magisches Gespür war sehr gut, aber auch nicht unfehlbar. Sin hatte für uns noch einen Plan der alten Kanäle herausschlagen können, damit wir uns zumindest etwas vorbereiten konnten.

»Wolltest du nicht schlafen gehen?« Sins tiefe Stimme riss mich aus den Gedanken.

Es gelang ihm nicht sehr oft, mich zu überraschen, da mein magisches Gespür bei ihm besonders sensibel reagierte. Schon als ich noch nicht erwacht war, hatte ich seinen Blick auf mir spüren können und inzwischen waren wir so aufeinander eingespielt, dass ich sogar bemerkte, wenn er nur minimal seine Magie benutzte. Doch gerade forderten mich meine Gedanken so sehr, dass ich nichts wahrgenommen hatte, als er aus dem Bad und vor das Bett getreten war. Er stand nur in seiner Unterwäsche vor mir und trocknete sich die Haare mit einem Handtuch ab. Mit einem Lächeln ließ ich meinen Blick über seinen Körper wandern. Er war gut trainiert, was er als mein Wächter ja auch sein musste, und obwohl wir bereits so lange zusammen waren, konnte ich mich einfach nicht an ihm satt sehen. Seine blonden Haare fielen ihm leicht in die Augen und ich liebte es, mit den Fingern hindurchzustreichen. Und obgleich die Verliebtheit bereits vergangen war und wir unsere rosa Brillen abgelegt hatten, wurde mir immer noch ganz anders, wenn er mich mit seinem atemberaubenden Lächeln bedachte – so wie jetzt. Die Verliebtheit war zu etwas Tieferem geworden und das machte mich unbeschreiblich glücklich.

»Eigentlich schon, aber irgendwie hat mich mein Unistoff nicht losgelassen«, antwortete ich ihm.

Mit einem gezielten Wurf beförderte Sin das Handtuch auf einen Stuhl, der in der Nähe stand.

»Soll das bedeuten, ich muss dir helfen den Kopf abzuschalten?«, fragte er mit einem Leuchten in den Augen. Ohne auf eine Antwort zu warten, kam Sin zu mir aufs Bett und klappte mit einem intensiven Blick in meine Augen den Laptop zu.

»Das ist unfair«, erwiderte ich leise, als er mir so nah kam, dass ich seinen Atem auf meinen Lippen spüren konnte.

»Was genau?«

»Dass du mich so einfach um den Finger wickeln kannst.« Ich atmete tief ein, wodurch meine Brust die seine berührte, und seufzte.

Ein verführerisches Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. »Das kommt dir nur so vor, denn eigentlich bist du es, die mich mit Leichtigkeit um den Finger wickelt«, flüsterte er und schob eine Hand unter mich, um meine Hüfte zu sich zu ziehen. »Ich kann dir einfach nicht widerstehen.«

Und dann küsste er mich mit all seiner unbändigen Leidenschaft. Ich schloss wohlig die Augen und ließ mich zurücksinken. Sin folgte mir und ich schlang die Beine um seine Hüften, um ihn nah an mich heranzuziehen. Das würde sich zwischen uns wohl nie ändern.

***

Sin

»Du musst die Klinge schneller drehen«, wies Thunder Miriam an und Sin sah zu, wie seine Freundin versuchte dem nachzukommen.

Es war Samstagmorgen und Fire hatte die Wächter hier in Frankfurt überreden können ihnen einen Trainingsraum zur Verfügung zu stellen. Erneut übten die beiden Frauen die Bewegungsabfolge und dieses Mal schien Thunder zufrieden. Normalerweise unterwies Hurrikan Miriam in den Kampfkünsten, doch an diesem Wochenende hatte er sie nicht begleiten können, weswegen diese Aufgabe Thunder übernahm. Eigentlich war der Kampf mit zwei Klingen Sins Spezialität, aber noch immer weigerte er sich Miriam im Kampf zu unterrichten. Seiner Meinung nach brauchte sie es nicht, weil sie ja ihn und die anderen Wächter an der Seite hatte. Doch Miriam wollte es unbedingt lernen, da sie sich im Notfall verteidigen wollte, was im Nahkampf mit dem Bogen nicht möglich war.

Als sie vor einem knappen Jahr mit dem Wunsch, den Klingenkampf zu erlernen, an ihn herangetreten war, stritten sie sich heftig und Miriam weigerte sich daraufhin einen ganzen Tag lang mit ihm zu reden. Sin hatte das schwer zu schaffen gemacht, da solch ein Streit genau der Grund war, weswegen er zu Anfang gezögert hatte mit Miriam eine Beziehung zu beginnen. Doch am Abend war sie mit Tränen in den Augen zu ihm getreten, um sich bei ihm zu entschuldigen.

»Ich möchte mich nicht mit dir wegen so etwas streiten«, hatte sie zerknirscht zugegeben. »Damit bereite ich dir nur Sorgen, was ich nicht möchte. Ich liebe dich so sehr, dass ich deine Wertvorstellungen nicht einfach übergehen kann. Wenn du also nicht möchtest, dass ich den Klingenkampf lerne, werde ich es lassen.«

Da erst hatte er verstanden, wie tief ihre Gefühle für ihn wirklich gingen. So tief, dass sie einen ihrer Wünsche für ihn aufgeben würde. Das gab den Ausschlag, dass er sich doch damit einverstanden erklärte, und irgendwie empfand er inzwischen das Gefühl, dass der Streit sie noch näher zueinander gebracht hatte. Seitdem vermieden sie es jedoch, sich wegen der Arbeit zu streiten.

Vor ein paar Wochen, als Sin der Überzeugung gewesen war, dass Miriam gut genug mit den ausgesuchten Langdolchen umgehen konnte, hatte er ihr eine kunstvolle Scheide geschenkt, die sie um die Hüfte tragen konnte, wobei die beiden Klingen kurz über ihrem Steiß lagen. Das ermöglichte ihr leicht an die gebogenen Waffen heranzukommen, ohne dass diese sie behinderten.

Gerade brachte Thunder Miriam bei, wie sie die Klingen schnell genug ziehen und in Position bringen konnte. Die Wächterin griff sie an, sprang mit einem durch Magie verstärkten Sprung über sie hinweg und versuchte Miriams Rücken zu treffen. Behände rollte diese ab, zog in der Bewegung die Klingen und wehrte Thunders mit einem hellen Geräusch ab. Es sah furchtbar knapp aus.

»Ich dachte, die Erwachten können keine Magie benutzen«, hörte Sin jemanden über ihm sagen.

Er, Sophie und Fire standen an einer der Wände und sahen den beiden Frauen beim Training zu. Über ihnen zogen sich jedoch Ränge entlang, über die man in andere Trainingsräume gelangte. Und dort hatten sich inzwischen eine ganze Menge Jäger versammelt, um der Erwachten zuzusehen.

»Kann sie auch nicht«, rief Sophie leise nach oben.

Die Jäger beugten sich nach vorne, um sie anzusehen.

»Soll das heißen, dass sie ihrer Wächterin mit normalen Reflexen ausweicht?«, fragte ein junger, bulliger Mann zweifelnd.

»Das ist der Sinn dieser Übung«, bemerkte Fire und folgte den beiden Frauen mit Blicken. »Miriam soll in der Lage sein, auch magiegestärkten Bewegungen auszuweichen.«

Anerkennendes Gemurmel kam auf. Sin konnte sich ein stolzes Lächeln nicht verkneifen. Schon immer besaß Miriam einen starken Willen und jede Menge Kampfgeist. Und so verbissen, wie sie an jede Aufgabe heranging, widmete sie sich auch ihrem Training, seitdem Fire sie dazu angehalten hatte. Nach zwei Jahren mit ihren Wächtern konnte sie inzwischen ausgezeichnet mit dem Bogen umgehen und auch ihre Leistung mit den Dolchen ließ sich sehen, ihre Reflexe reagierten äußerst schnell und ihr magisches Gespür suchte seinesgleichen. Auch an ihrem Körper waren die Trainingseinheiten nicht spurlos vorübergegangen. Noch immer sah sie sehr zierlich aus, doch sie war stärker geworden, ohne so durchtrainiert zu sein wie Sophie oder Thunder, was Sin sogar besser fand. Ihre weiblichen Rundungen durften gern so bleiben. Selbst wenn sie nicht seine Freundin, sondern nur seine Erwachte sein würde, wäre er extrem stolz auf sie.

Doch im Moment scheiterte sie an der Aufgabe, die Thunder ihr stellte. Es war die Erweiterung der vorherigen Übung, bei der Miriam nach der Rolle in einen Angriff übergehen sollte. Thunder bemühte sich ihr alles genau zu erklären und zu veranschaulichen, aber sie war nicht Hurrikan und es nicht gewohnt, jemandem etwas beizubringen. Kurz zögerte Sin, aber wenn Miriam den Klingenkampf lernte, sollte es richtig sein. Er stieß sich von der Wand ab, an die er sich gelehnt hatte, und trat zu den beiden Frauen. Überrascht sahen sie ihn an.

»Vielleicht verstehst du besser, was Thunder meint, wenn ich es dir einmal vormache«, bot er an und Miriam hob die Augenbrauen.

»Wie kommen wir denn zu der Ehre?«

»Ich will nur nicht, dass du dir wehtust«, sagte er mit einem Grinsen und strich ihr mit den Fingern sanft das Kinn entlang.

Sie schnaubte belustigt, reichte ihm aber ihre beiden Klingen. Es waren zwei elegante Waffen, nur knapp dreißig Zentimeter lang und um einiges leichter als die Klingen, die Sin normalerweise verwendete. Geschickt drehte er sie in den Händen, um ein Gefühl für sie zu bekommen, und nahm dann Miriams Platz ein, während sie ein paar Schritte zur Seite machte.

»Du musst schauen, dass du während der Rolle die Orientierung behältst und noch bevor du sie abgeschlossen hast, den Körper drehst, damit du dich gezielt abdrücken kannst«, erklärte er und gab Thunder ein Zeichen.

Die Wächterin griff an und bemühte sich genau wie bei Miriam in seinen Rücken zu gelangen. Sin rollte sich ab, nutzte seinen Schwung, um herumzuwirbeln und griff seinerseits Thunder an, bevor die Wächterin überhaupt ganz mit ihrer Bewegung abgeschlossen hatte. Überrascht riss sie die Augen auf und wehrte Sin nur mit Mühe ab, konnte seinen Schwung aber nicht mehr ausgleichen. Sin nutzte ihren unsicheren Stand und riss sie zur Seite um. Mit einem erstaunten Geräusch stürzte Thunder zu Boden und Sin stoppte seinen Angriff. Die eine Klinge lag an Thunders Hals an und die zweite schwebte direkt über ihrem Auge.

»Gewonnen«, meinte er zufrieden und Thunder biss fest die Zähne aufeinander.

»Du hattest nur Glück.«

Sin lachte und half ihr wieder auf.

Miriam trat zu ihnen, einen nachdenklichen Ausdruck auf dem Gesicht. »Lass mich raten: Du hast keine Magie verwendet?«

Sin schüttelte den Kopf. »Wie immer viel Übung und das Wissen, wie es funktioniert. Eigentlich dürfte es für dich mit deiner guten Körperbeherrschung kein Problem sein. Versuche es noch einmal. Ich korrigiere dich.«

Und tatsächlich schaffte es Miriam bereits nach der zweiten Wiederholung. Von sich selbst überrascht umarmte sie zuerst Thunder voller Glück und sah dann Sin strahlend an. Freudig öffnete er seine Arme für sie, als sie zu ihm kam. »Ich hab dir doch gesagt, dass es für dich kein Problem ist.«

»Danke, dass du es mir gezeigt hast, obwohl ich weiß, dass du gegen dieses Training bist«, meinte sie und lehnte sich dankbar an ihn.

»Wie gesagt: Besser ich zeige es dir, als wenn du dir stattdessen wehtun würdest«, erwiderte er mit einem Zwinkern und kassierte dafür einen leichten Schlag in die Seite.

»Hey, ihr Turteltauben«, rief Fire, »tut mir leid, wenn ich euch unterbreche, aber wir müssen langsam zur Besprechung.«

Sin sah auf seine Armbanduhr. Es war tatsächlich bereits halb zehn und Miriam und Thunder würden noch duschen wollen, bevor die Besprechung anfing.

»Alles klar, dann machen wir hier Schluss«, entschied er und die Jäger in den Rängen begehrten auf, applaudierten den beiden Frauen aber, als sie die Halle verließen. Irgendwie waren die Jäger alle gleich, egal wo sie arbeiteten.

Kapitel 3

Miriam

Am frühen Abend machten wir uns zusammen mit einem außergewöhnlich großen Trupp Jäger auf den Weg in den Untergrund von Frankfurt. Es war vorgesehen, dass wir über die U-Bahn-Gänge in das alte Tunnelsystem und von dort in die neuen Stollen der Suchenden gelangen sollten. In der Besprechung hatte man ihnen eine Karte gezeigt und ich konnte erstmals sehen, wie weit sich der Bereich erstreckte, den wir durchsuchen mussten, und irgendwie bezweifelte ich, dass wir alles an einem Tag absuchen konnten. Doch ich wollte vermeiden, dass wir am Sonntag noch einmal hineinmussten. Also würden wir heute so lange hier drinbleiben, bis wir das Nest gefunden hatten. Wenigstens hatten die Jäger uns versichert, dass es keine Königin gab, wodurch wir nicht mit irgendwelchen Überraschungen rechnen mussten.

Gerade führte uns Disdain, der Anführer der Jäger, durch die alten Abwassertunnel. »Wir haben bereits einen gewissen Teil der neuen Gänge erforscht, aber immer werden selbst unsere besten Späher verwirrt und in falsche Richtungen gelockt. Es ist uns schleierhaft, wie die Suchenden das anstellen«, gab er zu und schüttelte grimmig den Kopf. Er war ein großer, schlaksiger Mann mit braunen Augen und Haaren.

»Es ist fast so, als würden sie dort unten eine magische Quelle besitzen, die sie dazu verwenden, uns in die Irre zu führen«, versuchte Scar es zu erklären. Bei ihm handelte es sich um den besten Späher in Frankfurt und obwohl er sehr respektvoll mir gegenüber tat, konnte ich ihm seine Zweifel ansehen, dass ich etwas schaffte, woran er scheiterte. Scar machte seinem Namen alle Ehre, denn er war ein kleiner Mann mit vernarbtem Gesicht, aber freundlichen Augen.

»Was meint ihr mit einer magischen Quelle?«, fragte Fire und runzelte die Stirn.

Einen Moment suchte Scar nach Worten. »Immer wieder spüren wir eine magische Aura, die wir nicht wirklich zuordnen können. Sie zieht durch die Tunnel und überdeckt die Auren der Suchenden, weswegen wir so leicht in die Irre geführt werden können.«

»Und ihr erkennt sie nicht?«, fragte Sin zweifelnd.

Scar schüttelte den Kopf. »Sie ist uns vollkommen unbekannt und so stark, dass wir Späher es schwer haben, überhaupt etwas anderes wahrzunehmen. Stell dich schon einmal auf Kopfschmerzen ein«, meinte er an mich gewandt. Na das konnte ja noch ein Spaß werden …

Wir folgten Disdain durch die alten, langen Abwassertunnel, die halbrund und doch riesig über uns aufragten. Sie bestanden aus gemauerten Ziegeln und versprühten irgendwie einen besonderen Charme. Zum Glück waren sie schon vor Ewigkeiten stillgelegt worden und daher waren die breiten Rinnen in der Mitte trocken. Der Geruch ließ nicht erahnen, dass es sich um eine Abwasseranlage handelte. Ich roch nur Staub und Alter, was mir allerdings lieber war als der feuchte Gestank von Fäkalien.

Die Jäger hatten sich in einem weiten Kreis um mich und meine Wächter verteilt. Auch wenn wir hier auf einer Mission waren, um Suchende zu finden, bestand ihre oberste Priorität darin, mich zu schützen. Denn wenn ich in die Hände der Suchenden fiele, würde Deutschland innerhalb weniger Wochen von ihnen überschwemmt. Und dann wäre kein Limare mehr sicher.

»Dort ist der Übergang«, erklärte Disdain und deutete voraus, wo bereits einige seiner Leute warteten und die Umgebung sicherten. Der Übergang bestand aus einem Durchbruch der Tunnelwand und erinnerte mich irgendwie an Monsterfilme, in denen das Monster sein Nest im Abwassertunnel gebaut hatte. Ich schüttelte mich leicht. Wie ich solche Filme hasste.

Sin griff nach meiner Hand und ich blickte in sein amüsiertes Gesicht. »Keine Sorge, Godzilla wird dort nicht herauskommen.«

»Aber dass etwas Großes erscheint, schließe ich nicht aus, wenn ich an den gigantischen Suchenden vor zwei Jahren denke«, erwiderte ich leise und mit einem schiefen Grinsen.

Sin verzog das Gesicht. Daran erinnerten wir uns beide nicht gern, da ich damals durch einen ungefähr sechs Meter großen Suchenden beinahe in Sins Armen verblutet wäre. Nur durch die Heilung des Baumgeistes Alerandhera hatte ich überlebt. Allein bei dem Gedanken daran schien Sin mulmig zu werden, denn er biss die Zähne fest aufeinander. Ich lächelte ihn beruhigend an und drückte kurz seine Finger, bevor wir bei dem Durchbruch ankamen. Durch moderne Laternen aus Plastik leuchteten die Jäger das, was hinter dem Durchbruch auf uns wartete, recht gut aus. Wie ein dunkles Loch erstreckte sich ein kreisrunder Tunnel vor uns. Er schien mir nur ungenügend abgesichert und erinnerte mich an die Tunnel einer Maus. Himmel, allein daran zu denken, dass er durchaus einstürzen könnte, trieb mir die Angst in die Knochen. Aber wir mussten hinein.

»Irgendwie gefällt mir das nicht«, sagte auch Fire und Thunder konnte ihm nur zustimmen.

»Wer weiß, was sich in solchen Tunneln alles verbirgt«, sagte sie. »Habt ihr schon einmal darüber nachgedacht, einfach so viele Jäger wie möglich hineinzuschicken? Irgendjemand wird schon auf das Nest stoßen.«

Disdain schüttelte den Kopf. »Das Tunnelnetzwerk ist inzwischen so groß, dass wir nicht genügend Jäger zur Verfügung haben, um die Sicherheit der Einheiten bei solch einer Aktion zu gewährleisten. Ein einzelner großer Trupp ist das Sicherste, auch wenn wir dafür länger durch die Tunnel streifen müssen.«

»Und stattdessen schicken sie eine Erwachte hinein. Was natürlich sehr viel sicherer ist«, hörte ich Thunder murmeln.

»Trotzdem sehe ich Miriam ungern hier ohne einen nahen Ausgang«, erwiderte Sin etwas lauter.

»Nicht nur du«, versicherte Disdain, »aber wir wissen uns nicht mehr zu helfen. Wenn wir noch länger warten, erweitern sie die Tunnel auf die Größe der gesamten Stadt und dann bekommen wir sie gar nicht mehr heraus. Wer weiß, was sie dann hier unten anstellen.«

Ich atmete tief durch. »Dann schauen wir, ob wir das Nest finden«, meinte ich und trat an den Jägern vorbei zu dem Durchgang.

Meine Wächter folgten mir und auch Scar blieb an meiner Seite. Die Vorhut verschwand leise in dem neuen Tunnel und ich blieb an der Wunde der Wand stehen, um zu fühlen. Ich schloss die Augen und spürte sofort die Auren der Jäger, die vor mir die Gegend sicherten, und auch, dass Sin seinen Blick auf mich gerichtet hatte.

»Schau bitte weg, Schatz«, sagte ich abwesend und konnte Sins Grinsen beinahe fühlen.

»Wie du wünschst, meine Schöne.«

Noch immer nahm ich ihn an meiner Seite wahr, aber nun ließ das vertraute Gefühl seines Blickes nach und ich konnte mich mehr auf die Umgebung konzentrieren. Ob wir wohl je herausfanden, warum ich gerade ihn so intensiv wahrnahm?

Ein Hauch aus den Tiefen der Tunnel wallte auf und ich runzelte die Stirn. Es waren eindeutig Suchende zu spüren, aber auch ein anderer Hauch, der mir irgendwie bekannt vorkam.

»Spürst du, was ich meinte?«, fragte Scar leise und ich nickte. »Wenn wir weiter in die Tunnel vordringen, wird dieser unbekannte Hauch immer stärker.«

»Schauen wir, wie weit wir heute kommen«, unterbrach uns Disdain und scheuchte uns vorwärts.

Wir folgten mehreren Tunneln immer weiter hinab in die Tiefe. Die Lampen der Jäger halfen, damit wir nicht in vollkommener Dunkelheit unseren Weg suchen mussten, aber es herrschte trotzdem eine beklemmende Enge. Man sah, dass die Suchenden diese Wege erst vor Kurzem gegraben hatten und mir kamen sie sehr instabil und laienhaft gebaut vor. Ich hasste es, mich unter der Erde zu befinden, aber nun auch noch in Tunneln unterwegs zu sein, die in einem so schlechten Zustand waren, machte mich fast panisch, vor allem da wir kaum zu dritt nebeneinander laufen konnten. Sophie, die an meiner anderen Seite lief, drückte kurz meine Hand, um mir Mut zu machen, und am liebsten hätte ich mich in ihre Arme geworfen. Gegen Suchende zu kämpfen, die gern ihre Zähne in mein Fleisch schlagen wollten, war mir fast lieber, als hier durch die Dunkelheit und Enge zu laufen.

Die Jäger führten uns ein um den anderen Tunnel weiter. Wir passierten jede Menge Abzweigungen, aber Disdain und Scar schritten zielsicher durch die Gänge und beachteten die unwichtigen Tunnel kaum noch. Tatsächlich behielt Scar recht, denn der unbekannte Hauch wurde immer stärker.

»Dort vorne ist eine größere Höhle, in der viele Tunnel zusammenlaufen, ab dort wird es für uns unangenehm«, warnte mich Scar vor.

Ich wappnete mich, als wir die Höhle betraten, doch damit hätte ich niemals gerechnet. So weit wie erwartet erstreckte sich der Raum gar nicht, vielleicht fünfzig mal zwanzig Meter, aber durch gut ein Dutzend Tunnel, die hier endeten, strömten Unmengen an Magie herein. Sie trafen mich wie ein Schlag ins Gesicht und mit einem überraschten Geräusch taumelte ich. Sin und Thunder griffen schnell nach mir, um mich zu stützen. Scar fluchte.

»Ich weiß nicht wieso, aber der Hauch ist dieses Mal sogar noch schlimmer als sonst«, presste er aus zusammengebissenen Zähnen hindurch.

»Seid ihr zufälligerweise sonst immer nachts hier unten?«, fragte ich atemlos.

Disdain nickte mit einem besorgten Blick auf mich.

»Sin, wie spät ist es? Hat die Dämmerung bereits eingesetzt?« Ich hatte einen furchtbaren Verdacht.

Sin nahm eine Hand von meinem Arm und blickte auf seine Uhr. »Ja, seit einer halben Stunde etwa. Wieso?«

»Die Aura, sie erinnert mich an Alerandhera. Die Suchenden müssen versuchen mit der Magie des Baumes ihr Nest zu schützen«, erklärte ich und erntete verständnislose Blicke der Jäger.

Was genau damals vor zwei Jahren in München passiert war, wussten nur wenige außerhalb der Stadt, da noch immer nicht bekannt war, aus welchem Material die hellblauen Kristallkanülen bestanden, mit denen die Suchenden damals die Magie des Baumes abgesaugt hatten, und woher sie stammten. Fire fluchte und Sophie schlug die Hände vor den Mund, als ihnen klar wurde, was das bedeutete.

»Das heißt, sie haben herausgefunden, wie man den magischen Baum anzapft«, knurrte Thunder.

»Was? Die Suchenden klauen die Magie des Baumes?«, fragte Disdain fassungslos.

»Ja, daher kommt die Aura, die ihr spürt. Wenn das stimmt, was wir vermuten, dann laufen wir sozusagen in magischen Winden umher«, versuchte Sin zu erklären, ohne allzu viel zu verraten.

Mit schmerzendem Kopf griff ich nach der Lampe, die Disdain in der Hand hielt, und warf sie im hohen Bogen durch die Höhle. Durch die Verwirbelungen der Luft und das Licht der Lampe wallte die geballte Magie auf und einen Moment lang erstrahlte die Höhle in dutzenden wunderschönen Farben.

»Mein Gott«, flüsterte Disdain. Dann schlug die Lampe auf dem Boden auf und das Schauspiel endete, als die Glühbirne zerbrach.

»Was können wir dagegen unternehmen?«, fragte Scar und rieb sich erschöpft die Augen. Auch alle anderen mussten die Magie hier bemerken, selbst wenn sie ein niedriges Gespür und kein Training besaßen. Aber für die Späher und mich bargen diese Tunnel die wahre Hölle.

»Die Kanülen entfernen«, keuchte ich und deutete nach links. Von dort strömte immer mehr Magie heran und inzwischen konnte ich nichts anderes mehr wahrnehmen. Doch wenn wir die Wurzeln des Baumes fanden, dann wahrscheinlich auch die Suchenden, die sie anzapften. Mühsam kämpfte ich mich weiter voran. Die starke Magie drohte mich zu lähmen, aber ich schlug Sins Angebot, mich zu tragen, aus.

»Es kann nicht weit sein«, meinte ich und ließ die Jäger vorgehen.

Tatsächlich dauerte es jedoch noch gut eine halbe Stunde, bis wir die ersten Wurzeln des magischen Baumes entdeckten. Mein Kopf schmerzte so fürchterlich, dass meine Augen tränten, und trotzdem schaffte ich es noch irgendwie, die Richtung anzugeben, in die wir gehen mussten.

»Seht euch das an«, keuchte ein Jäger von vorn. Wir gelangten in einen breiten Tunnel, an dessen Seiten immer wieder dicke Wurzelstränge hervorbrachen und sanft in der Dunkelheit schimmerten. Doch wie Wunden in dem magischen Holz stachen überall die Kanülen hervor, die aus dem uns inzwischen geläufigen blauen Kristall bestanden und durch die langsam Magie von der Welt der Bäume in unsere sickerte. Gläserne Behälter standen darunter und fingen einen Teil der Magie auf. Wütendes Zischen drang aus den Tiefen des Tunnels zu uns, als die Suchenden unsere Anwesenheit bemerkten.

»Los, das ist unsere Chance«, rief Disdain und schickte seine Leute voran.

Meine Wächter wollten ihm folgen, aber ich hielt sie zurück. »Wartet. Wir müssen die Kanülen aus den Wurzeln ziehen und ich will mit dem Baumgeist reden.«

»Baumgeist?«, fragte Scar. Er sowie zwei weitere Späher waren bei uns geblieben. Die starke Magie beeinflusste sie zu sehr, um im Kampf von großem Nutzen zu sein.

»Miriam, du weißt nicht, ob dieser Baumgeist genauso freundlich zu dir sein wird wie Alerandhera«, gab Sin zu bedenken, ohne auf Scars Frage einzugehen. Thunder und Sophie machten sich derweil daran, die Kanülen aus den Wurzeln zu ziehen.

»Ich kann mir nicht vorstellen, dass dieser Baumgeist anders ist. Wir haben ihm ja nichts getan«, erwiderte ich und sah hoch in Sins Augen. Deutlich spürte ich seinen Unmut. Wenn es um meine Sicherheit ging, wollte er keine Risiken eingehen. »Lass es mich versuchen.«

Mit einem Seufzen strich er sich durch das Haar. Ich musste lächeln, weil ich diese Angewohnheit an ihm so liebte. »Na gut, aber ich mag es nicht, wenn sich ein magisches Wesen in deinen Geist einklinkt.«

»Ich versuche es kurz zu halten«, versprach ich und trat an eine der Kanülen. Sin und Fire nahmen neben mir Aufstellung, um mich im Notfall schnell wegzuziehen. Kampfgeräusche drangen von weiter weg zu uns, aber ich ließ mich nicht ablenken und legte eine Hand auf die Kanüle. Sofort wurde mein Bewusstsein davongerissen und mit einem Japsen versank meine Welt in Dunkelheit. Ich bemühte mich Ruhe zu bewahren und im nächsten Moment spürte ich die Anwesenheit einer zweiten Person, die sich mir neugierig näherte.

»Eine Erwachte?«, drang eine männliche Stimme in meinen Geist. Ich atmete auf, als ich nur Erstaunen und Neugier bemerkte, aber keine Feindseligkeit.

»Du bist der Baumgeist von Frankfurt, nicht wahr?«

»Ja«, antwortete er mir. »Und du bist die Erwachte, von der uns Alerandhera erzählt hat.« Verständnis wuchs in dem Baumgeist. »Du hast die Verbindung genutzt, die die Magieräuber geschaffen haben.«

Es war eher eine Feststellung, aber ich antwortete trotzdem. »Ja, wir sind bereits dabei, die Verbindungen zu kappen. Bald hast du deine Magie wieder für dich.«

»Vielen Dank, Erwachte. Ich war bereits am Verzweifeln, da ich nicht wusste, wie ich das Abfließen meiner Magie verhindern konnte. Diese Parasiten nagen bereits so lang an mir, dass meine äußeren Zweige zu verdorren drohten. Aber nun wird dies enden. Vielen Dank noch einmal. Doch wenn ich die Möglichkeit habe, mit dir zu reden, muss ich dir eine Frage stellen. Wieso hast du dich nicht mehr mit Alerandhera in Verbindung gesetzt? Bereits kurz nach eurem Zusammentreffen hat sie darauf gehofft, dass du wieder mit ihr sprichst. Sie hat Neuigkeiten für dich, die sowohl deine als auch unsere Welt betreffen.«

Ich runzelte die Stirn oder hätte es gemacht, wenn ich hier einen Körper gehabt hätte. »Was genau meinst du?«

Doch ich hatte das Gefühl, dass der Baumgeist den Kopf schüttelte. »Ich weiß es nicht. Wir Bäume kommunizieren nicht häufig miteinander und ich hatte in letzter Zeit zu viel mit dem Magieklau an meinen Wurzeln zu tun. Aber so wie mir geht es vielen Bäumen. Geh und rede mit Alerandhera. Sie wird dir mehr helfen können als ich. Meine Dankbarkeit wird immer mit dir sein.« Der Geist wollte sich zurückziehen, doch ich hielt ihn noch einmal auf.

»Darf ich deinen Namen erfahren?«

»Loderanon. Es war mir eine Freude, mit einer Erwachten zu reden. Aber nun muss ich meine verlorene Magie auffüllen.« Und damit schob er mich aus seinem Bewusstsein.

Kapitel 4

Miriam

Gierig sog ich die Luft in meine Lungen, als ich zurück in meinen Körper gestoßen wurde. Es fühlte sich an wie das Durchbrechen einer Wasseroberfläche nach einem langen Tauchgang. Sin und Fire stützten mich, als ich einen Schritt zurücktaumelte und dabei die Kanüle aus der sonst immateriellen Wurzel zog.

»Himmel, an dieses Gefühl werde ich mich nie gewöhnen«, keuchte ich und lehnte mich dankbar an meine Wächter.

»Alles in Ordnung? Konntest du wieder mit dem Baumgeist reden?«, fragte Sophie neugierig. Sie und Thunder waren fertig mit dem Einsammeln der Kanülen und standen mit gut einem Dutzend davon in den Armen bei uns.

»Ja, sein Name ist Loderanon und er hat mir nichts Gutes erzählt«, meinte ich mit einem Seufzen. Meine Wächter warfen sich besorgte Blicke zu, als ich ihnen leise erzählte, was ich von dem Baumgeist erfahren hatte.

»Wir müssen das so schnell wie möglich Sun erzählen«, meinte Fire mit finsterem Blick.

»Aber was könnte es sein, was uns Alerandhera mitteilen will?«, fragte Sophie.

»Wahrscheinlich wird es mit diesen Dingern zu tun haben.« Sin nahm mir die eine Kanüle aus der Hand. Selbst nach zwei Jahren wussten wir nicht, aus welchem Material sie bestanden und woher die Suchenden sie bekamen. Sun hatte uns aber erklärt, dass sie einer Spur folgte und sie die Kanülen, die wir in München entdeckt hatten, in eine Forschungseinrichtung geschickt hatte, wo sich Spezialisten darum kümmerten.

»Nun wird sie uns auf jeden Fall erlauben müssen mit Alerandhera zu reden«, meinte ich.

»Wärt ihr nun endlich so freundlich uns zu erklären, worum es hier eigentlich geht?«, fragte Scar leicht entnervt.

Doch Sin schüttelte den Kopf. »Wir müssen zuerst mit Sun und Shadow reden. Sie werden entscheiden, wie viel ihr erfahren dürft. Wir haben nicht die Befugnis dazu.«

Scar verzog missmutig den Mund, widersprach jedoch nicht.

»Kannst du uns vielleicht hier herausbringen?«, fragte Sin mit einem besorgten Blick auf mich, als ich mir erschöpft über die Stirn strich. »Wir müssen die Kanülen so schnell wie möglich wegbringen und euch wird es guttun, wenn ihr aus den magischen Winden herauskommt. Den Rest schaffen die anderen schon allein.«

Scar zögerte kurz, drückte dann aber einen Knopf an seinem Headset. »Disdain, wir bringen die Erwachte und ihre Wächter wieder nach draußen. Ihr kommt so weit klar?«

Er lauschte einen Moment auf die Antwort. Dann nickte er und winkte uns hinter sich her. Ich sah ihm an, wie zuwider es ihm war, nicht zu wissen, was hier vor sich ging. Doch Sun war sehr deutlich gewesen, als sie uns verboten hatte auch nur mit einer Person über die Kanülen und ihre Verbindung zu den magischen Bäumen zu reden. Zumindest so lange, bis sie mehr darüber herausgefunden hatte. Erschöpft und mit vor Schmerz klopfendem Kopf trabte ich hinter Scar her, hinaus aus dieser magischen Hölle. Es wurde Zeit, dass ich wieder einmal eine Pause von alldem Übernatürlichen bekam.

***

Wir entschieden uns noch am selben Abend wieder nach München zu fahren, da es meinen Wächtern sehr wichtig war, die Neuigkeiten mit Sun auszudiskutieren. Nach zwei Stunden Besprechung mit Shadow machten wir uns also auf den Weg nach Hause. Wir waren mit zwei Autos hierhergekommen und normalerweise genoss ich es, mit Sin kleine Wettrennen über die Autobahnen zu veranstalten, doch heute fehlte mir die Lust darauf und noch immer schmerzte mein Kopf von der Überdosis an Magie. Somit überließ ich Fire mein Auto und fuhr bei Sin mit.

»Möchtest du ebenfalls zu Sun?«, fragte er mich, als er auf die A3 fuhr. Wir hatten nun fast vier Stunden Autofahrt vor uns und würden wohl erst gegen vier Uhr morgens in München ankommen.

»Ihr wollt wirklich noch zu Sun?«, fragte ich überrascht und sah Sin mit hochgezogenen Augenbrauen an.

Er zuckte mit den Schultern und schenkte mir eines seiner charmanten Lächeln. »Du kennst mich doch. So etwas nagt an mir, bis ich es mit Sun klären kann.«

»Ich frage mich ehrlich, ob dir nicht zu langweilig wird, wenn wir nach Düsseldorf ziehen und nicht mehr für Sun irgendwelche Aufgaben übernehmen müssen.«

Sin lachte leise. »Wenn es nicht mehr die Wächtersachen sind, die mich auf Trab halten, dann bist du es, meine Schöne«, meinte er mit einem Grinsen und strich kurz über mein Bein.

»Jaja, jetzt wieder alles auf mich schieben«, neckte ich und lächelte ihn müde an. »Aber ich werde lieber nach Hause gehen, anstatt mir im Hauptquartier die Nacht um die Ohren zu schlagen. Dann kann ich morgen früh aufstehen und lernen. Ich muss einiges aufholen.«

»Wann habt ihr noch mal die erste Prüfung?«

»Am Dienstag schon«, grummelte ich und Sin sog scharf die Luft ein.

»Das ist wirklich nicht mehr viel Zeit. Schaffst du den Stoff bis dahin?«

»Muss ich ja.«

»Ich schaue, dass ich dir Sun die nächsten Tage vom Leib halte, versprochen«, meinte er und beschleunigte auf fast zweihundert.

»Schau eher, dass du Fire nicht abhängst.«

»Selbst wenn, er wird doch hoffentlich den Weg auch ohne uns nach Hause finden«, erwiderte Sin. »Versuch dich ein wenig auszuruhen.«

Dankbar legte ich ihm eine Hand auf den Oberschenkel und schloss die Augen. Wenig später hörte ich, wie Sin leise über das Headset mit meinen anderen drei Wächtern im Wagen hinter uns zu reden begann. Es störte mich nicht, eher beruhigte mich seine sanfte, tiefe Stimme und ein paar Minuten später schlief ich ein.

***

Ich erwachte erst, als Sin vor dem Haus stoppte, in dem wir beide wohnten. Müde reckte ich mich und sah auf die Uhr im Armaturenbrett. Scheinbar hatte Sin seine zweihundert Stundenkilometer durchgezogen, denn er hatte die gesamte Strecke in drei Stunden zurückgelegt.

»Wollt ihr wirklich noch ins Hauptquartier?«, fragte ich verschlafen. Ich wäre lieber mit ihm zusammen ins Bett gegangen, aber Sin nickte auf meine Frage.

»Wir haben Sun schon Bescheid gegeben. Sie wartet auf uns.«

Ich seufzte. »Na gut, aber dann nehme ich eine von denen hier mit.«

Sin sah mir verwundert zu, wie ich mich verbog, um nach der Tasche zu greifen, die auf dem Rücksitz lag. Wir hatten die Kanülen dort hineingepackt und ich entnahm ihr eine davon.

»Was willst du damit?«, fragte Sin mit einem Stirnrunzeln.

»Verhindern, dass Sun uns wieder alle wegnimmt. Ich will mit Alerandhera sprechen, egal was Sun dazu sagt.« Ich arbeitete mich wieder nach vorne und sah das Schmunzeln auf Sins Gesicht.

»Meine Freundin hält sich mal wieder nicht an Regeln. Das gefällt mir«, meinte er mit einem Funkeln in den Augen.

Ich musste lachen. »Und ich wette, dass Sun so etwas sogar schon ahnt.«

»Kann gut sein. Jetzt geh aber hoch und ins Bett«, sagte er, beugte sich zu mir und küsste mich sanft. »Ich schaue, dass es nicht zu lange dauert.«

»Das hoffe ich doch«, meinte ich und folgte ihm, als er sich von mir lösen wollte, um den Kuss noch eine Sekunde in die Länge zu ziehen. Dann stieg ich mit einem Lächeln aus. Fire trat sogleich zu mir, während Thunder mit einem Gähnen hinten in Sins Auto stieg.

»Ist es in Ordnung, wenn Sophie deinen Wagen nimmt? Sie würde auch gerne nach Hause«, erklärte er und ich sah die Straße hinunter, wo er meinen kleinen, silbernen Flitzer geparkt hatte. Er war ein Geschenk von Sun gewesen, nachdem ich den Wächtern ohne großes Murren bei einigen Problemen mit den Suchenden geholfen hatte. Ich wurde zwar nicht für die Aufträge bezahlt, aber Sun sorgte dafür, dass ich es nicht umsonst machte. Sophie stand neben dem Auto und wartete auf mein Okay. Ich reckte einen Daumen in die Höhe und winkte ihr dann zum Abschied. Sie warf mir eine Kusshand zu und stieg wieder in den Wagen, um nach Hause zu fahren.

»Lasst euch nicht zu lange von Sun aufhalten«, meinte ich zu Fire und umarmte ihn kurz, bevor ich Platz machte, damit er einsteigen konnte.

»Keine Sorge, Prinzessin. Um diese Uhrzeit macht sogar Sun kein großes Trara mehr. In spätestens zwei Stunden hast du deinen ersten Wächter wieder bei dir.«

»Ich verlasse mich darauf«, sagte ich und Fire zog die Tür zu. Sin startete den Motor, wartete jedoch noch darauf, dass ich das Haus betrat. Ich rollte mit den Augen. Auf den fünf Metern würde ich schon nicht überfallen werden. Aber er nahm seinen Job sehr ernst und damit auch meine Sicherheit, also würde ich mich nicht beschweren.

Einen Moment wog ich die Kanüle in meiner Hand und steckte sie dann kurzerhand in meine Handtasche, bevor ich an die Haustür trat und den Zahlencode eingab. Mit einem leisen Klicken öffnete sie sich und ich ging durch einen großen Flur, der mit einem dunklen, hochwertigen Holzboden ausgelegt war, auf einen gläsernen Aufzug zu, der sich zwischen einer Treppe befand und mich direkt in unsere Wohnung befördern würde.