Sachmet Der Zorn des Seth - Katharina Remy - E-Book

Sachmet Der Zorn des Seth E-Book

Katharina Remy

0,0

Beschreibung

2011 AD: Luxor, Ägypten Anna versucht mit Raphael in ihrem Haus in Saarbrücken eine schöne Zeit zu verbringen, aber das gelingt ihr nicht wirklich. Denn immer noch von Rachegelüsten getrieben, will Raphael schnellstmöglich nach Luxor zurück um an seinem Peiniger Vergeltung zu üben. Anna, geplagt von den Erinnerungen an die Vergangenheit, findet ebenfalls keine Ruhe. Georgs unverhofftes Auftauchen macht die angespannte Situation nicht unbedingt leichter ... Zurück in Ägypten bekommt Anna ein neues Betätigungsfeld, Kom el Hettan ist nicht mehr ihr Ausgrabungsort. Sie soll in Deir el Medine tätig werden, jenem Ort, wo sie einst in der Felsenkammer die Statue gefunden hat! Jene düstere, unheimliche Kammer, in der sie vier Monate zuvor etwas unaussprechlich Grauenvolles getan hatte, jener Raum, der seit dreitausenddreihundert Jahren verflucht ist ... 1385 v. Chr.: Uaset, Kemet Nach wie vor trauert Bent um ihre große verlorene Liebe, die einst von Sachmet geraubt wurde. Doch die unverhoffte Begegnung mit einem rätselhaften Fremden veranlaßt sie nach langer Zeit Ranofer wieder zu treffen. Auf seinen weisen Rat hin sucht sie mit ihm Pharaos Heeresverwaltung auf und Ranofer überredet Bent anschließend zu einem tollkühnen Abenteuer: Zu einer Reise auf dem Nil! Von Uaset bis hinunter in das entfernte Swenu führt ihr Weg, hinein in unbekannte Regionen, zu fremden Städten und prächtigen Tempeln. Bent lernt Kemet, Das Schwarze Land, mit seiner betörenden Schönheit auf eine völlig neue Weise kennen. Und sollte auf dieser Reise ihrer beider Liebe tatsächlich erneut aufflammen, Ranofer wieder zu ihr finden? Doch schließlich, nach einigen abenteuerlichen Begegnungen in Swenu angelangt, steht Bent vor einer der größten Herausforderungen ihres Lebens. Nach der aufregenden Zeit in Swenu, noch während der Rückfahrt, setzt Bent sich mutig mit Ranofer und ihrer düsteren Vergangenheit auseinander. Zurück in Uaset beschwört die Herrin des Isistempels ein gnadenloses Gottesurteil, nimmt Blutrache an all jenen, die sich einst an ihr versündigten ...

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 373

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



2011 AD:

Luxor, Ägypten

Anna versucht mit Raphael in ihrem Haus in Saarbrücken eine schöne Zeit zu verbringen, aber das gelingt ihr nicht wirklich. Immer noch von Rachegelüsten getrieben, will Raphael schnellstmöglich nach Luxor zurück um an seinem Peiniger Vergeltung zu üben. Anna, geplagt von den Erinnerungen an die Vergangenheit, findet ebenfalls keine Ruhe. Georgs unverhofftes Auftauchen macht die angespannte Situation nicht unbedingt leichter …

Zurück in Ägypten bekommt Anna ein neues Betätigungsfeld, Kom el Hettan ist nicht mehr ihr Ausgrabungsort. Sie soll in Deir el Medine tätig werden, jenem Ort, wo sie einst in der Felsenkammer die Statue gefunden hat! Jene düstere, unheimliche Kammer, in der sie vier Monate zuvor etwas unaussprechlich Grauenvolles getan hatte, jener Raum, der seit dreitausenddreihundert Jahren verflucht ist …

1385 v. Chr.:

Uaset, Kemet

Nach wie vor trauert Bent um ihre große verlorene Liebe, die einst von Sachmet geraubt wurde. Doch die unverhoffte Begegnung mit einem rätselhaften Fremden veranlaßt sie nach langer Zeit Ranofer wieder zu treffen. Auf seinen weisen Rat hin sucht sie mit ihm Pharaos Heeresverwaltung auf und Ranofer überredet Bent anschließend zu einem tollkühnen Abenteuer: Zu einer Reise auf dem Nil!

Von Uaset bis hinunter in das entfernte Swenu führt ihr Weg, hinein in unbekannte Regionen, zu fremden Städten und prächtigen Tempeln. Bent lernt Kemet, Das Schwarze Land, mit seiner betörenden Schönheit auf eine völlig neue Weise kennen. Und sollte auf dieser Reise ihrer beider Liebe tatsächlich erneut aufflammen, Ranofer wieder zu ihr finden? Doch schließlich, nach einigen abenteuerlichen Begegnungen in Swenu angelangt, steht Bent vor einer der größten Herausforderungen ihres Lebens. Nach der aufregenden Zeit in Swenu, noch während der Rückfahrt, setzt Bent sich mutig mit Ranofer und ihrer düsteren Vergangenheit auseinander.

Zurück in Uaset beschwört die Herrin des Isistempels ein gnadenloses Gottesurteil, nimmt Blutrache an all jenen, die sich einst an ihr versündigten …

Die Autorin:

Ich bin im Saarland (Deutschland) geboren, lebe in der Nähe von Saarbrücken und bin verheiratet. Reisen – nicht nur nach Ägypten – sind unsere Passion.

Das Land am Nil ist seit Jahrzehnten das Reich meiner Leidenschaften und Träume. Um diese versunkene Kultur, den Glanz der Pharaonen in all ihrer Pracht vor meinen Augen erstehen zu lassen, begann ich mit dem Schreiben. Die Lebens- und Denkweise der alten Ägypter, ihr unerschütterlicher Glaube an die Götter und an Maat, die alles im Gleichgewicht hält, ist das, was mich inspiriert und all meinen bereits erschienenen Romanen Leben einhaucht.

Wir kamen aus der Dämmerung der Zeit und wanderten unerkannt durch die Jahrhunderte. Verborgen vor den Augen der Welt, kämpften und trachteten wir danach, die Zeit der Zusammenkunft zu erreichen …

(Juan Sánchez Villa-Lobos Ramírez)

Das altägyptische Zeichen für verbinden, VerbundenheitEs steht hier für meine Verbundenheit mit Jürgen, meinem Mann, der mich in meiner kreativen Phase während des Schreibens möglichst in Ruhe gelassen hat. Anschließend hat er sich meinen Text vorgeknöpft :-) Und es steht für die Verbundenheit mit Elke Bassler, die mir ein weiteres Mal ein anmutiges, betörend schönes Bild für ein fantastisches Cover gezaubert hat! Danke ihr zwei! Was würde ich nur ohne euch machen!

Die Richter, die den schuldigen richten Du weißt, daß sie nicht milde sind an jenem Tag, an dem sie über die unglücklichen Gericht halten, in der stunde, da sie ihre Pflicht tun

(Aus dem Amduat)

Inhaltsverzeichnis

PROLOG

DEUTSCHLAND, SAARBRÜCKEN

KEMET, UASET

ÄGYPTEN, LUXOR

PROLOG

Ägypten, Luxor

01. Juni 2011 A.D.

„Was machen Sie mit dem Herz, wenn Sie es haben?“ Anna schaltete einen Gang höher, betrachtete mit einem flüchtigen Blick die Frau auf dem Beifahrersitz. Diese wirkte mit ihrem Kopftuch, ihrer langen Bluse, den flachen Sandalen und der Leinenhose auf einmal so gewöhnlich; weniger bedrohlich.

„Ich werde es zerstören“, raunte sie unheilschwanger.

„Oh! Ja! Na prima! Dafür daß es über drei Jahrtausende unbehelligt in der Figur schlummern durfte!“ Zornig stieg Anna in die Eisen, der alte Defender kam rumpelnd zum Stehen; Spaten, Besen, Kehrschaufel und anderer Krempel auf der Ladefläche rutschte scheppernd nach vorn, hinter ihnen wurde gehupt und geschimpft. Vorsichtig fuhr Anna an der einsamen Kalesche vorbei, lenkte den alten, schwergängigen Karren in die Einfahrt vom Winter Palace. „Und ich in meiner Naivität glaubte, Sie verstecken es in einem bunkerartigen temperierten Keller hinter Panzerglas, sinken davor in einen Sessel, im Glas ein Mouton Rothschild von 1945 oder ein Château Latour von 1961. Was für ein Genuß!“ Der Spott troff nur so von Annas Lippen.

„Was ist das?“

„Du kannst mich…“, zischte Anna wütend, „Rotwein.“

„Nein! Keinen Wein. Wenn, dann hin und wieder ein Glas.“ Die schnurrende, heisere Stimme ging Anna durch Mark und Bein. „Ich werde seinen Inhalt trinken, es anschließend zerstören. Und ich werde endlich frei sein! Niemand sperrt mich mehr ein!“

„Und Sie sind sicher, daß bei Ihnen da oben alles in Ordnung ist?“ Anna tippte sich an die Stirn. „Sie können doch nichts trinken, was… ach, was rege ich mich auf! Wo ist er? Sehen Sie ihn?“

„Nein.“

„Er wird nicht weit sein. Vielleicht ist er zu den Fähren unterwegs. Nachts ist er drüben. Er wird sich bereits auf den Weg gemacht haben.“ Anna setzte den Blinker, gab Gas, scherte aus, fuhr über die Einfahrt vom Hotel Richtung Fähren. Vergeblich, der Alte hielt sich weder an den Anlegern auf noch bettelte er die wenigen Touristen dort an.

„Warten Sie!“ Anna zog die Handbremse, stieg aus. „Ali!“ Der Fährmann winkte ihr. „Hast du den Bettler, den Geist gesehen?“

„Der ist eben übergesetzt!“

„Danke!“ Anna stieg wieder ein, knallte die Tür zu. „Wir müssen ihn drüben abfangen. Wie er schlurft, werden wir ihn nicht verpassen.“ Schweigend fuhr Anna Richtung Brücke, auf der Westbank über die Schnellstraße.

„Es tut mir leid, was ihrem Gefährten passiert ist“, bemerkte ihre Begleiterin, als sie in die Nähe von Malkatta kamen.

„Er kann unmöglich schon bis hierher zu Fuß gelaufen sein“, gab Anna zur Antwort. „Er kann höchstens bis zu den Kolossen…“

„Das hätte nicht passieren dürfen…“

„Sei still! Erwähne es nicht!“, giftete Anna. „Was geht dich mein Liebhaber an? Was geht dich mein Leben an! Ich brauch dein Geheuchel nicht!“

„Du weißt nicht, wer ich bin!“

„Es interessiert mich nicht im geringsten! Du kannst froh sein, daß ich nicht die Polizei eingeschaltet habe. Du hast ihn doch auf Mister Ney angesetzt! Du hast ihn doch auf Frau Schwab und Frau Marquard losgelassen! Um mir deine Macht über mich zu demonstrieren, damit du an mich herankommst, damit du das Herz haben kannst! Warum willst du nicht gleich die ganze Figur? Warum nur ein Teil davon?“

„Die Statue dient nur als Versteck. Das Herz gehört nicht zu der Statue. Es wurde erst später in ihrem Inneren verborgen. Erinnerst du dich?“

„Du gehst mir auf den Nerv mit dieser Frage!“

„Du hast es mit dem Baumeister dort versteckt, nachdem du erfahren hast, daß die Hemet Nesut Weret tot ist und der junge König nicht das ist, wofür er sich ausgibt.“

Anna beugte sich über das Steuer, lachte lauthals und gehässig. „Also ehrlich! Meines Erachtens sind Sie nicht ganz dicht im Oberstübchen!“

„Er leugnete die Götter!“, fauchte die Dame, „Genau wie du!“ Böse schlug sie auf das Armaturenbrett; die Worte laut wie Donnerhall. Anna zuckte vor Schreck kurz zusammen. Das alte Plastik der Innenverkleidung zeigte tiefe Schrammen.

„Ey, du Miststück! Wenn du diesem Auto noch einen Kratzer beibringst, lernst du mich kennen! Ich schmeiß dich achtkantig raus! Hast du mich verstanden?“

„Sie wohnt immer noch in dir! Diese Wut, dieser Zorn! Ich tat gut daran! Das hält dich aufrecht!“

„Ach halt doch die Klappe!“

„Da vorn ist er!“

Tatsächlich. Der Alte saß zusammengesunken auf der kleinen Treppe auf dem Platz vor den Memnonkolossen, betrachtete anscheinend gedankenversunken die gewaltigen Statuen von Pharao Amenophis, den nahenden Sonnenuntergang und das Westgebirge. Anna hielt auf dem Parkplatz.

„Er kann sich nicht lösen. Es ist alles, was er kennt. Die Welt wie sie jetzt ist, ist ihm fremd. Niemals hat er versucht, sie anzunehmen. Und weil er so ist, wie er ist, wird er niemals Friede finden. Das, was er errichtet hat, sollte für ihn Bestand haben. Doch er findet nur Ruinen vor.“

„Soll ich ihn auch noch bedauern?“

„Vielleicht.“

„Pah!“, schnaubte Anna verächtlich. „Er ist ein mehrfacher Mörder!“

„Er war auch einst ein Kind, das von seiner Mutter geliebt wurde.“

Anna schaute ihrer Begleiterin konsterniert ins Gesicht. „Das ist nicht Ihr Ernst?“

„Nein. Aber man sollte nicht bloß in eine Richtung denken. Er war einst gut. Vor langer Zeit. Unschuldig im Herzen, als er das Licht der Welt erblickte, bis etwas geschehen ist, das ihn bösartig werden ließ. Vielleicht sollte man dieser guten, unschuldigen Seele in ihm verzeihen?“

„Verzeihen?“

Fassungslos starrte Anna durch die Windschutzscheibe, sah im Geiste Raphael im Dreck der Straße liegen, sein Blut das aus ihm herausfloß, im Staub unter ihm eine große Lache bildend, es klebte an ihren Händen, ihren Kleidern und sie konnte es nicht aufhalten... Dieser große, starke Mann schwach und hilflos, verblutend… Und Karen! Ihre Freundin. Diese liebe, taffe, erfolgreiche Frau… Alex in seinem grauenvollen Schmerz um die tote Gattin… Frau Marquard, wenn ich sie auch nicht gekannt habe… alle hingemetzelt durch seine Hand, sein Messer, seinen mörderischen Absichten… Wie brodelndes Gift stieg in Anna die heiße Gier der Blutrache hoch…

Und mein Kind!

Was?

Anna wischte sich über die Augen, schaute in den Rückspiegel, betrachtete zweifelnd ihr Gesicht.

Was mache ich hier? Und wer ist diese Frau? Was habe ich mit ihr zu schaffen? Am besten, ich laß sie aussteigen und fahre zurück. Ich will nach Hause! Ich hasse Ägypten! Ich hasse dieses Frühjahr! Hasse was ich tue! Ich nehme Raphael, wenn er aus dem Krankenhaus entlassen wird, und fahre mit ihm nach Hause!

Sie wischte ein bißchen verschmierte Wimperntusche unter dem Lid weg, zuckte erschrocken zusammen.

Ihr Gesicht!

Eine vom Feuer zerstörte Fratze! Heruntergezogene wimpernlose Lider und Mundwinkel, die Wangen, der Hals; alles voller schlecht verheilter, grober wulstiger rosafarbener Brandnarben. Mit einem entsetzten Schrei faßte Anna ihre glatten Wangen an.

Ich bin eine vollkommen unberechenbare Irre

„Erinnerst du dich?“

„Laß mich in Ruhe!“

„Willst du immer noch, daß ich dir helfe?“ Sie legte sich das Kopftuch wie einen Hidschab vor das Gesicht, öffnete die Tür, machte Anstalten auszusteigen.

„Tju!“

„Er wird mitkommen. Ich frage ihn.“

Tatsächlich stieg der alte Mann umständlich hinten in den Defender, ließ sich ächzend auf der Sitzbank nieder. Anna betrachtete ihn im Rückspiegel, schüttelte sich vor seinem Schmutz, seiner Verwahrlosung, meinte seinen Gestank keine Sekunde länger zu ertragen.

„Der Duft der Straße, Weib“, grunzte er abfällig. „Mir wäre ein anderer Duft auch lieber. Hast du alles dabei, was zu so einer Zeremonie gehört? Ist wohl alles in dem Rucksack da. Senetscher? Antiu? Kyphi? Einen Räucherarm? Wenn alles entzündet ist, riecht es gleich angenehmer. Aber ich sehe hier nichts. Auch kein Sechem.“

„Was soll ich mit einem Sistrum?“, krächzte Anna unwirsch.

„Ein heiliges Gerät.“

„Heiliger Strohsack! Wir können gern wieder dreitausend Jahre warten bis es dem hohen Herren genehm ist!“

„Nein Frau.“

„Oh! Vom Weib zur Frau! Bin ich jetzt geadelt? Kannst auch anständig.“

Er gab keine Antwort, brummte sich was in den ungepflegten dünnen Bart.

„Es ist alles vorbereitet. Dort, wo wir den Fluch von dir nehmen werden, Amenhotep, Sohn des Hapu!“, schnurrte es so unheilvoll, daß Anna eine Gänsehaut bekam.

Schauerlich scheppernd und knarzend öffnete sich das dunkelrot angestrichene, solide Eisentor unter dem Felsvorsprung. Schaudernd betrachtete Anna kurz darauf die kleine, kaum zwei mal zwei Meter große Felsenkammer. Sand am Boden, die mit Zement geflickte, grob aus dem Felsen gehauene Decke, die damals, als die Kammer gefunden wurde, halb herunter gekommen war. Die beiden offenen Türflügel mit ihren bunten Hieroglyphen. Die zweite Kammer, eher eine Nische, säuberlich ausgearbeitet, etwas kleiner, die Rückwand geformt wie ein Anch … Hier stand einst die Statue! Dreieinhalb Jahrtausende lang …

Draußen wandelte die rasche Dämmerung sich in die Dunkelheit der Nacht, der mondlosen Neumondnacht.

„Wo sind wir hier?“, nölte der Alte. „Set Maat, der Ort der Weltordnung. Ein Platz für niedere Arbeiter!“

„An einer heiligen Stätte!“, knurrte Anna, räusperte sich, hielt die Stablampe hoch, wies mit dem Kopf zur zweiten Kammer daß er hineinginge.

„Heilige Stätte? Hier?“ Er verstummte, bemerkte die Besonderheit der kleinen Kammer. „Anch“, hauchte er, beinahe überwältigt, „sowas habe ich noch nie gesehen! Und ich habe viel in meinem Leben gesehen.“

„Dann schauen Sie es sich an. Hier draußen, diese einfache Höhle, das ist nicht der passende Ort für ein erhabenes Ritual. Aber diese Kammer …“

„Bemerkenswert!“, lobte Amenhotep als er den kleinen Raum betrat. „Das Zeichen des Lebens! Würdig der Zeremonie! Ja, ich bin einverstanden. Aber sag mir, wer hat das gemacht?“ Er trat neugierig näher an die polierte glatte Wand, strich bewundernd mit der Hand darüber. Im Licht der Taschenlampe schimmerte der glattpolierte Kalkstein wie wertvolles Elfenbein.

„Ein Bildhauer von Gottes Gnaden. Ein wahrer Künstler!“, versuchte Anna einen freundlichen, schmeichelnden Tonfall, schob einen der massiven schweren Türflügel geräuschlos zu, „Es ist ein Wunderwerk an Steinhauerkunst“, und verkeilte einen flachen, hohen Stein in der tiefen Rille am Boden. „Die Türen sind einmalig ausbalanciert.“

Der Alte drehte sich um. „Sie schwingen erstaunlich leicht und leise in den Zapfen!“

„Baumeister Bek gab sich alle Mühe!“, schnurrte es drohend.

„Wer?“

„Dein Cousin! Und er versteckte die Statue hier drin! Die Statue jener Frau, der du das Leben und die Liebe gestohlen hast! Weswegen du heute hier bist! Du sollst wissen, warum!“

Der alte Mann machte einen unbeholfenen eiligen Schritt vor, als dämmere ihm, was nun kommen würde.

„Wage es nicht, auch nur einen Schritt zu machen!“ Anna hielt Raphaels Waffe in der Hand, zielte damit auf ihn.

„Das würdest du nicht wagen!“, lachte der Alte gehässig. „Nicht in dieser engen Kammer!“

„Nimm das runter, Tochter der Sachmet! Er weiß, was kommt!“ Die Frau zog sich den Schleier vom Kopf, schaute den alten, im panischen Schrecken erstarrten Mann an. „Er kennt mich! Er weiß, daß ich nicht verhandele!“

„Sechemet!“, krächzte er, aschfahl im Gesicht, rückwärts taumelnd, von Grauen gepackt, vor Entsetzen einer Ohnmacht nahe.

„Ja! Das ist mein Name! Und du stehst außerhalb der Maat. Du hast in all den Jahren nichts dazugelernt! Hast die Jahrtausende nicht genutzt um dich zu ändern, deinem Schicksal eine Wendung zu geben. Denke über dein sinnloses Dasein nach und ob du daran was ändern willst, denn sterben kannst du ja nicht. Aber von heute an wirst du niemanden mehr töten, niemals mehr Böses tun, keinen Schaden mehr anrichten! Ich allein bin die Wahrheit und die Gerechtigkeit!“

„Nein!“, kreischte er in Todesnot. „Mach das nicht…“

Der zweite Flügel schloß sich lautlos, der verkeilende Stein rutschte an seinen Platz …

Stille

Nicht das kleinste Geräusch.

Anna würgte es tückisch in der Kehle, sie hastete hinaus, übergab sich, kotzte grüne Galle in den Sand, sank neben dem Eingang ins Geröll, kramte aus dem Rucksack eine Flasche Mineralwasser, schüttete sich davon in die Hand, wusch sich das Gesicht, spülte den Mund, spuckte die Brühe im hohen Bogen von sich, starrte in die Dunkelheit. Nach einer Weile erhob sie sich mit weichen Knien, betrat die Felsenkammer ein zweites Mal.

Drin legte sie die zitternde Hand auf die Wand mit dem grauenvollen Fluch, fuhr mit dem Finger über die Hieroglyphen, hielt über dem Namen Bent Wenemet inne, „Das Grab meiner Liebe“, flüsternd. „Mir ist, als wäre ich schon einmal hier gestanden und hätte angstvolle, voller Grauen ausgestoßene Schreie gehört! Ich höre ihn da drin schreien! Das halte ich nicht aus! Das kann ich nicht verantworten! Wie soll ich mit dieser Schuld leben?“

Verstört betrachtete sie die zum Teil zerstörten Hieroglyphen außen auf der, jetzt wie eine harmlose Scheintür wirkenden Wand:

Ich, Sohn des Men..., B.., Ba...ister, Bildhauer, im Amt des Herrn, Er hat mich berufen und mich zu dem gemacht, was ich heute bin..., unser guter Gott A...otep-Neb-Maat-Re, möge er ewig leben und jung bleiben, Leben, Glück, Gesundheit. Und seiner großen königlichen Gemahlin Teje..., auch ihr Leben, Glück, Gesundheit… ich klage ihn an! Ich hasse ihn! Er hat sie mir genommen! Amenhotep, Sohn des Hapu, für alle Zeiten verfluche ich dich! Du bist schuld… Elend! Möge dein Geist niemals Ruhe finden! Millionen von Jahren sollst du umherirren. K...en Frieden sollst du finden. Denn du hast zerstört… ist. Dies hier habe ich gemacht… für die, der der Gott sich nähert. Für die Tochter der Blüten. Es ist das Grab meiner Liebe, der Ort meiner Schmerzen und meiner nicht enden wollenden Qual…

Anna griff nach der Lampe, hielt sie dicht an die Hieroglyphen.

„Baumeister Bek? Das ist der Name! Ja, Bek, es heißt Bek! Sahu-Re? Wieso ist mir das noch nie aufgefallen? Die der Gottvater nahe ist? Anna, die von Gott begnadete! Wieso steht mein Name da? Was ist das hier? Er soll mit seinem Schreien aufhören! Mach, daß das aufhört!“

„Kein Ton dringt heraus! Die Türen sind meisterhaft gearbeitet.“

Anna schaute im Licht der Stabtaschenlampe der Frau ins Gesicht.

„Ich bin Anna! Ich kann das nicht verantworten!“

„Ich werde nichts sagen, dich nicht verraten“, schnurrte sie leise, trat den verkeilenden Stein in der Rille fest. „Er wird nie wieder hier herauskommen. Und jetzt Anna, gib mir das Herz!“

„Ich kann Ihnen das Herz nicht geben. Ich muß dazu im Luxor-Museum die passende Gelegenheit abwarten. Sie müssen mir Zeit lassen!“

„Ich habe keine Zeit! Der Blutmond wird kommen und dann ist es zu spät!“

Laut donnernd knallte das Eisentor wie von Geisterhand zu, die vollkommene Düsternis von der Taschenlampe erhellt, deren Licht sich unheimlich in den Augen der Frau spiegelte. Grün, schillernd, wie das Tapetum lucidum eines Raubtieres. Vergebens rüttelte Anna an dem Tor.

„Machen Sie die Tür auf! Sofort!“

„Du weißt nicht, wer ich bin!“

„Das ist mir egal! Gehen Sie beiseite! Öffnen Sie auf der Stelle die Tür!“

„Du hast ihm geglaubt, sonst hättest du ihn nicht hier eingesperrt!“

„Ich habe ihn hier eingesperrt, weil er ein Mörder ist! Aber ich werde ihn wieder herauslassen! Mit so einer Schuld kann ich nicht leben! Ich bin keine Mörderin!“

„Du hast ihn hier eingesperrt, weil er unsterblich ist! Und ich habe diesen Fluch über ihn gelegt! Es ist auch meine Schuld! Und das verbindet uns“

„Sie sind doch nicht bei Trost!“

„Bent Wenemet! Tochter der Blüten! Dein Name steht an dieser Wand! Sahu-Re! Die, der der Gott nahe ist! Dein Name steht da an der Wand! Er hat keinen Frieden gefunden! Er ist jener, von dem hier die Rede ist! Er ist jener, dem dieser Fluch gilt!“ Worte wie Donnerhall. Sie dröhnten in der kleinen Kammer unerträglich in Annas Ohren.

„Das kann nicht sein!“

„Ich habe den Fluch über ihn gelegt, weil er meiner Dienerin auf Erden Böses angetan hat! Grundlos! Er hat sie vergewaltigt, ihr Kind umgebracht, ihr Haus abgebrannt! Sie erniedrigt, gedemütigt! Glaubte ihn Demut zu lehren! Doch er ist uneinsichtig, verstockt!“

„Dienerin auf Erden! Pah! Reden Sie doch keinen Stuß! Zuviele Fantasy-Filme gesehen, hä? Machen Sie sofort die Tür auf…“ Und Anna blieben vor Grauen die Worte im Halse stecken …

Das Licht der Taschenlampe flackerte wie die Flamme einer Kerze im Wind, rotes Licht verbreitend, rot wie Blut kroch es über die Wände, tauchte alsbald die gesamte Kammer in eine Blase aus Blut! Langsam und bedächtig sank die Frau an dem roten Tor zu Boden, in all den Dreck und Staub, „Ich bin Sat Re Nebet Sedau“ grollend, „Und du solltest mich nicht in all meiner herrlichen Schrecklichkeit sehen! Doch die Zeit in der du lebst, hat dich unempfänglich gemacht gegenüber den Gottheiten… vielleicht glaubst du jetzt!“ Sie legte sich lang hin, auf die Seite, elegant, wie eine schöne Frau auf einem Diwan, stützte sich auf einen Arm; draußen schien heißer Wind aufzukommen, heulend und pfeifend schickte er mißtönende Laute durch die Ritzen der Tür, schickte wabernden Dunst unter dem Eisentor in die kleine, blutrot leuchtende Kammer, irgendwo zirpte eine Heuschrecke.

„Der Mond steht nicht am Himmel in dieser Nacht, Thots Auge wird nicht auf mir ruhen. Er wird nicht sehen, daß ich mich offenbare. Du sollst dich erinnern, du sollst wissen, warum ich das Glasherz brauche und ich werde dir dabei helfen!“

Anna drückte sich an die steinernen Türen mit den heiligen Gottesworten, schaute mit Entsetzen einer grauenhaften Metamorphose zu. Erblickte bei klarem Verstand wie die Frau sich allmählich in eine leibhaftige, gewaltige Löwin verwandelte! Hörte glasklar die Worte aus dieser rauhen Kehle …

„Dein Name war Bent!“, dumpf und kollernd, wie die Rufe von Löwinnen in der Savanne, tief ins Mark treffend, „Dein Name war Sahu-Re! Du warst Isis Dienerin auf Erden! Du warst meine Dienerin auf Erden! Uaset war deine Stadt! Sie hat dich zurückgerufen! Die Zauberreiche! Die Herrin allen Lebens! Und du, Anna, wirst mir, Sachmet, Die Mächtige, Tochter des Re, Herrin der Angst jetzt zuhören …

DEUTSCHLAND, SAARBRÜCKEN

Samstag, 18. Juni 2011 A.D.

„Na? Bereit für ein paar Schandtaten?“

„Wofür?“, lachte Raphael, reichte Anna das schmutzige Frühstücksgeschirr herüber.

„Du hast dich lange genug ausgeruht und Trübsal geblasen, meinst du nicht? Die ganze Woche rumgesessen, vor dich hingestarrt, in den Garten gestarrt, sogar in den Fernseher gestarrt. Heut unternehmen wir mal was. Und ich habe am späten Vormittag den Termin in dem Tattoostudio. Mach dich hübsch und dann ab!“

„Dresscode?“, fragte er ironisch.

„Nein! Aber eben hübsch. Da, mach die Tabs in den Spüler. Ich verschwinde mal im Bad.“

Als sie zurückkam erntete sie einen scharfen, bewundernden Pfiff.

„Wow, Lady! So kenn ich dich noch nicht!“

„Cool, was?“ Anna zupfte an der dunkelgrauen, engen Stone-Washed-Jeans und an der weißen Bluse, schlüpfte in die schwarze Bikerjacke, schloß die Terrassentüren, betätigte maulend den Schalter für die großen Rolläden. „Das nennt sich Sommer! Ist das kühl!“

„Nee, heiß! Und erst diese Schuhe!“

„Du bietest aber auch einen netten Anblick!“ Sie griff an der Garderobe nach dem weißen Schal und ihrer Handtasche. Und er schaffte es mal wieder mit seinem unverschämt süßen, verlegenen Lächeln Anna völlig aus dem Konzept zu bringen.

„Hübsch genug?“, fragte er, breitete die Arme aus, drehte sich einmal.

Sie bewunderte ausgiebig seine eng sitzende Jeans, das blütenweiße, nicht ganz zugeknöpfte Hemd und das schwarze Sakko, klatschte ihm frech eine auf den knackigen Hintern.

„Lecker!“

„Brauchen wir ein Taxi?“

„Wozu?“

„Hast du nicht gesagt, du hast gar kein Auto?“

„Ich hab auch keins!“ Sie sperrte die Tür auf, die von der großen Diele in die Doppelgarage führte, wedelte ihm mit einem Schlüsselbund vor der Nase. „Komm!“

„Nochmal Wow!“ Raphael blieb abrupt baff in der Tür stehen. „Ein Mach 1, V8!“, flüsterte er ehrfurchtsvoll und ging bewundernd um das Auto rum.

„Für mich ist es ein schwarzer Mustang!“

„1969, Fastback! Cobra! Zweihundertfünfzig PS!“

„Ach? Du kannst doch noch reden?“

„Wie geil ist das denn? Was für eine unglaubliche Schönheit!“

„Praktisch, wenn der Herr des Hauses auszieht und sein Auto vergißt, weil er ein neues Spielzeug bestellte. Er hat‘s Pferdchen tatsächlich vergessen mit nach Berlin zu nehmen. Später meinte er, er stünde gut da in der Garage. Gut daß mein Hausmeister immer nach ihm schaut.“ Anna ließ das elektrische Garagentor hochfahren, sperrte hinter sich die Tür zu, warf ihm dem Schlüssel zu.

„Der wilde Hengst ist fahrbereit. Du fährst!“

„Wenn du dich das traust!“, grinste er. „Das meintest du mit Schandtaten!“

„Das Pferdchen hat dir ein unglaublich süßes Lächeln ins Gesicht gezaubert. Allein das war es wert!“ Sie schlug die Tür zu, schnallte sich an. „Am Ende der Straße rechts rum, Richtung Autobahn. Ist dort schon ausgeschildert.“

Andachtsvoll gab Raphael Gas, der Motor dröhnte in der Garage, als könne er es kaum abwarten. „Wo willst’n hin?“, witzelnd, „Mit dem Fingerhut Benzin im Tank kommst du nicht weit.“

„Kurz vor der Auffahrt ist eine Tanke. Dreißig Liter reichen.“ Sie ignorierte Raphaels lautes Lachen.

„Hoffentlich hast du ein paar bequeme Schuhe dabei, könnte sein, daß wir ein Stückchen laufen müssen!“

„Dir vergeht dein freches Lachen noch, Süßer. Mach! Gib Gas. Aber denk dran: Dreißiger-Zone!“

„Sag Bescheid, wenn ich abfahren soll!“

„Ja! Mach langsam, hier ist Achtzig und es wird oft geblitzt!“

„Meine Fresse! Da kommt man ja mit einem Dreirad schneller voran! Sag Bescheid, wenn die nächste Tanke kommt.“

„Nur keine Panik!“

„Uh! Hundertzwanzig! Aber die fahren wie die Schweine hier!“

„Die kennen sich ja auch aus.“

„Ah! Endlich. Aufgehobene Geschwindigkeit. Nur in den Genuß komm ich nicht mehr, vorher ist der Sprit alle.“

„Fahr einfach, vertrau mir.“

„Ok!“ Er gab Gas, Anna wurde bei dem Versuch das Radio lauter zu machen zurück in den Sitz gepreßt.

Dont Stop me now

„Yeah!“ Raphael drehte die Lautstärke hoch, zog auf der linken Spur an den anderen Autos vorbei, daß Anna meinte, sie fliege. Sie wagte einen entgeisterten Blick auf das Tacho, krallte sich in den Sicherheitsgurt, schaute den laut mitsingenden Raphael von der Seite an.

„… Yeah, I'm a rocket ship on my way to Mars. On a collision course. I am a satellite. I'm out of control. I am a sex machine ready to reload. Like an atom bomb about to. Oh, oh, oh, oh, oh, explode. I'm burnin' through the sky, yeah…“ Er schaute zu ihr rüber, „Halt mich nicht auf, Babe!“

„Singen kannst du auch noch! Hast du einen Baß! Cool!“

„Für die Badewanne langt’s. Freddies Tonlage ist nicht ganz meine.“

„Macht überhaupt nichts. Das…“

„… I'm burnin' through the sky, yeah. 200 degrees. That's why they call me Mister Fahrenheit. I'm travelling at the speed of light. I wanna make a supersonic woman of you…“

„… geht mir durch und durch.“

Er schaute sie kurz lächelnd an, machte ein Petzauge, legte die Hand auf ihr Knie, schaute wieder auf die Straße.

„Fühl mich wie Steve McQueen!“

„Ok?“

„Bullit. Kommt gut? Was?“, grinste er sie an. Und dann: „Kloschüsseln!“

„Wie bitte?“

„Die Keramikfirma da rechts!“

„Die machen auch Geschirr!“

„Kenn ich nur als Kloschüssel. Denk dran: wir haben begrenztes Flugbenzin an Bord. Reicht nicht bis zum Himmel.“

„Du süßer Spinner!“

„Da vorn ist deine Welt zu Ende, da geht es nach… Wohin? Luxembourg? Da sind Weinberge!“

„Fahr einfach weiter, erste Ausfahrt hinter der Brücke, vor dem Tunnel, danach rechts rum.“

„Mosel. Schengen? Das Schengen?“

„Jo!“

„Meine Fresse! Nichts als Tankstellen!“

Beladen mit Kaffee, Whisky und anderen leckeren Spirituosen, Crémant, Zigaretten und einem vollen Tank cruiste Raphael durch den kleinen Ort, fand unter der Brücke an der Uferpromenade einen Parkplatz.

„Das will ich mir ansehen.“

„Klar, warum nicht.“

Sie spazierten Hand in Hand durch den kleinen Park, betrachteten die wehenden Flaggen der europäischen Staaten, setzten sich auf eine Parkbank, genossen den Ausblick auf die Mosel mit ihren schönen Ausflugsschiffen.

„Wenn du das Schengen-Museum nicht besuchen willst, fahren wir zurück?“ Anna drückte ihre Kippe aus, warf sie in den Mülleimer neben der Bank. „Oder möchtest du dir was in der Gegend anschauen? Nicht weit von hier, auf der deutschen Seite, gibt es eine römische Villa, aufgebaut auf den Resten der Original Mauer, ein Stück weiter weg gibt es einen großen römischen Mosaikfußboden. Auf dem Rückweg, wenn du über Land fährst, liegt die malerische Saarschleife. Und noch Mettlach, mit dem Museum für Kloschüsseln“, spaßte sie.

„Nein.“

„Fall nicht schon wieder in Trübsinn!“

„Ok.“

„Hey!“ Ihr Ton schubste ihn aus seiner Lethargie.

„Ein ander Mal, Süße, wenn es nicht so kühl ist, hm? Ist kein gutes Wetter für Ausflüge.“

„Die Sonne kommt durch! Das ist doch eine faule Ausrede!“

„Ist es.“

Mit einem irren Tempo, als könne er seiner düsteren Vergangenheit davoneilen, raste er schweigend über die Autobahn zurück. Anna saß still neben ihm, bald am Ende ihrer Weisheit.

„Saarlouis City“, sagte sie zu ihm. „Da mußt du raus, mach doch langsam, hier ist Lärmschutz!“

Mit den vorgeschriebenen fünfzig Sachen dröhnte er über die Brücke des Saaraltarms Richtung Innenstadt, hielt bei der roten Ampel an der Kreuzung, betrachtete die grasüberwucherten Kasematten mit ihren dekorativen Kanonen, „Vauban. Festungsstadt“, murmelnd.

„Genau. Woher weißt du das?“

„Sieht man doch. Wo ist der Parkplatz? Ah, ich seh’s. Ein ordentlicher Platz für Paraden.“

„Ja. Und heutzutags für den Wochenmarkt und große Stadtfeste.“ Anna steckte Kleingeld in den Parkscheinautomat, zeigte mit dem Portemonnaie in der Gegend rum. „Da geht es in die Altstadt, da geradeaus ist die Fußgängerzone. Da du nicht mitkommen willst, kannst du dir prima die Zeit vertreiben. Treffen wir uns nachher an der Eisdiele da vorn?“

„Nee, keine Lust zuzusehen, wie du dir die Haut durchlöchern läßt“, neckte er. „Du bist echt ein verrücktes Huhn, völlig durchgeknallt! Ok, Eisdiele…“

„Salü Anna! Schatzilein! Comment vas-tu?“, flötete eine Dame, beladen mit unzähligen Einkaufstüten, fiel Anna überschwenglich um den Hals, drückte sie, küßte sie.

„Yolande! Süßes! Geht’s dir gut?“ Anna drückte zurück, Bussi links, Bussi rechts, Bussi links, Bussi rechts.

„Mais bien sûr! Très bien! Wir müssen uns unbedingt treffen! Kommen eben von der Sauna, und wir waren shoppen, Birgit wartet vorne am Auto, wink mal. Wollen wir gleich zusammen was trinken gehen?“, ungeniert bekam Raphael zwischen dem übermütigen Geschnatter auch seinen Teil der Küßchen ab, „Salü, mon Cher! Oder essen?“

„Ein anderes Mal, Liebes, ich hab gleich einen Termin.“

„Mach‘s gut! Au revoir, ma Chérie. Großer! Wir telefonieren! Dann kommt ihr! Ich stell schon mal den Schampus kalt!“ Schon trippelte sie weiter.

„Ja! Mach das!“ Und an Raphael gewandt: „Eine gute Freundin.“

„Schon klar.“

Anna trat auf die Straße, schritt mit klackernden Hacken flott Richtung Fußgängerzone, fühlte sich zum ersten Mal in ihrem Leben richtig vollständig, genoß die Blicke der Männer, die ihr bewundernd nachschauten. Mit Schwung warf sie sich das lange dunkle Haar über die Schultern, suchte und fand Raphael draußen an der vollbesetzten Eisdiele unter einem der großen Sonnenschirmen sitzend, gelassen das Gewusel der vielen Fußgänger betrachtend.

Wie lässig! Wie außerordentlich attraktiv!

„Ist bei Ihnen noch ein Platz frei?“, scherzte sie, zog sich den Stuhl bei und gehässige, neidische Blicke der rundumsitzenden Frauen auf sich.

„Of course, Lady!“, spaßte er mit, schob ein paar gläserne Schüsseln auf silbernen Tabletts und eine Kaffeetasse zur Seite.

„Die könnten mal den Tisch abräumen. Wenn auch viel Betrieb ist.“

„Das ist alles meins.“

„Was?“, lachte Anna ungläubig.

„Mir ist vielleicht schlecht. Hab bestimmt seit zwanzig Jahren kein Eis mehr gegessen“, feixte er. „Sowas von lecker! Bist du fertig? Tats weh? Zeig mal.“

„Ging so. Gleich, ich brauch jetzt erstmal einen riesengroßen Becher von dem lecker Zeuch! Mit Sahne!“ Sie gab ihre Bestellung auf, drehte sich zu ihm hin, zog den dünnen Schal vom Hals und den Ausschnitt der Bluse ein wenig tiefer. Das „Wow“ blieb ihm im Hals stecken. Als hätte er einen Geist gesehen schaute er Anna an. Unter seiner Sommerbräune schien ihm jegliches Blut aus dem Gesicht gewichen.

„Was ist das?“, flüsterte er entgeistert.

„Was hast du? Ist dir so schlecht?“

„Ich kenne das!“

„Kipp mir bloß nicht wieder aus den Latschen!“

„Was ist das, Anna!“

„Der Name einer ägyptischen Göttin.“

„Ah. Hab’s vielleicht mal irgendwo gesehen. Ich glaub, ich hatte doch zuviel von dem Eis“, versuchte er ein Grinsen. „Sieht gut aus.“

Anna angelte aus ihrer Handtasche das klingelnde Handy, hörte eine Weile aufmerksam zu, stopfte es in die Tasche zurück.

„Ärgerlich!“, grummelte sie. „Eigentlich wollte ich nachher mit dir essen gehen. Hier gibt es unzählige gute Restaurants. Von gut bürgerlich bis raffiniert exotisch ist alles dabei. Aber das war ein Anruf vom DAI, ich muß nach Hause, von dort was über den PC regeln. Scheint dringend und wichtig. Vielleicht wegen meiner Statue oder dem Papyrus.“

„Ok.“

„Hey! Raphael!“

„Hm?“

„Wo hast du deine Gedanken?“

„Du mußt zurück, alles klar. Ich zahl schon mal. Lad dich ein.“

ANNAS HAUS 16:50 UHR

Vorsichtig bugsierte er den laut dröhnenden, wertvollen Oldtimer in die Garage, „Hörst du das auch?“, machte mit einem verwirrten Gesichtsausdruck den Motor aus. „Als wären Leute im Haus?“

„Ach was!“ Anna schnappte ihre Handtasche, stieg aus, öffnete die Tür zum Garten, „Das sind keine Leute, das sind alles liebe Freunde!“, fiel ihm um den Hals, drückte ihn herzlich und liebevoll, küßte ihn zärtlich.

„Alles Liebe zum Geburtstag, mein Schatz! Ich wünsche dir nur das Allerbeste!“

„Was? Woher…“

„Ey! Do sinnse jo!“, brüllte jemand begeistert. Draußen, auf der Terrasse und im Garten Bierbänke, rotkarierte Tischdecken, Sonnenschirme, Bier vom Faß, fetzige Musik, Leute, ein loderndes Feuer unter einem dreibeinigen Grillrost, der köstliche Duft von Gebratenem lag in der Luft.

„Sagte ich nicht, du solltest im Sommer mal da sein! Zum Grillen?“, strahlte Anna ihn an.

„Woher weißt du von meinem Geburtstag?“

„Du solltest mir weiß Gott nicht deine Reiseunterlagen in die Hand drücken, wenn du deine Daten vor mir geheimhalten willst.“

„Am Flughafen? Als ich den Kofferwagen holte?“

„Jepp! Und jetzt feiern wir! Das hast du dir verdient! Komm, das wird ein Spaß!“

Die Nachbarn aus der halben Straße waren geladen, die Freundinnen, die sie eben in Saarlouis getroffen hatten, außerdem Annas Hausmeister und seine Gattin, die heimlich alles gewichtelt hatten.

„Danke, Frau Becker!“, sagte Anna gerade zu ihr. „Das hat prima geklappt! Nein, wirklich, ihr Mann braucht sich nicht allein ums Feuer und das Grillen kümmern! Es sind genug Kerle da! Sie sind Gäste, nicht zum Schaffen hier! Ah, Raphael! Das ist Lex! Hallo mein Schatz, schön, daß du Zeit hast und da bist! Wo ist Helga, Harald?“

In dem ganzen fröhlichen Tumult gabs noch ein lautstarkes, fideles, schräges Geburtstagsständchen.

„Verdammt!“ Raphael war gerührt. „Meine Fresse! Ich kenn die Leute doch gar nicht!“

„Wenn die mit dir fertig sind, kennst du sie!“, neckte Anna. „Von wegen, ich kenne dich nicht, ich bin dir fremd, meine Welt ist dir fremd. Heute ist die beste Gelegenheit, mich mal richtig kennenzulernen! Und jetzt entschuldigt mich, ich muß die Schuhe ausziehen, mir tun vielleicht die Füße weh! Und mich umziehen. Herr Becker, eine Bitte. Würden Sie bitte die Sachen aus dem Auto holen? Den Crémant kaltstellen und die Schnäpschen. Einiges davon werden wir heute abend bestimmt noch brauchen.“

ANNAS HAUS, 17:30 UHR

Anna packte mit an, kramte mit ihrer Haushaltshilfe Frau Becker in der kleinen Küche in dem Anbau neben dem Haus, stellte die Salatschüsseln und Brotkörbe auf die großen Tische, auf denen das Büffet aufgebaut war, schnappte sich ein Brötchen und ein kaltes Bier, ließ sich ein wenig erledigt draußen auf einer der Bänke nieder. Vor sich der große Schwenkgrill mit seinem gewaltigen Feuer. Große Buchenholzscheite brannten allmählich nieder. Ihr knurrte dermaßen der Magen, wurde Zeit, daß das Fleisch fertig wurde. Hungrig knabberte sie an der Semmel, suchte Raphael in den Getümmel. Da kam er, in der Hand ein Bier, bemerkte sie gar nicht, setzte sich ihr gegenüber an die Bank beim Feuer, starrte hinein, machte ein wenig einen verlorenen Eindruck.

„Wer bist denn du?“, lachte er und hob Navajo hoch, der ihm um die Beine strich. „So ein hübsches Kerlchen!“ Schnurrend rollte Nachbars Katerchen sich auf Raphaels Schoß zusammen, genoß die ausgiebigen Streicheleinheiten. Anna wollte gerade zu ihm hingehen, als Alex sich neben ihn setzte.

„Hey“, hörte sie. Lex stieß mit seinem Bier an. „Nochmal Glückwunsch. Lex.“

„Danke. Raphael.“ Navajo fühlte sich in der Zweisamkeit mit seinem neuen ziemlich besten Freund gestört und verzog sich diskret.

„Glück mit dem Wetter, was? Sah heute morgen gar nicht gut aus.“

„Hm.“

„Wenn Anna ne Party schmeißt, klappt das immer“, grinste Alex.

„Partymaus, was?“ Raphael rieb die Narbe an seinem Hals, fuhr sich durch den Nacken.

„Anna? Die hat’s drauf.“ Lex nickte zu ihm hin. „Iss‘n das?“

„Bundeswehreinsatz. Kosovo.“

Schweigen.

Dann: „Noch‘n Bier?“

„Jo.“

„Kennst du sie schon lange?“, fragte Raphael, als Lex mit dem Bier zurückkam.

„Anna? Seit bestimmt… laß mich überlegen… aber dicke seit zwanzig Jahren. Woher kennst du sie?“

„Ägypten.“

„Ah! Urlaub dort gemacht?“

„Jo.“

Schweigen.

Dann: „Bist allein hier? Solo, was?“

„Solo!“, bekräftigte Lex. „Getrennt lebend. Ich hier und sie da oben.“ Er wies mit dem Humpen in den Himmel.

„Scheiße!“

„Jo!“ Alex stellte das Glas neben sich auf die Bank, starrte ins Feuer. „Im August ein Jahr. Verdammte Kacke! Ich dachte, ich krepier!“

„Kenn ich. Bin auch krepiert.“

„Echt?“ Alex packte seine Kippen aus, bot sie Raphael an.

„Danke, ich rauch nicht. Krebs. Vor über zwei Jahren.“

„Nochmal Scheiße.“

Schweigen.

Dann: „Anna ist meine Geliebte.“

„Ok.“ Lex griff nach dem Bier. „Dann hat sie sich ja schnell getröstet.“

„Seh ich aus wie’n Trostpreis?“

„War nicht so gemeint. Beinahe wäre sowas meine Geliebte geworden. Hab’s in den Griff gekriegt. War nicht schön. Als ich mit harten Sachen anfing, zog ich die Reißleine.“

Raphael hörte damit auf, ins Feuer zu starren, schaute Lex ins Gesicht.

„Alex?“

„Was?“

„Nein!“ Raphael schüttelte den Kopf. „Ich meine, du bist Alex!“

„Jo. Sagte ich doch.“

„Du sagtest Lex. Anna hat mir von dir und deiner Frau erzählt. Ich weiß, was ihr passiert ist.“

„Fünfundvierzig, Traumjob, Klasse Frau, kerngesund, geht joggen und kommt tot zurück. Und ich kann diesem Schwein nichts mehr anhaben. Ich hätte ihm den Prozeß gemacht, kanns‘te glauben. Meinen ganz eigenen! Wenn ich den in die Finger krieg, der ihn in Luxor abgeknallt hat, tret ich ihm in den Arsch!“

„In Luxor? Wann war das?“

„Da, jetzt, im Mai.“

„Hab nix gehört.“

„Ist ja wohl keine Nachrichtenmeldung in ARD oder ZDF wert, wenn in Ägypten einer niedergemacht wird.“

„Ich wohn‘ in Luxor. Hab’n Secu…“

„Na ihr zwei Süßen? Habt ihr bald genug ins Feuer gestarrt?“ Anna setzte sich gutgelaunt auf Raphaels Oberschenkel, knuddelte ihn, verstrubbelte übermütig seine Frisur. „Alex, Raphael ist mein Freund.“

„Hat er mir erzählt.“

„Habt ihr auch Hunger? Ich fall gleich vom Fleisch. Geht euch doch schon mal von der Vorspeise holen. Die Merguez sind fertig. Hört mal alle her! Das Büffet ist eröffnet! Lex, trinkst du noch‘n Bier? Raphael, wenn du gehst, bringst du ihm eins mit?“

Anna blieb alleine auf der Bank sitzen, schaute ihren hungrigen Gästen zu, die alle schnatternd und lachend zum Büffet strebten oder sich ein Würstchen vom Schwenkgrill schnappten, schnaufte einmal tief durch. Das war verdammt knapp!

„Oh Mann ist der lecker!“, nuschelte jemand mit vollem Mund auf einmal neben ihr, „Wie ich das vermißt habe!“

Anna zog tief die Luft ein, glaubte sich verhört zu haben, drehte ungläubig den Kopf.

„Schweinefein, Mäuschen! Was feierst du?“

„Was machst du denn hier?“, hauchte sie entgeistert.

„Deinen Krabbencocktail vernaschen!“ Georg schaufelte sich selig grinsend eine zweite volle Gabel in den Mund. „Davon kann ich einfach nicht genug bekommen!“

„Oh ich glaub, ich spinn!“ Sie rempelte ihm den Ellbogen in die Seite.

„Begrüßt man so seinen Gatten? Hoffte auf ein begeistertes Küßchen oder so.“

„Schon mal was von anrufen gehört? Von sich anmelden?“

„Ich komm den Mustang holen, Hasi. Am Haus wurde eine meiner Garagen frei. Weißt du, die von der alten Frau im 3. Stock. Ist gestorben. Und bei dem Traumwetter. Kam mit der Bahn her. Du läßt mich doch bei dir schlafen?“

„Ich sollte dich achtkantig rauswerfen!“

„Ich freu mich schon auf unser gemütliches Schlafzimmer. War ne lange Fahrt…“ Er verstummte abrupt, schaute hoch und ungläubig dem großen Kerl ins Gesicht, der sich gerade auf der Bank gegenüber niederließ.

„Hallo“, knurrte Raphael.

„Hey.“

Bevor das Schweigen peinlich werden konnte, bekam Georg die Kurve. „Wie geht’s dir?“

„Gut.“

„War verdammt knapp, wie ich hörte.“

„War verdammt nochmal wegen dir gut ausgegangen. Danke.“

„Nicht der Rede wert. Hab gern geholfen.“

ANNAS HAUS, 20:30 UHR

Anna schob ihren leeren Teller beiseite, schaute hoch. Georg und Raphael strebten aus zwei Richtungen zu ihrem Platz, stellten beide ein Tellerchen mit buntem Salat auf den Tisch. Georg setzte sich ihr gegenüber, Raphael rutschte neben sie, Georg schob ihr das Tellerchen hin.

„Immer noch die alte Angewohnheit, nehme ich an? Den Salat zum Schluß, obwohl ich das im Leben nicht verstehen werde.“

„Hast vergessen den Zwiebelring rauszufischen“, spottete Raphael gehässig.

„Den schiebt sie wie ein verwöhntes Kätzchen an die Seite. Ich kenn sie nur zu genau. Was Mäuschen?“

„Ich geb euch zwei gleich Zwiebelringe!“

„Die mag sie nicht!“, grollte Raphael.

„Ob mit oder ohne Zwiebelring, du wirst sie nicht halten können!“, fotzelte Georg mit überlegenem Grinsen. „Dieses verwöhnte, verhätschelte Kätzchen ist seine Bequemlichkeit gewohnt. Seidene Laken, teure Schuhe, Designerklamotten, dicke Autos, Gourmetküche … Und wehe, ihr Temperament geht mit ihr durch! Hast du sie schon sauer erlebt? Sie wird dir irgendwann bei lebendigem Leib das Herz aus der Brust reißen und es noch klopfend und pulsierend verschlingen!“

Plitsch

Der Zwiebelring landete in Georgs Bier.

„Paß bloß auf, daß es nicht dein Herz ist, daß ich verschlinge!“

„Oh mein Liebling, mein Herz gehört dir doch längst!“ Er griff nach Annas Hand, hielt und küßte sie zärtlich. „Hab ich mich eigentlich je mal bei dir bedankt? Dafür daß du mich immer runtergeholt hast, mich geerdet hast? Mein Schatz, für das Leben mit dir danke ich dir!“

„Arschloch!“ Raphaels Faust knallte so heftig auf die Tischplatte, daß die Teller und Gläser hüpften, zornig stand er auf, zwängte sich durch die Gäste.

In Anna brodelte die reine Wut hoch, sie schaute Georg böse ins Gesicht, daß ihm sein fieses Grinsen einschlief.

„Dem geb ich was auf sein loses Maul! Jetzt lernt der mich mal richtig kennen!“, brummte er gereizt, stand ebenfalls auf und ging Raphael nach.

Um Gottes willen!

Anna rutschte von der Bank, spähte durch den Garten, über die Gäste, sah Georg hinter Raphael in der Garage verschwinden, hastete ihm nach, blieb in der Tür stehen, hörte ihn „Ey, Sorry Alter, ist mir grad so rausgerutscht“, sagen.

„Du kannst da nichts für? Was?“

„Die meiste Zeit nicht. Hab halt ein loses Maul.“

„Geile Karre.“

„Der Hammer! Fühlst dich wie Steve McQueen.“ Das entlockte Raphael ein Schmunzeln. „Reiner Zufall, daß ich da bin. Und hab nicht damit gerechnet, dich, beziehungsweise euch beide hier zu treffen. Dachte, ihr wäret noch in Luxor.“

„Anna lud mich ein. Zum Erholen und so.“

„Ok. Und wie lang bleibst du?“

„Bis sie wieder nach Ägypten geht. September, Ende September.“

„Was wird hier eigentlich gefeiert?“

„‘ne Geburtstagsparty.“

„Von wem?“

Raphael zuckte nur mit der Schulter.

„Schon mal so’n Pferdchen geritten? Lust auf ne Runde?“

„Hab zwei Bier intus.“

„Na und? Die verpuffen bei dir.“ Georg warf ihm den Schlüssel zu, betätigte den Schalter für das Tor, Raphael warf ihm die Schlüssel zurück, klatschte ihm freundschaftlich die Pranke zwischen die Schulterblätter, daß Georg beinahe in die Knie ging.

„Laß ma‘ Kumpel. Kam heute schon in den Genuß, danke!“

„Sie hat dich mein Auto fahren lassen?“

„Jepp!“

Anna machte, daß sie schleunigst aus der Garage kam, lief geradewegs Alex in die Arme.

„Was hat der eben gesagt?“

„Wer?“

„Dein Typ.“

„Das ist nicht mein Typ!“

„Dann dein Lover. Er wohnt in Luxor? Und du, Mädchen, bist mir noch eine Erklärung schuldig!“

„Echt? Ich wüßte nicht…“

Er zog sie am Arm zu einem der Stehtische auf der Terrasse, hob zwei der Gläser hoch, hielt sie ins Licht.

„Die sind frisch!“, maulte Anna und griff nach der Cognacflasche, goß ein, rückte den Teller mit dem Knabbergebäck bei.

„Was war mit dem Kerl, der in Luxor erschossen wurde? Du wolltest dich doch melden!“

„Und du solltest kein hartes Zeug trinken!“

„Den einen Cognac werd ich verkraften!“

„Ich sagte dir doch schon am Telefon, der Mann wurde erschossen nachdem er…“ Anna trank aus, schüttelte sich, „er hat mich bedroht, mit dem Stilett, ein Wachmann vom Winter Palace hat das mitbekommen, ihn gewarnt, mit der Polizei gedroht, er nahm das Messer nicht runter, hörte nicht auf den Warnschuß, da bekam er den Fangschuß. Ich will mich nicht daran erinnern, das war furchtbar! Schenk mal nach!“

„Und du bleibst bei dem Sterbenden, hörst dir seine Lebensbeichte an?“

„Äh… ja!“ Anna trank den zweiten Cognac aus, betrachtete Lex genau. „Sollte ich vielleicht weglaufen? Hältst du mich für so abgebrüht? Für dermaßen empathielos? Außerdem mußte ich ja wohl da bleiben, auf die Polizei warten!“

„Anna?“

„Hm?“

„Du machst mir doch was vor! Lüg mich nicht an!“

„Warum soll ich lügen?“, empörte sie sich. „Du bist Hauptkommissar! Meinst du, ich mach dir was vor? Meinst du, daß wär witzig gewesen? Meinst du, ich als Ausländerin hätte mich in der Situation wohl gefühlt? Nur weil die mich da alle kennen, konnte ich glaubhaft für den Wachmann aussagen, bezeugen daß es Notwehr war! Nach meiner Scheißangst hat keiner gefragt!“

„Soll ich deinen Typen fragen, was er mitbekommen hat?“

„Untersteh dich! Wag es bloß nicht, hier den Bullen raushängen zu lassen! In meinem Haus, auf meiner Party! Er hat davon gar nichts mitbekommen, bloß was ich ihm erzählte!“

„Du kannst dir sicher sein, daß ich da nicht locker lasse!“

„Was heißt, nicht locker lasse?“, schimpfte Anna, klatschte ihm auf den Oberarm. „Die Sache ist vorbei, erledigt, gegessen! Der Kerl ist tot! Was willst du? Fahr doch nach Luxor! Fahr hin, frag den Wachmann! Allerdings bezweifle ich, daß dein Arabisch dazu ausreicht!“

Alex schaute sie eine Weile lang schweigend an, griff nach seinen Kippen in der Hemdtasche.

„Bist du dir sicher, Anna, daß es der Mann war, der Karen…“

„Zweifelst du an meinen Worten?“ Sie schubste ihn aufgebracht. „An meiner Aussage? Hab ich mir nicht den Arsch für dich aufgerissen? Wenn ich nicht nachgeforscht hätte, wüßtest du immer noch nicht…“

„Hör schon auf mit deiner Gardinenpredigt! Ist ja schon gut!“

„Ich geb dir gern ein Kärtchen vom Winter Palace. Ruf an, laß dir den Wachmann geben. Es war ihre Schreiberpalette! Ich habe sie doch gesehen!“