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Hansjörg Küster

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Beschreibung

Jahrtausende galten sie als unüberwindlich: Die Lage der Alpen zwischen dem früh zivilisierten Mittelmeer und dem sehr fruchtbaren, ebenso früh besiedelten Mitteleuropa machte aus ihnen lange Zeit einen Riegel, der überwunden werden musste, um die beiden Gebiete zu verbinden. Hansjörg Küster folgt der Geschichte der Alpen von ihrer Entstehung durch die Kollision der afrikanischen mit der europäischen Platte, ihrer Überformung durch die Eiszeitgletscher und der erstaunlich frühen Nutzung auch ihrer Hochlagen bis hin zu ihrer Erforschung und zum heutigen Tourismus. Die Alpen sind das erste Hochgebirge der Welt, das gut erschlossen wurde; hier wurde der Typ des Alpinen erstmals festgelegt. Doch diese Entwicklung hat auch Schattenseiten.

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Hansjörg Küster

DIE ALPEN

Geschichte einer Landschaft

C.H.Beck

Zum Buch

Jahrtausende galten sie als unüberwindlich: Die Lage der Alpen zwischen dem früh zivilisierten Mittelmeer und dem sehr fruchtbaren, ebenso früh besiedelten Mitteleuropa machte aus ihnen lange Zeit einen Riegel, der überwunden werden musste, um die beiden Gebiete zu verbinden. Hansjörg Küster folgt der Geschichte der Alpen von ihrer Entstehung durch die Kollision der afrikanischen mit der europäischen Platte, ihrer Überformung durch die Eiszeitgletscher und der erstaunlich frühen Nutzung auch ihrer Hochlagen bis hin zu ihrer Erforschung und zum heutigen Tourismus. Die Alpen sind das erste Hochgebirge der Welt, das gut erschlossen wurde; hier wurde der Typ des Alpinen erstmals festgelegt. Doch diese Entwicklung hat auch Schattenseiten.

Über den Autor

Hansjörg Küster ist Professor für Pflanzenökologie am Institut für Geobotanik der Leibniz Universität Hannover. Bei C.H.Beck sind jüngst von ihm erschienen: Deutsche Landschaften. Von Rügen bis zum Donautal (2017), Der Wald. Natur und Geschichte (2019).

Inhalt

Einleitung

1. Die Alpen – eine geographische Übersicht

2. Geologie der Alpen

3. Vegetation der Alpen

4. Frühe Besiedlung der Alpen

5. Die Herausbildung der für traditionell gehaltenen Alpenlandschaft seit dem Mittelalter

6. Die Schweiz, ein besonderes Land

7. Musik, Krippen, Dirndl und Lederhosen

8. Die Erschließung der Alpen für den Tourismus

9. Gegenwart der Alpen

Literatur

Allgemeine Literatur

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6 und 7

Kapitel 8

Bildnachweis

Register

Einleitung

Eine meiner ersten Alpenreisen führte mich in die Umgebung von Sankt Gallen. Meine Gastgeber brachten mich erst nach Einbruch der Dunkelheit in mein Quartier nach Teufen. So konnte ich mir noch keinen Eindruck der Umgebung des Hauses verschaffen. Am nächsten Morgen dann wartete eine große Überraschung auf mich: Ich öffnete das Fenster und eine wunderbare Landschaft war vor mir ausgebreitet. Unter einem herrlich blauen Himmel und der strahlenden Sonne lagen weite, frisch grüne Matten vor mir, darin eingestreut Einzelhöfe, die sich an einigen Stellen zu Dörfern verdichteten, dazwischen Kirchen mit spitzen Türmen. Dunkelgrüne Wälder bedeckten die Hügel.

Im Hintergrund stieg das Gebirge an. Auf dem unteren Teil des steilen Hanges erstreckte sich ein geschlossener Waldstreifen, darüber erhoben sich gebänderte Felsen, auf deren Spitzen Schnee lag; denn nur in den niedrigen Lagen war schon beinahe Sommer, in den Bergen herrschte noch Frühling. Ganz oben erkannte man die breit gelagerte Gipfelregion des Säntis. Ich hörte Kirchen- und Kuhglocken sowie deren Widerhall, und über der gesamten strahlenden Szenerie lag ein wunderbarer Duft nach frischem Gras.

Ich bin seitdem an vielen Orten der Alpen gewesen. Immer wieder überraschen Farben, Düfte und Klänge. Sie stehen in einem Zusammenhang, und es scheint mir besonders wichtig zu sein, diesen Zusammenhang zu erkennen: aus Gestein, Pflanzen und Tieren, Menschen, ihren Bauwerken, ihren Landschaften. Was soll man da besonders hervorheben? Natur? Kultur? Man muss beides sehen. Sicher sind die Alpen nicht nur zum Skifahren oder zum Bergsteigen da, aber genauso wenig kann man sie ausschließlich als Naturschutzobjekte, als Wildnis sehen. Ihre Landschaften sind von Natur, Kultur und zahlreichen Ideen geprägt, und all das ist zu entdecken, wenn man dieses eindrucksvolle mitteleuropäische Hochgebirge besucht.

Dieses Buch soll eine kleine Einführung sein, die Alpen kennenzulernen. Nicht jeder Bergzug oder Gipfel, nicht jeder Ort oder jedes Tal kann da Berücksichtigung finden. Aber wesentliche Gesichtspunkte sollten aufgeführt werden. Meine Mutter Ulla Küster hat die Texte des Manuskriptes als erste Leserin in Händen gehabt und mir wichtige Tipps gegeben. Im Verlag wurde es von Stefan Bollmann und Angelika von der Lahr betreut. Allen danke ich herzlich und widme dieses Buches dem Andenken an meinen Vater Götz Küster (1923–​2018), der ein begeisterter Alpenliebhaber war und mit dem ich bis in sein hohes Alter immer wieder in die Alpen gefahren bin.

Grafenhausen, im Januar 2020

Hansjörg Küster

1. Die Alpen – eine geographische Übersicht

«Die Alpen» ist ein Begriff, den man nur im Plural verwendet. Es ist nämlich nicht nur von einem Berg oder auch einem einzelnen Gebirge die Rede, sondern von vielen Bergen, ja sogar von vielen Gebirgszügen mit tiefen Tälern dazwischen. Die Alpen erstrecken sich vom Durchbruch der Donau an den Kleinen Karpaten in der Slowakei bis zum Apennin und zum Mittelmeer («Alpes maritimes» in Frankreich), an die sich südöstlich die Ligurischen Alpen anschließen. Die Bergzüge der Alpen weichen im Osten etwas auseinander; dort sehen sie auf dem Kartenbild wie die Fangarme einer riesenhaften Garnele aus. Auch der Westen der Alpen erinnert auf der Karte an die Form einer Garnele, deren hinterer Teil sich nach «unten», also nach Süden, biegt, hin zum Apennin, dem Hochgebirge, von dem das Rückgrat der italienischen Halbinsel gebildet wird. Die Alpen gehören zu einem Riegel von Hochgebirgen in Eurasien, die von West nach Ost verlaufen. Das westlichste Gebirge in dieser Kette sind die Pyrenäen an der Grenze zwischen Frankreich und Spanien. Die östliche Fortsetzung der Alpen sind die Karpaten, dann der Kaukasus an der Grenze zwischen Europa und Asien; in Asien gehört auch der Himalaja mit den höchsten Gipfeln der Welt zu diesem Gebirgsriegel. Das gesamte Gebirgssystem erhielt seinen Namen von den Alpen: Man bezeichnet es nämlich als «Alpidischen Gebirgsgürtel».

Die Alpen setzen sich aus mehreren Bergketten zusammen. Die meisten von ihnen haben ebenso wie das Gebirge insgesamt eine ostwestliche Erstreckung. Nur ein Teil von ihnen sieht so aus, wie wir uns die Alpen vorstellen; sie haben steil aufragende Felsen, und ihre Gipfel sind das ganze Jahr über von Schnee und Eis bedeckt. Andere sind waldreiche Anhöhen und ähneln eher Mittel- als Hochgebirgen. Weil viele dieser Bergzüge klangvolle Namen haben, müssen sie hier einmal aufgezählt werden.

Wie ein Mittelgebirge wirkt beispielsweise der Wiener Wald ganz im Nordosten der Alpen, von dem aus das ostösterreichische Bergland nach Westen zu immer höher wird, über die Eisenerzer Alpen zu den Niederen und Hohen Tauern. Nördlich davon erstrecken sich Dachstein, Salzburger und Kitzbüheler Alpen, südlich einige niedrigere Ketten, etwa die Fischbacher, Seetaler, Gurktaler und Gailtaler Alpen. Über die Karawanken verläuft die Grenze zwischen Österreich und Slowenien, über die Karnischen Alpen diejenige zwischen Österreich und Italien. Der mächtigste Bergzug des zu Italien gehörenden Südtirol sind die Dolomiten, denen die Venezianer Alpen im Südosten vorgelagert sind. Deren östliche Fortsetzung sind die überwiegend in Slowenien liegenden Julischen Alpen.

Im Westteil Österreichs, in Tirol und Vorarlberg, wo der Ostalpenstaat eine nordsüdliche Ausdehnung von nur etwa 50 Kilometern aufweist, schließen sich die Zillertaler, Ötztaler und Stubaier Alpen sowie die Verwallgruppe an die Kette der Hohen Tauern an. Nördlich davon, zum Teil an der Grenze zu Deutschland und den Bayerischen Alpen, sind das Karwendelgebirge, die Lechtaler und Allgäuer Alpen sowie der nicht so weit in die Höhe ragende Bregenzer Wald auf der Landkarte eingezeichnet. Die Grenze zwischen Österreich und dem Osten der Schweiz läuft am Kamm von Silvretta und Rätikon entlang. Letztere Gegend muss man von den Rätischen Alpen unterscheiden; diese bilden mehrere räumlich begrenzte Bergketten in Graubünden und reichen bis zur italienischen Grenze.

In der Zentralschweiz befinden sich weitere ostwestlich verlaufende Ketten, Glarner und Berner Alpen, südlich davon Tessiner und Walliser Alpen, nördlich die Appenzeller Alpen. Südlich der Rätischen Alpen gibt es in Italien noch die Bergamasker Alpen, die aus mehreren Ketten bestehen. Dabei wird leicht vergessen, wie weit sich die Bergmassive Norditaliens ausdehnen. Vom Alpenkamm, beispielsweise am Brenner und am Reschenpass, ist der Südrand der Alpen über 100 Kilometer entfernt; das ist mehr als die Entfernung von diesen beiden Pässen zum Alpennordrand.

Genauso oft wie die Weitläufigkeit der Alpen auf italienischem Staatsgebiet unterschätzt wird, denkt man auch nicht daran, wie groß die Ausdehnung der vielerorts einsamen Französischen Alpen ist. Am Westende des Hochgebirges erstrecken sich die Bergketten allerdings eher in einer Richtung von Nordost nach Südwest oder gar von Nord nach Süd, denn die Alpen biegen hier nach Süden um. Man kommt in die Savoyer und die Grajischen Alpen, die Dauphiné und die Cottischen Alpen sowie die See- oder Meeralpen, deren Bergzug sich nach Südosten bzw. Osten wendet. Im Westen vorgelagert sind Französische Kalkalpen und Provençalische Alpen; deren östliche Fortsetzung an der italienischen Riviera sind schließlich die Ligurischen Alpen.

Die Bergketten ordnet man den Nord-, Zentral- und Südalpen zu. Die Zentralalpen bestehen aus kristallinem Gestein, die Nord- und Südalpen aus Kalk. Daher bezeichnet man sie auch als nördliche und südliche Kalkalpen. Während die nördlichen Kalkalpen am gesamten nördlichen Gebirgsrand zu finden sind, gibt es südliche Kalkalpen nur im Ostteil des Gebirges. Man unterscheidet auch zwischen West- und Ostalpen und legt die Grenze ungefähr an den Rhein.

Man kann die einzelnen Bergzüge weiter untergliedern, es gibt noch mehr Begriffe für Teile der Alpen. Alle haben sie klangvolle Namen, mehr oder weniger vertraute Musik in den Ohren von Feriengästen. Viele von ihnen haben ihren Namen aber nicht von den Bergen, sondern von den Tälern oder Niederungslandschaften erhalten, an deren Rand sie aufragen. Die Berner Alpen erhielten ihren Namen von der Hauptstadt der Schweiz, die Bergamasker Alpen wurden nach Bergamo am Südrand des Gebirges benannt. Bei der Benennung der Allgäuer und der Bayerischen Alpen standen die Vorlandbereiche der Alpen Pate, und die Venezianer Alpen bekamen ihren Namen nach der Lagunenstadt am Mittelmeer. Namengebend für weitere Bergrücken waren die Täler nördlich oder südlich davon. Das gilt für die nach dem Fluss Gail benannten Gailtaler Alpen oder die am Lech gelegenen Lechtaler Alpen genauso wie für das Wallis, denn «val» oder «valle» sind Begriffe romanischer Sprachen für «Tal». Weitere nach Tälern benannte Niederungen sind das Engadin (nach dem rätoromanischen Namen «En» für den Inn), das Veltlin (italienisch Valtellina), das Große und das Kleine Walsertal.

Typischerweise verlaufen diese Täler ebenso wie die Bergzüge in ostwestlicher Richtung. Im Osten werden sie von Gewässern durchflossen, die die Alpen nach Osten verlassen; dazu gehören Inn, Salzach, Enns, Mur, Drau mit den Nebenflüssen Möll und Gail, Save, Tagliamento und Etsch (im Vinschgau). Dieser Fluss biegt in seinem weiteren Verlauf in Richtung Süden um. Auch Vorder- und Hinterrhein weisen nach Osten, denn beide Quellflüsse waren ehemals Oberläufe der Donau, bevor sie vom Rhein angezapft wurden und sich nach Norden wandten. Im Westen der Alpen nutzen weitere Fließgewässer die Längstäler der Alpen. Sie verlassen das Gebirge in westlicher Richtung, darunter die Rhône (im Wallis), die Adda (im Veltlin) oder die Durance zwischen den Cottischen Alpen und der Dauphiné. Im Gegensatz zu den typischen Längstälern, die in der Richtung der Alpen verlaufen, gibt es nur wenige Quertäler mit Flüssen in nördlicher oder südlicher Richtung. Diese Täler werden als Durchlässe zwischen den Alpenketten für heute wichtige Verkehrswege genutzt: das Salzachtal zwischen Dachstein und Salzburger Alpen, die Täler von Eisack und Etsch (Adige) westlich der Dolomiten, das Tal der Reuss westlich der Glarner Alpen und das Tal des Ticino, das östlich der Tessiner Alpen entlangführt. Einige Flüsse, die zu den wichtigsten und wasserreichsten in Europa zählen, entspringen in den Alpen, nämlich der Inn als Nebenfluss der Donau, Rhein, Rhône und Po. Die Europäische Hauptwasserscheide zwischen Strömen, die in die Nordsee und die ins Mittelmeer münden, verläuft auf gewundener Linie durch die Alpen, und zwar südlich des Rheins, der in jüngeren Phasen der Erdgeschichte seinen Einzugsbereich immer weiter nach Süden ausgedehnt hat, und zwar auf Kosten von Donau und Rhône, die gewissermaßen Teile ihrer Stromgebiete an den Rhein abtreten mussten: Er hat ein stärkeres Gefälle und bringt Wasser besonders schnell zum Meer.

Den Alpen im Norden vorgelagert ist das hügelige Alpenvorland, zu dem beispielsweise das Schweizer Mittelland, das Allgäu, Oberbayern und das Innviertel gehören. Südlich der Alpen dehnt sich die weite Po-Ebene aus mit der Lombardei, Venetien und dem Friaul. Von den Tälern und vom Vorland aus sieht man zwar die hoch aufragenden Berge, aber diese Niederungen sind natürlich keine Elemente einer Gebirgslandschaft. An vielen Orten der Alpen stehen die tief gelegenen trockenen Regionen in einem deutlichen Kontrast zu den hoch aufragenden Gipfeln.

Ein weiterer deutlicher Gegensatz besteht zwischen den trockenen und warmen, oft auch heißen Südhängen der Gebirgszüge und der Längstäler, auf die die Strahlen der Sonne im rechten Winkel treffen, und den Nordhängen, von denen einige nie oder nur sehr selten von der Sonne erreicht werden.

Die Bergketten am Nord- und Südrand der Alpen weisen ein niederschlagsreiches Klima auf, denn es kommt dort zu Steigungsregen: Der Wind treibt die Wolken an die Felsen, so dass die feuchten Luftmassen der Regenwolken aufsteigen müssen. Sie gelangen dabei in kühlere Luftschichten, wo der Wasserdampf der Wolken zu Regentropfen kondensiert: Es kommt zu ergiebigem Regen, den man am Nordrand der Alpen bezeichnenderweise «Schnürlregen» nennt. Im Winter können dort auch erhebliche Mengen an Schnee fallen, mehr als einen Meter hoch an einem Tag. Aber es gibt auch besonders viele Sonnenstunden am Nord- und Südrand der Alpen, und die Längstäler der Zentralalpen gehören zu den ausgesprochen trockenen Gegenden Europas, vor allem das Tal der Durance, das Wallis und der Vinschgau sowie das Drautal. Beides hängt mit dem Wetterphänomen «Föhn» zusammen, das für die Alpen typisch ist.

Steigungsregen und Föhn sowie deren Abhängigkeit voneinander sind in den Alpen erstmals beobachtet und erforscht worden. Bei südlichem oder südwestlichem Wind kann am Südrand der Alpen erheblicher Niederschlag auftreten. Sinkt dann die Luft, die einen Großteil ihrer Feuchtigkeit durch Steigungsregen verloren hat, nördlich der Bergketten wieder ab, erwärmt sie sich stark, so dass es zu einer warmen und trockenen Witterung in den Längstälern der Alpen und am Alpennordrand kommt. Der Föhnwind schwillt manchmal bis zur Sturmstärke an und lässt die Temperaturen um über zehn Grad ansteigen. Weht der Wind dagegen von Norden oder Nordwesten, regnet es an Bergkämmen der nördlichen Alpen, und die trockene und sich erwärmende Luft gelangt ebenfalls in die Längstäler und dann auch an den Südrand der Alpen.

Wenn sich Tiefdruckgebiete, die man auch Tiefdruckwirbel oder Zyklone nennt, von Westen nach Osten im Gegenuhrzeigersinn über Mitteleuropa und die Alpen bewegen (das ist häufig der Fall), weht der Wind im Norden der Alpen zuerst aus südlicher Richtung und bringt warme Luft mit sich. Die Luft erwärmt sich dann in der Föhnwetterlage noch zusätzlich, und ein Warmluftschwall erreicht das nördliche Alpenvorland. Hinter der Front eines Tiefdruckgebietes bricht der Föhn zusammen, der Wind dreht auf Nordwest, und kühle oder kalte Luft mit schweren Regenwolken dringt an den Alpenrand vor. Damit verbunden ist ein Temperatursturz um manchmal mehr als zehn Grad: im Winter von frühlingshaften Temperaturen bis zum Gefrierpunkt, im Sommer von nahe dreißig auf nur noch wenig mehr als zehn Grad. Das ist für viele Menschen sehr anstrengend, man spricht sogar von der Föhnkrankheit, die dann um sich greift. Aber möglicherweise wird sie ausschließlich durch den plötzlichen Wetterwechsel ausgelöst, zu dem es, wenn mehrere Tiefdruckwirbel aufeinanderfolgen, auch mehrmals innerhalb von wenigen Tagen kommen kann.

Steigungsregen und Föhn haben auch zur Folge, dass nördlich und südlich der Alpen oft völlig unterschiedliche Witterungsbedingungen herrschen. Dabei stellt man immer wieder fest, dass man nicht nur von verregneten Nordalpen in den sonnigen Süden fährt, sondern es kommt auch gar nicht so selten vor, dass es in Norditalien tagelang ergiebig regnet, während nördlich der Alpen die Temperaturen auf sommerliche Werte ansteigen.

Die Alpen liegen wie ein Riegel – oder, geht man von ihren einzelnen Bergketten aus, wie mehrere Riegel – zwischen Süd- und Mitteleuropa. Ihre Berge gehören zu den höchsten in Mitteleuropa. Ob sie die höchsten von ganz Europa sind, ist die Frage: Denn den Kaukasus, in dem es noch weiter aufragende Gipfel gibt, zählen die einen zu Europa, die anderen zu Asien. Der höchste Berg im Kaukasus ist der 5642 Meter aufragende Elbrus. In den Alpen gibt es keine Fünftausender; der höchste Gipfel ist der an der Grenze zwischen Frankreich und Italien, in den Savoyer Alpen liegende Mont Blanc (4810 m). Die nächsthöheren Gipfel ragen in den benachbarten Walliser Alpen auf, darunter die Dufourspitze als höchste Erhebung der Schweiz (4634 m) und das Matterhorn (4478 m). In den nördlich vom Wallis gelegenen Berner Alpen gibt es weitere Viertausender, darunter Finsteraarhorn (4274 m), Jungfrau (4158 m) und Mönch (4099 m). Der Eiger, der mit Jungfrau und Mönch ein eindrucksvolles Massiv bildet, reicht an die Viertausender-Marke lediglich heran (3967 m). In den Ostalpen gibt es nur einen einzigen Viertausender, nämlich den Piz Bernina (4049 m) im Süden der Rätischen Alpen (man kann ihn auch separat zur Berninagruppe zählen). Der ein Stück weiter östlich aufragende Ortler bringt es auf eine Höhe von 3905 Metern. Weitere hohe Gipfel der Ostalpen, allesamt um mehr als 1000 Meter weniger weit aufragend als der Mont Blanc, sind Großglockner (3798 m) und Großvenediger (3666 m) in den Hohen Tauern sowie die Marmolada (3343 m) in den Dolomiten. Die höchsten Alpengipfel in Deutschland, die Zugspitze (2962 m), und in Slowenien, der auf dem 50-Cent-Stück des Landes abgebildete Triglav (2863 m), zählen keineswegs zu den höchsten Erhebungen der Alpen.

Die Alpengipfel und vor allem die langen Ketten, in die sie eingebaut sind, beeinflussen das Wetter. Die Riegel sind aber auch der Grund dafür, warum die Querung der Alpen kompliziert ist. Sowohl Süd- als auch Mitteleuropa sind seit Jahrtausenden von Ackerbauern besiedelt, der Süden seit etwa 8000, der Norden seit etwa 7000 Jahren. Vor der Einführung moderner Verkehrsmittel herrschten südlich und nördlich der Alpen immer wieder völlig unterschiedliche kulturelle Verhältnisse. Im Süden entwickelten sich beispielsweise Staatsgebilde mit dauerhaft ortsfesten Siedlungen erheblich früher als im Norden: Am Mittelmeer bestanden staatliche Strukturen bereits einige Jahrhunderte vor Christi Geburt. Die Römer dehnten ihr Reich um Christi Geburt nach Norden aus und zogen den Limes als Grenze ihres Einzugsbereiches nördlich der Alpen. Im Mittelalter gab es nördlich und südlich der Alpen erstmals eine vergleichbare Kultur mit einer Infrastruktur aus Städten, ländlichen Siedlungen und Verkehrswegen. Unter Kaiser Konrad, im Jahr 1032, gehörten die gesamten Alpen zum Heiligen Römischen Reich deutscher Nation, das sich als Nachfolgestaat des Imperium Romanum verstand. Wichtige Handelsrouten führten über die Alpenpässe.

Im Lauf der Zeit gingen im Alpenraum sieben Staaten aus dem Heiligen Römischen Reich hervor. Die Schweizer Eidgenossenschaft löste sich 1291 vom Reich; die Schweizer wählten damit einen eigenen Weg in die moderne Freiheit. Zuerst gehörten ihr nur wenige Kantone an, später stieg ihre Zahl. Eine weitere Grenze bildete sich im Lauf der Zeit zwischen Frankreich, der Schweiz und deutschen Ländern heraus. Das kleine Fürstentum Liechtenstein wurde 1719 gegründet. Der moderne italienische Staat entstand seit 1861 und dehnte sich nach dem Ersten Weltkrieg weit in die Alpen aus, bis zum Brenner. Durch die Gründung des Deutschen Reiches 1871 wurde eine schon zuvor immer mehr zum Faktum gewordene Trennung zwischen Deutschland und Österreich besiegelt. Nach dem Ersten Weltkrieg verlor das damals aufgelöste Kaiserreich Österreich-Ungarn nicht nur Südtirol an Italien, sondern als weiteres Alpenland auch Slowenien an das damals neu gegründete Jugoslawien, von dem sich Slowenien als jüngster Staat im Alpenraum 1991 trennte. Es gibt noch einen weiteren kleinen Staat, den man zu den Alpenländern zählen kann, und zwar das Fürstentum Monaco an der Mittelmeerküste, dessen Eigenständigkeit bereits im Mittelalter begann.