Deshret Rote Erde - Katharina Remy - E-Book

Deshret Rote Erde E-Book

Katharina Remy

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Beschreibung

Nicht nur daß Baumeister Chenu sich mit dem Plan und dem Bau eines gewaltigen Tempels herumschlagen muß, jetzt soll er spionieren. Und zwar am pikantesten Ort in ganz Ägypten! Sein Dienstherr, Pharao Chufu, schickt ihn kurzerhand in seinen Harem, damit Chenu herausfindet, wer der unheimliche Mörder ist, der dort umgeht. Zwei von Chufus Gemahlinnen wurden bereits erwürgt. Und Meritites, Pharaos Königin, könnte das nächste Opfer werden ... Chenus Einsatz bleibt nicht unbelohnt. Chufu ermöglicht ihm, einen sagenhaften Aufstieg zum besten Arzt Ägyptens, macht ihn schließlich zu seinem Leibarzt und erteilt ihm den Auftrag, Osiris' Orakel zu erfüllen und für Pharao die größte Pyramide der Welt zu bauen. Doch Chenu erkennt nicht das Wohlwollen Chufus; denn er ist ein Quertreiber, eigensinnig, klug und ein außergewöhnlicher Charakterkopf. Und er haßt Chufu von ganzem Herzen. Doch beide - Pharao und Arzt - sind durch das Wissen um brutale Morde und Familiengeheimnisse auf Gedeih und Verderb aneinander gebunden. Erst zum Schluß, als es zu spät ist, erkennen beide, daß sie sich ihr ganzes Leben lang nicht eingestehen wollten, daß sie trotz aller Gegensätze, wahre Freunde gewesen sind ...

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Das Buch

Nicht nur daß Baumeister Chenu sich mit dem Plan und dem Bau eines gewaltigen Tempels herumschlagen muß, jetzt soll er spionieren! Und zwar am pikantesten Ort in ganz Ägypten. Sein Dienstherr, Pharao Chufu, schickt ihn kurzerhand in seinen Harem, damit Chenu herausfindet, wer der unheimliche Mörder ist, der dort umgeht. Zwei von Chufus Gemahlinnen wurden bereits erwürgt. Und Meritites, Pharaos Königin, könnte das nächste Opfer werden …

Chenus Einsatz bleibt nicht unbelohnt. Chufu ermöglicht ihm einen sagenhaften Aufstieg zum besten Arzt Ägyptens, macht ihn zu seinem Leibarzt, erteilt ihm den Auftrag, Osiris’ Orakel zu erfüllen und für Pharao die größte Pyramide der Welt zu bauen. Doch Chenu erkennt nicht das Wohlwollen Chufus; er ist ein Quertreiber, eigensinnig, klug und ein außergewöhnlicher Charakterkopf. Und er haßt Chufu von ganzem Herzen. Doch beide – Pharao und Arzt – sind durch das Wissen um brutale Morde und Familiengeheimnisse auf Gedeih und Verderb aneinander gebunden. Erst zum Schluß, als es zu spät ist, erkennen beide, daß sie sich ihr Leben lang nicht eingestehen wollten, daß sie trotz aller Gegensätze, wahre Freunde gewesen sind …

Die Autorin

Das Land am Nil seit Jahrzehnten das Reich meiner Leidenschaften und Träume. Die Lebens- und Denkweise der alten Ägypter, ihr unerschütterlicher Glaube an die Götter und an Ma‘at, die alles im Gleichgewicht hält, meine Maxime. Was mich inspiriert, all meinen Romanen Leben einhaucht: die versunkene Kultur, den Glanz der Pharaonen in aller Pracht vor meinen Augen erstehen zu lassen! Deshalb schreibe ich.

Für Christine † 13. Mai 2002

Zur Erinnerung an eine verloren geglaubte Freundschaft

SOLDATEN! DREI JAHRTAUSENDE BLICKEN AUF EUCH HERAB!

Napoleon Bonaparte 1798

DAS HAUS IST LEER UND DER, DER ES BEWACHTE, LIEGT AUSGESTRECKT AUF DER ERDE.

ACH, HÄTTE ICH DOCH MEINE STIMME IN DIESER ZEIT ERHOBEN, DAß SIE MICH ERRETTET HÄTTE VON DEM LEID, IN WELCHEM ICH JETZT BIN.

Klagelied des weisen Ipuwer, Altes Reich

Inhaltsverzeichnis

DER BAUMEISTER

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

DER ARZT

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

DIE VERGELTUNG

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

DIE BRÜDER

Wenchet und Hetepheres

Teos

Hemon

Teti

DER HORIZONT DES CHUFU

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Epilog

Hier und heute, am Ende meiner Tage und Wege, nach all den langen Jahren bin ich endlich dort angelangt, wonach ich mein Leben lang gesucht habe. Ich müßte dankbar sein, den allmächtigen, weisen und gütigen Göttern Opfer bringen für diese Gnade, denn die Weisheit des Alters hat meine Augen geöffnet, sehe ich deutlich die Verfehlungen meines Lebens, all die verschlungenen Irrwege, die Schmerzen der Liebe und die fehlgeleiteten Hoffnungen.

Wahrlich, nun sehe ich klar. Jetzt, da ich ein alter Mann bin, jetzt, da es zu spät ist, um einen Neuanfang zu wagen und mein Wissen für gute Dinge einzusetzen. Alles habe ich mit Füßen getreten! Ich verschmähte die, die mich liebten. Habe sie benutzt, bin emporgestiegen und ließ alle unter mir zurück, die mich liebten.

Hoch oben angelangt, schaue ich zurück, erkenne meine Einsamkeit, und die Qualen, die alle wegen mir erdulden mußten, hallen zu mir hoch. Ich höre ihre Klagen, fühle ihre Pein. Aber was viel schlimmer ist, was mich am meisten quält und mir meine sowieso kurze Nachtruhe raubt: ich fühle das Mitleid, das sie mit mir haben!

Heute, am Ende meines Lebens, bin ich allein. Niemand ist mehr da, der mir sagt, was ich zu tun habe. Einzig mein Gewissen. Niemals – von meinen jungen Tagen an bis heute – habe ich diesen unsichtbaren Begleiter des Lebens neben mir gefühlt. Es hat mich nie auf meine Fehler aufmerksam gemacht. Hielt sich still im Hintergrund. Bis zu diesem Tag!

Heute schweigt es nicht, und ich muß mich ihm stellen. Niemandem kann ich mich anvertrauen. Ich habe keine Kinder, keine Frau, keine Freunde. Nur dieser Papyrus liegt vor mir. Still und geduldig wartet er darauf, daß ich seine unschuldigen Seiten mit meiner Lebensgeschichte fülle. Ich will von vorne beginnen, denn dieser besondere Tag, an jenem sie den jungen Gott feierten, ist mir im Gedächtnis geblieben, als wäre es erst gestern geschehen.

Ich kam damals in das Haus meiner Eltern. Jung war ich und dumm. Sechzehn Jahre war ich alt. Aber heute zählen meine Jahre fast vierzig Winter dazu. Man sagt, es sei eine Gnade, ein so hohes Alter zu erreichen. Doch ich kann daran nichts Gutes sehen. Das Augenlicht läßt nach, die Haare sind weiß, die Knochen schmerzen und die Gedanken weilen öfter in der Vergangenheit als in der Zukunft. Doch zurück zu jenem verhängnisvollen Tag:

Sie stieg aus dem Badebecken im Garten; für mich die schönste aller Frauen. Ich will beginnen, doch kann ich von mir nur reden, als wäre ich eine andere Person. Derart fern ist für mich jene Zeit, daß der Jüngling der ich einst war, mir wie ein Fremder erscheint. Ich will meine Geheimnisse offenbaren, alles vor mir ausbreiten.

Du, unbekannter Leser – denn nur die Götter werden wissen, in wessen Hände dieser Papyrus gelangt – Du wirst mein Richter sein. Höre die Geschichte meines Lebens! Urteile, aber verurteile mich nicht, denn wie Du bin ich nur ein Mensch: fehlerhaft und unvollkommen. Nur ein Mensch, fremder Freund, kein unfehlbarer, allwissender Gott…

DER BAUMEISTER

DENN WAHRLICH, MEIN HERZ WAR TREU DEN GEBOTEN

Peret Me Herew

Aus dem Buch vom Heraustreten in das Tageslicht

Kapitel 1

Er beobachtete sie aus der Ferne, blickte von seinem Versteck hinter dem Türrahmen in den Garten, sah sie dort aus dem Badebecken steigen. Das Wasser perlte von ihrem schlanken Körper, die niedlichen Brüste wippten, ihr süßer, wegen der Nässe glitzernder Schoß entfachte seine Begierde. Trippelnd huschte sie um die üppig blühenden Stauden, griff nach einem Tuch. Chenu drückte sich tiefer in den Schatten, seufzte, trat leise ein paar Schritte zurück, tat, als sei er gerade angekommen. Fröhlich winkte sie ihm zu, fiel ihm, nackt und köstlich wie sie war, lachend um den Hals. Er ließ sich nichts anmerken, schob seine dummen Gedanken beiseite. Dieses bildhübsche, quirlige junge Ding war seine zwei Jahre jüngere Schwester Karoma. Aber er konnte sich ihrem süßen Zauber nicht entziehen.

Seit mehr als zwei Jahren begehrte er sie. Keine andere Frau erschien ihm schöner, liebreizender. Obwohl er nur zu genau wußte, daß sie ihn nichts anging, wälzte er sich Nacht für Nacht mit schlechtem Gewissen in den Laken, peinigte sich, wenn er sie wieder heimlich beobachtet hatte, peinigte sich aber genauso, wenn er sie nicht sehen konnte. Ja, wäre er ein König! Hochgeboren, von den Göttern abstammend, wäre es ihm erlaubt, sich mit der Schwester zu vermählen. Aber er war nur ein armseliger Junge der Landbevölkerung, und so, das wußte er genau, galten seine dreckigen Gedanken als Unzucht!

Karoma rubbelte sich mit dem bunten Tuch ab, rief die kleine planschende Schwester, streifte plappernd ihr Kleid über. Chenus Blick wanderte verzweifelt durch den blühenden Garten. „Es ist schön, daß du kommen konntest. Mutter und ich haben ein leckeres Essen zubereitet. Heute wollen wir ordentlich feiern. Ich bin froh, daß It dich mitgebracht hat.“

Der Vater, Hem Netjer Ascha, einfacher Priester, und Architekt in dem kleinen Tempel des Osiris, hier in der Chert Netjer, der Nekropole von Giza, hatte ihn vor fünf Jahren in den Tempel mitgenommen, damit er die Baukunst erlernen sollte, auch einmal Mastabas und Gräber bauen konnte. Chenu, von jeher fleißig, ehrgeizig, ja fast schon verbissen, beherrschte bereits seit seiner frühen Kindheit die Kunst die Medu Netjer nicht nur lesen, sondern auch schreiben zu können. Das gereichte ihm zum Vorteil, denn bereits in diesem Jahr war seine Lehrzeit beendet.

„Tju“, brummte Chenu heiser, versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, „Wir wollen feiern, komm, gehen wir ins Haus.“

Vor siebzig Tagen verbreitete ein Herold die traurige Nachricht, daß Pharao zu Osiris gegangen war. Snofru, der Herr des Großen Hauses war dahingegangen. Seitdem versank das Land in Trauer um seinen geliebten Herrscher, Freund und Bruder, wie die Bevölkerung diesen großen Mann genannt hatte. Siebzig traurige Tage lang war das Klagen der Weiber erklungen, doch gestern hatte sein Sohn und Mitregent Chufu, Chnum beschützt ihn, Der die Feinde zerdrückt, Der goldene der zwei Falken, den Thron bestiegen. Heute feierte das Schwarze Land die Thronbesteigung. In allen Häusern Kemets würden die Nacht über die Lampen brennen, Musik und Lachen erklingen.

Chenu war froh, als die Feierlichkeiten vorüber waren, er in seine nüchterne Zelle im Tempel zurückkehren konnte. Fort vom Anblick der Schwester, weg von ihrem begehrenswerten Leib, ihren heißen Blicken, ihrem süßen Gesicht. Welche Dämonen hatten von ihm Besitz ergriffen? Oft wollte er sich seinem Vater anvertrauen; behielt seinen Kummer aber lieber für sich. Er mußte Karoma vergessen, durfte sie nicht mehr sehen, so einfach war das!

Verbissen stürzte er sich in die Arbeit, lernte mehr als nötig, saß tief in der Nacht wie ein Besessener über den Schriftrollen, bis er sie auswendig konnte. Wenn seine Lehrzeit beendet und er Baumeister wäre, könnte er fortgehen, weit weg von hier!

Unermüdlich stürzte er sich auf die Bauzeichnung vor sich. Die Berechnung der Winkel gab seinem Geist die ersehnte Befreiung. Beim Anblick der Zahlen für die benötigten Steine und den komplizierten Plänen für die Dachkonstruktion konnte er Karoma für eine Weile vergessen. Der Tempel sollte einen Anbau erhalten. Die alten und verkommenen Anbauten hinter dem Balsamierungshaus, dem Weryt, die seit Jahren bloß als Gerümpelkammer dienten, mußten abgerissen, an ihrer Stelle eine kleine Kapelle angebaut werden. Chenu erhielt die Oberaufsicht über diesen Bau. Als Imi ra Jeqdu sollte er sich mit dieser Aufgabe bewähren; das würde seine Lehrzeit und hoffentlich seine schwärmerischen Qualen beenden.

Kapitel 3

Pamai trat bei Tagesanbruch in den Kerker, rümpfte die Nase über den Gestank. „Nichts hier drin zu sein, was?“

„Mabjat, Herr.“

„Dann wollen wir gehen! Komm!“ Pamai führte ihn in den kleinen Innenhof mit dem Badebecken, warf ihm einen sauberen Lendenschurz zu.

„Wasch dich mal. Wenn du fertig bist, gibt‘s was zu essen, und ich werde dir was erzählen, was du kaum glauben magst.“

Chenu konnte wirklich nicht glauben, was Pamai ihm berichtete.

„Ich habe den Ring genommen, bin damit zu meinem Elternhaus gegangen, habe ihn meiner Mut gezeigt. Sie kennt viele Damen bei Hofe, denn sie macht die feinen Gewänder, welche die Lotosblüten, die Schönen der Verborgenheit tragen. Die Damen im Harem! Die Herrin der Lotosblüten konnte nur aus dem Per Aa kommen“

„Aha!“

„Mut kannte Wenchet. Zwar nicht wie eine Freundin, aber sie wußte, wer sie war. Ich habe meine Mutter mitgenommen in die Stätte der Wahrheit. Natürlich hat sie sich gesträubt, niemand geht freiwillig in ein solches Haus. Aber sie tat es mir zuliebe, hat sich die Leiche angesehen und erkannt. Wenchet war die Schwester unseres neuen Pharaos! Die Dame hatte neben ihrer Mutter die Oberaufsicht im Harem, über die Frauen ihres Vaters Snofru und die ihres Bruders Chufu. Vor ungefähr zehn Jahren ist sie spurlos verschwunden. Damals muß Per Aa Kopf gestanden haben. Man glaubte, sie sei mit einem heimlichen Liebhaber auf und davon.“

Chenu pfiff durch die Zähne. Pamai fuhr fort: „Da sie nun seit zehn Jahren verschwunden ist, fällt der Verdacht von dir natürlich ab. Du warst damals…“

„Sechs Jahre!“

„Damit bist du frei, Chenu und kannst gehen. Aber ich muß dir sagen, daß du nicht mehr im Tempel bleiben kannst. Die ehrwürdigen Hem Netjer halten das Geschehen für ein böses Omen. Sie haben mir deine Sachen gebracht. Selbst dein Vater hat sich ihrer Meinung angeschlossen. Aber er hat dich gleich ganz aus seinem Haus verbannt.“

„Hä? Aber wieso?“

„Das weiß ich nicht.“

„Aber was soll aus mir werden? Könnt Ihr mir das sagen? Womit soll ich denn mein Brot verdienen? Ich hab meine Ausbildung nicht beendet! Soll ich Steine schleppen, auf dem Feld arbeiten, Abtritte leeren oder verhungern! Wo soll ich denn wohnen und schlafen? Bei allen Göttern! Hätte ich das vorher gewußt, hätte ich sie samt Mauer eingerissen! Wo ist mein Zeug?“

„Da!“

Ein geflochtener Korb, aus dem ein paar Kleidungsstücke hingen, seine Schilfmatte und seine geliebte Harfe lagen in der Ecke. Chenu lud sich sein Bündel auf die Schultern, sah zu daß er verschwand.

„Chenu!“, brüllte Pamai ihm nach, „Geh in die Stadt, geh nach Ankh Taui. Bleib nicht hier!“

„Leck mich!

Kapitel 4

Ankh Taui!

Ein brodelnder Kessel, gefüllt mit prallem Leben. Die Stadt wurde ihrem Namen wirklich gerecht. Sowas hatte Chenu in seinem ganzen Leben noch nicht gesehen. Von Giza aus hatte er eine Fähre genommen und nun stand er im Mittelpunkt der Welt.

Ankh Taui, Hauptstadt der Beiden Länder, Wohnort des Guten Gottes Chufu, Sitz der allmächtigen Götter Osiris und Ptah.

Ankh Taui, Leben Der Zwei Länder, riesig, geheimnisvoll und fremd. Nie war Chenu über die Grenzen von Giza hinausgekommen. Was er da sah, raubte ihm den Atem. Wie konnten Menschen so leben? Eingepfercht in kleine dicht an dicht stehende Häuser. Enge, schattige Gassen in denen sich die Menschen drängten und über allem der tiefblaue Himmel Kemets.

Offensichtlich wollten ihn die Götter erst recht verwirren, denn plötzlich fand er sich auf dem riesigen Markt der Stadt wieder. Lastträger, schwerbeladene Esel, singende Musikanten mit dudelnden Instrumenten, Frauen mit Körben, Vögel in Käfigen, Ochsenkarren, Geschrei der Händler, die natürlich das allerbeste Obst, den frischesten Fisch und fast lebende Fleischbrocken anboten. Die Kunden waren ihrerseits ebenso lautstark bemüht, den Anbietern klarzumachen, daß das gammelige Obst seit Tagen schon angeboten wurde, daß die verlangten Preise zum Ruin des Landes führten und sie sich aus reiner Nächstenliebe mit diesem stinkenden, Tage alten Fisch vergifteten. Über allem lag ein kernig deftiger Geruch, vermischte sich mit Staub, von Millionen bloßer Füße aufgewirbelt. Zwischen diesen Füßen huschten magere Hunde herum, denen es oft gelang, aus den Körben und von den Tischen Fleischbrocken, wenn nicht zu stehlen, so doch anzubeißen. Diejenigen, die dabei erwischt wurden, bezogen Hiebe. Deshalb kam zum Geschrei, Gesang, Gewieher, Gezwitscher und Gemuhe noch erbärmliches Gejaule hinzu. Es war ein richtig ägyptischer Markt in all seiner Ruhe und Ordnung. Tagediebe und Huren drückten sich im Schatten der Hauswände, Bettler umringten Chenu, hielten ihre schmutzigen Hände auf. Manche baten jammernd, manche drohend, alle aber kreisten dieses leichte Opfer vom Lande immer mehr ein.

Chenu flüchtete unter Einsatz roher Gewalt quer über den großen Platz, tiefer hinein in das Gedränge der Markstände und Buden. Alles was es zu verkaufen gab, wurde hier angeboten: Töpfe, Geschirr, Parfüms, Salben, Stoffe, Schmuck, Möbel und vor allem: Lebensmittel. Chenu knurrte der Magen, als er all diese Köstlichkeiten erblickte. Er hatte zehn Kupferdeben bei sich. Also kaufte er sich erst einmal einen Brotfladen, beobachtete das Treiben des Marktes von einer ruhigen Ecke aus. Seine Deben würden nicht lange reichen, er brauchte Arbeit. Das dürfte in dieser übersättigten Stadt nicht schwer werden.

„Selbstverständlich, edle Dame“, hörte Chenu von einer der Marktbuden. „Dieser Stoff ist vom gleichen Weber, auf dem gleichen Webstuhl hergestellt, auf dem das Leinen Pharaos gewebt wird. Stell dir vor, wie das feine Sescheru Nesut deinen schlanken Hüften schmeichelt, dieses zarte Gelb dir, ehrenwerte Ta Schepsi, zu Gesichte steht. Dieses Stück ist wie geschaffen für dich.“

„Seth der Rote, möge dir deine Gliedmaßen einzeln ausreißen für den unverschämten Preis den du für diesen Lumpen verlangst!“

„Greif zu, edler Herr, dieses Schutzamulett wird dich vor allen bösen Geistern bewahren. Thot selbst hat es vor undenklichen Zeiten beschrieben. Zehntausend Jahre wird sein Träger alt werden!“

„Glaubst du denn ich sei ein Narr, den du mit deinem billigen Ramsch betrügen kannst, sieh doch, hier ist die Farbe ja noch ganz frisch. Weißt du wohin du dir dieses Amulett stecken kannst? Ins Pehewi! Tief hinein, so weit, daß nicht einmal der allessehende Horus es jemals finden wird!“

Chenu kaute grinsend auf dem letzten Stück Qefen, konnte sich gar nicht losreißen, es war allzu erheiternd. Aber schließlich trabte er weiter durch die Stadt, kam zum Handwerkerviertel. Gold- und Silberschmieden, Steinmetzwerkstätten, Spinnereien, Malerwerkstätten, Töpfereien und Webereien drängten sich dicht an dicht. Er schritt mutig durch die Tür einer Steinmetzwerkstatt. Im Hof behämmerten zahlreiche Arbeiter kleine Götterstatuen. Der Oberaufseher trat freundlich auf ihn zu: „Was willst du, mein Junge?“

„Ich suche Arbeit.“

„Das lobe ich mir. Wer ist dein Vater? Hast du ein Empfehlungsschreiben?“ Chenu zögerte, hatte gar nicht daran gedacht, daß er seine Herkunft angeben und sich durch ein Schreiben ausweisen mußte, daß er Geselle auf Arbeitsuche war.

„Ich bin Chenu, aus dem Hause des Mereruka von Giza und sein ältester Sohn.“

„Und was hast du gelernt?“

„Baumeister!“

„Wo ist dein Handwerkszeug? Ich sehe nichts!“

„Das habe ich verloren.“ Chenu schwitzte. Sein Handwerkszeug! Das Rüstzeug, daß ihn berechtigte, Arbeit zu suchen. Nie hatte er welches besessen, alles womit er gearbeitet hatte, gehörte dem Tempel.

„So! Du hast also kein Werkzeug. Ich kenne dich nicht und einen Mereruka aus Giza kenne ich erst recht nicht. Giza ist weit und in der Nekropole treibt sich genug Gesindel herum. Du kannst mir nicht beweisen, daß du Baumeister bist. Ich kann mit dir nichts anfangen. Verschwinde! Du stiehlst meine Zeit!“

Chenu spuckte dem Oberaufseher wütend vor die Füße, packte sein Bündel und verschwand. In den anderen Werkstätten erging es ihm nicht besser. Er konnte sich nicht ausweisen, konnte sich nicht rechtfertigen und somit keine Arbeit finden. Verzweifelt versuchte er den Leuten zu erklären, daß er seine Lehre nicht beenden konnte, weil ihm was Fürchterliches widerfahren sei. Keiner glaubte ihm, niemand der Hochnäsigen wollte mit einem dahergelaufenen Fremden zu tun haben.

Fünf Tage wanderte Chenu durch die Stadt. Seine Kupferdeben gingen zur Neige und eine ordentliche Herberge hatte er auch keine gefunden. Daher entschloß er sich, am Rande des großen Marktes mit seinem Getümmel Harfe zu spielen. Zu Hause hatte er zum Zeitvertreib die Benet geschlagen. Abends, wenn sich die Männer des Dorfes auf dem großen Platz unter der Nehet versammelten, in ihrem Schatten die Geschehnisse des Tages besprachen oder um Recht zu sprechen, schlich er hinaus, klemmte sein Instrument zwischen die Beine und spielte. Das konnte er richtig gut: hesji en Benet, zur Harfe singen. Alle liebten es, ihm zuzuhören! Und diese alte Harfe begleitete ihn schon sein ganzes Leben. Traurig sang er mit seiner schönen Stimme die alten Lieder, die ihm seine Mut beigebracht hatte. Von Liebe und Schmerz sang er, vom Tod und den Göttern und den ewigen Gefilden des Friedens. Zuversicht spiegelte sich in seinen Augen wider, als er merkte, daß seine Zuhörerschaft wuchs. Kinder mit offenem Mund und tropfenden Rotznasen standen dicht vor ihm, Weibsleute, die eben keiften, laut plärrten, schwiegen, schubsten die anderen, damit sie still wären. Chenu wurde mutiger, sang ein Lied, von einem Jüngling, der aus der Heimat vertrieben wurde. Traurig und klagend seine klare Stimme und die Weiber wischten tatsächlich Tränen aus den Augenwinkeln.

„Spiel was fröhliches, du Depp!“

Chenu schwitzte, sein Vorrat an Liedern erschöpfte sich. Außerdem wurde er heiser. Er legte die Harfe beiseite, zerrte einer Frau den Bierkrug aus den Händen, trank, spielte weiter. Allmählich wurde es dunkel, die Schar der Zuhörer verflüchtigte sich. Die Rotznasen wurden von den Müttern zum Abendbrot gerufen, hier legte einer einen Rettich hin, da einer eine Zwiebel. Ein Stück Bratfleisch gesellte sich dazu und ein Brot. Chenu knurrte der Magen, selig betrachtete er seine Schätze. Aber mehr als eine einzige Mahlzeit kam nicht zusammen. Eine Mahlzeit für einen ganzen Nachmittag Gesang! Ein Witzbold hatte ihm sogar eine alte, gammlige Schlafmatte dagelassen.

„Möge dich Apep fressen!“, schimpfte Chenu den unbekannten Spender aus. „Ein Stück Käse oder ein Krug Bier hätten es auch getan.“ Hungrig machte er sich über den Rettich und das Stückchen Fleisch her, hob die Zwiebel für Notfälle auf, suchte sich in einer kleinen Nische zwischen zwei Häusern einen Platz zum Schlafen.

Geschrei weckte ihn mitten in der Nacht. Menschen hasteten vorbei, jemand spritzte ihn mit Wasser naß. Seufzend wischte sich Chenu das Gesicht trocken. „Was für eine Stadt!“, flüsterte er verschlafen, fühlte sich gepackt, hochgezogen, mitgeschleift und verstand endlich, was gerufen wurde.

„Feuer!“

Schlagartig war er hellwach! Gegenüber der beiden Häuser, wo er Augenblicke zuvor gelegen hatte, stand ein Haus hellodernd in Flammen. Krachend brachen die Mauern in sich zusammen. Menschen schütteten Wasser in die Zenzent, aber es half nichts mehr. Ein Funkenregen prasselte hernieder, ein Weibsbild kreischte, jammerte, schrie gottserbärmlich nach Mann und Kindern. Eine junge Frau, fast noch ein Mädchen, versuchte vergeblich die über und über mit Brandblasen bedeckte, um sich schlagende Frau zu beruhigen. Gerade sackte sie in sich zusammen, schlug auf der Erde auf.

„Kann ich dir helfen?“, fragte Chenu gefühlvoll.

„Ach wärest du so lieb? Oh ja bitte. Ich ertrage dies Elend nicht! Ihr muß geholfen werden, aber alle gaffen nur blöde! Die Arme hat ihre gesamte Familie verloren. Wie tragisch. Ich nehme sie mit nach Hause!“

„Ich will sie tragen. Wohin gehts?“

„Es ist nicht weit. Gleich um die Ecke. Mein Neb hat mich losgeschickt, nachzusehen, woher das Geschrei und der Lärm kommen. Du mußt wissen, meine Herren sind Wer Sunu! Sie werden ihr bestimmt helfen, ich hoffe es. Auch wenn sie nichts mehr bezahlen kann.“

Chenu guckte zu seinen Habseligkeiten hin. Die alte Matte verkokelte im Funkenflug, der Korb war deswegen angesengt, sogar die Harfe hatte ihren Teil abbekommen. Er hob die verletzte Frau vom Boden hoch, nickte zu seinem Krempel hin.

„Nimmst du das da mal?“

Das war das Haus von Ärzten?

Heruntergekommen und baufällig erschien es ihm im schwachen Feuerschein. Das große Holztor quietschte schrecklich in den alten ungefetteten Scharnieren, Verputz bröckelte von den Wänden, den Weg zum Haupthaus zierten unzählige Löcher. Soweit man in der vom Feuer erhellten Dunkelheit ahnen konnte, stellte die Wüste um das Wohnhaus einst einmal einen Garten dar. Trostlose, vertrocknete Pflanzen raschelten im Nordwind um einen ausgetrockneten Teich. Irgendwo maunzte eine Miu erbärmlich; hier schien sich nicht einmal eine Maus aufzuhalten.

Die Magd führte Chenu in eine leere, dunkle Halle, entzündete eine Kerze, öffnete eine Tür. In diesem Raum stand ein Bett, darauf legte Chenu die Verletzte. Sie verließ den Raum mit der Bemerkung: „Ich geh die Herrschaft rufen.“

„Wo sind sie?“, röchelte die Frau. „Meine Kinder? Mein Mann?“

„Die sind bei den Göttern.“

„Ich bin schuld!“, keuchte sie. „Habe vergessen, das lodernde Herdfeuer zu löschen. Steckt mich in die dunkelste Duat, ihr Götter! Straft mich, mich allein!“

„Vielleicht ist es deine Strafe, daß du überlebt hast“, meinte Chenu trocken, woraufhin die Frau in eine gnädige War jeb fiel.

Keifend wie alte Weiber, auf ihre Dienerin schimpfend, betraten zwei alte Säcke den Raum.

„Was kommen dir bloß für Gedanken in den Kopf? Haben wir nicht genug Sorgen? Schleppst uns Pack hier an! Mitten in der Nacht! Wer weiß, nachher rauben sie einen noch aus!“

Entgeistert betrachtete Chenu die beiden Mummelgreise. Klein, faltig und mager, eher vertrockneten Äffchen denn ehrwürdigen Ärzten gleich. Der Ältere von ihnen winkte mit beiden Händen ab, spuckte verächtlich auf den Boden, verließ den Raum. Der andere guckte nach der bewußtlosen Frau, betrachtete zuerst und ausschließlich ihre ärmliche, obendrein angesengte Kleidung, schüttelte den Kopf.

„Die kann nichts bezahlen, Selket. Ich kenn die. Die gehört zu dem Pack auf der anderen Straßenseite. Da hast du uns keinen Gefallen getan. Bring sie wieder weg. Und nimm diesen ranzigen, unrasierten Herumtreiber da gleich mit!“

Chenu langte in seinen Beutel, zog zwei Deben hervor.

„Ich bezahle! Ich will aber sehen, daß ihr sie heilt. Sonst erzähle ich in der ganzen Stadt, was ihr für Geizhälse seid!“

Geringschätzig betrachtete der Arzt die Deben.

„Zwei lächerliche Kupferdeben? Bei den Augen meiner Mutter, willst du mich beleidigen? Soll ich mich in den Ruin treiben? Sieh wie meine Augen weinen beim Anblick deiner schäbigen Deben! Mabjat, Bübchen! Fünf! Drunter tue ich keinen Handschlag!“

Chenu zog einen weiteren Deben aus dem Beutel.

„Willst du ihr nun helfen? Mehr kann ich dir nicht geben. Du beleidigst mich, mich den größten Sänger von Ankh Taui. Ich habe vor dem Haus dieser armen Frau gesungen. Durch meine Stimme und mein wunderbares Harfenspiel habe ich sie vielleicht abgelenkt, daß sie vergessen hat, ihr Feuer zu löschen. Hilf ihr, und ich lasse mich vielleicht dazu herab, deine Taten in meinen Liedern zu loben!“

„Das würdest du tun?“ Die kleinen Äuglein des Arztes zwinkerten listig.

„Vielleicht, sage ich.“

„Also, schlag ein. Für drei Deben, aber du singst mir was vor!“

Chenu schlug in die dargebotene Hand. Während der Arzt sich um die Verletzte kümmerte, verfolgte Chenu neugierig jeden Handgriff, betrachtete seinen schmuddeligen Schurz, befummelte den Bartwuchs, schnupperte in seiner Achsel, fiel beinahe selbst in War jeb, sehnte sich nach einem Bett, einem Bad, nach Parfüm und einer gescheiten Mahlzeit, machte dem Alten einen völlig bescheuerten Vorschlag:

„Wenn du mich eine Zeitlang bei euch wohnen läßt, könnte ich im Gegenzug euer Haus reparieren. Mir scheint, hier gibt‘s genug Arbeit.“

„Das wäre wunderbar! Tju, tju!“, rief Selket begeistert, verschüttete beinah das Wasser aus der Waschschüssel. Der Alte schubste sie, grummelte vor sich hin.

„Na komm!“ Chenu schnappte sich den Waschlappen, mit dem Selket eben die Wunden der Frau abgewaschen hatte, wusch ihn aus, fummelte damit unter seinen Armen rum. „Ich könnte euch helfen. Ich verlange ja nichts Ungewöhnliches, brauche eine Unterkunft bis ich Arbeit finde. Für mein Essen sorge ich selbst.“

„Ich hatte recht mit dem Herumtreiber. Stimmt’s?“ Der Wer Sunu schmierte sorgfältig eine duftende Salbe auf die gräßlichen Shedschu der Frau. „Du hast keinen Platz zum Schlafen, weißt nicht, wo du abends deine Matte hinlegen sollst, hä?“ Chenu nickte. „Hier kannst du nicht bleiben!“

„Warum? Wen störts?“

„Du kannst dich nicht ausweisen, sonst hättest du schon längst gesagt, wer dein Vater ist und aus welcher Familie du kommst; wer weiß, was du angestellt hast. Ich kann nicht jeden Dahergelaufenen in meinem Hause aufnehmen. Am besten, du verschwindest!“

„Bitte! Ich weiß doch nicht wohin. Ihr könnt mir helfen. Seit fünf Tagen bin ich bereits in der Stadt, doch ich finde keine Arbeit, nur weil hier niemand Mereruka aus Giza kennt. It hat mich verstoßen, und ich weiß nicht einmal warum.“

„Das geht mich doch nichts an!“

„Ich könnte das Haus reparieren, den Garten pflegen, den Teich säubern. Ich bin Baumeister. Vielleicht könnte ich euer Lehrling werden und Kranke versorgen? Gebt mir doch eine Gelegenheit mein Können zu beweisen. Schickt mich nicht wieder auf die Straße.“

„Du bist Baumeister?“ Der Arzt drückte seiner Magd den Salbtiegel in die Hand, wusch sich die Hände. „Und Sänger? Bei dem strahlenden Gott, jetzt will ich dich aber singen hören! Wie heißt du?“

„Chenu!“

„Sing mal! Daß du Großmaul ordentlich prahlen kannst, weiß ich schon! Ich bin Teos.“

Chenu griff nach seiner angekokelten Harfe, trällerte ein Liebeslied. Selkets strahlende Augen veranlaßten Teos sie grob aus dem Zimmer zu schubsen.

„Genug, genug, laß das, das Mädchen wird ja ganz närrisch! Komm mal mit in die Küche und sieh dir das dort an. Wenn du das reparieren kannst, sollst du meinetwegen bleiben.“

Er führte Chenu in die Küche, rollte die Schilfmatten vor den Fensteröffnungen auf; Chepre hatte seine Nachtfahrt beendet, die Morgensonne beleuchtete gnadenlos den Raum. Chenu schlug entgeistert die Hand an die Stirn…

„Wir können nichts tun“, versuchte Teos eine maue Erklärung. „Das Grundwasser steigt an den Wänden hoch, macht alles feucht und morsch. Deswegen fällt der Verputz von den Wänden, die Lehmziegel lösen sich auf.“

Chenu musterte die Küche, schüttelte den Kopf. Man konnte froh sein, wenn man aus diesem Raum heil und gesund wieder herausfand. Eine Wand neigte sich bedrohlich, die zweite hatte sich gesenkt und das mit Palmwedeln und Stroh gedeckte Dach hing durch. Ein Vogel hatte sein Nest in dem trockenen Zeug, fuhr laut zwitschernd hoch, als Chenu mit dem Stiel vom Brotschieber drin herumstocherte.

„Wenn du eine gute Küche haben willst, mußt du das da alles abreißen und an einer anderen Stelle eine Neue errichten. Hier nutzt kein Flickwerk mehr. Über kurz oder lang bricht alles zusammen. Der Boden ist so weich, weil er offensichtlich zu dicht an einem Brunnen gebaut ist. Ich würde die Küche dahin stellen, wo der ausgetrocknete Teich ist und den Teich hier an diese Stelle verlegen.“

„Und wer soll das bezahlen? Ich bin arm. Wir alle sind arm, haben keine unnötigen Deben zu verschenken. Dieses Viertel ist arm, die Leute haben kaum was. Hier kannst du nicht viel verdienen!“

„Tja, tja, tja! Hier kann man sehr wohl etwas verdienen! Die Leute haben alle ihr Auskommen. Mir machst du nichts vor. Gestern haben sie mich alle satt gekriegt. Und wenn sie krank sind, kommen sie gewiß zu euch und können auch bezahlen. Erzähl keine Märchen, alter Mann. Du sammelst die Deben wahrscheinlich solange, bis das Kupfer in deiner feuchten Küche grün wird.“

„Wie redest du mit mir? Was fällt dir ein? Haben dich die Dämonen der Duat ausgespuckt?“

„Nein, Teos, die Dämonen wollten mich nicht. Sie haben gesagt, geh zu Teos und seinem Bruder, die warten auf einen Nichtsnutz wie dich.“

Teos grinste, rieb sich die Hände: „Du sagst, du würdest als Lehrling hier arbeiten? Und alle Instandsetzungen durchführen?“

„Das habe ich gesagt.“

„Gut, dann haben wir ab heute einen neuen Lehrling!“

Kapitel 5

Verbissen quälte sich Chenu durch die Schriften der Heilkunde. Welche Narretei kam über ihn, sich den Alten im Tausch für Unterkunft als Lehrling anzubieten? Wie konnte er nur… Nochmals las Chenu die Medu Netjer.

Hä?

Zaubern?

Ein drittes Mal überflog er wie verhext die geheimnisvollen Worte, starrte grübelnd hinaus auf den Bauplatz der halb aufgebauten Küche, betrachtete die Stapel der noch verwendbaren Ziegel, starrte auf den Papyrus vor sich, starrte wieder in den Sonnenschein. Zaubern! Heka Achu! Wenn er das könnte, wäre er ein Held! Würde mit magischen Worten diese vermaledeite Küche aufbauen! So aber mußte er gleich zur Sechayt lostraben, um bei dem Ziegelmacher die Dschebet abzuholen, die ihm noch fehlten. Und damit das keine langweilige Veranstaltung wurde, nahm er Selket mit! Sie war aber auch niedlich!

„Hör auf zu jammern!“ Chenu rubbelte dem wiehernden Esel die Nase, zurrte die Seile fest, vergewisserte sich, daß die Ladung nicht verrutschen oder dem Ia wehtun konnte, zog am Strick und der Esel machte einen langen Hals.

„Sei lieb!“

„Gib ihm was hintendrauf!“, plärrte der Ziegelmacher.

„Mabjat! Es ist schwer, was sie schleppen muß! Komm, Mädchen!“

Selket lockte den Esel mit einem Möhrchen, wo auch immer sie das her hatte, und er trabte los. „Geht doch!“ Süß lächelte sie Chenu an, plapperte munter drauf los, von wegen sie freue sich auf die neue Küche und so, lief mal neben ihm, mal vorne weg. Er hörte gar nicht hin, weilte mit seinen Gedanken bei der Zauberei, guckte auf ihren saftigen Hintern oder stierte in ihren Ausschnitt. Kurz vor seinem neuen Zuhause hörte er ein ohrenbetäubendes quietschendes Kreischen, jemand fiel ihm um den Hals, knuddelte ihn, knutschte ihn ab.

Karoma!

Süß, zart, liebreizend!

Sein Herz schlug ihm auf einmal zum Hals raus.

„Wa… was machst du denn hier?“

„Pamai sagte, wo ich dich finde! Der ist nett!“

„Was machst du hier?“

„Ich bleibe jetzt bei dir!“

I-Ah

„Wer ist das, Chenu?“

„Karoma!“

„Was hat das Frauenzimmer mit dir zu schaffen, hä? Hau ab!“

„Das ist mein Bruder! Was hat das Frauenzimmer mit dir zu schaffen? Hä?“

I-Ah

„Du kannst nicht hierbleiben! Geh nach Hause!“

„Ich geh nie mehr nach Hause! Vater wurde unausstehlich. Jedesmal, wenn die Rede auf dich kam. Ich sagte ihm mehr als einmal, daß er das nicht machen könnte! Du hättest nichts getan, er soll dich gefälligst nach Hause zurückholen, da hat er mich jedesmal geschlagen! Und auch Mutter, wenn sie flehend bat! Sie weint sich die Augen aus wegen dir! Hat mich weggeschickt, sagt, ich solle dich suchen, bei dir bleiben, auf dich aufpassen. Außerdem seien wir alt genug, um auf eigenen Füßen zu stehen, nicht wie die Kleine, die brauche sie noch. Ich wußte von Pamai und daß er in der Stadt wohnt. Suchte ihn auf, erfuhr von ihm, daß du auch hier bist. Was für ein glücklicher Zufall, daß ich dich eben entdeckte! Wer ist das Frauenzimmer, hä?“

„Meine zukünftige Frau!“

I-Ah

„Du bist hier der Esel, Chenu! Bist du bescheuert?“

„Ach Selket! Jetzt sei nicht böse!“

„Wie schön! Darf ich dich drücken? Wir werden Schwestern! Chenu, wie ich mich freue! Wo wohnst du?“

Heimlich schmuggelte Chenu Karoma bei Dunkelheit ins Haus, brachte sie in Selkets Kammer unter, stibitzte Essen. Hungrig stürzte sich die Schwester auf Brot und Käse, nuschelte mit vollem Mund: „Pamai sucht dich.“

„Warum?“

„Das hat er mir nicht gesagt.“

„Er soll warten, so dringend wird das ja wohl nicht sein. Ich habe ein neues Leben begonnen; soll ich meine Lehrherren vielleicht mit meiner Vergangenheit belästigen. Wenn ich die Landbüttel erwähne, mich einer von denen sucht, setzen sie mich möglicherweise wieder vor die Tür. Das will ich nicht! Ich will Wer Sunu werden, zaubern können!“

„Du spinnst doch! Willst wohl ein Ta Schepsi sein, hä? Vornehm werden!“ Karoma lachte laut, Chenu hielt ihr schnell den Mund zu.

„Pscht! Wenn sie dich hören.“

„Und wenn schon. Mit diesen beiden Alten werde ich fertig. Ich bin deine Schwester und zu Besuch da. Was wollen sie da sagen?“

„Das geht nicht!“

„Das geht wirklich nicht…“, warf Selket ein.

„Ach? Und warum?“

„Du mußt fort! Du kannst nicht bei mir bleiben.“

„… das sind zwei komische Kauze!“

„Redet doch keinen Stuß! Wo soll ich denn hin?“

„… bei denen stimmt was nicht!“

„Hast du eine Decke für mich, Selket?“

Teti zeterte und schimpfte am Morgen wie ein altes Waschweib, spuckte auf den Fußboden. Selket wischte wortlos seufzend hinter ihm auf. Sie hatte den täglichen Kleinkrieg mit diesem sturen Bock längst aufgegeben.

„Die verschwindet!“, zankte Teos. „Auf der Stelle!“

„Sie ist meine Schwester! Sie bleibt bei mir, und wenn es sein muß, als meine Dienerin. Sie lebt von meinem Essen und schläft in Selkets Kammer, sie nimmt euch nichts weg!“

„Sie geht!“, kreischte Teos in höchsten Tönen. „Ich kann keine jungen Dinger in meiner Nähe vertragen. Mein Herz schlägt wie toll. Dieses unreife Gemüse regt mich auf! Sie wird nichts anderes tun, als mit Selket schnattern wie eine Nilgans. Mir schmerzen schon die Ohren von ihrem nicht endenden Weibergeschwätz. Außerdem hält sie meine Magd von der Arbeit ab.“

„Alter!“ Chenu zog Teos am Hemd dicht zu sich, „Sie bleibt! Wenn sie dein Herz zum Schlagen bringt und du dich darüber aufregst, dann doch nur, weil du nicht mehr weißt, worüber! Ich sehe es doch in deinen alten, geilen Augen. Guckst auf ihren Busen, blickst über ihre glatten Schenkel, leckst dir den sabbernden Mund! Aber dein Speer kann sich nicht mehr seiner eingebildeten einstigen Heldentaten erinnern. Schlaff bleibt dein Lendenschurz!“

Teos blieb der Mund offenstehen, Teti vergaß zu spucken. Chenu ließ Teos los, knurrte:

„Sie bleibt, oder ich reiße die neue Küche wieder ein, lasse euch in diesem Dreckstall verkommen. Habt ihr mich verstanden?“

Kapitel 6

Die neue Küche war endlich fertig. Begeistert schleppten die Mädchen Töpfe, Tiegel, Kessel, Teller und Pfannen in den neuen Raum, räumten die wenigen Vorräte der Speisekammer um, dankten Chenu, der ihnen mit den großen Vorratskrügen und den Kubs, den dicken Säcken, half, scheuchten ihn anschließend aus der Küche, denn Männer und Jes Dschafa gehören nicht zusammen. Außerdem rief Teti nach ihm; sie hätten Kundschaft. Aufgeregt entzündete Selket das erste Herdfeuer in der neuen Jes Dschafa.

„Wann geht ihr denn den Bund ein?“ Karoma verräumte gerade die letzten Teller, setzte sich auf den Stuhl an dem großen Tisch.

„Er hat mich nicht gefragt, Karoma. Ehrlich gesagt, glaube ich, daß das nichts als ein derber Spaß für dich war.“

„Chenu war schon immer ein Großmaul, lassen wir das. Wir sollten zur Feier des Tages ein gutes Essen kochen und diese schicke Küche damit einweihen!“

„Ach, sie wissen das doch nicht zu würdigen.“ Selket winkte ab. „Mäkeln es wäre Verschwendung. Nein, Karoma, das lohnt nicht. Dazu kennst du die beiden Alten zu schlecht.“

„Aber ja doch. Wir kochen ein gutes Essen. Feine Sachen, die Teti mit seinen drei Zahnstummeln schmecken müssen. Es sind doch bloß zwei arme, alte, einsame Männer, die ihr Leben miteinander verbracht haben. Sie sind verbittert. Was sehen sie denn vom Leben? Man muß ihnen mal was Gutes tun. Warum sollen wir sie denn nicht verwöhnen? Sie haben doch sonst niemanden. Außerdem bin ich dankbar, daß sie mich hierbleiben ließen und ich in dir eine gute Freundin fand.“

„Arme alte Männer!“ Selket lachte bitter, legte Feuerholz und einen trockenen Kuhfladen nach. „Karoma, du bist wirklich gutgläubig!“ Eine Weile starrte Selket grübelnd in die Flammen, stand auf, nahm Karomas Hand.

„Kannst du ein Geheimnis für dich behalten? Für alle Ewigkeiten? Wirst du es bis ins Grab mitnehmen können?“

„Äh… Tju! Warum?“

„Ich möchte meine Angst teilen. Das ich nicht mehr allein damit bin! Und bevor du selbst dahinter kommst und dir Ärger einfängst. Will dir was zeigen, aber schwöre, bei allem, was dir heilig ist, daß du niemandem davon erzählst!“

„Ich schwöre, Selket, beim Leben meiner Mut.“

„Komm mal mit!“

Sie huschten in der Mittagshitze durch den verhutzelten Garten ins Haupthaus zurück, vergewisserten sich, daß die Männer schnarchend in ihren Räumen lagen. Selket entzündete am mitgebrachten Kien eine Tekau, zog Karoma zum Kellereingang, legte verschwörerisch den Zeigefinger auf die Lippen. Flink, lautlos wie zwei Kätzchen auf der Suche nach fetten Mäusen, huschten sie im Licht der flackernden Kerze die Stufen hinab. Unten guckte Karoma sich neugierig um. Nichts! Ein muffiger, leerer Keller und eine staubige Tür, die in einen weiteren dunklen Raum führte. Sie hing voller Spinnweben, aber als Selket sie öffnete, schwang sie in ihren Angeln, als würde sie ständig gut geschmiert. Dahinter vergammelten unter dicken Spinnweben alte Möbel, viele ausgediente Bettgestelle, Nachtgeschirre, verstaubte Arzneiflaschen; irgendwo quakte eine Kröte, tröpfelte Wasser.

„Sie waren einmal berühmt für ihre Heilkunst, haben sie mir erzählt“, flüsterte Selket. „Die vielen Betten brauchten sie für ihre kranken Gäste, damals, als das Haus gepflegt und schön in gutem Ruf stand. Halt mal die Kerze.“

Selket rückte eines der Bettgestelle von der Wand. Dahinter befand sich ein enger, niedriger Durchlaß. Sie schlüpfte hindurch.

„Komm!“

Karoma reichte ihr die Kerze, krabbelte hinterher.

Blinkte ihr da Gold entgegen? Häuften sich etwa Edelsteine in Körben? War das kostbarer Schmuck, welcher achtlos durchwühlt und in Schachteln gestopft war und dicke Klumpen von schwarz gewordenem Silber? Alles achtlos in die Ecke geworfen wie Abfall!

„Wenn auch nur ein Stück fehlen würde, sie würden es bemerken. Sie kennen jedes einzelne Teil. Ich bin bereits sechs Jahre in diesem Haus, doch dieser Haufen blieb unangetastet. Sie rühren ihn nicht an! Horten Schätze im Keller, sind aber halb verhungert, weil die meiste Zeit nichts Vernünftiges zu Essen auf dem Tisch steht. Ich frage dich, glaubst du immer noch, daß Teos und Teti zwei genügsame alte Männer sind? Sie haben ein Geheimnis und es muß furchtbar sein, wenn sie sich in dieser alten Baracke verschanzen und vorgeben, die Ärmsten der Armen zu sein! Als sie mir diesen Raum zeigten – wahrscheinlich um vorzusorgen, falls ich ihn eines Tages durch Zufall selbst entdecke – fragte ich, woher dieser Schatz sei. Und glaube mir, sie hatten in diesem Augenblick mehr Angst vor ihrer eigenen Erinnerung als ich vor ihnen und diesem unheimlichen Keller, gaben sie mir zur Antwort Es ist das Grab unseres Gewissens. Sie rangen mir das Versprechen ab zu schweigen, gaben mir ihrerseits das Versprechen, daß ich ihnen wie eine Enkeltochter sei und es gut haben würde. Aber mir schauderte, ich fürchtete mich, und sah zu, daß ich schnellstens aus dem Keller herauskam. Ich habe Angst, daß jemand von dem Versteck erfährt, uns vielleicht ausraubt. Angst davor, daß dies gestohlen sein könnte und der wahre Eigentümer ans Haustor klopft, Angst vor den beiden, obwohl ich keinen Grund dazu habe.“

„Warum suchst du dir nicht eine andere Stellung? Oder geh nach Hause zurück!“

„Ich habe kein Zuhause, ich bin Waise. Ich will nicht weg, habe meine Ruhe, Karoma. Sie sind alt, stellen einer jungen Frau nicht mehr nach. Ich lebe gut hier, es fehlt mir ja an nichts. Nur diese Angst, diese schreckliche Angst.“

„Trotzdem! Das ist unheimlich! Gehen wir, der Keller ist gruselig.“

Chenu stand betroffen neben Teti, blickte auf den leblosen Mann hinab, der auf dem Bett lag und wünschte sich zu den fröhlichen Mädchen in die Küche zurück. Vergebens mühten sie sich den ganzen Vormittag; jetzt war der Richter dieses Stadtviertels, ein ehrbarer Mann, Vater von acht kleinen Kindern, Gatte einer liebreizenden Frau ein stilles Herz. 4 Er kam zu ihnen, klagte über Kopf- und Brustschmerzen, brach in Tetis Armen bewußtlos zusammen.

„Er ist tot, sein Atem steht still!“, flüsterte Chenu, wollte den Mann zudecken, aber Teti hielt seine Hand fest. Dieser alte Sack, unleidlich und mürrisch, schrumpelig wie eine vertrocknete Zwiebel, streckte und straffte sich. In seinen Augen flackerte es draufgängerisch, das faltige Gesicht wirkte entschlossen, als würden alte Erinnerungen wach und vergessene Macht lebendig werden. Der da war alles andere als schascha, tattrig!

„Wart mal, Bürschchen. Hol mal die Flasche mit dem grünen Verschluß da! Reib von dem Zeug darin dem Kerl auf die Brust. Du mußt fester reiben!“

„Dann werde ich ihm die Rippen brechen!“

„Mach was ich sage!“

Der Wer Sunu beugte sich über das Gesicht des Toten, murmelte den geheimnisvollen magischen Spruch, den man immer sagen mußte, bevor man mit einer Behandlung begann:

„Zusammen mit den Herren des Schutzes, den Herrschern der Ewigkeit haben die Götter mir ihren Schutz gegeben. Mir gehören die Lehrsprüche des Allvaters, um zu beseitigen die Einwirkung eines Gottes, einer Göttin, eines Untoten, einer Untoten die in diesem meinem Kopf, in diesem meinem Nacken, in diesen meinen Schultern, in diesem meinem Fleisch, in diesen meinen Körperteilen sind, um den Verleumder leiden zu lassen, den Obersten derer, die eine Störung in dieses mein Fleisch eindringen lassen, eine bjbj-Schädigung in diese meine Körperteile, als etwas, das in dieses mein Fleisch eindringt, in diesen meinen Kopf, in diese meine Schultern, in diesen meinen Körper. Ich bin zugehörig zu Re, der gesagt hat: Ich bin der, der ihn vor seinen Feinden beschützt. Thot pflegt die Schrift reden zu lassen; er gibt den Ärzten, die in seinem Gefolge sind, Wirkungsmacht, um den zu erlösen, von dem der Gott will, daß ich ihn leben lasse.“ 5

Daraufhin packte Teti die Nase des Verblichenen, blies seinen eigenen Atem dort hinein!

Unglaublich!

Chenu vergaß die Tinktur einzureiben, schaute Teti gebannt zu, kassierte eine saftige Ohrfeige.

„Reib fester, Junge!“, schnaubte Teti zwischen zwei Atemzügen und plötzlich atmete der „Tote“ wieder! Setzte sich röchelnd und hustend auf! Teti fiel schnaufend auf einen Stuhl, eingesunken, als sei Heka Achu von ihm gewichen.

„Gib ihm den Rest aus der Flasche zu trinken und gib ihm von dem Wein. Er wird es schaffen, wird weiterleben!“

„Bist du ein Gott oder ein Heka‘u?“

„Ich bin ein alter Mann, Bub, und jeder Arzt muß gleichzeitig Magier sein. Red keinen Unsinn.“

„Aber du hast getan, was nur ein Gott kann…“ Chenu flüsterte, der Kranke brauchte das nicht hören. „Du hast einen Toten zum Leben erweckt!“

„Der war nicht tot!“, flüsterte Teti.

„Aber ja doch! Er hat nicht mehr geatmet, ich hab‘s doch selbst gesehen!“

„Willst du mich meinen Beruf lehren?“, brauste Teti auf, packte Chenu vorn am Hemd. „Ich sage dir, Junge, was du heute hier gesehen hast, darf nicht nach draußen dringen. Wenn du ein Wort darüber verlierst, ich schwöre bei dem allgewaltigen Thot, dem Herrn über die Magie, reiß ich dir die Zunge aus deinem unwürdigen Großmaul und stopf sie in dein Pehewi! Hast du mich verstanden? Schwör!“

Chenu biß die Zähne zusammen. Teti schüttelte ihn grob.

„Möge dich Apep fressen!“

„Danke! Das ist bei dir das gleiche wie ein Schwur. Hüte deine vorlaute Zunge, Kleiner, und wir werden bestens miteinander auskommen! Der Herr Richter… da sind wir ja wieder!“

4Tanzendes Herz nannten die alten Ägypter den Herzschlag. Ein verstorbener Mensch wird Stilles Herz genannt

5 Aus dem Papyrus Ebers. Der medizinische Papyrus, vermutlich um 1550 v. Chr. verfaßt, enthält mit die ältesten erhaltenen medizinischen Texte und Zaubersprüche aus dem alten Ägypten. Die im Buch erwähnten Rezepte, Lehrmeinungen und Behandlungsmethoden entstammen alle (bis auf die damals nicht bekannte Mund-zu-Nase-Beatmung) daraus

Kapitel 7

Kurz nach Sonnenaufgang wummerte es laut und heftig an die Pforte des alten Arzthauses. Nun ja, vielleicht klopfte der Besucher zu forsch oder es lag an seinen Muskeln, jedenfalls krachte es, eine Faust steckte in der Tür.

„Bei allen Göttern!“, fluchte jemand und versuchte lachend seine Hand zu befreien, „Was ist denn das für eine Bruchbude?“ Die Hand verschwand, dabei ging allerdings noch mehr von der Tür zu Bruch.

„Ich komme ja schon!“, maulte Teos, eilte schimpfend zum Gartentor. „Anständige Leute aus dem Bett holen! Spinnst du? Ich bin arm, wer soll mir die Tür ersetzen? Diebe und Mörder finden ohne Hindernis Eingang, meine Nachtruhe ist für alle Ewigkeiten dahin. Was soll jetzt werden? Wer bezahlt mir die Tür? Soll ich den Ehrenwerten Richter rufen, der in meinem Hause wie ein Freund ein und ausgeht, damit er diese leidige Sache aus der Welt schafft!“ Dermaßen grummelnd zog er den Riegel beiseite, wurde im Angesicht der kriegerischen Truppe vor der Tür kleinlaut, sackte in sich zusammen, rang verzweifelt die mageren Händchen.

„Ah, die hohen Herren“, wimmerte er mit dünnem Stimmchen, „Vergebt mir die harten Worte. In diesem meinem Hause herrschen Zucht und Ordnung, da habt ihr euch vergebens herbemüht!“

„Ich bin Pamai, Wer en Mescha im Dienste Pharao Chufus. Ich habe das Oberkommando über die Landbüttel in Ineb Heg…“

„Was wollt ihr? Ich habe nichts verbrochen!“

„Wohnt hier ein junger Mann namens Chenu, Sohn des Mere…“

„Was soll der angestellt haben?“, raunzte Teos.

„Nichts hat er angestellt, ich muß mit ihm sprechen!“

„So, wenn er nichts getan hat, warum kommen dann die Landbüttel in mein Haus, hä?“ Teos stieß seinen Zeigefinger wie ein stochernder Wiedehopf auf Pamais Brust, „Ihr Götter! Ich habe es geahnt, als ich diesen Herumtreiber in meinem Haus aufnahm. Es konnte nichts Gutes dabei rauskommen. Tju, der Nichtsnutz wohnt hier, ich rufe ihn, dann könnt ihr ihn gleich mitnehmen!“

„Das ist nicht nötig! Chenu hat nichts verbro…“

„Wenn er nur harmlos Böckchen vom Felde spielt, hättet ihr euch den Weg sparen können…“

„Chenu spielt Jebet jemet ta?“

Teos böser Blick ließ Pamai schweigen, er machte die Tür frei, die Landbüttel schritten durchs Tor. „Geht ins Haus“, maulte er, „ich rufe ihn“, rannte schimpfend hinter den Soldaten her, hob etwas vom Boden auf, begab sich damit eilends in Chenus Kammer.

Der schminkte sich gerade, fuhr mit dem dünnen Holzstäbchen an seinem Augenlid vorbei, als Teos ihm mit dem kleinen Besen, den Selket zum Fegen der Terrasse benutzte, ins Genick schlug. Der schwarze Strich wurde unbeabsichtigt länger als geplant.

„Was hast du Rotzlöffel angestellt?“, brüllte Teos, „Schleppst mir Soldaten ins Haus!“, schlug wild mit dem Handfeger um sich, traf Chenu am Hals, Rücken, den Schultern und Chenus sorgfältig rasierten Schädel. Es tat nicht weh, der Besen bestand ja bloß aus zusammengebundenen Palmwedeln, aber Chenu konnte sich vor Schreck nur schnell ducken und die Hände vors Gesicht heben. „Das Haustor haben sie mir zertrümmert! Kerle, gewaltig wie Baumstämme, mit grimmigen Gesichtern! Wer soll mir das bezahlen? Was habe ich verbrochen? Geh gefälligst hinaus zu ihnen, bevor sie noch mehr zerschlagen!“

Chenu fluchte, machte, daß er vor Teos aus der Kammer kam.

„Kein Dämon kann schlimmer sein als du mit diesem Besen! Pamai! Was für eine Freude!“ Pamai umfaßte Chenus Handgelenke.

„Chenu! Endlich habe ich dich gefunden! Ich habe eine wichtige Nachricht für dich!“

Teos blieb der Mund offenstehen, hörte dem Gespräch genau zu. Sein Schimpfen hatte Selket herangelockt, in ihrer Hand den Lappen. Teti trat hinzu, lediglich Karoma verschlief das aufregende Erlebnis, selbst die aufgehende Sonne konnte sie nicht aus ihren süßen Mädchenträumen wecken.

„… daher ist er dir dankbar und lädt dich zu sich ein. Er will ein Fest geben, wartet ungeduldig auf eine Nachricht von mir. Du mußt bloß warten, bis seine Einladung dich erreicht. So hat alles seine guten Seiten. Vielleicht geschah es zu deinem Glück, daß du Wenchets Leichnam gefunden hast. Ich wünsche dir einen schönen Tag, Chenu. Und wenn du Lust hast, kannst du mich und meine Gattin einmal besuchen. Ich wohne neben dem Tempel des Osiris, frage dort nach meinem Haus. Anch Uda Seneb! Ach, die Tür – ich werde einen Schreiner schicken!“

Sprachlos standen alle in der Halle. Abermals haute Teos Chenu den Besen um die Ohren.

„Leichnam?“

„Au!“

„Einladung?“

„Au!“

„Fest?“

„Au! Hau ab, Alter!“

Selket fragte Teti, wer Chenu zu sich eingeladen habe. Teti starrte seine Magd mit riesigen, verstörten Augen an, fassungslos, „Der Herr der Beiden Länder!“, hauchend. „Pharao Chufu, Millionen Jahre möge er leben, hat diesen unwürdigen Wicht zu sich eingeladen, um mit ihm zu speisen.“ Er spuckte verächtlich aus, Selket drückte ihm gedankenverloren den Lappen in die Hand. „Wisch das selbst weg, ich habe Wichtigeres zu tun. Ich muß mich um seine Wäsche kümmern. Ihr findet mich am Nil!“

Ein paar Tage später tauchte Teti in Begleitung eines Fremden in Selkets neuer Küche auf. Dermaßen beeindruckt von diesem hellen sauberen Raum und einem Blick in Selkets wütendes Gesicht unterließ er es tunlichst vor Begeisterung zu spucken. Der Fremde besah sich alles genau, klopfte die Wände ab, begutachtete die Dachkonstruktion, ja er maß sogar mit einem dreieckigem Instrument die Ecken nach. Selket schaute eine Weile baff zu, hörte wie der Fremde zu Teti sagte: „Ich besorge dir die Sachen. Es wird zwei, drei Tage dauern, aber du kannst dich auf mich verlassen.“, scheuchte die zwei aus ihrer schicken Küche, rannte zum wiederholten Male das Tor öffnen, weil ständig irgendwelche Leute geheimnisvolle Schachteln oder verschlossene Körbe abgaben.

Selket stapelte auch dieses in der großen Eingangshalle. Da kam Teos, packte sie am Arm, zog sie mit in den Keller, hinter den Raum mit den Möbeln. Dort kramte er in dem alten Geschmeide, bis er gefunden hatte, was er suchte. Armreifen und Halskragen, Ohrgehänge, Diademe und Ringe drückte er ihr in die Hand wie reifes Obst.

„Polier das mal, Mädchen. Es muß blinken und strahlen. Aber wehe, es fehlt hinterher ein Stück!“

Während Selket draußen auf der Terrasse in einem Sessel sitzend den schicken Cheker mit feinem Kalk, Wasser, Bürstchen und Lappen auf Hochglanz polierte, meldete sich ein königlicher Bote an.

Aufgeregt umschwirrten ihn alle, rückten ihm den Sessel bei und den Fußschemel. Karoma bot ihm kühles Bier an, Selket süße Früchte. Teos brachte sogar sein Lieblingskissen, um es dem Boten in den Rücken zu stopfen. Aber dieser beachtete den Aufwand um ihn herum überhaupt nicht, blieb stehen, rief mit lauter Stimme nach Chenu.

„Bist du Chenu, Baumeister und angehender Wer Sunu?“

„Tju!“

Der Bote überreichte ihm eine Schriftrolle, sagte: „Dies schickt dir der Gute Gott des Schwarzen Landes, der Horus auf dem Falkenthron, der große Stier, Pharao Chufu, Der die Feinde zerdrückt, Der goldene unter zwei Falken!“, und verschwand so schnell er gekommen war.

Die Einladung zu dem Fest!

Chenu ließ sich in den Sessel fallen, rückte Teos’ Kissen zurecht, öffnete aufgeregt die Schriftrolle, las laut vor:

Heute in drei Tagen, wenn Ijah, der Mond, Thots heiliges Gestirn, seine volle Größe erreicht hat, hat der Herr Baumeister Chenu sich in Festtagskleidung bei Einbruch der Dunkelheit zum Fest des Sensen Kawi im Palast von Ankh Taui einzufinden. Zwei liebgewordene Menschen seiner Wahl möge er zu dem Bankett mitbringen.

Respektvoll ergriff Chenu die Hände von Teos und Teti.

„Ihr seid meine Lehrherren, gabt mir ein Heim, ich habe viel und gut bei euch gelernt. Gebt mir die Ehre und begleitet mich in den Palast.“