Die Lichtbringerin 2 - Johanna Danninger - E-Book

Die Lichtbringerin 2 E-Book

Johanna Danninger

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Beschreibung

**Stell dich dem Kampf der Lichtkrieger** Seit Lucias Erweckung ist nichts mehr, wie es war: Sie verfügt über magische Fähigkeiten, muss sich mit übernatürlichen Wesen herumschlagen und dann ist da noch ihr Mentor Rakesh. Er bringt ihr Herz immer wieder unfairerweise zum Rasen. Als wäre das nicht genug, taucht ein fremder Lichtkrieger in der Stadt auf, der auf mysteriöse Weise mit Lucia verbunden scheint. Aber all die Irrungen und Wirrungen treten in den Hintergrund, als der schwarzmagische Zirkel erneut ihre Heimatstadt bedroht. Obwohl Lucia sich diesem Kampf längst nicht gewachsen fühlt, muss sie sich ihrer Bestimmung als Lichtbringerin stellen... Magisch-romantische Urban Fantasy zum Niederknien! Nach dem großen Erfolg der »Secret Elements«-Reihe entführt die Bestseller-Autorin Johanna Danninger ihre Leser nun in die grandiose Welt der Lichtbringer. Eine Fantasy-Liebesgeschichte in drei Bänden voll einzigartiger Charaktere und magischer Wesen, die dich sofort in ihren Bann ziehen. Textauszug: »Als meine Lippen auf die seinen trafen, explodierte ein wahres Feuerwerk in meinem Herzen. Sein Kuss schmeckte himmlisch und verlockend.« //Dies ist der zweite Band der magisch-romantischen Fantasy-Reihe »Die Lichtbringerin«. Alle Bände der Buchserie bei Dark Diamonds: -- Die Lichtbringerin 1 -- Die Lichtbringerin 2 -- Die Lichtbringerin 3//

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Johanna Danninger

Die Lichtbringerin 2

**Stell dich dem Kampf der Lichtkrieger**Seit Lucias Erweckung ist nichts mehr, wie es war: Sie verfügt über magische Fähigkeiten, muss sich mit übernatürlichen Wesen herumschlagen und dann ist da noch ihr Mentor Rakesh. Er bringt ihr Herz immer wieder unfairerweise zum Rasen. Als wäre das nicht genug, taucht ein fremder Lichtkrieger in der Stadt auf, der auf mysteriöse Weise mit Lucia verbunden scheint. Aber all die Irrungen und Wirrungen treten in den Hintergrund, als der schwarzmagische Zirkel erneut ihre Heimatstadt bedroht. Obwohl Lucia sich diesem Kampf längst nicht gewachsen fühlt, muss sie sich ihrer Bestimmung als Lichtbringerin stellen …

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Vita

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© Johanna Danninger

Johanna Danninger, geboren 1985, lebt als Krankenschwester mit ihrem Mann, einem Hund und zwei Katzen umringt von Wiesen und Feldern im schönen Niederbayern. Schon als Kind dachte sie sich in ihre eigenen Geschichten hinein. Seit sie 2013 den Schritt in das Autorenleben wagte, kann sie sich ein Leben ohne Tastatur und Textprogramm gar nicht mehr vorstellen. Und in ihrem Kopf schwirren noch zahlreiche weitere Ideen, die nur darauf warten endlich aufgeschrieben zu werden!

Die spannendste Reise,

die ein Mensch antreten kann,

ist die Reise zu seinem wahren Ich.

Kapitel 1

Die glatten Fliesen fühlten sich gut an. Sie kühlten meine Stirn, während ich mich gegen die Wand der Personaltoilette lehnte und mit geschlossenen Augen einige Male tief durchatmete. Mir war schwindelig und ich hatte ein unangenehmes Sirren im linken Ohr, aber das würde sich sicher bald legen.

»Lucia?« Meine Arbeitskollegin klopfte an die Tür. »Ist alles in Ordnung?«

»Ja!«, rief ich hastig. »Alles gut!«

»Okay. Lass dir ruhig Zeit.«

Ihre Stimme klang besorgt, aber sie ließ mich wieder allein. Einerseits fand ich es nett, dass sich meine Arbeitskollegen Sorgen um mich machten. Andererseits war es mir höchst unangenehm, dass sie mich die ganze Zeit im Auge behielten, weil sie wohl befürchteten, ich könnte plötzlich irgendwo in einer Ecke bewusstlos zusammenbrechen.

Ich hatte deutlich unterschätzt, wie die Umwelt durch meine erhöhte Feinfühligkeit inzwischen auf mich einwirkte. Seit meinem Unfall waren inzwischen mehr als drei Wochen vergangen. Gestern hatte ich wieder zu arbeiten begonnen und schnell feststellen müssen, dass ich nicht ganz so gut damit umgehen konnte, wie ich geglaubt hatte. Vielleicht hätte ich meine Krankmeldung doch noch verlängern lassen sollen.

Missmutig wandte ich mich dem kleinen Spiegel über dem Waschbecken zu und überprüfte den Sitz meiner Frisur. Meine Arbeitskollegen dachten, dass es die Auswirkungen einer Gehirnerschütterung waren, die mir zu schaffen machten. Sie hatten keine Ahnung, dass ich vor einer Weile von einem Auto angefahren worden war und dabei fast gestorben wäre. Korrektur – ich war tatsächlich tot gewesen. Meine Seele hatte an der Schwelle zum Himmel gestanden. Ich hatte es gesehen, dieses wunderbare Licht, und ihn gespürt, diesen geheimnisvollen Ort des Friedens.

Und dann hatte man mich zurück ins Leben geschickt.

Früher war Esoterik und Spiritualität etwas gewesen, das ich nur am Rande registriert hatte. Wie einen Trend, den ich problemlos ignorieren konnte, ohne auf diese Welle mit aufspringen zu müssen.

Nun hatte diese Welle mich überrollt und in eine unbekannte Welt voller unglaublicher Dinge und Wunder gespült. Plötzlich gehörte ich zu den Menschen, die man Lichtbringer nannte. Meine Hellsinne waren aktiviert worden, und ich musste mich wohl oder übel dafür öffnen, dass es im Universum so einiges gab, das weit über meinen Verstand hinausging. Ich stand noch ganz am Anfang meines Weges in diese verborgene Welt und hatte eine Weile gebraucht, mich darauf einzulassen.

Ich hatte Seelenanteile getroffen, Dunkelseelen kennengelernt und mit einem reinkarnierten Magier gesprochen, der eine schwarzmagische Bruderschaft um sich scharte. Zudem hatte ich einen Dämon mit dem Auto überfahren und dabei zugesehen, wie ein Dämonenfürst in den Körper unseres Bürgermeisters fuhr. Zu guter Letzt hatte ich mich mit meinem Schutzengel ausgesöhnt.

Ja, die vergangenen Wochen waren recht ereignisreich gewesen.

Und jetzt stand ich in der Personaltoilette des Schuhladens, in dem ich meine Ausbildung machte, und versuchte, diese neue Welt mit der alten in Einklang zu bringen. Mir fehlten nur noch wenige Wochen bis zur Abschlussprüfung. Erweckung hin oder her, eine abgeschlossene Berufsausbildung war meiner Meinung nach unabdingbar.

Ich seufzte schwer, weil ich mich wieder einmal beim Grübeln ertappte, wo ich mich doch eigentlich auf meine Wahrnehmung konzentrieren sollte. Mein Verstand bereitete mir immer wieder Schwierigkeiten. Er führte ein ziemliches Eigenleben und hatte wenig Lust, sich auf die momentanen Veränderungen einzulassen. Ich musste mich richtig zwingen, ihn zur Seite zu schieben, damit ich mein Energiesystem neu ordnen konnte.

Meine neu erworbene Hellsichtigkeit hatte ich ziemlich schnell unter Kontrolle bekommen. Mit der Hellfühligkeit hatte ich allerdings einige Probleme. Sie hatte sich inzwischen vervielfacht und überforderte mich zusehends. Ich konnte plötzlich die Emotionen anderer spüren, als wären es meine eigenen, und es war gar nicht so einfach, zu unterscheiden, welche nun zu mir gehörte und welche zu den anderen.

Am meisten forderten mich jedoch die sogenannten Energieschübe, die mich seit dem letzten Wochenende immer häufiger überfielen. Rakesh, mein spiritueller Mentor, hatte mir natürlich gezeigt, wie ich damit umgehen sollte. Aber es war ungeheuer lästig, dass ich mich beinahe im Zweistundentakt an ein ruhiges Plätzchen zurückziehen musste, um meinen Energiekreislauf zu spülen, weil ich sonst herumsteuerte wie ein Eichhörnchen mit Koffeinschock. Mir wäre es deutlich lieber gewesen, mich nur zu Hause damit beschäftigen zu müssen.

Zu Hause …

Ich ertappte mich immer wieder selbst dabei, dass ich meine eigentlich vorübergehende Bleibe so bezeichnete. Derzeit wohnte ich in Haus Elderstett, einem Internat speziell für Lichtbringer, das ich in kürzester Zeit lieb gewonnen hatte, doch leider stand die Frage im Raum, wie lange ich dort noch bleiben konnte.

Mit einem letzten tiefen Atemzug straffte ich die Schultern. Genug stabilisiert, ich musste dringend zurück an die Arbeit. Immerhin wollte ich nicht nur meine Ausbildung schaffen, sondern im besten Falle auch von dem Laden übernommen werden. Die Zusage hatte ich zwar schon, aber das würde sich meine Chefin wohl gut überlegen, wenn ich die Hälfte meiner Arbeitszeit im Klo herumlungerte.

Beschwingt trat ich in den Verkaufsraum und sah mich um. Es war ein herrlicher Mittwochnachmittag im Mai und die meisten Leute zogen nicht zuletzt wegen der Ferien offenbar das Freibad einer Shoppingtour vor. Momentan war nur eine Kundin im Laden und meine Kollegin stand dieser bereits tatkräftig zur Seite. Ich schlenderte also im Zickzack zwischen den Verkaufsregalen entlang, um die Schuhkartons ordentlich hineinzustellen, die im Laufe des Vormittags durcheinandergeraten waren.

Als ich gerade ein paar Herrensneakers einsortierte, hörte ich hinter mir: »Hi, Lucia!«

Ich biss die Zähne zusammen. Natürlich erkannte ich sofort die Stimme meiner besten Freundin Alina. Ob sie das noch länger sein würde, wusste ich nicht recht zu sagen, denn ich war von ihrem Verhalten in letzter Zeit ziemlich enttäuscht. Unser letzter Kontakt war vor knapp zwei Wochen gewesen.

»Hallo«, begrüßte ich sie kühl und wandte mich mit ausdrucksloser Miene zu ihr. »Brauchst du neue Schuhe?«

»Na, ein neues Auto werde ich hier nicht kaufen können, oder?«, scherzte sie unbekümmert und warf ihr pechschwarz gefärbtes Haar zurück. »Warum warst du letzte Woche nicht auf Cassies Party? Wir haben dich vermisst.«

Das bezweifelte ich. Denn wenn mich irgendwer vermisst hätte, dann wäre wahrscheinlich auch jemand auf die Idee gekommen, sich bei mir zu melden.

»Ich war krankgeschrieben«, antwortete ich knapp. »Schon vergessen?«

»Ach, stimmt ja. Wie schade, du hast echt was verpasst. Tati hat mit Dennis Schluss gemacht und Franzi hatte einen Riesenkrach mit ihrem Neuen.«

Meine Finger krallten sich um den Turnschuh in meiner Hand. Fassungslos hörte ich ihrem Geschnatter über völlige Belanglosigkeiten zu, während ich ihr am liebsten eine gescheuert hätte. Ich war zwei Wochen wie vom Erdboden verschluckt, und das war alles, was sie mir zu sagen hatte? Sie wollte nicht einmal wissen, warum ich überhaupt krankgeschrieben war. Geschweige denn, wie es mir jetzt eigentlich ging.

Böse Worte lagen mir auf der Zunge, doch ich schluckte sie vehement hinunter. Ich durfte mich nicht in etwas hineinsteigern. Alina ging wahrscheinlich davon aus, dass ich mit einer Grippe flachgelegen hatte. Nein, ich hatte kein Recht, sauer zu sein. Ich hätte ihr einfach schreiben müssen. Sie war schließlich keine Hellseherin.

»Hast du eigentlich noch mal was von Simon gehört?«, wollte Alina wissen und riss mich damit aus meinen Gedanken.

Ich schüttelte den Kopf. Innerlich machte ich mich bereits auf ein unangenehmes Gespräch über meinen Exfreund gefasst, mit dem Alina mich bei unserem letzten Treffen wieder hatte aussöhnen wollen, obwohl er ein elender Lügner und Betrüger war. Stattdessen beehrte sie mich aber mit einem weiteren Schwall an Neuigkeiten, die mich einen Scheiß interessierten.

Meine guten Vorsätze gerieten ins Wanken. Eine gute Freundin hätte doch spätestens jetzt gefragt, wie es mir denn so ging. Mit zittrigen Händen stellte ich den Sneaker zurück ins Regal.

»Ah, und hast du schon die Sache mit Doris gehört?«, fragte Alina da mit leuchtenden Augen.

»Nein, hab ich nicht!«, platzte es aus mir heraus. Ich fuhr herum und starrte meine Freundin an. »Und die ist mir auch völlig schnuppe, denn ich kenne überhaupt keine Doris! Was zum Teufel ist eigentlich los mit dir?«

Alina schnappte nach Luft. »Wie bitte?«

»Du kommst hierher und erzählst mir irgendwelchen Mist!« Ich sah mich hastig zwischen den Regalen um und senkte die Stimme, weil meine Kollegin neugierig zu uns herüberspähte. »Hast du dich eigentlich auch nur eine Sekunde lang gefragt, wie es mir geht? Stattdessen interessierst du dich nur für irgendwelche Dramen von irgendwelchen Leuten!«

»Oh entschuldigen Sie, Euer Hoheit!«, äffte Alina und musterte mich herablassend. »Ich wusste nicht, dass sich die ganze Welt nur um dich dreht!«

»Spinnst du? So war das doch gar nicht gemeint!«

»Nicht? Und warum bist du dann beleidigt, wenn ich dir von anderen Leuten erzähle? Du bist nicht der einzige Mensch in meinem Leben.«

Mir klappte der Mund auf. Verstand sie es wirklich nicht oder wollte sie es nicht verstehen? Ihrem abfälligen Gesichtsausdruck nach waren ihre Worte jedenfalls ernst gemeint. Ich fühlte mich wie vor den Kopf geschlagen und wusste absolut nicht, was ich dazu sagen sollte. Schließlich übernahm Alina den nächsten Schritt, indem sie sich mit dramatischer Geste von mir wegdrehte und davonstolzierte.

***

Als ich später zu Fuß nach Hause ging, hatte sich meine Wut immer noch nicht gelegt. Ich war so aufgewühlt von dem Gespräch mit Alina, dass ich richtig Herzklopfen bekam.

Mein Weg führte mich durch die Fußgängerzone Bambergs und über die Regnitz in die historische Altstadt. Die alten schiefen Gebäude aus mittelalterlichen Zeiten nahm ich kaum wahr, während ich durch die verwinkelten Gassen stapfte. Ich schlängelte mich durch das abendliche Treiben der Sandstraße und folgte einer Nebenstraße den Hügel hinauf, auf dem der Dom über der Stadt thronte. Mein Ziel befand sich ein Stück davon entfernt, neben einem Fußballplatz: Haus Elderstett.

Diese Internatsschule unterrichtete nicht nur nach dem staatlichen Lehrplan, sondern weihte seine Schüler gleichzeitig in spirituelle Lehren ein. Die meisten Kinder, die hier zur Schule gingen, waren schon mit geöffneten Hellsinnen geboren und hatten das Glück gehabt, dass ihre Eltern dies erkannt und sie zur Förderung ihrer Fähigkeiten hierhergeschickt hatten. Ein paar wenige waren erst in späteren Lebensjahren erweckt worden und hatten hier ein neues Zuhause gefunden, so wie ich.

Das u-förmige Gebäude des Internats war im Stil des frühen achtzehnten Jahrhunderts um einen repräsentativen Vorgarten mit Springbrunnen in der Mitte erbaut. Der rechte Gebäudeflügel war mit Efeu überzogen. Auf einer Messingtafel an dem schmiedeeisernen Eingangstor stand »Haus Elderstett« geschrieben.

Als ich die Hand nach dem Torgriff ausstreckte, erkannte ich das leichte Flimmern des Schutzzaubers, der über dem gesamten Internatsgelände lag. Er verursachte nur einen kleinen Schauer auf meiner Haut, ich wusste aber von Rakesh, dass dieser Schutzschild einen mächtigen Zauber in sich barg.

Die Sonne schien immer noch und Singvögel stimmten zu einem Abendkonzert an, während ich über den Kiesweg durch den Vorgarten zur Eingangstür schritt.

Ich betrat die großzügige Eingangshalle, die ein wildes Durcheinander aus allen möglichen Einrichtungsstilen enthielt. Vom Gewölbe, das mit einer verblichenen Deckenmalerei verziert war, baumelten mehrere Lampen im Industrial-Style, die überraschend gut mit den Shabby-Chic-Möbeln und den historisch anmutenden Porträtgemälden diverser Edelleute harmonierten. Jedes Mal, wenn ich den dunklen Marmorboden betrat, fühlte ich mich auf der Stelle willkommen. Das gesamte Haus strahlte eine ganz besondere Art der Gastfreundschaft aus, wie ich sie noch nie zuvor erlebt hatte.

Ich schritt über das runde Mosaik mit dem Symbol in der Mitte und ignorierte dabei bewusst eine gewisse Vase auf einem Beistelltisch, denn wir beide teilten recht peinliche Erinnerungen miteinander. Gleich zweimal hatte ich sie in der Not als Spucknapf zweckentfremden müssen und das war mir immer noch äußerst peinlich.

Aus der Küche konnte ich Stimmen und das Scheppern von Geschirr hören. Wahrscheinlich waren die Drillinge, die Haushälterinnen des Internats, noch damit beschäftigt, nach dem Abendessen alles aufzuräumen. Ich überlegte kurz, ob ich noch nach ein paar Resten fragen sollte, beschloss aber, lieber erst einmal unter die Dusche zu springen.

Im Flur hinter der Haupttreppe bog ich nach rechts in Richtung Ostflügel ab. Durch eine Glastür konnte ich im Vorbeigehen einen Blick in die Orangerie werfen. Dort wuchsen viele üppige Pflanzen, exotische Blumen, und überall standen gemütliche Sitzgelegenheiten. Von diesem Teil des Gebäudes aus gelangte man auch in den zauberhaften Garten des Internats, wo sich momentan sicher die gesamte Schülerschar tummelte, um den herrlichen Abend zu genießen.

Auf dem Weg zu meinem Zimmer kam ich am Gemeinschaftsraum vorbei, dessen Tür wie immer weit offen stand. Automatisch warf ich einen Blick hinein und blieb stehen, weil ich Rakesh auf der gemütlichen Fensterbank sitzen sah.

Das Sonnenlicht spiegelte sich in seinen schwarzen Locken, die ihm weich in die Stirn fielen. Sein Dreitagebart verlieh ihm zusammen mit dem dunklen Teint eine leicht herbe, orientalische Ausstrahlung. Er lehnte mit dem Rücken an dem Mauervorsprung und sah gedankenverloren zum Fenster hinaus. Ein Bein ließ er neben sich hinabbaumeln, das andere hatte er angewinkelt. Eine getigerte Katze ruhte unter seinem Knie und ließ sich von ihm den Bauch kraulen.

»Hallo, Lucia«, sagte er und drehte sich zu mir. Er legte den Kopf schräg und musterte mich interessiert. »Was ist passiert?«

Seine Frage wühlte mich erneut auf. Da ich inzwischen wusste, wie intensiv man die Emotionen anderer wahrnehmen konnte, wunderte es mich nicht, dass Rakesh nun das Gesicht verzog. »Hm, willst du darüber reden?«

Im ersten Moment wollte ich verneinen, aber dann entschied ich mich doch anders. Wenn mir jemand zur Klarheit verhelfen konnte, dann Rakesh. Obwohl er nicht viel älter war als ich, trug er eine Eigenschaft in sich, die man eigentlich nur als Weisheit bezeichnen konnte. Er schaffte es, mit wenigen Worten den Nagel auf den Kopf zu treffen, und hatte eine bewundernswerte Art, die Dinge ganz neutral zu betrachten. Außerdem war er in der Lage, viel tiefer in mein Unterbewusstes zu blicken als ich selbst.

Ich ließ meine Handtasche zu Boden sinken und setzte mich zu ihm auf die bunten Kissen der Fensterbank. Von hier aus konnte man hinunter in den Vorgarten des Internats sehen. Ich beobachtete eine Weile, wie der Springbrunnen vor sich hin plätscherte, bis ich Rakesh schließlich detailliert von meiner Unterhaltung mit Alina erzählte. Er hörte mir aufmerksam zu. Einige Male wirkte sein Blick ein wenig verhangen, was darauf hindeutete, dass er mit seiner Wahrnehmung tiefer ging, als normale Menschen es taten.

»Tja«, sagte ich abschließend und seufzte, »und jetzt versuche ich seit Stunden, mich wieder zu beruhigen.«

»Und je mehr du das versuchst, umso deutlicher regen sich deine Emotionen«, erwiderte Rakesh. »Warum hörst du ihnen denn nicht einfach zu?«

Skeptisch runzelte ich die Stirn. »Hab ich doch getan. Ich bin sauer auf Alina.«

»Das ist aber nicht das, worauf du gerade hingewiesen wirst.« Er zwinkerte. »In dir regt sich etwas Älteres. Die Situation mit Alina hat es nur an die Oberfläche geholt.«

Ich zupfte an der Naht eines Kissens herum und versuchte zu erspüren, was er gemeint hatte. Allerdings hatte ich nach wie vor das Gefühl, als würde eine dunkle Wolke mich umgeben. Rakesh ließ mir ein wenig Zeit, ehe er mir einen weiteren Hinweis gab.

»Wie wichtig bist du, Lucia?«, fragte er.

Mein Brustkorb zog sich zusammen. Der Druck auf Höhe meines Brustbeins war so heftig, dass ich mich hastig vorbeugte, in der Hoffnung ihn zu mildern. Verunsichert sah ich Rakesh an, der mich sanft anlächelte.

»Wie wichtig warst du deinen Eltern?«

Der Druck wurde noch stärker. Ich ächzte leise und rieb mir mit der Hand über die Stelle. Gleichzeitig beantwortete ich in Gedanken seine letzte Frage.

Für meine Eltern war ich nie wichtig gewesen. Ich war für sie wie eine Art Mitbewohnerin, deren Anwesenheit sie tolerierten, während sie sich in ihrer eigenen beschissenen Welt aus Streit und Hass wälzten. Sie waren so gefangen gewesen in dem Elend, das sie Ehe nannten, dass kein Kontingent mehr für mich übrig blieb. Ich war gerade mal neun Jahre alt, als meine Mutter ihre Koffer packte und zu einem anderen Kerl abhaute. Ohne mich. Wie wichtig konnte ich ihr denn da gewesen sein?

Ich spürte, wie sich flammende Wut in mir ausbreitete. Unruhig rutschte ich bis an die Kante der Fensterbank, während ich angestrengt versuchte, das Brennen in meinem Bauch niederzuringen.

»Warum kämpfst du schon wieder dagegen an?«, fragte Rakesh leise. »Es ist dein gutes Recht, wütend zu sein. Das Verhalten deiner Eltern war furchtbar. Es war nicht deine Schuld, dass sie mit ihren inneren Dämonen nicht klarkamen. Du hattest ein Recht darauf, wichtig zu sein. Und das hast du auch jetzt noch. Du bist wichtig, Lucia. Du bist der wichtigste Mensch in deinem Leben. Erlaube dir, wichtig zu sein.«

Ich bin wichtig.

Meine Kehle war wie zugeschnürt, während ich diese drei Worte in meinen Gedanken formte. Ich schüttelte den Kopf.

»Ich will kein Egoist sein«, sagte ich laut.

Rakesh hob kurz die getigerte Katze an, damit er sein Bein ausstrecken konnte, und legte sie vorsichtig zwischen uns, wo sie sich sofort in die Kissen kuschelte. Dann sah er mich an. »Hältst du mich für einen Egoisten?«

»Auf keinen Fall!«

Er schmunzelte. »Und dennoch bin ich der wichtigste Mensch in meinem Leben. Zwischen Egoismus und Selbstliebe liegt ein großer Unterschied. Dinge wie Akzeptanz, Wertschätzung und Mitgefühl kennt ein Egoist nicht. Der sich selbst Liebende allerdings umso mehr. Nur wer sich selbst von tiefstem Herzen akzeptiert und wertschätzt, und zwar genau so, wie er ist, kann das auch mit seinen Mitmenschen tun.«

Grübelnd sah ich Rakesh an und kaute an der Innenseite meiner Wange herum.

»Ich denke, du wirst dir mit diesem Thema leichter tun, wenn du allein bist«, sagte Rakesh. »Jetzt weißt du zumindest, worum es geht.«

Seine Stimme hatte sich merklich verändert. Rakesh, der weise Mentor, war wieder zu einem normalen, gutgelaunten jungen Mann geworden. Seine unbekümmerte Ausstrahlung wirkte sofort beruhigend auf mich, was wahrscheinlich auch seine Absicht war. Er half mir, mein Gefühlschaos vorerst beiseitezuschieben, damit ich nicht länger völlig neben mir stand, und ich nahm mir vor, mich später noch einmal in Ruhe damit auseinanderzusetzen.

Die Tatsache, dass ich meine Gedanken und Gefühle lenken konnte, faszinierte mich immer wieder. Dabei erschien mir dies auch durchaus logisch, denn schließlich war ich selbst diejenige, die sie erschaffen hatte.

Bevor ich mich wieder völlig in meinen philosophischen Grübeleien verlor, atmete ich tief durch und ließ meine verspannten Schultern kreisen. Dabei fiel mein Blick auf den Schreibtisch mit dem Computer, der schräg gegenüber an der Wand neben der Tür stand. Eine große Pinnwand hing darüber. Sie zeigte eine Übersicht aller Erkenntnisse, die die Lichtkrieger bei den Ermittlungen in ihrem aktuellen Fall bisher gewonnen hatten.

Mit Rakesh lebten insgesamt fünf Lichtkrieger hier im Internat, allesamt junge Leute mit außerordentlichen Fähigkeiten. Für mich waren sie so etwas wie die Superlative eines Lichtbringers. Sie konnten bewusst Energie erschaffen, leiten und umformen, und sie waren zu wirklich fantastischen Dingen fähig, wie dem Annullieren der Schwerkraft oder dem Erstellen von Waffen aus reinster Energie. Telepathie und Telekinese gehörten bei ihnen zum Standard. Rakeshs Kollege Jan war sogar in der Lage, allein durch seine Gedanken auf Technologie zuzugreifen.

Im Augenblick waren die Lichtkrieger damit beschäftigt, mehr über einen schwarzmagischen Orden herauszufinden, der sich die Bruderschaft der Abenddämmerung nannte. In der Mitte der Pinnwand hing ein Foto ihres Anführers: Richard Henzen, ein attraktiver Mann mittleren Alters mit dunkelblondem Haar und leicht ergrauten Schläfen, dessen freundliche Gesichtszüge nicht über seine Boshaftigkeit hinwegtäuschen konnten. Er war die Reinkarnation eines Mannes namens William Craw, der die Bruderschaft im Jahr 1742 gegründet hatte. Henzen hatte nun sein Leben als William Craw wieder aufgenommen und die Bruderschaft erneut aufgebaut. Seine Ziele waren noch unklar, doch es bestand kein Zweifel daran, dass er Böses im Sinn hatte.

Über dem Foto vom Richard Henzen alias Craw hingen drei weitere Bilder von Männern. Auf den Aufnahmen konnte man es nicht erkennen, aber die Männer waren alle drei von leibhaftigen Dämonenfürsten besessen. Auf dem linken Bild war ein Mann mit grauem Haar und unscheinbarem Gesicht abgebildet. In ihm steckte Andras, ein Kriegsdämon, dessen Spezialität die rohe Kampfkunst war. Der dunkelhaarige Mann in der Mitte war der Bürgermeister der Stadt, den ein Kriegerfürst namens Leraje eingenommen hatte. Er war für sein Wissen um Strategie bekannt. Der junge Mann mit dem braunen Haar rechts von ihm war von Astaroth besessen, der die Macht der Unsichtbarkeit in sich trug, was sämtliche Tätigkeiten der Bruderschaft vor den Augen ihrer Feinde verschleierte.

Unter den Fotografien der vier Hauptakteure der Bruderschaft hingen noch mehrere kleine Bilder von Leuten, die inzwischen als Anhänger des Zirkels identifiziert worden waren. Noch war nicht klar, wie viele es insgesamt waren. Es hatte sich aber herausgestellt, dass sich unter den Mitgliedern einige ziemlich einflussreiche Personen befanden. Ein Bild auf der Pinnwand war neu. Es zeigte eine ältere Frau mit braunen Haaren.

»Wer ist diese Frau?«, fragte ich Rakesh und deutete auf die Fotografie.

»Das ist die Geschäftsführerin der hiesigen Mediengruppe.« Er schürzte die Lippen. »Die Bruderschaft hat wirklich sehr nützliche Anhänger um sich geschart. Es bringt jede Menge Vorteile, die Medien auf seiner Seite zu haben.«

»Was wollen die nur?«, murmelte ich mehr zu mir selbst.

Um die Dämonenfürsten in unsere Welt zu holen, hatten die Schwarzmagier drei unschuldige junge Frauen geopfert. Danach war es merkwürdig still um die Bruderschaft geworden.

»Macht, Kontrolle, Reichtum  … such dir was aus«, sagte Rakesh mit einem bitteren Tonfall.

Ich lehnte mich mit dem Rücken an die Fensterscheibe und schüttelte den Kopf. »Ich verstehe das nicht. Diese Menschen haben doch ohnehin großen Einfluss und arm sind sie ganz bestimmt nicht. Warum reicht ihnen das nicht?«

»Hast du schon einmal darüber nachgedacht, wodurch Gier entsteht?«, fragte Rakesh und lehnte sich ebenfalls zurück. »Ganz gleich, in welcher Form sie sich äußert. Ob als Machthunger oder Gefallsucht. Gier ist immer das Resultat einer tiefen Angst. Angst, zu kurz zu kommen, Angst vor Verlust, Angst vor Hilflosigkeit. Die Anhänger der Bruderschaft klammern sich an das Bündnis wie an eine Rettungsboje. Sie verspricht ihnen Sicherheit.«

Zweifelnd sah ich Rakesh an. »Du klingst ja fast, als hättest du Mitleid mit ihnen.«

»Ich kann nur ihre Beweggründe verstehen. Das hat nichts mit Mitleid zu tun, und ich will auch ihr Verhalten nicht entschuldigen. Jeder ist selbst dafür verantwortlich, wie er mit seinen Ängsten umgeht. Wir alle haben stets die Wahl.« Er legte den Kopf schräg und sah mich eindringlich an. »Und auch du hast jetzt die Wahl.«

Erschrocken riss ich die Augen auf. Was meinte er damit? Vor welcher Entscheidung stand ich denn?

»Willst du jetzt gleich was essen oder lieber später?«, fragte er und grinste mich an.

Ich blies die Backen auf und versetzte ihm einen Klaps auf die Schulter. »Mann! Ich dachte gerade weiß Gott was!«

»Also, wenn das keine wichtige Entscheidung ist, dann weiß ich auch nicht.«

Ja, mein spiritueller Lehrer war wahrhaftig ein sehr weiser Mann …

Kapitel 2

Ich bin wichtig.

Oder?

Seit zwei Tagen beschäftigte mich diese Frage bereits. So wenige Worte mit so viel Wirkung auf mein Innerstes. Sie entfachten ein wahres Tosen in meinem Brustkorb, das sich einfach nicht beruhigen wollte.

Gleich nach Feierabend hatte ich mich in den östlichen Pavillon in der Ecke der Orangerie zurückgezogen. Es war ein wundervoller Ort, mit Ausblick auf den Garten zur einen Seite und auf die Dächer der Altstadt zur anderen. Auf dem Boden lagen eine große Matte und verschiedene kugelförmige Kissen. Zwischen unzähligen Pflanzkübeln baumelte ein Korbsessel von der Decke, der schnell zu meinem Lieblingsplätzchen im Internat geworden war. Nun schaukelte ich bereits eine gefühlte Stunde darin und versuchte die Blockade in meinem Brustkorb zu lösen, doch der Druck schien sich eher zu verstärken.

»Azariel?«, fragte ich in Gedanken, um meinen Schutzengel herbeizurufen. »Bist du da? Kannst du mich hören?«

Keine Antwort – wie immer, wenn ich Kontakt zu ihm aufnahm.

Wobei das nicht ganz richtig war, denn laut Rakesh antwortete mein geistiger Begleiter angeblich auf jede noch so unbedeutende Frage. Nur verstand ich seine Antwort nicht. Im Augenblick hörte ich nur das Knarzen des Korbgeflechts, während ich leicht vor- und zurückschaukelte.

Es war frustrierend. Nachdem ich endlich den Gedanken akzeptiert hatte, dass wir Menschen stets von höher dimensionalen Wesen wie Engeln umgeben waren und von ihnen begleitet wurden, sehnte ich mich nach mehr Kontakt zu ihnen. Dieser viel zu kurze Moment vor einigen Tagen, als ich meinen Schutzengel kennenlernen durfte, hatte sich tief in mein Gedächtnis eingebrannt. Rakesh hatte mich in einer sogenannten Seelenreise zu ihm geführt, was sich wie ein intensiver Wachtraum angefühlt hatte. Seitdem versuchte ich mehrmals täglich mit meinem Engel zu sprechen, wobei die Unterhaltung stets sehr einseitig blieb.

Wenn ich die Augen schloss und ihn zu mir bat, konnte ich ihn als hellen Lichtschemen vor mir stehen sehen. Ich konnte die Einzelheiten seiner Gestalt nicht wirklich erkennen, wusste jedoch auf merkwürdige Weise, wie er im Detail aussah. Azariel sagte nichts, lächelte aber stets aufmunternd und liebevoll. So wie auch jetzt gerade. Selbst wenn ich ihn nicht hören konnte, war ich doch froh, dass ich wenigstens dieses tröstende Bild vor meinem inneren Auge hatte.

»Azariel, ich versteh das nicht. Was muss ich tun, um diesen Knoten zu lösen?«, fragte ich ihn in Gedanken. »Dieser Druck macht mich wahnsinnig! Ich kann ihn einfach nicht lösen.«

Azariel lächelte und legte den Kopf schräg. Das war neu. Normalerweise reagierte das Bild überhaupt nicht auf meine Fragen. Ich rutschte sofort aufgeregt in dem Hängesessel hin und her, ohne die Augen zu öffnen.

»Was willst du mir nur sagen …? Soll das heißen, ich kenne die Antwort bereits?«

Azariel nickte.

Angestrengt kramte ich in meinem Gedächtnis nach entsprechenden Hinweisen. Immer und immer wieder ging ich alles durch, was Rakesh mir in Bezug auf meine Gefühle gesagt hatte. Ich unterdrückte sie, das war klar. Aber jetzt war ich doch bereit, sie anzunehmen. Wieso klappte es trotzdem nicht? Aus irgendeinem Grund ließ ein Teil von mir es nicht zu, dass ich meine tiefsten verborgenen Gefühle an die Oberfläche holte. Es war, als würde ich vor einer Tür stehen und es nicht wagen, sie zu öffnen.

Moment.

»Ist es, weil ich Angst davor habe?«, fragte ich.

Azariel lächelte und nickte wohlwollend.

Seltsam. Ich hatte geglaubt, meine Furcht vor Emotionen längst hinter mir gelassen zu haben.

Wie konnte ich diese Angst überwinden? Was musste ich tun?

Mein Schutzengel bewegte sich nicht mehr. Er hatte sich vor meinem inneren Auge zu einem Standbild der lächelnden Lichtgestalt geformt.

»Azariel, bitte, rede mit mir.«

»Lucia.«

Ich zuckte zusammen und starrte Azariel an. Hatte er gerade meinen Namen gesagt? Oh mein Gott! Aber irgendwie hatte die Stimme geklungen wie …

»Tut mir leid, dass ich störe«, sagte Rakesh. »Ich habe einen Auftrag erhalten, zu dem ich dich gern mitnehmen möchte.«

Ich biss mir auf die Unterlippe. Tja, wäre auch zu schön gewesen, um wahr zu sein. Trotzdem freute ich mich darüber, dass ich heute zum ersten Mal eine kleine Reaktion meines Schutzengels wahrgenommen hatte. Innerlich winkte ich seinem Standbild zum Abschied zu und öffnete langsam die Augen. Suchend drehte ich mich mit dem Korbsessel herum. Rakesh lehnte ein Stück entfernt an einer Säule des Pavillons. Ein wunderschönes Abendrot zeichnete sich in dem Fenster hinter ihm ab.

»Was für einen Auftrag?«, fragte ich ihn, bevor ich mich umständlich aus dem Korbgeflecht erhob.

»Poltergeistphänomen«, antwortete Rakesh. »Der Schilderung nach scheint es eine Dunkelseele zu sein.«

Mit mäßiger Begeisterung ging ich zu ihm hinüber. Ich war bisher nur einer einzigen Dunkelseele begegnet und hatte nicht wirklich das Bedürfnis, etwas daran zu ändern. Eine Dunkelseele entstand, wenn ein Verstorbener sich weigerte, ins Licht zu gehen. Meist geschah dies aus Furcht vor der Läuterung seiner Sünden zu Lebzeiten, und um sich weiter in der Dimension der Lebenden zu halten, nährten sich die Dunkelseelen von der Angst anderer Menschen.

Rakesh erkannte meinen Widerwillen natürlich sofort. »Du willst doch bestimmt lernen, wie man mit Dunkelseelen umgeht. Immerhin könnte dir außerhalb des Internats jederzeit eine über den Weg laufen.«

Das war durchaus ein Argument. Wir stiegen also hinunter ins Kellergeschoss des Internats und gingen von dort hinaus auf den Wirtschaftshof zu Rakeshs brandneuem Wagen. Als ich den schwarzen SUV erblickte, plagte mich wieder das schlechte Gewissen, dass ich sein voriges Auto vor wenigen Tagen schrottreif gefahren hatte. Doch Rakesh und auch die anderen Lichtbringer fanden den Vorfall nicht weiter erwähnenswert. Sie behaupteten sogar, dass so etwas ständig passiere und man eben mit einem gewissen Verschleiß zu rechnen habe, wenn man sich einem überirdischen Kampf widme. Irgendwo in Haus Elderstett musste es einen Goldesel geben, denn Geld schien hier generell keine Rolle zu spielen.

»Wo müssen wir hin?«, fragte ich, nachdem ich auf den Beifahrersitz geklettert war und den Gurt angelegt hatte. Der Neuwagengeruch stieg mir ziemlich aufdringlich in die Nase. Als wollte er mir noch mehr schlechtes Gewissen machen.

Rakesh ließ den Motor an. »Zum Gymnasium bei der Universität.«

»In eine Schule?«, hakte ich überrascht nach.

»Ja, der Hausmeister hat vorhin angerufen. Er beobachtet dort schon länger merkwürdige Phänomene und heute hat er nach eigenen Angaben einen Geist gesehen.«

»Er hat ihn gesehen?«, wiederholte ich und zog die Augenbrauen zusammen. »Ich wusste gar nicht, dass Dunkelseelen so materiell werden können. Oder ist der Hausmeister ein Lichtbringer?«

Rakesh lenkte gemächlich den Wagen vom Parkplatz. »Fragen über Fragen … Ich weiß nicht mehr, als ich dir gesagt habe. Die Einzelheiten werden wir dort herausfinden.«

»Ich dachte, du hältst vor einem Einsatz immer erst Rücksprache mit …« Ich deutete mit dem Zeigefinger zum Himmel. » … denen da oben.«

»Das mache ich nur, wenn es unbedingt nötig ist. Wäre jetzt schon etwas von Bedeutung, würden sie es mich wissen lassen.«

Ich lehnte meinen Kopf gegen die Nackenstütze und betrachtete den Himmel, der sich inzwischen orangerot verfärbt hatte. Hätte ich inzwischen nicht so viele unglaubliche Dinge mit eigenen Augen gesehen, würde ich bestimmt nicht an die Existenz von Engeln und dergleichen glauben. Doch was für die anderen Lichtbringer eine absolute Gewissheit war, schien mir trotz aller Erlebnisse immer noch unbegreiflich.

Wo kommen wir Menschen her? Wo gehen wir hin?

In den spirituellen Lehrbüchern, die ich bisher gelesen hatte, standen die Antworten auf all jene Fragen, die ich aber nur sehr langsam zu begreifen begann.

Wir sind keine Menschen, die eine spirituelle Erfahrung machen, sondern wir sind spirituelle Wesen, die erfahren, Mensch zu sein.

Das war ein Zitat eines Paläontologen namens Pierre Teilhard de Chardin, das mich nicht mehr loslassen wollte.

Angeblich kam jede Seele mit einem eigenen Plan zur Welt. Jeder suchte sich aus, wann und wo er geboren wurde und was er alles erleben wollte. Trotzdem blieb dem Menschen der freie Wille erhalten, weshalb der Lebensweg jedes Einzelnen nicht unbedingt in Stein gemeißelt war – auch wenn die Seele immer wieder versuchte, ihn in die richtige Richtung zu schieben. Ob er sich schubsen ließ, war dann seine Sache.

Ich fand, das klang völlig verrückt. Wie sollte man sich das bitte vorstellen? Hockte die Seele etwa da oben vor einem großen Masterplan und erstellte eine To-do-Liste, oder was? Und wenn sie nach dem Tod den menschlichen Körper wieder verließ und zurück in den Himmel fuhr, hakte sie diese Liste ab? Vielleicht entfuhr ihr dann ein schweres Seufzen, weil sie in dem entsprechende Leben nicht alle Punkte abgearbeitet hatte. Dann zuckte sie die Schultern und suchte sich ein neues Leben aus, um einen weiteren Versuch zu wagen. Irgendwie musste man sich die Zeit ja vertreiben, wenn man unsterblich war …

»Was beschäftigt dich?«, fragte Rakesh in meine Grübelei hinein.

Inzwischen hatten wir die Altstadt verlassen und befanden uns bereits auf der Straße, die zum Bahnhof führte. Der Verkehr war um diese Uhrzeit überschaubar. Die Fahrt würde nicht mehr lange dauern.

»Ich denke über die Sache mit dem Seelenplan nach«, antwortete ich. »Wieso vergisst man ihn, sobald man geboren wird? Anders wäre es doch viel einfacher.«

»Der Mensch vergisst ihn nicht, er erinnert sich bloß nicht daran«, sagte Rakesh besonnen und setzte den Blinker. »Es geht darum, Erfahrungen zu machen. Wie könnte man etwas in Erfahrung bringen, wenn man schon alles weiß?«

Ich schüttelte leicht den Kopf. »Ist das wirklich alles? Es geht nur darum, Erfahrungen zu machen?«

»Der Sinn des Lebens ist das Leben selbst.«

»Ah, da kommt der Glückskekstexter wieder zum Einsatz«, scherzte ich halbherzig.

Rakesh lachte vergnügt. »Diesen Spruch hab ich irgendwo gelesen, also gebühren die Lorbeeren nicht mir. Aber ich mag ihn sehr, denn was könnte wichtiger sein als das Leben? Wir alle entspringen einer Quelle der Schöpfung. Das Leben ist nicht nur in uns. Wir sind das Leben.«

Wie so oft klangen Rakeshs Worte in meinen Ohren unglaublich logisch und gleichzeitig völlig absurd. Ich betrachtete die am Fenster vorbeiziehenden Wohngebäude, während ich über das Gehörte nachdachte.

»Ich gebe dir einen Rat, Lucia«, sagte Rakesh schließlich. »Grüble nicht allzu viel über die höheren Sphären nach. Bleib zunächst bei dir. Erforsche dein Hier und Jetzt, und zwar als Mensch. Viele deiner Fragen werden sich auf deiner Reise zu dir selbst ganz von allein beantworten, glaub mir.«

Der Himmel hatte sich in ein abenteuerliches Rot verwandelt, das sich flammend in den Fenstern der Häuser spiegelte. Die wenigen Geschäfte in dieser Gegend hatten längst geschlossen. Auf den Gehwegen waren einige Menschen unterwegs. Einen solch wunderbar warmen Sommerabend wollte kaum jemand in seiner stickigen Wohnung verbringen.

Rakesh bog an einer Ampel ab und lenkte den Wagen auf den Parkplatz des Gymnasiums. Wir stiegen aus und sahen uns um. Die Schule war ein kantiger, zweckmäßiger Bau aus Beton mit einem begrünten Flachdach und schwarzen Vogelstickern an den Fensterscheiben.

Wir gingen gerade auf den Haupteingang zu, als ein Mann um das Gebäude herum auf uns zu eilte. Schon von Weitem konnte ich sehen, dass ihm der Schweiß auf der Stirn stand.

»Seid ihr die Geisterjäger?«, rief der Mann atemlos, noch bevor er uns erreicht hatte.

Rakesh nickte. »Herr Gürtner, nehme ich an?«

»Ja, genau«, schnaufte dieser und winkte uns mit sich.

Ich geriet einen Moment ins Wanken, als ich die Angst des Mannes wahrnahm. Sie traf mich wie eine unsichtbare Woge und brachte mein Herz augenblicklich zum Rasen. Während ich hinter Rakesh herging, versuchte ich die fremden Emotionen loszulassen. Der Mann hatte mich mit seiner umfassenden Furcht angesteckt und ich hatte Mühe, mich nicht gänzlich davon mitreißen zu lassen.

»Eigentlich halte ich ja nicht viel von diesem Kram«, plapperte Herr Gürtner auf dem Weg zum Haupteingang und zog einen klimpernden Schlüsselbund aus seiner Hosentasche. »Ich meine – Geister? Also, bitte. Ich arbeite schon seit über zwanzig Jahren hier und kenne natürlich das Gerücht, dass es hier angeblich spukt. Na ja, Kinder haben eben eine blühende Fantasie und so ein vermeintlicher Geist in der Schule klingt natürlich spannend. Bisher hab ich mir keine großen Gedanken darüber gemacht. Klar, manchmal sind aus unerfindlichen Gründen Dinge kaputtgegangen oder Sachen sind verschwunden und plötzlich woanders wieder aufgetaucht. Dahinter hätten aber auch die Schüler selbst stecken können.«

Er stoppte kurz, um nach Atem zu ringen, während er mit zitternden Händen seinen Schlüsselbund sortierte. Es brauchte einige Anläufe, bis es ihm gelang, den Schlüssel in das Schloss zu stecken. Nachdem er aufgesperrt hatte, machte er aber keine Anstalten, einen Fuß in das Gebäude zu setzen.

»Und heute habe ich den Geist mit eigenen Augen gesehen«, sprach er weiter und musterte uns nervös. »Sie glauben mir doch, oder?«

»Natürlich glauben wir Ihnen«, antwortete Rakesh beruhigend. »Wir haben beinahe täglich mit solchen Dingen zu tun. Nun erzählen Sie bitte ganz genau, was Sie gesehen haben und wo das war.«

Herr Gürtner nickte eifrig. »Ich habe den Chemieraum abgesperrt und wollte gerade Feierabend machen, als ich eine Bewegung neben mir bemerkte. Dann habe ich mich umgedreht und eine schwarze Gestalt den Flur entlangrennen sehen. Sie ist um die Ecke gerast und verschwunden.«

»Wo genau ist sie verschwunden?«, hakte Rakesh nach.

»Wahrscheinlich hat sich der Geist in Luft aufgelöst.« Der Hausmeister wischte sich fahrig über die Stirn. »So genau weiß ich das nicht, weil ich … ähm, also ehrlich gesagt, bin ich so erschrocken, dass ich sofort weggerannt bin.«

»Das ist völlig verständlich, Herr Gürtner«, sagte Rakesh mitfühlend. »Machen Sie sich keine Sorgen, wir werden uns das gleich mal ansehen.«

»Muss ich … muss ich mitgehen?«, fragte Herr Gürtner mit einem deutlichen Anflug von Panik in der Stimme.

»Nein, Sie können hier draußen warten. Aber die Schlüssel würde ich gern mitnehmen. Nur für den Fall.«

Sofort sortierte Herr Gürtner den Schlüsselbund neu. »Das ist der Generalschlüssel. Der Chemieraum ist im ersten Stock, linke Seite. Ich warte dann hier.«

Und schon ergriff er die Flucht. Ich atmete erleichtert auf, denn mit ihm zog auch die Wolke der Angst davon, die mich erfasst hatte. Nur ein kleiner Rest Furcht blieb an mir haften, doch sobald ich hinter Rakesh das Gebäude betrat, erkannte ich, dass es jetzt meine eigene Angst war, die ich spürte.

Trotz der Fensterfront war es ziemlich düster in der Eingangshalle der Schule. Direkt vor uns führte eine Treppe hinauf zum ersten Stockwerk. Rakesh schritt zielstrebig darauf zu, die spärlichen Lichtverhältnisse schienen ihn nicht zu kümmern. Es war mucksmäuschenstill.

»Der Mann ist kein Lichtbringer«, sagte ich im Flüsterton, während ich neben Rakesh die Treppe hinaufstieg. »Wie konnte er die Dunkelseele dann überhaupt sehen?«

»Keine Ahnung. Theoretisch ist es durchaus möglich, dass Dunkelseelen einem so viel Energie rauben, dass sie sogar sichtbar werden. In diesem Fall müssten wir ihre Anwesenheit allerdings längst spüren. Ich kann aber …«

Er blieb mitten auf der Treppe stehen und legte den Kopf schräg, als würde er lauschen. Ich hielt eine Stufe über ihm an und knabberte nervös an meinen Fingerspitzen, obwohl ich selbst keinerlei Veränderung wahrnahm. Doch Rakeshs konzentrierter Gesichtsausdruck reichte völlig aus, um mich in Alarmbereitschaft zu versetzen. Als sein Blick auf mich traf, zuckte ich erschrocken zusammen.

»Hier treibt sich tatsächlich eine Dunkelseele herum«, sagte er gelassen. »Dass der Hausmeister sie sehen konnte, bezweifle ich allerdings. Die Dunkelseele ist wohlgenährt, aber so stark dann auch wieder nicht.«

Ich nickte steif und sah mich aufmerksam um. Keine Ahnung, was Rakesh spürte, denn bis auf den allgemeinen Gruselfaktor einer menschenleeren finsteren Schule konnte ich nichts Ungewöhnliches wahrnehmen.

»Sie hat uns bemerkt«, sagte Rakesh und stieg unbekümmert weiter die Stufen hinauf. »Aber das Gebäude ist zu groß. Wir müssen sie in einen Raum locken und dort einsperren.«

In meinem Nacken kribbelte es unangenehm. Nun merkte ich doch eine Veränderung. Eine seltsame Kälte breitete sich aus. Ich blieb so dicht hinter Rakesh, dass ich ihm beinahe in die Fersen trat, als er im Obergeschoss vor einer der zahlreichen Zimmertüren stehen blieb. Er sperrte sie mit dem Generalschlüssel auf, trat ein und tastete nach dem Lichtschalter. Ich blinzelte erleichtert gegen das aufflammende Deckenlicht an und huschte eilig an Rakesh vorbei in den Raum.

Es handelte sich offenbar um ein ganz normales Klassenzimmer. Die Stühle waren umgedreht auf die Schülertische gestellt worden. An der Tafel stand irgendetwas von Napoleon geschrieben.

Rakesh ließ die Tür hinter sich weit offen und ging zum Lehrerpult hinüber. Er hob den Stuhl von der Tischplatte, stellte ihn auf den Boden und bedeutete mir, mich zu setzen. Ich lehnte kopfschüttelnd ab, woraufhin er mit den Schultern zuckte und selbst darauf Platz nahm. Entspannt lehnte er sich zurück. Ich begann unruhig an der Fensterseite auf und ab zu wandern, ohne die Tür aus den Augen zu lassen.

»Wie sollen wir ihn hereinlocken?«, fragte ich.

»Du weißt doch, Angst ist die Energiequelle von Dunkelseelen.« Rakesh zwinkerte mir verschwörerisch zu. »Du stellst also gerade einen ganz hervorragenden Lockvogel dar.«

Ich lachte trocken. »Stets zu Diensten.«

»Hör zu, beim letzten Mal habe ich dich abgeschirmt. Heute werde ich das nicht tun, damit du lernst, wie du mit Dunkelseelen umgehen solltest. Deine Grundenergie ist bereits um einiges höher als bei einem normalen Menschen. Dementsprechend stärker strahlt auch deine Angst aus. Unser Freund wird sich gleich auf dich stürzen, denn du gibst einen wahren Festschmaus für ihn ab. Er wird sich an deine Angst andocken und versuchen, dir deine Energie auszusaugen. Ich möchte, dass du spürst, wie sich so etwas anfühlt. Und vor allem möchte ich, dass du versuchst, diesen Angriff abzuwehren.«

Ich blieb stehen und starrte Rakesh entgeistert an. »Ist das dein Ernst?«

»Mein voller Ernst.« Er lächelte mir aufmunternd zu und stützte entspannt seine Ellbogen auf das Lehrerpult. »Ich kann natürlich jederzeit eingreifen, wenn ich merke, dass es dir zu viel wird. Denk also immer daran, dass ich auch noch da bin und dass es einzig deine Angst ist, die diesem Wesen Angriffsfläche bietet. Du musst also nur deine Angst überwinden.«

Na klar, nur die Angst überwinden … Mir war es ein absolutes Rätsel, wie ich das anstellen sollte. Ich war ja jetzt schon völlig durch den Wind.

»Hab Vertrauen«, sagte Rakesh leise. »Und denk immer daran – Energie folgt stets dem Bewusstsein.«

Zweifelnd kratzte ich mich am Kinn. Doch dann hielt ich plötzlich mitten in der Bewegung inne, als ich merkte, wie diese seltsame Kälte sich deutlich um mich herum verdichtete. Die gesamte Raumenergie veränderte sich. Auf einmal wirkte das Klassenzimmer trotz der Deckenleuchten düster und bedrohlich.

Mein Herzschlag beschleunigte sich. Ich ließ meinen Arm sinken und sah alarmiert zur Tür. Der Flur dahinter wirkte inzwischen nicht mehr dunkel, sondern tiefschwarz. Angestrengt stierte ich in die Finsternis. Mir stockte der Atem, als sich die Schwärze plötzlich bewegte. Ein dumpfes Grollen drang zu uns herein.

»Großer Gott!«, hauchte ich entsetzt.

Die Dunkelseele bestand aus tiefschwarzem Nebel. Sie drängte sich als unförmige Wolke durch den Türrahmen und richtete sich dann zu einer grotesken Gestalt auf, die bis knapp unter die Zimmerdecke reichte. Dort, wo das Gesicht sein sollte, war die Schwärze in ständiger Bewegung, sodass keinerlei Mimik zu erkennen war. Obwohl dieses Wesen keine Augen hatte, wusste ich, dass es mich unentwegt anstarrte.

Dann bewegte es sich lautlos auf mich zu. Gehetzt sah ich zu Rakesh, der unbeeindruckt die Gestalt musterte, während sie an ihm vorbeiglitt. Die Dunkelseele schien ihn gar nicht zu bemerken, sondern nur Augen für mich zu haben.

»Oh Gott!«, keuchte ich und wich rückwärts, bis ich an die Fensterbank stieß. »Rakesh, bitte! Ich weiß nicht, wie ich …«

Mein Satz ging in einen verängstigten Laut über, da die Dunkelseele plötzlich schneller wurde und im Nu ganz dicht vor mir stand. Sie beugte sich zu mir herab, ihr Gesicht verharrte nur eine Handbreit vor meinem. Die dunklen Nebelfetzen schwebten unheilvoll um mich herum. Eisige Kälte ging von ihr aus.