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Es gibt viele Ungerechtigkeiten in der Welt. Development 1 ist ein politisches Ideenbuch mit dem Ziel den Gesetzgebern zu helfen, notwendige Reformen umzusetzen.
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Seitenzahl: 200
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Vorwort
Einleitung
Teil I – Deutschland
1 Aufbau eines Vertrauensorgans
2 Moderne Wirtschaftspolitik
3 Sozial- und Arbeitsmarkt
4 Die Gestaltung einer gerechten Finanzpolitik
5 Innen- und Justizpolitik
6 Neue Konzepte im Bildungsbereich
7 Wohnungsbau
8 Umwelt
9 Gesundheit
10 Vorschläge zum Sparen
11 Sonstiges
Teil II – Die Vereinigten Staaten von Europa
12 Die Gemeinschaft
13 Europäische Verfassung
14 EU-Verwaltung
Teil III – Ausland
15 Frankreich
16 Großbritannien
17 Skandinavien
18 USA
19 China
20 Russland
21 Indien
22 Afrika
23 UNO
Teil IV – Allgemeine Themen
24 Bevölkerungswachstum
25 Gesellschaft und Religion
26 Pandemien
27 Sport und Politik
28 Internet und Künstliche Intelligenz
29 Sonstiges
Zusammenfassung und Fazit
Anhang
Tabellen
Quellenverzeichnis
Wir sehen uns zunehmend mit Problemen konfrontiert, die Lösungen brauchen, die über Grenzen hinweg gelten und funktionieren. Aber warum passiert so wenig? Woran fehlt es, um wirksame Reformen voranzutreiben? Wir sollten anfangen, weniger auf unsere Politiker zu schimpfen, sondern selbst Vorschläge zu unterbreiten, was man wie verändern könnte. In diesem Buch finden Sie für die verschiedensten Bereiche Ideen und Anregungen, die als Grundlage für politische Reformen dienen können.
Anmerkung: Zu jedem Kapitel finden Sie im Quellenverzeichnis die notwendigen Referenzen.
Themen wie Bevölkerungswachstum, Klimawandel, soziale Ungerechtigkeit oder Fragen der inneren und äußeren Sicherheit können nicht mehr von einzelnen Ländern entschieden werden, zu wichtig sind ihre Auswirkungen für unseren ganzen Planeten. Gesellschaften spalten sich. Nicht nur in den USA. Auch bei uns in Europa, ja selbst innerhalb der Europäischen Gemeinschaft, gelingt es Regierungschefs, ihre Macht abzusichern, indem sie die wichtigsten Positionen des Staates mit eigenen Leuten besetzen, die Opposition bewusst ausschalten und die Verfassung des Landes anpassen. Im Sport hat sich der Einsatz eines Schiedsrichters bewährt – warum nicht auch in der Politik? Gerade in Zeiten von Fake News und Machtmissbrauch wäre ein parteienunabhängiges Vertrauensorgan sinnvoll. Wie so ein Gremium aufgebaut werden könnte und wie sich sinnvolle Sparmaßnahmen im Bundeshaushalt realisieren lassen, lesen Sie im ersten Teil des Buches. Im zweiten Teil folgen Anstöße, wie wir in einem »Europa der zwei Geschwindigkeiten« zusammenwachsen können und dem zunehmenden Nationalismus Einhalt gebieten können. Im dritten Teil finden Sie Vorschläge zur Behebung von Ungerechtigkeiten in anderen Ländern, wie beispielsweise den USA oder China.
Im vierten und vielleicht wichtigsten Abschnitt geht es u.a. um Konzepte für die Begrenzung des Bevölkerungswachstums. Denn ohne messbare Erfolge auf diesem Gebiet lassen sich die Pariser Klimaziele nicht erreichen. Darüber hinaus gibt es Anregungen, wie man den religiösen Hass auf Andersdenkende begrenzen kann oder welche Auswirkungen die Künstliche Intelligenz auf uns Menschen haben wird. Lassen Sie sich überraschen!
Die Demokratie ist mit Sicherheit die beste Regierungsform, die wir Menschen bisher entwickelt haben. Im Gegensatz zu Monarchien und Diktaturen dürfen wir Bürger in demokratischen Ländern unsere Volksvertreter selbst wählen oder bei Missfallen auch abwählen. Das ist ein Privileg, das wir beschützen sollten. Dennoch ist unsere Demokratie reformbedürftig. Warum? Es fehlt ein Vertrauensorgan. Betrachten wir den Wahlkampf. Es fällt auf, dass dieser zunehmend unfair geführt wird. Nicht nur in den USA. Das Verbreiten von Lügen lohnt sich und kann wahlentscheidend sein. Doch eine Demokratie, die sich auf ihre Grundsätze nicht mehr verlassen kann, bietet viel Raum für Zweifel, Verschwörungstheorien und Misstrauen. Es fehlt eine Instanz, die diese Grundsätze beschützt und bewahrt. Nehmen wir als Beispiel den Sport und hier wiederum den Fußball. Es gibt neben den zwei Mannschaften noch einen Schiedsrichter bzw. im Profisport sogar ein Schiedsrichterteam. Dieses hat die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass Regeln eingehalten werden. Geschieht dies auch in der Politik? Nein.
Was wir brauchen, ist ein Gremium von klugen Köpfen, die keiner Partei angehören, denen wir vertrauen können und die langfristig denken. Könnte diese Aufgabe der deutsche Presserat übernehmen? Nein. Der Presserat hat zwar Einfluss, aber er hat weder ein offizielles Mandat noch Sanktionsmöglichkeiten bei Verstößen. Es gibt auch kein Regelwerk, das beschreibt, was erlaubt ist und was nicht. Ein Schiedsrichterteam muss wie beim Fußball mit einer Sprache sprechen. Der Presserat ist inhomogen und vertritt auch nur eine Berufsgruppe. Es sollte ein breites Gremium sein, das die wichtigsten Berufe der Gesellschaft vereint. Darüber hinaus sollten seine Vertreter politisch neutral sein. Dadurch ist gewährleistet, dass es zwei getrennte Bereiche gibt, ähnlich wie zwischen Vorstand und Aufsichtsrat bei einem Unternehmen. Ein Vorschlag könnte wie folgt aussehen. Es werden 10 Vertreter eines Landes gewählt, und zwar:
1) Die obersten Richter wählen ein Mitglied. Sie vertreten die Interessen des Staates.
2) Die Rektoren der Universitäten wählen ein Mitglied. Sie vertreten die geistige Elite des Landes.
3) Der Presserat wählt ein Mitglied. Sie vertreten die Medienkonzerne.
4) Die Verbände der Arbeitgeber wählen ein Mitglied. Sie vertreten die Arbeitgeber und Selbstständigen.
5) Die Gewerkschaften wählen ein Mitglied. Sie vertreten die Arbeiter und Angestellten.
Das sind die fünf ständigen Berufsgruppen. Alle anderen Berufsgruppen wählen weitere fünf Mitglieder. Diese wechseln sich ab. Das gewährleistet, dass ein breiter Teil der Bevölkerung abgedeckt wird. Dieses Gremium könnte folgende Aufgaben wahrnehmen:
a) Wahlkampf Verbale »Fouls« und Fake News werden dadurch unterbunden. Jeder Wahlkampf hat Regeln, die eingehalten werden müssen.
b) Beschützer der Demokratie Das Vertrauensorgan trifft Personalentscheidungen, um den Einfluss der Regierung zu begrenzen. Dazu gehört die Ernennung der Militär- und Geheimdienstchefs und die der obersten Richter. Auch die Besetzung des staatlichen Fernsehens sollte nicht in der Hand der Regierung liegen. Wenn beispielsweise in den USA die obersten Richter in Zukunft im Konsens zwischen den Demokraten und den Republikanern ernannt werden oder durch ein neutrales Gremium, dann wird der Spalt innerhalb der amerikanischen Gesellschaft deutlich kleiner.
c) Bestimmung der langfristigen Politik
Wer vertritt heute die Interessen der Menschen, die erst in der Zukunft geboren werden? Keiner. Diese Lücke sollte geschlossen werden. Politiker denken kurzfristig, meist von Wahl zu Wahl. Sie agieren nicht, sie reagieren. Die Mitglieder des Vertrauensorgans sollten ein Mandat bekommen, das dem eines Aufsichtsrates ähnelt. Die Vorstände bestimmen das operative Geschäft, wohingegen der Aufsichtsrat für die langfristige Strategie verantwortlich ist. So sollte es auch in der Politik sein. Besteht die Gefahr, dass dieses Gremium eines Tages selbst zu mächtig wird? Definitiv nein. Aus drei Gründen. Erstens werden die Mitglieder nur für 5 Jahre gewählt. Eine Wiederwahl ist ausgeschlossen. Zweitens handeln sie im Kollektiv und nicht allein. Sie brauchen in diesem Gremium eine Mehrheit. Drittens, und dies ist vielleicht am wichtigsten, haben sie keine Partei im Hintergrund. Wenn man die Macht in einem Land übernehmen will, dann braucht man immer eine starke Organisation, die einem hilft, die Schlüsselpositionen eines Landes durch eigene Leute zu besetzen. Dies ist hier nicht der Fall.
Gibt es eine realistische Chance, dass dies in die Verfassungen der demokratischen Länder implementiert wird? Das kommt darauf an. Sicher, die Politiker, die an der Macht sind, werden diese nicht freiwillig teilen, weder in Europa noch in Amerika noch woanders. Doch der Ruf nach einem »Schiedsrichter« wird zunehmend lauter. Die Fridays-for-Future-Bewegung hat gezeigt, dass die Mächtigen dieser Welt den Willen der Bürger nicht auf Dauer ignorieren können. Sich zu organisieren und das Ausüben eines sanften Druckes ist sicherlich notwendig, um politische Veränderungen zu erreichen. Das wird dauern. Doch es kann auch viel schneller gehen. Nicht bei uns, aber in den Entwicklungsländern. Nämlich dann, wenn die Industrieländer verstehen, dass die Einführung einer Zwei-Stufen-Demokratie die Lebensqualität der Menschen in den Entwicklungsländern verbessert. Die Umsetzung ist nicht schwer. Die Entwicklungsländer brauchen Geld. Anstatt die Entwicklungshilfe wie bisher nach dem Gießkannenprinzip zu verteilen, könnte man sie an Bedingungen knüpfen. Nur, wer Konzepte zur Begrenzung von Bevölkerungswachstum, Korruption und Armut vorlegt und bereit ist, die Macht im Land zu verteilen, wird in Zukunft noch unterstützt. So würden immer mehr Länder darin bekräftigt, stabile und unabhängige Demokratien aufzubauen, die ihren Bürgern Wohlstand und Freiheit gewährleisten.
Friedrich Wilhelm Raiffeisen hat mit seinem Genossenschaftsprinzip wahrscheinlich mehr für die einfachen Bürger getan als Karl Marx mit seinem Buch »Das Kapital«. Seine Genossenschaftsvereine waren die Vorläufer der Genossenschaftsbanken, die für geringe Zinsen Geld verliehen. Raiffeisen hatte erkannt, dass einfache Arbeiter nur einen geringen Lohn bekamen, aber nicht am Produktivvermögen der Unternehmen beteiligt waren. Um ihre Familien ernähren zu können, waren viele Industriearbeiter im 19. Jahrhundert gezwungen, zusätzlich zu einem zwölfstündigen Arbeitstag in der Fabrik zu Hause eine kleine private Landwirtschaft zu betreiben. Sie und kleinere Handwerksbetriebe waren oft überschuldet. Um den Betroffenen aus der Spirale aus Armut und Ausbeutung herauszuhelfen, gründete Raiffeisen den »Heddesdorfer Wohltätigkeitsverein«. 1865 veröffentlichte er das Buch mit dem langen Namen: »Die Darlehnskassen-Vereine als Mittel zur Abhilfe der Not der ländlichen Bevölkerung sowie auch der städtischen Handwerker und Arbeiter«. Es wurde ein ungeahnter Erfolg und war maßgeblich für die Verbreitung des genossenschaftlichen Gedankens verantwortlich. Behörden und Entscheidungsträger wurden so auf die Kreditvereine aufmerksam, und überall wurden ähnliche Vereine gegründet.
Auch Karl Marx kritisierte, dass es sich bei Gesellschaften mit kapitalistischer Produktionsweise um Klassengesellschaften handle, in denen sich das Privateigentum an den Produktionsmitteln durch die Indienstnahme von Lohnarbeit vermehre. So akkumuliere sich der Reichtum der Unternehmer in Form von Kapital, während die Mitarbeiter dauerhaft davon ausgeschlossen blieben. Beteiligt seien die Arbeiter, so Marx, nur durch die Entlohnung ihrer Arbeitskraft. Außerdem richte sich das Kapital gegen die politische Herrschaft, die ihre Gewalt ganz in den Dienst des Kapitals stelle und die Abhängigkeit der arbeitenden Klasse vom Privateigentum rechtlich absichere. Er sah, dass Banken und Industrieunternehmer reich wurden, während weite Teile der Gesellschaft verarmten. Das war der Startschuss für die Gründung von Gewerkschaften, welche Mitte des 19. Jahrhunderts gebildet wurden (Druckerverband 1849). Sie kämpften für mehr Lohn und bessere Arbeitsbedingungen. Während Marx also einen ideologischen Klassenkampf startete, half Raiffeisen pragmatisch. Viele kluge Köpfe haben seither weitere Verbesserungen durchgesetzt. Trotzdem gibt es Handlungsbedarf. Immer noch profitieren Unternehmer zu stark vom wirtschaftlichen Erfolg ihrer Unternehmen, die Mitarbeiter zu wenig.
Der Business Round Table mit Sitz in Washington D.C ist die mächtigste US-amerikanische Lobbyorganisation. Sie hat im Jahr 2019 einen Brief veröffentlicht, den alle 181 beteiligten CEOs unterschrieben, wie beispielsweise Jeff Bezos (Amazon), Tim Cook (Apple) oder Jamie Dimon (J.P. Morgan Chase). Sie forderten darin eine Abkehr vom bisherigen Shareholder-Value-Denken hin zu einem Stakeholder-Value-Denken. Dabei definierten sie fünf Stakeholder, nämlich Aktionäre, Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten und Kommunen. Unternehmen sollten die Umwelt schützen, ihre Arbeitnehmer mit Würde und Respekt behandeln und gleichzeitig langfristige Gewinne für die Aktionäre erzielen, heißt es in ihrer gemeinsamen Erklärung. Das sind viele einflussreiche Personen, die für mehr Gerechtigkeit und eine bessere Gesellschaft kämpfen, sodass man sich wundern muss, warum so wenig passiert. Kritiker werfen ihnen vor, dass sie in Wirklichkeit gar nichts verändern wollen, sondern lediglich die Öffentlichkeit beruhigen. Das könnte sein. Doch in meinen Augen liegt das Problem darin, dass die Manager zwar etwas verändern wollen, aber nicht wissen, wie sie es anpacken können, ohne dabei ihre Aktionäre zu verschrecken. Wie schaut die derzeitige Situation aus? Wir leben in einer Welt des Turbokapitalismus. Dem Ziel der Maximierung der Unternehmensgewinne und des Börsenwertes wird alles untergeordnet. Das Stakeholder-Value-Denken existiert nicht oder nur ansatzweise. Die Lieferanten der Großkonzerne werden ausgenutzt, die Umweltstandards werden gesenkt, die Unternehmenssteuern werden mithilfe von Lobbyisten und ausländischen Tochtergesellschaften minimiert und der Bezug von staatlichen Subventionen maximiert. Das System wird dabei mithilfe von Partei- und Wahlkampfspenden geschützt. Die einfachen Mitarbeiter werden ausgenutzt, die gut ausgebildeten Fachkräfte mehr oder weniger anständig bezahlt und die Topmanager fürstlich entlohnt. Die wahren Profiteure dieses Systems sind aber die Großaktionäre der Unternehmen.
Was ist die Alternative? Der schrittweise Übergang vom Shareholder-Value-Denken zur einer Fair-Balance-Gesellschaft. Per Gesetz. Das wird nicht freiwillig passieren und es wird dauern. Vor 30 Jahren hat keiner vom Klimawandel und von CO2-Zertifikaten gesprochen. Heute wird viel dafür getan, trotz enormem Widerstand. Ähnlich wird der Weg von einer Shareholder- zur einer Stakeholder-Gesellschaft sein. Die Staatengemeinschaft muss zusammenarbeiten und gemeinsame Standards (Arbeitsbedingungen der Mitarbeiter, Steuern, Umwelt usw.) schaffen. Das Ziel von internationalen Handelsabkommen darf in Zukunft nicht mehr die Gewinnmaximierung der Unternehmen, sondern die Nutzensteigerung der gesamten Gesellschaft sein.
Wie denken Wirtschaftswissenschaftler darüber? Der renommierte französische Ökonom Thomas Piketty beschreibt in seinem Buch »Das Kapital des 21. Jahrhunderts« die Veränderung des Kapitalismus seit dem 18. Jahrhundert. Er setzt darin das Ansteigen der Vermögenskonzentration seit Mitte des 20. Jahrhunderts in den Industrienationen mit einer parallelen Zunahme der gesellschaftlichen Ungleichheit in Verbindung.
Eine unkontrollierte Zunahme der Ungleichheit bedrohe aber die Demokratie und die Wirtschaft eines Landes. Ungleichheiten seien dabei kein zufälliges, sondern ein notwendiges Merkmal des Kapitalismus. Eine übermäßige Ungleichheit in einer kapitalistischen Wirtschaft könne daher nur durch Einschränkungen des Kapitalismus gelöst werden, indem der Gesetzgeber einschreitet. Denn würde ein derartig exzessiver Kapitalismus wie der derzeitige nicht reformiert, gefährde er laut Piketty die demokratische Grundordnung.
Die zwei Ursachen der Ungleichheit nach T. Piketty:
→ Bezieher hoher Einkommen (z. B. CEOs) haben ihre Macht dazu genutzt, sich selbst noch höhere Einkommen zu verschaffen. Anders als vielfach behauptet, entspricht die relative Höhe der Einkommen gegenüber niedrigeren Einkommen nicht der jeweiligen Leistung. So kann ein Vorstand eines Unternehmens mehr als 100-mal so viel verdienen wie ein Facharbeiter des gleichen Unternehmens. Doch seine Leistung ist nicht 100-mal besser.
→ Einkommen aus Kapital wachsen im Kapitalismus prozentual stärker als die Gesamtwirtschaft. Das ist leicht zu belegen. So steigen die Aktienindizes stärker als das jeweilige Bruttosozialprodukt. Durch Effizienzsteigerungen gelingt es den Unternehmen, eine »Sonderrendite« zu erwirtschaften, die an die Aktionäre weitergegeben wird.
Für den Wohlstand unserer Gesellschaft ist ein kontinuierliches Wirtschaftswachstum wichtig. Doch was ist eigentlich Wirtschaftswachstum? Das Wirtschaftswachstum ist die Zunahme der Wirtschaftsleistung eines Landes innerhalb einer bestimmten Zeit. Während das nominale Wirtschaftswachstum diese Differenz des Bruttoinlandproduktes (BIP) innerhalb eines Jahres betrachtet, berücksichtigt das reale Wirtschaftswachstum zusätzlich die jährlichen Preisveränderungen. Dabei wird die Inflation herausgerechnet. Wenn man dann noch die Veränderung des Bevölkerungswachstums berücksichtigt, kommt man zum »effektiven« Wirtschaftswachstum, welches den durchschnittlichen Wohlfahrtsgewinn pro Bürger misst. Durch die Zunahme der Produktion kommt es nicht nur zu einem Wohlfahrtsgewinn und zu steigenden Steuereinnahmen, sondern auch zu einer Reduktion der Arbeitslosigkeit. Darüber hinaus steigen die Unternehmensgewinne. Auf den ersten Blick hat ein Wirtschaftswachstum für alle Beteiligten nur Vorteile. Wirklich? Um dies zu beurteilen, muss man zwischen dem höheren quantitativen und dem kleineren qualitativen Wachstum unterscheiden. Während das quantitative Wachstum durch die Staaten und deren Notenbanken gefördert und über Kredite finanziert wird, ist das qualitative Wirtschaftswachstum kleiner. Die Basis des quantitativen Wirtschaftswachstums ist die Volumensteigerung. Immer mehr Produkte sollen produziert und verkauft werden. Wohingegen die Basis des qualitativen Wirtschaftswachstums Innovationen und Produktivitätssteigerungen sind. Doch was passiert, wenn das qualitative Wirtschaftswachstum nicht ausreicht?
Politiker denken kurzfristig. Von Wahl zu Wahl. Sie wollen den einfachen Weg gehen. Ihr Motto lautet: Mehr Schulden, weniger Arbeitslose, bessere Wahlergebnisse. Doch kreditfinanziertes Wachstum ist gefährlich. Das ist wie bei einem Schneeballsystem. Das kann auf Dauer nicht funktionieren. Ab einem gewissen Punkt wird es zu einem Vertrauensbruch kommen. Jedes Land muss auch ohne kreditfinanziertes Wachstum funktionieren. Sollte dies nicht ausreichen, weil die Staatsausgaben größer sind, dann müssen die Ausgaben gesenkt oder die Steuern erhöht werden.
Die Vorstandsvorsitzenden von Großkonzernen bekommen neben dem Festgehalt noch variable Vergütungen, sogenannte Bonuszahlungen, die oft höher sind als ihr Festgehalt. Die Zielvorgaben dafür sind neben dem Unternehmensgewinn die Börsenbewertung und der Gewinn pro Aktie. Gerade wenn die Börsenbewertung bereits hoch ist und die Unternehmen nicht mehr so wachsen können wie gewünscht, wächst der Druck der Fondmanager auf die CEOs, ein Aktienrückkaufprogramm zu starten. Viele Unternehmen haben die niedrigen Zinsen der vergangenen Jahre genutzt, um günstig neue Schulden aufzunehmen. Allerdings wurde dieses Geld häufig nicht für zukunftsweisende Investitionen verwendet, sondern für die Ausschüttung hoher Dividenden und dafür, eigene Aktien vom Markt zu kaufen, mit dem Ziel den Börsenkurs zu erhöhen. Diese Ausschüttungs- und Rückkaufpolitik ist aber nur vertretbar, wenn das Geld dafür ausschließlich aus dem Jahresüberschuss kommt. Die Konzernchefs stecken in einem Dilemma. Wenn sie ihren Job behalten und den Bonus bekommen wollen, müssen sie sich dem Shareholder-Value-Prinzip unterwerfen und den Nutzen für die Aktionäre maximieren. Sich zu verschulden ist bei niedrigen Zinsen effizient. Durch den Rückkauf eigener Aktien steigt eine für sie wichtige Kennzahl, nämlich der Gewinn je Aktie. Eine Risikovorsorge für schlechte Zeiten war in der Vergangenheit nicht notwendig. Wenn das Geld ausgeht, das zeigte sich sowohl in der Corona- als auch in der Finanzkrise, dann hilft die Staatengemeinschaft mit günstigen Krediten. Was sollte aus Sicht der Gesellschaft in diesem Bereich geändert werden?
→ Haftungsregeln: Die Staatsanwälte sollten die Möglichkeit bekommen, Vorstände, Aufsichtsratsmitglieder, aber auch Großaktionäre bei Compliance-Verstößen zur Verantwortung zu ziehen.
→ Vorstandsvergütung: Die Hauptversammlung, und nicht wie bisher der Aufsichtsratsvorsitzende, soll die Gehälter der Manager bestimmen. Die variable Vergütung sollte reduziert und die Aktienoptionen ganz abgeschafft werden. Beides fördert das Shareholder-Value-Denken. Stattdessen sollte der Anteil der festen Vergütung erhöht werden. Diesbezüglich sollte das Aktienrecht angepasst werden.
→ Aktienrückkauf: Der Kauf unternehmenseigener Aktien sollte kritisch gesehen werden. Nur wenn die (echte) Eigenkapitalquote, abzüglich von Goodwill, über 30 Prozent liegt, sollte es erlaubt sein Dividenden auszuschütten oder ein Aktienrückkaufprogramm zu starten.
→ Mitarbeiterschutz: Die Einführung eines arbeitgeberunabhängigen, insolvenzgeschützten Lebenszeitkontos (siehe auch Kapitel 3) wäre eine sinnvolle Möglichkeit, um Mitarbeiter bei Rezessionen zu schützen. Wenn dieses Zeitkonto beispielsweise ein Guthaben von 6 Monaten aufwiese, wäre gewährleistet, dass ein Unternehmen selbst bei einem Auftragsrückgang von 50 Prozent und einer Rezession von einem Jahr keine Mitarbeiter entlassen muss. Diese Mitarbeiter würden stattdessen abwechselnd in den bezahlten Urlaub geschickt.
In vielen Ländern, auch in Deutschland, gibt es ein Kartellrecht, welches die Aufgabe hat, Preisabsprachen, Monopole oder Oligopole zu verhindern. Die Einführung der Kartellämter hat sich bewährt. Sie haben die Möglichkeit, Unternehmen bei Verstößen zu sanktionieren. Dabei konzentrieren sie sich auf einen bestimmten Bereich und erhöhen den Druck so lange, bis ein Unternehmen mit den Behörden zusammenarbeitet (LKW-Kartell => MAN; Vitaminkartell => Aventis). Dieses Unternehmen wird verschont, alle anderen werden bestraft. Das hat in der Vergangenheit gut funktioniert. Doch dies reicht nicht. Die Befugnisse der Kartellämter sollten erweitert werden, denn es gibt marktbeherrschende Unternehmen, die ihre Position ausnutzen. Beispiel: Es gibt Politiker, die die Zerschlagung von Internetkonzernen, wie Amazon, Facebook, Google oder Microsoft fordern, weil diese ihre Marktmacht missbrauchen würden. Doch dies ist schwer zu realisieren. Es gibt nur zwei Fälle, wo dies umgesetzt wurde und die in die Wirtschaftsgeschichte eingingen. So wurde die Standard Oil Company, die ehemalige Firma von John D. Rockefeller, die von 1872 bis 1911 die Erdölbranche beherrschte, im Jahr 1911 auf Grundlage des Sherman Antitrust Acts in 34 Einzelunternehmen aufgeteilt. Ähnlich ging es dem ehemaligen amerikanischen Telefonmonopolisten ATT. ATT wurde 1984 in 7 sogenannte »Baby Bells« aufgeteilt. Das Zerschlagen von Unternehmen ist schwierig und langwierig. Viel einfacher und effizienter ist das Verhängen eines Werbeverbotes. Wenn Unternehmen keine Werbung schalten dürfen, verlieren sie Marktanteile. Zugleich kann in dieser Zeit die Konkurrenz versuchen, durch zusätzliche Werbung neue Kunden zu gewinnen, sodass ein neues Gleichgewicht entstehen kann.
Sozialpolitik wird in allen modernen Staaten großgeschrieben. Auch bei uns in Deutschland. Sozialhilfe, Kindergeld, Arbeitslosenhilfe, Krankenversicherung, kostenlose Schulbildung, gesetzliche Kündigungszeit, Kurzarbeitergeld, sozialer Wohnungsbau und das Wohngeld sind Bestandteile unseres Sozialstaates. Der deutsche Bundeshaushalt 2022 hatte ein Budget von 496 Milliarden Euro. Die mit Abstand größte Position war der Bereich »Arbeit und Soziales« mit 161 Milliarden Euro, wovon das Kindergeld mit fast 48 Milliarden der größte Einzelposten war. Das bedeutet, 9,7 Prozent des gesamten Bundeshaushalts wurde für das Bezahlen des Kindergeldes ausgegeben. Das überrascht, ist aber so. Das Kindergeld (Jahr 2022) ist gestaffelt und beträgt 219 Euro für das erste und zweite Kind, 225 Euro für das dritte Kind und 250 Euro für jedes weitere Kind. Gerade sozial schwache Familien brauchen das Kindergeld. Doch dies beeinflusst auch deren Familienpolitik. Es werden falsche Anreize gesetzt. Kinderarmut kann man nicht reduzieren, indem das Kindergeld progressiv erhöht wird, sondern indem es degressiv gesenkt wird. Der Gesamtbetrag bleibt konstant. Wenn die Eltern für das erste Kind beispielsweise 300 Euro bekommen und für jedes weitere Kind 100 Euro weniger, dann bekommen sie in diesem Beispiel für das dritte Kind nur noch 100 Euro und für das vierte Kind gar nichts mehr. Der finanzielle Anreiz, mehr Kinder zu bekommen, würde sinken. Dies sollte nur für Kinder gelten, die in der Zukunft geboren werden. Wenn unser Staat will, dass mehr Kinder geboren werden, dann sollte er dafür sorgen, dass es mehr Frauen gibt, die ein Kind bekommen wollen und nicht kinderlos bleiben. Das gelingt, wenn Familie und Beruf besser integriert werden. Der Ausbau von Kitas und Kindergärten, der Aufbau von Ganztagesschulen mit Nachmittagsbetreuung und die Möglichkeit, bei Bedarf flexibles Homeoffice in Anspruch zu nehmen, würden dabei helfen.
In den skandinavischen Ländern, wie beispielsweise Dänemark oder Finnland, die in der weltweiten Zufriedenheitsstatistik jedes Jahr Spitzenplätze belegen, ist man schon deutlich weiter. Ganztagsschulen sind dort, genau wie in Frankreich, Standard. Warum bei uns nicht? Eine Erhöhung des Kindergeldes um fünf Euro kostet den Staat eine Milliarde Euro pro Jahr. Wäre es nicht besser, das Kindergeld in Zukunft nicht mehr zu erhöhen und stattdessen die Familien-Infrastruktur zu verbessern? Auch ein kostenloser Familienservice in Notfällen wäre wünschenswert.
Die Coronakrise hat gezeigt, dass jederzeit Rezessionen auftreten können. Wenn ein Land keine sozialen Puffersysteme hat, kann es in Massenarbeitslosigkeit und Armut versinken. Das deutsche Kurzarbeitermodell hat sich bewährt. Der Staat zahlt für einen bestimmten Zeitraum 60 Prozent des Gehalts der Mitarbeiter und entlastet dadurch die Unternehmen. Zusätzliche tarifliche Regelungen können den Prozentsatz erhöhen. Der Jobverlust wird dadurch vermieden. Das Risiko und die Kosten werden von den Unternehmen auf den Staat übertragen. Die Unternehmen werden geschont. Gibt es ein Modell, das den Beteiligten mehr Möglichkeiten bietet und den Staat zusätzlich entlastet? In vielen Unternehmen gibt es für Mitarbeiter Gleitzeitkonten. Diese haben in der Regel eine Ober- und Untergrenze. Zu einem bestimmten Zeitpunkt, beispielsweise am 30. Juni jeden Jahres, muss das Zeitkonto ausgeglichen sein. Bei einem Jobwechsel können die Einheiten nicht übertragen werden. Das Konto ist auch nicht vor einer möglichen Insolvenz geschützt. Wäre es nicht eine Überlegung wert, dieses Gleitzeitkonto weiterzuentwickeln, und zwar in ein Lebenszeitkonto, welches vom Arbeitgeber unabhängig und zusätzlich vor Insolvenz geschützt ist? Auf diesem Konto könnten Mitarbeiter Zahlungen für Überstunden, Überstundenzuschläge, Urlaubstage und Geldeinheiten wie beispielsweise Bonuszahlungen oder das 13. Monatsgehalt ansammeln. Der Arbeitgeber würde den Wert auf ein insolvenzgeschütztes, arbeitgeberunabhängiges Treuhandkonto einzahlen, welches beispielsweise von der BfA, ähnlich dem Rentenkonto, geführt würde. Von diesem Modell würden alle profitieren:
a) Mitarbeiter
Ihr Job ist sicherer und die Gefahr von Entlassungen geringer. Die angesammelten Zeiteinheiten haben die Wirkung eines Puffers. Kommt eine Rezession, können sie in den bezahlten Sonderurlaub gehen, anstatt ihren Job zu verlieren. Die Gefahr eines sozialen Abstiegs sinkt. Darüber hinaus können die Mitarbeiter früher in die Rente gehen oder die angesammelten Zeiteinheiten privat verwenden (Familie, Hausbau, Sabbatical).
b) Arbeitgeber
Da die Mitarbeiter im Fall einer Rezession mithilfe des Lebenszeitkontos in den bezahlten Sonderurlaub gehen, sinken die Personalkosten und die Abfindungskosten entfallen. Darüber hinaus werden einige Mitarbeiter früher als sonst in den Ruhestand gehen und könnten durch jüngere, preiswertere Mitarbeiter ersetzt werden.
c) Staat
Die finanzielle Belastung für die Sozialkassen reduziert sich durch das gesparte Kurzarbeiter- und Arbeitslosengeld. Der soziale Frieden bleibt erhalten. Die Menschen können früher in die Rente gehen. Ohne Abzüge. Das entspannt den Arbeitsmarkt. Darüber hinaus gäbe es einen angenehmen volkswirtschaftlichen Effekt: Der Nutzen des Wirtschaftswachstums wird besser über die Jahre verteilt. Die Mitarbeiter geben in den guten Jahren weniger Geld aus, denn sie sammeln auf ihrem Konto »Zeiteinheiten«. In einer Rezession profitieren sie davon.