Die Story - Leo M. Friedrich - E-Book

Die Story E-Book

Leo M. Friedrich

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Beschreibung

Der Journalist Thomas Spohn gerät bei seinen Nachforschungen zu den wahren Hintergründen eines mysteriösen Verkehrsunfalles, bei dem ein guter Freund ums Leben gekommen ist, in einen Strudel ungeheuerlicher Machenschaften. Erst dadurch wird ihm klar, welche Rolle er in dem Geflecht aus Massenmedien, dubiosen Stiftungen und Geheimdiensten spielt, das rücksichtslos über Schicksale entscheidet und auch vor der Anwendung von Gewalt nicht zurückschreckt. Spohn, der bisher selbst wenig Skrupel zeigte, wenn es darum ging, Menschen öffentlich anzuprangern, wird nun seinerseits zum Gejagten. Er braucht dringend Unterstützung. Doch wem kann er noch trauen? Ein Medien-Thriller, der schonungslos mit der Rolle des Mainstream-Journalismus abrechnet und die Grenzen der Pressefreiheit in Deutschland ausleuchtet.

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Seitenzahl: 266

Veröffentlichungsjahr: 2018

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LEO M. FRIEDRICH

***

DIE STORY

© 2018 Leo M. Friedrich

Verlag und Druck: tredition GmbH, Hamburg

ISBN

Paperback:

978-3-7469-3518-8

e-Book:

978-3-7469-3520-1

Cover:

fayefayedesigns

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Ein Mann, der die Wahrheit spricht, braucht ein schnelles Pferd.

Konfuzius

1

„Karsten ist tot!“

Thomas Spohn entglitten die Gesichtszüge. Für einen Moment ließ er das Handy sinken. Langsam, wie in Zeitlupe, hob er es wieder an sein Ohr.

„Was ist passiert?“

Die Frauenstimme am anderen Ende schien in Tränen zu ersticken.

„Ein Unfall. Letzte Nacht. Das Auto ist in Brand geraten. Er ist tot, Thomas. Er kommt nicht wieder.“

Spohn drehte sich mit seinem Stuhl zum Fenster und starrte auf die Elbe und die Gebäude am anderen Ufer. Doch er nahm nichts davon wahr. Sein bester Freund war gestorben. Karsten Decker, mit dem er studiert hatte und in dessen Haus in dem kleinen Dorf in Brandenburg er oft Gast gewesen war.

„Yvonne, soll ich zu dir kommen? Ich könnte mich heute noch freimachen und am Abend da sein. Aber nur, wenn es für dich ok ist.“

„Doch. Unbedingt. Das wäre schön. Auch wegen der Kinder. Danke, Thomas.“

„Gut. Ich weiß auch nicht, was ich dir jetzt sagen soll. Die Nachricht hat mich total geschockt. Das kann ich nicht so schnell verdauen. Danke, dass du mich gleich angerufen hast. Bleib stark.“

„Ich versuche es. Bis heute Abend. Es hilft mir sehr, wenn du da bist.“

Spohns Blick glitt wieder aus dem Fenster. Ganz in der Nähe, am Grasbrook, hatte ein Kreuzfahrtschiff festgemacht. Nachdenklich starrte er auf die weißen Aufbauten. Viele Kollegen beneideten ihn um den Ausblick. Er hatte sich dieses Büro gesichert, nachdem das OCULUS-Magazin, wie die meisten Printmedien in Europa, wegen des massiven Auflagenschwunds Stellen abbauen mussten. Auch hier, in dem erst wenige Jahre alten Verlagsgebäude, einer Kathedrale aus Glas und Stahl, wurden in kurzer Zeit etliche Schreibtische geräumt. Und er, Thomas Spohn, der als einer der dienstältesten Journalisten noch Freiberufler war, konnte sich einen der gläsernen Räume aussuchen. Er wählte den mit dem spektakulärsten Ausblick auf den neuesten Hamburger Stadtteil direkt an der Elbe. In seinem Kopf kreisten die Gedanken. Karsten Decker war zeitlebens ein sehr vorsichtiger Autofahrer gewesen, der peinlich genau auf die Verkehrsregeln achtete und im ganzen Leben nicht einen einzigen Strafzettel kassiert haben dürfte. Doch was hieß das heutzutage schon? Aber das ausgerechnet er bei einem Autounfall starb, hielt Spohn für eine bittere Ironie. Plötzlich durchfuhr es ihn. Es gab noch jemanden, den er über Karstens Tod informieren musste. Er drehte sich zu dem Bildschirm auf seinem Schreibtisch um und wollte gerade ein Suchprogramm aufrufen, als die Bürotür aufgerissen wurde. Eine Kollegin schob sich in den Raum. Spohn blickte kaum auf. Die junge Frau blieb direkt vor ihm stehen.

„Was ist los? Du siehst heute so griesgrämig aus?“

Sein Blick glitt langsam an ihrem Körper nach oben.

„Schlechte Neuigkeiten.“

„Ach komm. Das ist unser Geschäft. Schon vergessen?“

Er schüttelte den Kopf.

„Nein. Richtig schlechte. Ein guter Freund von mir ist tot. Verkehrsunfall. Seine Frau hat mich gerade angerufen. Das muss ich erst einmal verdauen. Danke, dass du mich jetzt allein lässt.“

Sie drehte sich zur Tür.

„Das tut mir leid für dich. Wenn du reden möchtest, weißt du, wo du mich findest.“

Sie hatte die Türklinke schon in der Hand.

„Übrigens, der große Boss will dich sprechen. Der ganz große. Du sollst dich schnellstmöglich auf den Weg machen.“

„Warum ruft er mich nicht selbst an?“

„Keine Ahnung. Frag ihn doch einfach.“

Spohn holte tief Luft. Dass ihn der Chefredakteur zu sehen wünschte, war eher ungewöhnlich. Daniel Schulte-Kopf war vor drei Jahren auf diesen Posten gekommen und hatte seitdem eine ganze Reihe von Reportern gefeuert. Spohn hatte er verschont. Aus Respekt vor seinen über zwanzig Dienstjahren beim OCULUS, wie er betonte. In Wirklichkeit, weil er als freischaffender Journalist weniger Kosten verursachte als ein Angestellter. So viel war ihm klar. Vielleicht würde er ja nun an die Luft gesetzt werden. Thomas Spohn ging in Gedanken sein Sündenregister durch. So sehr er auch grübelte, es fiel ihm aktuell kein Grund ein, der einen Rauswurf rechtfertigen würde. Gewiss, er war mit Schulte-Kopfs Vorgänger über viele Jahre gut befreundet gewesen. Und der hatte ihm manches durchgehen lassen. Doch seit man ihn zum Rücktritt genötigt hatte, war Spohn in der Deckung geblieben. Denn mit Anfang fünfzig bei der derzeitigen Marktlage einen neuen Job in der Medienbranche zu suchen, war schon ein Abenteuer. Noch immer sichtlich bedrückt von der schockierenden Nachricht machte er sich auf den Weg in den dreizehnten Stock.

„Mein Gott Spohn, was ist denn mit Ihnen passiert? Sie sehen ja aus, als wäre Ihnen ein Geist begegnet.“

Daniel Schulte-Kopf erhob sich mühsam aus dem Sessel der opulenten Sitzgruppe und kam ihm ein paar Schritte entgegen. Spohn zuckte mit den Schultern.

„Ich habe gerade erfahren, dass ein Freund von mir tödlich verunglückt ist. Deshalb bin ich noch ziemlich geplättet. Tut mir leid, wenn man mir das ansieht.“

Um die Mundwinkel des Chefredakteurs wanderte ein Zucken, dann klopfte er ihm auf den Rücken und schob ihn in Richtung der Sitzgruppe, aus der sich ein weiterer Mann schälte und ihm die Hand hinstreckte.

„Das ist Thomas Spohn, unser berühmter Stasi-Spitzel-Jäger. Wenn es jemand hinbekommt, dann er.“

Der Unbekannte lächelte.

„Das hoffe ich. Herr Spohn, es freut mich, Sie persönlich kennenzulernen. Ich habe bereits eine Menge Artikel von Ihnen gelesen.“

Thomas Spohn zuckte wieder mit den Schultern und ließ sich in einen der Sessel fallen. Dann blickte er fragend in die Runde.

„Worum geht es?“

Schulte-Kopf nippte an seiner Kaffeetasse, griff nach einem schmalen Ordner und schnippte diesen zu Spohn hinüber.

„Dort drin finden Sie ein paar Angaben über einen Jochen Stelter, den Bürgermeister des sächsischen Städtchens Wernichen. Es gibt den Verdacht, dass er früher für die Stasi spioniert haben soll. Das ist doch Ihr Spezialgebiet, oder nicht?“

Spohn nickte.

„Eigentlich schon. Aber gibt es einen besonderen Grund, warum ich recherchieren soll?“

Der Chefredakteur hob die Hände.

„He, der Mann hat es geschafft, seine Vergangenheit seit siebenundzwanzig Jahren zu verschleiern und bekleidet sogar ein politisches Amt. Wie hat er das geschafft? Machen Sie eine Story daraus. Und außerdem kommen Sie mal ein paar Tage aus Hamburg raus und können den Tod ihres Freundes verarbeiten. Ich zähl auf Sie und Ihre Erfahrung, Spohn.“

Zurück im Büro ließ sich Spohn in seinen Schreibtischsessel fallen und öffnete den Aktenordner, den er bisher keines Blickes gewürdigt hatte. Er schaute auf das Foto eines knapp sechzigjährigen Mannes mit vollem, leicht ergrautem Haar. Ihm fiel wieder ein, was er tun wollte, bevor sein Chef nach ihm verlangte. Spohn tippte auf der Tastatur herum und hatte wenige Augenblicke später gefunden, wonach er suchte. Er öffnete sein E-Mail-Programm und schrieb eine knappe Nachricht. Dann wandte er sich erneut der Akte seines Chefredakteurs zu. Kurz danach meldete sich, wie er es erwartet hatte, sein Handy.

„Verdammt, wann ist das passiert?“

Spohn drehte sich zum Fenster, wie immer, wenn er telefonierte.

„Hallo Tanja. Ich wusste, das interessiert dich.“

„Natürlich. Ich bin geschockt. Warum rufst du mich nicht an, sondern schreibst eine Mail?“

„Weil ich bis eben nicht deine Nummer hatte. Ab heute können wir ganz normal telefonieren.“

„Aber du hast meine Mailadresse rausbekommen?“

„Das war nicht weiter schwer. Ich weiß ja, wo du arbeitest. Du scheinst übrigens eine große Nummer bei dieser Stiftung zu sein.“

Er hörte sie lachen.

„Das erzähle ich dir irgendwann mal unter vier Augen. Wie geht es Karstens Frau? Er war doch noch verheiratet?“

Spohn erinnerte sich, dass sich alle drei zum letzten Mal auf Deckers Hochzeit gesehen hatten. Auch das war schon über zwanzig Jahre her.

„Das war er. Im Gegensatz zu mir. Yvonne ist ziemlich fertig, wie du dir denken kannst. Ich fahre heute noch hin und schaue, wie ich sie unterstützen kann. Wir kennen uns ziemlich gut.“

Sie redeten weitere zehn Minuten, dann packte Thomas Spohn zusammen und schloss das Büro ab. Wenig später verließ er mit seinem BMW die Tiefgarage und mischte sich in den dichten Hamburger Feierabendverkehr. Er hatte seit Jahren immer eine gepackte Reisetasche im Kofferraum und brauchte deshalb nicht noch einmal in die kleine Eigentumswohnung in einem der ruhigeren Randbezirke der Hansestadt. Dort wohnte er, seit seine Frau nach der Scheidung vor fast zehn Jahren in die Nähe von Köln gezogen war und ihm das Haus in Volksdorf zu groß wurde. Im Gegensatz zu Sylvana, die schon einige Jahre mit einem Fernsehproduzenten zusammenlebte, hatte er nie wieder eine feste Beziehung gehabt. Ab und an trank er mit seiner ebenfalls alleinstehenden Nachbarin, die als Personalvorstand eines großen Versicherungskonzerns, wie er keine Zeit für die Partnersuche hatte, eine Flasche Rotwein, um danach regelmäßig mit ihr im Bett zu landen. Inzwischen hatte sich Spohn an diese Art Unabhängigkeit gewöhnt und genoss es, tun und lassen zu können, was er wollte.

Während der Fahrt telefonierte er mit Hagen Belz, seinem Kontaktmann bei der Stasi-Unterlagenbehörde in Berlin. Er gab ihm die Daten durch, die er vom Chefredakteur bekommen hatte. Belz notierte eifrig und versprach wie immer, innerhalb einer Woche Ergebnisse zu liefern. Nach dem Ende des Gesprächs ging Spohn durch den Kopf, dass Hagen Belz bisher regelmäßig fündig geworden war, wenn er bei ihm einen Namen eingereicht hatte.

2

Thomas Spohn erreichte das kleine Dorf in der Nähe der Stadt Brandenburg kurz bevor es dunkel wurde. Er fuhr den Wagen hinter das Haus und fischte seine Reisetasche aus dem Kofferraum. Yvonne Decker erwartete ihn bereits an der Hintertür und fiel ihm wortlos um den Hals. Sie klammerte sich an ihn und begann hemmungslos zu weinen. Spohn stand wie erstarrt und streichelte ihr minutenlang über den Rücken. Langsam lockerte die Frau ihren Griff und zog ihn ins Haus. Im Wohnzimmer saßen ihre beiden Kinder und schauten teilnahmslos auf, als er den Raum betrat. Spohn umarmte die fünfzehnjährige Sophie und drückte ihrem zwei Jahre älteren Bruder Robert wortlos die Hand. Dann schob er sich um den Couchtisch herum und glitt auf das Sofa. Yvonne brach endlich das Schweigen.

„Danke, dass du gekommen bist. Möchtest du etwas trinken?“

Spohn schüttelte den Kopf.

„Erst einmal nicht. Ich möchte euch sagen, dass es mir unendlich leidtut. Euer Vater war mein bester Freund. Ich bin zutiefst erschüttert. Wenn ich irgendetwas für euch tun kann, dann sagt es.“

Yvonne stand auf und holte eine Flasche Kognak und zwei Gläser aus dem Schrank.

„Du würdest mir einen großen Gefallen tun, wenn du morgen herausbekommen könntest, was genau passiert ist. Der Polizist, der heute hier war, sagte nur, dass Karsten wohl mit einem Wildschwein zusammengestoßen ist und dann gegen einen Baum geschleudert wurde. Dabei soll das Auto in Brand geraten sein. Verdammt, er hatte doch nur noch zehn Kilometer bis nach Hause.“

Sie goss mit zitternden Händen die Gläser voll und trank ihres in einem Zug aus. Dann begann sie zu husten. Sophie rutschte zu ihr herüber und streichelte ihren Kopf.

Spohn blickte Robert an.

„Es ist hier passiert, hier in der Nähe?“

Der junge Mann nickte.

„Ja, unsere Feuerwehr war da. Sie haben das Auto gelöscht, doch es war zu spät. Papa war wohl eingeklemmt und kam nicht allein raus.“

„Ich soll dir etwas von ihm geben.“

Yvonne war aufgesprungen und rannte aus dem Zimmer. Wenig später kam sie mit einem Briefumschlag in der Hand zurück.

„Karsten meinte, wenn ihm irgendetwas passieren sollte, dann bekommst du dies hier. Als wenn er geahnt hat, dass er sterben würde.“

Sie brach erneut in Tränen aus.

Spohn öffnete den Umschlag und schaute hinein. Er entdeckte einen USB-Stick und ließ ihn in seine Hand gleiten.

„Weißt du, was da drauf ist?“

Sie schüttelte den Kopf.

„Er hat mir nicht gesagt, woran er gearbeitet hat. Aber es muss wohl gefährlich gewesen sein.“

„Wo kam Karsten her, als der Unfall passiert ist?“

„Aus Kiew. Er war eine Woche in der Ukraine und hat dort etwas recherchiert.“

Spohn schaute sie ungläubig an.

„Er war in der Ukraine? Ganz allein?“

Sie nickte.

Er erhob sich.

„Ich glaube, ich muss mir doch mal ansehen, was hier drauf ist. Darf ich sein Studio benutzen?“

Yvonne wies zur Tür.

„Du kennst dich ja hier aus.“

Spohn betrat die zu einem kleinen Filmstudio umgebaute Garage. Karsten Decker war bis vor zwei Jahren Chefredakteur des „Märkischen Kurier“, einer der wichtigsten Zeitungen der Region. Nachdem das Blatt einen neuen Herausgeber bekommen hatte, wurde Decker wegen eines angeblich israelfeindlichen Leitartikels fristlos gekündigt. Er hatte dagegen geklagt und eine ansehnliche Abfindung herausgeschlagen. In der Folge machte er sich als freier Journalist mit einem eigenen Youtube-Kanal selbständig, der in den letzten Wochen zunehmend erfolgreicher wurde und wegen seiner kritischen Berichterstattung immer mehr Klicks bekam. Spohn wanderte eine Minute lang durch den Raum und blieb schließlich vor dem in einem Bilderrahmen drapierten Zeitungsartikel stehen, der Karsten Decker den Job als Chefredakteur gekostet hatte. Dann betrachtete er die beiden auf Stative gesteckten Kameras und den gewaltigen Flachbildschirm, der fast die gesamte Rückwand des kleinen Studios einnahm.

Er hatte mit ihm einige Meinungsverschiedenheiten gehabt, weil dieser in den Beiträgen immer heftiger gegen die, in seinen Augen gleichgeschalteten, Mainstreammedien herzog. Sich selbst präsentierte er als eine Art Kronzeugen und gewann dadurch eine Menge Glaubwürdigkeit bei den zahlreicher werdenden Anhängern.

Spohn packte seinen Laptop aus und fuhr ihn hoch. Dann steckte er Deckers USB-Stick ein. Wenige Augenblicke später erschien Karstens Gesicht auf dem Bildschirm.

„Hallo Thomas! Wenn du

dieses Video siehst, bin ich

mit hoher

Wahrscheinlichkeit nicht

mehr am Leben. Du sitzt

jetzt sicher in meinem

Studio und fragst dich, was

passiert ist. Ich will dich

auch gar nicht lange auf

die Folter spannen. Bei

meinen Recherchen bin ich

auf Sachen gestoßen, die

besser im Dunkeln

geblieben wären. Wie du

vielleicht weißt, bin ich

immer noch hinter den

wahren Ursachen für den

Absturz der MH 17 in der

Ukraine her. Für euch in

den Mainstreammedien, ich

kann jetzt richtig fühlen,

wie du das Gesicht

verziehst, ist der Fall ja

schon lange erledigt. Ihr

glaubt ja den Scheiß, den

man euch präsentiert hat,

dass es die Russen mit einer

BUK-Rakete waren. Dein

Blatt hat sich ja dabei

ziemlich unrühmlich

hervorgetan und ist dafür

auch ganz zu recht

abgewatscht worden. Ich

weiß, dass du nicht

unmittelbar damit zu tun

hattest. Aber du bist

trotzdem ein Teil der

Systempresse. Aber ich

sitze hier nicht, um dir

Vorwürfe zu machen.

Folgendes ist passiert: Ich

habe den spanischen

Fluglotsen ausfindig

gemacht, der am 17. Juli

2014 im Tower des Kiewer

Flughafens Dienst hatte

und getwittert hat, dass da

ein zweites Flugzeug war.

Genau der Fluglotse, den

es nach offizieller

Darstellung gar nicht gibt.

Außerdem sind eine Menge

Beweise aufgetaucht, die

die Version erschüttern, die

Russen hätten irgendwo

eine BUK auf den Acker

gestellt und die Boeing

heruntergeholt. Deshalb

reise ich übermorgen in die

Ukraine. Ich denke mal,

meine Russischkenntnisse

sind noch ausreichend, um

dort allein klarzukommen.

Allerdings bin ich bei

meinen Recherchen einigen

Leuten massiv auf die Füße

getreten und es gibt

Anzeichen, dass ich in

Lebensgefahr bin. Ich hoffe

zwar, dass mir nichts

passiert, aber man kann ja

nie wissen. Deshalb habe

ich alles, was ich an

Material zu diesem und

einigen anderen Vorgängen

besitze, auf diesen Stick

kopiert. Es ist eine

Unmenge und du wirst

mehrere Tage brauchen,

um alles zu lesen. Und hier

meine Bitte an dich als

meinem besten Freund:

Nimm ernst, was du da vor

dir hast! Ich weiß, wir

waren nicht immer einer

Meinung. Aber bedenke,

dass ich möglicherweise

sterben musste, weil ich

dieses Material besitze.

Vielleicht weckt es ja deine

professionelle Neugier und

du beginnst auf dieser

Grundlage mit einer

eigenen Recherche. Ich

wünsche dir viel Glück.

Und pass auf dich auf. Die

Sache ist viel größer, als

sie zunächst scheint. Traue

keinem und sei überaus

vorsichtig. Und kümmere

dich bitte um meine

Familie. Ich danke dir für

die vielen Jahre, die wir

gemeinsam erlebt haben.

Mach es gut, mein

Freund!“

Thomas Spohn starrte auf den Bildschirm und kämpfte mit den Tränen. Er hatte nicht gemerkt, dass Yvonne leise in den Raum gekommen war und das Video von der Tür aus mit anschaute. Schluchzend rannte sie zurück in das Wohnzimmer. Spohn ignorierte es und beobachtete weiter fassungslos das eingefrorene Bild seines Freundes auf dem Laptop. Erst Minuten später war er in der Lage, sich dem restlichen Inhalt des USB-Sticks zu widmen. Er scrollte durch eine wahre Flut von Ordnern zu den verschiedensten Themen. Eine Stunde lang öffnete und schloss er wahllos Dokumente, ohne wirklich etwas zu erfassen. Schließlich zog er den Stick ab und steckte ihn ein.

Yvonne Decker saß noch immer im Wohnzimmer und starrte vor sich hin. Die Kinder waren inzwischen verschwunden. Mit rotgeweinten Augen schaute sie Spohn an.

„Möglicherweise war es gar kein Unfall?“

Spohn hob die Hände.

„Das müssen wir herausfinden. Ich werde mich morgen mal ein wenig umhören. Aber erzähle niemandem von dem Stick, hörst du? Ich will nicht, dass ihr deswegen auch noch Stress bekommt. Es ist alles schon schlimm genug. Hat Karsten mit irgendwem zusammengearbeitet? Weiß noch jemand von seinen Recherchen?“

Sie hob die Schultern.

„Hier hat er alles allein gemacht. Und wen er so alles getroffen hat, wenn er unterwegs war, weiß ich nicht. Wir haben selten über seine Arbeit gesprochen.“

Spohn blickte auf die Uhr.

„Ich gehe jetzt schlafen. Es war ein langer Tag. Versuche du bitte auch ein wenig Ruhe zu finden. Vielleicht nimmst du eine Tablette.“

3

Am nächsten Vormittag traf sich Spohn mit Detlef Bollinger, dem örtlichen Chef der Freiwilligen Feuerwehr. Der werkelte im Gerätehaus an einem der beiden Einsatzfahrzeuge. Yvonne hatte ihn vor einer Stunde angerufen und sein Erscheinen angekündigt. Der Feuerwehrmann legte den Schraubenschlüssel beiseite und schüttelte dem Journalisten die Hand. Er kam gleich zur Sache.

„Schlimme Geschichte, das mit Karsten. Er war ein verdammt netter Kerl. Es ist grausam, dass er so enden musste. Verbrennen ist eine der schlimmsten Todesarten.“

Er wies auf ein paar Stühle, die in der Ecke standen und schnappte zwei Flaschen Wasser aus einem Regal. Eine davon reichte er seinem Gast.

„Ich kann Ihnen leider keinen Kaffee anbieten. Aber ich denke, das tut es auch. Kannten Sie ihn gut?“

Spohn nickte.

„Wir haben zusammen studiert und all die Jahre Kontakt gehalten. Ich war oft hier zu Besuch.“

Bollinger öffnete die zischende Wasserflasche und stürzte ein paar Schlucke hinunter.

„Yvonne ist die Cousine meiner Frau. So ist das hier auf dem Dorf. Viele sind irgendwie miteinander verwandt.“

„Waren Sie vorletzte Nacht an der Unfallstelle?“

Der Feuerwehrmann nickte.

„Lange vor der Polizei. Die kam erst, als wir den Brand schon gelöscht hatten. Der Rettungswagen war kurz nach uns da. Die konnten aber nichts mehr machen. Der Körper war total verbrannt, die werden Mühe haben, ihn überhaupt irgendwie zu identifizieren. Sowas habe ich in all den Jahren noch nicht gesehen. “

„Wer hat den Notruf gewählt?“

„Das weiß ich nicht. Wir wurden über die Einsatzzentrale alarmiert. Es war auch niemand da, als wir eintrafen. Das war schon merkwürdig.“

Spohn wollte gerade die Flasche zum Mund führen, erstarrte für einen Moment und schaute sein Gegenüber verdutzt an.

„Wie, es war keiner da? Wenn jemand den Notruf wählt, muss er doch warten, bis Hilfe eintrifft.“

Bollinger nickte.

„Eigentlich schon. Aber das war nicht das einzige, was komisch war.“

„Ich denke, ein anonymer Anruf bei der Polizei ist in so einem Fall schon ungewöhnlich genug.“

„Das glauben Sie? Wissen Sie, als wir den Brand gelöscht hatten, was bei einem Auto ziemlich schnell geht, habe ich mir die Unfallstelle mal genauer angesehen. Am Straßenrand lag das Schwein.“

„Yvonne sagte, er soll mit dem Tier zusammengestoßen und dann gegen einen Baum geschleudert sein.“

„So steht es im Bericht. Komisch ist nur, dass es hier gar keine Wildschweine gibt.“

Spohn hob die Hand.

„Moment. Was heißt, hier gibt es keine Wildschweine?“

„Wissen Sie, Herr Spohn. Ich bin auch Jäger. Mein Revier grenzt unmittelbar an das, in dem der Unfall passiert ist. Wir haben hier in der Gegend keinen Wald. Nur Wiesen. Hier leben keine Wildschweine, weil die hier keine Deckung finden. Wir haben jede Menge Rehe, Füchse und Niederwild. Aber keine Wildschweine. Deshalb habe ich mir diesen Keiler auch genauer angesehen. Ein Mordsvieh. Der hatte locker über zweihundert Kilo. Wenn hier in der Gegend so ein Riese rumlaufen würde, wüsste ich das. Außerdem war der schon vorher tot.“

„Wie jetzt? Der wurde nicht überfahren?“

„Doch. Angefahren wurde der schon. Aber er lag schon auf der Straße, als Karsten ihn erwischt hat.“

„Woher wissen Sie das?“

„Ein Einschuss. Saubere Sache. Blattschuss direkt ins Herz.“

„Haben Sie das der Polizei gesagt?“

„Natürlich. Aber das waren zwei junge Kerle, die haben das zwar irgendwie zur Kenntnis genommen, sich aber wohl nicht weiter drum gekümmert.“

Spohn stellte die Wasserflasche behutsam vor sich auf den Boden.

„Ganz langsam, Herr Bollinger. Jetzt wird die Sache justiziabel. Sie sagen, da lag ein totes Wildschwein auf der Straße, das vorher erschossen wurde. Und das in einer Gegend, in der es angeblich gar keine Wildschweine gibt. Und an der Unfallstelle haben Sie niemanden angetroffen. Ich schaue ungern Krimis, aber trotzdem meine ich, dass die Sache doch gewaltig stinkt. Finden Sie das nicht auch?“

Bollinger trank seine Flasche aus.

„Sie sind von der ganz schnellen Truppe, nicht wahr?“

„Würden Sie mit mir zur Unfallstelle fahren und mir alles zeigen?“

Spohn erhob sich. Der Feuerwehrmann stellte die leeren Flaschen zurück ins Regal.

„Sie sind wirklich Journalist? Kein Ermittler?“

„Ich bin Reporter. Wieso fragen Sie?“

„Weil sich doch heute kein Medienmensch mehr die Mühe macht, selbst irgendwas rauszufinden. Die schreiben doch einfach den Polizeireport ab und das wird dann so gemeldet. Wir schlagen manches Mal die Hände über dem Kopf zusammen, wenn wir die Unfallberichte in der Zeitung lesen.“

Spohn baute sich dicht vor Bollinger auf.

„Es geht hier um den Tod meines besten Freundes. Wir kannten uns mehr als dreißig Jahre. Und können Sie ein Geheimnis behalten?“

„Kommt drauf an.“

„Er fühlte sich bedroht. Irgendjemand hat nicht gepasst was er machte. Und das, was Sie mir gerade erzählt haben, ist genau der erste Puzzlestein. Ich habe mein Handwerk noch richtig gelernt und weiß, was eine gute Recherche wert ist. Und jetzt lassen Sie uns fahren.“

Zehn Minuten später stoppte Spohn seinen Wagen vor einem angekohlten Baumstamm. Die Männer stiegen aus.

„Hier stand das brennende Auto. Karsten war eingeklemmt und schon tot als wir eintrafen. Von ihm ist nicht viel übriggeblieben. Der Stamm hatte auch schon Feuer gefangen, wie Sie sehen können.“

„Und wo lag jetzt genau das Schwein?“

Bollinger ging ein paar Schritte vom Baum weg.

„Genau hier wo ich jetzt stehe.“

Spohn, der mit seinem Smartphone eben noch den verkohlten Stamm fotografiert hatte, trat zu ihm.

„Er hat es also auf der Fahrbahn erwischt und es dann zur Seite geschleudert. Dabei ist er selbst seitlich gegen den Baum gestoßen. Richtig?“

„So ungefähr. Er ist mit dem hinteren Kotflügel eingeschlagen. Dabei muss der Tank aufgerissen sein.“

„Ok. Dann möchte ich etwas kontrollieren.“

Spohn stieg in den Straßengraben gegenüber der Stelle, an der das Schwein gelegen hatte.

„Kommen Sie mal her, Herr Bollinger. Sehen Sie das hier?“

Er deutete auf einige Abdrücke in der weichen Erde. Der Feuerwehrmann hockte sich hin und strich mit der Hand darüber.

„Hier hat sich jemand mit dem Fuß abgestützt, würde ich sagen.“

Spohn nickte.

„Ein so schweres Tier, wie Sie es beschrieben haben, bewegt nicht ein Mann allein. Hier waren mindestens zwei Leute. Und die haben die Sau mit einem Strick auf die Fahrbahn gezogen. Und zwar so.“

Spohn setzte einen Fuß in den Abdruck. Bollinger stellte sich daneben und tat es ihm gleich. Die Abstände passten. Dann kletterte der Journalist aus dem Graben auf das neben der Straße liegende Feld.

„Wenn wir richtig Glück haben, finden wir vielleicht noch irgendwo Reifenspuren. Ich glaube nicht, dass die direkt am Straßenrand geparkt haben. Sie haben das Tier ausgeladen und ein Seil an die Füße gebunden.“

Er stieg durch den Graben zurück auf die andere Straßenseite und fand dort einen Übergang auf den angrenzenden Acker.

„Sehen Sie, hier. Hier stand ein Auto mit dicken Reifen. Sie wussten, dass auf dieser Straße nachts nicht viel los ist und wann Karsten ungefähr hier langkommen würde. Das war kein Unfall. Das war eiskalter Mord.“

„Verdammte Scheiße, wer tut so etwas? Sollen wir zur Polizei gehen?“

„Wie gesagt, ich habe keine Ahnung, wer dahintersteckt. Natürlich werden wir es melden. Aber ich werde trotzdem noch ein wenig auf eigene Faust recherchieren. Wo wurde das Wrack hingebracht?“

„In der Regel schaffen sie es zum nächsten Polizeipräsidium. Dort schaut es sich dann ein Gutachter an. Ich kenne den Fahrer des Abschleppers. Der wird es mir sagen. Ich rufe ihn gleich mal an.“

Die Polizei hatte das Wrack von Deckers Wagen, einem Peugeot, auf den Hof einer Autowerkstatt im Nachbarort bringen lassen. Der Werkstattmeister und Detlef Bollinger schienen gute Bekannte zu sein. Sie begrüßten sich herzlich. Bollinger stellte schließlich Thomas Spohn vor und fragte nach den Resten des Unfallautos. Der Automechaniker wies auf die völlig ausgebrannte Karosserie. Spohn umrundete diese und versuchte, im Innern irgendetwas zu erkennen. Dann richtete er sich auf.

„War schon ein Gutachter hier und hat sich das angesehen?“

Der Mechaniker schüttelte den Kopf.

„Angeblich soll auch keiner mehr kommen. Der Fall ist für die Polizei eindeutig. Die haben gar nicht die Leute, um in solchen Fällen noch große Ermittlungen zu führen.“

Ungläubig blickte Spohn Bollinger an.

„Was meinst du, kann ein Auto so schnell in Brand geraten?“

Der Werkstattmeister ging auf das Wrack zu.

„Ich zeig euch mal was. Das hat mich stutzig gemacht. Hier ist der Wagen gegen den Baum geprallt. Der Einschlag war in Höhe des Hinterrades. Es wäre noch zu verstehen, wenn auf dieser Seite, also rechts, der Tank sitzen würde. Aber bei dem Auto ist der links. Und hat eigentlich auch nichts abbekommen. Komisch ist das schon, findet ihr nicht auch?“

Spohn stand mit zwei großen Schritten neben ihm.

„Wollen Sie damit andeuten, das Fahrzeug wäre angezündet worden?“

„Das will ich nicht behaupten. Wäre vielleicht doch ein Fall für den Gutachter. Aber die Ermittlungen dazu sind offiziell beendet. Brandursache war die Kollision mit dem Baum. Fertig.“

Bollinger schüttelte den Kopf.

„Das kann doch nicht wahr sein! Die müssen so einer Sache doch nachgehen! Besonders wenn es solche Ungereimtheiten gibt.“

Spohn wandte sich noch einmal an den Werkstattmeister.

„Haben Sie die Überreste von einem Laptop, Kamera oder Handy gefunden? Irgendwelche elektronischen Geräte? Die pulverisieren ja nun nicht komplett.“

„Nur die Reste seines Koffers. Und da waren anscheinend nur Klamotten drin. Es gab keine Hinweise auf irgendwelche Gerätschaften. Vielleicht hatte er ja sein Handy in der Tasche. Dann sind die Reste bei der Leiche.“

„Er kam von einer Recherchereise. Da hatte er immer eine Kamera und einen Laptop dabei. Und die trug er meistens in einer separaten Tasche, die er mit in die Flugzeugkabine genommen hat.“

„Wie gesagt, wir haben nichts gefunden.“

Thomas Spohn drehte sich zu Bollinger um.

„Wir fahren jetzt zur Polizei und erstatten Anzeige. Es gibt hier mittlerweile zu viele Merkwürdigkeiten.“

4

Die Beerdigung von Karsten Decker fand eine Woche später auf dem kleinen Friedhof des Dorfes statt, in dem er die letzten zwanzig Jahre gewohnt hatte. Anschließend verabschiedete sich Thomas Spohn von Yvonne und den Kindern. Innerlich war er froh, ihr Haus verlassen zu können, denn die Tage mit der trauernden Familie und die Nachforschungen über die wahren Unfallursachen hatten ihn ziemlich bedrückt. Er setzte sich in den Wagen und fuhr nach Potsdam, wo er sich mit Tanja Naumann-Kempf, seiner alten Studienfreundin, zum Abendessen verabredet hatte. Sie war gleichfalls zur Beerdigung gekommen, hatte das Dorf aber kurz danach wegen angeblich dringender Termine wieder verlassen. Sie wollte es vermeiden, mit Yvonne zusammenzutreffen. Beide kannten sich ebenfalls von der Universität in Leipzig, wo sie fast gleichzeitig in Karsten verliebt waren und einige Zeit zu verbissenen Rivalinnen wurden.

Tanja wartete bereits, als Thomas Spohn das Restaurant betrat. Bewundernd blieb er für einen Moment stehen. Seine alte Kommilitonin hatte sich umgezogen und trug nicht mehr das schlichte schwarze Kleid wie am Nachmittag auf dem Friedhof. Spohn bewunderte die dunkelblaue Bluse, die ihre schulterlangen, rotgefärbten Haare erst recht zur Geltung brachten und ließ seinen Blick schließlich an ihren langen Beinen heruntergleiten.

„Du siehst umwerfend wie eh und je aus. Dir scheint es gut zu gehen, oder irre ich mich?“

Er schob sich ihr gegenüber auf den Stuhl und grinste. Sie schenkte ihm ein bezauberndes Lächeln.

„Ich sage mal so, wenn es noch besser ginge, wäre es nicht mehr auszuhalten.“

Ein Kellner brachte die Speisekarten. Spohn bestellte eine Flasche Wein.

„Schlimme Geschichte, das mit Karsten. Hast du Yvonne gesprochen?“

Sie nickte.

„Aber nur kurz. Ich habe ihr mein Beileid ausgesprochen und dann gemacht, dass ich wegkam. Ich bin für sie immer noch die Inkarnation des Bösen. Diejenige, die ihr den Mann ausspannen wollte.“

„Das ist jetzt fast dreißig Jahre her.“

„Thomas, mein Lieber. Du hast eben keine Ahnung von Frauen. Wir vergessen sowas nicht. Wie ist es übrigens bei dir? Ich habe keine Frau Spohn gesehen.“

„Ich bin seit zehn Jahren geschieden. Eine Frau Spohn wird es in meinem Leben nicht mehr geben.“

„Ach komm. Warum so negativ? Vielleicht findest du noch mal jemanden? Du bist doch ein gut aussehender Mann.“

„Danke für die Blumen. Und wie ist es bei dir? Du bist eine attraktive Frau. Dein Mann muss doch vor Stolz platzen. Wieso lässt er dich allein reisen?“

Bevor sie antworten konnte, brachte der Kellner den Wein. Spohn kostete und nickte. Sie hoben die Gläser. Er schaute ihr tief in die Augen.

„Auf Karsten. Möge er in Frieden ruhen.“

Sie lächelte.

„Auf unseren dritten Musketier. Ich habe ihn immer gemocht. Genauso wie dich.“

„Du hast immer noch nicht auf meine Frage geantwortet. Wo hast du deinen Mann versteckt? Ich würde ihn gern mal kennenlernen.“

Sie nippte wieder an ihrem Glas und stellte es dann langsam auf den Tisch.

„Mein Mann ist Brigadegeneral bei der Bundeswehr. Den kriegt kaum einer je zu Gesicht. Nicht einmal ich. Deshalb haben wir uns auch vor einem Jahr getrennt. Rein inoffiziell. Wenn es sein Job verlangt, bin ich immer noch zur Stelle und spiele die liebende Ehefrau.“

„Tut mir leid, das wusste ich nicht. Da bin ich ja gleich wieder voll ins Fettnäpfchen gelatscht. Genau wie früher.“

Tanja schüttelte den Kopf.

„Ist schon ok. Ich bin sowieso nicht für die Ehe geschaffen. Das Ding war von Anfang an irgendwie verkorkst. Hast du Kinder?“

„Nein, dafür waren wir beide viel zu sehr mit unserer Karriere beschäftigt. Und du?“

„Mir ging es genauso. Ich bin nicht so wie die Frauen der anderen Generäle, die zwischen Reihenhaus und Tennisklub pendeln. Ich habe immer gearbeitet und doppelt so viel verdient wie mein sauberer Gatte. Das hat ihm nie gepasst. Vor einem Jahr bin ich dann ausgezogen.“

Sie kippte den gesamten Rest des Weinglases hinter. Er schenkte umgehend nach.

„Stiftung Dialog und Medien, was treibst du da eigentlich?“

Tanja beugte sich über den Tisch. Ihre Stimme verdunkelte sich.

„Ich bin der feuchte Traum jedes

Verschwörungstheoretikers. Wir steuern die deutsche Presse und sagen den Zeitungen, was sie zu schreiben haben.“

Grinsend lehnte sie sich wieder zurück und griff erneut nach dem Weinglas. Spohn wirkte ein wenig perplex.

„Du verarscht mich. Wie soll ich das verstehen?“

Sie seufzte.

„Wie kommst du auf die Themen, zu denen du schreibst?“

„Die suche ich mir selbst. Meistens. Oder ich bekomme irgendwelche Tipps von ausserhalb.“

„Und wie oft sagt dein Chefredakteur zu dir, mach doch mal was dazu oder dazu?“

„Das kommt auch ab und an vor.“

„Siehst du. Und was meinst du, woher der das hat?“

„Von dir und deiner geheimnisvollen Stiftung?“

„Es wird wärmer. Du hast es bald.“

Sie hielt ihr Smartphone in die Höhe.

„Hier drin sind die Telefonnummern von ungefähr zweihundertfünfzig Chefredakteuren aus ganz Deutschland. Und dabei sind die vom Hintertupfinger Anzeiger oder vom Obermoselbacher Kurier noch gar nicht berücksichtigt.“