Sachmet Die beiden Herrinnen - Katharina Remy - E-Book

Sachmet Die beiden Herrinnen E-Book

Katharina Remy

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Beschreibung

2010 AD: Luxor, Ägypten Nachdem sie herausfand daß Georg ein doppeltes Spiel treibt, verläßt Anna wütend, noch vor Saisonbeginn, Deutschland. In Luxor angekommen blickt sie alsbald entsetzt in die düsteren Abgründe ihrer eigenen Seele und muß feststellen, daß ihre Ehe, die all die Jahre auf wackligen Füßen stand, nicht mehr das Fundament ist, auf das sie bauen kann ... 1387 v. Chr.: Uaset, Kemet Grausame Morde geschehen in Uaset! Selbst auf den Stufen des Isistempels findet man ein Mordopfer. Doch Bent, obwohl sie bereits ein Jahr dem Tempel der Isis als pflichtgetreue Hohepriesterin Sahu-Re vorsteht, vergißt selbst über all diesen Sorgen niemals ihren schmerzvollen Leidensweg. Unstet getrieben von ihrem blindwütigen Haß, ihrer gnadenlosen Wut auf die bittere Zeit, ist sie weder bereit ihre neue Heimat anzunehmen noch sich von dem Leid zu lösen, daß ihr einst angetan wurde. Nichts scheint sie je über den erlittenen Verlust hinwegzutrösten. Zudem plagen Zweifel ihr Gewissen; vergebens versucht sie Isis zu huldigen und Sachmet zu leugnen, die immer wieder von ihr Besitz ergreift. Erst ein entsetzliches Unglück im Ipet Resit, Pharao Amenhoteps gewaltiger Baustelle inmitten von Uaset, stellt die Heilerinnen im Isistempel vor eine ihrer größten Herausforderungen. Und mitten in diesem furchtbaren Chaos begegnet Bent einem Mann, der ihr gesamtes Leben auf den Kopf stellt, der sie dazu bringt, sich endlich ihrer Vergangenheit zu stellen und wieder dem Leben zu huldigen. Ihren Schwur mißachtend, von Liebe berauscht, läßt sich Bent glückselig darauf ein. Doch Sachmet, die tückische Göttin, vergißt niemals einen inbrünstigen Schwur und entfesselt ein grausames, blutiges Inferno ...

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2010 AD:

Luxor, Ägypten

Nachdem sie herausfand daß Georg ein doppeltes Spiel treibt, verläßt Anna wütend, noch vor Saisonbeginn, Deutschland. In Luxor angekommen blickt sie alsbald entsetzt in die düsteren Abgründe ihrer eigenen Seele und muß feststellen, daß ihre Ehe, die all die Jahre auf wackligen Füßen stand, nicht mehr das Fundament ist, auf das sie bauen kann …

1387 v. Chr.:

Uaset, Kemet

Grausame Morde geschehen in Uaset! Selbst auf den Stufen des Isistempels findet man ein Mordopfer. Doch Bent, obwohl sie bereits ein Jahr dem Tempel der Isis als pflichtgetreue Hohepriesterin Sahu-Re vorsteht, vergißt selbst über all diesen Sorgen niemals ihren schmerzvollen Leidensweg.

Unstet getrieben von ihrem blindwütigen Haß, ihrer gnadenlosen Wut auf die bittere Zeit, ist sie weder bereit ihre neue Heimat anzunehmen noch sich von dem Leid zu lösen, daß ihr einst angetan wurde. Nichts scheint sie je über den erlittenen Verlust hinwegzutrösten. Zudem plagen Zweifel ihr Gewissen; vergebens versucht sie Isis zu huldigen und Sachmet zu leugnen, die immer wieder von ihr Besitz ergreift.

Erst ein entsetzliches Unglück im Ipet Resit, Pharao Amenhoteps gewaltiger Baustelle inmitten von Uaset, stellt die Heilerinnen im Isistempel vor eine ihrer größten Herausforderungen. Und mitten in diesem furchtbaren Chaos begegnet Bent einem Mann, der ihr gesamtes Leben auf den Kopf stellt, der sie dazu bringt, sich endlich ihrer Vergangenheit zu stellen und wieder dem Leben zu huldigen. Ihren Schwur mißachtend, von Liebe berauscht, läßt sich Bent glückselig darauf ein.

Doch Sachmet, die tückische Göttin, vergißt niemals einen inbrünstigen Schwur und entfesselt ein grausames, blutiges Inferno …

Die Autorin:

Ich bin im Saarland (Deutschland) geboren, lebe in der Nähe von Saarbrücken und bin verheiratet. Reisen - nicht nur nach Ägypten - sind unsere Passion.

Seit ich Kind war fühle ich eine unerklärliche Liebe für Ägypten - das Land am Nil ist seit Jahrzehnten das Reich meiner Leidenschaften und Träume. Um diese versunkene Kultur, den Glanz der Pharaonen in all ihrer Pracht vor meinen Augen erstehen zu lassen, begann ich mit dem Schreiben. Die Lebens- und Denkweise der alten Ägypter, ihr unerschütterlicher Glaube an die Götter und an Maat, die alles im Gleichgewicht hält, ist das, was mich inspiriert und all meinen bereits erschienenen Romanen Leben einhaucht.

An dieser Stelle geht ein dicker Dank an Elke Bassler! Mit ihren exzellenten 3-D-Bildern hat sie es mir wieder einmal ermöglicht, ein ansprechendes Cover hinzuzaubern. Ich danke dir, meine Liebe! Und mögen wir in Zukunft noch viele schöne Cover gemeinsam entwerfen!

ICH BIN ISIS, DER MAGISCHE ACH, UND ICH HABE MEHR WEISHEIT ALS JEDER ANDERE GOTT

(Sarginschrift)

Doch Horus schickt sein Auge des Re in Gestalt der Sachmet zu den Menschen, um sie zu vernichten

Inhaltsverzeichnis

DEUTSCHLAND, BERLIN

KEMET, UASET

ÄGYPTEN, LUXOR, WESTBANK

Real existierende Personen zur Zeit dieser Geschichte

Der ägyptische Kalender (Die Monate beginnen immer am 15.)

Das Buch von der Himmelskuh

Nachwort

DEUTSCHLAND, BERLIN

September 2010 A.D.

„Du Drecksack!“, zischte Anna von der Tür her. „Du gottverdammtes dreckiges Arschloch!“

Georg schaltete sein unverschämt teures neues Smartphone aus, legte es beiseite. „Schlechte Laune? Ist dir das Essen angebrannt, Mäuschen?“

„Mäuschen? Du kannst mich mal mit deinen Nagetieren! Du weißt, wie sehr ich das hasse! Wie lange geht das schon?“

„Da geht gar nichts!“

„Säuselst du wegen nichts wie ein verliebter Esel ins Telefon?“

Er gab keine Antwort, schaltete seelenruhig PC und Schreibtischlampe aus.

„Ich schlag dir gleich in deine hochmütige Visage! Gib mir eine Antwort! Ich, wir, haben uns etwas versprochen!“

„Die Sache von wegen Treue und bis das der Tod uns scheidet?“

„Genau die!“

„Ein bißchen überholt in der heutigen Zeit, meinst du nicht auch?“

„Hast du sie noch alle?“

„Geht dein Temperament mal wieder mit dir durch? Anna! Hör auf mit dem Quatsch! Ist das Essen fertig? Deswegen kamst du doch. Komm, bevor es kalt wird.“

Anna schnappte sich flink das Handy. „Oh! Das Fräulein Sekretärin! Billiger geht es wohl nicht!“, höhnte sie.

„Torschußpanik! Kann ich verstehen, Hasi. Gehst allmählich auf die fünfzig!“

Jetzt langte sie ihm tatsächlich eine, stürmte wutentbrannt durch den ellenlangen Flur zurück in die Küche mit dem angrenzenden Eßzimmer, riß die Balkontür auf. Mit Schwung flog das schöne Stück Fleisch hinaus und ein Stockwerk tiefer auf das kleine Dach vom Innenhof. Unten platschte es.

„Rinderfilet?“, lästerte er. „Für achtzig Euro! Es sollte zwar ein wenig ruhen… Anna, laß dir doch erklären…“

„Und Gurkensalat!“ Sie packte die Schüssel, holte aus, das sahnige Grünzeug verteilte sich geschmeidig in der ganzen Küche. „Da gibt es nichts zu erklären!“ Sie warf ihm eins der Kartoffelbällchen an den Kopf. Selbstgemachte Pommes Duchesse … sie wären so lecker gewesen!

Aus ihrer Handtasche kramte sie das Handy, suchte und fand die Nummer vom Flughafen, schaffte es, ihren Flug nach Luxor um zwei Tage vorzuverlegen. Riß im Schlafzimmer Decke und Kissen vom Bett, verschwand im Gästezimmer.

„Übermorgen bin ich weg! Und wenn die Saison zu Ende ist, ziehe ich wieder nach Saarbrücken!“

„Anna!“ Er klopfte an die verschlossene Tür. „Mäuschen! Das kannst du doch nicht machen!“

„Leck mich!“

LUXOR, WINTER PALACE, ROYAL BAR

DONNERSTAG, 23. SEPTEMBER 2010

Mehr als fünfundzwanzig Jahre Ehe!

Einfach in den Sand gesetzt! Weil, ach du armer Kerl, weil du alleine warst! Weil du sechs Monate im Jahr auf mich verzichten mußt! Weil du dir beweisen mußtest, daß du ein ganzer Kerl bist mit knapp fünfzig! Und weil die liebe, nette Sekretärin mit Mitte zwanzig einen geilen, runden Arsch hat und so verständnisvoll ist! Ha! Nicht mit mir!

„Whisky! Einen doppelten!“

Behauptete ich nicht einmal, ich mag keine Klischees? War das nicht vermessen? Jetzt bediene ich sämtliche blöden Klischees der Welt! Die betrogene Ehefrau! Der Chef und seine Sekretärin! Wahrscheinlich hat jeder davon gewußt, außer mir natürlich! Und das alles kurz vor meinem Geburtstag! Sitze spät in der Nacht allein und verzweifelt in einer Hotelbar am Tresen und sauf mir die Hucke voll!

„Noch mal dasselbe bitte, Emad!“

Warum mußte ich mich auch anschleichen wie eine Katze? Nur damit ich ihn nicht bei der Arbeit störe, die er angeblich nicht auf den nächsten Tag schieben konnte. Verabredet sich! Auf den Tag nach meiner Abreise! Säuselt kanns kaum erwarten! Oh, ich könnte dich… Ich überlege allen Ernstes mein Vermögen aus der Firma zu ziehen, vielleicht sogar die Scheidung einzureichen. Wenn er mich noch mehr reizt, ist er erledigt…

„Sauer?“

„Stinksauer!“, entfuhr ihr unbeherrscht.

Ups, da war doch noch ein Gast! Zwei Hocker weiter. Hätten Bruce Willis, Henning Baum und der junge George Michael einen gemeinsamen Bruder, würde der genauso aussehen. Horst Schimanski in adrett. Da saß ein gutaussehender, braungebrannter, blonder Hüne, strahlte sie mit seinen grünen Augen an. Türkisfarbenes Leinenhemd, weiße Jeans, gepflegter Dreitagebart, jenseits der vierzig.

„Punktlandung!“, scherzte er mit einem genüßlichen Lächeln. „Richtig geraten! Deutschland!“

„Und das ganz ohne Telefonjoker?“, spottete Anna, klimperte wütend mit dem Eis in ihrem Glas. Mach mich bloß nicht von der Seite an! Du liebe Güte, wo ist der entsprungen? Direkt aus der Muckibude? Typen wie du strippen höchstens bei den Chippendales!

„Nur nicht den Urlaub vermiesen lassen!“

Macht nichts. Ich bekam ihn günstig, ein Schnäppchen, Last Minute! Kostete mich nur meine Ehe!

„Schon viel gesehen? Tal der Könige?“

Ein Jammertal!

„Die Memnonkolosse? Luxortempel? Karnaktempel?“

„Das volle Programm!“, knurrte Anna.

„Einfach lausig!“, brummte er lachend.

„Was?“

„Mein dummer Versuch nette Konversation zu machen. Das ist wohl die langweiligste Anmache aller Zeiten.“

„Na ja, immerhin lenkt es ab“, schmunzelte Anna.

„Ärger?“

„Alles bestens. Oh, bitte, Emad! Nicht diese CD!“

„Ist doch schön!“

„Das ist nicht Ihr Ernst? As Time Goes By in einer Bar! Lächerlich! Der Gipfel des Schmalzes. Das Sahnehäubchen aller blödsinnigen Klischees!“

„Die wesentlichen Dinge bleiben, wenn die Zeit vergeht…“

„Selbst die wesentlichen Dinge verschwinden mit der Zeit!“

„Na dann“, er hob sein Glas mit dem frisch gezapften Bier, „auf Ihren Urlaub!“

„Na dann… auf Ihren Urlaub!“

„Meinen Feierabend!“

„So spät?“

„Notruf!“

„Arzt?“

„Chef vom Sicherheitsdienst. Komplettabsturz der Rechner. Mußte ran und was an der Software drehen. Sind übrigens meine Jungs, draußen am Eingang, passen gut auf die Gäste auf.“

„So so. Ich bin beeindruckt, wußte gar nicht, daß es hier deutsches Bier gibt.“

„Auch eins?“

Nach zwei doppelten Whisky? Die Idee! Gleich fall ich elegant vom Hocker.

„Ja!“

„Raphael!“

„Uih! Wie der Engel!“ Anna winkte mit dem leeren Glas.

„Jo! Der Schutzengel. Nicht noch eins, Lady, ‘n Wasser wär besser!“

„Nur ein Bier?“ Anna schielte auf seine Breitling, bemerkte seine gepflegten Hände, den goldenen Reif mit dem dezenten Diamanten an seinem linken kleinen Finger. „Ok, dann ein Wasser, Emad. Und du machst wahrscheinlich mehrmals die Woche in dieser Bar einsame Touristinnen an“, neckte sie.

„Gelegentlich!“ Dieses verlegene, lausbubenhafte Grinsen wirkte unverschämt! Unverschämt erotisch. „Unsinn. Ich sitze hier nur, weil der Hotelmanager mich einlud. Wegen seinem schlechten Gewissen, weil’s so spät ist. Frag den Kellner, Lady. Der kennt mich überhaupt nicht.“

Emad grinste sich einen.

„Emad kennt niemanden! Der ist verschwiegen! Selbst mich kennt er nicht! Nicht wahr!“

„Yes, Madam!“ Der Barkeeper polierte weiter seelenruhig seine Gläser, „But he really is the Chief of Security, doesn't usually sit around here“, und verschwand in dem Kabuff hinter seiner Theke.

„Ich will’s mal glauben. Es ist spät, ich denke, wir sollten gehen. Emad will bestimmt noch vor Sonnenaufgang Feierabend machen. War ein schönes Gespräch mit dir!“

„Mir hat es auch Spaß gemacht, mich mal wieder mit einer Landsmännin zu unterhalten.“

Anna griff nach ihrer Clutch, machte Anstalten möglichst elegant vom Hocker zu kommen. Raphael legte ihr sanft und fürsorglich die Hand an den Arm.

Die Schönheit der Sonne

Als würde sie aufgehen und mit ihrem Strahlen, ihrer Wärme heilen. Anna wurde es glühendheiß unter der Hirnschale, als würde die Luft knisternd brennen. „Sowas von charmant!“, strahlte sie ihn an, rutschte mit Bravour vom Hocker.

„Lady?“, schnurrte er in ihr Ohr und das jagte eine von oben bis unten prickelnde Gänsehaut über ihren Rücken.

„Was?“

„Hast du auf jemanden gewartet? Wartet jemand auf dich?“

„Nein …“

„Selbst auf die Gefahr hin, daß du mir jetzt zurecht eine scheuerst. Es wär schön, wenn diese Nacht mit dir noch nicht vorbei wäre.“

„Also doch…“

„Sorry. Ich mach das sonst nicht. Ehrenwort!“

Ich auch nicht! Und wenn! Es wäre egal! Ich bin nicht auf Abenteuer aus! Und etwas aus der Übung beim Fremdgehen. Was heißt aus der Übung? Ich war dem Maulheld immer treu! Warum eigentlich… Was hast du schöne Augen… ich könnte glatt darin versinken…

Schon wieder diese heißen Schauer, prickelnd, unstillbare Sehnsucht weckend, vollkommen irrational. Daran war nur der Whisky schuld! Definitiv!

„Willst du mit auf mein Zimmer kommen?“ Oh Gott, was rede ich da!

„Es sind Kameras auf den Fluren. Ich komm in Teufels Küche!“

Seine tiefe warme Stimme traf sie bis ins Mark, verführte sie kopflose Dummheiten anzustellen.

„Da komme ich gerade her, so schlimm wird es nicht werden!“ Anna knipste alle Lampen bis auf die kleine Nachttischlampe aus, griff nach der Fernbedienung, suchte und fand einen Radiosender, schleuderte die abartig hohen Manolos von den Füßen.

„Köchin?“, spaßte er.

„Mein Rinderfilet ist jedenfalls unerreichbar!“

Aus dem Lautsprecher ein paar Klaviertakte und Dooley Wilsons Stimme:

… You must remember this… A kiss is still a kiss …

„Das glaub ich jetzt nicht!“, gelang ihr ein verlegenes Lachen.

„Es soll wohl so sein!“ Raphael faßte sie sanft um die Hüfte, griff zärtlich nach ihrer Hand. Was soll das? Ein Tanzschritt? Ich tanze nicht! Niemals! Weil mein Tanzmuffel das nie tat …

„Soll ich mal nachsehen, was die Minibar hergibt?“ Du bist ganz schön doof, Frau Berger! Was denkst du, was das wird? Ein Kaffeekränzchen? Ein netter Plausch nach Mitternacht? Der ist auf einen One-Night-Stand aus und du bist drauf und dran ihn dabei gehörig zu unterstützen! Wirf ihn raus, du dumme Kuh!

„Nein, Lady.“ Mit einem Finger strich er sanft die lose Haarsträhne aus Annas Gesicht, löste die Spange aus ihrer hochgesteckten Frisur, strich bewundernd durch die lange, weiche, dunkle Pracht, flüsterte in ihr Ohr: „Ich fragte mich den ganzen Abend, wie lang sie wohl tatsächlich sind.“

Das geht gar nicht, Junge! Auch nicht der sanfte Kuß an meinen Hals!

„Ein Kuß ist immer noch ein Kuß…“ Er fand ihre Lippen, zärtlich, sinnlich, stupste sie zart mit der Zunge, als wolle er um Erlaubnis bitten.

Und was für einer! Ich kann das nicht! Ich kenne dich nicht! Was treib ich hier? Soll mich das trösten? Mir meinen Herzschmerz lindern? Ich hätt den Whisky lassen sollen. Dummes Mädchen, ganz dünnes Eis! Nicht aufhören! Dein Kuß schmeckt nach mehr, nach verdammt viel mehr… Schau mich nicht so an! Mit diesen schönen, leuchtenden, freundlichen Augen… Und untersteh dich, diesen gottverdammten blöden Satz zu sagen…

Sein Griff um ihre Taille fester, fordernder.

„Das ist wohl der Beginn einer wunderbaren Freundschaft, was? Komm her, Schönheit!“ Dieser leidenschaftliche, beinahe ungestüme, fordernde Kuß machte schwindlig, weiche Knie inklusive. Er roch ein bißchen nach dem Bier, nach gutem After Shave, dem gebügelten Hemd, nach frisch geduscht… nach Kerl… Ich sollte dich rausschmeißen! Auf der Stelle! Dir eine kleben für deine unverschämten Frechheiten…

Forsch spielte er mit der Schleife, die im Nacken ihr Sommerkleidchen festhielt, zog daran, hielt die Bändchen fest, fand den kleinen Reißverschluß über der Hüfte, öffnete ihn. Der dünne, glatte Stoff glitt über ihren heißen Körper, sank einer duftigen Wolke gleich auf den Boden. Anna verfluchte sich für ihren spontanen, saublöden Entschluß, spät noch die Bar aufzusuchen und wegen ihrer dummen Eile auf jegliche Unterwäsche verzichtet zu haben. Schämte sich vor dem fremden Mann in Grund und Boden.

„Wow! Was für eine Augenweide!“, flüsterte er, sie bewundernd betrachtend; seine warme Hand streichelte ihren Rücken hoch, unter den Haaren durch bis in ihren Nacken. Sein sinnlicher Mund forderte schon wieder einen süßen Kuß, stürmisch schob er sie zu dem Bett hin.

…und nicht mit dir in diese tausend weiche Kissen sinken… Ich muß verrückt sein… gleich verliere ich mitsamt jeglicher Scham auch noch den Kopf…

Sie zerrte ungeduldig an seinem Hemd, an seiner Gürtelschnalle. Mach das weg, laß mich dich spüren! Was hast du sanfte Hände! Was für heiße Küsse! Du riechst gut! Greif zu! Faß mich an! Ich bin so ausgehungert, verzehre, sehne mich nach Liebe… Oh nicht doch! Zieh das Hemd wieder an! Das glaub ich nicht! Jeder Muskel wie gemeißelt! Du wirst mich erdrücken, zermalmen, wiegst mehr als das doppelte wie ich. Und … oh du lieber Gott, das ist nicht dein Ernst! Laß die Jeans oben… Du wirst mich zerreißen! Was für heißes hartes Fleisch! Und schon griff ihre zärtliche Hand fordernd um sein großes, pralles, geiles Leben; bereit ihm alles abzuverlangen zog sie ihn wie eine unersättliche beutegierige Raubkatze zu sich.

„Nichts für Feiglinge!“, flüsterte er, „Wie mutig bist du?“

„Nimm deine Hand, deine sanften Finger da unten weg, das geht entschieden zu weit…“

Ihr blieb die Luft weg, als er ihr lustvolles Stöhnen mit einem sanften Kuß dämpfen wollte.

„Nicht so doll, Lady! Muß doch keiner mitkriegen. Da wohnen noch mehr Gäste!“

Seine zärtlichen Finger wußten genau was sie machten! Denn es knallte! Aber so richtig! Unverhofft, heftig, atemberaubend.

Das kann ich auch selbst! Dafür brauch ich keinen Kerl…

„Laß…“ Sie wollte seine streichelnden Hände wegschieben, aus dem Bett huschen, bevor sie gänzlich den letzten Rest Verstand verlor und noch größere Dummheiten machte, doch er hielt sie fest.

„Ich bin noch lange nicht fertig mit dir!“ Kraftvoll zog er sie an der Hüfte bei, schluchzend genoß sie seine Stöße. Vor lauter Lust liefen Tränen aus ihren Augen.

„Kein Grund zu weinen.“

„Ich weine nicht…“

Happy Birthday, Anna! Das war der Fick deines Lebens! Man soll sich mal was gönnen! Wenn auch nur aus Trotz und … Meuterei! Sie kuschelte sich in seinen starken Arm.

„Sorry, war etwas aus der Übung.“

„Aus der… was?“

„Und ich hatte einen verdammt langen Tag. Ich sollte gehen. Wird bald hell.“

Von draußen das erste Hupkonzert des Tages.

„Wo mußt du hin?“

„Rüber.“

„Nicht unbedingt gesund, hier nachts total übermüdet in der Gegend rumzufahren. Und dem Nachtportier brauchst du auch nicht über den Weg laufen. Bleib einfach! Mach endlich das Licht aus!“

Anna starrte in die Dunkelheit.

Verdammte Scheiße! Ein mir völlig fremder Mann, in meinem Bett! Ich kenn den doch gar nicht! Ein Aufreißer, ein Dandy! Rutscht wahrscheinlich über jede alte, einsame, verwelkte, verzweifelte Schrulle die ihm finanziell was bieten kann. Genau wie ich! Hast doch seine Uhr gesehen. Was kommen mir nur für Dummheiten in den Kopf? Da kommt noch was nach, unter Garantie. Solche Traumtypen gibt es doch überhaupt nicht! Es sei denn, Frau zahlt dafür. Auf diese Rechnung bin ich gespannt! Obwohl… regelt man das finanzielle nicht zuerst? Keine Ahnung, bin da nicht bewandert mit… Wie kann der so seelenruhig pennen? Ich bin hellwach…

Anna rutschte vorsichtig aus dem Bett, schlüpfte in den Bademantel, öffnete leise die Balkontür und den weißen Holzladen, ließ sich auf dem Rattansessel nieder, zündete eine Zigarette an. Gegenüber das Westgebirge, um diese Uhrzeit lediglich ein dunkler Schatten. Die Kreuzfahrtschiffe kaum beleuchtet, alles lag ruhig da in der Stille in der Nacht. Selbst die Beleuchtung am Luxortempel war ausgeschaltet. Am Fuß des Gebirges augenblicklich ein kleines Wetterleuchten. Die Ballonfahrer machten sich startklar. Bevor die Sonne aufging, mußten sie wegen der Thermik oben sein. Sie kramte – als ob das was helfen würde - den MP3-Player aus der Tasche, stöpselte die Kopfhörer in die Ohren …

Silbermond … gib mir was, irgendwas, das bleibt …

Och, halt doch die Klappe Mädchen! Das brauch ich jetzt nicht auch noch! Ich hab sie nicht mehr alle! Vollkommen bescheuert! Aber das weiß ich ja nicht erst seit gestern!

Sie drückte die Kippe aus, huschte unter die Dusche, erledigte ein leises Telefonat, ließ den Bademantel auf den Boden und sich ins Bett fallen.

Es klopfte. „Housekeeping.“

Anna, längst wach, sprang aus den Kissen, öffnete die Tür einen Spalt, „Danke, ich nehm‘ es. Kleinen Moment, bitte“, schob den Servierwagen ins Zimmer, sammelte sein total zerknittertes Hemd, die auf halblinks gekrempelte Jeans und ihr Kleid ein. „Könnten Sie veranlassen, daß das aufgebügelt wird?“ Sie zog den Gürtel aus den Schlaufen, suchte in den Taschen, fand Börse, Handy und Schlüssel, legte alles auf den Tisch.

„Selbstverständlich.“

Kaffee, Croissants, Eier, Honig, Kaviar, Toast, O-Saft, Obst, eine weiße Rose, Champagner… wie jedes Jahr. Nur diesmal für zwei.

Wie krieg ich ihn wach? Küssen? Nee, im Leben nicht. Laden und Fenster aufmachen!

„Frühstück ist fertig!“

Wie kann man so entgeistert und verschlafen gucken? Und dabei so nett aussehen? Niedlich, mit dem verwuschelten Haar.

„Bin ich im Himmel?“

„Immer noch in Luxor.“

„Der Kaffee riecht verdammt gut! Kann ich mal dein Bad benutzen? He, wo ist mein…“

„Mußt schon ohne gehen! Aber dort liegt ein frischer Bademantel.“

Er blieb auch im hellen Licht des Morgens appetitlich lecker. Nahtlose, schöne Bräune, gut gestutzter, schön gewachsener üppiger Pelz auf Brust und Bauch, mindestens einsneunzig groß. Was für ein Body! Was für ein Kerl! Anna schaute ihm entgeistert nach, bis er durch die Badezimmertür verschwunden war. „Dort steht genug rum, bedien dich!“, rief sie ihm nach und setzte sich mit einer Zigarette auf den Balkon.

Er kam zurück, geduscht, mit dem Badetuch um die Hüften, stellte sich abwartend in die offene Balkontür, lehnte sich lässig an den Rahmen. Für einen Augenblick bekam Anna einen trockenen Hals.

„Meinst du, so könnte ich in Ruhe frühstücken? Dein Anblick macht mich ein kleines bißchen nervös“, neckte sie.

„Der Bademantel war nicht ganz meine Kragenweite, Lady.“

„Warum zum Geier nennst du mich die ganze Zeit so?“ Anna huschte, kribbelig geworden, dicht an ihm vorbei ins Zimmer.

„Hast mir deinen Namen nicht verraten“, flüsterte er lächelnd.

„Ach was?“, schmunzelnd goß Anna Kaffee ein, „Muß ich vergessen haben“, öffnete den Champagner, wollte ihm einschenken.

„Nicht. Sollte längst in meinem Büro sitzen.“

„Kannst du nicht frei machen?“

„Wozu?“

„Ich will vielleicht nicht alleine bleiben.“ Sie funkelte ihn verheißungsvoll an, nickte zu ihm hin. „Diese beinah schüchtern anmutende Verlegenheit; ist das eine Masche von dir?“

„Für was hältst du mich?“

„Sag du‘s mir!“

„Für’n Gigolo?“ Er grinste frech.

„Wär das so abwegig?“

„Wo ist mein Zeug?“

„Ich gabs dem Zimmermädchen mit, zum Bügeln.“

„Wie umsichtig.“

„Wenn ich dich lieb darum bitte, mit mir zu frühstücken und zu bleiben… klingt vielleicht doof, aber ich habe heute Geburtstag… deshalb das üppige Frühstück…“

„Glückwunsch!“

„Bitte!“

„Ich hab’n Haufen Arbeit zu erledigen. Planungen bis in den Dezember…“

„Nur ein Tag? Ich mag heute nicht allein bleiben! Koste es, was es wolle.“ Sie reichte ihm das Glas, streichelte dabei mutig über seine Hand und den Arm, traute sich über seinen perfekten Six-Pack zu streicheln.

„Hat dich wer versetzt?“

„Ich feiere meinen Geburtstag prinzipiell alleine. Meine Einladung kannst du daher als Kompliment verstehen. Wenn du allerdings gehen willst…“

„An dir ist nichts wie es scheint!“

„Wie meinst du das?“

„Du machst doch im Leben keinen Urlaub hier. Da wärst du längst zur Tür raus, zu irgendeiner Führung, zu irgendeiner Tour oder lägest am Pool.“

„Ich kenne das alles. War schon öfter in Luxor. Bleibst du?“

„Laß mich kurz telefonieren.“

Anna stellte sich in die offene Tür, genehmigte sich eine weitere Zigarette, schaute dem Treiben auf der Corniche zu. Irgendwas war anders da unten. Als würde etwas fehlen. Sie kam nicht drauf.

Er beendete das Telefonat, murmelte „Scheiß drauf!“, trat hinter sie, umarmte sie, strich ihr das Haar aus dem Nacken, küßte ihre Schulter. „Obwohl ich es besser bleiben ließe!“

Stürmisch riß sie ihm das Handtuch runter, „Zu spät!“, bot ihm den Mund zum Kuß, „Und das Frühstück muß warten …“

„Du kannst nicht gehen!“

„Warum nicht?“

„Du hast nichts anzuziehen!“, säuselte Anna nachdem sie ihren Orangensaft ausgetrunken hatte. Und ein kleines, wildes Teufelchen flüsterte in ihrem Kopf mach es nochmal …

„Freitag heut, da ticken die Uhren anders. Fertig? Ja?“ Er stellte das Frühstückstablett zur Seite, fegte ein paar Krümel vom Laken. „Rutsch mal, Schönheit! Was ist das?“ Zärtlich strich er ihr den Spaghettiträger des zarten Seidenhemdchens von der Schulter, streichelte sanft über das kleine Tattoo auf ihrer Brust dicht unter dem linken Schlüsselbein.

„Chic, was? Hab ich erst diesjahr machen lassen.“

„Sieht gut aus. Aber was ist das?“ Er beugte sich tief über sie. „Ein Kringel“, ein sanfter Kuß, der andere Träger mußte dran glauben, „ein Vögelchen“, ein Kuß, „noch ein Kringelchen… Striche?“

„Hör auf!“, sie griff ihm schmunzelnd in das weiche, sanft gewellte Haar, „Dein Bart kitzelt! Mein Name in Hieroglyphen. Also eher die ungefähre Bedeutung meines Namens.“

„Frau Vogel?“

„Nein!“, kicherte sie. „Das ist zu albern! Schenk mal nach.“ Sie schnappte sich ihr leeres Champagnerglas, schaute ihm tief in die Augen, vermied es, seine allzu geballte männliche Schönheit genauer zu betrachten. Was für ein schöner Mensch! Selbst die lange, dünne Narbe quer neben seiner Kehle konnte ihn nicht entstellen.

„Um noch mehr zu albern? Ist alle. Frau Kreis?“

„Bin ich vielleicht Rumpelstilzchen?“

„Eher Cinderella. Da liegt nur einer deiner Mörderschuhe.“

„Der andere ist unters Bett geflogen.“ Sie rutschte auf den Bauch, robbte sich vor, linste unter das King-Size-Bett. „Ich komm da nicht ran! Mittendrunter! Da hilft nur ein Besen.“

„Hör auf, Mädchen! Komm hoch da. Ist ja nicht mitanzusehen!“

„Nimm die Hand von meinem Hintern!“, drohte sie scherzhaft.

„Ungern!“

Japsend kam Anna hoch, entledigte sich des neckischen Hemdchens, griff nach der leeren Flasche. „Ich bestell noch eine.“

„Das geht nicht gut aus!“

„Dann sag ich dir auch meinen Namen!“

„Du bist völlig beschwipst, Süße!“

„Ich will nicht denken, Raphael. Nur ein paar schöne Stunden verbringen.“

„Ok!“

„Also? Ich höre!“ Er ließ den Korken knallen, schenkte aus.

„Gnade!“

„Ich mach doch nix!“

„Nein! Die Hieros!“ Anna tupfte sich schmunzelnd auf das Tattoo. „Gnade, oder göttliche Gnade. Oder die, der göttliche Gnade gewährt wird. Oder die, der der Gott nahe ist. Sowas in der Art. Sahu-Re.“

„So heißt kein Mensch!“, flüsterte er amüsiert in ihr Ohr, küßte ihren Hals, ihre Schulter, das Tattoo.

„So hieß selbst mal ein uralter Pharao!“, empörte sie sich niedlich schmollend.

„Du heißt wie ein uralter Pharao?“, schnurrte er und spielte liebevoll mit ihrem langen Haar.

„Jo!“ Sie kuschelte sich an ihn, griff in pralles, hartes Leben. „Ich hab das Gefühl, dich schon ewig zu kennen.“

„Die Ewigkeit ist gerade mal knapp zwölf Stunden alt.“

„So lange schon?“

„Jo!“

„Was machst du hier?“, hauchte sie, sinnliche, begehrliche Küsse auf ihrem Bauch, Brüsten, am Hals, sanfte, fordernde Hände auf ihrer heißen Haut genießend.

„Arbeiten!“

„Warum?“

„Um Geld zu verdienen?“

„Macht Sinn! Hab dich hier noch nie gesehen. Und ich komm oft her.“

„War bis letztes Jahr in Assuan. Hab dort noch ’n großes Objekt.“

„Welches? Du fühlst dich wahnsinnig gut an!“

„Das Old Cataract.“

„Boh! Da wird doch umgebaut. Hör nicht auf mit diesen zarten Küssen.“

„Ist bald fertig.“

„Und warum bist du jetzt in Luxor?“

„Hab mein Haus dort verkauft. Suchte hier etwas kleineres. Hab mit meinem Kompagnon getauscht.“

„Was gefunden?“

„Drüben.“

„Gefiel dir Assuan nicht mehr?“

Er hielt inne, gab keine Antwort.

„He!“

„Nein!“ Raphael griff nach seinem Glas, kippte es ex. „Nicht mehr nachdem sie tot war, der Krebs sie schnell und gründlich aufgefressen hatte. Und ich will auch nicht denken!“

„Oh, wie furchtbar! Das tut mir leid.“ Sie zog sich die Decke hoch, rutschte ein Stück von ihm weg, forschte in seinen schönen Augen, suchte nach Anzeichen einer dreisten Lüge. War das jetzt eine Mitleidsmasche?

„Schon gut.“

Anscheinend nicht.

„Ich heiße Anna!“

„Schön dich kennenzulernen, Anna!“ Ungestüm zog er die Decke weg, griff ihr um die Hüfte, zog sie an sich, küßte sie fordernd, schmiegte sich an sie. „Willst du mich jetzt einfach da liegenlassen?“, schnurrte er sanft wie ein großer Kater. „Ich reiße hier keine Weiber auf, falls du das glaubst.“ Anna blieb fast die Luft weg, als er sich stürmisch halb auf sie legte. „Halt still, Schönheit, ich tu dir doch nichts.“ Und er nahm sie so zart und gefühlvoll, daß Anna beinahe die Tränen kamen.

„Werd‘ ich dich wiedersehen?“, flüsterte er ein paar Augenblicke später, stieß zu, sanft, langsam, quälend langsam, innehaltend. „Als ich dich gestern da sah, an der Bar…“, noch ein Stoß, behutsam, feurig, mit heißer Begehrlichkeit, „entgegen jeder Vernunft…“, tief, heißblütig und leidenschaftlich, „Die oder keine mehr in meinem Leben! Ich hätt die Finger von dir lassen sollen, hab sie mir gründlich verbrannt!“

„Nicht doch! Oh, hör doch nicht auf!“

„Das hab ich auch nicht vor! Seh ich dich wieder?“ Sanft preßte er sie an sich, die Hände fest an ihrem Hintern, hielt pochend inne, tief in ihr drin, schaute ihr in die Augen. „Schon wieder Tränen? Wie lange denkst du kann ich das halten? Gib mir eine Antwort, Schönheit, eher mach‘ ich nicht weiter. Hör auf zu weinen! Alles bebt!“

Hitzig schlang sie die Beine um ihn, heftig, hart, spannte den Bauch an, klammerte sich an ihm fest, lustvoll keuchend und gleichzeitig bitterlich schluchzend.

„Ich bin verheiratet, Ranofer…“

Noch ein Stoß, heiß, fast brutal, endgültig …

„War ja klar!“, schnaufte er, gab sie frei.

Für ein paar Augenblicke herrschte Schweigen, von draußen Verkehrslärm, von nebenan das Rauschen der Dusche, von obendrüber Schritte. Ganz normale Geräusche eines Hotels.

Nichts war mehr normal!

Anna kramte auf dem Nachttisch aufgewühlt nach einem Taschentuch, reichte ihm die Packung, schneuzte sich, trank ihr Glas leer, stellte es beiseite. Selbst der Champagner schmeckte schal, ohne Leben.

„Entschuldige!“

„Oberste Maxime: Hände weg von den Gästen! Selbst schuld!“, knurrte er.

„Du bist nicht schuld! Ich hatte die Wahl.“

„Hättest mir doch eine scheuern sollen.“ Ihm gelang ein trauriges Lächeln.

„Er hat mich betrogen!“ Anna hielt krampfhaft die Tränen zurück, das war zu kindisch.

„Und ich war die kleinliche Rache?“

„Ja! Entschuldige bitte. Ich hielt dich wirklich für einen Aufreißer.“

„Resteficker?“

„Hm?“

„In Bars und Diskos, die die übriggebliebenen abschleppen.“

„Nicht doch!“

„Es war reiner Zufall! Ich konnte nicht ahnen, daß du da sitzt. Es war längst Feierabend in der Bar.“ Er nahm sie in den Arm. „Aber du saßt da, schautest so bezaubernd aus in dem buntgestreiften, rückenfreien Kleid, so niedlich mit deiner Wut, die dir ins Gesicht geschrieben stand. Ich wollte dich einfach nur kennenlernen. Tut mir leid, daß wir in der Kiste gelandet sind, dein Charme hat mich völlig umgehauen. Ich bin halt auch nur ein Kerl. Ich hätte gehen sollen in der Nacht! Denn mit jeder Stunde die ich weiter mit dir verbringe, verliebe ich mich mehr in dich! In dieses fröhliche alberne Mädchen, das in dir wohnt. In diese chice, gebildete, kultivierte Frau… Verdammt!“ Er drückte sie an sich, küßte ihr Haar.

„Mein Urlaub ist vorbei, Raphael.“

„Schade, aber sowas von!“

„Sei nicht ironisch. Morgen habe ich eine… geschäftliche Besprechung.“

„Du wirst packen wollen. Und ich sollte endlich verschwinden. Hab schon verstanden.“

Anna setzte sich rittlings auf seinen Bauch, griff ihm liebevoll ins dichte Haar. „Ich glaub, ich hab zuviel Champagner intus. Oder ich bin jetzt ganz durchgeknallt. Es hat mir imponiert als du geradeheraus sagtest was du wolltest, gestern, an der Bar. Hast mich nicht dumm angemacht. Hattest eine fifty-fifty-Chance und sie genutzt. Und vorher das angeregte Gespräch mit dir hat mir gefallen. Ich würde dich sehr gerne wiedersehen. Wenn du willst, zeig ich dir am Sonntag wo ich arbeite. Ich bin das nächste halbe Jahr in Luxor.“

Er sagte nichts, zog die Decke über sie beide.

„Willst du mit mir zu Abend essen?“, fragte Anna leise.

„Hm?“

„Ich hab für zwanzig Uhr den kleinen Pavillon für mich reservieren lassen. Und ich muß gleich an die Rezeption. Etwas wichtiges mit dem Portier klären, bevor er Feierabend macht und der Nachtportier kommt. Sonst muß ich bis morgen warten. Sag ja.“

„Ich kann nicht mit dir essen gehen. Ich bin sowas wie hier angestellt. Und ich habe erst recht nichts, aber rein gar nichts auf diesen Zimmern verloren!“

„Ich regle das. Du bist mein Gast! Niemand kann mir verwehren, mit einem guten alten Bekannten, den ich zufällig traf, zu speisen!“

„… just a Gigolo …“

„Hör auf! Willst du mich begleiten?“

„Hab nix anzuziehen!“ Die Decke flog mit Schwung auf den Boden. Anna lachte.

„Das liegt bestimmt vor der Tür. Ich hing das ‚Bitte nicht stören‘- Schild auf. Aber das kannst du nicht anziehen. Du brauchst großes Besteck. Dress-Code!“

„Aha?“

„‘n Abendanzug.“

„Hab ich sowas? Da muß ich mal tief kramen. Fahren tu ich auch nicht mehr.“

„Fähre und Taxi? Meine Güte. Die zwei drei Gläschen.“

„Null Promille … ich brauch meinen Führerschein!“

„Ich muß hinunter und das klären. Wir gehen gemeinsam da runter. Frechheit siegt! Im Foyer ‚Bussi, Bussi mein Lieber, schön dich getroffen zu haben, bis heute abend … blabla‘. Wenn Ibrahim auch nur den leisesten Verdacht schöpft, bin ich geliefert. Der ist ein Erzengel, da kannst du einpacken! Danach kannst du meinetwegen diskret verschwinden. Bis Acht ist jede Menge Zeit, es ist erst vier Uhr. Wirst du kommen?“

Er stand auf, öffnete die Zimmertür. Die Kleider hingen dort säuberlich verpackt auf Bügeln an der Türklinke.

„Ich dränge mich in keine Ehe! Ich bin kein Kameradenschwein, erst recht kein Spielzeug, Lady. Und mir ist gerade klar geworden, daß ich mir für einen banalen Urlaubsflirt zu schade bin! Ich werde jetzt diskret verschwinden. Es ist besser, wir sehen uns nie wieder!“

„Ibrahim!“

„Madame!“ Er tippte lässig mit zwei Finger an die Stirn, grüßte Raphael, der hinter Anna durchs Foyer verschwand. „Was kann ich für Sie tun?“

Anna guckte sich um; niemand in der Nähe.

„Habt ihr Platz? Kann ich bei euch unterschlüpfen? Ich will nicht über eine Woche im Camp wohnen. Wie geht es Fatme?“

„Ihr geht es gut und sie sagte, das ginge gar nicht!“

„Ach!“

„Es ginge gar nicht, Anna, daß du dich woanders einquartierst als bei uns! Unmöglich!“ Er schüttelte entrüstet den Kopf. „Dies ist ein Palast! Hier wohnten einst Könige! Und jetzt kommt diese … Dame! Bucht das gesamte Haus für eine Woche. Alles steht Kopf! Da“, er wies mit dem Kopf zur Tür, „Käpt‘n Ney hat alle Hände voll zu tun. Ließ Kameras installieren, muß Leute einstellen. Überall dieser technische Schnickschnack! In diesem Haus! Wo soll das noch hinführen? Sie will sogar im Tempel heiraten! Ob sie das durchsetzen kann?“

„Abwarten, mein Lieber. Schön, daß ihr Platz für mich habt. Raphael ist übrigens ein guter Freud, ein alter Bekannter von mir. Was habe ich mich gefreut, ihn hier zufällig zu treffen. Der Pavillon? Das geht doch klar? Auf meinem Zimmer steht eine kaum angebrochene Flasche Champagner. Die möchte ich zur Vorspeise. Sie sollte nochmal gründlich kalt gestellt…“

„Kein Problem, Madame. Es ist alles bereits soweit vorbereitet.“ Er nahm von dem Gast neben Anna den Schlüssel entgegen.

„Danke!“

„Gern geschehen!“

Fröhliches albernes Mädchen?

Anna beugte sich vor, wischte mit dem Handtuch über den beschlagenen Spiegel, strich sich das nasse Haar aus der Stirn, schaute in den Spiegel.

Wo ist es? Ich sehe nur eine dumme Gans! Verdammte Scheiße! Was hab ich gemacht? Was hab ich da nur angestellt? Ich bin nicht besser als Georg! Warf mich trotzig dem erstbesten an den Hals. Blöde Kuh! Der meinte es ernst! Hat sich in mich verguckt. Hast ihm das Herz gebrochen! So sieht der nicht aus! Der kann was ab! Das glaubst du doch selbst nicht! Albernes Mädchen? Ich geb dir albernes Mädchen!

Ein Pavillon in dem von Fackeln erhellten Garten, mit roten, wehenden Vorhängen, von Troddeln gehalten. Kerzen flackerten in funkelnden Leuchtern, der Tisch üppig eingedeckt, über den rauschenden Palmen leuchtete der Vollmond, ein romantischer Traum aus Tausend und einer Nacht. Der Kellner hielt Anna den Stuhl bereit, stellte den Sektkübel an die Seite, schenkte aus, gab ihr Feuer.

Vollkommen irre, mich in dieses Kleid zu werfen! Givenchy. Schwarz, kurz. Das Haar hochgesteckt, Lidstrich, eine mehrreihige dicke Perlenkette. Auf Handschuhe, Sonnenbrille und Zigarettenspitze verzichte ich großzügig. Kann auch so jeder sehen, was ich bin! Es steht mir auf der Stirn geschrieben! Anna griff nach ihrem Glas, betrachtete den wunderschönen Garten, die Gäste, verfluchte sich und diese beschissene Situation, stellte ungläubig das Glas ab.

Das glaub ich jetzt nicht!

Er kam durch den Park!

Weiße Rosen! Einen ganzen Arm voll! Ein schwarzer Anzug, lässig getragen, blütenweißes Hemd mit Manschetten! Lackschuhe. Hat er den Bart abgenommen? Was für ein Kerl!

Ganz großes Kino! James Bond trifft Pretty Woman! Gleich schluchzen die Geigen und die Diva sinkt in des Helden starke Arme … Hollywoodreif! Das hier gewinnt den Oscar für das beste Drama!

„Alles Liebe zum Geburtstag, Süße!“, polterte er ein wenig übertrieben. „Danke für die Einladung! Komm her, Schätzlein! Laß dich mal drücken, aber richtig! Wie lang haben wir uns nicht gesehen?“ Bussi links, Bussi rechts, der betörende Duft der Rosen machte schwindlig, die sanft zupackende Hand an ihrer Taille sprach eine ganz deutliche Sprache. Er erhaschte ihre Hand, hauchte einen Kuß darüber, zog sie am Arm, drehte Anna schwungvoll um, „Siehst Klasse aus, altes Mädchen! Dreh dich mal! Hast dich überhaupt nicht verändert!“, führte sie zurück zu ihrem Stuhl.

„Bist du vollkommen übergeschnappt?“, hauchte sie.

„Zum Teufel mit dem Anstand, Mädchen, er ist mir ausnahmsweise scheißegal! Ich weiß nicht was das werden soll… du gehst mir einfach nicht mehr aus dem Kopf…“, er kramte in der Jackentasche, zauberte eine kleine Schachtel, süß mit Schleifchen verziert hervor, reichte sie ihr. „…für das süßeste Mädchen, daß ich kenne. Schön mitspielen, Anna!“, flüsternd. „Wenn irgendwer auch nur den leisesten Verdacht schöpft, bin ich geliefert!“

„Das wär doch nicht nötig gewesen, mein Großer! Danke!“ Verlegen senkte sie die Nase in die Pracht der Rosen.

„Auspacken! Gib mal die Blumen, der Ober brachte ne Vase.“

„Bringen Sie bitte ein zweites Gedeck?“, wandte sich Anna an den Ober, und zu Raphael: „Kleine, viereckige Schachteln von einem fein herausgeputzten Rosenkavalier überreicht, sind ein heißes Eisen!“

„Brandheiß!“ Er machte ihr ein Petzauge.

Mit zitternden, kalten Fingern zupfte Anna das Schleifchen von dem Päckchen, öffnete es.

Grauenvoll!

Entsetzlich niedlich, mit einem putzigen Lächeln, so furchtbar kitschig, daß es schon wieder schön war! Ein Engelchen, Made in China, ein Schlüsselanhänger aus einem Souvenirshop. Laut lachend klappte Anna das Kästchen zu.

„Du bist ja bekloppt!“ Sie reichte ihm mit schwungvoller Begeisterung die Hand. „Freunde? Zwei Deutsche, die sich in der Ferne treffen?“

„Freunde, ok!“ Er drückte zärtlich ihre Hand. „Obwohl das wohl die blödeste Idee ist, auf die Mann und Frau kommen können.“

LUXOR, WESTBANK

SONNTAG, 26. SEPTEMBER 2010

Da stand er!

Braver Junge! Wie abgemacht! Halb neun morgens an der Fähre am Westufer! Da kam die Ali Baba getuckert, legte an.

Anna ließ den Defender ausrollen, betrachtete ihn, wie er aufs Wasser schaute und die aussteigenden Fahrgäste des kleinen Fährbootes musterte. Bermudashorts, T-Shirt, darüber ein offenes Hemd, Turnschuhe ohne Socken, das Basecap lässig mit dem Schirm nach hinten auf dem blonden Haar, Sonnenbrille und die Hände in den Hosentaschen. Verteufelt attraktiv, auch in kurzen Hosen!

Sie ließ die Lichthupe aufblinken, Ali winkte zurück. Nur aus Spaß betätigte sie fachkundig zweimal die Hupe. Niemand, außer den Touristen, reagierte. Ihre Finger spielten zärtlich mit dem kleinen Engel an dem Schlüsselbund, dann drehte sie die Zündung, ließ den Motor heulen und rollte vorsichtig die kleine Böschung runter. Er war dermaßen vertieft in sein Warten auf sie, auf ihre vermeintliche Ankunft mit der Fähre, daß das, was hinter ihm abging ihm völlig entging. Anna manövrierte den verbeulten alten, liebgewordenen, taubengrauen Kasten vorsichtig dicht hinter ihn, die kantige Stoßstange fast bis in seine Kniekehlen, nahm den Gang raus, zog die Handbremse an und gab ordentlich jaulend Gas. Er machte einen Satz, drehte sich um, beugte sich vor, linste durch die Scheibe, schlug auf die Motorhaube, lachte wie ein Lausbub.

„Anna? Das glaub ich jetzt nicht! Wie irre ist das denn? Was für eine abgefahrene Karre!“

„Moin! Steig ein!“

„Und mein Auto?“ Er wies mit dem Kopf auf ein dickes schwarzes sportliches BMW-Coupé. Anna pfiff Alis Jungs, die sich im Schatten der Palmen drückten, den Touris ein bißchen Tand andrehen wollten, kramte aus der Hosentasche einen Schein, wedelte damit. „Bis wir wieder da sind! Dann nochmal dasselbe. Und wehe, es ist auch nur ein Staubkorn, ein Fingerabdruck an der Karre!“

„Ok, Miß Anna!“

„Siehst gut aus!“, grinste Raphael, schlug die Tür zu und bewunderte die geflochtenen Zöpfe, das kleine Kopftuch, den Sonnenhut darüber, T-Shirt, die ausgebeulte Hose. „Frech! Süß!“

„Fertig? Kanns losgehen?“

„Jo!“

Anna wendete den widerspenstigen alten Engländer ohne Servolenkung mit ordentlich Kraftaufwand, jaulte auf die Hauptstraße, über die Brücke am Kanal, ein Stück weiter an Feldern vorbei, ein Stückchen geradeaus und hielt an den Memmnonkolossen. Heerscharen von Touristen. Vorsichtig fädelte sie sich durch die Busse und die Leute auf den kleinen Parkplatz.

„Der stammt noch aus den Siebzigern, was? Bist ganz schön mutig, das Ding zu fahren“, lästerte er gutmütig über den klappernden Defender. „Ne Tour zu den Sehenswürdigkeiten! Ich hab’s! Reiseleiterin?“

„Nöp!“, schmunzelte sie, hoppelte mit dem Wagen weiter, über die Parkplatzbegrenzung hinaus, an den Statuen und links an dem mit weißen Planen verhängten Bauzaun vorbei. „Und noch ein Wort über die komfortable, exquisite Beförderung und du darfst zu Fuß gehen! Aussteigen, wir sind da!“

„Hier kannst du doch nicht parken!“

„Da stehen noch mehr!“

„Trotzdem.“ Er wollte nach vorne zu den Statuen laufen, sie hielt ihn am Hemd fest, öffnete die Hecktür.

„Falsche Richtung. Da geht’s lang! Nimm mal die Pakete mit dem Mineralwasser und die Thermoskanne, ich nehm die Kühlbox.“

„Da steht ein Aufpasser! Komm, Mädel. Das ist kein Platz zum Picknicken. Hier haben wir nix verloren. Park das Auto um. Ist besser so.“

Der Aufpasser grüßte.

„Salam!“, grüßte Anna freundlich zurück, zog aus ihrem Ausschnitt eine Plastikkarte an einem gelben Band und er öffnete das Tor in der weißen Plane. Raphael machte Augen wie ein Kind an Weihnachten, schaute sie baff nochmal von oben bis unten an, blieb mit seinem Blick auf ihren klobigen Stiefeln kleben.

Sag bloß nix falsches, Kleiner!

„Geführte Wanderungen?“

„Nöp! Aber es ist Zeit für ein zweites Frühstück.“

„Catering?“

„Nö!“

„Fahrdienst?“

„Archäologin!“

„Was?“

„Simsalabim, Sesam öffne dich! Hinein mit dir. Und sei so nett, bleib bei dem Märchen vom guten Bekannten. Das sind alles Arbeitskollegen.“

Raphael schaute sich verblüfft um. Baumaschinen, schweres Gerät, brummende Dieselaggregate, Pumpen, Rohre, Luftkissen, Seilwinden, sorgfältig abgegrenzte Areale, Gerüste. Unzählige Bruchstücke von gewaltigen Statuen, sorgfältig auf Paletten gelagert. Deck, Staub, Lärm, feinsäuberlich ausgehobene Gräben unter schattenspendenden Planen, Sonnenschirme, unter Zelten große Tische voll mit ausgegrabenen Fragmenten, um die hundert Leute, die geschäftig in der Erde gruben. Andere hievten mit schierer Muskelkraft und lauten Gesängen mit Hilfe archaisch anmutender Gerüste, Holzstämmen und Seilen - wie einst im alten Ägypten – vorsichtig tonnenschwere Bruchstücke großer Statuen aus dem Boden. Ein einziger großer wimmelnder, lärmender Ameisenhaufen.

„Willkommen im überhaupt größten, je in Ägypten gebauten Tempel. Das fast dreihundertneunzigtausend Quadratmeter große Haus der Millionen Jahre von Pharao Amenophis dem Dritten erwartet dich!“ Anna zupfte an seinem Hemd, „Andrea!“, rief sie, „Wie weit seid ihr? Komm“, sie zog ihn weiter, „wir haben ihn bald draußen. Das mußt du dir ansehen!“

Andrea, mit Pinsel und Schippchen bewaffnet, steckte den Kopf aus dem gewaltigen, viereckigen Loch im Boden. „Er ist wunderschön! Hey Süße! Krone, Nemestuch, Uräus, Gesicht! Alles intakt. Bete, daß er ganz ist! Hoffentlich hast du den Kaffee nicht vergessen!“

Anna bewunderte die halb im Boden steckende schwarze Statue. „Er ist perfekt! Wann wollt ihr ihn rausholen?“

„Spätestens übermorgen. Muß erst den trockenen Schlamm abkriegen. Wie zu hart gebacken. Gleich wird das Gerüst aufgestellt. Willst du dabei sein, wenn wir ihn holen??“

„Das laß ich mir doch nicht entgehen!“

„Ich fand noch was anderes. Das ist ungewöhnlich. Letzte Woche, hinten, am Ende des Grabungsfeldes. Scheint eine Kapelle gewesen zu sein, drum rum ein Garten. Fand Holzreste, wie von Bäumen und Bruchstücke von Verputz. Konnte Ptah entziffern. Wenn er hier geborgen ist, kümmere ich mich.“

„Hört sich spannend an! Das ist Raphael, lud ihn ein, mit uns zu frühstücken.“

„Hey!“ Andrea legte ihr Handwerkszeug ab, machte Anstalten, aus dem Graben zu klettern. Raphael hielt ihr die Hand hin, zog sie schwungvoll hoch.

„Holla!“, witzelte sie, „Kannst gleich bei uns anfangen!“

„Ich hab keine Ahnung von all dem alten Zeug!“, raunte er nach einem ausgiebigen, ausführlich erklärten Rundgang später Anna ins Ohr.

„Macht nichts, reicht, wenn ich sie hab!“ Sie rückte den Kuchenteller vor ihn, er schob ihn Andrea hin. „Die kommende Woche wird für mich gemütlich ablaufen. Ich brauch die Zeit immer um mich ein bißchen umzustellen. Nächsten Freitag ist der Erste. Ab Samstag muß ich aber richtig anfangen zu arbeiten. Dann hab ich nicht mehr soviel Zeit.“

„Hast du ihm von der Statue erzählt?“

„Nein!“ Anna tat entrüstet.

„Sie ist unsere Berühmtheit!“, lästerte Andrea, holte sich ein Stück von dem Kuchen, schubste Anna in die Seite. „Fand mir nichts, dir nichts eine Statue! Total abgedreht, das gute Stück. Sowas gabs noch nie bei all den Ausgrabungen. Fast so wertvoll wie Howard Carters Jahrhundertfund! Und geheimnisvoll wie die Sabu-Scheibe. Seitdem läßt Madam, unsere Diva, sich nur noch mit Eure Hoheit anreden!“

„Hör bloß nicht hin!“

„Sogar einen Film haben sie über sie gedreht! Die ist über den roten Teppich! Das hättest du sehen müssen!“

„Mit Mörderschuhen?“

„Aber hallo!“

„Hört doch auf! Ihr seid sowas von kindisch! Das ist ewig her!“

„Und ne Doku haben sie gedreht! Alles wegen dieser Statue. Die steht jetzt in Kairo im Museum. Im Foyer, ganz vorne und zieht ganze Heerscharen an! Demnächst geht sie auf Tour! Auf Welttournee! Wart mal, ich hab n Foto von unserer Diva auf dem PC.“

„Von Anna?“ Er klang belustigt.

„Von der Statue!“ Andrea schaute ihn über den Rand der Brille mit gespielter Strenge an. „Brauchst du nicht! Spar dir den possierlichen Dackelblick. Ich steh nicht auf Kerle! Obwohl du äußerst appetitlich bist!“ Sie rückte ihm dem Laptop hin.

„Wahnsinn! Das hast du gefunden? Die sieht aus wie du!“

„Quatsch!“

„Wenn du mich fragst, Anna, hat er Recht!“

„Ich laß mein Auto nicht da stehen! Fahr mit mir!“

„Ich weiß nicht, Raphael.“

„In diese Blechschüssel setz ich mich nicht länger. Sind fast vierzig Grad. Abartig heute. Komm mit zu mir, Anna, hier auf der Westbank, bei Al Aqaltah, und dann erzählst du mir von deiner Statue, deiner Arbeit und diesem gewaltigen Tempel. Ich hab mir heute extra frei genommen für dich.“

Anna zögerte. Betrachtete den Nil, die Fährboote, das gegenüberliegende Ufer, den Luxortempel, das Winter Palace. Diese Gluthitze! Ihr lief der Schweiß in Strömen am Rücken herunter. „Weißt du“, meinte sie und versuchte ein Lachen, „meine Mama sagte immer, steig nicht zu fremden Kerlen ins Auto.“

„Meiner hat Klima!“ Er legte die Hand auf ihren Oberschenkel, schaute ihr bittend in die Augen. „Es ist doch viel zu heiß, man kann eh nichts mehr unternehmen. Selbst deine Kollegen haben das Buddeln eingestellt.“

„Hast du eine Briefmarkensammlung?“ Ein lauer Scherz.

„Selbstverständlich! Nur für solche Gelegenheiten“, grinste er frech.

„Zeigst du sie mir?“

„Nur zu gerne!“

„Fahr vor, ich komme dir nach.“

Ein Haus mit Kuppeldach, hinter einer hohen Mauer, mitten im Nirgendwo, rundum Felder, Wiesen, Dattelpalmen, Weiden, an einer schmalen, buckligen Straße, mit Blick über den Nil. Gegenüber, in Luxor, das Mövenpick auf seiner kleinen, lauschigen Insel. In der hohen Mauer öffnete sich das Tor zu einer breiten Durchfahrt, einer Garage. Er fuhr weit genug hinein, der Defender paßte noch dahinter. Hinter ihr schloß sich das Tor mit einem dumpfen Aufprall.

„Hier lang!“

Anna meinte, sie klebe auf dem Sitz, sprang aus dem glühendheißen Auto, folgte ihm durch die Garage und der dortigen Tür. Fand sich in einem mit Schilfrohrmatten überdachten, schattigen Innenhof wieder. Ein plätschernder Springbrunnen, eine gemütliche Sitzgruppe, Couch, zwei Sessel, ein Tisch mit einem Windlicht, in der Ecke ein Grill. Eine Bougainvillea rankte sich üppig blühend an einem Spalier hoch, blühender, weißer Oleander in großen Tontöpfen. Neben der Terrasse ein Pool, zum Teil überdacht, Palmen und ein Blick in den anschließenden Garten.

Ein Traum! So wollte ich immer wohnen! Wie wunderschön!

Anstandshalber zog sie die staubigen, sandigen Stiefel von den Füßen. Raphael hielt ihr die Haustür auf und sie stand mitten im weiß verputzen Wohnzimmer mit seinem Kuppeldach, von dem eine bunte, schmiedeeiserne Laterne herunterhing. An den Fenstern halb heruntergelassene Rollos, sanftes Dämmerlicht, angenehme Kühle gegenüber der Hitze draußen, überall