Secret Elements 5: Im Schatten endloser Welten - Johanna Danninger - E-Book
SONDERANGEBOT

Secret Elements 5: Im Schatten endloser Welten E-Book

Johanna Danninger

0,0
7,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 4,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

**Tauch ein und werde zu einer außergewöhnlichen Agentin der Anderswelt!** Jays Leben scheint perfekt. Endlich kann sie ihr langersehntes Studium der Theoretischen Magie antreten. Die Verbindung zu ihren wiedergefundenen Eltern wird täglich tiefer und die Beziehung zu Lee nimmt ernste Züge an. Doch ein Schatten fällt auf die Anderswelt. Jay wird auf offener Straße von einem mysteriösen Krieger angegriffen, der offenbar fest entschlossen ist, sie umzubringen. Der Fremde scheint nicht nur immun gegen Jays Begabung als Willensbrecherin, sondern beherrscht zweifellos Elementarmagie. Eine Macht, die einst Jay innehatte – und die es gar nicht mehr in der Welt geben dürfte. Gemeinsam mit Lee und den Agenten der Agency muss Jay herausfinden, wer dieser Mann ist und warum er es ausgerechnet auf sie abgesehen hat ... Leser*innen über »Secret Elements«, eine der erfolgreichsten Fantasy-Reihen in der Geschichte von Carlsen Impress: »Diese Reihe ist seit Langem das Beste, was ich gelesen habe.« »Ich liebe es!!! Wirklich. Ein fantastisches Buch!« »Eine Story, die einen auch über sich selbst und seine Umwelt nachdenken lässt.« (Leser*innenstimmen) Dein Fantasy-Lese-Highlight 2023 ist nur wenige Seiten entfernt.  //Alle Bände der »Secret Elements«-Reihe: -- Secret Elements 0: Secret Darkness: Im Spiegel der Schatten (Die Vorgeschichte) -- Secret Elements 1: Im Dunkel der See -- Secret Elements 2: Im Bann der Erde -- Secret Elements 3: Im Auge des Orkans -- Secret Elements 4: Im Spiel der Flammen -- Secret Elements 5: Im Schatten endloser Welten -- Secret Elements 6: Im Hunger der Zerstörung -- Secret Elements 7: Im Rätsel vergangener Zeiten -- Secret Elements 8: Im Zeichen des Zorns -- Secret Elements 9: Im Licht göttlicher Mächte -- Die E-Box mit den Bänden 0-4 der magischen Bestseller-Reihe -- Die E-Box mit den Bänden 5-9 der magischen Bestseller-Reihe//

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Impress

Die Macht der Gefühle

Impress ist ein Imprint des Carlsen Verlags und publiziert romantische und fantastische Romane für junge Erwachsene.

Wer nach Geschichten zum Mitverlieben in den beliebten Genres Romantasy, Coming-of-Age oder New Adult Romance sucht, ist bei uns genau richtig. Mit viel Gefühl, bittersüßer Stimmung und starken Heldinnen entführen wir unsere Leser*innen in die grenzenlosen Weiten fesselnder Buchwelten.

Tauch ab und lass die Realität weit hinter dir.

Jetzt anmelden!

Jetzt Fan werden!

Johanna Danninger

Secret Elements 5: Im Schatten endloser Welten

Tauch ein und werde zu einer außergewöhnlichen Agentin der Anderswelt!Jays Leben scheint perfekt. Endlich kann sie ihr langersehntes Studium der Theoretischen Magie antreten. Die Verbindung zu ihren wiedergefundenen Eltern wird täglich tiefer und die Beziehung zu Lee nimmt ernste Züge an. Doch ein Schatten fällt auf die Anderswelt. Jay wird auf offener Straße von einem mysteriösen Krieger angegriffen, der offenbar fest entschlossen ist, sie umzubringen. Der Fremde scheint nicht nur immun gegen Jays Begabung als Willensbrecherin, sondern beherrscht zweifellos Elementarmagie. Eine Macht, die einst Jay innehatte – und die es gar nicht mehr in der Welt geben dürfte. Gemeinsam mit Lee und den Agenten der Agency muss Jay herausfinden, wer dieser Mann ist und warum er es ausgerechnet auf sie abgesehen hat …

Wohin soll es gehen?

Buch lesen

Vita

© privat

Johanna Danninger, geboren 1985, lebt als Krankenschwester mit ihrem Mann, einem Hund und zwei Katzen umringt von Wiesen und Feldern im schönen Niederbayern. Schon als Kind dachte sie sich in ihre eigenen Geschichten hinein. Seit sie 2013 den Schritt in das Autorenleben wagte, kann sie sich ein Dasein ohne Tastatur und Textprogramm gar nicht mehr vorstellen. Und in ihrem Kopf schwirren noch zahlreiche weitere Ideen, die nur darauf warten, endlich aufgeschrieben zu werden!

KAPITEL 1

Strahlender Sonnenschein lag über der Insel Feya. Selbst im Schatten des tropischen Waldes herrschte schwüle Hitze. Die feuchtwarme Luft staute sich zwischen den Mammutbäumen wie eine schier greifbare Masse.

Ich wischte mir mit dem Handrücken ein paar Strähnen aus der schwitzigen Stirn. Meine dunkelrote Uniform klebte mir eklig am Körper und vor allem unter der Trainingsweste war ich klatschnass. Aber ich hatte aktuell weit größere Probleme zu bewältigen als ein versagendes Deo.

Vorsichtig drückte ich einen Ast der blühenden Staude beiseite, hinter der ich Deckung gefunden hatte. Geschützt durch das üppige Blattwerk konnte ich das letzte Stück meines Weges gut auskundschaften.

Was ich da sah, gefiel mir überhaupt nicht.

Das Gelände verlief bergab. Der Hang endete an einer breiten Lichtung vor meinem Zielgebäude. In der unspektakulären fensterlosen Fassade war nur eine einzige Tür zu sehen. Sie wurde von zwei bewaffneten Wachen flankiert, die mich vor eine große Herausforderung stellten.

Meine Feinde waren keine Menschen, sondern elfenbeinfarbene Roboter. Schaurig anzusehen, weil sie auf vier dünnen Beinen liefen wie überdimensionierte Insekten. Nur Oberkörper und Arme ähnelten einem menschlichen Wesen, während die länglichen Köpfe wiederum in Relation zum Rest viel zu klein geraten schienen. Die Augen waren Kameras, die ständig in verschiedene Richtungen rollten und die Gegend nach Angreifern abscannten. Sobald sie mich entdeckten, würden sie umgehend das Feuer eröffnen.

Und sie würden mich zweifellos entdecken, denn der dichte Bewuchs des Waldes endete genau hier. Der Hang vor mir bot keinerlei Versteckmöglichkeiten. Die nächste Deckung konnte ich erst wieder hinter einem schroffen Felsbrocken einnehmen, der unten am Rand des Wiesenabschnitts vor dem Gebäude emporragte.

Lautlos lehnte ich mich zurück und überprüfte hastig das Magazin meiner Waffe. Noch vier Schuss. Das war nicht gut. Mit einem Scharfschützengewehr hätte mir das locker ausgereicht, doch ich hatte bloß diese Handfeuerwaffe zur Verfügung. Ich kannte zwar die wenigen Schwachstellen der Roboter, aber ich wusste auch, wie schwer sie zu treffen waren – ohne Zielfernrohr, noch dazu aus dieser Entfernung, kaum zu schaffen.

Fieberhaft ging ich meine Möglichkeiten durch. Wie in jeder stressigen Situation glitt dabei meine Hand ganz automatisch zur Mitte meiner Brust. An die Stelle, wo sonst das Orinion geruht hatte. Doch das magische Amulett war fort. Die mir so vertrauten Konturen des Schmuckstücks nicht mehr zu ertasten. Meine Fingerspitzen ruhten einzig auf dem Stoff meiner Weste und fühlten dabei nichts, was mich beruhigen könnte.

Ich gab mir einen Ruck. Vielleicht war ich keine Trägerin mehr, doch ich war alles andere als hilflos. Ich brauchte keine Magie, um eine gute Kämpferin zu sein. Wäre es anders, hätte ich es nicht bis hierhergeschafft, und jetzt kurz vor meinem Ziel aufzugeben, war keine Option.

Also: Welche Möglichkeiten hatte ich denn nun?

Viele leider nicht, weil ich vorhin einen Riesenmist fabriziert hatte, dem unter anderem mein mobiler Tarngenerator zum Opfer gefallen war. Genau den hätte ich aber jetzt gebraucht, ebenso wie die zusätzliche Munition, die mich mein Fehler gekostet hatte. Von der verschwendeten Zeit ganz zu schweigen.

»Private Winter«, meldete sich da die elektronisch verzerrte Stimme der Zentrale in meinem Headset. »Ihr Zeitfenster schließt sich in fünf Minuten.«

Genervt schaute ich zu der Überwachungseinheit hoch. Die schillernde Drohne schwebte mit kaum hörbarem Sirren schräg über mir zwischen den Baumkronen. Sie trug das Logo der Agency, ein verschnörkeltes A eingefasst in ein Quadrat.

»Verstanden, Zentrale«, wisperte ich.

Dabei war der Hinweis überflüssig gewesen, denn dass mir die Zeit davonrannte, sagte mir der Timer auf meinem Multifunktionsarmband ohnehin.

Ich verdrängte die Überwachungsdrohne wieder aus meiner Wahrnehmung und zwang mich zur Konzentration. Mein ganzer Körper vibrierte längst vor Anspannung. Mein adrenalingepushtes Herz klopfte mir bis zum Hals. Ich musste aufpassen, dass meine Aufregung unter Kontrolle blieb, denn nervöse Hektik konnte mich letztlich alles kosten.

Entschlossen umfasste ich den Waffengriff mit meiner rechten Hand, einen Zeigefinger am Abzug, und klaubte mit der linken einen großen Stein auf.

Also gut …

Ich stand auf und warf den Stein in den Wald neben mir. Werfen war grundsätzlich nicht meine Stärke. Mit links schon gleich zweimal nicht. Dementsprechend kläglich fiel mein Wurf auch aus, denn der Stein prallte schon nach wenigen Metern gegen einen Baumstamm, den ich eigentlich nicht hatte treffen wollen.

Innerlich fluchte ich, doch jetzt gab es kein Zurück mehr. Die beiden Roboter hatten sich bereits in Bewegung gesetzt, um nach dem Ursprung des Geräusches zu suchen. Einer krabbelte flink den Hang hinauf, während der andere unten in der Nähe der Tür verharrte.

Der obere Roboter war nicht mehr weit weg. Ich visierte ihn aus dem Schutz der Blühstaude heraus an und wartete auf einen geeigneten Moment. Meine Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Obwohl ich die Waffe mit beiden Händen hielt, gelang es mir nur mit Mühe, das leichte Zittern meiner Arme auszugleichen. Wenn dieser Schuss nicht saß, konnte ich auch gleich aufgeben.

Das elfenbeinfarbene Monstrum hatte den Waldrand erreicht und sondierte das Dickicht. Mechanische Geräusche untermalten jede seiner Bewegungen. Dann – endlich! – wandte es mir seinen Hinterkopf zu. Ich erkannte den winzigen roten Punkt an der Außenhaut, zielte und drückte ab.

In dem Augenblick, in dem ich registrierte, dass mein Treffer geglückt war und der Roboter deaktiviert zur Seite kippte, sprintete ich auch schon los. Mit ausgestreckter Waffe brach ich aus dem Schutz des Waldes heraus und rannte den Hang hinunter. Der verbliebene Roboter richtete umgehend sein Sturmgewehr auf mich und innerhalb eines Wimpernschlags peitschten Schüsse durch die Luft. Der Abhang sorgte für die Beschleunigung, die ich brauchte, um der Salve gerade noch entgehen zu können. Ich hörte, wie die Kugeln nur knapp hinter mir in der Erde einschlugen. Allerdings hatte ich bei meinem waghalsigen Downhill-Sprint keine Chance, das Feuer zu erwidern, weil ich genug damit zu tun hatte, mich auf den Beinen zu halten.

Am Ende des Abhangs kam, was kommen musste. Ich geriet ins Straucheln und überwand das letzte Stückchen in einer unfreiwilligen, aber durchaus spektakulären Rolle. Noch spektakulärer wäre es sicherlich gewesen, wenn ich den Schwung zum nahtlosen Aufstehen hätte nutzen können. Doch das brachte ich nicht zustande. Während ich mich hektisch auf die Füße stemmte und weiterstolperte, war ich jedoch einfach nur froh, dass ich noch meine Waffe in der Hand hielt und mich darüber hinaus nicht selbst angeschossen hatte.

Der Felsbrocken war kaum mehr zwei Schritte von mir entfernt. Ich stürmte auf meine rettende Deckung zu. Aus dem Augenwinkel heraus nahm ich wahr, dass mein Angreifer sich mir nicht wesentlich genähert hatte. Hätte ich auch nicht getan, wenn ich mich hinter einer Salve Schnellfeuer hätte verstecken können.

Mit einem letzten Satz landete ich hinter dem schützenden Felsen. Ein paar Kugeln schlugen noch donnernd in das Gestein, bevor es kurz still wurde. Da neigte ich mich bereits zur anderen Seite aus der Deckung, visierte den Roboter an und drückte ab.

Meine erste Kugel prallte mit einem »Pling!« wirkungslos von dem metallenen Körper ab. Meine zweite auch.

Verfluchter Mist!

Ich zog mich zurück, weil der Roboter das Feuer erwiderte. Nach wenigen Schüssen war es wieder still. Dann hörte ich das typisch mechanische Knirschen der insektenartigen Beine näher kommen. Mein eigener Puls dröhnte mir so laut in den Ohren, dass er das Geräusch beinahe übertönte.

Verzweiflung stieg in mir auf. Wenn ich meine letzte Kugel in den Sand setzte, war die Mission gescheitert.

Der Roboter näherte sich mir von rechts, darum rutschte ich zur linken Seite des Felsens, wagte mich mit einem großen Schritt weit aus meinem Schutz heraus und erhoffte mir dadurch, den richtigen Winkel auf eine der Schwachstellen zu erwischen.

So war es auch. Ich sah sie ganz genau, die winzige Stelle, markiert als roten Punkt, die ich treffen musste, um das Maschinenmonstrum zu deaktivieren. Ich zielte, zwang meine Arme eisern zum Stillhalten und drückte ab. Genau in der Millisekunde, als der Roboter sich bewegte.

»Pling!«

Meine Augen weiteten sich. Der Schock, dass ich diesen letzten Schuss vergeigt hatte, ließ mich beinahe zu langsam reagieren. Der Lauf des Gewehrs war bereits auf mich gerichtet, als ich zurück in meine Deckung hechtete. Ich konnte spüren, dass mich eine Kugel bloß um Haaresbreite an der Schulter verfehlt hatte.

Schwer atmend presste ich mich mit dem Rücken gegen den Felsen und konnte nicht fassen, dass ich versagt hatte. Ich ließ meine Pistole fallen und fuhr mir mit bebenden Händen über den Kopf.

»Verdammt!«, entfuhr es mir. »Scheiße!«

Ich raufte mir die Haare und war derart wütend auf mich selbst, dass ich fast in Tränen ausbrach. Monatelang hatte ich auf den heutigen Tag hin trainiert. Obwohl ich die Grundausbildung zur Agentin eher aus schicksalshaften Umständen heraus gestartet hatte, war ich doch wild entschlossen gewesen, sie auch zu beenden. Und jetzt hatte ich die praktische Abschlussprüfung vermasselt.

Das durfte echt nicht wahr sein!

In mir tobte es. Der Zorn über mein eigenes Versagen war kaum zu ertragen. Ich zitterte am ganzen Leib, weil sich pure Aggression in jeder einzelnen meiner Zellen aufstaute, während ich den herannahenden mechanischen Geräuschen lauschte. Gleich würde das Monstrum um die Ecke krabbeln und ich könnte bloß noch ergeben die Hände heben, in der Hoffnung, dass mir dann wenigstens die Schmerzen einer Elektroimpulskugel erspart blieben.

Nein!

Durch mich ging ein Ruck. Ich sah auf den Timer. Neunzig Sekunden.

Es war noch nicht vorbei.

Wut konnte ein mächtiges Instrument sein, wenn man sie in die richtige Bahn lenkte. Wobei im Folgenden fraglich war, ob nicht eher meine Wut mich lenkte. Mit Vernunft und Verstand hatte es nämlich nicht viel zu tun, dass ich nach dem Multitool an meinem Gürtel griff. Was im Endeffekt auch bloß ein groß geratenes Schweizer Taschenmesser war. Nur in Schwarz und ohne Logo. Generell ein äußerst praktisches Werkzeug, jedoch freilich nicht dazu gedacht, einen Killerroboter aufzuhalten.

Ich hatte nicht den blassesten Schimmer, ob mein Vorhaben rein technisch gesehen überhaupt funktionierte. Die Roboter waren so konstruiert, dass sie nur an den vorgegebenen Schwachstellen auf die Übungsmunition reagierten. Ob diese Reaktion dann letztlich am Treffer lag oder am Elektroimpuls, der von dieser speziellen Munition ausging, wusste ich nicht. Aber ich würde es gleich herausfinden.

Getrieben von wütender Verzweiflung klappte ich den Schlitzschraubendreher aus dem Multitool heraus und kletterte flink den Felsbrocken hinauf. Das kantige Gestein bot sich nahezu als Treppe an, darum gelangte ich mühelos nach oben, ohne dass der Roboter es zunächst bemerkte. Erst als ich bereits drohend über ihm aufragte, richtete sich surrend eins seiner Kameraaugen auf mich.

Doch da sprang ich ihn auch schon an. Im wahrsten Sinne. Mir blieb kurz die Luft weg, als ich gegen den harten Metalltorso prallte, aber ich bekam es irgendwie zustande, meine Arme und Beine fest um meinen Gegner zu schlingen. Obwohl er durch meinen Schwung aus dem Gleichgewicht geriet und einige Schritte zur Seite krabbelte, blieb ich wie eine hartnäckige Klette an ihm kleben. Noch während der Ausgleichsbewegung holte ich mit dem Schraubendreher aus und ließ die scharfe Spitze auf den kleinen roten Punkt am Hinterkopf des Roboters niedergehen.

»Klonk!«

Meine Waffe prallte so heftig an dem stabilen Metall ab, dass sie mir beinahe aus der Hand flog. An dem vermaledeiten Blechvieh war nicht einmal ein Kratzer zu sehen.

Ich fluchte lautstark und klammerte mich erbittert an dem Roboter fest. Er fand gerade zurück ins Gleichgewicht und drehte seinen Kopf zu mir nach hinten.

Da sah ich ihn. Einen kleinen Spalt zwischen Torso und dem kurzen Verbindungsstück, das man wohlwollend als Hals bezeichnen könnte. Bunte Kabel waren zu erkennen. Ich reagierte blitzschnell auf diese unerwartete Schwachstelle, die sich da vor mir auftat, und stach mit dem Schraubendreher in den Spalt. Weil der Roboter seinen Kopf trotzdem noch weiterdrehte, verkeilte sich meine Waffe darin. Ich rüttelte wild daran, in der Hoffnung, mit der innen liegenden Spitze ein paar wichtige Kabel zu zerfetzen. Zunächst tat sich überhaupt nichts. Mit einem zornigen Aufschrei stemmte ich mich ein letztes Mal in meinen Hebel. Etwas knackte. Erst dachte ich, ich hätte nur mein Multitool abgebrochen, doch dann stellte ich fest, dass der Spalt tatsächlich größer geworden war. Der Schraubendreher war von selbst tiefer gerutscht, darum rüttelte ich gleich noch mal daran.

Und tatsächlich war der Abstand inzwischen fast fingerbreit. Was den Roboter nicht maßgeblich beeinträchtigte. Nur seinen Kopf schien er nicht mehr drehen zu können, doch er versuchte mich nun mit hektischen Bewegungen abzuschütteln und schlug zudem mit seinem Gewehr nach mir. Ich kassierte einen saftigen Treffer in die Rippen, aber genau dieser Schmerz war es vermutlich, der mich zu einer letzten Höchstleistung anspornte.

Wie ein Berserker fuhrwerkte ich mit dem Schraubendreher im Hals der Maschine herum. Ich riss ein paar Kabel heraus, dann eine hauchdünne Leitung mit irgendeiner bläulichen Hydraulikflüssigkeit, die mir ins Gesicht spritzte und aus unerfindlichen Gründen nach Zitrone roch. Sie brannte auch wie purer Zitronensaft in meinem linken Auge, was mir beträchtlich die Sicht vernebelte, aber mit Zielen hatte das, was ich machte, ohnehin nichts zu tun. Im Grunde hackte und hebelte ich bloß planlos herum, getrieben von der letzten Hoffnung, den Roboter doch noch besiegen und meine Prüfung bestehen zu können.

Dann knackte es erneut und endlich spürte ich, dass die Beine des Roboters zusammenklappten. Elektromechanische Geräusche untermalten das Herunterfahren der Maschine. Ich sprang ab, bevor das Monstrum ganz auf dem Boden aufschlug, und rannte sofort los.

Halb blind durch die scharfe Flüssigkeit in meinem Auge sprintete ich zu dem Gebäude. Ich wusste auch ohne Blick auf den Timer, dass mir nur mehr wenige Sekunden blieben, um durch diese Tür zu gelangen. Eine recht unspektakuläre Tür aus Holz, wohlgemerkt, die vermutlich abgesperrt war, aber ich hatte keine Zeit mehr, das Schloss zu knacken. Ich versammelte einzig meine verbliebenen Kraftreserven, holte zu einem gewaltigen Tritt aus und hoffte das Beste.

Krachend gab der Holzrahmen der Wucht meiner puren Verzweiflung nach. Die Tür schwang auf, ich stürzte über die Schwelle und brauchte ein paar Stolperschritte, um abbremsen zu können.

Mein Atem ging stoßweise. Mein Herz donnerte wild gegen meine Brust. Erst da registrierte ich, dass ich den Roboterkopf noch in den Händen hielt. Ich hatte nicht einmal bemerkt, ihn komplett abgerissen zu haben, und warum ich ihn anschließend mitgenommen hatte, konnte ich erst recht nicht sagen. Stattdessen hatte ich wohl mein Multitool draußen ins Gras geworfen.

Das Piepsen meines Timers schreckte mich aus meiner Irritation. Ich kniff mein brennendes Auge zu und schaute mich gehetzt um. Ein Teil meines Verstandes war noch im Kampfmodus, darum brauchte ich einen Moment, um mich in der veränderten Szene zurechtzufinden.

Ich befand mich in einem funktionalen Raum, der nur mäßig beleuchtet war. Von außen hatte die Wand mit der Zugangstür wie eine gewöhnliche, undurchdringliche Mauer gewirkt, doch von hier drin konnte man ungehindert durch sie hindurch ins Freie sehen, ähnlich wie bei einem Einwegspiegel, und man hatte den gesamten Bereich vor dem Gebäude im Blick.

Vor dieser Sichtwand hatten sich einige Leute versammelt, um mir auf den letzten Metern meiner Prüfungsmission live zuzusehen. Die meisten davon waren in die typischen Uniformen hochrangiger Agenten gekleidet. Ich entdeckte eine schlanke Frau, die ihr ergrautes Haar streng hochgesteckt hatte. Wenn ich mich nicht irrte, war das Admiral Tegress, die oberste Direktorin der exekutiven Abteilungen für Stabilitätswahrung und Sicherheit weltweit. Die Oberchefin der Special Forces.

In einer Ecke saßen zwei Mitarbeiter der Agency vor einer Monitorwand, die unter anderem die Bilder der mobilen Überwachungseinheit zeigte. Einer der beiden Männer trug ein Headset und hatte vermutlich den Part der Zentrale übernommen, die mich durch die simulierte Mission dirigiert hatte. Nun schaute der Mann mich fasziniert an. Genau wie alle anderen auch.

Mir schwante, dass ich die einzige Agentenanwärterin war, deren Abschlussprüfung von einem solch großen Publikum beehrt wurde. Meines Wissens bestand die Prüfungskommission nämlich bloß aus fünf Personen. Der Rest der Anwesenden war bestimmt aus reiner Sensationsgier angereist.

Weil ich die ehemalige Trägerin des Orinions war.

Gott, wie ich das verabscheute. Ich hasste es, dass ich in der Anderswelt die Prominente Nummer eins war. Seit Monaten stand ich bereits im Fokus der Öffentlichkeit und konnte kaum mehr einen Schritt tun, ohne am nächsten Tag darüber in der Klatschpresse zu lesen. Es war zum Kotzen.

Da stand ich nun, immer noch außer Atem, klatschnass geschwitzt, ein Auge zusammengekniffen und einen Roboterkopf in den Händen, mordsmäßig angepisst von der geballten Aufmerksamkeit der Schaulustigen und kurz davor, einen dummen Spruch rauszuhauen, den ich mit Sicherheit im Nachhinein bereuen würde.

Zum Glück rettete mich Major Kunnar vor einem Eklat. Mein Ausbildungsleiter löste sich aus der Menge und kam zu mir. Die schummrige Deckenleuchte ließ seine Glatze glänzen, als hätte er sie mit Bohnerwachs poliert. Kunnar hatte die muskelbepackten Arme vor der Brust verschränkt, wodurch das Elasthan seiner Uniform am Bizeps sichtlich an seine Grenzen kam.

O ja, Major Kunnar war eine eindrucksvolle Erscheinung und besaß ein noch eindrucksvolleres Stimmvolumen, das er mir in den letzten Monaten zur Genüge um die Ohren geblasen hatte. Er war einer der wenigen, die mich nie anders behandelt hatten, nachdem das Geheimnis meiner wahren Identität in der Agency gelüftet worden war. Für ihn war ich durchgehend Private Jessica Winter gewesen, Agentenanwärterin, die gefälligst Bestleistung abzuliefern hatte – wie jeder andere seiner Schützlinge auch. Etwas, wofür ich ihm zutiefst dankbar war.

Was Kunnar von meiner dargelegten Prüfung hielt, konnte ich nicht sagen. Aktuell stand ihm bloß ins Gesicht geschrieben, dass ihm die Publikumsmenge nicht weniger gegen den Strich ging als mir selbst.

»Private Winter«, sagte er in seinem gewohnt ruppigen Tonfall. »Ihre Prüfungsmission ist hiermit beendet!«

Auf dieses Stichwort hin eilte eine Frau in grauem Overall heran. Sie gehörte zum Technikteam und nahm mir den Roboterkopf ab. Mit einem schiefen Blick zu mir wandte sie sich an Kunnar. »Das wird einen Moment dauern. Ich muss einen Ersatzandroiden aus dem Lager holen.«

»Geben Sie dem nächsten Prüfling an der Startposition Bescheid«, wies der Major den Mann mit dem Headset an. »Und schaffen Sie jemanden ran, der die Tür wieder in Ordnung bringt! Die war im Übrigen nicht abgeschlossen, Private.«

»Verzeihung, Sir.«

Der Major brummte und winkte mich mit sich. Ich wischte mir unterm Gehen mit dem Ärmel grob die Hydraulikflüssigkeit vom Gesicht und ignorierte geflissentlich das Getuschel der Schaulustigen.

Wir verließen den Überwachungsraum über einen kurzen Flur und betraten ein Zimmer, das extra für die Nachsorge solcher Einsatzsimulationen eingerichtet worden war. Zunächst legte ich meine verbliebene Ausrüstung ab und gab sie in die bereitgestellten Sammelboxen. Nachdem ich mich aus meiner klatschnassen Uniformjacke geschält hatte, trat ich ans Waschbecken und wusch mir erst einmal kräftig das Gesicht. Als ich mich wieder aufrichtete, blinzelte ich verdutzt mein Spiegelbild an.

Ach du Schande! Ich sah aus wie Braveheart!

Die Hydraulikflüssigkeit hatte mein halbes Gesicht hellblau gefärbt. Ein Teil meiner roten Haare schien auch betroffen, aber ich unterließ es, meinen Zopf zu lösen, um mir das Desaster genauer anzuschauen. Major Kunnar stand nämlich bereits mit einem kleinen Fläschchen Augentropfen neben der Behandlungsliege und für kosmetische Dramen hatte er zweifellos keine Geduld.

Ich traute mich, noch hastig ein Handtuch mit kaltem Wasser zu tränken, warf mir das erfrischende Frottee um den Nacken und setzte mich eilig auf die Liege.

»Kopf zurück«, befahl der Major streng. Er träufelte mir ein paar Tröpfchen ins linke Auge. »Augen schließen und so bleiben.«

Also blieb ich in dieser Position sitzen. Dabei spürte ich, wie allmählich Ruhe in mir einkehrte. Der letzte Rest Adrenalin zog sich zurück und ließ meinen Verstand wieder vernünftig arbeiten. Leider sorgte das auch dafür, dass sich bleierne Müdigkeit in mir ausbreitete und gleichzeitig zahlreiche Verletzungen bemerkbar machten. Der Schlag beim Roboter-Rodeo hatte echt gesessen. Vielleicht war eine Rippe sogar angeknackst. Zumindest spürte ich bei jedem Atemzug einen scharfen Stich. Wo die anderen Prellungen, die sich gleichmäßig über meinen Körper verteilten, im Einzelnen herkamen, konnte ich nicht sagen. Irgendwann musste ich mir den rechten Knöchel verstaucht haben, was sich jetzt durch ein stetig anschwellendes Pochen bemerkbar machte.

Insgesamt aber nichts, was die besonderen Heilkünste der Anderswelt nicht richten konnten. Außerdem war ich hart im Nehmen. War ich schon immer gewesen, doch die Grundausbildung zur Agentin hatte meine Robustheit noch mal auf ein ganz anderes Level gehoben. Unter anderem hatte ich dies dem Mann zu verdanken, der nun sagte: »In Ordnung, Sie können die Augen wieder aufmachen.«

Ich blinzelte testend hoch zur Decke. Nichts tränte oder brannte. Ein eindrucksvolles Beispiel für die eben erwähnten Heilkünste.

»Sonst noch irgendwelche Verletzungen?«, fragte der Major.

»Nein, Sir.«

Sein Mundwinkel zuckte. Natürlich wusste er, dass ich gelogen hatte. Immerhin trug er die Begabung eines Fínniórs, eines Wahrheitsfinders, die ihn dazu bemächtigte, in den Emotionen und Gedanken anderer zu lesen. Was mich allerdings überraschte, war dieses Mundwinkelzucken. Das hatte ja fast wie der Anflug eines Schmunzelns ausgesehen und das kam bei dem strengen Major überaus selten vor.

»Das war gute Arbeit, Private Winter«, sagte er schließlich. »Ich bin schwer zu beeindrucken, aber Sie haben das zweifellos geschafft.«

Ich war fassungslos. Ein offenkundiges Lob von Major Kunnar? Und jetzt grinste er auch noch! Also so richtig. Wie ein normaler Mensch eben grinste, was ich bei Kunnar allerdings nie zuvor gesehen hatte. Es sah auch höchst eigenartig aus, doch das lag wohl eher daran, dass es so ungewohnt war.

»Ich muss schon sagen«, redete er weiter, »Sie sind immer wieder für eine Überraschung gut, Winter. In all meinen Jahren als Ausbilder habe ich noch nie erlebt, dass eine Anwärterin einem unserer Trainingsandroiden den Kopf abreißt.«

»Das war so nicht geplant, Sir«, erwiderte ich verlegen.

»Davon gehe ich aus. Eigentlich bin ich aber mehr von der Tatsache beeindruckt, dass Sie nicht aufgegeben haben, als Ihre Munition verschossen war. Ihren enormen Kampfgeist kannte ich zwar schon, doch wie ich bereits sagte: Sie überraschen mich immer wieder.« Sein Gesichtsausdruck wurde nachdenklich und er musterte mich einen Moment. »Offen gestanden erstaunt mich Ihr Ehrgeiz vor allem deshalb so sehr, weil Sie ja ohnehin vorhaben, die Agency zu verlassen. Für das Studium an der Galegischen Universität hätten Sie die Grundausbildung gar nicht abschließen müssen.«

»Ich mag keine halben Sachen, Sir.« Nach einer kleinen Pause fügte ich noch hinzu: »Und ich hatte zunächst ein duales Studium in der Forschungsabteilung der Agency angestrebt, wofür die Grundausbildung Voraussetzung ist. Ich habe mich erst nach der zweiten Zwischenprüfung umentschieden. Da wäre es dann wirklich unsinnig gewesen, die letzten Wochen der Grundausbildung nicht trotzdem durchzuziehen.«

Major Kunnar nickte. »Das ist wahr. Außerdem schadet es nicht, die Grundausbildung in der Tasche zu haben, für den Fall, dass Sie irgendwann doch noch in den Dienst der Agency treten wollen. Sie wissen ja, dass ich Ihr Talent lieber bei den Special Forces sehen würde, als es an irgendwelche drögen Wissenschaften zu verlieren.«

Er trat zu einem Schrank, um die Augentropfen zu verstauen. Ich verlagerte unruhig meine Sitzposition auf der Liege und fragte vorsichtig: »Sir? Habe ich die praktische Prüfung denn bestanden?«

»Na, was glauben Sie wohl?« Erneut zeigte er das ungewohnte Grinsen. »Die Entscheidung liegt zwar bei der Prüfungskommission, aber da müsste es schon mit unrechten Dingen zugehen, wenn Sie durchgefallen wären. Für die Bestnote wird es zwar nicht ausreichen, weil die Hälfte Ihrer Ausrüstung im Wald verstreut liegt – was im Ernstfall nicht passieren darf, verstanden? –, nichtsdestotrotz konnten Sie die Mission im vorgegebenen Zeitrahmen abschließen und wer weiß schon, ob Sie sich durch Ihre finale Showeinlage nicht ein paar Bonuspunkte eingeheimst haben.«

Ich atmete erleichtert durch. Was meinen lädierten Rippen gar nicht gefiel, darum krümmte ich mich gleich wieder mit verhaltenem Ächzen zusammen. Der Major ließ einen analytischen Blick über mich gleiten, bevor er knapp in Richtung Zimmertür nickte. »Draußen steht ein Gloover bereit, der Sie zur Zentrale bringt. Lassen Sie sich vom medizinischen Dienst versorgen und fragen Sie bei der Gelegenheit, wie Sie die Farbe von Ihrem Gesicht abbekommen. Sie sehen ja aus wie eine Lorafote.«

»Verstanden, Sir!«

KAPITEL 2

Ich wusste nicht, was eine Lorafote war. Weil ich generell längst nicht alles von der Anderswelt wusste. Eigentlich verging kaum ein Tag, an dem ich nicht wieder mal etwas Neues entdeckte.

Mit dem Gefährt namens Gloover war ich bereits vertraut. Es sah aus wie ein elfenbeinfarbener Streitwagen, bloß dass er nicht von Pferden gezogen wurde, sondern mittels Antigravitationsantrieb über den Boden schwebte. Nur ein technologisches Wunderwerk von vielen, die in dieser Welt ganz selbstverständlich waren.

Der Gloover war auf autonomen Betrieb gestellt und erwachte von selbst zum Leben, kaum dass ich die Plattform betreten hatte. Mit leisem Sirren hob er sich ein Stückchen in die Lüfte und beschleunigte auch schon. Sitze gab es keine, weil die Geräte hauptsächlich für Kurzstrecken gedacht waren. Was mich normalerweise nicht gestört hätte, aber ich war ausgepowert und mein Knöchel tobte immer heftiger, darum hockte ich mich kurzerhand entgegen der Flugrichtung auf den Boden und lehnte mich mit der Schulter an die Innenwand. Meine Jacke hatte ich mir um die Hüften geknotet und der leichte Fahrtwind zupfte kühlend an meinem Shirt.

Lächelnd betrachtete ich das flache Überwachungsgebäude, von dem ich mich mehr und mehr entfernte. Ich hatte die praktische Prüfung also bestanden. Vielleicht nicht mit Bestnote, aber nachdem ich kurz geglaubt hatte, es total vergeigt zu haben, war ich mehr als zufrieden mit mir.

Nun hatte ich in ein paar Tagen bloß noch die mündliche Prüfung zu meistern. Die schriftlichen Tests hatten wir bereits vor zwei Wochen geschrieben, das Ergebnis jedoch noch nicht erhalten. So, wie ich meine eigene Arbeit einschätzte, dürfte ich den theoretischen Teil aber gemeistert haben. Garantiert ebenfalls nicht mit Bestnote, weil ich durchaus die ein oder Frage verpatzt hatte, wie ich gleich im Nachhinein herausgefunden hatte. Was zu erwarten gewesen war, denn in Sachen Agententätigkeiten lagen meine Stärken zweifellos im praktischen Einsatz. Das theoretische Wissen um Befehlshierarchien, Gesetzesgrundlagen und Standardvorgehensweisen war einfach nicht so mein Ding.

Während der Ausbildung hatte es bloß ein Unterrichtsfach gegeben, das mich von Beginn an komplett in seinen Bann gezogen hatte: die theoretische Magie.

Vor noch nicht allzu langer Zeit hatte ich Magie als völligen Blödsinn abgetan. Ich hatte nicht an Zauberei oder dergleichen geglaubt, sondern mich einzig nach den Fakten wissenschaftlicher Erkenntnisse gerichtet. Physik hatte mich schon immer begeistert, weil in mir stets dieser Drang gewesen war herauszufinden, wie die Welt funktionierte. Gerade im Bereich der Quantenphysik gab es so einige Rätsel zu entschlüsseln. Warum verhielt sich ein Elektron wie eine Welle und dann mehr und mehr wie ein Teilchen, je nachdem, wie genau man hinsah?

Ja, der Beobachtereffekt gehörte zu einer der interessanten Entdeckungen der Quantenmechanik in der Dortwelt, also in der normalen Menschenwelt, in der ich aufgewachsen war. Hier in der Anderswelt war man in Sachen Naturwissenschaften schon einige Schritte weiter. Sehr, sehr viele Schritte weiter, was nicht zuletzt allein die Existenz dieser Welt bewies. Sie war nämlich schon vor Jahrtausenden künstlich erschaffen worden. Eine ursprünglich höhere Paralleldimension, vierdimensional verankert mithilfe von – richtig! – Magie. Was auch sonst?

Doch das wirklich Faszinierende daran war, dass Magie hierzulande bloß der Begriff für ein tiefgreifendes Verständnis der Teilchenphysik war. Zumindest faszinierte mich diese Tatsache und ich konnte es kaum mehr erwarten, mein Studium an der Galegischen Hochschule anzutreten, um all dieses Wissen in mich aufzusaugen.

Der Gloover tauchte in den Wald ein und gleich darauf verschwand das Überwachungsgebäude hinter den gewaltigen Mammutbäumen. Über das leise Sirren des Antriebs hinweg konnte ich die Klänge tropischer Vogelarten hören. Es war atemberaubend schön hier. Bis auf ein paar wenige Gebäude zu Ausbildungszwecken gab es auf Feya nichts als wilde und unberührte Natur.

Unwillkürlich drifteten meine Gedanken von der Zukunft in die Vergangenheit. Ich war nicht zum ersten Mal seit dem finalen Kampf gegen die Dunkelheit zurück auf der Insel und die meiste Zeit konnte ich problemlos ausblenden, was sich hier zugetragen hatte. Nur in stillen Momenten, wenn ich allein war, so wie jetzt, huschten beunruhigende Bilder durch meinen Kopf und ein eisiger Schauer rann über mein Rückgrat.

Sofort tasteten meine Finger nach dem Orinion, strichen aber bloß über meine nackte Haut. Im ersten Augenblick verstärkte es das beklemmende Gefühl meiner Erinnerungen, bevor ich mich selbst zur Ruhe zwang.

Alles war in Ordnung.

Die Dunkelheit war fort. Meine Aufgabe als Trägerin war erledigt. Ich brauchte das Orinion nicht mehr. Es war okay, dass ich die Elementarmagie nicht mehr nutzen konnte. Bloß ein winziger Teil meiner ursprünglichen Kraft war in mir zurückgeblieben. Ein Hauch dessen, was einst gewesen war. Um die Elemente zu formen, reichte es nicht mehr. Ich konnte höchstens einen Blick durch die Augen der vier Naturkräfte werfen.

Dass ich noch einen Rest Magie in mir trug, wusste nur Kaleidos. Ansonsten war es mein kleines Geheimnis. Weil es ohnehin unwichtig war, denn ich war keine Trägerin mehr und wollte auch gar keine mehr sein. Ich war einfach nur Jay. Auf dem besten Wege, meine Grundausbildung zu bestehen und endlich das Leben zu leben, das ich mir wünschte. Ein Leben, das so viel besser war, als ich es mir je hätte vorstellen können.

Ich atmete tief durch und lächelte zufrieden. Trotzdem strichen meine Fingerspitzen nebenbei über mein Schlüsselbein, als würden sie immer noch nach der vertrauten Kette suchen.

Der Gloover wurde merklich langsamer. Ich hatte gar nicht registriert, dass sich der Wald längst gelichtet hatte und der Flug leicht bergan ging. Bis ich mich, untermalt von diversen Schmerzensflüchen, in die Aufrechte gekämpft hatte, machte der Gloover auch schon einen sanften Bogen, um mich am Rondell vor der Haupttreppe abzusetzen.

Die Zentrale befand sich in einem schlichten Betongebäude mit drei Etagen und Flachdach. Erbaut auf einem unbewaldeten Hügel, eingebettet in den Hang und mit fantastischem Ausblick über die Insel bis hin zum glitzernden Ozean ringsherum. Automatisch zuckte mein Blick zur östlichen Fassade, wo ein anderes Geheimnis tief in der Erde begraben lag. Das Buch der Worte galt offiziell als verschollen. Bloß meine Mutter und ich kannten die genaue Stelle, an der ich es im finalen Kampf gegen die Dunkelheit vom Erdboden hatte verschlucken lassen.

Die Nachmittagssonne kannte keine Gnade. Trotzdem hatten es sich ein paar meiner Mitschüler auf der Treppe am Vordereingang zum Plaudern gemütlich gemacht. Sie hatten die Prüfung bereits am Vormittag abgelegt und waren dementsprechend entspannt.

Leider handelte es sich ausgerechnet um die Klassenkameraden, denen ich meinen katastrophalen Auftritt am allerwenigsten gönnte. Es gab einfach Beziehungen, die sich selbst dann nicht maßgeblich verbesserten, wenn man sich gemeinsam gegen eine Gruppe Terroristen behauptete. Wobei ich es eigentlich gut fand, dass mich die Proleten meiner Klasse nicht anders behandelten, nur weil ich die berühmte Trägerin war. Ich wäre mir bloß verarscht vorgekommen, wären sie auf einmal nett und freundlich gewesen. Außerdem hätte ich dann wohl oder übel auch nett und freundlich sein müssen. Mit unserer unveränderten Antipathie ging es uns allen zweifellos am besten.

Maranon Gedelski thronte regelrecht auf den Betonstufen, seine übliche Miene der vermeintlichen Unantastbarkeit im Gesicht. Seit er vor einer Weile dazu übergegangen war, sein braunes Haar in einer geschniegelten Gelfrisur zu tragen, schaute er wahrhaftig aus wie ein Lackaffe. Flankiert wurde er von den Zwillingen Ava und Asra Minowa, die stets großen Wert darauf legten, nicht unterschieden werden zu können. Sie trugen ihre blonden Haare meist in einem strengen Dutt, legten exakt das gleiche Make-up auf und manchmal kratzten sie sich sogar synchron an der Nase. Ihr Vorhaben der Deindividualisierung gelang jedenfalls. Zumindest konnte ich die zwei nach wie vor nicht auseinanderhalten.

Die Zwillinge schwirrten eigentlich immer in Maranons Dunstkreis herum. Der Sohn eines obersten Senators der Anderswelt fiel zweifellos in ihr Beuteschema. Nicht zum ersten Mal fragte ich mich, ob die beiden sich ihren Fang denn auch teilen würden.

Äußerst unelegant schritt ich auf das Treppentrio zu. Mein Knöchel machte mir inzwischen schwer zu schaffen und das Pochen in meinen Rippen ließ sich nur in leicht vorgebeugter Haltung aushalten, daher humpelte ich wie die gruselige Hexe in einer Kindergeschichte. Zusammen mit meiner blau gefärbten Gesichtshälfte natürlich eine willkommene Show für das Treppenpublikum.

Maranon öffnete bereits den Mund für einen dümmlichen Kommentar, darum schnappte ich: »Spart es euch einfach! Ich will nichts von Schlümpfen oder dergleichen hören, klar?«

»Was ist ein Schlümpfe?«, fragte eine der Zwillinge mit erhobenen Brauen.

Die andere lachte abfällig. »Bestimmt so ein schwachsinniges Dortwelt-Ding.«

Ich rollte mit den Augen, langte nach dem Treppengeländer und begann den Aufstieg. Hilfe hatte ich von den Idioten nicht zu erwarten. Allerdings hätte ich es wahrscheinlich auch nicht anders gemacht, wäre es umgekehrt.

»Hast du die Prüfung überhaupt bestanden?«, wollte Maranon wissen. »Du siehst nicht so aus, als wärst du ins Ziel gekommen.«

»Es war knapp, aber ich konnte den Zeitrahmen einhalten. Also bestanden, schätze ich.«

»Pff«, gab Ava – oder Asra – von sich. »Als würde dich jemand durchfallen lassen.«

Ich warf ihr einen scharfen Blick zu. »Du weißt genau, dass ich die gleichen Leistungen erbringen muss wie alle anderen. Meine Vergangenheit tut hier nichts zur Sache.«

»Das glaubst auch bloß du«, erwiderte Maranon gedehnt. »Immerhin bist du nicht nur die ehemalige Trägerin, sondern dazu noch General Stansons Tochter. Klassischer Vitamin-B-Komplex.«

Inzwischen war ich auf ihrer Höhe angekommen, darum konnte ich Maranon wunderbar von oben herab mustern. »Lehnst du dich nicht gerade ein bisschen weit aus dem Fenster, Gedelski?«

Sofort verdüsterte sich seine Miene. War aber auch ziemlich dumm von ihm, mit dem Vitamin B um die Ecke zu kommen, mit dem er schließlich selbst behaftet war. Wobei er im Gegensatz zu mir äußerst gern darauf zurückgriff, während er nebenbei behauptete, das nicht nötig zu haben. Mir persönlich war es scheißegal, wer Maranons Vater war. Für mich zählte nur, dass er ein aufgeblasener Schnösel war, der mir schon von Beginn der Grundausbildung an auf die Nerven ging.

Tatsächlich war Maranon ein hervorragender Agent. Er war ein begnadeter Kämpfer mit Sinn für Strategie und Taktik. Gerade das hatte uns beide wohl zu den größten Konkurrenten unseres Kurses gemacht. Zumindest im praktischen Teil. Und davon hatten wir auch beide wiederum profitiert, weil wir uns stets gegenseitig zur Bestleistung angestachelt hatten.

Nicht, dass dies einer von uns je zugeben würde …

»Jay!«, rief da eine glockenhelle Stimme vom oberen Treppenabsatz.

Sie gehörte zu meiner Freundin Lucy. Meine Lieblingsklassenkameradin war von zierlicher Statur, mit großen braunen Augen und einem dunklen Lockenschopf, der ihren Kopf wie ein Helm umgab. Doch ihr zartes Äußeres war trügerisch, denn im Kampfeinsatz mutierte sie zu einer erbarmungslosen Amazone, mit der nicht einmal ich mich anlegen wollte.

»Bei Danu!« Sie hüpfte rasch die Stufen zu mir hinab, um mich zu stützen. »Was ist passiert? Was ist das für eine Farbe? Hast du bestanden? Was musstest du machen?«

Ihre Aufregung hatte nicht allein mit meinem Auftreten zu tun, sondern wohl in erster Linie damit, dass ihre Prüfung heute noch bevorstand.

Durch Lucys tatkräftige Unterstützung überwand ich problemlos die letzten Stufen und humpelte an ihrer Seite durch den angenehm kühlen Flur im Erdgeschoss in Richtung medizinische Abteilung. Unterwegs schilderte ich ihr in jeder Einzelheit, wie meine Prüfungsmission abgelaufen war.

»O Mann«, jammerte Lucy anschließend. »Die ändern wohl tatsächlich für jeden Prüfling die Route ab. Steve musste definitiv über einen anderen Weg als du.«

»Lucy, jetzt mach dir doch nicht so einen Kopf. Ich weiß genau, was du draufhast, und ich bin mir sicher, dass du es mit links im vorgegeben Zeitrahmen ins Ziel schaffst.«

»Das allein reicht aber nicht. Ich brauche mindestens siebzig Punkte, um für das Auswahlverfahren der Special Forces zugelassen zu werden!«

»Hey.« Ich blieb stehen und sah meine Freundin fest an. »Du wirst das packen, hörst du? Weil du für die Special Forces wie geschaffen bist. Und wenn ich das sehe, wird die Prüfungskommission das auch sehen. Die wären ja schön blöd, eine von Charlies Engeln abzuweisen.« Ich grinste schief. »Ähm, das ist eine Fernsehserie aus der Dortwelt.«

»Ich weiß. Ich hab das letzte Reboot im Kino gesehen und meine Mum liebt die Originalserie.«

Stimmte ja. Ich vergaß immer wieder, dass Lucys Eltern in der Dortwelt lebten und sie deswegen oft mehr darüber wusste als meine restlichen Mitschüler. Wobei die Film- und Fernsehproduktionen der Dortwelt auch hierzulande durchaus beliebt waren. Eines der wenigen Dinge, die die Menschen in vielen Augen der Andersweltbewohner richtig machten.

Lucy atmete tief durch und straffte ihre Gestalt. »Alles klar. Ich werde das packen. Ich werde Charlie alle Ehre machen!«

Lachend gingen wir weiter. Wir bogen um eine Flurecke, hinter der auch schon die Schiebetür zum Vorschein kam, die unmissverständlich als medizinische Abteilung beschriftet war.

»Du hast also einen Roboter mit bloßen Händen gekillt«, meinte Lucy, während wir auf die Tür zugingen. »Das hätte ich gern gesehen.«

Ich verzog das Gesicht. »Ich bin echt nicht stolz auf diesen Akt purer Verzweiflung. Mit Können oder Kampfkunst hatte das überhaupt nichts zu tun.«

»Na ja, Lieutenant White hat doch immer gesagt, dass es im Ernstfall …« Sie verstummte und sah unsicher zu mir. »Entschuldige. Ich hätte ihn nicht erwähnen sollen.«

»Doch.« Ich zwang mir ein Lächeln auf und ignorierte dabei den schmerzhaften Stich in meinem Herzen, den dieser Name bei mir hervorrief. »Doch, Lucy. Weil Colin White trotz allem ein ausgezeichneter Ausbilder war. Sollen wir ihn wirklich nur als Verräter in Erinnerung behalten? Ich will das nicht. Wir haben uns viel zu sehr nahegestanden, als dass ich das könnte.«

»Gerade weil ihr euch so nahegestanden habt, kann ich deine Einstellung kaum verstehen«, antwortete Lucy. »Ehrlich, Jay. An deiner Stelle würde ich ihn verabscheuen.«

»Die Dunkelheit hat seine Gedanken vergiftet. Sie hat ihn zu all dem gebracht. Ihn gesteuert und benutzt.«

»Was sie nur konnte, weil er dem Pakt zugestimmt hatte, oder? Meiner Meinung nach sitzt er zu Recht im Hochsicherheitstrakt.«

Ich antwortete nicht darauf. Lucy war eine der wenigen, die wirklich die ganze Geschichte kannten, während man für die offizielle Version das ein oder andere Detail angepasst hatte. Jedenfalls sollte Lucy eigentlich wissen, warum ich Colin nicht hassen konnte. Sie verstand es bloß nicht. Weil sie nie am eigenen Leib gespürt hatte, wie es war, wenn die Dunkelheit einen zu erobern versuchte. Ich hingegen schon.

»Private Donovan«, schnarrte es da aus Lucys Armband. »Melden Sie sich unverzüglich am Haupteingang der Zentrale zum Abtransport.«

Lucy riss die Augen auf und verlor auf einen Schlag sämtliche Farbe aus dem Gesicht. Stotternd antwortete sie auf den Funkspruch: »Ja … Jawohl! Äh … ich meine, verstanden! Verstanden, Zentrale, Sir. Ähm. Verstanden!« Anschließend rubbelte sie sich wild über die Wangen und schaute mich an. »Verdammt, was war das denn?«

»Tja, das weiß ich auch nicht so genau«, erwiderte ich und gab ihr einen leichten Schubs. »Jetzt reiß dich gefälligst zusammen, geh da raus und zieh dein Ding durch. Na los! Hopp, hopp!«

***

Später stand ich allein vor einem Spiegel im großen Waschraum und kämmte mir durchs feuchte Haar. Geduscht und in frischen Klamotten fühlte ich mich fast wie neugeboren. Die blaue Farbe hatte ich dank einer speziellen Lösung restlos abbekommen. Dafür war ich jetzt halsabwärts flächendeckend mit einer orangefarbenen Tinktur überzogen, die ich nach dem Duschen selbst auf meine zahlreichen Prellungen aufgetragen hatte. Mein verstauchtes Sprunggelenk hatte ich mit einer kühlenden Salbe bepinselt, die nun spürbar ihr Werk verrichtete. Eine Rippe war tatsächlich angeknackst und der medizinische Dienst hatte mir vorhin eine knochenaufbauende Injektion verabreicht. Direkt in den Bruchspalt rein. Zwar mit örtlicher Betäubung, aber es war unangenehm genug gewesen, dass ich gleich darauf die Flucht ergriffen hatte, um meine kleineren Verletzungen nach der Dusche selbst zu versorgen.

Die Injektion zeigte schon jetzt erstaunliche Wirkung, denn ich hatte kaum noch Schmerzen, obwohl die Betäubung bereits wieder nachgelassen hatte. Morgen müsste der Haarriss auch schon vollständig verschlossen sein.

Unglaublich.

Ich legte meine Bürste weg und betrachtete gedankenverloren mein Spiegelbild. Da meine Haare noch feucht waren, wirkte das Rot dunkler als sonst. Dementsprechend blass mutete mein heller Teint an. Früher hatte ich beides penibel versteckt. Mein auffallend rotes Haar unter einer Mütze und mein Gesicht hinter einer Maske aus schwarzem Lidschatten. Und dazu noch meine Emotionen hinter einer dicken Mauer aus Sarkasmus und manchmal auch hinter meinen Fäusten.

Auf diese Weise hatte ich mich fast achtzehn Jahre lang durchs Leben geboxt. Eine Vollwaise in der Dortwelt, die so viel Ungerechtigkeit erfahren hatte, dass sie niemanden mehr an sich heranließ. Trotzig und rebellisch hatte sie einfach nur ihr Ding durchziehen wollen, während der Rest der Welt ihr gestohlen bleiben konnte.

Diese Jay würde auf ewig ein Teil von mir bleiben, doch ich war jetzt eine andere. Die Jay vor mir im Spiegel war reifer. Erwachsener. Kein störrischer Teenager mehr, sondern eine junge Frau. Sie war auch keine Vollwaise mehr, sondern hatte neuerdings Eltern. Ihre leiblichen Eltern, wohlgemerkt, obwohl sie lange zuvor die Hoffnung aufgegeben hatte, sie jemals kennenzulernen.

Ich strich mit den Fingerspitzen über die Tätowierung an meinem rechten Handgelenk. Was für unwissende Blicke wie ein hübsches Tribal aussah, zeigte in Wirklichkeit die Art und Ausprägung meiner Begabung auf. Sie kennzeichnete mich als Tuatha de Dannan mit der Fähigkeit einer Willensbrecherin ersten Grades.

Mir fiel es immer noch schwer zu begreifen, dass ich streng genommen kein Mensch war, weil mich ein zusätzliches Genom zu einer Tuatha machte. Es hatte eine Weile gedauert, bis ich mich mit meiner Fähigkeit eines Animoírs angefreundet hatte. Jemandem seinen eigenen Willen aufzwingen zu können, war mir lange furchtbar und grausam erschienen. Inzwischen war mir klar, dass diese Begabung letztendlich nichts anderes war als jede andere Art von Waffe auch. Es kam schlicht darauf an, wie man sie einsetzte. Mit einer Pistole konnte man einen blutrünstigen Mord begehen und mit derselben Pistole konnte man ebenjenen Mörder stoppen.

Auch in Augen der Anderswelt wurde meine Gabe als Waffe gewertet. Zwar hieß es, dass Danu diese Fähigkeit nur Tuatha mit reinstem Herzen vermachte, doch gänzlich verließ man sich darauf nicht. Es gab Regeln, über die ich hinreichend aufgeklärt worden war und an die ich mich gerne hielt, weil sie ohnehin meine persönliche Einstellung widerspiegelten. Die Anwendung meiner Fähigkeit war ausschließlich bei akuter Gefahr erlaubt.

Nach einem letzten Blick in den Spiegel packte ich meine Sachen zusammen, klemmte mir den Kosmetikbeutel unter den Arm und schlenderte aus dem Waschraum. Ich wollte nur kurz mein Zeug in den Schlafsaal werfen und mir eine frische Uniformjacke holen, die nämlich jeglicher Tropenhitze zum Trotz Vorschrift war, und mich dann auf die Suche nach irgendeinem Mitschüler machen, mit dem ich mich unterhalten konnte, ohne ihm nach ein paar Worten eine klatschen zu wollen. Das traf zum Glück auf die meisten meiner Anwärterkollegen zu. Maranon und Anhang waren deutlich in der Minderheit.

Den nicht vorhandenen Geräuschen nach mussten sich alle irgendwo draußen tummeln. Der Flur vor mir wirkte wie ausgestorben und war unspektakulär wie der Rest des Gebäudes. Nur weiß getünchte Wände und an der Decke schimmerte fluoreszierende Irrlichtfarbe, die von der Agency gern anstatt klassischer Lampen als Leuchtmittel in den Hauptfluren benutzt wurde. Die gleißenden Käfer mit einem Hang zum Schabernack kamen bei der Farbherstellung auch angeblich nicht zu Schaden.

Ich war kaum ein paar Schritte weit gekommen, als ich plötzlich eine Bewegung aus dem Augenwinkel heraus registrierte. Jemand schnappte mich am Handgelenk und zog mich mit einem kräftigen Ruck in einen unbeleuchteten Seitenflur. Ich bemerkte gerade noch eine dunkelblaue Uniform der Special Forces, bevor mein erschrockenes Keuchen auch schon von einem Kuss niedergerungen wurde, der mich umgehend auf Wolke sieben abheben ließ.

Auftritt: Captain Leannán Aherra.

Anführer des legendären Team 8, das mich einst in die Anderswelt entführt hatte. Unverschämt gut aussehend mit rabenschwarzem Haar und dunkelblauen Augen, in denen man ertrinken konnte. Der Mann, der mich auf die Palme brachte wie kein anderer und der trotzdem etwas geschafft hatte, was ich nie für möglich gehalten hätte – er hatte mir mein Herz gestohlen, dieser Schuft.

»Hi«, flüsterte er an meine Lippen.

»Hallo auch«, murmelte ich zwischen zwei weiteren himmlischen Küssen. »Was machst du denn hier?«

»Ich war gerade zufällig in der Nähe.«

Na, wenn das mal nicht geflunkert war. Rund um Feya gab es nämlich nicht viel, wo man zufällig sein konnte. »Hm, du warst also in der Nähe und dachtest dir, du lauerst einfach mal so einer Agentenanwärterin in den Gängen auf?«

»Einer Agentin«, korrigierte er.

Verdutzt ließ ich mich zurücksinken. »Was?«

»Ach komm!« Lee grinste neckisch. »Dass du die schriftliche Prüfung bestanden hast, konntest du dir ja wohl selbst denken. Wir sind uns vermutlich auch darüber einig, dass du die mündliche Prüfung locker meistern wirst. Außer du wärst neuerdings auf den Mund gefallen. Was ich mir eher nicht vorstellen kann und …« Er stockte, als er die orangefarbenen Flecken auf meinen Armen bemerkte. Tadelnd schnalzte er mit der Zunge. »Liscota-Tinktur? Na, da wundert mich deine mittelmäßige Note in Pflanzenkunde nicht mehr. Ich dachte, ich hätte dir mehr beigebracht. Vielleicht wird die mündliche Prüfung für dich doch kein solcher Klacks.«

»Schönen Dank auch für diese motivierenden Worte!« Ich zog eine beleidigte Schnute. »Die Tinktur hat mir der medizinische Dienst gegeben. Ich hätte natürlich zu der viel effektiveren Sinaltivumharz-Lösung gegriffen, aber ich wollte nicht den Klugscheißer spielen.«

»Ah! Ich konnte dir wohl doch etwas beibringen.«

Ob er damit den Klugscheißer oder die Behandlungsalternative meinte, ließ er offen. Gelernt hatte ich von Lee definitiv so einiges. Weil sein Wissen um die Heilkräuter der Anderswelt und deren Anwendung unschlagbar war. Wobei sich dieses Wissen wahrscheinlich automatisch offenbarte, wenn man wie er mit Pflanzen kommunizieren konnte. Als Garróiar ersten Grades war ihm der grüne Daumen der Superlative praktisch angeboren.

»Na ja, jedenfalls«, sagte Lee, »hast du den Abschluss meiner bescheidenen Ansicht nach bereits in der Tasche. Denn dass du die praktische Prüfung heute bestanden hast, bezweifelt nach deiner Showeinlage wohl keiner, oder?«

Ich schnitt eine Grimasse. »Du hast also zugesehen.«

»Allerdings. Und ich muss schon sagen, das war mächtig beeindruckend, wie du dem Androiden den Kopf abgerissen hast. Ein bisschen rabiat vielleicht, aber beeindruckend.«

»Bitte erzähl das nicht Joe. Er wird mich jahrelang mit Roboterwitzen traktieren.«

»O ja, das wird er. Weil ich ihm ganz bestimmt davon erzählen werde.«

Ich boxte ihm entrüstet gegen die Schulter. »Unterstehst du als einer meiner Ausbilder nicht der Schweigepflicht oder so?«

Lee neigte sich feixend weiter zu mir. »Ich unterstehe auch einer gewissen Ethik, an die ich mich nicht so richtig halte. Man könnte glatt meinen, du hättest einen schlechten Einfluss auf mich.«

»Sagte der, der vor den Waschräumen herumlungerte«, konterte ich belustigt.

Er antwortete mir mit einem Kuss, der prickelnde Sturmböen durch meinen Bauch jagte. Ich schmiegte mich an ihn und verlor mich in all den wundervollen Empfindungen, die seine Nähe bei mir auslöste. Nirgendwo fühlte ich mich sicherer als in seinen Armen. Lee, mein Beschützer.

Meine tiefe Zuneigung zu ihm hatte mich zu Beginn völlig überfordert. Manchmal tat sie es immer noch. Zu fremd war es mir … dieses Phänomen namens Liebe. Dieses mächtige Gefühl, das so intensiv wie auch zart sein konnte. Das einen hilflos machte und zugleich unbesiegbar. Unzählige Beschreibungen der Liebe hatte ich gelesen und doch nicht die geringste Ahnung gehabt, wie sie sich letztlich tatsächlich anfühlte.

Ja, ich liebte Captain Aherra. Das wusste ich schon lange. Nur laut ausgesprochen hatte ich es noch nicht. Wie er übrigens auch nicht. Und warum nicht? Gute Frage. Vielleicht weil wir unsere Beziehung aktuell noch weitestgehend geheim hielten und bislang eher so was wie eine dauerhafte Affäre führten, da Lee eben einer meiner Ausbilder war. Ich musste mich schon gegen genügend andere Verdachtsmomente der Bevorteilung wehren. Wenn meine Mitschüler wüssten, dass ich mich mit einem der Ausbilder regelmäßig in den Laken wälzte … Na dann prost Mahlzeit!

Nur ein paar handverlesene Personen wussten über Lee und mich Bescheid. Obwohl ich froh war, dass dieses Versteckspiel bald ein Ende finden würde, hatte so eine verruchte Affäre aber schon auch was an sich. Heimliche Küsse in den Fluren, nächtliches Herumschleichen zwischen unseren Apartments … Jaja. Der Reiz des Verbotenen.

Interessant fand ich dabei, dass Lee eigentlich überhaupt nicht der Typ für einen solchen Regelbruch war. Das war eher mein Part. Vielleicht hatte ich also tatsächlich einen winzig kleinen schlechten Einfluss auf ihn. Aber wirklich nur einen winzig kleinen, denn Lee war dermaßen korrekt, dass er sich sogar unter einem Vorwand aus dem Komitee der mündlichen Prüfer hatte nehmen lassen. Was gar nicht so übel war, denn bei all seiner Überkorrektheit hätte er mir vermutlich rein aus schlechtem Gewissen eine miese Note verpasst.

Und weil Lee eben war, wie er nun mal war, kam es mir ziemlich verdächtig vor, dass er mit mir jetzt in dieser schummrigen Ecke herumknutschte. Er war keinesfalls der reinen Neugier wegen nach Feya gekommen.

Ich löste mich von ihm und trat einen Schritt zurück, weil wir sonst vermutlich nie zu einem Gespräch gekommen wären. Er lehnte sich entspannt an die Wand und erwiderte meinen nachdenklichen Blick mit hochgezogener Braue. »Was?«

»Du hättest nicht herkommen müssen«, sagte ich. »Es geht mir gut. Ich komme klar.«

Er atmete tief durch. »Das sagst du immer.«

»Weil es so ist.«

»Ach, tatsächlich?« Lee verschränkte die Arme. »Weißt du, warum ich das nicht glauben kann? Weil selbst ich keinen Schritt über Feya machen kann, ohne daran zu denken, was hier geschehen ist.«

»Und darin liegt vermutlich der Unterschied, denn ich denke einfach gar nicht erst daran«, flunkerte ich.

»Verdrängung war noch nie eine gute Lösung«, meinte er. »Glaub mir, ich weiß, wovon ich spreche.«

»Alles klar, Meister der emotionalen Aufklärung.«

Er rollte hingebungsvoll mit den Augen. »Gefühle zu verdrängen oder sie nur nach außen hin nicht zu zeigen, sind zwei verschiedene Paar Schuhe, Jay.«

Ich betrachtete ihn ausführlich. Einerseits ließ es mein Herz vor Freude hüpfen, dass Lee sich um mein Wohlergehen sorgte. Aber er machte sich ständig Sorgen um mich. Und das wiederum machte mir manchmal Sorgen, weil er dazu neigte, in eine Überverantwortung zu gehen, die besorgniserregend an Kontrollsucht grenzte. Höchst ungesund – für beide.

»Du musst damit aufhören«, sagte ich schließlich ernst.

»Womit?«

»Angst um mich zu haben.«

Lee sah mich lange an, bevor er sich mit einem leisen Seufzer durchs Haar fuhr. »Vielleicht hast du recht. Es ist nur … Ach, ich weiß auch nicht.«

Er lächelte mich an, die Frisur leicht zerzaust und eine Spur von Verunsicherung in den Augen. Nur wenige bekamen diesen Lee zu sehen. Den jungen Mann hinter der disziplinierten und autoritären Fassade des Captain Aherra, der nicht so unverwundbar war, wie man glaubte, und den ich vielleicht gerade deswegen sehr viel beeindruckender fand als den Anführer in Uniform.

»Lee.« Ich trat dicht an ihn heran und streichelte sanft seine Wange. »Es geht mir gut. Nein, sogar mehr als das. Ich bin glücklicher, als ich es je war.«

»Ich hoffe, dazu trage ich auch einen kleinen Teil bei?«, fragte er mit einem schiefen Grinsen.

»Mmh, vielleicht.«

»Nur vielleicht?«

Gerade als ich mich zu einem Kuss reckte, erklangen Schritte im Hauptflur. Zwei weibliche Stimmen näherten sich uns.

Die Zwillinge!

Während ich noch die Augen aufriss, reagierte Lee auch schon. Ehe ich mich’s versah, hatte er mich durch die Tür neben sich in einen kleinen Lagerraum geschoben.

Tja, Agentenreflexe halt. Immer wieder bemerkenswert.

Umgeben von Putzutensilien und Kartons unbekannten Inhalts schlang ich die Arme um meine geheimnisvolle Affäre.