Deutschland, deine Sachsen - Tom Pauls - E-Book

Deutschland, deine Sachsen E-Book

Tom Pauls

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Beschreibung

Wer ist Sachse, und wenn ja, warum? Der Kabarettist Tom Pauls und der Journalist Peter Ufer nehmen launig und charmant ihre eigenen Landsleute unter die Lupe. Sie erzählen Geschichten über die Geschichte, über den Witz, den Fleiß, die Gemütlichkeit, die Mundart, die Erfindungen der Sachsen und ihre politischen Ambitionen. Alles in allem: Eine respektlose und aufschlussreiche Liebeserklärung an den angeblich unbeliebtesten deutschen Volksstamm. »Der Deutsche sagt: Das habe ich, das kann ich, das glaube ich. Der Sachse sagt: Habsch, gannsch, gloobsch.« Der verlorene Stamm kehrt zurück. Die Russen sind weg, der Sachse ist da. Der mickrige Bundesclown wird plötzlich sogar hofiert. Was hat sich Deutschland da angeschafft? War der Sachse nicht der deutsche Selbstmordmeister, hatte er sich nicht längst aufgelöst? Irrtum. Da sind sie immer noch, muddeln und nuschln vor sich hin bis aus ihren Kleinbetrieben Luxuskarossen rollen oder goldene Armbanduhren geliefert werden. Der kleine Sachse streckt sich. Und Tom Pauls erklärt das Wesentliche des Sachsen. Er erzählt Geschichten über die Geschichte, über den Witz, den Fleiß, die Gemütlichkeit, die Komplexe, die Mundart, die Philosophie der Sachsen und Baule Borbsisch aus Birne. Dieser neue Sachsenspiegel ist eine respektlose Liebeserklärung an den angeblich unbeliebtesten deutschen Volksstamm.

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Informationen zum Buch

Wer ist Sachse, und wenn ja, warum?

Der Kabarettist Tom Pauls und der Journalist Peter Ufer nehmen launig und charmant ihre eigenen Landsleute unter die Lupe. Sie erzählen Geschichten über die Geschichte, über den Witz, den Fleiß, die Gemütlichkeit, die Mundart, die Erfindungen der Sachsen und ihre politischen Ambitionen. Alles in allem: Eine respektlose und aufschlussreiche Liebeserklärung an den angeblich unbeliebtesten deutschen Volksstamm.

»Der Deutsche sagt: Das habe ich, das kann ich, das glaube ich. Der Sachse sagt: Habsch, gannsch, gloobsch.«

Der verlorene Stamm kehrt zurück. Die Russen sind weg, der Sachse ist da. Der mickrige Bundesclown wird plötzlich sogar hofiert. Was hat sich Deutschland da angeschafft? War der Sachse nicht der deutsche Selbstmordmeister, hatte er sich nicht längst aufgelöst? Irrtum. Da sind sie immer noch, muddeln und nuschln vor sich hin bis aus ihren Kleinbetrieben Luxuskarossen rollen oder goldene Armbanduhren geliefert werden. Der kleine Sachse streckt sich. Und Tom Pauls erklärt das Wesentliche des Sachsen. Er erzählt Geschichten über die Geschichte, über den Witz, den Fleiß, die Gemütlichkeit, die Komplexe, die Mundart, die Philosophie der Sachsen und Baule Borbsisch aus Birne. Dieser neue Sachsenspiegel ist eine respektlose Liebeserklärung an den angeblich unbeliebtesten deutschen Volksstamm.

Tom Pauls Peter Ufer

Deutschland, deine Sachsen

Eine respektlose Liebeserklärung

Inhaltsübersicht

Informationen zum Buch

Vorwort

Der totgesagte Sachse

Der lebendige Sachse

Der komische Sachse

Der sprachlose Sachse

Der sächselnde Sachse

Der alphabetisierte Sachse

Der fischelante Sachse

Der (un)gemütliche Sachse

Der antipreußische Sachse

Der königliche Sachse

Der geistreiche Sachse

Der politische Sachse

Der deutsche Sachse, ä Nachdradsch

Neue Sachsenhymne

Kolumnen

Anmerkungen

Über Tom Pauls und Peter Ufer

Impressum

Wem dieses Buch gefallen hat, der liest auch gerne …

Vorwort

Natürlich sind Sachsen nicht in der Lage, ein Buch über die Sachsen zu schreiben. Sie sind vorbelastet, befangen, mitgegangen und mitgehangen, sodass es besser ist, Sie lesen dieses Buch gar nicht erst. Denn es haben zwei Sachsen verfasst.

Sie können also den Sachsen nur mit Fettbemmen füttern, denn sie bekommen keinen Abstand zu sich selbst. Sie schaffen nur die Hitschenperspektive.

Dennoch trauen sich die beiden, weil es sie nervt, dass genau das den Sachsen unterstellt wird, dass sie kleingeredet werden, ihre Sprache zum miserabelsten aller deutschen Dialekte degradiert wird, ihnen keiner zuhört und niemand ihren Humor versteht. Die vielen Auswärtschn sollen den Sachsen mal kennenlernen, die Deutschen möchten bitte mal zur Kenntnis nehmen, dass es ihn gibt. Und für die Sachsen haben sie es geschrieben, um ihnen das zu geben, was sie endlich verdient haben: mehr Selbstbewusstsein. Sie wollen Seele massieren, auch wenn das ab und zu schmerzt.

Bereits vor 50 Jahren erschien ein Buch mit dem Titel »Deutschland, deine Sachsen«, geschrieben von Dieter Wildt, Jahrgang 1928. Einem Journalisten, der es einst für die vielen Exil-Sachsen in Westdeutschland verfasste. Peter Ufer und Tom Pauls lernten den Autor kennen und schätzen. Und Dieter Wildt forderte beide auf, sein Buch über die Sachsen neu zu schreiben. Aus heutiger Sicht. Die beiden haben sich getraut, denn Sachsen trauen sich immer was.

Der totgesagte Sachse

Haben Sie es gemerkt? Die Deutschen entdecken ihren Sachsen wieder. Jedenfalls können sie ihn nicht mehr ignorieren. Denn er existiert, der Sachse. Ja, er lebt. Immer noch. Er will sogar dazugehören und wird zur ernsten Konkurrenz der Deutschen. Gefahr aus dem Osten. Er will ernst genommen werden. Dabei war das immer sein größter Fehler. Deshalb haben die Deutschen ihn gern als lächerlichen Kasper verhöhnt. Er scherte sich übrigens nicht sonderlich darum, sondern schnitzte den schönsten deutschen Kasperkopf in Hohnstein in der Sächsischen Schweiz. Das ärgerte die anderen schon wieder.

Seit mehr als zwei Jahrhunderten nehmen die Deutschen ihren Sachsen nicht ernst, sondern glauben ernsthaft, er sei gar kein Deutscher, ja nicht einmal ein Mensch. So schrieb der Berliner Kurt Tucholsky schon 1931: »Neben den Menschen gibt es noch Sachsen und Amerikaner, aber die haben wir noch nicht gehabt und bekommen Zoologie erst in der nächsten Klasse.« Der Sachse wurde aber nicht nur verlacht, sondern zudem verketzert, verfemt und nicht zuletzt für tot erklärt.

Das hat sich bis heute kaum geändert. 65 Prozent der Menschen aus Deutschland waren auch über 20 Jahre nach dem Mauerfall noch nie in Sachsen. Warum auch? Man ahnt, da unten kurz vor Prag, unweit von Warschau gibt es ein bisschen Landschaft und vielleicht ein bisschen Kultur. Das war’s. Im Grunde sind den meisten Deutschen die Sachsen egal oder aber ein Ärgernis. Der Zweibeiner aus dem fünften neuen Land im Bund stört doch nur und spricht so komisch. Ein Satz von Literaturprofessor Walter Jens aus den 1960er-Jahren brannte sich zudem in das kollektive Gedächtnis der Deutschen: »Die Sprache Nietzsches und Wagners ist zum Jargon des Untermenschen, zur Fanatiker-Suade, zur Ausdrucksweise der Schergen geworden.« Der Sachse, ein Aussätziger? Sagt das nicht schon der Name?

Fast. Sachse kommt von Sasse, und das heißt Ansässiger – der geborene Aussitzer. Er kann warten. Er hat gewartet. Er muddelte vor sich hin. Muddln gehört zu seiner Strategie. Da tut er was, aber weder zielstrebig noch mit einem spürbaren Verbrauch an Energie. Er macht ganz aktiv: nichts. Mit seiner vorgetäuschten Emsigkeit treibt er jene, die nicht muddln, in den Wahnsinn. Das scheinbare Beschäftigtsein trägt einen Leitsatz vor sich her: Mir machn schon, dass nischt wird. Denn Muddln ist, bewusst eingesetzt, passiver Widerstand, um groben Unfug zu überleben. Es funktioniert wie Meditation und ist die Fähigkeit, unangenehme Zeiträume mit erfindungsreicher Anpassungsgabe unbeschadet zu überstehen. Das hat der Sachse perfektioniert.

Bis jetzt, wo er plötzlich von Deutschen hofiert wird. Recht ist ihm das nicht. Aber er sitzt nun mal mit am Tisch der deutschen Einheit, um vom großen Kuchen zu naschen oder um selbst was aufzutischen. Einige Deutsche, die nach Sachsen kamen, um hier zu arbeiten, gar zu leben und sich inzwischen als Sachsen fühlen, sitzen mit dabei. Der Sachse glaubte sich tatsächlich eingeladen. Allerdings wollten die Deutschen ihn am Katzentisch platzieren, damit er die Restkrümel frisst. Denn sie verstehen ihn immer noch nicht, nicht seine Sprache, nicht seinen Humor und erst recht nicht sein Gemuddl.

Den Sachsen hebt das nicht weiter an, er setzt sich gern zwischen alle Stühle. Egal, wo er sitzt. Die Deutschen müssen plötzlich mit ihm speisen. Und siehe da: Manchem und manchmal schmeckt sogar, was die Sachsen da anbieten, obwohl es doch bisher als geschmacklos galt.

Was ist da los im Staate Deutschland? Die Sachsen, lagen die nicht unterm Tisch, waren die nicht ausgestorben? Ausgestorben wie Saurier, Beutelwölfe, Vandalen oder Unterröcke? Die Statistik beweist das, denn die Deutschen irren sich statistisch betrachtet nie, sie sind ja Exportweltmeister der Statistik.

Rechnen wir doch mal zurück: Schon geschätzte 2000 Jahre vor Christus gab es erste Spuren frühmenschlichen Lebens im Elbe-Saale-Raum. Archäologische Grabungen brachten im Elbtalkessel zwischen Pirna und Gauernitz bei Meißen, dem Gau Nisan, eines Tages ein Zeugnis ans Licht, das die Kompendien der deutschen Geschichtenschreiber gehörig durcheinanderwirbelte. Eine einschneidende Zäsur, denn das ausgegrabene Metall entrostete sich als einschneidiges Schwert. Die meisten kennen es unter dem Terminus Sax.

Das Metall hielten Historiker bisher fälschlicherweise für ein Kampfschwert, weshalb sie die Sachsen als kleine Kampfgruppe betrachteten. Dabei ist das Sax nichts weiter als ein überdimensioniertes Zwiebelmesser, geschmiedet, um die Gemüsesuppe besser würzen zu können. Der Leipziger Geschichtenschreiber Jürgen Hart, Sachse hab ihn selig, bewies dies bereits statistisch in seinem Buch über die unglaubliche Historie Sachsens.

Später kreierten Porzellanmaler in Meißen übrigens das Zwiebelmuster, und auf der Unterseite des Meissener Scherbens finden wir zwei gekreuzte einschneidige Schwerter, genauso wie im kurfürstlich-sächsischen Wappen. Auch wenn die Schwerter eher Zahnstochern gleichen als einem Kampfgerät und die Zwiebeln auf dem Meissener Service gar keine Zwiebeln sind, sondern Granatäpfel.

Doch der Sax-Fund belegt, dass die Vorfahren der Sachsen schon hier siedelten, als weder von den angeblich ersten Siedlern, den germanischen Hermunduren, noch den slawischen Sorben die Rede war. Wie behauptet wird, sollen die Sachsen die Sorben ab 929 vertrieben haben wie die Amerikaner die Indianer. Nein, es ist genau anders herum: Die Sachsen flüchteten einst aus ihrem Land, weil sie sich mit den Hermunduren, einer Art West-Neandertaler des Frühmittelalters, die aus dem Westen Germaniens kamen, nicht vermischen wollten. Sie ließen ihre Hosen nicht runter, weil sie nicht als Elbtal-Hybriden enden wollten. Ihre instinktive Flucht bewahrte sie vor dem evolutionären Aus.

Die Legende sagt, dass ein Teil der Sachsen in die Lüneburger Heide flüchtete, wo sich einige niederließen. Das ist heute Nieder-Sachsen. Zwischendurch hielten sie an. Das ist das heutige Sachsen-Anhalt. Scherz lass nach, du bist umzingelt. Was jedoch stimmt, ist die Reise übern Kanal. Denn viele Sachsen gingen nach England, wo sie angelten, Siedlungen gründeten und ihre Sprache importierten.

Und was geschah im alten Sachsen? 1180 glich das Stammesherzogtum Sachsen dem heutigen Deutschland, Bayern und das heutige Sachsen ausgenommen. Aber Nieder-Sachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und Teile von Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein gehörten dazu, sämtliche deutschen Bindestrichländer, die es eigentlich gar nicht gibt, denn sie waren ja sächsisch. Doch dann war schon Schluss mit Sachsen: In ebenjenem Jahre 1180 musste Heinrich der Löwe erstmals etwas von jenem Alt-Sachsen abgeben, den östlichen Landesteil. In den vergangenen 831 Jahren teilte sich das sächsische Gebiet exakt 22-mal. Zuletzt 1945. Da blieb nichts übrig außer einem Rest.

Ja, sie müssten ausgestorben sein, die Sachsen. Denn jahrhundertelang standen sie auf Platz 1 der jährlichen Selbstmordstatistik. Mit 28,3 je 100000 Einwohner deutlich mehr Opfer als bei der akuten Blinddarmentzündung. Die Sachsen standen stets so nah am Selbstmord, dass sie die erste Selbstmordstatistik Deutschlands aufstellten.1 Das war 1784. Seitdem machte kein Deutscher den Sachsen den ersten Mordplatz streitig, weil sie immer die Schuld bei sich suchten und schuldbewusst sich selbst richteten. Doch im Jahr 2010 wurden sie geschlagen, die Sachsen: von den Bayern.

Die Deutschen sahen, wie der Sachse trotzdem überlebte. War er nicht endlich totzukriegen? Die Nationalsozialisten versuchten 1938 einen weiteren Todesstoß: Sie verboten ihm die Sprache, weil sie angeblich nicht rein deutsch, sondern jüdisch war. Der Sachse biss die Zähne zusammen und nuschelte weiter. Nach dem Zweiten Weltkrieg stellten die Deutschen den Sachsen erneut kalt, ließen ihn in der Schmuddelecke der Nation vergammeln, nahmen seinen Dialekt als höchste Albernheit des Kabaretts und größten anzunehmenden politischen Gau ins Lach-Programm. Die Sachsen hatten ja inzwischen mehr Kriege verloren als die Amerikaner und die Deutschen zusammen. Waren sie nicht ein Volksstamm, dessen Geschichte die Geschichte der Kapitulation ist, ein Verlierer voller Schuldkomplexe, der Sachse des Bösen, der stets bejaht und es gut meint, der das Sowohl-als-Auch als Ideologie pflegt? Deshalb traute ihnen keiner, deshalb blieb der Sachse auch weiter verdächtig.

Noch ein statistischer Beweis seiner Nichtexistenz? Nach 1945 flüchteten die Sachsen wieder aus ihrem Land, weil Besatzer aus dem Osten kamen. Bis zum Bau der Mauer zog jeder Sechste weg, und danach flohen sie massenhaft über den Todesstreifen, nach statistischen Zählungen über zwei Millionen. Letztmalig gehört hatten wir 1952 vom Land Sachsen, als es komplett aufgelöst wurde und zu drei DDR-Bezirken mutierte. Ganze Städte wie Chemnitz verschwanden von der Landkarte.

Rein statistisch betrachtet kam der Sachse in Deutschland nicht mehr vor, er gehörte nicht dazu, dieser angeblich so sprachunfähige, landlose Selbstmörder. Vor 50 Jahren schrieb der Münchner Dieter Wildt das posthume Testament der Sachsen. Der heute über 80-jährige Journalist und Autor nannte sein Buch »Deutschland, deine Sachsen«.

Sachsen wandelte sich zum Endlager des kommunistischen Experiments, und der Sachse, der jetzt in drei Bezirken wohnte, sollte zum dämlichsten aller Michel mutieren. Leipziger, Dresdner oder Karl-Marx-Städter krebsten aus Sicht der Deutschen rum als Pappenheimer der Nation, die das ökonomisch stärkste Land der Vorkriegszeit in den volkseigenen Konkurs wirtschafteten. Die DDR-Sachsen verkamen zu Mauerschützen, zu Sowjetjüngern und Politbürovollstreckern. Den Leipziger Ulbricht schickten sie als Rache gegen die Deutschen nach Ost-Berlin. Nie zuvor hatte ein Sachse Deutschland regiert. Zwei Jahrhunderte deutscher Politik stellten die Sachsen auf den Kopf.2

Die Rest-Sachsen wurden hinter dem deutsch-deutschen Todesstreifen zurechtgestutzt, sodass man sie statistisch gar nicht mehr erfassen konnte. Kein Deutscher sah ihn mehr, den kleinsten aller Kleinbürger. Als 1978 zwanzigjährige Männer in Sachsen vermessen wurden, waren sie bis zu fünf Zentimeter kleiner als ihre Altersgenossen in Hamburg. Der Sachse ein Griehwadsch, ein Knirps, ein Krüppel? Der Sozialismus hatte ihn klein gehalten, er stieß überall an Grenzen, er konnte nicht über sich hinauswachsen. Aber er wäre nicht Sachse, wenn der Griehwadsch nicht zugleich das freche, kleine, unerzogene Kind gewesen wäre, ein renitenter Nachwuchs, der nachwuchs und überall anstieß. Irgendwann wurde ihm der Raum zu eng und die Decken der schönsten Villen fielen ihm auf den Kopf, weil sie lawede waren. Zudem wollte er es sich nicht mehr gefallen lassen, dass ein Schalck seine ganzen Schätze bis zum letzten Pflasterstein für Devisen verhökerte, von denen er nie was abbekam.

Als die letzten Sachsen 1989 die Revolution anzettelten und die Mauer fiel, flüchteten sie erneut. Hunderttausende. Als wären sie völlig heimatlos. Rein statistisch betrachtet gab es seit 1990 jährlich 20000 Sachsen und 2000 sächsische Haushalte weniger. In Sachsen gibt es jährlich 50000 Tote und 6,5 Milliarden Euro Schulden. Außerdem ist in Sachsen der Bierkonsum am höchsten in Deutschland, 205 Liter pro Kopf, 50 Liter mehr als in Bayern. Ein kleines Fluchtvolk im Delirium, wie sollte das überleben?

Nach 1990 verhökerte die Treuhand, was in den volkseigenen Betrieben der verbliebenen Sachsen nicht niet- und nagelfest war. Es schien geradezu, als sollte aus dem einstigen Industrie- ein Agrarland werden, eine einzige blühende Landschaft mit schwarzen Schafen am Pflock. Da gehörte plötzlich nichts mehr zusammen, da wurde alles auseinandergenommen.

Als 1993 Helmut Kohl den Sachsen Steffen Heitmann als Nachfolger Richard von Weizsäckers zum Kandidaten für die Wahl des Bundespräsidenten vorschlug, da trommelte es aus allen politischen Lagern Zetermordio. Der Mann sei ein nationales Unglück, ein rechter Konservativer, der laut Stern-Herausgeber Rolf Schmidt-Holtz »die Westentasche Helmut Kohls nur als Logenplatz der Weltgeschichte« missbrauche. Sein Befund: »überfordert und gefährlich«. Der »Spiegel« enttarnte Heitmann als »Kohls Grüßonkel für den deutschen Spießer«. »Ideal geeignet für eine späte Rache am Klugscheißer Weizsäcker und allen, die die Birne nie ganz für voll genommen haben«, so formulierte es die Wochenzeitung »Die Woche«. Ein Sachse als Bundespräsident, das war im Jahr 1993 einfach zu viel. Es konnte nicht sein, was nicht sein durfte.

Dass der Sachse nicht totzukriegen ist, dass er noch immer existiert, muss, rein statistisch betrachtet, ein Rechenfehler sein, eine Wahrscheinlichkeitslüge, der kleinste gemeinsame Nenner der historischen Abrechnung. »Sachsen, Sachsen! Ey! Ey! Das ist starker Tobak!«, meinte einst der alte Goethe. Der Islam gehört zu Deutschland, wulffte ein Bundespräsident. Dass der Sachse dazugehört, traute er sich nicht zu sagen, sonst hätte es sein Nachfolger Gauck vielleicht ebenfalls zurücknehmen müssen.

Hinter vorgehaltener Hand fragen sich die Deutschen deshalb heute umso mehr, wer sie eigentlich sind, diese Sachsen: Scheene Rebublikaner, wie der letzte Sachsenkönig sagte. Oder sind das alles alte SED-Genossen im Demokratenlook, ehemalige Blockparteimitglieder oder Blockwarte, morgens Neonazis und abends Kaffeesachsen, halbe Trottel oder ganze Terroristen, Buchhalter oder Buchmacher? Wölfe im Schafspelz oder Schafe im Wolfspelz? Oder andersrum oder beides? Oder tun sie nur so? Tun die Sachsen vielleicht immer nur so? Und vor allem lautet die Frage aller Fragen: Sachsen, wollt ihr ewig leben?3

Der lebendige Sachse

Lebt denn der Sachse noch? Ja, er lebt noch. »Ewige, ewige Sachsen«, schrieb Kurt Tucholsky. Ewig dieser Sachse. Er wurde totgeredet, ihm wurde das Land geteilt, seine Siedlungen mehrfach in Scherben gehauen. Doch immer nahm er seinen Scherbenteil und begann, alles wieder zusammenzubasteln. Er erfand sogar das erste deutsche Scherbengericht, das er sich von den antiken Griechen abschaute. Dort war auch nicht alles schlecht. Das Verfahren hilft, unliebsame oder zu mächtige Bürger aus dem politischen Leben des Landes oder der Stadt zu entfernen.

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