Derwisch-Projekt - Leo M. Friedrich - E-Book

Derwisch-Projekt E-Book

Leo M. Friedrich

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Beschreibung

Die mit der Sicherheit des Staates betrauten Institutionen Bundeswehr, Geheimdienste und Polizei unterliegen einer strengen parlamentarischen Kontrolle. Ein tiefer Staat existiert nur in den Phantasien von Verschwörungstheoretikern. Daran glaubte der ambitionierte Ingenieur Jan Bodenwald bis zu dem Tag, an dem seine Freundin getötet wurde. Nachdem die Behörden überraschend schnell einen Täter festgenommen haben, wachsen jedoch die Zweifel. Er beginnt, eigene Nachforschungen anzustellen. Doch die Jagd nach der Wahrheit wandelt sich rasch zur Flucht vor einem System, das gnadenlos jeden vernichtet, der sich ihm in den Weg stellt. Bis zur letzten Konsequenz.

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Seitenzahl: 205

Veröffentlichungsjahr: 2019

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© 2019 Leo M. Friedrich

Verlag und Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

ISBN

 

Paperback:

978-3-7497-8118-8

e-Book:

978-3-7497-8120-1

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

LEO M. FRIEDRICH

***

DERWISCH-PROJEKT

Nur die Lüge braucht die Stütze der Staatsgewalt.Die Wahrheit steht von allein aufrecht.

Thomas Jefferson

1.

Später fragte sich Jan Bodenwald oft, ob Inga noch leben würde, wenn er sein Handy an diesem Tag nicht auf dem Schreibtisch vergessen hätte.

Es war wieder einer der Tage, an denen er dermaßen damit beschäftigt war, Anrufe entgegenzunehmen und Mails zu beantworten, dass er nicht dazu kam, seine eigentliche Arbeit zu erledigen. So war es für ihn eine Erlösung, als eine Kollegin den Kopf durch die Bürotür steckte.

„Wir machen jetzt Mittag und gehen zum Chinesen um die Ecke. Kommst du mit?“

Bodenwald sprang auf, schnappte sich seine Jacke und flüchtete aus dem Zimmer. Dass sein Mobiltelefon noch auf dem Schreibtisch lag, bemerkte er erst, als er mit den Kollegen auf dem Gehweg vor dem Haus stand. Für einen kurzen Moment überlegte er, zurückzugehen und es zu holen, entschied sich aber dafür, den anderen zu folgen.

Nach seiner Rückkehr entdeckte er auf dem Display drei entgangene Anrufe und eine Sprachnachricht. Inga klang panisch. So hatte er sie noch nie erlebt. Sie hatte in das Telefon geschrien.

„Geh doch endlich an dein verdammtes Handy! Ich werde verfolgt und brauche Hilfe!“

Es war das letzte Mal, dass Jan Bodenwald die Stimme seiner Freundin hörte.

2.

Februar 2015

Schwungvoll bog Jan Bodenwald um die Ecke und blieb in der Tür des Besprechungsraumes stehen. Die junge Frau am anderen Ende des langen Konferenztisches blickte von ihrem Laptop auf und schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. Ein wenig zu schnell und zu professionell, wie Bodenwald für sich notierte. Karsten Jäger, sein Chef, der ebenfalls den Kopf drehte, erhob sich und wies auf die Unbekannte.

„Hallo Jan, ich möchte dir Frau Kilian vorstellen. Sie preist mir gerade ihr neues Computerprogramm an, mit dem wir an dem Eurocopterprojekt arbeiten können.“

Er schob Bodenwald in Richtung der Besucherin.

„Das ist Jan Bodenwald. Mein bester Mann und der fähigste Ingenieur, den man sich wünschen kann. Er ist mein Projektleiter und wird damit zu Ihrem direkten Ansprechpartner.“

Inga Kilian sprang auf und streckte ihre Hand aus.

„Ich freue mich ganz ehrlich auf unsere Zusammenarbeit. Sie werden sehen, dass unsere Software alles leistet, was Sie für Ihre Arbeit brauchen.“

Bodenwald nickte und ließ sich auf einen der Stühle fallen, die um den gewaltigen Tisch herumstanden.

„Dann lassen Sie mal hören, was Sie uns anzubieten haben. Ich denke mal, wenn so ist wie Sie sagen, wird mein Chef es sicher bei Ihnen bestellen.“

Er deutete in die Richtung von Karsten Jäger. Der schüttelte den Kopf.

„Es ist schon bestellt. Ich habe Frau Kilian vor einiger Zeit auf einer Messe kennengelernt und sie hat mich schon damals von den Vorteilen überzeugt, die Ihre Software bietet. Es geht jetzt nur noch darum, sie auf unsere Erfordernisse anzupassen. Und da kommst du ins Spiel. Schließlich ist die Hubschraubergeschichte ja dein Baby. Ich möchte, dass ihr in der nächsten Zeit ganz eng zusammenarbeitet. Ich kümmere mich darum, dass Frau Kilian von unserem Auftraggeber eine entsprechende Sicherheitseinstufung erhält. Dann kann sie dich und dein Team wirksam unterstützen. Und jetzt lasse ich euch beide allein. Frau Kilian wird dir alle Aspekte ihrer neuen Software erklären.“

Jäger erhob sich und schüttelte der jungen Frau mit den schulterlangen blonden Haaren die Hand und erntete dafür einen Blick aus ihren strahlenden Augen.

„Dann auf gute Zusammenarbeit zwischen unseren Unternehmen. Ich bin mir sicher, dass wir beide davon profitieren werden.“

Bodenwald legte die Hände auf die Tischplatte, als sein Chef aus dem Raum gerauscht war.

„Also dann, Frau Kilian…“

„Bitte nennen Sie mich Inga!“

Die junge Frau errötete ein wenig.

„Wenn wir so eng zusammenarbeiten sollen, wie Ihr Chef angedeutet hat, sollten wir von Anfang an auf Förmlichkeiten verzichten, meinen Sie nicht auch?“

Bodenwald nickte lächelnd.

„Gehen Sie immer so forsch zur Sache?“

„Wissen Sie, das hier ist mein erster größerer Verkauf. Da will ich nichts falsch machen. Schließlich ist die Einführung einer neuen Software, zumal diese hier noch dazu sehr komplex ist, immer eine Vertrauenssache. Und wenn ich Ihren Chef richtig verstanden habe, ist sie vom großer Bedeutung für das Projekt, an dem Sie gerade arbeiten, richtig?“

Bodenwald nickte wieder.

„Das ist richtig. Wir haben lange nach einem Programm gesucht, das unseren Anforderungen entspricht. Jetzt lassen Sie mich mal wissen, was Ihr Baby so drauf hat. Und nennen Sie mich Jan!“

3.

Wie in Zeitlupe lösten sich seine Hände von den Augen und er starrte mit ausdruckslosem Gesicht die beiden Kriminalisten an, die vor ihm auf der Couch saßen und betreten auf die Platte des Wohnzimmertisches schauten.

„Sie sagten eben, man hat sie erstochen?“

Die Polizisten nickten.

Bodenwald fuhr sich mit den Händen durch die dunkelblonden Haare.

„Wurde sie…?“

Der ältere der beiden Beamten schüttelte den Kopf.

„Dafür gibt es bisher keine Hinweise. Die Tote war bekleidet, als sie gefunden wurde. Alles weitere werden unsere Gerichtsmediziner untersuchen.“

„Kann ich sie sehen?“

„Nach der Obduktion, Herr Bodenwald. Es ist besser, wenn sie sie erst dann zu Gesicht bekommen. Glauben Sie mir.“

„Ist es so schlimm?“

Die Polizisten nickten beide gleichzeitig.

„Nach ersten Erkenntnissen wurde sie mit mindestens siebzehn Messerstichen getötet. Es war alles voller Blut. Kein schöner Anblick, wie Sie sich denken können.“

„Mein Gott! Wer tut soetwas?“

Bodenwald sank noch tiefer in seinen Sessel.

Er hatte den ganzen Nachmittag versucht, Inga auf ihrem Handy zu erreichen. Doch sie hatte nicht abgenommen. Später war es dann offenbar komplett abgeschaltet worden und er konnte nur noch auf ihre Mailbox sprechen.

Der ältere der beiden Kriminalisten räusperte sich ein wenig verlegen.

„Wir haben gerade erst mit den Ermittlungen begonnen. Sehen Sie sich in der Lage, uns einige Fragen zu beantworten?“

Bodenwald nickte kaum merklich.

„Ich versuche es.“

Seine Stimme war tonlos.

„Wann hatten Sie das letzte Mal Kontakt zu Frau Kilian?“

Wortlos schob Bodenwald sein Smartphone über den Tisch.

„Sie hat mittags versucht, mich anzurufen. Aber ich hatte das verdammte Handy auf dem Schreibtisch vergessen, als ich zum Essen gegangen bin.“

Der jüngere Beamte griff nach dem Telefon.

„Darf ich?“

„Ja, selbstverständlich. Sie finden dort auch eine Whatsapp-Sprachnachricht. Sie hatte Panik und brauchte offenbar Hilfe.“

Der Kriminalist wischte auf dem Display umher.

„Das war um zwölf Uhr dreiundvierzig. Gefunden wurde sie um vierzehn Uhr zehn. Damit können wir die Zeit weiter eingrenzen, in der die Tat passierte.“

Bodenwald richtete sich auf und schaute die beiden an.

„Wo genau wurde sie gefunden?“

„In einem Waldstück in der Nähe von Boizenburg. Ihr Auto stand auf einem kleinen Parkplatz keine hundert Meter entfernt. Haben Sie eine Ahnung, was sie dort wollte?“

„Inga ist…, war für eine Softwarefirma tätig. Sie war überall in Deutschland unterwegs. Heute Abend wollte sie hierher zu mir nach Rostock kommen und dann den Rest der Woche von meiner Wohnung aus arbeiten. Sie hat eine Reihe von Kunden hier in der Gegend. Einschließlich der Firma, für die ich arbeite.“

„Was machen Sie beruflich?“

Der ältere Beamte zückte einen Notizblock aus der Innentasche seines Jacketts.

„Ich arbeite für ein Ingenieurbüro hier in Rostock. Wir entwickeln geräuschdämpfende Rotoren für Hubschrauber.“

„Für Militärmaschinen?“

„In der Hauptsache. Dort ist verständlicherweise die Nachfrage am größten.“

„Und wie lange kannten Sie die Ermordete?“

„Seit etwa drei Jahren. Sie hat unserem Büro ein Programm verkauft, mit dem wir unsere Forschungsergebnisse direkt in das Gesamtprojekt einbetten können. Verstehen Sie, was ich meine?“

Der jüngere der beiden nickte eifrig, während sein Kollege etwas auf seinem Block notierte.

Ohne aufzublicken schob er die nächste Frage nach.

„Und Sie machen in diesem Büro genau was?“

„Ich bin der leitende Ingenieur für dieses Projekt. Genaueres darf ich Ihnen nicht erzählen, denn wir mussten alle eine Verschwiegenheitserklärung unterschreiben. Schließlich arbeiten wir an Rüstungsprojekten.“

Der ältere legte seinen Block beiseite.

„In welcher Beziehung standen Sie denn nun konkret zu Frau Kilian? Haben Sie zusammengelebt?“

Bodenwald schluckte. Für einen Moment versagte ihm die Stimme.

„Nicht direkt. Wir waren ein Paar, das stimmt. Aber Inga wohnt…, Entschuldigung, wohnte in Potsdam. Wir haben uns fast nur am Wochenende gesehen. Dass sie jetzt ein paar Tage länger bei mir in Rostock bleiben wollte, war eine sehr seltene Ausnahme.“

„Wer wußte, dass Frau Kilian unterwegs zu Ihnen war?“ Bodenwald hob die Schultern.

„Das hat sich erst Ende letzter Woche ergeben. Ich habe es keinem erzählt. Aber Inga hat sicherlich Termine mit ihren Kunden hier in der Gegend ausgemacht. Ich weiß allerdings nicht, zu wem sie konkret wollte. Das steht alles in ihrem Terminplan, den sie auf dem Ipad hat.“

„Wir haben kein Ipad gefunden. Ihr Smartphone auch nicht. Offenbar wurde sie ausgeraubt.“

„Wie sind sie dann auf mich gekommen?“

Bodenwald schaute die beiden ungläubig an.

„Ihre Adresse war in das Navigationsgerät ihres Autos einprogrammiert.“

Die Beamten warfen sich einen kurzen Blick zu und erhoben sich nahezu gleichzeitig.

„Herr Bodenwald, wir möchten Sie jetzt nicht mit weiteren Fragen quälen und würden Sie deshalb bitten, morgen ins Polizeipräsidium zu kommen, um eine Aussage zu machen. Und noch einmal unser aufrichtiges Beileid zum Tod ihrer Freundin.“

Jan Bodenwald nickte und blieb mit abwesendem Blick in seinem Sessel sitzen. Für ihn war gerade die Welt zusammengebrochen. Sein Leben würde nie wieder so sein, wie vorher. Er ahnte noch nicht einmal, wie radikal sich alles ändern sollte.

4.

„Vielen Dank, Herr Bodenwald, dass Sie sich die Zeit genommen haben.“

Der ältere der beiden Polizisten, die ihm gestern die Nachricht von Ingas Tod überbracht hatten, führte ihn in das kleine, sehr spartanisch eingerichtete Büro.

„Herr Rausch…“ Bodenwald hatte erst jetzt den Namen des Kommissars mitbekommen,

„haben Sie schon neue Erkenntnisse? Wann kann ich Inga sehen?“

Der Kriminalist schob ihn zu einem Stuhl.

„Das klären wir gleich. Setzen Sie sich erst einmal. Ich würde Ihnen gern einen Kaffee anbieten, aber die Maschine streikt im Moment mal wieder. Wie geht es Ihnen heute?“

Bodenwald schüttelte den Kopf.

„Ich kann es immer noch nicht glauben. Sie hat niemandem etwas getan und soll so einen grausamen Tod gestorben sein. Ich bin immer noch fassungslos.“

Rausch nickte und griff nach einem Kugelschreiber.

„Das glaube ich Ihnen. Und noch einmal, es tut mir sehr leid. Wir haben inzwischen auch den Bruder der Verstorbenen erreicht. Er ist gleichfalls ganz schön geschockt, wie Sie sich denken können. Wissen Sie übrigens, was mit Frau Kilians Eltern ist? Wir konnten sie bisher nicht finden.“

Bodenwald schüttelte den Kopf.

„Inga erwähnte einmal, dass sie vor ein paar Jahren in die USA gezogen sind und irgendwo in Texas wohnen sollen. Mehr weiß ich auch nicht. Sie und ihr Bruder hatten wohl nicht so viel Kontakt zu ihnen.“

Der Kommissar nickte.

„Das erklärt einiges. Übrigens wurde gestern in der Nähe der Leiche ein Messer gefunden. Wahrscheinlich handelt es sich um die Tatwaffe. Sie wird gerade untersucht. Genau wie in diesem Moment die Obduktion läuft.“

„Gibt es schon Hinweise auf die Täter?“

„Bisher noch nichts Konkretes. Deshalb wollte ich auch mit Ihnen sprechen. Die Sache ist ein wenig heikel.“

Bodenwald schaute den Kommissar verständnislos an.

„Was meinen Sie damit?“

„Nun ja, sehen Sie, offenbar handelt es sich um ein Tötungsdelikt mit einem Messer. Und Vorfälle dieser Art haben wir in letzter Zeit öfter. Nicht immer gleich Morde. Aber gehäuft Körperverletzungen und Bedrohungen mit Messern. Und vieles deutet dann immer gleich auf eine bestimmte Tätergruppe hin.“

„Sie meinen Ausländer? Also Flüchtlinge? Wollen Sie das damit sagen?“

„Sehen Sie, das ist der Punkt, Herr Bodenwald. Wenn die Leute von einem Delikt hören, bei dem ein Messer im Spiel ist, suggerieren sie immer gleich, dass es Geflüchtete waren. Deshalb möchte ich Sie an dieser Stelle bitten, gegenüber Bekannten und der Presse mit solchen Äußerungen vorsichtig zu sein. Wir haben den Medien bisher noch nichts mitgeteilt. Ich denke, das ist auch in Ihrem Interesse.“

„Weil in der Nähe von Boizenburg ein großes Aufnahmelager ist und der Verdacht damit nahe liegt?“

„Das spielt erst einmal keine Rolle. Natürlich ermitteln wir in diese Richtung. Aber es kann auch ganz anders gewesen sein.“

„Und was genau soll ich jetzt tun oder lassen?“

„Ich möchte Sie bitten, also ich ersuche Sie, gegenüber Dritten noch nicht zu erwähnen, dass Frau Kilian mit einem Messer getötet wurde. Vielleicht ergibt die Obduktion ja auch noch etwas ganz anderes. Jedenfalls soll nicht gleich wieder automatisch der Eindruck entstehen, dass der Täter möglicherweise ein Geflüchteter war. Verstehen Sie mich?“

Bodenwald richtete sich auf.

„Ich habe nicht vor, den Tod meiner Freundin in irgendeine Richtung politisch zu instrumentalisieren, wenn es das ist, was Sie meinen.“

Rausch wedelte mit dem Zeigefinger.

„Das meinte ich nicht. Aber es gibt in diesem Land Menschen, die nur auf solche Vorfälle warten, um in der Bevölkerung wieder den Ausländerhass hochkochen zu lassen. Deshalb möchte ich Sie bitten, Stillschweigen zu bewahren, bis wir den Tod von Frau Kilian aufgeklärt haben. Ich sage das bei allem Verständnis für die Wut und Trauer, die in Ihnen steckt. Und jetzt hätte ich noch einige Fragen, die Ihr Verhältnis zu der Getöteten betreffen.“

5.

März 2015

Jan Bodenwald stand in der Küche und bereitete das Frühstück vor, als Inga hinter ihn trat und ihre Arme um seinen Körper schlang. Sie trug nur eine weiße Kampfsportjacke.

„Die habe ich im Schlafzimmer gefunden. Du trainierst Judo?“

„Nein, ich mache ein wenig Karate. Beim Judo sind die Klamotten dicker, weil man da ständig aneinander herumzerrt, Beim Karate ist das anders.“

Er drehte sich um und gab ihr einen Kuss.

„Aha, ihr zerschlagt dann also Dachziegel und Holzbretter, nicht wahr?“

Bodenwald lachte.

„Wir zerschlagen gar nichts. Beim Shotokan-Karate geht es um Bewegungsabläufe, um Exaktheit und Koordination. Es ist alles mehr so eine Kopfsache.“

„Aber du könntest mich beschützen, wenn mich jemand angreifen würde?“

Sie stibitzte sich ein Stückchen Obst, das er gerade geschnitten hatte, von dem Teller auf der Arbeitsplatte,

„Natürlich könnte ich dich beschützen. Ab und zu kämpfen wir auch richtig gegeneinander. Da weiß man schon, wie man zuschlagen muss. Und nun zurück ins Bett! Das Frühstück ist fertig.“

Tatsächlich waren sich die beiden im Laufe der vergangenen Wochen durch die gemeinsame Arbeit näher gekommen. Drei Tage nach ihrem ersten Zusammentreffen in der Firma gingen sie, auf Ingas Initiative in ein Restaurant und eine Woche später landeten beide in Bodenwalds Bett. Für ihn war es nach zwei Jahren Abstinenz wieder die erste richtige Beziehung, während sich Inga auf vorsichtige Nachfragen hin betont bedeckt gab, wie lange ihr letztes Verhältnis zurücklag.

Am Montag würden sie sich zum ersten Mal seit Beginn ihrer gemeinsamen Tätigkeit wieder trennen müssen. Inga musste zu einem dringenden Meeting in ihre Firma zurückkehren und konnte die ganze Woche nicht in Rostock sein. Bisher hatten beide die gemeinschaftliche Zeit entweder in Jans Büro vor dem Rechner oder in seiner Wohnung im Bett verbracht. Er fühlte sich in diesen Wochen wieder wie ein Teenager. Allerdings erst heute kam ihm der Gedanke, dass Inga ja nur für eine bestimmte Zeit hier sein würde und ihr Job sie bald wieder in andere Firmen, zu anderen Kunden irgendwo in Deutschland führen würde. Doch sie lächelte seine Sorgen weg und schob ihm eine Weintraube in den Mund.

„Sieh mal, ich habe eine kleine Wohnung in Potsdam. Das sind von hier keine drei Stunden mit dem Auto. Und so oft bin ich auch nicht unterwegs. Das Projekt in eurer Firma ist mit Abstand das aufwendigste, das ich bisher betreut habe. Bei anderen bin ich vielleicht für eine Woche und dann war es das. Soviel Anpassungen, wie wir bei eurem Büro machen mussten, hatten wir noch nie. Dein Chef wird sich noch wundern, wenn er unsere Schlussrechnung präsentiert bekommt.“

Bodenwald winkte ab.

„Der verdient bei der Geschichte so gut, das zahlt der aus der Portokasse. Immerhin sind wir eines der ganz wenigen Ingenieurbüros in Deutschland, die sich überhaupt mit der Problematik befassen. Und keiner hat bisher eine zufriedenstellende Lösung gefunden.“

„Außer dir, nicht wahr?“

Sie drehte sich zu ihm und gab ihm einen Stupser auf die Nase. „Vielleicht hatte ich irgendwann mal die entscheidende Eingebung. Und damit verdient sich Karsten jetzt eine goldene Nase.“

„Also bist du das eigentliche Genie, Jan Bodenwald?“

„Ich bin nur der Kopf eines Teams, das an der Lösung arbeitet, wenn du das meinst.“

„Aber du hattest die entscheidende Idee, stimmts?“

„Das schon. Immerhin habe ich als einziger etwas in der Richtung studiert. Da lag es nahe, dass ich auf die Lösung gekommen bin.“

„Also bist doch du das Genie, dem der eigentliche Ruhm zustände.“

„Auf Ruhm lege ich keinen Wert. Letzten Endes ist es immer eine Teamleistung.“

„Und das Prgramm, das ich euch verkauft habe, rundet die Sache ab, nicht wahr?“

„Es macht es auf jeden Fall wesentlich einfacher, unsere Arbeit in das Gesamtprojekt zu integrieren. Aber lass uns jetzt nicht weiter von der Arbeit reden. Und du fährst ab morgen wieder durch die Gegend und lässt mich hier allein zurück.“

Ingas Smartphone meldete sich mit einem Zwitschern. Sie griff danach und wandte Bodenwald den Rücken zu. Der knurrte ärgerlich.

„Wer schickt dir denn am Sonntagmorgen eine Nachricht? Dein Chef?“

Sie tippte auf ihrem Handy herum und antwortete, ohne sich umzudrehen.

„Nein, der lässt mich am Wochenende in Ruhe. Es ist ein Bekannter.“

Sie legte das Smartphone zurück auf das Nachtschränkchen neben dem Bett und lächelte ihn an.

„Kein Grund zur Eifersucht. Du bist der erste Kunde, mit dem ich bisher ins Bett gegangen bin. Und wenn es nach mir geht, wirst du auch immer der einzige bleiben.“

6.

Es war bereits spät am Abend, als es bei Jan Bodenwald klingelte. Der hatte gerade eine neue Flasche Wodka geöffnet. Seit Ingas Tod vor drei Tagen trank er weitaus mehr Alkohol als normal. Es war für ihn im Moment der einzige Weg, ihr Bild aus dem Kopf zu bekommen und wenigstens einige wenige Stunden schlafen zu können. Im Büro hatte er sich krank gemeldet, da er sowieso keinen klaren Gedanken fassen konnte.

Mühsam erhob er sich von der Couch und ging ein wenig schwankend zur Wohnungstür. Draußen stand Kommissar Rausch mit einem grimmig dreinschauenden Begleiter. Bodenwald erstarrte für einen Augenblick.

„Wollen Sie mich jetzt verhaften oder warum klingeln Sie um diese Zeit an meiner Tür?“

Rausch räusperte sich.

„Keine Sorge. Wir wollen Ihnen etwas mitteilen. Aber nicht hier an der Tür. Dürfen wir reinkommen?“

Bodenwald nickte.

„Wenn es Sie nicht stört, dass es hier momentan etwas unordentlich ist. Ich bin einfach nicht in der Lage, irgendetwas zu tun.“

„In Ihrer Firma sagte man uns, dass Sie krank sind. Verständlich unter den Umständen.“

Rausch und sein Begleiter setzten sich auf die Couch, während Bodenwald Gläser und Flaschen vom Tisch räumte.

„Bei allem Verständnis für Ihre Trauer, aber Sie sollten nicht so viel trinken. Das macht Ihre Freundin auch nicht wieder lebendig.“

Bodenwald ließ sich in einen Sessel fallen.

„Spielen Sie jetzt den Therapeuten?“

„Nein, wir kommen, um Ihnen etwas mitzuteilen. Das ist übrigens Herr Hollmann vom Staatsschutz.“

Der Kommissar wies auf seinen stummen Begleiter. Der nickte nur kurz und ließ seinen Blick weiter durch das Wohnzimmer schweifen.

„Staatsschutz?“ Bodenwald machte große Augen. „Ich dachte bisher, es war ein Raubmord.“

Hollmann schaute ihm mit einem Mal direkt ins Gesicht.

„Wer hat von Raubmord gesprochen? Bisher war es lediglich ein Tötungsverbrechen. Ich weiß, dass ist für Laien immer schwer auseinanderzuhalten. Aber für Juristen und Kriminalisten macht es einen bedeutenden Unterschied.“

„Sind Sie hier, um mir eine Jura-Vorlesung zu halten?“

Rausch hob die Hand.

„Nein, darum geht es nicht. Ich habe doch bei unserem letzten Gespräch erwähnt, dass wir eine mögliche Tatwaffe gefunden haben.“

„Ja richtig! Und ich sollte niemandem sagen, dass Inga erstochen wurde, weil sonst die Rechten auf die Straße gehen würden und reihenweise Asylbewerber lynchen, richtig?“

Rausch brummte verärgert.

„So habe ich das nicht gemeint. Aber egal. Als erstes, wir haben jetzt das Ergebnis der Obduktion. Ihre Freundin wurde tatsächlich erstochen. Ersparen Sie es mir, auf Details einzugehen. Sie können, wenn Sie sich dazu in der Lage sehen, die Tote morgen in der Gerichtsmedizin in Schwerin identifizieren.“

„Und was ist nun mit dem gefundenen Messer?“

Hollmann, der Bodenwald in den letzten Minuten niederzustarren versucht hatte, hob den Finger.

„Nur zu Ihrem Verständnis. Sie sind eigentlich kein naher Angehöriger. Wir müssen Ihnen eigentlich gar nichts mitteilen. Wir tun dies nur, weil Sie nach unseren Erkenntnissen die einzige Person sind, die der Getöteten nahe gestanden hat. Tatsächlich waren auf dem Messer Fingerabdrücke, die uns zu einem Verdächtigen geführt haben.“

„Wirklich? Sie haben den Mörder?“

„Wir haben einen Verdächtigen festgenommen, in der Tat. Allerdings bestreitet er, mit der Sache etwas zu tun zu haben.“

„Ist es ein…?“

„Ja, es ist ein Immigrant, ein mutmaßlich syrischer Geflüchteter.“

Bodenwald erhob sich und begann, durch das Wohnzimmer zu wandern.

„Und um mir das zu sagen, kommt der Staatsschutz persönlich zu mir? Oder haben Sie Angst, ich würde jetzt spontan losziehen und das nächste Flüchtlingswohnheim anzünden? Hören Sie, ich bin nicht so einer. Ich bin ein friedlicher Mensch. Aber das Inga von einem Ausländer erstochen wurde, ist schon harter Tobak.“

Hollmann erhob sich nun ebenfalls und baute sich vor ihm auf.

„Erstens. Noch ist es ein Verdacht. Und das ist es so lange, bis ein Richter dazu ein Urteil fällt. Zweitens. Wir möchten Sie dringend ersuchen, zu dem ganzen Fall weiter Stillschweigen zu bewahren. Es gibt nun mal Kräfte in diesem Land, die solche Vorfälle für sich zu instrumentalisieren versuchen. Und das können wir in der derzeitigen Situation absolut nicht brauchen. Die Stimmung im Land ist schon schlimm genug.“

„Das heißt, ich soll die Klappe halten, damit die Rechten nichts davon mitbekommen und keine Demos anzetteln?“

„Sie sollen lediglich kein zusätzliches Öl ins Feuer gießen. Noch ist niemand rechtskräftig verurteilt. Und ich muss Sie darauf hinweisen, dass Sie sich selbst strafbar machen, wenn Sie unbewiesene Behauptungen aufstellen.“

„Jetzt drohen Sie mir also auch noch?“

„Ich weise Sie lediglich auf die Rechtslage hin.“

„Mir kommt es eher vor, als wenn hier irgendetwas vertuscht werden soll.“

„Wir sind immer noch dabei, den Fall aufzuklären und wollen lediglich in Ruhe zu Ende ermitteln. Dass ist letzen Endes auch in Ihrem Interesse.“

„Was darf ich denn überhaupt straffrei öffentlich äußern? Dass die Polizei einen … einen mutmaßlichen Syrier verhaftet hat? Mein Gott, Ihr wisst ja noch nicht einmal, wo genau die Leute herstammen.“

„Am besten äußern Sie sich gar nicht. Wir informieren Sie, wenn wir es für geboten halten, über weitere Ermittlungsergebnisse.“

„Ich nehme an, die Presse weiß bisher nichts von diesem Fall?“

Die beiden Beamten zuckten zusammen.

Hollmanns Gesicht verzog sich, seine Augen verengten sich zu Schlitzen. Bodenwald hatte das Gefühl, jeden Moment würde er sich auf ihn stürzen.

„Es wurde entschieden, die Medien nicht über den Vorfall zu informieren. Und dabei belassen wir es. Ich kann Sie nur noch einmal davor warnen, irgendetwas auszuplaudern, was die Ermittlungen gefährden könnte.“

Bodenwalds Zeigefinger fuhr in Richtung des Beamten, als wollte er ihn aufspießen.

„Ich habe es gewusst! Wie viele solcher Vertuschungsaktionen gab es in den letzten Jahren, hä? Ihr kehrt alles unter den Teppich, damit die Stimmung gegen die Regierung nicht noch weiter hochkocht. Es ist zum Kotzen! Bald haben wir hier Zustände wie in Nordkorea!“

„Herr Bodenwald, beruhigen Sie sich!“ Rausch, der bisher geschwiegen hatte, erhob sich gleichfalls und drückte den jungen Mann mit sanfter Gewalt zurück in seinen Sessel.

„Wir vertuschen nichts, okay? Mein Kollege sagte Ihnen doch, dass die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen sind. Und bis das der Fall ist, halten wir die Öffentlichkeit da so weit als möglich raus. Nur so können wir in Ruhe unsere Arbeit machen. Stellen Sie sich vor, bei Ihnen im Büro würden laufend Journalisten anrufen und Fragen stellen. Da kämen Sie auch zu nichts. Außerdem hat auch ein Beschuldigter in diesem Land Rechte, die wir achten müssen. Und er gilt nun mal so lange als unschuldig, bis ihn ein Gericht rechtskräftig verurteilt hat. Das ist so, ob Ihnen das, bei allem Verständnis für Ihre Situation, nun passt oder nicht.“

„Aber die Medien berichten doch sonst auch über Morde.“

Rausch hatte sich wieder hingesetzt und schaute Bodenwald direkt ins Gesicht.

„Da gibt es entweder ein öffentliches Interesse oder die Presse hat irgendwie Wind davon bekommen. Das ist hier beides nicht der Fall. Und deshalb bleibt die Sache vorerst intern. Haben Sie das verstanden?“

Hollmann, der Beamte vom Staatsschutz, wandte sich in Richtung Tür. Dort drehte er sich noch einmal um.