Descendant of Heat and Blaze (Celestial Legacy 2) - Johanna Danninger - E-Book
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Descendant of Heat and Blaze (Celestial Legacy 2) E-Book

Johanna Danninger

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Beschreibung

**Nutze dein lang verborgen gebliebenes Erbe der Sonne** Seit ihrem Zusammenstoß mit der Celestial Army Force hat sich Dees Leben von Grund auf verändert. Nur knapp gelingt es ihr, gemeinsam mit dem Sonnenkrieger Jason drei magische Artefakte zu stehlen und sich in die geheime Stadt der Celestials, Eden Hill, zu begeben.  Dort stellt Dee den Sonnenorden vor ein großes Rätsel, denn ihre Fähigkeiten übersteigen alles, was sie bislang zu wissen geglaubt haben. Allein ihre Existenz könnte großes Unheil für die Menschheit bedeuten. Und inmitten all dieses Chaos kommen sich Dee und Jason unverhofft näher … Tauche ein in die Welt der Celestials und ergründe ihre Geheimnisse – Endlich eine neue Fantasy-Reihe von Johanna Danninger, der Bestseller-Autorin von »Secret Elements«! //Dies ist der zweite Band der »Celestial Legacy«-Reihe von Johanna Danninger. Alle Bände der Reihe bei Impress: -- Heiress of Thunder and Lightning (Celestial Legacy 1) -- Descendant of Heat and Blaze (Celestial Legacy 2)// Diese Reihe ist abgeschlossen.

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Impress

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Johanna Danninger

Descendant of Heat and Blaze (Celestial Legacy 2)

**Nutze dein lang verborgen gebliebenes Erbe der Sonne**

Seit ihrem Zusammenstoß mit der Celestial Army Force hat sich Dees Leben von Grund auf verändert. Nur knapp gelingt es ihr, gemeinsam mit dem Sonnenkrieger Jason drei magische Artefakte zu stehlen und sich in die geheime Stadt der Celestials, Eden Hill, zu begeben. Dort stellt Dee den Sonnenorden vor ein großes Rätsel, denn ihre Fähigkeiten übersteigen alles, was sie bislang zu wissen geglaubt haben. Allein ihre Existenz könnte großes Unheil für die Menschheit bedeuten. Und inmitten all dieses Chaos kommen sich Dee und Jason unverhofft näher …

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Vita

© privat

Johanna Danninger, geboren 1985, lebt als Krankenschwester mit ihrem Mann, einem Hund und zwei Katzen umringt von Wiesen und Feldern im schönen Niederbayern. Schon als Kind dachte sie sich in ihre eigenen Geschichten hinein. Seit sie 2013 den Schritt in das Autorenleben wagte, kann sie sich ein Dasein ohne Tastatur und Textprogramm gar nicht mehr vorstellen. Und in ihrem Kopf schwirren noch zahlreiche weitere Ideen, die nur darauf warten, endlich aufgeschrieben zu werden!

Die Celestials erfüllten ihre Aufgabe zur großen Zufriedenheit der Götter. Nach einigen Jahrhunderten trat allerdings Uneinigkeit auf, die zu einem unerbittlichen Krieg unter den Celestials führte, einem Krieg, der letztlich die gesamte Welt in Gefahr brachte. Die Götter sahen sich gezwungen einzugreifen, und so sandten sie die Sonnenkinder auf die Erde, auf dass diese mit ihrer unvergleichlichen Macht den Frieden wiederherstellten.

Als Harmonie und Einigkeit eingekehrt waren, zogen die Sonnenkinder sich zurück.

Seitdem ruhen sie wie auch die Götter selbst – jederzeit bereit ihre Kräfte einzusetzen, wenn die Schöpfung erneut in Gefahr sein sollte …

KAPITEL 1

Eden Hill.

Eine geheime Stadt in Alaska, ihre wahre Bestimmung verborgen vor unwissenden Augen, eingebettet in ein Tal, vollständig umrahmt von einer imposanten Gebirgsformation. Die bewaldeten Berge waren so hoch, dass ihre Gipfel, selbst jetzt im Spätsommer, mit reinweißem Schnee bedeckt waren. Die alten und buckelig anmutenden Häuser der Stadt reichten bis ans Ufer eines Gebirgssees. Das Wasser war so klar, dass sich die gesamte Umgebung darin spiegelte und man die bauschigen Wolken in jeder Einzelheit über die glatte Oberfläche wandern sehen konnte.

Ich stand in einem kleinen Garten, der wie eine Empore über Eden Hill thronte. Hinter mir ragte der Regimentspalast auf. Meine Hände ruhten auf dem glatten Stein einer massiven Brüstung, unter der es steil bergab ging.

Ein frischer Wind brachte mein kinnlanges rabenschwarzes Haar zum Tanzen. Immer wieder strich ich mir die Strähnen hinter die Ohren, doch sie ließen sich nicht lange bändigen.

In meiner Nähe plätscherte ein Springbrunnen vor sich hin. Die Geräusche des Wassers wurden aber die meiste Zeit von den hingebungsvollen Arien der Singvögel übertönt, die in dem ausladenden Geäst der umliegenden Bäume herumtanzten. Ab und an brummten fleißige Insekten an mir vorbei. Und zu all diesen Klängen gesellten sich die quirligen Laute der Stadt zu meinen Füßen.

Leben.

Wenn man Eden Hill mit einem einzigen Wort beschreiben müsste, dann wäre es Leben. Jede Pflanze, jedes Tier, jeder Mensch, ja, selbst die Gebäude mit ihren bunten Fassaden, strotzten nur so vor Energie.

Ich liebte diesen Ort bereits jetzt, obwohl ich erst seit knapp einer Woche hier war und noch längst nicht alles gesehen hatte. Es brauchte keine ausführliche Erkundung, um zu verstehen, dass ich hierher gehörte. Mein Herz hatte es mir im Grunde schon mitgeteilt, als ich zum ersten Mal auf den Balkon meiner Unterkunft getreten war. In diesem Moment war ich bloß zu aufgeregt gewesen, um dieses Flüstern wahrzunehmen.

Das hatte sich nun geändert. Ich war angekommen. Ich befand mich genau da, wo ich sein sollte, und das war das mit Abstand erstaunlichste Gefühl, das ich jemals verspürt hatte.

Zumal meine innere Ruhe nicht recht zu meiner aktuellen Situation passte. Immerhin hatte ich Nebraska als Staatsverräterin verlassen, weil ich eine Militäreinrichtung bestohlen hatte. Das hatte mich wiederum hierher geführt, in diese besondere Stadt, die Teil einer mir vollkommen fremden Welt war. Es war die Welt der Celestials, in der nun wiederum ich selbst als rätselhaft galt, weil ich über Fähigkeiten verfügte, die eigentlich gar nicht existieren sollten.

Ich schloss die Augen und atmete mehrmals tief durch. Dabei verband ich mich mit dem elektromagnetischen Spektrum und lauschte den einzigartigen Symphonien, die ich nur mit meinem celestialen Sinn hören konnte. Es hatte lange gedauert, bis ich mich nach meiner zufälligen Aktivierung mit dieser neuen Fähigkeit hatte anfreunden können. Inzwischen wollte ich nie wieder ohne den Aspekt des Jupiter sein. Er war ein Teil von mir, gehörte zu mir, genau wie meine menschlichen Sinne auch.

Nun musste ich schon wieder mit neuen Fähigkeiten klarkommen. Obwohl ich inzwischen wissen sollte, wie ich dabei vorzugehen hatte, fiel mir der Zugang ungemein schwer. Was durchaus nachvollziehbar war, denn ich hatte buchstäblich über Nacht gleich drei zusätzliche Sinne erhalten. Ich musste erst lernen, wie sie sich anfühlten und wie sie zu nutzen waren. Das größte Problem dabei war, dass ich sie noch nicht differenzieren und einzeln ansteuern konnte, so wie es bei Jupiter der Fall war.

Vorsichtig lenkte ich meine Aufmerksamkeit zu ihnen. Neptun, Merkur und Uranus. Ich konnte sie ganz deutlich spüren, diese noch so fremdartigen Kräfte, die mein Sein durchströmten. Ganz langsam näherte ich mich ihnen an und wagte es schließlich, mich mit ihnen zu verbinden.

Sofort brach das totale Chaos in meiner Wahrnehmung aus. Mein Verstand war von den vielen neuen Sinneseindrücken völlig überfordert. Auf einen Schlag konnte ich den Wind unter meiner Haut spüren, das Wasser des Springbrunnens schmecken und die stete Vibration der Erde in meiner Brust fühlen. Und das alles zur gleichen Zeit. Jede Empfindung für sich bereits intensiv und mitreißend, sodass ich allen zusammen hilflos ausgeliefert war.

Hastig riss ich die Augen auf und konzentrierte mich ausschließlich auf meinen altbekannten Sehsinn, bis das turbulente Rauschen in mir verklungen war. Mein Atem ging schwer wie nach einem Sprint.

Mit bebenden Händen stützte ich mich auf der Brüstung ab, während mein Puls sich allmählich wieder beruhigte.

Nach einer Weile richtete ich mich auf und pustete hingebungsvoll die Luft aus. Das konnte ja noch heiter werden …

Ich wandte mich ab und durchquerte den Garten. Unterwegs strich ich mein Shirt glatt und wie immer irritierte mich der leichte Stoff unter meinen Fingerspitzen. Ich hatte mich in den letzten Wochen so an das Tragen einer Militäruniform gewöhnt, dass ich mir nun in Zivilkleidung merkwürdig vorkam. Trotz Jeans und T-Shirt fühlte ich mich irgendwie nackt. Und das, obwohl mich absolut nichts mehr mit dem Militär verband und ich auf gar keinen Fall mehr eine CAF-Montur tragen wollte.

Vielleicht war mein Gefühl darin begründet, dass mir die Uniform zum ersten Mal den Eindruck vermittelt hatte, irgendwo dazuzugehören. Ein Teil von etwas zu sein. Teil einer Gruppe, eines Teams.

Wozu ich jetzt gehörte, wusste ich noch nicht recht.

Gemächlich spazierte ich auf den Regimentspalast zu. Das riesige Gebäude war bereits von außen seiner Bezeichnung würdig. Drei Stockwerke hoch und mit mehreren Türmen und Zinnen versehen erinnerte es an ein europäisches Schloss zu Zeiten der Renaissance. Eine Architektur und Bauweise, die so in Alaska eigentlich gar nicht existieren sollte.

Und trotzdem ragte dieser Palast vor mir auf, die reinweiße Fassade erstrahlte im Licht der Nachmittagssonne, die sich in einigen der hohen Sprossenfenster brach, als würde das Gebäude von innen heraus wie der Schweif einer Sternschnuppe glühen.

Es war magisch. Wahrlich ein Märchenschloss, an dessen Portal man erwartete, Gardisten in aufwendiger Uniform zur Begrüßung einer heranrollenden goldenen Kutsche salutieren zu sehen.

Statt Gardisten traf man vor dem Haupteingang aber zumeist bloß normale Leute an, die anstelle von Uniformen allenfalls schicke Business-Zweiteiler trugen. Goldene Kutschen gab es keine. In dem Rondell vor der breiten Treppe sah man nur in regelmäßigen Abständen den Stadtbus und auf dem weitläufigen Parkplatz davor glitzerten die Wagendächer gewöhnlicher Autos im Sonnenlicht.

Auf den ersten Blick war also alles enttäuschend normal. Weil man von außen nicht sehen konnte, dass die ach so gewöhnlichen Autos nicht mit Benzin, sondern mit Wasserstoff angetrieben wurden. Ebenso wenig, wie man den normalen Leuten ansah, dass sie eben keine gewöhnlichen Menschen, sondern Celestials waren – ein jeder von ihnen von Geburt an mit einem von insgesamt sieben Aspekten gesegnet, die ihnen übernatürliche Fähigkeiten verliehen.

Ich stieg die flachen Steinstufen hinauf zu dem wuchtigen Eingangsportal aus dunklem Eichenholz. Die beiden Flügel der riesigen Tür standen tagsüber stets weit offen. Bisher hatte ich noch nicht beobachten können, ob ein Mensch allein sie überhaupt aufmachen konnte oder ob es dazu einen ganzen Zug aus Ochsen brauchte, die einen knarzenden Mechanismus antrieben.

Ja, gut, wahrscheinlicher war, dass die Türflügel elektrisch betrieben wurden, aber die Ochsentheorie passte eben viel besser zu der altertümlichen Optik.

Hinter der Schwelle trat ich in den Schatten eines unspektakulären Foyers, bevor ich nach wenigen Schritten auch schon wieder ins Sonnenlicht eintauchte. Das Atrium war meiner Meinung nach der beeindruckendste Teil des ganzen Palasts. Eine riesige Glaskuppel überspannte den kreisrunden Bereich, der mehr einer Halle als einem bloßen Raum glich. Die Scheiben hoch über mir waren so sauber, dass ich sie kaum sehen konnte, wodurch ich das Gefühl hatte, direkt unter freiem Himmel zu stehen.

Es herrschte reger Betrieb. Menschen durchquerten in geschäftigem Tempo die Halle. Andere hielten einen kleinen Plausch ab. Manche studierten eingehend die Beschilderungen an den Seiten, um sich in dem Irrgarten aus unterschiedlichsten Abteilungen zurechtzufinden.

Zwei ausladende Treppen standen sich exakt gegenüber und führten jeweils zum ersten Stock eines der beiden Gebäudekomplexe, die das Atrium miteinander verband. Rötlicher Marmor bedeckte den Boden. In der Mitte war ein großes Symbol eingelassen. Es war die Abbildung eines Artefakts. Eines jener antiken Medaillons, die jeweils die geballte Macht eines der sieben Aspekte der Schöpfung in sich bargen. Die Form erinnerte an eine Sonne, mit gezackten Flammen an den Rändern, und war aus dunklem, fast schwarzem Material gefertigt. Sieben verschiedenfarbige Edelsteine waren symmetrisch darin angeordnet. Es waren die Farben, die auch die Kristalle der einzelnen Artefakte aufwiesen. Weiß für Jupiter, Hellblau für Merkur, Bronze für Uranus und Dunkelblau für Neptun. Diese vier hatte ich bereits mit eigenen Augen gesehen. Die restlichen drei hatte man mir erklärt. Smaragdgrün für Saturn, Rosé für Venus und Blutrot für Mars.

Eine goldene Banderole mit runenartigen Schriftzeichen umgab das Sonnensymbol und vollendete damit das Emblem der Institution, die hier im Regimentspalast beheimatet war:

der Sonnenorden.

Die CAF hatte mich lange glauben lassen, der Sonnenorden wäre eine terroristische Organisation, die nach Macht gierte. Diese Behauptung war falsch. Und zwar auf sehr vielen Ebenen, wie ich so nach und nach erfahren hatte.

Zunächst einmal war Sonnenorden der Oberbegriff für eine riesige Regierungsbehörde, die sich weltweit um die speziellen Belange der Celestials kümmerte. Ein komplexes System aus ineinandergreifenden Abteilungen, das ich noch längst nicht ganz durchschaut hatte. Im Grunde kannte ich bisher bloß eine dieser Abteilungen und der Weg dorthin führte mich nun quer durch das Atrium zur links von mir liegenden Treppe.

Auf der Galerie im ersten Stockwerk wandte ich mich zielstrebig in den Flur zum Westflügel. Schon bald verblassten die emsigen Klänge aus dem Atrium und ähnelten immer mehr dem Summen eines fernen Bienenstocks, während es um mich herum ruhiger wurde. Ein weinroter Läufer verschluckte das Geräusch meiner Schritte. Die Wände waren holzvertäfelt und nahezu flächendeckend mit Ölgemälden verziert. Die einzelnen Motive hätten unterschiedlicher nicht sein können.

Ich fand diese wilde Mischung faszinierend. Porträts, Landschaften und Stillleben aus nahezu jeder Epoche wechselten sich nahtlos ab. Es war, als würde der zuständige Dekorateur Wert darauf legen, die komplette Menschheitsgeschichte auszustellen. Nur nicht chronologisch, denn zum Beispiel ging ich gerade an den Cheopspyramiden vorbei und begegnete gleich darauf der Darstellung eines Formel-1-Rennwagens. Der sich nebenbei bemerkt erstaunlich gut in dem pittoresken Holzrahmen mit den goldenen Zierelementen machte.

Das Innendesign dieses Flurs vermittelte in keiner Weise, welchen Tätigkeiten hier nachgegangen wurde. Was aussah wie ein geschichtsträchtiges Luxushotel, beherbergte in Wahrheit die Räumlichkeiten der Sonnenkrieger. Zumindest einen Teil davon, denn das Aufgabengebiet war extrem weitläufig. Es begann beim Polizeidienst innerhalb der Celestial Cities, ging über den militärischen Grenzschutz dieser geheimen Städte bis hin zur globalen geheimdienstlichen Aktivität in Belangen äußerer Sicherheit.

Was ziemlich spektakulär klang, wie ich fand. Genau wie die offizielle Bezeichnung dieser Abteilung: Celestial Intelligence Division. Meine Güte!

Und die CID hatte ihre Büros in eben diesem Flur, der so überhaupt nicht nach Geheimdienst aussah. Auch die Arbeitszimmer waren völlig gewöhnlich. Es waren einfach nur Büros in unterschiedlichen Größen, bestückt mit klassischen Schreibtischen und Computern. Keine ultramodernen Touchboards, 3-D-Projektoren oder sonstiges Hightech, das man bei einem Geheimdienst erwartete.

Mein Ziel war nicht mehr weit entfernt. Die Tür zum Büro der Porter-Task-Force stand offen.

Ja, richtig. Mir zu Ehren hatte man eine eigene Task Force zusammengestellt, die herausfinden sollte, was mit mir nicht stimmte. Was aber nur sehr wenige wussten, da man es für klüger hielt, meine Besonderheit vorerst nicht an die große Glocke zu hängen. Für die Allgemeinheit trug ich einzig den Aspekt des Jupiter in mir und ich war mehr als nur einverstanden mit diesem kleinen Schwindel. Ich wurde als Fremde bereits mit genug neugierigen Blicken konfrontiert, da brauchte ich nicht auch noch zum bunten Hund zu mutieren.

Offiziell war unsere Einheit mit der Sammlung von Insiderinformationen bezüglich der CAF beauftragt. Das ergab durchaus Sinn, denn außer mir gehörten noch zwei weitere ehemalige CAFs zu diesem Team.

Einer davon kam ein Stück vor mir gerade aus der Gemeinschaftsküche und schlenderte auf mich zu. Es war Daniel Swanson, der genauso hochgewachsen wie schlank war. Dem schlaksigen Riesen mit dem kurz geschorenen Haar hatte ich, nebenbei bemerkt, die inoffizielle Bezeichnung Porter-Task-Force zu verdanken, die sich zu meinem Leidwesen rasend schnell etabliert hatte.

Danny trug einen kleinen Teller, auf dem ein rosaroter Cupcake thronte. So wie er das Törtchen unterwegs anhimmelte, thronte es tatsächlich. Er betrachtete die rosa Creme derart verzückt, dass er mich erst registrierte, als wir gleichzeitig bei der offenen Bürotür ankamen.

»Dee!« Sofort reckte er mir den Teller unter die Nase. »Sieh dir das an. Ist das nicht ein kleiner Traum? Dieser perfekte Schwung des Toppings, die Harmonie der …«

»O ja«, unterbrach ich ihn hastig, bevor er sich in seiner Ode an den Cupcake verlor. »Er sieht köstlich aus.«

Er zog den Teller zurück, schnupperte kurz an dem Törtchen und seufzte hingerissen, bevor er in den Raum ging.

Wie auch in den anderen Büros gab es hier drin nicht viel zu entdecken. Mehrere Schreibtische standen in etwas willkürlich anmutender Anordnung herum. Die schlichten Furnierholzmöbel wirkten ziemlich fehlplatziert in dem edlen Raum mit den hohen Sprossenfenstern, dem Fischgrätparkett und der stuckverzierten Decke, von der sogar zwei kristallbesetzte Kronleuchter herabbaumelten. An einer Wand hing eine riesige Weltkarte, in der mehrere Pins steckten. Gegenüber befand sich eine breite Sprossenglastür zum Büro von Elijah Dane, dem Leiter der Task Force, der aber im Moment nirgends zu sehen war.

Aktuell war bloß einer der Schreibtische besetzt. Matt Dunn saß dahinter, die muskelbepackten Arme im Nacken verschränkt, wodurch sein massiger Bizeps die Elastizität seiner T-Shirt-Ärmel aufs Äußerste strapazierte. Die Falte zwischen Matts Augenbrauen ließ darauf schließen, dass er zwar den Computerbildschirm anstarrte, dabei aber tief in eigenen Gedanken versunken war. Wie immer, wenn er angestrengt über etwas nachdachte, war sein kurzes Haar zerzaust, weil er die Angewohnheit hatte, sich ständig darüberzufahren. So wie er es nun auch tat, bis Danny ihn aus seinen Grübeleien riss, indem er sich geräuschvoll an den angrenzenden Schreibtisch ihm gegenüber fallen ließ.

Matt blinzelte kurz und schaute skeptisch dabei zu, wie Danny den Teller auf die Schreibtischplatte senkte, als würde er den Heiligen Gral vor sich haben.

»Du kannst doch unmöglich schon wieder was essen«, sagte Matt.

Danny grinste breit. »Tja, offensichtlich kann ich es doch.«

Mir war der Schreibtisch gleich hinter den beiden zugewiesen worden. Allerdings machte ich es meistens so wie jetzt, schnappte mir im Vorbeigehen meinen Stuhl und rollte ihn an die Stirnseite vom Arbeitsplatz meiner Nachbarn.

Was hätte ich an meinem Schreibtisch denn auch anstellen sollen? Selbstverständlich wollte ich auch wissen, was es mit meinen ominösen Fähigkeiten auf sich hatte. Aber ich kannte mich ja noch nicht einmal mit den grundlegenden Fakten der Celestials aus, wie sollte ich da etwas Vernünftiges zu des Rätsels Lösung beitragen?

Das Gleiche traf natürlich auch auf Danny und Matt zu. Sie waren genauso fremd und ahnungslos wie ich. Ich war unheimlich froh, dass man ihnen trotzdem erlaubt hatte, aktiv an der Porter-Task-Force mitzuwirken. Was wir einzig Elijah zu verdanken hatten, denn eigentlich dürften die beiden überhaupt nicht in Eden Hill sein. Ich übrigens auch nicht.

Weil wir drei keine Celestials waren. Keine echten zumindest.

Zwar musste es in unseren Ahnenreihen vor vielen Generationen einen Celestial gegeben haben, doch durch die Vermischung mit rein menschlichem Blut waren unsere Fähigkeiten verkümmert und hatten unbewusst in uns geschlummert, bis sie durch die geballte Kraft eines Artefakts gezielt reaktiviert worden waren.

Aus Sicht der Celestials waren wir also künstlich erschaffen. Versehen mit einer Macht, die von Natur aus nicht für uns bestimmt gewesen wäre. Aufgewachsen fernab des Wissens und der uralten Gesetzmäßigkeiten des vermutlich größten Geheimnisses der Erde.

Wir waren also keine Celestials. Aber normale Menschen waren wir auch nicht. Was wir sonst sein könnten, versuchten die bürokratischen Mühlen des Sonnenordens gerade zu klären. Bis dahin galt unser Aufenthaltsstatus als vorübergehend geduldet. Was ja wohl das Mindeste war, nachdem wir den Sonnenkriegern geholfen hatten, eine militärische Forschungseinrichtung zu bestehlen. Was uns nicht nur in akute Lebensgefahr gebracht hatte, sondern uns immerhin auch zu Staatsverrätern machte.

Trotzdem bereuten wir unsere Entscheidung nicht. Danny, Matt und ich waren uns nach wie vor einig, dass es das einzig Richtige gewesen war.

Weil Danny nun die Welt um sich und den Cupcake herum vollständig ausblendete, rückte ich ein Stück weiter zu Matt, um auf seinen Computerbildschirm zu linsen. Er hatte ein Dokument geöffnet, das größtenteils aus chemischen Formeln bestand.

»Was schaust du dir da an?«, fragte ich.

»Die Forschungsaufzeichnungen, die ich in Fort Ridge herunterladen konnte.«

»Die werden doch bereits von den hiesigen Wissenschaftlern überprüft.«

»Das stimmt.« Matt lächelte schief. »Aber ich bin neugierig, was genau die da unten in der Schatzkammer getrieben haben.«

Ich schnitt eine Grimasse. »Sei froh, dass du das nicht sehen musstest.«

»Du meinst das hier?«

Matt scrollte ein paar Seiten weiter, bis die Skizze eines grotesken Geschöpfs erschien. Das dargestellte Wesen sah grauenhaft aus. Es erinnerte mit seinen überlangen Gliedmaßen nur entfernt an einen Menschen. Der Kopf ähnelte mehr einem Affen, bloß dass er völlig kahl war. Insgesamt könnte man meinen, hier den Entwurf eines Gamedesigners zu sehen, der an einem gruseligen Bösewicht arbeitete. Leider wusste ich, dass diese Wesen mitnichten für eine virtuelle Realität entwickelt worden waren.

Die Forscher der CAF hatten sie für die echte Welt erschaffen wollen. Herangezüchtet in großen Tanks, zwangsernährt von der Macht der Artefakte von Merkur, Neptun und Uranus. Eine Lebensform, die wahrhaftig gänzlich wider die Natur war. Das hatte ich deutlich gespürt, als ich diese seelenlosen Körper mit eigenen Augen gesehen hatte. In ihnen war absolut nichts gewesen, was man als Leben hätte bezeichnen können.

Ich wusste nicht, wie lange man diese leeren Hüllen noch mit den drei Aspekten hätte speisen müssen, bis sie tatsächlich überlebensfähig gewesen wären. Vielleicht hätte es ja gar nicht funktioniert. Was aber dank uns nie jemand erfahren würde, denn die Artefakte waren nun bei den Celestials in Sicherheit.

Nie würde ich deren Klagelaute vergessen, die nur ich hatte hören können. Die tiefe Qual, die der Missbrauch ihrer Macht verursacht hatte, ging mir jedes Mal erneut durch und durch, wenn ich daran dachte. Auch jetzt schlang ich sofort die Arme eng um mich.

Meine Reaktion blieb Matt nicht verborgen, darum klickte er eilig eine Seite weiter zu einem Schriftdokument. Dann lehnte er sich zurück und kreuzte die Hände über seinem Bauch. Während er leicht mit seinem Bürostuhl wippte, kehrte die tiefe Falte zwischen seinen Brauen zurück.

»Was beschäftigt dich?«, fragte ich nach einer Weile.

»Etwas fehlt«, murmelte er gedankenverloren.

»Waff fehlt?«, mischte Danny sich mit vollem Mund ein. »Daten unvollftändig?«

Matt wiegte den Kopf. »Nein, ich bin sicher, dass ich die Server in Fort Ridge leer geräumt habe. Aber in diesem Dokument gibt es mehrere Verweise auf ein Projekt namens Beehive. Entsprechende Akten dazu fehlen allerdings.«

Danny wischte sich nonchalant den Mund mit dem Handrücken ab. »Beehive? Wie die Frisur oder wie das Nest der Bienen?«

»Es gibt eine Frisur namens Beehive?«, hakte ich erstaunt nach.

»Na, aber hallo! Amy Winehouse? Swinging Sixties?« Danny seufzte ergeben. »Also Leute. So was weiß man doch!«

»Nein«, erwiderte Matt gedehnt. »Ich wage schwer zu bezweifeln, dass das Projekt Beehive etwas mit Frisurentrends zu tun hat. Liegt wohl eher daran, dass die CAF die künstlichen Wesen als biologische Drohnen bezeichnet. Sie nennen sie Biodrones.«

»Biodrones?«, wiederholte Danny kopfschüttelnd. »Wie unkreativ kann man sein?«

Ich ging nicht darauf ein, weil mich die Bezeichnung aus einem ganz anderen Grund irritierte. »Warum Drohne? So nennt man doch bloß Geräte, die …«

»… von jemandem gesteuert werden«, vervollständigte Matt den Satz. »Ganz genau.«

Danny kratzte sich am Kinn. »Wie hätte das bitte funktionieren sollen? Haben sie den Viechern einen Funkempfänger ins Hirn eingepflanzt?«

»Genau das ist es, was fehlt«, antwortete Matt ernst. »All diese Aufzeichnungen, Daten und Pläne drehen sich darum, die Körper der Biodrones lebensfähig zu machen. Was passieren sollte, sobald Herz und Kreislauf stabil und funktionstüchtig gewesen wären, steht hier nicht.«

»Weil es dann mit dem Projekt Beehive weitergegangen wäre«, schlussfolgerte ich.

Wir tauschten beklommene Blicke. Eine Weile hingen wir schweigend unseren persönlichen Horrorvorstellungen nach, wie es wohl ausgesehen hätte, wenn die CAF ihr grauenhaftes Drohnenprogramm fertiggestellt hätte. In meinem Kopfkino walzte eine ganze Armee dieser Dinger alles und jeden in freiem Lauf nieder, gesteuert von einer Halle voller Soldaten hinter Bildschirmen – je mit zwei Joysticks in den Händen.

Matt und ich zuckten gleichermaßen zusammen, als Danny plötzlich mit der flachen Hand auf den Schreibtisch schlug. Durch das Beben hüpften ein paar Brösel von dem klirrenden Kuchenteller. Danny tupfte sie umgehend mit der Zeigefingerspitze auf.

»Soll ich euch mal was sagen? Scheißegal wie es laut Plan weitergegangen wäre … Fakt ist, dass es nicht weitergehen wird, weil wir ihnen die essenziellen Zutaten für dieses Biotech-Drohnen-was-weiß-ich-Geschnetzelte genommen haben. Es kann nicht weitergehen. Mehr brauche ich nicht zu wissen.«

Wo er recht hatte, hatte er recht, darum pflichtete ich ihm mit kräftigem Nicken bei und beschloss nicht länger über das Was-wäre-Wenn nachzugrübeln.

Weil aus Dannys Sicht alles andere eine Verschwendung gewesen wäre, leckte er sich natürlich die Brösel vom Finger. Ich gönnte sie ihm von Herzen, wenn ich auch bezweifelte, dass die winzigen Bröselchen eine derartige Geschmacksexplosion verursachten, um das entzückte Seufzen und genießerische Augenverdrehen zu rechtfertigen, mit dem er daraufhin tiefer in seinen Stuhl rutschte.

Im gleichen Moment betrat ein weiteres Mitglied der Porter-Task-Force den Raum. Dieses Mitglied war der maßgebliche Grund, dass wir überhaupt hier gelandet waren. Er hatte uns die Wahrheit über die CAF aufgezeigt. Und er war nicht nur ein gebürtiger Celestial, sondern auch ein waschechter Sonnenkrieger.

Jason Callahan alias MacElroi.

Der junge Mann, den ich immer anstarren musste.

Das musste ich wirklich. Es war wie ein physikalisches Gesetz, dass ich ihn ansah, sobald er abgelenkt war und es nicht bemerkte. Gerade telefonierte er und ging schnurstracks zu seinem Schreibtisch, um seinen PC mit einem Rüttler an der Maus aus dem Standby zu holen. Und sofort war ich dieser machtvollen Gesetzmäßigkeit ausgeliefert, die meinen Blick an ihm festnagelte und mich in eine Art schmachtendes Groupie verwandelte.

Sein dunkelbraunes Haar wirkte stets etwas unordentlich, auch wenn ich vermutete, dass er durchaus ein wenig Zeit damit verbrachte, seine Frisur so aussehen zu lassen. Er war bloß ein paar Jahre älter als ich, doch sein sorgfältig gepflegter Dreitagebart ließ ihn sehr erwachsen erscheinen. Außerdem betonte der Schatten die nahezu perfekte Form seiner Wangenknochen. Seine hellblauen Augen boten definitiv Stoff für einen ganzen Gedichtband. Alles zusammengenommen ergab ein Gesicht, das meiner Meinung nach unbedingt draußen im Flur verewigt werden sollte.

Heute trug Jason zur Jeans ein schwarzes Hemd, die obersten Knöpfe leger offen und die Ärmel bis zu den Ellbogen hochgekrempelt. Ich fand, dass ihm dieser Look ausgezeichnet stand. An sich ein schlichtes Outfit, aber er sah darin verdammt sexy aus.

O Mann …

Ich war echt nicht stolz auf diese Momente, in denen ich Jason angeiferte wie Danny zuvor seinen Cupcake. Leider erlag ich diesem Starrreflex bereits regelmäßig, seit ich Jason zum ersten Mal begegnet war. Und in jüngster Zeit häuften sich diese Vorfälle drastisch.

Dass meine Augen dermaßen fasziniert von Jason waren, lag natürlich nicht nur an seiner unbestreitbaren Attraktivität. Es war einfach alles an ihm. Der Klang seiner Stimme. Die Art, wie er den Kopf neigte, wenn er aufmerksam zuhörte. Der interessante Fakt, dass er seinen Kaffee ständig auf andere Weise trank, während alles auf seinem Schreibtisch stets in der gleichen Ordnung zu liegen hatte.

Jason war mir lange wie ein wandelndes Enigma erschienen. Während unserer gemeinsamen Zeit bei der CAF hatte mich sein irrationales Verhalten regelmäßig in den Wahnsinn getrieben. Das war so weit gegangen, dass ich irgendwann geglaubt hatte, er leide unter einer gespaltenen Persönlichkeit.

Im Nachhinein ergab jedoch vieles einen Sinn. Jason hatte sich im Auftrag der Sonnenkrieger bei der CAF eingeschleust und seine Maskerade war unabdingbar für seine Undercover-Mission gewesen.

Doch wie war es jetzt? Jasons Geheimnis war gelüftet und seine wahre Identität enthüllt. Hier in Eden Hill fand sein echtes Leben statt. Er konnte also ganz er selbst sein und ich war unheimlich gespannt darauf, endlich den echten Jason kennenzulernen.

Wirklich viel hatte ich bislang noch nicht herausfinden können, weil er immer mit irgendetwas beschäftigt war, sobald wir uns über den Weg liefen. Was wiederum meinen Starrreflex begünstigte, der wiederum davon angestachelt wurde, dass Jason mir mitnichten so vorkam, als hätte er all seine Masken abgelegt. Was durchaus davon kommen könnte, dass er ja stets beschäftigt war und dementsprechend ernst und konzentriert dreinschaute, wenn wir uns begegneten, weshalb ich … Na ja, ein klassischer Teufelskreis eben.

Während ich also wieder einmal so vor mich hinstarrte, klemmte Jason sich sein Telefon zwischen Schulter und Ohr, um beide Hände für die PC-Tastatur freizuhaben. Seine Finger huschten darüber. Dann sagte er: »Ja, geht klar. Guten Flug.« Er lauschte kurz und lachte leise. »Dann stimmt es wohl, was man sich über die Archive erzählt. Ich bin gespannt. Gute Arbeit, Nelly. Bis später!«

Jason beendete das Telefonat und hob den Kopf. Sein Blick landete direkt bei mir, weil ich ihn natürlich immer noch anglotzte wie eine Stalkerin. Ertappt schaute ich weg, stellte jedoch gleich darauf fest, dass das erst recht merkwürdig gewesen war, weil Matt und Danny Jason ganz offen neugierig ansahen.

»Archive?«, fragte Matt.

»Wer ist Nelly?«, wollte Danny hingegen wissen.

»Eine Sonnenkriegerin«, antwortete Jason. »Sie konnte ein Archiv aufspüren und bringt es gerade hierher. Diese Archive sind etwas ganz Besonderes und unheimlich kostbar, denn sie zeichnen die Geschichte der Celestials seit Anbeginn ihrer Existenz auf. Sie hüten unser geballtes Wissen. Wenn also irgendetwas zu Dees besonderen Fähigkeiten zu finden ist, dann in einem Archiv.«

Ich richtete mich erfreut auf. »Das ist ja prima! Wann wird Nelly hier sein?«

»So gegen neun.«

Matt hüstelte leise. »Wieso versteckt ihr diese Archive so gut, dass ihr gleich drei Tage danach suchen müsst?«

»Wir verstecken sie nicht«, erwiderte Jason. »Die Archive bleiben nur nie lange am selben Ort.«

Wir tauschten verwirrte Blicke.

»Äh.« Danny beugte sich ein wenig vor. »Wie sollen wir das bitte verstehen? Befinden sich eure Archive auf geflügelten Festplatten, die durch die Gegend schwirren, oder was?«

Ich sah stirnrunzelnd zurück zu Jason, der geheimnisvoll schmunzelte. »So etwas in der Art. Wie ich bereits sagte – diese Archive sind etwas ganz Besonderes. Wartet’s ab.«

KAPITEL 2

Da ein Großteil der Tätigkeiten im Regimentspalast klassische Behördenaufgaben umfasste, waren auch die Geschäftszeiten einem gewöhnlichen Amt ähnlich. Montag bis Freitag, von acht Uhr morgens bis fünf Uhr nachmittags.

Außerhalb dieser Öffnungszeiten wurde es bei der CID ebenfalls beträchtlich ruhiger. Die meisten gingen dann nach Hause. Manche arbeiteten allerdings bis tief in die Nacht hinein oder gar bis zum nächsten Morgen, weil sie mit dringlichen Fällen betraut waren, die keinerlei Aufschub duldeten. Irgendein Schreibtisch war in dieser Abteilung also immer besetzt.

Doch abseits des Westflügels wirkte der gesamte Palast wie ausgestorben. Das Gesumme aus dem Atrium war verstummt. Gespenstische Stille hallte durch die Gänge. Die Computer waren aus und nur mehr dezente Nachtbeleuchtung diente zur Orientierung in den Fluren der schlummernden Abteilungen.

Ich mochte diese Zeit sehr gern, denn ab da verwandelte sich der emsige Trubel im Regimentspalast schlagartig in eine fast schon familiäre Atmosphäre.

Nur wenige bewohnten – so wie Matt, Danny und ich – dauerhaft die äußerst luxuriösen Mitarbeiterunterkünfte im Westflügel. Danny kannte selbstverständlich längst all unsere Nachbarn mit vollem Namen, genauer Zuständigkeit und grobem Lebenslauf. Er brachte die Bezeichnung »Kontaktfreudigkeit« echt auf ein ganz anderes Level. Mir war es ein Rätsel, wie er sich das alles überhaupt merken konnte.

Jason gehörte leider nicht zu dem kleinen Kreis der hier Residierenden. Er hatte eine eigene Wohnung in Eden Hill. Die ich natürlich nur allzu gern besichtigen würde.

War seine Einrichtung leger, aber chic wie sein Kleidungsstil? Oder akkurat ordentlich und steril wie sein Schreibtisch? Es hätte mich wirklich brennend interessiert.

Die restlichen beiden Mitglieder der Porter-Task-Force, Elijah und eine Sonnenkriegerin namens Bonnie O’Brian, lebten ebenfalls in Eden Hill. Da sie also für gewöhnlich über Nacht nach Hause fuhren, saß unser Team heute zum ersten Mal gemeinsam beim Abendessen zusammen, weil wir auf die Ankunft des ominösen Archivs warteten.

Wir befanden uns im Pavillon, einem gläsernen Anbau der Kantine, der in den Innenhof des Palasts hineinragte. Die Türen des eigentlichen Speisesaals, der für den üblichen Mittagsansturm benötigt wurde, waren um diese Zeit geschlossen. Nur dieser Teil war für die nächtliche Elite, wie Danny es gern nannte, geöffnet. Was mir sehr gut gefiel, weil man überhaupt nicht mehr das Gefühl hatte, sich in einer Großküche zu befinden.

Das lag auch an der Gestaltung des Pavillons. Die Einrichtung war stylish und erinnerte an eine hippe Lounge. Dunkle Ledersessel flankierten grob gehauene Holztische, die Deckenbeleuchtung bestand aus einem Meer nackter Glühbirnen in verschiedensten Formen, die an bunten Kabeln herabhingen und angenehm warmes Licht spendeten, und als besonderes Highlight konnte man die Seitenwände des Pavillons vollständig öffnen, wenn das Wetter es erlaubte.

An diesem Abend erlaubte es das Wetter definitiv. Zwar war die Sonne bereits hinter den Dachgiebeln des Palasts abgetaucht, doch die hohen Fassaden würden die Wärme des Tages noch eine Weile speichern.

Das Zentrum des als Rosengarten gestalteten Innenhofs bildete die riesige Skulptur einer Kugel aus dunklem Material. Unverkennbar eine Darstellung der Sonne, denn in ihrem Inneren strahlte ein goldenes Licht, das sich aus etlichen kleinen Rissen der Außenhülle hinausdrängte, als würde die Kugel in Flammen stehen. Vor allem nachts war der Anblick phänomenal.

Unsere leeren Teller hatten wir bereits abgeräumt und jeder hatte nur noch ein Getränk vor sich stehen, während wir in dieser behaglichen Atmosphäre warteten. Der Rest der nächtlichen Elite hatte sich vor einer Weile verabschiedet. Einzig aus der Küche wehte ab und an das Klappern von Geschirr zu uns heran, doch ansonsten war es still.

Danny nutzte die Gelegenheit, um Elijah regelrecht mit Fragen rund um die Celestials zu bombardieren. Und Elijah beantwortete jede einzelne davon mit beeindruckender Ruhe und Geduld.

Elijah war generell sehr beeindruckend. Nicht weil der Afroamerikaner den Körperbau eines Hünen hatte, der rein optisch jedes Kriterium eines wahren Kriegers erfüllte. Es war vielmehr sein sanftes Wesen, seine ausgeglichene Ausstrahlung und seine stets besonnene Art, die mir stetig mehr imponierten.

Obwohl ich ihn kaum kannte, mochte ich ihn sehr. Auch wenn ich noch ein paar Probleme damit hatte, mich mit seinen Fähigkeiten anzufreunden. Elijah trug nämlich den Aspekt der Venus in sich, was ihm unter anderem erlaubte, die Gedanken und Gefühle anderer wahrzunehmen. Für ihn war also unweigerlich jeder ein offenes Buch und obwohl ich nicht wirklich etwas zu verbergen hatte, fühlte ich mich seiner Fähigkeit manchmal auf gewisse Weise ausgeliefert.

Wie Elijah war mir auch Bonnie auf Anhieb sympathisch gewesen. Sie war ungefähr in Jasons Alter, hatte eine wahre Prachtmähne aus naturroten Locken, hübsche Sommersprossen auf der Nase und die grünsten Augen, die ich je gesehen hatte. Und nein, es waren keine Kontaktlinsen. Danny hatte sie nämlich gestern danach gefragt.

Ihre grünen Augen passten hervorragend zu ihrer celestialen Fähigkeit, die ich sehr faszinierend fand. Der Aspekt des Saturn erlaubte ihr die Kontrolle über das Wachstum. Sie könnte also innerhalb weniger Sekunden aus einem einzigen Samenkorn einen mächtigen Baum neben uns wachsen lassen.

Da war es kein Wunder, dass in Eden Hill alles so prächtig blühte und gedieh. Bonnie war hier bestimmt nicht die einzige Celestial mit dieser Fähigkeit.

»Aber was macht euch da so sicher?«, fragte Matt und lenkte meine Aufmerksamkeit zurück zum Tischgespräch. »Habt ihr denn Beweise, dass die Götter tatsächlich existieren?«

Elijah lächelte milde. »Gibt es denn Beweise dafür, dass sie es nicht tun?«

Matt schürzte die Lippen, sagte aber nichts dazu. Während Danny überaus begeistert von der Schöpfungslegende der Celestials war, standen Matt und ich dieser noch ziemlich skeptisch gegenüber. Bei Matt lag es daran, dass er grundsätzlich mehr Freund der Naturwissenschaft als der Theologie war. Und bei mir …

Tja. Mein Zweifel lag eher darin begründet, dass ich bereits in frühester Kindheit aufgehört hatte an Wunder zu glauben. In meinem von Armut und Vernachlässigung geprägten Leben hatte es einfach keinen Platz für so was gegeben. Meine Fantasie war verkümmert … sozusagen.

Aber genau die brauchte es wohl, um an die Legende der Celestials zu glauben. Immerhin besagte selbige, dass die sieben Götter, die einst die Erde und das Leben darauf erschaffen hatten, vor langer, langer Zeit übereingekommen waren, sich zurückzuziehen und in den Ruhestand zu gehen. Weil irgendjemand aufpassen musste, dass das Leben auf dem Planeten trotzdem weiterging, erschufen die Götter zum einen die Celestials und außerdem die sieben Artefakte, die jeweils die geballte Kraft eines Aspekts der Schöpfung in sich bargen. Nachdem das geregelt war, verließen die Götter die Erde, flogen hinauf in den Himmel und formierten sich da oben als die weiteren sieben Planeten unseres Sonnensystems: Mars, Venus, Neptun, Merkur, Jupiter, Saturn und Uranus. So kreisten sie also als schlummernde Himmelskörper durchs All und wenn sie nicht aufgewacht sind, dann schlafen sie noch heute.

Jaaa … ein Hauch von Skepsis sei mir erlaubt, oder?

Wobei ich natürlich zugeben musste, dass meine Zweifel sich allmählich etwas aufweichen sollten. Immerhin saß ich gerade an einem Tisch mit Menschen, die mit übernatürlichen Fähigkeiten ausgestattet waren. Inklusive meiner Wenigkeit. Außerdem hatte ich nicht nur einmal die geballte Macht der Artefakte zu spüren bekommen und selbst ich konnte diese unvergleichliche Kraft einzig als pure Magie beschreiben.

Danny hüstelte aufmerksamkeitsheischend und rückte umständlich seinen Stuhl näher an den Tisch. »Noch mal zurück zum Ursprung, bitte. Ich verstehe nämlich immer noch nicht ganz, was genau denn nun die göttliche Aufgabe der Celestials ist. Das Leben auf Erden zu bewahren … Ich meine, was heißt das genau? Klimaschutz? Umweltaktivismus? Friedensmissionen?«

»Richtig«, antwortete Elijah. »Das alles gehört zu unseren Aufgaben.«

Überrascht runzelte ich die Stirn. »Ich dachte, es geht um den Schutz der Artefakte?«

»Das natürlich auch«, sagte Bonnie. »Die Artefakte sind sozusagen der Grundstein für alles. Leben in der Form, wie wir es kennen, kann einzig aus der Gesamtheit der sieben Aspekte der Schöpfung existieren. Sie halten alles aufrecht, in perfektem Gleichgewicht. Würde man auch nur einen Aspekt von der Erde entfernen, wäre kein Leben mehr möglich.«

Ich kratzte mich am Kinn. »Also wenn ich das Artefakt des Jupiter hinauf zum Mond schießen würde, würde ich damit alles Leben auf der Erde auslöschen?«

Das war eigentlich als Scherz gemeint, doch Elijah nickte todernst. »Die Artefakte erhalten die Schöpfungskräfte auf Erden aufrecht. Stellvertretend zu den Göttern könnte man sagen. Das ist der einzige Zweck der Artefakte. Sie waren nie dazu gedacht, verkümmerte Celestial-Gene zu reaktivieren oder auf andere Weise benutzt zu werden. Die Artefakte sind keine magischen Werkzeuge, sondern durch ihr bloßes Dasein Eckpfeiler der Existenz.«

Nachdenklich zog ich mein Wasserglas näher heran und legte beide Hände darum. Meiner Meinung nach gab es ein bedeutendes Logikloch in dieser Erklärung, denn wenn die Artefakte wirklich so wichtig waren und es die Aufgabe der Celestials war, sie zu beschützen, warum hatte man sie dann …

»Das sicherste Versteck«, beantwortete Elijah umgehend meinen Gedanken, »ist das, das keiner kennt.«

Da war ich anderer Ansicht, denn aktuell wären die Artefakte zweifellos sicherer, wenn sie alle in gut geschützten Tresoren des Sonnenordens lägen, an die das US-Militär nicht herankam. Jupiter, Neptun, Merkur und Uranus waren inzwischen in Eden Hill in Sicherheit. Aber von Mars, Venus und Saturn fehlte jede Spur. Ihre Sicherheit hing einzig davon ab, wer sie zuerst fand – die Sonnenkrieger oder der führende Archäologe der CAF, den man meistens nur den »Schatzsucher« nannte.

Elijah sah mich noch einen Moment lang an, kommentierte meinen Gedankengang aber nicht weiter. Stattdessen huschten seine Augen zu Matt, der sofort ertappt zusammenzuckte.

»Wir tun, was wir können«, sagte Elijah zu ihm. »Doch wir sind schlicht zu wenige, um überall zu sein, verstehst du? Aber glaub mir, ohne unseren andauernden Einfluss wäre es um die Welt noch sehr viel schlechter bestellt.«

Matt stand ins Gesicht geschrieben, dass er arg an dieser Behauptung zweifelte. Er wollte gerade etwas erwidern, da schnitt ihm Jason das Wort ab.

»Ohne uns hätte die Menschheit sich längst selbst ausgerottet«, sagte er scharf. »Ich könnte dir etliche Ereignisse aufzählen, bei denen es bloß dank der Sonnenkrieger zu keiner globalen Katastrophe kam. Aber wie Elijah sagte, wir sind schlicht in der Unterzahl. Wir können uns letztlich bloß auf die schlimmsten Krisen konzentrieren. Die Celestials machen immerhin nicht einmal ein Prozent der Weltbevölkerung aus. Trotzdem ist unser Wirken viel weitreichender, als es vielleicht den Anschein hat. Es hat zum Beispiel durchaus einen Grund, dass Klimaschutz immer mehr zum weltpolitischen Thema wird.«

Ich musterte Jason erstaunt. »Soll das bedeuten, ihr habt eure Leute in menschliche Regierungen eingeschleust?«

»Unter anderem.« Er lehnte sich zurück und legte einen Arm über seine Rückenlehne. Sein Blick wanderte zu der Sonnenskulptur in der Mitte des Gartens. »Die Celestials wurden erschaffen, um das Leben auf Erden zu wahren, damit die Schöpfung gedeihen, wachsen und sich weiterentwickeln kann. Ausgerechnet ein Teil dieser Schöpfung hat sich nach und nach zu dessen größter Bedrohung entwickelt. Der Mensch ist also unser Schützling und gleichzeitig auch unser mächtigster Gegner. Schon irgendwie witzig, oder?«

Er lachte leise. Es klang düster und unterstrich den tiefen Frust, den ich in seinen Augen erkannte. Nur ganz kurz, denn da schien Jason zu registrieren, dass ihn alle bedrückt ansahen. Im Nu schraubte er sich einen unverbindlichen Ausdruck ins Gesicht und wandte sich an Elijah. »Wir sollten Nelly in unser Team holen.«

»Daran habe ich auch schon gedacht«, erwiderte Elijah.

Ich ließ mich von dem Themenwechsel nicht ablenken und studierte stattdessen eingehend Jasons Mimik. Absolut nichts deutete mehr auf seinen kurzen emotionalen Ausbruch von gerade eben hin.

Nun hatte ich also den Beweis, dass Jason mitnichten all seine Masken abgelegt hatte. Insgesamt wirkte er durchaus offener als in Fort Ridge, aber ich ahnte, dass er letztlich nur von einer Rolle in die nächste geschlüpft war.

Erst war ich von dieser Feststellung eher irritiert, doch je länger sich mein Blick in Jason hineinbohrte, desto wütender wurde ich. Seine Maskerade hatte mich ja schon immer tierisch aufgeregt, aber jetzt klammerten sich meine Hände verkrampft um mein Wasserglas und der Drang, ihm das kühle Nass einfach ins Gesicht zu schütten, wurde schier übermächtig. Vielleicht konnte ich ihm ja so seine verfluchte Maske herunterwaschen?

Plötzlich zuckten Jasons Augen zu mir. Ich war richtig stolz auf mich, dass ich diesmal nicht aus purem Reflex wegschaute und rote Ohren bekam. Stattdessen hielt ich heldenhaft seinem Blick stand.

Aber nur für den Bruchteil einer Sekunde, denn da wanderte Jasons Blick auch schon weiter zu meinem Glas. Eine winzige Falte erschien auf seiner Stirn.

Fast gleichzeitig stieß Danny mich leicht mit dem Ellbogen an. »Hey, ich wusste gar nicht, dass du Neptun schon kontrollieren kannst!«

»Was?« Verdattert sah ich zu meinem Glas hinunter und staunte nicht schlecht, weil sich darin eine wirbelnde Säule aus Mineralwasser erhob. Erschrocken zog ich meine Hände zurück und sofort fiel die Wassersäule in sich zusammen.

Ich lachte überrascht auf. »Also bis jetzt konnte ich es nicht.«

Tat ich eigentlich immer noch nicht, denn mit Kontrolle hatte das sicher nichts zu tun. Ich hatte überhaupt nicht bemerkt, dass ich auf den Neptunaspekt zugegriffen hatte, während meine Vorstellungskraft wohl etwas mit mir durchgegangen war. Das behielt ich allerdings für mich, weil ich nicht dem ganzen Tisch erklären wollte, welche Art von Vorstellung dieses kleine Wasserspiel hervorgerufen hatte.

War ja auch egal. Ich hatte gerade zum ersten Mal Wasser manipuliert und das war einfach nur großartig. So großartig, dass ich es sofort wiederholen wollte. Ich musste wissen, wie es sich anfühlte. Wollte spüren, wie ich den Aspekt des Neptun in meinem celestialen Sinn wahrnahm.

Prüfend schaute ich mich um, doch inzwischen war auch das Ausgabefenster zur Kantinenküche verschlossen. Weit und breit war also niemand zu sehen, der von meinen zusätzlichen Kräften nichts wissen sollte.

Aufgeregt legte ich meine Hände um das Glas, holte tief Luft und … riss die Augen auf, weil das Wasser prompt innerhalb eines Wimpernschlags vollständig gefror.

Waaas? Nein. Moment mal!

Geräuschvoll atmete ich aus und schaute genervt zu Jason.

»Nicht hier«, sagte er streng. Er machte eine kaum merkliche Handbewegung und das Wasser taute ebenso schnell wieder auf, wie es gefroren war. »Wir haben aus gutem Grund einen speziellen Übungsplatz für celestiale Fähigkeiten.«

»Echt? Warum sagst du mir das erst jetzt?«

»Weil es noch nicht nötig war«, antwortete er schlicht. Nach merklichem Zögern fügte er hinzu: »Weil du dich erst erholen solltest.«

Etwas an seinem Tonfall machte mich stutzig. Irrte ich mich oder war das nur die halbe Wahrheit?

Ich kam nicht dazu nachzuhaken, weil Danny gleich wieder zu dem Thema zurückkehrte, das ich so unbedarft unterbrochen hatte.

»Ich dachte, diese Nelly gehört bereits zum Team«, sagte er. »Darum hat sie doch nach dem Archiv gesucht, oder?«

Bonnie schüttelte den Kopf. »Nein, die Fahndung wurde weltweit ausgerufen. So wird das schon immer gemacht, wenn irgendwo ein Archiv gebraucht wird. Nelly war im Grunde nur diejenige, die zuerst fündig wurde. Was mich überhaupt nicht wundert, denn sie ist zweifellos eine unserer Besten. Jason und ich waren mit ihr in der Ausbildung, aber danach haben sich unsere Wege leider getrennt. Nelly ist eine sogenannte freie Sonnenkriegerin. Sie ist nirgends fest stationiert, sondern übernimmt überall dort Aufträge, wo sie gerade gebraucht wird.«

»Hört sich spannend an«, meinte Danny. »Richtig Lone-Ranger-mäßig.«

Bonnie lachte fröhlich und schüttelte den Kopf. »Tatsächlich ist Nelly ein absoluter Teamplayer. Darum fällt es ihr ja so leicht, ständig mit anderen Leuten zusammenzuarbeiten. Ich schätze, sie hat diese Position gewählt, weil sie sich dadurch die interessantesten Fälle herauspicken kann. Von daher, Elijah, stehen die Chancen jedenfalls sehr gut, dass sie dein Angebot annimmt, sobald sie erfährt, worum es hier geht.«

Ich horchte auf. »Wartet mal. Geht ihr denn davon aus, dass die Task Force noch länger existiert? Ihr glaubt also nicht, dass wir die Antwort in diesem Archiv finden?«

Matt wurde ebenfalls stutzig. »Ich dachte, wenn es etwas zu finden gibt, dann doch in einem solchen Archiv?«

»Ähm.« Bonnie rutschte unruhig vor zur Stuhlkante. »Wir erwarten uns natürlich eine Antwort. Sonst hätten wir ja keine Fahndung ausrufen müssen. Nicht wahr? Aber man muss auf alles vorbereitet sein, oder?«

Sie schaute Hilfe suchend zu Jason, doch der rieb sich nur mit leichtem Kopfschütteln über die Stirn. Matt und ich tauschten einen irritierten Blick und Danny nahm wie immer kein Blatt vor den Mund: »Wow, ich habe selten jemanden so schlecht lügen sehen. Vielleicht sagt ihr jetzt lieber die Wahrheit. Was verschweigt ihr uns?«

Die Frage hatte er gezielt an Elijah gerichtet, der den fordernden Blick mit gewohnter Ruhe erwiderte. »Manchmal ist es klüger, Dinge erst auszusprechen, wenn man Gewissheit hat.«

Ich verschränkte betroffen die Arme. Seine weisen Worte in allen Ehren, aber es machte die Tatsache nicht besser, dass die Sonnenkrieger uns etwas verschwiegen hatten. Auch meine Freunde reagierten sehr angespannt. Matt setzte sich kerzengerade auf und Danny ballte sogar eine Hand zur Faust.

»Hört zu«, redete Elijah mit beschwichtigender Stimme weiter. »Ich weiß sehr wohl, dass die Manipulation der CAF tiefe Spuren in euch hinterlassen hat, und ich verstehe, dass ihr uns noch nicht komplett vertrauen könnt. Das verlange ich auch nicht. Aber ich bitte euch um Verständnis. Transparenz ist eines meiner Grundprinzipien. Dennoch ist es auch meine Pflicht als euer Vorgesetzter, auf euer Wohl zu achten. Darum habe ich entschieden, euch zunächst gewisse Informationen vorzuenthalten. Ganz einfach um euch nicht unnötig zu beunruhigen. Ich fand es wichtiger, dass ihr erst mal richtig hier ankommt. Die letzten Tage waren schon aufregend genug für euch. Könnt ihr meine Entscheidung eventuell nachvollziehen?«

Wahnsinn, Elijah war einfach der Inbegriff von Diplomatie und Eloquenz. Sofort entspannte ich mich etwas und war gewillt seiner Bitte um Verständnis nachzukommen. Nichtsdestotrotz hatte ich in solchen Momenten auch stets im Hinterkopf, dass er die Gefühle anderer nicht nur wahrnehmen, sondern nach Belieben verändern konnte. Was sehr verwirrend war, weil ich ihm eigentlich gern vertrauen wollte, es mir selbst aber nicht ganz erlaubte.

Zerstreut fuhr ich mir durchs Haar und atmete tief durch. »Na schön. Ich denke, ich verstehe deine Absicht. Aber nun wüsste ich gern, was genau uns deiner Meinung nach zu sehr beunruhigt hätte. Weil – offen gestanden – bin ich jetzt durchaus ein wenig beunruhigt.«

»Wir werden gleich erfahren, ob zu Recht oder nicht«, meinte Elijah ernst und nickte in Richtung Palastgarten. »Sie sind da.«

Ich folgte seinem Blick und erkannte zunächst bloß zwei Gestalten im Schatten hinter der Sonnenskulptur. Sie mussten durch den Ostflügel gekommen sein und durchquerten nun eilig über den breiten Kiesweg in der Mitte den Innenhof. Als die beiden ins Licht der Sonnenkugel traten, weiteten sich meine Augen, denn der Anblick dieses Duos war … interessant.

Links ging eine junge Frau mit puderrosa Haaren, die sie zu zwei hohen Zöpfen gebunden hatte. Die zarte Pastellfarbe unterstrich ihren zierlichen Körperbau und ihre federleichten Schritte. Und der absolute Stilbruch dazu war ihre schwarze Kampfmontur, inklusive … Großer Gott! Waren das zwei Schwerter auf ihrem Rücken? Man konnte bloß die mit weißem Leder umwickelten Griffe über ihren schmalen Schultern aufragen sehen. Vielleicht waren es aber doch keine Samuraischwerter, sondern Schlagstöcke. Eventuell auch Nunchucks. In jedem Fall sah es mordsgefährlich aus.

Die Ninja-Elfe war insgesamt also überaus beeindruckend, aber ihre Begleitung war noch mal eine ganz andere Hausnummer. Die Frau war sehr alt. Zwar marschierte sie hoch aufgerichtet und flott voran, aber ihr Gesicht war runzlig. Dazu noch sonnengegerbt, wodurch sie mich ein wenig an eine vertrocknete Kartoffel erinnerte.

Angezogen war sie nicht wirklich. Sie war eher in einen wahren Flickenteppich aus unterschiedlichsten Lumpen und Stoffen gehüllt. Einige Zweige und Blätter hatten sich darin verfangen. Genau wie in ihrem grauen Haar, das ihr bis zur Hüfte reichte und vermutlich noch nie von einem Kamm berührt worden war. Einen Teil dieser verfilzten Strähnen trug sie als Kranz, der mit etlichen gold- und bronzefarbenen Münzen geziert war. Wenn man es als Zierde bezeichnen wollte, denn es sah mehr danach aus, als hätte jemand ein Sparschwein über ihr ausgeschüttet und seitdem würden die Münzen eben da hängen, genau wie die kleinen Zweige und das Laub.

»Okaaay«, meldete Danny sich schließlich zu Wort. »Welche davon ist Nelly?«

»Die Rechte«, antwortete Bonnie.

»WAS?«, riefen Matt und ich gleichzeitig aus.

Bonnie kicherte. »Quatsch. Nelly ist der kleine Zuckergussrambo. Und die andere Frau muss das Archiv sein. Ich habe zwar noch nie eines in echt getroffen, aber die Beschreibungen kommen erstaunlich gut hin.«

Ich sog verblüfft die Luft ein und wandte mich kopfschüttelnd an Jason. »Du hättest uns doch gleich sagen können, dass die Archive Menschen sind.«

»Hätte ich«, erwiderte er schmunzelnd. »Aber das hätte euch doch die ganze Überraschung verdorben.«

»Das bezweifle ich«, meinte Matt.

Da war ich voll bei ihm, denn diese Frau hätte ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht ausgemalt.

Sie beschleunigte ihre Schritte, stürmte durch die offene Front des Pavillons und baute sich an der Stirnseite unseres Tisches auf. Das tat sie wahrhaftig, denn sie schien aus unerfindlichen Gründen einen ganzen Kopf größer zu werden, während sie ihre Schultern straffte. Mit herrischer Miene betrachtete sie uns der Reihe nach von oben herab. Ihre Augen waren verstörend, denn sie waren von solch hellem Grau, dass es fast schien, als hätte sie bloß Pupillen und keine farbige Iris. Dadurch wirkte ihr Blick extrem stechend. Insgesamt war ihr Auftritt dermaßen verwirrend, dass wir alle zunächst sprachlos waren. Selbst Elijah wirkte so irritiert, dass ihm die Worte fehlten.

Nelly hingegen trat unbekümmert neben die Erscheinung und hob lässig eine Hand zum Gruß. »Hi, Leute! Darf ich vorstellen? Das ist Jonaka. Hey, Bonnie, Jason, schön euch mal wieder …«

»Schweig!«, donnerte Jonaka. »Euer Geplänkel könnt ihr später abhalten.«

Ihre Stimme klang rau und schrill, wie die der klassischen bösen Hexe in einem Kinderfilm. Und sie war so schneidend, dass ich unwillkürlich zusammenzuckte, obwohl ihr Tadel gar nicht mir gegolten hatte.

Nelly ließ sich nicht davon einschüchtern. Sie trat zwar wortlos ein Stück zur Seite, rollte dabei aber hingebungsvoll mit den Augen und seufzte genervt. Was Jonaka mit Sicherheit bemerkte. Sie kommentierte es jedoch nicht und stierte stattdessen erneut in die Runde.

»Worum geht es denn nun?«, murmelte sie an sich selbst gewandt. »Dane, O’Brian und der junge Callahan, zusammen an einem Tisch mit den Soldaten, die sich jüngst für die richtige Seite entschieden. Daniel Swanson, Matt Frederick Dunn und …« Ihr stechender Blick blieb bei mir hängen. »Delilah Porter.« Plötzlich sog sie scharf die Luft ein. »Bei den Göttern! Ihr habt mich doch nicht etwa wegen ihr hierher gezerrt?«

Elijah räusperte sich vernehmlich. »Sie wissen also von ihrer Besonderheit?«

»Tss, natürlich weiß ich das. Ich bin ein Archiv! Aber habt ihr mich ernsthaft wegen ihr geholt? Weil ich euch sagen soll, wie und warum sie vier Aspekte in sich tragen kann?« Jonaka lachte abfällig. »Die Antwort darauf kennt ihr doch längst. Jedes Celestial-Kind kennt die Antwort darauf. Ist immerhin eine der beliebtesten Gutenachtgeschichten, oder nicht? Das Märchen der Sonnenkinder.«

Nelly gab einen überraschten Laut von sich. Bonnie und Elijah tauschten einen angespannten Blick, während Jason mich eher neutral betrachtete.

»Richtig«, sagte er. »Die Sonnenkinder sind ein Märchen. Sie existieren nicht.«

»Und trotzdem sitzt eins vor dir, hm? Typisch Celestials. Berufen sich stets so voller Stolz auf ihre Herkunft und Geschichte. Aber den dunklen Teil ihrer Vergangenheit, den machen sie zu einem Ammenmärchen. Als würde das die Ereignisse ungeschehen machen. Tss!«

Jason sah mich unverändert an. Seine Miene konnte ich unmöglich deuten, aber Bonnie und Elijah stand tiefe Besorgnis ins Gesicht geschrieben.

Nervös verlagerte ich mein Gewicht. »Wovon redet ihr? Was ist ein Sonnenkind?«

Jonaka warf übertrieben die Arme in die Luft. »Lieber Himmel, das hättet ihr dem Mädchen doch selber erzählen können! Na, schön. Was soll’s.« Sie fasste sich an ihren Haarkranz und zupfte eine Münze heraus. »Nein, die nicht«, nuschelte sie, steckte sie wieder zurück und nahm eine andere. »Die auch nicht … die auch nicht … Ah, da haben wir sie ja.«

Sie hielt eine bronzefarbene Münze hoch. Keinerlei Prägung war darauf zu erkennen. Auf einmal schnippte Jonaka den Taler in Richtung Tischmitte. Jeglicher physikalischer Gesetze zum Trotz landete er auf der Kante und drehte sich wie ein Kreisel immer schneller werdend um die eigene Achse.

Perplex starrte ich die Münze an, von der nun ein bronzefarbener Lichtschein ausging, der zu einer Kugel anwuchs und sich schließlich in eine dreidimensionale Projektion wandelte, die eine hügelige Landschaft darstellte.

Ich blinzelte verblüfft. Zwar mochte ich nicht unbedingt sehr technikaffin sein, aber selbst mir war klar, dass diese Lichtdarstellung im Grunde gar nicht möglich sein konnte. Matt wirkte einen Moment regelrecht verzweifelt und wischte sich ruppig mit beiden Händen übers Gesicht.

»Wie krass«, flüsterte Danny begeistert und streckte die Finger nach der Lichtdarstellung aus.

»Hey!«, schnauzte Jonaka ihn an. »Nicht anfassen!«

»’tschuldigung.«

Die Alte holte aufmerksamkeitsheischend Luft. »Nun denn.« Sie machte eine träge Handbewegung und aus dem Boden der Projektion wuchsen auf wundersame Weise mehrere unkenntliche Umrisse heran. »Vor ein paar Jahrtausenden, zu einer Zeit, die von den Menschen längst vergessen wurde, als das Geheimnis der Celestials noch keines war, waren die Hüter des Lebens geschätzte Gelehrte und ständige Begleiter der alten Könige.«

Schon hatte die Erzählung mich gefangen genommen und ich beobachtete gebannt die Projektion, die stetig neue Szenen zeigte. Gerade sah ich mehrere Menschen, die wie Hohepriester gekleidet waren. Sie befanden sich in einer Art Halle, zwischen ihnen Männer und Frauen von zweifellos königlicher Abstammung.

»Große Zivilisationen wuchsen heran, eine prächtiger und machtvoller als die andere, doch stets in Einklang und Frieden miteinander, nicht zuletzt dank der Celestials, die für Ausgleich und Harmonie sorgten. Aber je mächtiger die alten Völker wurden, umso mehr bestimmte die Gier ihr Leben. Die Ratschläge der Celestials wurden mehr und mehr übergangen. Plötzlich wurde ihre Führung als reine Begrenzung angesehen. Herrscher glaubten, die Celestials wollten die Menschen nur klein halten, um ihren Status als Gottesbeauftragte zu wahren.«