Der Wobbit - Paul Erickson - E-Book

Der Wobbit E-Book

Paul Erickson

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Beschreibung

Vorbei ist es mit dem beschaulichen Leben des nicht gerade beliebten Bulbo Bunkins, seit er sich auf ein Abenteuer eingelassen hat, das jegliche Wobbit-Vorstellungskraft (und die ist nicht besonders groß) bei Weitem übersteigt. Nicht nur, dass er zum Brunch überraschend Besuch vom windigen Zauberer Pantsoff und dreizehn Zwergen bekommt. Er soll auch einen Drachen töten, die Grundstückspreise retten und ahnungslosen Fabelwesen überteuerte Ramschwaren verkaufen. Bulbo wird sich auf eine Reise begeben, zu der noch kein Wobbit aufgebrochen und von der folgerichtig auch noch kein Wobbit zurückgekehrt ist …

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Dieses Buch ist Mary Beth gewidmet, weil sie immer und immer wieder »Ja« zu diesem Projekt gesagt hat. Übersetzung aus dem Amerikanischen von Simon Weinert Vollständige E-Book-Ausgabe der im Piper Verlag erschienenen Buchausgabe 1. Auflage 2012 ISBN 978-3-492-95885-1 © Paul Erickson 2011 Titel der amerikanischen Originalausgabe: »The Wobbit« Deutschsprachige Ausgabe: © Piper Verlag GmbH, München 2012

Kapitel I

Ein unerwarteter Brunch

In einem Loch in der Erde, da lebte ein Wobbit. Genauer gesagt war es eine Kellerwohnung. Nicht so schmutzig, dass sie einer feuchten Höhle glich, aber auch nicht sauber und hell wie die Party-Bungalows am Strand. Insgesamt rangierte das Apartment eindeutig eher am ranzigen Ende der Skala. Zwar wird so manches Heim durch Pflanzen wohnlicher, doch im Haus des Wobbit wuchsen nur Schimmel an der Wand und Moder in der Badewanne. He, eine Kellerwohnung bedeutet nun einmal Schimmel.

Dieser Wobbit war kein sehr wohlhabender Wobbit, und sein Name war Muffin. Er jobbte in einem Kaffeeladen am Ort als Barista, immerhin eine ehrliche Arbeit. Davor war er Banker gewesen.

Die Muffins wohnten schon seit unvordenklichen Zeiten in Wobbingen, und zwar im bescheidenen Viertel von Muffend. Der Muffin unserer Geschichte hatte seine Kellerwohnung von Virginia gemietet, die im Vorderhaus einen Schönheitssalon betrieb. Ihm gefiel das Haus. In der Nähe gab es einen Waschsalon, wo er seine kurzen Westen und Kordhosen waschen konnte.

Muffin blieb meist für sich und mied Straßenfeste und Garagenflohmärkte. Wenn er mit seinen Wobbitnachbarn sprach, fühlte er sich immer wie ein Wobbit zweiter Klasse.

Das lag sicher daran, dass die Nachbarn in ihm tatsächlich einen Wobbit zweiter Klasse sahen. Trotz seines eigenbrötlerischen Lebenswandels kannte jeder die Muffins. Das lag an seinen Vorfahren. Über Generationen waren die Muffins so schwerfällig und vorhersehbar gewesen, dass man alle kannte, wenn man einen kannte. Und ohnehin wollte niemand mehr als einen von ihnen kennenlernen.

Dies ist die Geschichte von einem Muffin, der ein Abenteuer erlebte, Dinge tat, vor denen er normalerweise zurückschreckte, und Sachen sagte, die er normalerweise für sich behielt. Am Ende erlangte er damit aber dennoch nicht die Achtung der Nachbarn. Doch immerhin gewann er ein Vermögen und einen magischen Ring, der … doch ich greife zu weit vor.

Die Mutter des Wobbits, von dem wir reden – aber was zum Teufel ist eigentlich ein Wobbit? Ich glaube, dass die Wobbits einer Beschreibung bedürfen, denn sie sind selten geworden und gehen den großen Leuten mit guten Jobs aus dem Weg. Sie sind klein, richtig klein, und das wird von ihrer schlaffen Körperhaltung sogar noch betont. Wobbits sind so klein, dass sie regelmäßig Prügel von Kobolden beziehen. Wobbits sind deutlich kleiner als die meisten Kinder, sogar kleiner als ihre eigenen. So klein sind Wobbits, dass manche nicht einmal Beine haben, die lang genug sind, um den Boden zu berühren. Damit solltet ihr eine grobe Vorstellung haben.

Bärte sind nicht verbreitet, nicht einmal unter dem Kinn oder zu einem Schnurrbart gezwirbelt. Mit Zauberei haben sie nichts am Hut. Lediglich mit jener alltäglichen Magie, die ihnen hilft zu verschwinden, wenn man sie fragt, ob sie einem beim Umzug helfen oder einen rasch zum Flughafen fahren können. Sie tragen keine Schuhe, weshalb sie ausschließlich in Wobbitrestaurants essen gehen können. Ihre Füße sind groß und haarig, aber vielleicht wirken sie auch nur so groß, weil Wobbits sonst so klein sind. So ähnlich, wie Querstreifen einen dicker aussehen lassen.

Wie ich bereits sagen wollte, war die Mutter unseres Wobbits – der sich Milbo Muffin nennt – die sagenhafte Primadonna Tucke. Man erzählte sich, dass eine ihrer Tuckenvorfahrinnen vor langer Zeit einen Elben zum Mann genommen hatte. Doch dieses Gerücht fußte auf einigen traurigen Missverständnissen, was den Lebensstil der Elben anging. Folglich galten die Tucken bei den meisten Wobbits als sonderbar und wurden nur aus sicherer Entfernung beäugt, und das will schon etwas heißen. Seit Urzeiten pflegten sie eigenartige Vorlieben und trieben ziellos von einer Comicbörse zur anderen, verirrten sich auf Wargamer-Conventions und Mittelaltermärkte.

Eines Morgens in der Frühe der Zeiten, als es noch wenig Geräusche, aber dafür mehr von Ratten und ungeklärten Abwässern übertragene Seuchen gab, stand Milbo vor seiner Tür, aß einen Frühstücksburrito und trank dazu einen großen Kaffee Latte mit Haselnussaroma. Da ereignete sich ein merkwürdiger Zufall: Ranndarf schaute vorbei. Ranndarf! Wenn ihr auch nur ein Viertel von dem gehört hättet, was ich über ihn gehört habe, dann wäre mir viermal so viel zu Ohren gekommen wie euch.

Das meiste davon stimmt natürlich nicht. Das einzig wirklich Bemerkenswerte an Ranndarf war sein Talent, sich selbst anzupreisen. Obwohl er nun schon viele Jahre nicht mehr im Lande gewesen war, war er bei den Wobbits noch immer eine ebenso große Legende wie Rübezahl und Robert Downey Jr. Er hatte einen Stecken mit einer magischen blauen Spitze bei sich und trug gewaltige schwarze Stiefel mit Flügelkappen. Um den Hals hatte er sich aus reiner Affektiertheit einen Schal geschlungen.

Und er hatte einen langen, zotteligen Bart, der ihm, wenn er ihn nicht zurechtgestutzt hätte, noch über den Rand seines zwielichtigen Lederhuts hinausgeragt hätte. Ältere Wobbits, die Ranndarf vor Jahren gesehen hatten, behaupteten, es handle sich bei dem Bart in Wahrheit um wuchernde Nasenhaare. Das lag daran, dass die meisten älteren Wobbits regelmäßig ihre Nasenhaare scheren mussten.

»Einen schönen guten Morgen!«, sagte Milbo, und genauso meinte er es auch. Doch Ranndarf sah ihn über den Rand seines buschigen Schnurrbarts hinweg an.

»Was meinen Sie damit?«, entgegnete er schließlich. »Was soll das heißen, ›gut‹, und was soll ›Morgen‹ heißen?«

»Ähm, wie meinen?«, sagte Milbo.

»Genug gequatscht«, meinte Ranndarf. »Ich bin hier, um Ihnen das Angebot Ihres Lebens zu machen! Ich suche nach jemandem für ein kurzes, einfaches Abenteuer, das ich gerade vorbereite. So kurz und einfach, dass ich sogleich an Sie gedacht habe!«

Ich kenne den Kerl erst seit einigen Augenblicken, und schon fängt er an, Witze über »kurze« Leute zu machen, dachte Milbo. Aber er beschloss, Größe zu zeigen und höflich zu bleiben.

»Wir hier in Wobbingen sind einfache, rechtschaffene Langweiler«, erklärte Milbo. »Für Abenteuer haben wir nichts übrig. Die fressen einem nur die Urlaubstage auf und unterbrechen einen bei der Rasenpflege.« Er sah in die Ferne, als wäre er ganz in den Genuss seines Latte versunken. Doch der Alte rührte sich nicht und gab keinen Ton von sich.

»Guten Morgen!«, sagte Milbo schließlich. »Ich kaufe grundsätzlich keine Pfadfinderkekse, also werde ich mich bestimmt auch nicht von jemandem zu einem Abenteuer anwerben lassen, der von Haustür zu Haustür zieht. Versuchen Sie es lieber woanders, in Muffhöhe, Muffländer Wald oder in Obermuffdorf.« Er biss kräftig in sein Burrito, sodass Salsa auf Ranndarfs Robe spritzte.

»Was Sie mit Guten Morgen alles meinen!«, sagte Ranndarf. »Zu dumm, dass Sie die Salsaflecken damit nicht wegkriegen. Diese Magierrobe habe ich erst bei Memme & Haubitz gekauft.«

»Kennen wir uns?«, fragte Milbo. »Ich meine, Ihren Namen nicht zu kennen.«

»Nein – aber ich kenne Ihren, Herr Milbo Muffin.« Das war keine Kunst, denn Milbo trug sein Namensschild aus dem Kaffeeladen.

»Und Sie kennen meinen Namen auch, Sie wissen nur nicht, dass er zu mir gehört. Ich bin Ranndarf, und Ranndarf, denken Sie nur, das bin ich! Dass ich das noch erleben muss: Belladonna Tuckes Sohn will mich mit einem Guten Morgen abwimmeln, als ginge ich mit anpassbaren Hypotheken hausieren!«

»Ranndarf!«, rief Milbo aus. »Doch nicht der wandernde Zauberer, der dem alten Tucke ein Paar magische Rubinpantoffeln verehrte, die ihn heimbrachten, wenn er mal wieder nicht mehr wusste, wo er wohnte? Doch nicht der Kerl, der auf Partys so wunderbare Geschichten zum Besten gab wie die über den Jäger aus Kurpfalz und das Mädchen aus Ipanema? Doch nicht der Ranndarf, der mit seinen Schneeballsystemen die ganzen Anwälte beschäftigt hat? Ich bitte um Verzeihung, aber ich hatte keine Ahnung, dass Sie wieder auf freiem Fuß sind.«

»Ich war nie eingesperrt!«, wehrte sich der Zauberer. »Ich habe mich mit dem Staatsanwalt geeinigt. Zu dumm, dass meine Kollegen allesamt so offensichtlich schuldig waren. Aber egal, jedenfalls bin ich froh, dass Sie sich an mich erinnern. Ich werde Ihnen schon noch gewähren, was Sie erbeten haben.«

»Sie werden mir verzeihen?«

»Nein, ich gebe Ihnen einen Abdruck meiner gewaltigen schwarzen Stiefel auf Ihre vier Buchstaben! Danach scheinen Sie ja zu verlangen, seit Sie mich mit Salsa bespritzt haben. Sie können froh sein, dass ich für das Abenteuer keinen lädierten Hintern brauchen kann.«

»Tut mir leid! Ich wünsche keine Abenteuer, vielen Dank. Einen guten Morgen!« Doch Ranndarf wollte sich noch immer nicht rühren. Für den Fall, dass an den alten Geschichten über den Zauberer etwas dran war, überdachte Milbo seine Unfreundlichkeit noch einmal und setzte höflich, wenn auch unaufrichtig hinzu: »Schauen Sie doch morgen auf einen Brunch vorbei, da habe ich meinen freien Tag. Genau, morgen zum Brunch, ausgezeichnet!« Damit drehte sich der Wobbit um und krabbelte in seine Höhle zurück, wie es nur Wobbits und Einsiedlerkrebse können. So schnell er es übers Herz brachte, schloss er die runde Fliegengittertür.

Was habe ich mir dabei nur gedacht?, fragte er sich, als er zur Küchenzeile ging. Ein Schluck würde ihm jetzt guttun und seine angeschlagenen Nerven beruhigen. Er fand eine verkrustete Flasche mit Brombeerschnaps, die schon viel zu lange herumstand. Der würde den Zweck erfüllen, auch wenn er widerlich schmeckte.

Ranndarf stand noch immer vor der Tür. Nach einer Weile trat er näher und kratzte ein seltsames Zeichen auf die Aluminiumtür des Wobbits. Dann zog der Zauberer davon, gerade als Milbo seinen zweiten Cocktail ausgetrunken hatte. Dieser war so erschüttert, dass er den Tag krankfeierte.

Am nächsten Morgen hatte er Ranndarf und die Einladung zum Brunch völlig vergessen. Er merkte sich Termine nur, wenn er sie in seinen Elfskine-Kalender eintrug. Zum Beispiel so: Anruf beim Jobcenter, heute. Aber gestern war er viel zu sehr mit seiner abgelaufenen Flasche Brombeerschnaps beschäftigt gewesen, um die Einladung Ranndarfs einzutragen, auch wenn sie ohnehin nicht ernst gemeint gewesen war.

Kurz vor elf kam ein Klopfen von der Fliegengittertür, die das Geräusch in seiner Lautstärke noch intensivierte und mit einem Scheppern anreicherte, da sie wacklig im Rahmen hing. Jetzt erinnerte er sich! Rasch setzte er ein paar Eier auf, schnitt einige Melonenschnitze zurecht und suchte nach Champagner, um Mimosas zu mixen. Doch dann entschied er, doch lieber den widerlichen Brombeerschnaps zu servieren, und rannte zur Tür.

»Ganz nach der Mode zu früh, Ranndarf!«, sagte er, musste aber erkennen, dass keineswegs Ranndarf vor ihm stand. Es war ein Zwerg mit einem langen schwarzen Jazzerbart, den er hinter den Korduangürtel gesteckt hatte. Sogleich drängelte sich der Zwerg herein und sagte: »Quälihn von der SmithiBank. Hier meine Karte.« Er hielt Milbo eine Visitenkarte hin. Offenbar saß er im Aufsichtsrat der SmithiBank: Die Bank der Metallschmiede, Minenarbeiter und Mechaniker steht allen Zwergen und Kobolden seit dem Zweiten Zeitalter zu Diensten.

»Ähm, hi. Ich bin Milbo Muffin. Sehen Sie, ich erwarte einen alten Freund von auswärts, deshalb sollten Sie besser gehen. Das verstehen Sie doch. Übrigens habe ich auch bei der SmithiBank gearbeitet! Ich saß in der Wobbinger Filiale hinterm Schalter.«

»Ja, die Welt ist klein, was? Nichts für ungut! Ist das Omelette, was da so riecht?«

Milbo ging nicht auf die beleidigende Bemerkung über die »kleine Welt« ein. Gerade suchte er nach einer Erwiderung, die mehr Eindruck machte als sein »Sie sollten besser gehen«, als von der Fliegengittertür ein weiteres Scheppern herüberdrang.

»Ehrlich gesagt bin ich erleichtert, dass Sie gekommen sind, Ranndarf«, sagte Milbo an der Tür, doch es war wieder nicht Ranndarf. Stattdessen war es ein anderer Zwerg. Dieser war sehr alt und hatte weiße Koteletten. Er schob Milbo zur Seite.

»Pfählihn, Aufsichtsratsmitglied der SmithiBank. Hier meine Karte«, sagte er. »Wie ich sehe, kommen die anderen auch schon.«

Was geht hier vor?, fragte sich Milbo. Was wollen diese Zwerge? Die SmithiBank ist bankrott, aber vielleicht kennen die hohen Tiere andere Banker, die noch nicht bankrott sind. Soll ich sie etwa doch nicht fortschicken und das Ganze als eine Gelegenheit zum Networken nutzen? Wenn ich wieder einen Job bei einer Bank hätte, könnte ich mir wenigstens wieder eine private Krankenversicherung leisten.« Während seiner Arbeitslosigkeit war Milbo mithilfe des Quartz-IX-Programms weiterhin über die SmithiBank versichert gewesen, aber seine Beiträge waren schlichtweg ungeheuerlich gewesen.

Sie sollen auf eine Tasse Kaffee bleiben, beschloss Milbo, doch Pfählihn unterbrach seine Gedanken.

»Ich nehme einen Wodka Screwdriver und ein Omelette.«

Da klopfte es wieder an der Tür. Wie ihr euch inzwischen denken könnt, war es wieder nicht Ranndarf, sondern es waren weitere Zwerge mit weiteren Visitenkarten vom Aufsichtsrat der SmithiBank. Beide wiesen eigenartigen Bartwuchs auf und trugen seltsame Namen: Hilli und Billi.

»Bringen Sie uns ein paar Dunkin’ Donuts«, verlangten sie.

»Kommt sofort«, sagte Milbo. »Veranstalten Sie hier ein Treffen? Wäre ein Hotel dafür nicht besser geeignet? Ein Stück die Straße runter gibt es ein Bester-Schwarzweiß-Western-Hotel, und dort gibt es auch eine Lounge. Sie sehen mir nach starken Trinkern aus.«

»Wo ist der Schinkenständer?«, fragte Quälihn. »Ich will, dass meiner frisch vom Knochen geschnitten wird.«

»Ich geb Ihnen gleich was auf den Schinken«, sagte Milbo, als es erneut klopfte. Noch mehr Zwerge mit komischen Namen, Visitenkarten, Bärten und Speisewünschen. Es ging eine ganze Zeit lang so weiter, aber wahrscheinlich genügt es, wenn ich euch die Namen der Neuankömmlinge nenne und die Gespräche überspringe. Nun denn: Mori, Touri und Iro sowie Boing und Doing, auf die Bifi und Tofu und Fettsack folgten.

Zuletzt kam der Aufdringlichste und Anmaßendste von allen, und es handelte sich bei ihm um niemand Geringeren als den Aufsichtsratsvorsitzenden der SmithiBank höchstpersönlich, den großen Theorin Eichenkilt. Doch Fettsack hatte sich die Hand in Milbos klappriger Fliegengittertür eingeklemmt, und Theorin stolperte über ihn. Die sich anschließende Zwergenkarambolage in Milbos Flur wäre ein lustiger Anblick gewesen, wenn sie sich nicht in seiner Wohnung zugetragen hätte. Ranndarf, der als Letzter eintrat, fand sie jedenfalls lustig.

»Milbo, mein Junge, diese Zwerge verbreiten mehr gute Laune als die Feen-Pride-Parade«, sagte er. Dann stupste er die Gestürzten schadenfroh mit seinem Stock, den er je nach Gemütsverfassung und Trostbedürfnis als Stecken und Stab bezeichnete. »Meine Güte, ich verdurste. Was ist das? Ein Longdrink mit Brombeerschnaps? Nein danke! Für mich bitte einen Scotch, Single Malt. Einen Glenlivet.«

»Für mich auch«, sagte Theorin.

»Mir lieber einen Glenfiddich«, meldete sich Bifi.

»Hier bitte einmal Glennclose«, rief Tofu.

»Hier darf’s ein Glenngould sein«, verlangte Fettsack. »Wohltemperiert, bitte sehr, damit er fugenlos runtergeht. Mit einem Spritzer aus dem Bach, möglichst entkalkt, falls Sie das haben.«

»Seien Sie doch bitte so lieb und schmieren Sie ein paar Stullen!«, rief ihm Ranndarf hinterher. »Und bringen Sie ein paar Minihamburger und Frühlingsrollen!«

Wenn ich mich durch den Hinterausgang verziehen würde, wie lange müsste ich wohl warten, bis sie wieder weg sind?, dachte Mister Muffin. Er hatte nur selten Gäste, und bald waren alle Schüsseln, Gläser, Reisethermoskannen, Vasen und Souvenirteller in Benutzung. Das Ganze verblüffte ihn nicht zu knapp.

»Ach du gute Güte!«, sagte er. »Würde es Sie umbringen, wenn Sie mir ein bisschen zur Hand gingen?« Und siehe da: Vor ihm stand Theorin Eichenkilt.

»Ich würde Ihnen ja gerne helfen«, erklärte Theorin. »Aber der Arzt sagt, dass es mein Tod wäre. Ich habe ein seltenes Krankheitsbild. Doch vielleicht ließen sich einige meiner Vizepräsidenten durch Anreize zu einer Handreichung ermutigen.«

»Wären unsere Bonuszahlungen leistungsabhängig?«, wollte Quälihn wissen.

»Natürlich, und wie immer liefern wir nur allerbeste Arbeit ab. Würden wir momentan nicht in dieser Finanzkrise stecken, würde ich unsere Mission auf der Stelle als erfüllt erklären und dieses Abenteuer als vollen Erfolg verzeichnen. Da für uns Zwerge jedoch harte Zeiten angebrochen sind, können wir uns nicht mehr die Prämien von einst auszahlen. Also nur zu und frisch angepackt! Und lasst uns dabei ein Liedchen trällern.«

Und so fingen die Zwerge an zu singen, während einige abwuschen und andere weiter aßen und tranken, was kein besonders schöner Anblick war. Zwar halten Wobbits so manches an schlechten Tischmanieren aus, aber einem Dutzend Zwerge zuzuschauen, die mit vollem Mund und Krümeln im Bart arbeiteten und Lieder schmetterten, das war ein unvergessliches Erlebnis. Sie sangen ununterbrochen, während sie abwuschen und das »saubere« Geschirr aufräumten. Bald sah Milbos Küchenzeile wie eine Saftbar aus, in der ein Mord stattgefunden hatte. Immerhin hatten die Zwerge schöne Stimmen, und die Melodie war wohlbekannt.

Milbo Muffin lebt im Loch

I-ah, i-ah, oh!

Einen Teller gibt’s da in dem Loch

I-ah, i-ah, oh!

Eine Tasse geht klirr, eine Gabel macht zoing

Wein macht Klecks, Bier macht Fleck, allenthalben spritz, spritz.

Das gefällt dem Milbo nicht.

I-ah, i-ah, oh!

Das Silber schrubb’ mit deinem Bart

I-ah, i-ah, oh!

Leck den Teller, bis er glänzt

I-ah, i-ah, oh!

Der Bart macht kratz, und die Zunge macht schleck

Löffel kratz, Teller leck, Milbo kommt das Kotz, Kotz

Das gefällt dem Milbo nicht.

I-ah, i-ah, oh!

Spucke nimm als Politur

I-ah, i-ah, oh!

Für den Kessel und den Topf

I-ah, i-ah, oh!

Hineingespuckt, dann hineingespien

Einmal spuck, zweimal spuck, überall gespuckt-spuckt

Das gefällt dem Milbo nicht.

I-ah, i-ah, oh!

Noch übelkeiterregender als die Art und Weise, wie die Zwerge seine Küche auf Vordermann brachten, fand Milbo nur noch den Rauch ihrer Pfeifen, der sich in seiner Wohnung ausbreitete. Theorin hatte die Füße auf Milbos Couchtisch gelegt und blies Rauchringe. Verzweifelt suchte der Wobbit nach einem Winkel mit »frischer« Luft, was nicht einfach war bei so vielen Zwergen auf engem Raum. Wohin er sich auch wandte, Theorins Rauchringe folgten ihm.

Der Geruch war schwindelerregend. Es handelte sich um einen fürchterlichen Tabak. Wenn man einen Zwiebeldip für ein Picknick zubereitet und die Schüssel nachher ins mit Wasser gefüllte Spülbecken stellt, die Klimaanlage abschaltet und erst zwei Tage später vom Picknick wieder zurückkehrt, dann wird man von einem Gestank willkommen geheißen, der dem ähnelt, der Milbo nun in die Nase stieg. Auch Ranndarf qualmte. Er war ganz eingehüllt in eine Rauchwolke, und im trüben Licht wirkte er fremdartig und kränklich.

»Jetzt ein bisschen richtige Musik!«, sagte Theorin. »Packt eure Instrumente aus!«

O nein, dachte Milbo. Und natürlich zogen Hilli und Billi schon ihre Kazoos heraus. Mori, Touri und Iro zückten Nasenflöten, während Fettsack sich auf der Mandoline einspielte. Bifi und Tofu griffen zu ihren Löffeln, Pfählihn und Quälihn kramten Tamburins mit langen Bändern hervor. Theorin reichte man ein schweres Banjo mit Eisenrahmen. Nie hätte Milbo sich träumen lassen, dass man so viel Zeit damit zubringen konnte, ein Instrument mit nur fünf Saiten zu stimmen. Aber vielleicht war Theorin auch nur nicht mehr der Schnellste, nachdem er einige Gläser von Milbos Scotch getrunken hatte.

Als würden sie alle nach einer durchzechten Nacht vom selben Brechreiz erfasst, legten die Zwerge wie auf ein Kommando los. Die Musik fing an. Milbo lauschte und vergaß das zerbrochene Geschirr und alles andere um sich her, während es allmählich dunkel wurde.

Dann hob Theorin zu singen an. Milbo wurde in dunkle Lande hinweggeführt, unter seltsame Monde, an die Wasser der Westküste. Nie zuvor hatte er zwergischen Texten gelauscht, aber die Melodie kam ihm bekannt vor. Ja, genau, es war der Country-Song aus dem »Großstadtrevier«.

Die Zwerge einst im Rudel kamen,

Eröffneten ein Bankhaus

Weit hinter den Kübelbergen.

Dort saßen sie im Trüben

Und debattierten alles aus.

Es wachten ein paar alte Zwerge.

Kleine Zwerge, große Kredite,

Viel Schatten, kaum Licht

Im Vereinsamten Berg.

Kleine Kniffe, große Rendite,

Die wahre Zahlungspflicht

Zeigt sich im Vereinsamten Berg.

Wo das Rudel auch hinkam,

Gab es Darlehen für alle,

Für Häuser, Höfe und Heime.

Nahe den Fischen im trüben See,

Da bauten sie ihre Schalterhalle.

Pfeifendeckel. Alles im Eimer.

Da kam der Drache

Aus uralter Zeit,

Was der sich rausnahm,

Das ging zu weit!

Kleine Zwerge, großer Drache,

Viel Feuer, kaum Luft

Im Vereinsamten Berg.

Kleiner Happen, großer Rachen,

Die wahre Zwergengruft:

Der Drachenbauch im Vereinsamten Berg.

Als Seestadt in Schutt lag,

Nahmen wir tapfer Reißaus,

Das schien uns schwer angesagt.

Zu holen gab es nichts mehr,

Denn die Kreditnehmer, o Graus,

Waren tot, die Geschäfte vertagt.

Wenn die Bank bankrottgeht,

Sagen wir Lebewohl

Zu den Zwergenrudeln der Heimat

Und schwören mit edelsten Trieben,

Dass der Drache sterben soll,

Damit die Bank bald wieder aufhat!

Profit ist das Ziel

Seit uralter Zeit.

Dann wird wieder gefeiert,

Macht euch bereit!

Kleine Zwerge, große Kredite,

Viel Schatten, kaum Licht

Im Vereinsamten Berg.

Kleine Kniffe, große Rendite,

Die wahre Zahlungspflicht

Zeigt sich im Vereinsamten Berg.

Während sie so sangen, verspürte der Wobbit in sich die Liebe zum schnellen Geld, eine leidenschaftliche und eifersüchtige Liebe. Er teilte die Sehnsucht der Zwerge nach einem Kniff, mit dem man auf der Stelle reich werden konnte. In ihm erwachte etwas Tuckenhaftes, das Verlangen nach Reichtum, um seine Sammlung von Tüftenballmemorabilia zu vervollständigen.

Tüftenball ist ein ausschließlich von Wobbits betriebener Sport, den Milbo lange betrieben hatte – allerdings nur als Zuschauer. Bei dem Spiel jagten sich zwei Mannschaften aus Wobbits, von denen manche beinahe vier Fuß in die Höhe ragten, auf einem freien Feld und versuchten, große Kartoffeln (oder Steckrüben) zu fangen und sich gegenseitig zuzuwerfen. Trikots der einzelnen Teams waren leicht zu finden, aber teuer. Spielbälle dagegen bekam man fast gar nicht, egal zu welchem Preis, denn diese wurden normalerweise von den Spielern verspeist.

Milbo dachte an seine künftige Sammlung, bevor er aufstand, um seine jetzige zu betrachten und zu überlegen, welche Trophäe er als Nächstes kaufen musste. Er konnte es kaum erwarten, seinen Anteil an dem Zwergenjob zu verprassen, obwohl ihm noch keiner ein Angebot gemacht hatte.

»Wo wollen Sie hin?«, fragte Theorin. Da war Milbo klar, dass der Zwergenchef über seinen geheimen Wunsch Bescheid wusste. Doch er tröstete sich mit dem Gedanken: NurGenie erkennt Genie, wie die alte Primadonna Tucke zu sagen pflegte.

»Ich habe Durst«, erklärte Milbo. »Sonst noch jemand ein Leichtbier?«

»Wir wollen Dunkelbier«, sprachen die Zwerge im Chor. »Dunkelbier für zwielichtige Geschäfte.«

»Dann muss ich schnell eines besorgen gehen«, sagte Milbo und geriet mit dem Fuß in einen Eimer. Damit stolperte er scheppernd herum, bis er auf einen Rechen neben der Tür trat. Der Stiel traf ihn am Auge, und er stieß gegen einen Klapptisch, auf den die Zwerge nach ihrem letzten Lied die Instrumente gelegt hatten. Mit großem Lärm krachte der Tisch zusammen.

»Pscht!«, sagte Ranndarf. »So lassen Sie doch den Chef reden!« Und so begann Theorin.

»Ranndarf, Zwerge und Mister Muffin! Wir haben uns im Hause unseres Freundes und Mitverschwörers zusammengefunden, dieses ausgezeichneten und wagemutigen Wobbits – mögen die Haare in seinen Ohren niemals ausfallen! Alles Lob seiner gut bestückten Bar!« Er machte eine Pause, um dem Wobbit Gelegenheit zu einer höflichen Antwort zu geben, doch Milbo war zu sehr damit beschäftigt, mit seinem unverletzten Auge nach einem Ausweg zu suchen. Mit dem Wissen über Theorins berüchtigte Geschäftsdevise der SmithiBank – Solange du nicht geschnappt wirst, ist es kein Verbrechen – fand er es beunruhigend, dass dieser ihn »Mitverschwörer« nannte.

»Harumpf! Es wäre eine Vernachlässigung meiner Pflichten als Hauptgeschäftsführer der Neuen Smithi Finanzdienstleistungen XL, wenn ich, während wir unsere Reise planen, nicht auf die Gefahren dieser Unternehmung hinweisen würde. Finanziell steht sie auf soliden Füßen, aber körperlich ist sie eine Risikoanlage. Um genau zu sein, bestehen sogar tödliche Gefahren. Manche von uns werden womöglich nicht zurückkehren. Ich wäre erstaunt und sogar ein wenig enttäuscht, wenn nicht wenigstens drei von uns das Zeitliche segnen würden. Wenn Sie mal auf Seite 41 unsres Prospekts nachschlagen wollen, dort befindet sich eine Liste der blutigen Fährnisse, die unserer harren.« Er verteilte ein Schriftstück.

»Bevor jemand von Ihnen die Verzichtserklärung auf jegliche Haftpflicht unterschreibt, lese ich Punkt 26.4 laut vor: ›Diese Reise ist nicht rückversichert. Sie könnten einzelnen Körperteilen oder gar des Lebens verlustig gehen. Ihre voraussichtliche Überlebenswahrscheinlichkeit errechnet sich aus früheren Leistungen, stellt aber keine Gewähr für eine wohlbehaltene Rückkehr dar. Die Ergebnisse können schwanken.‹ Blättern Sie weiter zu Seite 78 und …«

Das war Theorins Stil. Die Zwerge und Ranndarf verfielen allmählich ins Dösen. Theorin hätte weitergemacht, bis alle, er selbst eingeschlossen, fest eingeschlafen wären, wenn es Milbo nicht zu viel geworden wäre.

Bei den Worten »manche werden womöglich nicht zurückkehren« spürte er einen Schrei in sich aufsteigen, wie es allen Tucken zuweilen geschah. Die Tucken waren sehr emotional und drückten das hin und wieder auf »unangebrachte« Art und Weise aus: Indem sie im Laden heulten, sich mit den Bedienungen zankten, sich einer Festnahme widersetzten, all so Sachen. Und wie es seine Ahnherren in grauer Vorzeit getan hatten, so tat nun auch Milbo und kreischte wie ein kleines Mädchen.

Die aufgeschreckten Zwerge sprangen bei dem durchdringenden Laut auf. Instinktiv schleuderte Ranndarf einen Zauberspruch, um sich zu verteidigen. Es tat einen mächtigen Donnerschlag, am Ende des Zauberstabs entzündete sich ein blaues Licht, doch weiter geschah nichts. Der Spruch hätte das Opfer des Magiers eigentlich auf halbe Mannesgröße geschrumpft, doch da der Zauber auf den verängstigten Milbo gemünzt war, passierte nichts.

»Tut mir leid«, sagte Ranndarf, doch Milbo, wie ein Fötus auf dem Boden zusammengerollt, konnte nur ein ums andere Mal schreien: »Ich bin getroffen! Die Ironie hat mich gefällt!« Ironie hatte schon immer eine durchschlagende Wirkung auf ihn gehabt.

»Ein erregbarer kleiner Bursche«, meinte Ranndarf. »Er bekommt komische, verrückte Anwandlungen wie alle Tucken, aber er ist wütend wie ein gezwickter Drache.«

Theorin wandte sich zu Milbo um, um ihn zu zwicken und Ranndarfs Aussage nachzuprüfen, doch der Wobbit hatte sich schmollend verzogen. Wenn ihr jemals einen gezwickten Drachen gesehen habt, so werdet ihr feststellen, dass dies eine poetische Übertreibung in Bezug auf einen Wobbit war. Selbst in Bezug auf des alten Tucken Urgroßonkel Müllquassler wäre es eine Übertreibung gewesen, und der war (für einen Wobbit) so groß, dass er in der Achterbahn einen Erwachsenensitz gebraucht hatte. Berühmt war dieser geworden, weil er Frieden mit den Orks geschlossen hatte, indem er deren König Golfimpfuhl zu einem langen Morgenspaziergang und einem anschließenden Umtrunk herausgefordert hatte. Am nächsten Tag war dem Orkmonarchen vor Schmerzen schier der Kopf geplatzt, worauf rasch ein Friedensabkommen ausgehandelt und das Golfspiel erfunden wurde.

Milbo mangelte es zwar an der Tapferkeit seines Urgroßonkels, doch er war ein ebenso standhafter Trinker. Während er schmollte, sah er sich nach den Resten seiner Whiskeysammlung um und entdeckte tatsächlich eine Flasche Glenorglenda, die den Zwergen entgangen war. Er nahm einen kräftigen Schluck und versuchte, das Vorgefallene auszublenden. Dabei vermochte er aber nicht zu verhindern, dass er dem Gespräch der Zwerge lauschte.

Da hörte er Doing Folgendes sagen: »Humpf! Glauben Sie, dass er es schaffen wird? Ein Schrei wie dieser wäre bei einem Junggesellenabschied schon total peinlich gewesen. Wie soll er erst auf Drachenjagd gehen? Bob und Matt, die beiden Typen, die mir den Bart stylen, sind wehrhafter als der Kurze da.«

Da meldete sich Mister Muffin zu Wort. Die kühnere Tuckenseite und der Scotch hatten die Oberhand über das muffig-träge Muffinnaturell gewonnen.

»Na schön, Mister Style-Bart«, sagte er. »Ich war nur eine Schalterkraft, als ich in der Wobbinger Filiale der SmithiBank für euch gearbeitet habe. Nie habe ich einen von Ihnen persönlich kennengelernt, aber ich habe Sie trotzdem nicht gemocht und tue es auch jetzt nicht. Sie sind ins falsche Loch gekrochen. An meiner Tür hängt vielleicht kein Schild, auf dem steht, dass ich Arbeit suche, aber ich brauche trotzdem eine, also machen Sie mir ein Angebot. Ich bin zu allem bereit. Ich hatte einen Ururgroßonkel, Müllquassler Tucke, und …«

»Ja, ja, und der hat das Golfen erfunden, aber das ist lange her«, sagte Doing. »Ich sprach von Ihnen, Sie halbes Maß. Und da ist sehr wohl ein Zeichen an Ihrer Tür. Einbrecher mit ausgewiesenem Talent in Heimlichkeit sucht ab sofort Anstellung mit Möglichkeiten zur persönlichen Weiterentwicklung. So liest man das Zeichen für gewöhnlich. Statt Einbrecher kann man aber auch Fachberater lesen, falls Ihnen das lieber ist. Das wollen die meisten. Von Ihnen haben wir durch Ranndarf erfahren, der uns zu diesem Meet & Greet eingeladen hat.«

»Sie haben die eingeladen?«, kreischte Milbo. »Diese Schweine trinken und fressen mich aus dem Haus und …«

»Milbo, mein Junge, das zahle ich Ihnen natürlich alles zurück«, beruhigte ihn Ranndarf. »Aber wen kümmert das schon? Wollen Sie nicht reich werden? Und an Ihrer Tür ist tatsächlich ein Zeichen, das ich dort angebracht habe, und dazu noch in fabelhafter Ausführung. Die Farbe bekommen Sie nie wieder ab. Doch lassen Sie uns nicht herumkritteln, Doing. Milbo ist unser Einbrecher, und ich bin überzeugt, dass er während des Arbeitsverhältnisses noch etwas dazulernen wird. Wenn Sie mir widersprechen, kündige ich, und Theorin kann sich einen neuen Projektmanager suchen. Sonst noch irgendwelche Bedenken?« Ranndarf wartete ab, doch Milbo, Doing und Theorin schwiegen.

»Ausgezeichnet. Wir sollten einen Blick auf die Karte werfen, die ich mitgebracht habe. Sie wurde von Board angefertigt, Ihrem Großvater, Theorin.« Theorin warf ihm einen Blick zu, der deutlich sagte: Ich weiß, dass er mein Großvater war. »Auf einer Seite ist ein Verbinde-die-Punkte-Bild und ein Wortsuchspiel, auf der anderen die Karte des Berges. Darauf sind SmithiBank Plaza, Seestadt, der Drache und unser Aufenthaltsort – hier, wo ›Ihr Standort‹ steht – eingezeichnet. Der Plan sieht folgendermaßen aus: Milbo schleicht sich mithilfe dieses Schlüssels durch den Diensteingang hinein und improvisiert von da an. Durch die verriegelte Tür zu kommen, ist die größte Herausforderung, glauben Sie mir. Den Drachen zu töten, sollte nicht sonderlich schwer sein, das überlassen wir am besten Milbo. Der wird das schon schaukeln, wenn es so weit ist. Noch irgendwelche Fragen?«

»Was hat es mit diesem Drachen auf sich?«

»Haben Sie während des Lieds vorhin nicht auf den Text geachtet? Die Karte? Der Prospekt?«, sagte Theorin. »Im Ernst, Ranndarf, konnten Sie keinen fähigeren Kerl auftreiben? Nun denn, dann singen wir unseren Titelsong eben noch einmal.«

Die Zwerge wiederholten das Lied. »Ich begreife es immer noch nicht«, verkündete Milbo darauf. »Könnten Sie statt des Lieds nicht einen Ausdruckstanz machen? Oder es mir einfach erklären?«

»Na, meinetwegen«, sagte Theorin. »Mein Großvater, Board, hat die SmithiBank aus dem Nichts aufgebaut, hat sie von einer kleinen Bausparklitsche in einen Bankenmonolithen verwandelt. Anleger aus der ganzen Welt haben uns ihr Gold und ihre Edelsteine gebracht. Andere wollten von uns Kredite. Durch Outsourcing, Automatisierung und haufenweise versteckte Gebühren haben wir die SmithiBank groß und äußerst gewinnträchtig gemacht. Doch die Hypotheken wurden nicht nur zur Quelle unsres größten Reichtums, sondern auch unser Fallstrick. Damals hatte man, wenn man ins Hypothekengeschäft einstieg, quasi die Lizenz zum Gelddrucken in der Hand. Was Board eine Zeit lang übrigens auch gemacht hat. Er hat seinen Teilhabern ewiges und grenzenloses Wachstum versprochen, aber vielleicht war er ein wenig unrealistisch. Jedenfalls wurde die SmithiBank zum größten Anbieter von Hypotheken auf ganz Drittmittelerde, vor allem in Seestadt und in der Nähe des Vereinsamten Bergs. Doch wie es zuweilen geschieht, tauchte ein Drache auf und veränderte den Markt. Damit machte er alles kaputt. Er hieß Schmauch und zog nach Seestadt. Die Gelehrten und Analysten prognostizierten, dass damit ein hoher Verlust an Anteilskapital entstehen würde. Daraufhin verloren Seestadtimmobilien rapide an Wert. Das Vertrauen der Investoren schwand, und Anleger, vor allem Gremlins und Brownys, hätten all ihr Gold und ihre Edelsteine zurückgezogen, wenn Schmauch nicht darauf gesessen wäre. Um uns zu erholen, versuchten wir, ein paar der Kredite zu verkaufen. Wir bemühten uns um eine Rekapitalisierung. Nichts half, und von unsrer Bank blieben nur noch ein Portfolio aus nahezu wertlosen Darlehen, ein Schatzhaufen und ein schickes Bürogebäude der Firma, das von einem Drachen besetzt ist. Mein Großvater, ich und die paar wenigen Aufsichtsratsmitglieder, die Sie hier sehen, sind die einzigen Mitarbeiter, die Schmauch entkommen konnten. Als der Berg angegriffen wurde, waren der Aufsichtsrat und ich gerade auf dem See und veranstalteten eine Cocktailkreuzfahrt mit ein paar Kunden. Board entschlüpfte todesmutig durch den Diensteingang, den Ranndarf erwähnt hat. Allerdings galt der Schlüssel als verschollen, und mein Großvater ist plötzlich zum Wandern in die Kübelberge aufgebrochen. Ranndarf, wie haben Sie Zugriff auf den Schlüssel bekommen?«

»Indem ich zugriff, als er mir gegeben wurde«, antwortete der Zauberer. »Ihr Großvater wurde in den Kübelbergen getötet, wie Sie sich vielleicht erinnern. Von dem Orkkönig Abzock.«

»Ja, daran erinnere ich mich«, sagte Theorin. »Schließlich war Board mein Großvater.«

»In der Tat«, fuhr Ranndarf fort. »Wir sind uns in der Sommerresidenz des Orkkönigs in den Kübelbergen über den Weg gelaufen. Wie es der Zufall wollte, waren wir beide dort, um, ähm, Abzocks Frau, der Orkkönigin, einen Besuch abzustatten. Unerwarteterweise tauchte jedoch der Orkkönig auf, worauf wir es für geraten hielten, wieder aufzubrechen. Ich eilte voraus, um meinem Freund den Weg zu ebnen. Doch da er hinterherhinkte, kehrte ich um, um ihm zu helfen. Er hatte sich unnötigerweise mit Wertsachen beladen, deshalb habe ich ihm den Schlüssel und ein paar andere schwere Gegenstände wie zum Beispiel die Karte abgenommen. Er hat es nicht nach draußen geschafft, aber ich habe mein Bestes gegeben, weshalb ich, wie ich finde, Dank und Preis verdient habe!«

»Habe ich das richtig verstanden?«, fragte Milbo. »Obwohl Sie, Ranndarf, der Kopf hinter der ganzen Aktion sind, wollen Sie von mir, einem Fachberater und ehemaligem Schalterangestellten, dass ich den Drachen aus dem Weg schaffe?«

»Ganz exakt, mein Junge! Sie haben die Sache goldrichtig erfasst. Sie sind für dieses Projekt sogar noch besser geeignet, als ich dachte! Hört nur, er denkt um die Ecke des Geldschranks!«

Als ihm klar wurde, dass dies das beste Jobangebot seit Langem war, beschloss Milbo, noch einmal darüber zu schlafen. Anstatt abzuhauen, dösten die wenigen Zwerge, die nicht ohnehin schon eingeschlummert waren, auf ihren Plätzen ein. Milbos fantasievolle Tuckenseite wurde vom Langweilertum des Muffinerbes verscheucht. Er hoffte, dass er am nächsten Morgen aufwachen und feststellen würde, dass alles nur ein Traum gewesen war. Ein übel riechender, empörender Traum.

Als er sein Klappbett herunterklappte, hörte er, dass Theorin immer noch vor sich hinsummte. Sonderbarerweise summte er mit Text:

Profit ist das Ziel

Seit uralter Zeit.

Dann wird wieder gefeiert,

Macht euch bereit!

Mit diesem Lied in den Ohren – und einem von Fettsacks Fingern – schlief Milbo ein. In Milbos Apartment ging es wahrlich eng zu. Bald würde er, zu seiner großen Enttäuschung, feststellen müssen, dass der Besuch der Zwerge doch kein Traum war.

Kapitel II

Hammelbraten, $ 2,95 das Pfund.

Milbo sprang auf und zog seine Kordhosen an. Die Zwerge waren fort, aber zuvor hatten sie das gesamte Geschirr der Küchenzeile wieder eingesaut. Offenbar hatten sie nicht einmal Anstalten getroffen, abzuwaschen. Angesichts der hygienischen Standards, deren Zeuge er am Abend zuvor geworden war, war er froh, sein Geschirr selbst spülen zu müssen. Diesmal mit Wasser und Spülmittel. Nur um sicherzugehen, dachte er. Er spürte eine freudige Erregung, weil Ranndarf und die Zwerge ohne ihn davongegangen waren. Gleichzeitig war er aber auch enttäuscht. Doch gegen dieses Gefühl wehrte er sich.

Sei kein Narr, Milbo Muffin!, sagte er sich. An Drachen und Anteilskapital zu denken! Lächerlich! Er entdeckte eine Tüte Laugengebäck, die er versteckt hatte, und ein Leichtbier, das einzige Getränk, das die Zwerge nicht angerührt hatten. Damit hatte er ein angenehmes Frühstück, das ihm half, sich zu beruhigen. Bestimmt würde er noch bessere Jobangebote bekommen, Vollzeitjobs mit festen Bezügen. Nicht als Fachberater. Nicht als Drachentöter. Nicht bei der SmithiBank. Nicht bei Ranndarf.

Gerade als Milbo sein zweites Bier öffnete, kam Ranndarf herein.

»Mein lieber Geselle«, sagte er. »Wann gedenken Sie eigentlich zu erscheinen? Die Zwerge haben Ihnen eine Nachricht hinterlassen, weil sie nicht warten konnten.«

»O nein!«, rief Milbo aus.

»Ach du großer Elefant!«, sagte Ranndarf. »Wie konnten Sie den Zettel nur übersehen? Ich habe ihn in den Rahmen Ihres Badspiegels gesteckt.«

Um Milbo Gerechtigkeit angedeihen zu lassen, muss man sagen, dass dreizehn Zwerge bei ihm übernachtet hatten. Deshalb steckten viele Dinge im Rahmen des Badespiegels. Behutsam zog Milbo die Nachricht heraus und las:

Mister Muffin,

willkommen bei der Neuen SmithiBank (Neue Smithi Finanzdienstleistungen XL)! Mit sofortiger Wirkung sind Sie eingestellt, um der SmithiBank und ihren Aufsichtsratsmitgliedern persönliche Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen, deren Umfang die Beseitigung des Drachen, den man Schmauch nennt, einschließt. Die Entlohnung erfolgt in Höhe des vierzehnten Teils des Nettogesamtgewinns, der durch die Drachentötung generiert wird, zahlbar innerhalb von 90 Tagen nach zufriedenstellender Ableistung.

Für die Mission ist es unabdingbar, dass Sie uns um 11:00 Uhr im Gasthaus Eselsdrache aufsuchen.

Theorin Eichenkilt, Geschäftsführer

Neue Smithi Finanzdienstleistungen XL

»Dann bleiben Ihnen gerade noch zehn Minuten. Sie werden laufen müssen«, bemerkte Ranndarf.

»Aber …«, sagte Milbo.

»Keine Zeit! Schreiben Sie schnell einen Zettel für die Hauseignerin, damit sie Ihre Wohnung zwischenvermietet, während Sie fort sind. Ich werde ihn ihr übergeben, zusammen mit dem Schlüssel. Gehen Sie schon!«

Bis zum Ende seiner Tage vermochte Milbo dem Zauberer nicht zu verzeihen, dass er ihn aus seinem Heim hinausgedrängt hatte, ohne dass er vorher noch den Wobbingen Shopper hätte abbestellen können. Mit zusammengebissenen Zähnen – wegen der Schmerzen im Hintern – lief er am Bester-Schwarzweiß-Western, am Memme & Haubitz und an der Krausen Mühle vorbei. Dann ging ihm die Puste aus. Den Rest des Weges legte er im Schritttempo zurück.

Leer gepafft wie eine billige Zigarre sah er endlich das Schild, auf dem ein Esel und ein Reptil in ungesunder Umschlingung dargestellt waren. Er war am Gasthaus Eselsdrache angekommen. Da fiel ihm auf, dass er seine Brieftasche zu Hause vergessen hatte.

Im selben Augenblick tauchte die restliche Belegschaft der Neuen SmithiBank auf, ein jeder Zwerg saß auf einem Pony. Die Gruppe wirkte, als sei sie aus einem verlausten Streichelzoo entsprungen. Die Tiere waren mit Aktenkoffern, Golftaschen, Broschüren und Krimskrams beladen. Die Tuckenhafte Seite von Milbos Persönlichkeit fühlte sich von dem Krimskrams sogleich angezogen.

»Los geht’s!«, rief Theorin. »Sie werden nicht fürs Rumstehen bezahlt!«

»Was ist das denn hier für ein Abenteuer?«, fragte Milbo. »Warum haben Sie mir nicht gesagt, dass wir so früh aufbrechen? Das hätten Sie in einem Ihrer Lieder erwähnen können. Ich habe meine Brieftasche nicht dabei!«

»Gut«, sagte Quälihn. »Dann müssen wir schon nicht so viele Papiere vernichten, wenn wir Sie verscharren. Sie können unterwegs sowieso für alle Ausgaben gegenzeichnen, und wir verrechnen das dann am Ende mit Ihrem Anteil. Vorausgesetzt, Sie überleben. Wir führen über alles Buch, Ihr Essen und Ihr Mietpony. Wahrscheinlich möchten Sie auch noch einen Mantel zum Wechseln kaufen.«

Und so nahm die Reise ihren Anfang. Milbo ritt in einem zu großen Reisemantel aus zweiter Hand, den er zu einem Preis wie in einer Hotellobbyboutique erworben hatte. Sein einziger Trost war, dass man ihn nicht mit einem Zwerg verwechseln konnte, da er keinen Bart trug und nicht dauernd ausspuckte.

Sie waren noch nicht lange geritten, als Ranndarf auf einem weißen Pferd erschien. »Sehe ich nicht blendend aus?«, sagte er. Milbo wollte anhalten und mit ihm reden, doch der Zauberer lehnte ab.

»Keine Zeit, Milbo«, sagte er. »Ich habe Hahnenfuß’ Besitzer nicht um Erlaubnis gebeten, als ich ihn ausgeliehen habe. Deshalb müssen wir schleunigst ein paar Meilen zwischen ihn und mich bringen.« Damit galoppierte Ranndarf voraus.

Als sie ihn wiedersahen, hatte sich die Landschaft bereits geändert. Sie gelangten in Gegenden, deren Bewohner (das heißt Wobbits) nicht nach jedem Essen höflich rülpsten, was bedeutete, dass die Wirtshäuser viel ruhiger und weniger stickig waren. Die Leute gebrauchten seltsame Wörter wie »Dröhner« statt Döner, und wenn sie ein S schrieben, sah es aus wie ein F. Sie sangen Lieder, die Milbo nie zuvor gehört hatte, manche davon waren von Hootie and the Blowfish. Und was anfangs noch schönes Maiwetter war, verwandelte sich bald in hässliches Maiwetter mit Regen und Kälte. Und die Happy Hour war längst vorbei.

»Schlimmer für meinen Rücken als die Nässe und Kälte ist nur noch das Reiten auf diesem vermaledeiten Pony«, grummelte Milbo.

»Du glaubst wirklich, du hättest Schmerzen im Kreuz?«, wieherte das Pony, doch da Milbo kein Elb war, konnte er das Tier nicht verstehen, und die Anklage prallte glatt an ihm ab. Wie so vieles.

»Zum Teufel mit Fachberatern und allem, was damit zu tun hat!«, sagte Milbo. »Ich wünschte, ich wäre wieder in meiner gemütlichen Wohnung und könnte mir einen Manhattan mixen!« Das wünschte er sich nicht zum letzten Mal!

Ende der Leseprobe