Der Wald - Hansjörg Küster - E-Book

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Hansjörg Küster

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Beschreibung

Der Wald hat wieder Konjunktur. Für die meisten ist er Inbegriff von Natur, Gegenwelt zur Zivilisation. Dieser Band setzt den vielen Mythen und Mutmaßungen über das einmalige Naturphänomen Wald eine anschauliche Darstellung seiner permanenten Entwicklung und Veränderung entgegen. Der Wald ist nicht Wildnis, aber er dient auch nicht nur ökonomischen Interessen und der Erholung: Gerade angesichts der Erderwärmung kommt einer nachhaltigen und langfristigen Waldwirtschaft wachsende Bedeutung zu. Der Wald hat nicht nur eine Geschichte, stets ist er auch ein Spiegel unseres Umgangs mit der Natur.

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Hansjörg Küster

DER WALD

Natur und Geschichte

C.H.Beck

Zum Buch

Wald ist für die meisten Inbegriff von Natur, Gegenwelt zur Zivilisation. Dieser Band setzt den vielen Mythen und Mutmaßungen über das einmalige Naturphänomen Wald eine anschauliche Darstellung seiner permanenten Entwicklung und Veränderung entgegen. Der Wald ist nicht Wildnis, aber er dient auch nicht nur ökonomischen Interessen und der Erholung: Gerade angesichts der Erderwärmung kommt einer nachhaltigen und langfristigen Waldwirtschaft wachsende Bedeutung zu. Der Wald hat nicht nur eine Geschichte, stets ist er auch ein Spiegel unseres Umgangs mit der Natur.

Über den Autor

Hansjörg Küster ist Professor für Pflanzenökologie am Institut für Geobotanik der Leibniz Universität Hannover. Bei C.H.Beck ist zuletzt von ihm erschienen: Deutsche Landschaften. Von Rügen bis zum Donautal (2017).

Inhalt

Einleitung

1. Was ist ein Wald?

2. Der Baum

3. Vom Steinkohlewald zum Wald von heute

4. Der Wald als Ökosystem

5. Sukzessionen im Wald

6. Wälder der Erde: eine Momentaufnahme

7. Wald und Mensch in verschiedenen Landnutzungssystemen

8. Gewerbliche Nutzung des Waldes

9. Nachhaltigkeit im Wald

10. Ideen zum Wald

11. Schutz für den Wald

Literaturhinweise

1. Was ist ein Wald?

2. Der Baum

3. Vom Steinkohlewald zum Wald von heute

4. Der Wald als Ökosystem

5. Sukzessionen im Wald

6. Wälder der Erde: eine Momentaufnahme

9. Nachhaltigkeit im Wald

10. Ideen zum Wald

11. Schutz für den Wald

Bildnachweis

Register

Einleitung

«Der Wald steht schwarz und schweiget.» Mit diesen Worten beschrieb Matthias Claudius die Kulisse für das Geschehen der Nacht, den aufgehenden Mond, die steigenden Nebel. Aber der Wald ist keineswegs nur der Hintergrund, vor dem sich Natur und Kultur abspielen. Er ist Teil der natürlichen Dynamik. Wald ist nicht nur ein Inbegriff von Natur, sondern hat auch eine Geschichte. Jeder Baum wächst und stirbt ab, ein anderer Baum folgt ihm, vielleicht ein Baum von einer anderen Art. Dabei verändert der Wald sein Erscheinungsbild: Auch die Wälder der Erde sind einmal entstanden, und viele von ihnen sind auch wieder verschwunden, weil sich das Klima wandelte oder weil Kontinente sich langsam über die Erdoberfläche verschoben.

Ein Leben von Menschen auf der Erde ist ohne Wald nicht denkbar, und zwar nicht nur, weil sie aus ihm wichtige Ressourcen beziehen: Bauholz, Brennholz, Werkholz, auch Nahrung. Sondern Menschen gehen auch in den Wald, um eine andere Umwelt zu erleben als diejenige, in der sie jeden Tag leben und arbeiten. Wenige Menschen verdienen im Wald ihren Lebensunterhalt; manche beneiden sie darum.

Viele Ideen werden mit dem Wald verbunden. Märchen- und Fabelwesen sollen darin vorkommen, von denen man die einen schätzt, die anderen fürchtet. Ideen haben mit exakter Wissenschaft nichts zu tun, aber sie beeinflussen das Denken von Naturwissenschaftlern dennoch. Immer wieder setzen sie Wald mit angeblich konstanter Natur gleich und entwickeln Theorien zur Stabilität von Ökosystemen. Das sind Ideen, keine Tatsachen. Und verändert sich der Wald, so findet sich angeblich immer eine von außen einwirkende Ursache dafür, anstatt dass man zunächst einmal davon ausgeht, dass Wald sich von selbst verändert, weil er nämlich Natur ist, weil er eine Geschichte hat. Erst wenn man den Wandel des Ökosystems Wald nicht mehr allein als Ergebnis natürlicher Dynamik erklären kann, sollte man andere Ursachen dafür in Betracht ziehen, etwa den Klimawandel oder den Einfluss des Menschen.

Es ist mir wichtig, den Wald nicht so zu beschreiben, wie er ist, sondern wie er sich entwickelt. Viele Naturbeschreibungen können den Eindruck erwecken, als sei alles darin Dargestellte stabil, obwohl deren Verfasser dies eigentlich nicht intendieren. Dieser Eindruck darf nicht aufkommen: Wachstum und Absterben, Fressen und Gefressenwerden sind raschere Entwicklungen, Evolutionsprozesse dauern meistens sehr viel länger: Wichtig ist festzustellen, dass sich Natur bei alledem ändert, und das gilt selbstverständlich auch für einen Wald. Beständig sind nur die Ideen, die wir mit dem Wald verbinden. Ideen über den Wald sind wichtig für die Wissenschaft, und naturwissenschaftliche Tatsachen haben Bedeutung für alle, die den Wald als erhabene Schönheit sehen wollen. Beides zusammenzubringen, verbunden mit der Feststellung, dass sich alle für denselben Wald interessieren, ist eine wichtige Intention dieses Buches.

Ich bin meiner Mutter Ulla Küster dankbar dafür, dass sie die Texte dieses Buches gelesen hat, bevor ich sie an den Verlag schickte. Stefan Bollmann und Angelika von der Lahr danke ich wie nun schon so oft für die gute Begleitung des Manuskriptes vom Lektorat bis zur Drucklegung.

Grafenhausen im Hochschwarzwald, Herbst 2018

Hansjörg Küster

1. Was ist ein Wald?

Eine Antwort auf die Frage, was ein Wald ist, findet man im Deutschen Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm: «unter wald versteht man jetzt eine gröszere, dicht mit hochstämmigem holz, das aber mit niederholz untermischt sein kann, bestandene fläche. Wald unterscheidet sich von dem einen geringeren umfang habenden hain, wo die bäume auch weiter auseinanderzustehen pflegen (…), und dem aus niederholz bestehenden gebüsch.» Genauer kann Wald kaum definiert werden. Aber Wissenschaftler würden gerne exakter sein. Wie groß muss die von Bäumen bestandene Fläche sein, um als Wald zu gelten, wie hoch das «hochstämmige Holz»? Wo liegt der Unterschied zwischen Wald und Hain, wie weit stehen die Bäume in einem Hain und in einem Wald auseinander, und wie unterscheidet man den Wald von dem aus Niederholz bestehenden Gebüsch? Immer wieder wurde versucht, das zu präzisieren, etwa dadurch, dass man die Mindesthöhe der Bäume, ein Mindestmaß an Größe des Baumbestands oder einen Prozentanteil der Fläche festlegte, die von Bäumen bestanden sein mussten, damit man von einem Wald sprechen konnte. Aber keine dieser Definitionen übertrifft die aus naturwissenschaftlicher Sicht vage Erläuterung des Begriffs durch die Philologen, die am Deutschen Wörterbuch arbeiteten.

Forstwissenschaftler halten sich meist an eine rechtliche Definition des Waldes, die im Bundesforstgesetz niedergelegt ist: Danach ist ein Wald «jede mit Forstpflanzen bestockte Grundfläche. Als Wald gelten auch kahlgeschlagene oder verlichtete Grundflächen, Waldwege und Lichtungen.» Diese Definition steht mit derjenigen im Deutschen Wörterbuch im Widerspruch. Denn im Forstgesetz geht es um die Betriebsflächen des Försters und nicht um einen Pflanzenbestand.

Auch ein Naturwissenschaftler, ein Ökologe oder ein Vegetationsgeograph würde nur einen Bestand von Bäumen als Wald bezeichnen. In der Biologie ist der Wald eine Pflanzenformation, also eine Ansammlung vieler Pflanzen gleicher Form, in diesem Fall eine Ansammlung von Bäumen. Eine Lichtung gehört aus ökologischer Sicht nicht zum Wald. Für die Ökologie ist das Vorhandensein oder die Ausbildung eines Waldbinnenklimas ein entscheidendes Kriterium, das ein Wald aufweisen muss. Bei Sonnenschein dringt im Wald weniger Lichtenergie an den Erdboden vor als in der Umgebung eines Waldes. Der größte Teil an Licht wird vom Blätterdach der Waldbäume reflektiert. Aus diesem Grund steigt an einem Sonnentag die Temperatur im Wald nicht so stark an wie außerhalb, und es verdunstet weniger Wasser. Eine beträchtliche Menge an Feuchtigkeit wird im Wald zurückgehalten.

Das Waldbinnenklima hat auch eine große Bedeutung für die Umgebung des Waldes. Die sich dort stärker erwärmende Luft steigt auf, und der Luftdruck nimmt ab. Es bildet sich ein Gebiet tiefen Luftdrucks. Nicht so im Wald. Dort bleibt das Niveau des Luftdrucks bestehen; er ist bald höher als außerhalb des Waldes, so dass man von der Ausbildung eines räumlich begrenzten Hochdruckgebietes sprechen kann. Nun kommt es zu einer ausgleichenden Luftbewegung vom Gebiet hohen Luftdrucks in das Gebiet tieferen Drucks, und es weht kühle und feuchte Luft aus dem Wald mit der dort dicht gepackten Luft in dessen Umgebung, in der die Moleküle der Luft einen höheren Abstand untereinander haben. Das «kühle Lüftchen», das aus dem Wald in dessen Umgebung weht, trägt zur Stabilisierung des Lokalklimas auch außerhalb des Waldes bei, indem es dort zu einer Abkühlung führt.

Andere Verhältnisse stellen sich nachts ein: Dann wird warme Luft vom Blätterdach des Waldes zurückgehalten, während sie von den Freiflächen abgestrahlt wird. Auch im Lauf der Jahreszeiten spielt das in heimischen Wäldern eine Rolle. Außerhalb des Waldes gibt es noch spät im Frühjahr und bereits früh im Herbst Frost, aber im Wald liegt die Temperatur dann oft über dem Gefrierpunkt, und das sogar bei unbelaubten Bäumen. Auch der Gang der Temperatur im Jahreslauf ist im Wald gleichmäßiger als im Offenland, in einem Waldland insgesamt stärker ausgeglichen als in einem komplett waldfreien Gebiet. Im Winter hält sich die Wärme eher zwischen den Bäumen, der Schnee taut schneller, weil er nicht nur auf den Erdboden, sondern auch auf die Bäume fiel.

Man kann alle diese lokalklimatischen Eigenheiten messen, sie führen aber auch nicht zu einer grundsätzlich besseren Klärung der Frage, was denn ein Wald sei. Denn in einem dichten Waldbestand bildet sich das Waldbinnenklima besser aus als in einem lichten Baumbestand, in einem großen Wald besser als in einem kleinen. Sogar unter einem Einzelbaum oder unter einer Hecke, einem sehr kleinen «Wald» also, entwickeln sich Ansätze eines Waldbinnenklimas. Ganz klar ist aber: Das Waldbinnenklima entsteht nicht in allen forstlichen Betriebsbereichen, nicht über der Waldwiese, nicht über einem Kahlschlag. Die ökologische Definition bietet auch keine absolut klare Möglichkeit, zwischen einem Wald und einer Einfamilienhaussiedlung zu unterscheiden, in der es ebenfalls viele Bäume gibt. Auf einer Landkarte wird die Villensiedlung als bebauter Bereich angegeben, aber für viele Organismen ähneln die von Bäumen bestandenen Gärten einem Wald sehr stark. Sowohl im Wald als auch in solchen Gärten leben Amseln, Meisen oder Eichhörnchen, die man für typische Waldtiere hält, die aber heute vielleicht noch viel stärker charakteristisch für die in Gehölzbestände eingewachsenen Vorstadtsiedlungen geworden sind.

Man muss sich also damit zufriedengeben, dass man zwar wie selbstverständlich zu wissen meint, was ein Wald ist, aber dass es keine klare Definition für ihn gibt. Man kann einen Wald als Landschaft auffassen. Dann wird klarer, wie man bei einer Definition von Wald vorgehen muss. Jede Landschaft ist stets von natürlichen Entwicklungen, oft vom kultivierenden Einfluss des Menschen und immer von den Ideen geprägt, die über die Landschaft entwickelt werden. Ideen zur Landschaft gehen vom Menschen aus, eine Landschaft ist daher stets kulturell konstruiert: Auch ein Wald, der noch nie bearbeitet wurde, also als «Urwald» gelten mag, wird aus kultureller Sicht erkannt und als solcher bezeichnet. Jeder Wald ist daher insgesamt sowohl von Natur als auch von Kultur geprägt, wobei die Kultur zu einem Teil den kultivierenden Einfluss des Menschen meint und zu einem anderen Teil die Ideen, die von Menschen zum Wald geäußert werden.

Die Natur des Waldes tritt uns in seinem augenblicklichen Erscheinungsbild entgegen. Aber zu jedem Moment laufen dort natürliche Entwicklungen ab, die zu Veränderungen führen. Diese Prozesse sind für die Naturwissenschaft interessant: Fotosynthese und Atmung, die Beteiligung am Kreislauf des Wassers, das Wachstum der Pflanzen, die davon abhängige Entwicklung der Tierwelt und das Nahrungsnetz, die Symbiosen der Bäume und anderer Pflanzen mit anderen Lebewesen, in deren Verlauf Mineralstoffe durch die Bäume und den ganzen Wald transportiert werden oder Stickstoff aus der Luft fixiert wird, das Absterben der Bäume, der Abbau biologischer Substanz, der Ersatz eines abgestorbenen Baumes durch einen anderen, neu nachwachsenden. Alle diese natürlichen Entwicklungen führen auf lange Sicht zu Veränderungen des Waldes: Neue Baumarten breiten sich aus, andere verschwinden. Nichts bleibt konstant, wo Natur herrscht. Daher muss Natur auch als Prozess beschrieben werden.

Kultur des Waldes meint in erster Linie dessen Nutzung, die auf sehr verschiedene Weise betrieben werden kann. Die Kultur des Waldes, die Gewinnung des sehr wichtigen und beliebten Rohstoffes Holz, kann ebenso wie natürliche Einflüsse zu einer Veränderung des Waldes führen. Man kann aber auch anstreben, einen Wald so zu pflegen, dass er als Landschaft stets ein gleiches Aussehen aufweist. Dazu muss Holz entnommen werden, das ja natürlicherweise nachwächst; nach dem Fällen eines Baumes wird die Naturverjüngung des Waldes gefördert, oder es werden neue Bäume gepflanzt. Man kann mit dem Anstreben von Stabilität das kulturelle Ziel verbinden, eine bestimmte Vielfalt an Pflanzen- und Tierarten in einem Vegetationsbestand zu erhalten. Man kann sich auch dazu entschließen (auch das ist Kultur), einen Wald nicht zu bewirtschaften und auf diese Weise den natürlichen Entwicklungen freien Lauf zu lassen.

Falsch aber ist es, davon auszugehen, dass Wald von Natur aus stabil ist, durch menschliche Eingriffe aber destabilisiert, aus dem Gleichgewicht gebracht wird. Denn ein natürliches Gleichgewicht gibt es nicht; die vom Naturwissenschaftler betrachtete Natur führt stets zur Veränderung, genauso wie die Eingriffe des Menschen, wenn man es sich nicht zum Ziel macht, einen Wald so zu hegen und zu pflegen, dass er sich nicht verändert. Dies ist aber einzig als ein kulturelles Ziel zu verwirklichen, es besteht von Natur aus nicht.

Zu Natur und Kultur des Waldes sind zahlreiche Ideen entwickelt worden, die genauso ihre Berechtigung haben wie die präzise Erfassung natürlicher oder kultureller Prozesse, aber als Ideen kenntlich gemacht werden müssen. Da ist zuallererst der Begriff der Natur einer genaueren Betrachtung zu unterziehen. Er meint nämlich in unserem Verständnis nicht nur das, was der Naturwissenschaftler darunter versteht, sondern ist auch von der Idee der Stabilität eines Waldes, auch eines Waldökosystems geprägt. Diese Idee widerspricht der natürlichen Dynamik im Wald. Der Begriff «Natur» hat dadurch eine doppelte Bedeutung erhalten. Für den Naturwissenschaftler ist er mit Dynamik verbunden, als kulturelle Idee oder Vorstellung mit Stabilität.

Mit Ideen kann man versuchen, genauer zu definieren, was ein Wald ist und welche Typen von Wald es gibt. Das kann wie ein genaues Vorgehen wirken, setzt aber in jedem Fall eine Konvention voraus, die auch wieder verworfen und durch eine neue ersetzt werden mag. Allerdings ist angesichts aller natürlichen und kulturellen Veränderungen, die einen Wald als Landschaft im Lauf der Zeit beeinflussten, kaum damit zu rechnen, dass man vom Mittelalter an über die Zeiten hinweg stets genau dasselbe mit dem Begriff «Wald» bezeichnet hat. Immer wieder andere Menschen traten dem Wald gegenüber, sie hatten immer wieder andere Ideen und Absichten. Sie wollten den Wald nutzen, ihn neu schaffen, verbanden politische Ziele mit seiner Existenz oder seiner Nutzung, wollten ihn schützen.

Für die Beschreibung der Erde ist es sehr wichtig, verschiedene Typen von Wald zu erkennen und voneinander abzugrenzen. Auch diese Typen sind aber nicht mit der Natur des Waldes identisch, sondern sie sind auf der Grundlage von Ideen entwickelt worden, die sich bei der Analyse von verschiedenen Waldbildern einstellten.

Wald entwickelte sich überall dort, wo an der Erdoberfläche so viel Wasser vorhanden ist, dass es auch in die höchsten Wipfel der Bäume vordringen kann. Der Fall ist das heute zum einen in den Tropen, wo ein Tageszeitenklima herrscht und es so gut wie jeden Tag Regen gibt, und zum anderen in einem Bereich mit ausreichenden Regenmengen auf der Nord- und Südhalbkugel rings um die gemäßigten und borealen Zonen. Dort herrscht ein Jahreszeitenklima: Einige Monate im Jahr können sich Bäume sehr gut entwickeln, und dann folgt eine Jahreszeit mit Trockenheit oder Frost. Über die gemäßigten Zonen ziehen von West nach Ost Zyklone oder Tiefdruckgebiete hinweg, die so gut wie das ganze Jahr über abwechselnd Regen und Sonnenschein bringen, mit denen aber auch kalte Luft in den Süden und warme in den Norden transportiert wird. Im Norden, im Gebiet des borealen Nadelwaldes, der auch Taiga genannt wird, gibt es sehr häufig und lange andauernd Frost. Seltener, aber doch regelmäßig in jedem Winter sinkt die Temperatur in der Laubwaldzone der gemäßigten Breiten unter den Gefrierpunkt. Im mittelmeerischen Klima mit seiner Hartlaubvegetation tritt Frost nicht in jedem Winter auf, aber es können auch dort nur Pflanzen überleben, die den gelegentlichen Frost überstehen. Allein in den Tropen gibt es niemals Temperaturen unter dem Gefrierpunkt. Tropische Wälder mit ihren gleichmäßigen Bedingungen und Wälder mit ihren Jahreszeiten und zyklonalen Luftströmungen unterscheiden sich grundsätzlich. In den Tropen können sich das ganze Jahr über Blätter, Blüten und Früchte entwickeln. Das ganze Jahr über besteht ein ähnliches Nahrungsangebot für Tiere und Menschen. In Wäldern höherer Breiten machen sich dagegen mehr oder weniger deutlich Jahreszeiten bemerkbar, die zu einer Synchronisierung des Lebens führen: Die meisten Pflanzen bekommen zur gleichen Zeit frische Blätter, und sie verlieren sie auch zur gleichen Zeit. Blüten und Früchte entwickeln sich ebenfalls nur zu bestimmten Zeiten des Jahres. Das gesamte Leben muss sich auf Zeiten einstellen, in denen Nahrung zur Verfügung steht, und auf andere, in denen es an Essbarem mangelt.

In vielen Bereichen der Subtropen, im Inneren der Kontinente und in hohen Breiten, zu den Polen hin, können Wälder dagegen nicht gedeihen. Überall begrenzt letztlich die Trockenheit das Wachstum von Bäumen. Trockenheit ist nicht nur das Ergebnis geringen Niederschlags oder des Fehlens von Flüssen, die Wasser in klimatisch trockene Gebiete führen, so dass sich an ihren Ufern sogenannte Galeriewälder ausbilden können. Auch in arktischen Breiten vertrocknen Pflanzen. Bei Frost kann kein Wasser von den Wurzeln in die Bäume vordringen. Es gefriert, so dass es in den Bäumen zur sogenannten Frosttrocknis kommt. In Gegenden mit einer zu langen Frostperiode kann sich kein Wald entwickeln.

Prinzipiell gibt es also drei Waldgürtel auf der Erde, in den Tropen sowie sowohl auf der Nord- als auch auf der Südhalbkugel rings um die gemäßigten Breiten. Im Süden liegen aber nur kleine Kontinentalmassen in diesem Bereich, an der Südspitze Südamerikas, im Süden Afrikas und an den Südküsten von Australien und Neuseeland. Daher ist dort kein regelrechter Waldgürtel ausgebildet wie im Norden Eurasiens und in Nordamerika.

Wälder haben nur an wenigen Stellen einen scharfen Rand, etwa am Steilabbruch von Felsen. Andernorts gibt es sogenannte Grenzökotone, breite Übergangszonen zwischen dichtem Wald und waldfreiem Gelände. Und diese Grenzzonen verändern sich. Denn Samen und Früchte der Bäume fallen auch ins Gebiet außerhalb der bisherigen Baumbestände und keimen dort. Die Gehölzpflanzen wachsen so lange in die Höhe, bis ein begrenzender Faktor für ein weiteres Wachstum wirksam wird. In aller Regel bedeutet dies: Die Trockenheit auf Grund von Regenmangel oder von zu starker Kälte unterbindet die Zufuhr von Wasser und Mineralstoffen im Baum, und dieser stirbt ab.

Mit geographischen Methoden lässt sich eine Linie festlegen, die man als Waldrand auffassen kann und die man in eine Landkarte einzeichnet. Man lässt sie beispielsweise mitten durch das Ökoton verlaufen, wo sie eine Zone mit höheren Gehölzen von einer anderen mit niedrigeren Holzpflanzen trennt. Oder man zieht dort eine Linie, wo die äußersten, etwa fünf Meter hohen Bäume eines Waldes einen Anteil von 30 Prozent der Grundfläche des Landes bedecken. Aber diese Grenze, die dann auf einer Karte eingetragen ist, hat mit der natürlichen Grenze eines Waldes nichts zu tun. Diese ist nirgends so scharf ausgebildet, wie es beim Betrachten der Landkarte erscheint, an ihr verändern sich die ökologischen Bedingungen nicht, und man kann beim Blick auf die Landkarte auch nicht sagen, wo sich ein Waldbinnenklima ausbildet. Die auf der Landkarte eingezeichnete Grenze des Waldes ist in jedem Fall auf der Grundlage einer Idee gewonnen worden, nicht auf der Grundlage naturwissenschaftlicher Konstanten. Auf deren grober Angabe lässt sich ungefähr ermitteln, wo Wälder ihre Grenzen finden. Aber diese Grenzen verändern sich im Lauf der Zeit.