DIAMANTEN - Robert Prof. Dr. Maillard - E-Book

DIAMANTEN E-Book

Robert Prof. Dr. Maillard

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Beschreibung

DER DIAMANT - schon vor 2000 Jahren ein Zauberstein in Sagen und Mythen - der bis heute seine Faszination erhalten hat. Er ist das härteste Material der Welt - als Edelstein geschliffen von ungeheurem Feuer und Glanz. Sein Wert ist unermesslich und stabil. Wissenschaftler und Experten, Gemmonologen, Juweliere, Geologen und Historiker haben an diesem Standardwerk über das Basiswissen des DIAMANTEN mitgearbeitet und so ein praktisches Handbuch erstellt, das für jeden, der in der Welt des DIAMANTEN arbeitet, lehrt, studiert oder sich auch nur über dieses themaumfassend informieren will, unentbehrlich ist. Über 500 Digitalseiten, 450 Bilder, Karten, Grafiken und historische Fotographien dokumentieren Schürf- und Arbeitsmethoden, gewähren Einblicke in wohlbehütete Geheimnisse weltweiter Schürfgebiete und zeigen den Weg vom Rohdiamanten zum geschliffenen Edelstein. Berühmte und wertvolle Steine - mit zum Teil abenteuerlichen Schicksalen im Spectrum der Weltgeschichte - werden bildlich dargestellt und beschrieben.

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DIAMANTEN

Faszination und Wirklichkeit

Impressum

© Serges Verlag GbR, Solingen, 2000

© Originalausgabe Koniglijke Smeets Offset, Weert / Holland

© Neubearbeitete Digitalausgabe Serges Medien, Solingen, 2023

Herausgeber der Digitalausgabe:

Heinz Hermann Serges

Herausgeber der Printausgabe:

Hartmut Jetter

Gesamtredaktion:

Robert Maillard

Übersetzungen:

Renate Briesemeister

Kartographie und Graphik:

Sue Casebourne

Produktionsleitung:

Heinz Hermann Serges

Wissenschaftliche Mitarbeit:

Dr. Godehard Lenzen Prof. Dr. Eduard Gübelin

Eine Produktion der VNU Books International, Amsterdam, Paris und Serges Medien, Solingen

Realisation der Digitalausgabe:

Zeilenwert GmbH., 07407 Rudolstadt

Digitalisierung:

Ingenieurbüro Müller, 76228 Karlsruhe

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieses Werkes darf in irgendeiner Form und ohne Genehmigung des Verlages kopiert, verwendet oder veröffentlicht werden.

Die Verwendung des Inhalts oder Teilen davon auf digitalen Plattformen oder in sozialen Medien ist ausdrücklich untersagt.

Dieses Buch wurde konzipiert und hergestellt in Zusammenarbeit mit:

Hugh E. K. Allen

René Kern

Dozent der Royal School of Mining, Department of Industrial Mining, Universität London

Juwelier, Düsseldorf

Louis Asscher

Godehard Lenzen

Präsident der Asscher Company, Amsterdam

Gemmologe, DGemG, FGA, GG; Leiter des Deutschen Gemmologischen Ausbildungszentrums, Idar-Oberstein

Philippe Chevalier

Bruno Morelli

Direktor der Sibeka, Brüssel

Direktor der MIBA, Zaire

Raoul Delveaux

Guy van der Schrick

Generaldirektor des Hoge Raad voor Diamant (HRD), Antwerpen

Generalmanager der Diamond Boart, Brüssel

René Delville

Henri-Jean Schubnel

Ingenieur, U. I. L. V.; Société Diamang, Brüssel

Kurator des Laboratoire de Minéralogie, Museum national d'Histoire naturelle, Paris; Präsident der Association française de gemmologie

Maurice E. Giard

Jean-Claude Serre

Präsident der Chambre syndicale franfaise de la Bijouterie, Joaillerie, Orfevrerie, Paris

Leiter des Department of Geological Mining, Bureau des Recherches geologiques et minieres de France (BRGM), Orleans

Eduard Gübelin

Norman R. Smith

Gemmologe CG, FGA, Luzern; Professor h. c. der Universität Stellenbosch

Direktor des International Department, Unicom Industries DPD Ltd., Großbritannien

Jona S. Hatsor

Hans Stern

MJur; Direktor der I. Hennig & Company Ltd., Tel Aviv-London

Juwelier, Rio de Janeiro

George Kaplan

Herbert Tillander

Vizepräsident der Lazare Kaplan & Sons, Inc., New York

Diamant-Historiker; Gründer und Präsident der Finnischen Gemmologischen Gesellschaft, Helsinki

Inhaltsverzeichnis

IVom Mythos zur Wirklichkeit

Die Geschichte der Diamanten

Adamas: die frühen Wertkriterien

Legenden, Mythen und Naturbeobachtung

Die Handelswege im Altertum

Produktionsmethoden in Indien (G. Lenzen)

Handel und Verarbeitung des Diamanten vom 13. bis zum 18. Jahrhundert (G. Lenzen u. R. Delveaux)

Die Geschichte der berühmtesten Diamanten

Glaube und Aberglaube (R Maillard)

Der Koh-i-Noor

Der Orlow

Der Regent

Der Hope (M. E. Giard)

Brasilien setzt neue Maßstäbe (1730–1870)

Die wichtigsten Diamantgebiete

Fördermethoden

Herren und Sklaven

Zahlen und Realität

Die portugiesische Diamantpolitik

Brasilien und der Diamanthandel (G. Lenzen)

Südafrika und die Entstehung der Großindustrie

Die Entdeckung

Der erste Diamantrausch

Die Kimberleyzeit – fast eine Fabel

Vom Chaos zur organisierten Produktion

Cecil John Rhodes

Barney Barnato

Die ›De Beers Consolidated Mines Limited‹

Das Ziel: Produktionskontrolle

Ernest Oppenheimer

Die Grundlagen des modernen Marktes (G. Lenzen)

IIDer Rohdiamant und seine Herkunft

Geologie und Abbau des Diamanten

Geologie des Diamanten

Abbaumethoden (J.-C. Serre)

Südafrika

Ständiges Produktionswachstum/Ein gelobtes Land für Schürfer

Die Entstehung einer Mine

Förderung im Übertagebau

Förderung im Untertagebau

Die Lagerstätten an der Atlantikküste

Aufbereitung des Gesteins und Gewinnung der Diamanten

Sicherheitsmaßnahmen

Schöpfer eines gemeinsamen Werks (H. Allen)

Tansanien (H. Allen)

Zaire

Die Gründung der Forminière

Eine Entdeckung ohne Folgen?

Eine verlorene Aufschrift und eine Holzkassette (R. Maillard)

Die Vorkommen im Gebiet von Tshikapa

Die Vorkommen von Mbuji-Mayi (J. Legrand)

Angola

Ein hoher Prozentsatz an Schmuckedelsteinen

Jagd auf den Kimberlit

Die Lucapa-Theorie (R. Delville)

Sierra Leone

Die Entdeckung

Beschaffenheit der Vorkommen

Erste Aktivitäten

Unerlaubte Grabungen und illegaler Handel

Legalisierung der Schürfung

Händler und Geschäftemacher

Der Markt von Monrovia

Die Gründung von Kaufbüros

Industrieproduktion

Einheimische Schürfer (J. Legrand)

Venezuela

Grubenarbeiter als Nomaden im Dschungel

Guaniamo und das Diamantfieber

Ein einsamer Schwimmbagger auf dem Paragua (J.-C. Serre)

Brasilien

Woher stammen die brasilianischen Diamanten?

Von der Geologie zur Psychologie

Die Vorkommen im Mato Grosso

Das ›Bergbaudreieck‹ von Minas Gerais

Das Gebiet von Diamantina

Die Bergbaugesellschaft von Tejucana (J. Legrand)

Weitere Produktionsländer

Indien

Borneo

UdSSR

Andere Produzenten (H.-J. Schubnel)

Weltproduktion

Die Central Selling Organisation (CSO) (J. Legrand)

IIIVom Rohdiamanten zum geschliffenen Stein

Mineralogie und Kristallographie

Aus reinem Kohlenstoff

Kubische Struktur/Härte

Dichte/Schlechte Leitfähigkeit/Kristallformen des Diamanten/Spaltbarkeit/Zwillingskristalle/Optische Eigenschaften

Die Farbe der Diamanten/Absorptions-Spektrum

Einschlüsse und Makel/Kristallisation und Synthese des Diamanten

Nachahmungen des Schmuckdiamanten (H.-J. Schubnel)

Geschichte und Entwicklung der Schleifkunst

Das Spalten/Das Sägen

Das Reiben/Das Facettieren

Das Polieren/Der Schliff

Der Glanz/Brillanz/Das Färben

Natürliche Kristalle

Verbesserung und Nachahmung von Kristallformen

Phantasieschliffe

Der Diamant als ›Tafelstein‹

Spiegelschliff oder flacher Tafelstein

›Taille tablette‹ oder›Flachschliff‹/›Taille lasque‹ oder das ›Diamantporträt‹

Der Rosenschliff/Der Brillantschliff (G. Kaplan)

Der moderne Brillantschliff

Moderne Bearbeitungstechniken

Das Anlegen der Facetten

Bohren und Sägen mit Laserstrahlen/Schätzkriterien (G. Kaplan)

Reinheit und Farbe des Diamanten

Reinheit und Einschlüsse

Die Einschlüsse aus wissenschaftlicher Sicht

Die Einschlüsse aus kommerzieller Sicht

Die Farbe des Diamanten

Die Ursache der Diamantfarben

Künstlich erzeugte Farben (E. Gübelin)

Börsen und Schleifzentren

Antwerpen (R. Delveaux)

Amsterdam (L. Asscher)

Israel (J. S. Hatsor)

Bombay und Surat

Weitere Börsen und Schleifzentren (J. Legrand)

Wertanlage in Diamanten und die Certifikate

Aktionen der CIBJO (J. Legrand)

IVVom Schmuckdiamanten zum Industriediamanten

Der Diamant im Schmuck

Von Aurengzeb bis Ludwig XIV

Eine Garderobe, in der sich die Sonne spiegelt

Agnès Sorel, die erste Frau, die Diamanten trug

Der Schatz Karls des Kühnen

Handwerker und Goldschmiede zur Zeit der Renaissance

Der Renaissanceschmuck

17. Jahrhundert: Pomp und Puritanertum

Das Zeitalter der Aufklärung (M. E. Giard)

Das 19. Jahrhundert

Der Goldschmied – heute

Einige Aspekte der modernen Juwelierkunst (R. Kern)

Gold oder Platin

Entstehung eines Schmuckstücks (H. Stern)

Synthetischer Diamant und Industriediamant

Synthetische Diamanten (G. van der Schrick)

Industriediamanten und Verwendung

Aus den Tiefen der Erde in den Weltraum (N. R. Smith)

Anhang

Index

Bibliographie

I

Vom Mythos zur Wirklichkeit

Die Geschichte des Diamanten

Genaugenommen fällt die Geschichte des Diamanten zusammen mit der Entstehung der Erde und verläuft dann im Dunkel der Vorzeit. Der Diamant, wie alle anderen Edelsteine lange im Schoß der Erde verborgen, gelangte erst zu Ansehen, als der Mensch ihn endlich als den kostbarsten aller Steine erkannt hatte und ihn zu eigenem Nutzen und Freude verwendete.

Wir werden wohl nie erfahren, wann genau die ersten Diamanten entdeckt wurden; belegt hingegen ist, wo sie gefunden wurden; Indien war vom Altertum bis ins 18. Jahrhundert der einzige Lieferant.

Wenn wir auch nicht bis auf die Anfänge zurückgehen können, so wissen wir doch wenigstens, in welchen Urkunden der Diamant zum ersten Mal erwähnt wird und aus welchem Grund der Mensch sich ganz besonders für ihn interessierte. Bis vor kurzem noch mussten wir uns mit der Erklärung abfinden, dass es den Diamanten schon seit undenklichen Zeiten gibt. Leser wurden auf das Buch Exodus (28, 18) des Alten Testaments verwiesen, in dem sich die Beschreibung des berühmten Brustschilds findet, das vom Hohen Priester der Hebräer getragen wird und mit zwölf Steinen besetzt ist, unter denen sich ein Diamant befunden haben soll.

Doch diese Interpretation beruht auf einer Bibelübersetzung aus dem Jahr 1612. Es ist äußerst zweifelhaft oder zumindest sehr fraglich, ob das Wort jahalom, das im Hebräischen seitdem ›Diamant‹ bedeutet, auch schon zu biblischer Zeit diesen Sinn gehabt hatte.

Die zwölf Edelsteine, die das Pektoral Aarons, des Hohen Priesters der Juden, geschmückt haben sollen. Miniatur aus dem Lapidarium des Jean de Mandeville (1300–1372). Französische Handschrift aus dem 15. Jahrhundert. Auffallend ist, dass zu dieser Zeit noch kein Diamant erwähnt wird. Nationalbibliothek Paris (Foto: Nationalbibliothek)

Es wird angenommen, dass sich dieser Brustschild von den Riten der ägyptischen Pharaonenzeit ableitet; bei Nachbildungsversuchen, die aufgrund der Angaben alter Monumente unternommen wurden, ergab sich, dass die Steine, die dieses Pektoral schmückten, jeweils in einem Rechteck von 6X4 cm gefasst gewesen sein mussten. Wäre einer ein Diamant gewesen, hätte er den berühmten Koh-i-Noor an Größe um einiges übertroffen! Die Tatsache, dass auf diesen zwölf Steinen die Namen der zwölf Stämme Israels eingraviert waren, lässt noch mehr an der Existenz eines solchen Edelsteins zweifeln. Und Jeremias (17, 1), der einen ›Meißel aus Eisen, eine Diamantspitze‹ erwähnt, mit der die Sünden der Menschen aus Juda auf den ›kleinen Tafeln auf ihrem Herzen‹ oder an den ›Ecken ihrer Altäre‹ eingeschrieben werden, hilft uns auch nicht weiter. In Indien, wo der Diamant als Gravierinstrument höchstens ab dem 2. Jahrhundert v. Chr. benutzt wurde, weist nichts darauf hin, dass die Handwerker in diesen Stein geschnitten haben; es sollte noch lange dauern, bis diese Technik verwendet wurde. Aber neben dem Buch Exodus und auch dem Buch Hesekiel (28, 13), in denen das Wort jahalom in einer schlichten Aufzählung von Edelsteinen auftaucht, gibt es noch zwei weitere Passagen in der Bibel, in denen das Wort in einer dichterischen, metaphorischen Bedeutung etymologisch gesehen auf den Begriff ›hämmern‹, ›schlagen‹ (hebräisch halom) und indirekt auf ›die Spitze bieten‹ verweist. So kann man in Zacharias (7, 12) lesen: »Sie machten aus ihrem Herzen einen Diamanten« und in Hesekiel (3, 9): »Ich werde deine Stirn wie einen Diamanten, härter als einen Stein machen.« Hier bezeichnet das Wort jahalom einen Stein, der alle anderen an Härte übertreffen sollte und sie ›hämmern‹ kann.

Dies entspricht natürlich unserem heutigen Wissensstand über den Diamanten, der auf der Mohs-Skala unter der Ordnungszahl 10 als härtestes aller bekannten Mineralien rangiert. Doch muss dies hier besonders betont werden? Wenn nicht eindeutig auf eine fest umrissene Messskala, verwiesen wird, ist das Härtekriterium nur relativ, und die ungenaue Formulierung des biblischen Verfassers macht jede Hypothese null und nichtig.

Was ist diesbezüglich in der griechischen Literatur der Antike zu finden? Ab dem 8. Jahrhundert V. Chr. begegnen wir häufig dem Wort adamas, das in einer ganz ähnlichen Bedeutung wie jahalom verwendet wird, im Sinne von ›unüberwindlich‹ und ›unbezwingbar‹. Der erste bekannte Hinweis findet sich in einem Werk Hesiods, dem nach Homer ältesten griechischen Dichter. Doch wird der Begriff nirgends für einen Edelstein, schon gar nicht für einen Diamanten verwendet, dessen Name ja von ›adamas‹ geprägt ist (auf dem Weg über das lateinische adamus, adamantinus). Mehr als acht Jahrhunderte wird ›adamas‹ ausschließlich für Eisen angewendet, das in jener Zeit als unbezwingbar galt. Erst im 1. Jahrhundert unserer Zeitrechnung finden wir in der Historia naturalis von Plinius dem Älteren, dem berühmten römischen Gelehrten, das Wort adamas als Substantiv, das zweifelsohne den Diamanten bezeichnet.

Ist es nicht auffällig, dass jegliche Polemik und alle Diskussionen – und es waren nicht wenige –, die Historiker über den Ursprung der Diamanten führten, sich immer um die Verbraucherländer drehten und nicht um das einzige Produktionsland in der Antike und im Mittelalter, um Indien? Mangels Veröffentlichungen und Übersetzungen fehlte allerdings jahrhundertelang jedes heute zugängliche Quellenmaterial in Form von Sanskrittexten, unter denen sich eine ganz bemerkenswerte Schrift über die Wirtschafts- und Rechtsgeschichte Indiens im 4. Jahrhundert v.Chr. findet. Die Handschrift, die uns in erster Linie interessiert, wurde erst 1905 entdeckt: das ›Arthaschastra‹ des altindischen Staatstheoretikers Kautilja (um 300 v. Chr.), ein grundlegendes Werk, das mit ›Die Lehre vom Nutzen‹ übersetzt werden kann. Auch wenn es sich bei der uns vorliegenden Fassung um eine spätere Schrift handelt (1909 herausgegeben, 1926 unter dem deutschen Titel ›Das altindische Buch vom Welt- und Staatsleben‹), spiegelt sich in ihr doch die Originalversion des von Kautilja geschriebenen Buches wider, der dem König Tschandragupta zum Thron des Königreiches Magadha verholten hatte und dann sein erster Minister wurde. Dieser Fürst, Begründer der Maurya-Dynastie, war der erste indische König (um 322 bis um 298 v. Chr.) und ist uns auch durch den Griechen Megasthenes bekannt, der an seinem Hofe weilte und dessen Schriften bis zum Beginn der Neuzeit die einzige Informationsquelle darstellten, die wir bis dahin besaßen.

Titelseite des Buches von Johannes Braun über die Gewänder der Hebräischen Priester. Amsterdam, 1698. Links der Hohe Priester, der das ›Pektoral des Gerichts‹ trägt.(Foto: Hubert Josse, Paris)

Das ›Pektoral des Gerichts‹ im Ausschnitt. Nationalbibliothek, Paris (Foto: Hubert Josse, Paris)

Liest man Kautiljas Abhandlung aufmerksam durch, ergibt sich unzweifelhaft, dass im 4. Jahrhundert V. Chr. Diamanten schon bekannt waren und darüber hinaus bereits lebhaft gehandelt wurden; für diesen Handel mussten Steuern und Zollgebühren bezahlt werden, ja er war eine der Einnahmequellen des königlichen Schatzes.

Adamas: die frühen Wertkriterien

Was veranlasste die Menschen seit über zwei Jahrtausenden, dem Diamanten einen derart großen Wert zuzuschreiben, wenn man diesen ›König der Edelsteine‹ noch nicht einmal zu schleifen wusste? Der Großteil der Rohdiamanten ist trübe und glanzlos. (Ein englischer Kenner behauptete nicht zu Unrecht, dass ein Rohdiamant nicht attraktiver sei als ein Stück Sodaseife.)

Um diese Frage beantworten zu können, müssen wir uns von neuem Indien zuwenden und in den etwa neun Jahrhunderten, die zwischen dem Beginn der Mauryazeit (4. Jahrhundert v. Chr.) und dem Ende der Guptazeit (Mitte des 6. Jahrhunderts unserer Zeitrechnung) liegen, nach Fakten suchen, die eine Erklärung geben können. Für die Festlegung der Steuern und Abgaben bei Diamanten und anderen Edelsteinen verweist das Arthaschastra auf einen Komplex von Praktiken und Vorschriften, die von Fachleuten ausgearbeitet waren und für die damalige Zeit weitreichende Sachkenntnis bewiesen. Diese Texte werden in den Schriften als ›Ratnapariksa‹ bezeichnet, was mit ›Schätzung und Gutachten von Edelsteinen‹ übersetzt werden kann. Innerhalb von tausend Jahren entstehen nach dem Vorbild des Ratnapariksa richtige Lehrhandbücher, sogenannte Ratnaschastras, die jeder kultivierte Mensch, Dichter, Adlige, Beamte oder Kaufmann besaß. Diese Art von Abhandlungen würde man heute Lapidarien nennen. Zwei von den uns überlieferten sind besonders interessant: das Ratnapariksa Yon Buddhabhatta, das aus der Zeit kurz vor dem 6. Jahrhundert n. Chr. stammt, und das Brhatsamhita von Varahamihira aus dem 6. Jahrhundert.

In beiden Handschriften wird der Diamant, aus rein mythischen Gründen, als der Edelstein schlechthin bezeichnet. Die Beschaffenheit der Steine selber wird nie beschrieben; dagegen findet sich eine detaillierte Aufzählung der Kriterien, die bei der Schätzung jedes Diamanten besonders beachtet werden müssen: Erstens die Form des Steins selber, wobei der Oktaeder als ideale Form angesehen wird (›sechs Spitzen, acht glatte und gleiche Flächen, zwölf gerade und scharfe Kantern). Zweitens die optischen Eigenschaften: die Reinheit und die sich daraus ergebende Klarheit, Farbe, Glanz und sogar das durch Dispersion hervorgerufene ›Feuer‹. Betont wird, dass ein Diamant nur ganz selten all diese Bedingungen erfüllt und als vollkommener Oktaeder ›die Umgebung mit allem Glanz seiner Regenbogenfarben erleuchtet‹.

Seite aus der Handschrift des ›Ratnapariska‹ des Buddhabhatta in Sanskrit. Mitte des 5. Jahrhunderts. »Ein Diamant von 20 Tandula Gewicht ist 200000 Rupaka wert … Wenn ein Diamant all diese Eigenschaften besitzt und auf dem Wasser schwimmt, wünscht man vor allen andern Juwelen ihn zu tragen«. Nationalbibliothek, Paris (Foto: Nationalbibliothek)

Die Bedeutung gerade dieser Form erklärt sich in vielerlei Hinsicht. Sie kommt in der Natur selten ideal vor – das macht ihren Wert aus – und symbolisiert in der hinduistischen Mystik das eigentliche ›Wesen‹ des Diamanten. Doch geht es nicht allein um die Seltenheit. Denn unabhängig von selten ideal ausgebildeten Kristallen (verglichen mit den vielen verzerrten, abgerundeten oder undurchsichtigen Steinen), können nur am ›vollkommenen‹ Oktaeder, oder an ebenmäßigen Spaltstücken, der starke Glanz und das Farbenspiel – das ›Feuer‹ – beobachtet werden. Beim geschliffenen Diamanten kennen wir dies als Komponenten der Brillanz. Wird dann noch berücksichtigt, dass diese Eigenschaften beim Diamanten mit seltener Deutlichkeit zu Tage treten – wie die Wirkungskraft einer mystischen Macht –, so lässt sich daraus ableiten, dass der Mensch gerade hierin den Grund für ein besonderes Verhältnis zum Diamanten gegeben sah und ihn über alle anderen Edelsteine stellte. Und seine Härte? Sie war den Steinschneidern des alten Indiens tatsächlich bekannt, weshalb auch auf die außerordentliche Eignung des Diamanten als Gravierwerkzeug hingewiesen wurde, ohne damit je die geringste magische oder religiöse Eigenschaft zu verbinden. So wurde darin lediglich ein zusätzliches Attribut gesehen, das das ›mystische Strahlen‹ vervollständigt und krönt.

Wenden wir uns nun von Indien aus der Welt der Griechen und Römer zu. Es ist erstaunlich, dass der Diamant, der im klassischen Griechenland scheinbar unbekannt war, bei den Römern außerordentliches Ansehen genoss. Hatte nicht Plinius geschrieben, dass von allen Gütern der Erde, ›und nicht nur der Edelsteine‹, dem Diamanten der höchste Wert zukommt? Wie soll man sich das erklären? Wir müssen uns hier vor falschen Begründungen hüten und uns strikt an die vorhandenen Texte halten. Gehen wir von dem Grundsatz aus, dass ein Diamant im Rohzustand im allgemeinen nicht glänzt und erst durch den Schliff seine höchste Brillanz und folglich seinen Wert erhält, so gingen manche Autoren des 19. Jahrhunderts trotz fehlender genauer Quellen wohl doch davon aus, dass die Menschen der Antike sich auf den Diamantschliff, wenn auch unvollkommen, verstanden; sonst hätten sie ihm nie einen so herausragenden Platz in der Hierarchie irdischer Güter einräumen können. Diese Form der Argumentation weist nicht nur den Nachteil auf, den Rationalismus des 19. Jahrhunderts in einem ihm fremden Kontext zu übertragen. sondern übergeht auch die uns bekannten Quellen. Sie setzt genau das voraus, was erst bewiesen werden muss: dass es nämlich die optischen Eigenschaften waren, die dem Diamanten in der Antike ein solches Ansehen verschafften. Es existiert aber kein Text, gleich welcher Art, weder griechischen noch römischen Ursprungs, in dem auch nur indirekt die besondere Lichtwirkung erwähnt wird.

Juwelier bei der Arbeit. Indische Miniatur, 18. Jahrhundert. Nationalbibliothek, Paris (Foto: Hubert Josse, Paris)

Der römische Dichter Marcus Manilius, der zur Zeit des Plinius lebte und einer der wenigen Schriftsteller war, die einen Diamanten mit eigenen Augen gesehen hatten, hat uns ein bedeutendes Zeugnis in seinem Lehrgedicht Astronomica hinterlassen. Manilius beschreibt den Diamant als den ›Punkt eines Steins, kostbarer noch als Gold‹. Nur ein Punkt – und trotzdem kostbarer als Gold! Wir begegnen übrigens diesem unverhohlenen Erstaunen quer durch die Jahrhunderte, bis hin zu dem bedeutenden Lapidarium des Anseimus Boetius de Boot aus dem Jahr 1609. Die Gründe für die Sonderstellung des Diamanten in der klassischen Antike sind also – im Gegensatz zu Indien – weder in seinen optischen Eigenschaften noch in seiner extremen Härte zu suchen. Wie bereits erwähnt, gab es das Adjektiv adamas, von dem der Name kam, bereits bevor man dieses Mineral kannte. Es handelt sich nämlich – ebenso wie beim hebräischen ›jahalom‹ – ursprünglich um ein Eigenschaftswort, das als ›unbezwingbar‹ gedeutet werden kann. Hält man sich einzig und allein an konkrete Fakten, so ist nicht zu erklären, warum eine so unscheinbare Materie, sofern sie nicht poliert ist, eine so favorisierte Stellung einnimmt, auch wenn ihm größte Härte zuerkannt wird. So kann man davon ausgehen, dass die Römer wie viele andere Völker auch, dem Diamanten eine philosophische Bedeutung, eine magische Substanz zuschrieben. Der erstaunliche Sagenreichtum, der sich mit dem Ursprung und der Wunderkraft dieses Edelsteins verbindet, würde als Beweis genügen. Es mussten stärkere Motive sein, die mit dem Verstand nicht zu begreifen waren, wenn indische Kaufleute ab dem 3.Jahrhundert v. Chr. »des hohen Gewinnes wegen ihr Leben auf Seereisen wagten« und diesen ›Punkt eines Steins‹, der nicht besonders schön war, zu einem Handelsprodukt auch außerhalb ihres eigenen Landes machten.

Wenn sie den Römern eine ihnen bis dahin unbekannte Ware anboten, die aufgrund ihrer Größe und Unansehnlichkeit bei weitem nicht dem entsprach, was sich die Römer unter einem Edelstein vorstellten, so konnten diese Kaufleute mit dem Wert, den sie ihm selber beimaßen, nur spekulieren. Um so mehr, als das indische Gesetz befahl, die wertvollen Kristalle im Lande zu halten und dem königlichen Schatz zu übergeben. Es war also nicht die eigentliche Schönheit des Diamanten, die die Nachfrage bei den Römern wecken konnte, sondern höchstens seine Seltenheit und seine Härte, die ihn zumindest am Anfang zu einer Kuriosität machten. Doch diese beiden Eigenschaften hätten wohl kaum ausgereicht, dass Plinius 200 Jahre später von dem kostbarsten aller irdischen Güter spricht, wenn das Wort adamas nicht schon lange magisch-religiöse Bedeutung gehabt und eine Art tiefen Respekt hervorgerufen hätte. Ähnlichen Respekt bezeugten auch die Inder dem Diamanten.

Die weißen Oktaeder waren bekanntlich dem Gott Indra geweiht, der irdischen Inkarnation von Sturm, Donner und Blitz, die schwarzen Diamanten, vor allem die »in der Form eines Schlangenkopfes« (Zwillingskristalle!), Yama, dem Totengott; Vishnu, der Herr der Himmel, herrschte ungeachtet der Form über alle Kristalle der Farbe kadali (ein Begriff, der bisher nicht geklärt werden konnte). Magie und Götterglaube fanden hier ein weites Feld. So steht in der Abhandlung Buddhabhattas: »Derjenige, der einen Diamanten trägt, kann alle Gefahren von sich wenden, sei er nun von Schlangen, Feuer, Gift oder Krankheit, von Dieben, Wasser oder bösen Geistern bedroht.« Aus diesen Überzeugungen, die genau auf den Begriff der ›Unbezwingbarkeit‹ weisen, schöpften die indischen Kaufleute ihre Argumente. So boten sie den Römern einen Stein an, der wegen seiner Härte, aber auch wegen seiner magischen Kräfte als die konkrete Verwirklichung des Adamas, des höchsten irdischen Guts, gelten konnte. Da er so den Platz eines ›Talisman‹ einnahm, brauchte er den Vergleich mit anderen Edelsteinen nicht mehr zu fürchten.

Ein indirekter Beweis für die ganz und gar ungewöhnliche Stellung, die der Diamant bei den Römern einnahm, ist die Tatsache, dass er mit der Ausbreitung des Christentums praktisch jede Bedeutung verlor. Die Grundlage der außerirdischen Wertschätzung war zum Aberglauben geworden. Die Persönlichkeit Christi wurde zur konkreten Verwirklichung des Unbezwingbaren, des Adamas. Auch wenn in einem guten Dutzend mittelalterlicher Lapidarien Plinius' Erklärungen über den Diamanten und seine magischen Fähigkeiten wiederholt werden, so steht er trotzdem oft erst an 17. Stelle unter den Edelsteinen. Noch im 16. Jahrhundert räumt Benvenuto Cellini, der berühmte Goldschmied der Renaissance, dem Rubin und dem Smaragd mehr Bedeutung und Wert ein. Der portugiesische Arzt und Naturforscher Garcia ab Horto schreibt seinerseits 1565 nach einer Indien-Reise: »Hier wird der Diamant als König der Edelsteine verehrt; wenn wir jedoch die Merkmale seines Werts und seiner Schönheit betrachten, steht fest, dass der Smaragd für uns an erster Stelle steht, dem der Rubin folgt.« So verlor der Diamant seinen Rang in Europa, als die philosophischen Gedanken, denen er als Untermauerung diente, nicht mehr anerkannt wurden. Erst gegen Ende des 15.Jahrhunderts, als die Schleiftechniken vervollkommnet und verbreitet wurden, steht er wieder an der Spitze aller Edelsteine.

Alexander der Große erreicht auf seinem Indien-Feldzug die Ufer des Oxus. Miniatur aus einer deutschen Handschrift um 1430. Königl. Bibliothek Albert I., Brüssel (Foto: Königl. Bibliothek)

Legenden, Mythen und Naturbeobachtung

Der Feldzug Alexanders des Großen ist das älteste Ereignis in der indischen Geschichte, das sich genau datieren lässt. Der mazedonische Eroberer marschierte 327 v. Chr. mit 100000 Soldaten von Baktrien und Sogdiana durch das Tal von Kabul, trotzte den standhaften Bergstämmen, die den Khyber-Pass bewachten und erreichte schließlich im Frühjahr des folgenden Jahres die Ufer des Indus, der Grenze zum ›Land der fünf heiligen Flüsse‹. (Der Feldzug dauerte nicht lange, die erschöpfte Armee zwang Alexander zur Rückkehr nach Persepolis. Kurz danach starb er 323 in Babylon.) Der Widerstand gegen den Eindringling führte zur Bildung des mächtigen Königreiches Magadha unter Führung von Tschandragupta. Keine Unterlage aus dieser Zeit weist darauf hin, dass die griechischen Soldaten irgendwelche Diamanten erworben hätten. Die Heere waren zu schnell durchgezogen. Es dauerte noch ein paar Jahrhunderte, bis die inzwischen legendäre Gestalt Alexanders mit Spekulationen und Vorstellungen über das Land des Diamanten in Zusammenhang gebracht wurde. In einer Schrift von Epiphanius (um 315–403), Bischof von Salamis und Erzbischof von Zypern, taucht erstmals die Legende vom ›Tal der Diamanten‹ auf; bei ihm bezieht sich die Sage jedoch nicht auf den Diamanten, sondern auf den Hyazinth, einen der Edelsteine, die sich auf dem Pektoral des Hohen Priesters der Juden befanden. Epiphanius schreibt: »In der Wüste der Skythen gibt es ein tiefes Tal, das von felsigen und steilen Bergen umgeben ist; von ihrer Spitze kann man den Grund des Tals nicht sehen, der sich im Nebel verliert wie in einem undurchdringlichen Abgrund. Die Könige der Nachbarländer schicken ihre Leute in die an das Tal grenzenden Berge, damit sie die Edelsteinschätze holen, die sich am Boden des Grundes häufen. Doch dabei müssen sie zu einer List greifen: Sie erschlagen und häuten Schafe, werfen dann die Fleischstücke in die Tiefe, wo die unermesslichen Schätze liegen. Alsbald erscheinen Adler, die in den Felsen hausen; sie stürzen sich durch den Nebel und das Felsenmeer und bringen das Fleisch zu ihrem Horst. Am Fleisch aber kleben die Edelsteine, so dass die Leute des Königs nur mehr das Nest zu plündern brauchen, um die Steine zu gewinnen.«

Das Tal der Diamanten, das von Schlangen mit tödlichem Blick bewacht und von Raubvögeln überflogen wird, die in ihrem Schnabel Fleischbrocken tragen, an denen Diamanten hängen. Miniatur aus einer türkischen Handschrift, 1582. Nationalbibliothek, Paris (Foto: Nationalbibliothek)

Das Tal der Diamanten. Diese Sage kann natürlich nicht aus Indien stammen. Denn hier wurde bereits zu jener Zeit eine planmäßige Diamantförderung betrieben, für die sogar schon die gesetzliche Ablieferungspflicht vorgeschrieben war. Daher ist die Verbreitung dieser Sage um so bemerkenswerter. Man begegnet ihr beispielsweise auch um das Jahr 500 unserer Zeitrechnung in den Memoiren der chinesischen Herrscher der Liang-Dynastie. Sie ist schließlich auch in der ältesten Abhandlung der arabischen Welt über Mineralogie erwähnt (um 750), die fälschlicherweise Aristoteles zugeschrieben wird. Dort tritt erstmals Alexander in Erscheinung, ebenso tauchen plötzlich Schlangen mit tödlichem Blick auf. Aber weitaus interessanter ist, dass es sich jetzt nicht mehr um eine Undefinierte Spezies von Steinen, sondern einzig und allein um Diamanten handelt! Der arabische Verfasser schreibt: »Abgesehen von meinem Schüler Alexander hat noch keiner jemals das Tal erreicht, in dem sich die Diamanten befinden. Es liegt im Osten, an der unendlich langen Grenze von Khurasan. Das menschliche Auge kann den Abgrund nicht durchdringen. Als Alexander das Tal erreicht hatte, hinderte ihn eine Vielzahl von Schlangen am Weitergehen, deren Blicke für den Menschen tödlich wirkten. Er ließ Spiegel verwenden, in denen die Schlangen der eigene Blick traf, an dem sie verendeten. Dann griff Alexander zu einer weiteren List: Schafe wurden geschlachtet und gehäutet, ihre Kadaver in den Abgrund geworfen. Die Raubvögel der umgebenden Berge entführten in ihren Fängen das Fleisch, an dem unzählige Diamanten hingen. Alexanders Krieger brauchten nur noch die Vögel zu jagen, die ihre Beute fallen ließen, worauf die Diamanten gesammelt werden konnten.« Bis auf einige Abweichungen blieb die Sage durch das ganze Mittelalter in dieser Form erhalten. Sie kehrt wieder in den Märchen aus ›Tausendundeiner Nacht‹, in der Hauptepisode der Dritten Reise Sindbad des Seefahrers (Nächte 217/18): Sindbad, vom Vogel Rokh in ein unzugängliches Tal geworfen, das sowohl mit Diamanten wie mit Schlangen übersät ist, und dem Tod ausgeliefert, beobachtet in den Felsen Kaufleute, die Fleischstücke hinunterwerfen, mit denen Geier angelockt werden sollen. Er nimmt eines dieser Stücke, befestigt es an seinem Gürtel und wird dank dieser List von einem der Raubvögel in die Lüfte getragen und in einem Horst hoch oben in den Bergen abgesetzt. Sindbad ist überglücklich über seine Rettung und bietet dem Besitzer des Nestes (denn jeder Kaufmann hatte sein eigenes!) einen prächtigen Diamanten. Dreihundert Jahre später nimmt Marco Polo, venezianischer Bürger und erster gebildeter Europäer, der Asien durchquert hatte und genaue Beobachtungen mitbrachte, in seinem ›Buch der Wunden (1298) seinerseits diese Sage wieder auf und verlegt die Ursprünge nach Indien. Heute gilt als erwiesen, dass diese Erzählungen im 1.Jahrhundert v. Chr. im hellenistischen Orient Gestalt annahmen, zu einer Zeit, als der Diamanthandel gerade einsetzte. Danach sollen sie weiter gen Osten, nach China gelangt sein, von dort zu den Arabern und Persern, bevor sie in Indien und schließlich dann in Europa Verbreitung fanden.

Der Diamant und das Blut des Ziegenbocks. Aber wir können noch weiter zurückgehen; in einer der Sagen, noch lange vor der Diamantental-Legende, wird der Diamant mit dem Blut des Ziegenbocks in Verbindung gebracht; in einer Art Parabel über die Gesetze von ›Sympathie‹ und ›Antipathie‹ in der Natur. Die früheste uns bekannte Quelle ist Plinius. Gleich zweimal finden wir das Beispiel in seiner Historia naturalis. Zuerst im Buch XX: Es handelt von Krieg und von Frieden, von Freundschaft und Feindschaft, von Sympathie und Antipathie zwischen empfindungs- und wahrnehmungslosen Dingen, wobei Plinius nach Feuer und Wasser, Magnet und Eisen das Beispiel vom Diamanten und vom Blut des Ziegenbocks anführt: »Der Diamant, diese seltene Freude des Wohlstands, unbesiegbar und widerstandsfähig gegen jede Gewalt, zerbricht unter der Einwirkung vom Blut des Ziegenbocks«. Im Buch XXXVII kommt er, nachdem er daran erinnert, dass Adamas synonym für ›unbezwingbare Gewalt‹ steht, auf dieses Problem zurück. Er führt den Diamanten als ein Beispiel für Streit und Eintracht an – wenn man will, in der Sprache der Griechen ›Sympathie‹ und ›Antipathie‹. Denn, so fügt er hinzu, »diese unüberwindbare Kraft (Anm.: gemeint ist der Diamant), die den beiden mächtigsten natürlichen Elementen trotzt, dem Eisen und dem Feuer, wird vom Blut des Ziegenbocks gebrochen; aber nur, wenn es frisch und warm sie aufgeweicht hat, und auch dann nur mit vielen Schlägen, bei denen zunächst die stärksten Ambosse und Hämmer zerbrechen.«

Das ›Tal der Diamanten‹. Miniatur aus dem ›Buch der Wunder‹ von Marco Polo. Französische Handschrift. 14. Jahrh. Nationalbibliothek, Paris (Foto: Nationalbibliothek)

Bereits vor Plinius zog sich diese symbolische Interpretation des Universums durch die mittelalterliche Theologie bis hin zu den Naturalisten des 18. Jahrhunderts. Der Ziegenbock als Symbol der Niedrigkeit und des Bösen und der Diamant, Inkarnation der unbezwingbaren Gewalt, werden im christlichen Kontext verschieden angeführt: So kann das reinste, standhafteste Herz durch die Gelüste des Fleisches (des Blutes) besiegt werden, und Christus selber, dieser reine Diamant, wird durch den Leidenskelch erschüttert; doch sein Blut vermag die verstocktesten Sünder zu erweichen. Wie in der Antike, so beruht auch die christliche Symbolik auf einer scharfen Naturbeobachtung, das heißt, auf der unübertrefflichen Härte des Diamanten, und ist aus dieser Sicht auch zu erklären.

Die Kraft des Diamanten über die Magneten. Dagegen ist es weitaus schwieriger, auf rationalem Wege deutlich zu machen, was Plinius bezüglich des Magneten berichtet, dem der Diamant seine Anziehungskraft nehmen kann. Diese ganz und gar ungewöhnliche Eigenschaft überrascht etwas. Man könnte darin auch nur einen ganz belanglosen Spruch sehen, wäre er nicht über Jahrhunderte bis in die Neuzeit immer wieder von durchaus ernst zu nehmenden Autoren aufgenommen worden. Eine geradezu geniale Darstellung finden wir in dem berühmten derb-komischen Roman ›Gargantua und Pantagruel‹, von François Rabelais (um 1494–1553), der zugleich ein berühmter Arzt und Gelehrter war. Als sie am äußersten Punkt ihrer Reise angekommen sind, legen Pantagruel und seine Begleiter im Reich der ›göttlichen Bouteille‹ an und werden aufgefordert, in den unterirdischen Tempel des Bacchus einzutreten, dessen Pforten sich ohne erkennbare Kraft selbsttätig öffnen und schließen, mittels einer komplizierten Vorrichtung von glänzenden Stahlplatten, Magneten und einem ›indischen Diamanten von der Größe einer ägyptischen Bohne‹. Nachdem Rabelais erklärt, dass dieser Mechanismus einem ›verborgenen und erstaunlichen‹ Naturgesetz folgt, das auf der Anziehungskraft des Magneten auf Eisen beruht, fügt er jedoch hinzu, dass dieses System nur funktioniert, ›wenn man den Diamant abgenommen, durch dessen Nachbarschaft der Stahl von dem Gehorsam, den er dem Magnet von Natur erweist, befreit und entbunden war‹. (Für die Lektüre dieses Abschnitts bei Rabelais sei auf die Studie von K. H. Francis, ›The Mechanism of the Magnetic Doors in Rabelais‹, in French Studies 13, Oxford, 1959, verwiesen). Anders ausgedrückt: Der Stein muss entfernt werden, wenn der Magnet seine Wirksamkeit behalten soll.

Das ›Tal der Diamanten‹. Miniatur aus einem katalanischen Atlas, 1375. Der Text rechts besagt: »Diese Männer haben Diamanten gesucht; da sie aber die Berge nicht erklimmen konnten, auf denen sich die Diamanten befinden, werfen sie ganz geschickt Fleischbrocken. Die Steine mit dem Fleisch lassen die Vögel schließlich fallen und dann kann man sie einsammeln«. Nationalbibliothek, Paris (Foto: Nationalbibliothek)

Pagoda, eine Münze, die ›im Reich des Königs von Golconda im Umlauf war … Es ist die beste Münze, die man in die Diamantminen bringen kann‹. Auszug aus den ›Six voyages …‹ von Tavernier. Nationalbibliothek Paris (Foto Hubert Josse, Paris)

Wertkriterien und spezifisches Gewicht. Obgleich diese erstaunliche Deutung zu Zeiten des Römischen Reiches entstand, müssen wir wieder einen Blick auf das frühe Indien des 6.-4. Jh. v. Chr. werfen, wo sie ihren rationalen Ursprung hat. Bei diesem Rückblick gewinnen wir auch gleich einen Eindruck von der Sorgfalt und dem Ausmaß früher indischer Naturbeobachtung. Erinnern wir uns an die Bewertungskriterien für Diamanten, wie sie in den Schriften des Buddhabhatta und des Varahamihira nachzulesen sind. Außer den schon erwähnten gibt es noch ein Kriterium, das wir bisher übergangen haben: den Begriff laghu, den die Sprachforscher für gewöhnlich mit ›spezifisch leicht‹ übersetzen. Ein Diamant musste, um vollkommen zu sein, nicht nur die Form eines reinen und durchsichtigen Oktaeders haben, er musste auch ›laghu‹ sein, das heißt ein geringes spezifisches Gewicht haben. In den Schriften wird präzisiert, dass der höchste Wert erreicht war, wenn ein Diamant ›auf dem Wasser schwamm‹, ein Ausdruck, der Übersetzer und Fachleute immer wieder verwirrt hat. Auch hier müssen wir uns wieder in den Kontext der damaligen Zeit zurückversetzen und beachten, dass die altindischen Gelehrten für ihre genauen Beobachtungen berühmt waren. Sie waren auch erstaunliche Theoretiker, die in der Kunst der Idealisierung und Systematisierung ihres Wissens in breitangelegten religiösen Synthesen erfahren waren. Ihre Einstellung der Natur gegenüber war alles andere als ausschließlich rational, und es ist anzunehmen, dass es sich in vorliegendem Fall um einen bildhaften Ausdruck handelt. Jedes System besitzt eine Eigendynamik, und beim Aufbau einer Werthierarchie war es wesentlich, sie bis zur Abstraktion weiterzuentwickeln, wo sie jederzeit ins Irrationale ›umkippen‹ kann.

Trotzdem wurde in der Praxis das ›laghu‹ berücksichtigt, wobei dieser Ausdruck, auch wenn er unerklärt bleibt, nur auf einer Naturbeobachtung basieren konnte. Überspringen wir vorläufig dieses Problem und beschäftigen uns mit einer weiteren Schrift über Edelsteine, dem Agastimata (verfasst von einem anonymen Schriftsteller irgendwann nach dem sechsten Jahrhundert). Die Bewertung von Diamanten wird hier systematisch auf dem spezifischen Gewicht aufgebaut. Das Idealverhältnis eines farblosen und transparenten Diamant-Oktaeders sah demnach folgendermaßen aus: Hatte er ein Volumen von 3 Yava und ein Gewicht von 3 Tandula, so betrug seine Dichte 3 Pinda. Eine Substanz mit dem Volumen von 3 Yava und dem Gewicht von nur 2 Tandula hatte demnach ein geringeres spezifisches Gewicht; eine Substanz mit 3 Yava Volumen und 4 Tandula Gewicht hingegen hatte ein höheres spezifisches Gewicht. Die im Agastimata gelieferten Angaben gehören glücklicherweise zu den genauesten, vor allem in Bezug auf die ›Diamanten‹, deren spezifisches Gewicht höher liegt als das ideale Verhältnis von 3 Pinda. Übersteigt das spezifische Gewicht eines Diamanten dieses Idealverhältnis beispielsweise um ein Viertel, so sinkt sein Preis um die Hälfte des von den Behörden festgesetzten Preises; ist sein spezifisches Gewicht sogar um die Hälfte höher, so ist er nur noch ein Viertel wert.

Aus dieser kurzen Zusammenfassung wird ersichtlich, dass die Steine mit einem höheren spezifischen Gewicht wesentlich niedriger, also weniger gut eingestuft wurden als die mit einem niedrigeren spezifischen Gewicht.

Da nun aber das spezifische Gewicht des Diamanten mit 3,506–3,524 g/cm3 außerordentlich konstant sind Schwankungen von einem Viertel oder gar der Hälfte unmöglich. Differenzen in dieser Größenordnung können nur auftreten, wenn das spezifische Gewicht des Diamanten mit dem anderer Steine verglichen wird. Es liegt auf der Hand, dass das in indischen Lapidarien aufgestellte Bewertungssystem auf solchen Vergleichen basiert; das Oktaeder versinnbildlichte dabei den Diamanten schlechthin. Alle Mineralien, die in der fast idealen Kristallform des Oktaeders auftraten, galten als ›Diamanten‹, auch wenn ihr unterschiedliches physikalisches ›Verhalten‹ bekannt war.

Der Diamant und das Kastensystem. Auf diesem Hintergrund lassen sich zwei weitere Überlieferungen deuten: Die Farbe der Diamanten wurde früher mit dem Kastensystem in Zusammenhang gebracht. Allein die Brahmanen, die Gelehrten, durften weiße oder farblose Diamanten besitzen; rote waren den Kschatrijas, den Rittern und Kriegern, vorbehalten, die gelben waren für die Vaisjas, zu denen sowohl Grundbesitzer als auch Kaufleute zählten, bestimmt; den vielen Sudras schließlich, den Arbeitern und Handwerkern, standen die grauschwarzen Diamanten zu, deren metallisches Aussehen mit dem ›schwarzen Glanz eines blanken Schwerts‹ verglichen wurde. Diese Verteilung der Steine auf die einzelnen Kasten beruht auf einer Farben-Symbolik, wie sie auch in vielen anderen Ländern existiert, und die leicht zu erklären ist. Unter dem Aspekt der Seltenheit gesehen, setzt das voraus, dass die roten und grauen Diamanten jeweils wesentlich häufiger vorkamen als die weißen und gelben, da die Zahl der Krieger höher lag als die der Brahmanen und die Sudras jedenfalls das Gros der Bevölkerung ausmachten. Da wir wissen, dass ein Oktaeder von einem Carat und vollkommener Form auf 200 Rupaka geschätzt wurde, während der Monatslohn eines Sudra nur 1,25 Rupaka betrug, kann man sich ausrechnen, wie viele Personen Diamanten kaufen konnten. Auch wenn man dabei berücksichtigt, dass ein grauer Diamant nur ein Viertel eines farblosen Diamanten kostete. Für die Krieger stellte sich diese Art Problem natürlich nicht: Man musste sich ihrer Treue versichern, man war auf sie angewiesen. Folglich wurden sie hoch bezahlt, manchmal sogar in Sachwerten entlohnt, mit roten Diamanten.

Indisches Knöchelband aus emailliertem Gold, Ausschnitt. Rubine, Smaragde und Diamanten, einige einfach gespalten und poliert, andere in flacher Rosenform, im ›Mogulschliff‹. Schule von Jaipur, Anfang 19. Jahrhundert. Kollektion M. G. Mehta, Bombay (Foto: Guy Philippart de Foy, Brüssel)

Brahmane, der von Beruf Goldschmied ist und ein Vaisja (Händler). Unten: Ein Parsi auf der Reise. Indische Aquarelle, die das Kastensystem veranschaulichen, 1831. Nationalbibliothek, Paris (Foto: Nationalbibliothek)

Doch waren sie nicht die einzigen, die rote Diamanten besaßen. Auf der Halbinsel Kathiawar lebte ein ursprünglich aus Persien eingewanderter Volksstamm, dessen Vorliebe und Sucht nach diesen roten Diamanten bekannt war. Diese Parsen waren ›Feueranbeter‹, für die die rote Farbe eine ganz besondere Symbolkraft besaß; für sie hatte das Feuer die allegorische Bedeutung von Reinheit und Helligkeit.

Bedenkt man, wie äußerst selten diese Art Diamanten in der Natur vorkommt, drängt sich die Frage auf, wie eine solche Anhäufung von Steinen möglich war, um so mehr, als die Parsen unvorstellbare Mengen davon besessen haben sollen.

Waren es wirklich alles Diamanten, von denen hier erzählt wird? Aber wenn nicht, was für Steine sollen es denn gewesen sein? Sehen wir uns im Mineralreich um, so stoßen wir sehr bald auf jenen Diamanten, besser ›Quasi-Diamanten‹, der den ›Glanz des Schwertes‹ besitzt, in Oktaedern vorkommt und spezifisch nahezu um die Hälfte schwerer ist als der Diamant: Es ist der Magneteisenstein oder Magnetit, ein schwarzgraues, undurchsichtiges Mineral (spez. Gewicht 5,2), das in Indien sehr häufig anzutreffen ist. Hier liegt auch die Erklärung, warum Plinius unter den verschiedenen Diamanten auch einen Siderit (Eisenspat) nennt, einen schwarzen Diamanten, der schwerer und von geringerer Härte sei, so dass man ihn bohren könne.

Hier aber finden wir auch Zugang zum ›Diamant-und-Magnet-Mythos‹, der weder mythische Herkunft hat noch allegorischer Deutung bedarf. Es ist eine schlichte Naturbeobachtung – Magneteisenstein/Magnetit als Diamant der Sudras, dessen Preis, sofern es sich um einen ›idealen‹ Stein handelte, nur noch ein Viertel des farblosen Diamanten betrug.

Doch nicht nur der Magnetit galt als Diamant, als ›Quasi-Diamant‹. Ein weiterer Blick ins Mineralreich lässt uns auch jenen roten Stein finden, der im spezifischen Gewicht dem Diamanten fast entspricht und für den die Kristallgestalt des Oktaeders geradezu typisch ist: den roten Spinell. Nur so ist zu erklären, dass rote Diamanten nicht nur einer ganzen Kaste zugebilligt wurden, sondern darüber hinaus auch ein ganzer Volksstamm in seiner Vorliebe für rote Diamanten diese horten konnte: Es waren rote Spinelle, die die Kschatrijas besaßen und die von den Parsen gesammelt wurden. Auch in der Bewertung nach dem spezifischen Gewicht erreichten die roten Spinelle die ideale Einheit des ›Pinda‹: Der Unterschied im Verhältniswert 3,60 zu dem Diamanten (3,52) ist so gering, dass er mit damaligen Vergleichsmethoden kaum erfasst werden konnte.

Ein Sudra (Arbeiter) und ein Kschatrija (Soldat). Indische Aquarelle, die das Kastensystem veranschaulichen, 1831. Nationalbibliothek, Paris (Foto: Nationalbibliothek)

So liegt auf der Hand, dass rote ›Diamanten‹ zwar Höchstwerte erreichen konnten, doch preislich absolut im Rahmen der großzügigen Entlohnung der Krieger gelegen haben dürften, während jene grauschwarzen ›Diamanten mit dem Glanz des Schwertes‹ eher den Verdienstmöglichkeiten der Sudras entsprachen.

Die Handelswege im Altertum. Sehr spärliche Angaben besitzen wir über den Diamanthandel in frühesten Zeiten; die Quellen sind dünn und fehlen gar über ganze Zeiträume. Aus dem Studium der indischen Lapidarien geht hervor, dass das Gebiet am Golf von Cambay im Nordwesten Indiens, die Kaiinga-Küste im Osten und die Tiefebene des Ganges Haupthandels- und Umschlagplätze waren. In der Nähe der Gangesebene und der Kalinga-Küste waren denn auch wichtige Diamantvorkommen, jedoch der Golf von Cambay, immerhin das größte Exportzentrum im Altertum, lag fernab von jedem Abbaugebiet. Forschungen über Somnath, Suppara und Barundsch bestätigten die Rolle, die diese Städte zu jener Zeit im Handel mit dem Abendland gespielt haben. Das Ratnapariksa, unsere älteste Quelle, erwähnt bereits den Export von Diamanten vor dem 6. Jahrhundert und erklärt sogar, dass er von der Gangesebene aus erfolgte. Daraus kann abgeleitet werden, dass dieser Handel wahrscheinlich auf der alten natürlichen Handelsstraße des Pandschab verlief, der über die Pässe des rauen, teilweise vergletscherten Hindukusch in das berühmte Tal von Bamian führt.

Einige Autoren stellten die Hypothese auf, dass die in Indien gefundenen Diamanten bis ins 10. Jahrhundert unserer Zeitrechnung im Land geblieben und erst nach den Einfällen der Muselmanen ins Abendland gelangt seien. Das war zu jener Zeit, als Mahmud de Ghasni (998–1030) 17mal das obere Gangestal geplündert und die Halbinsel Kathiawar überfallen hatte, wo er vor allem den prachtvollen Tempel von Somnath zerstörte. Dazu muss bemerkt werden, dass die Grenzen des Königreiches, das er gründete, nie über den westlichen Pandschab hinausgingen, und dass, auch wenn diese Plünderungen ganz beträchtlich waren, sie den Handel der damaligen Zeit wohl kaum hätten beeinflussen können.

Das Reich der Ghasni-Dynastie reichte nie bis zu den Diamanten-Vorkommen in der Hochebene von Dekhan. Erst im 12. Jahrhundert erreichten die Herrscher von Ghor (Ghoriden) Delhi, eroberten Bihar, Oberbengalen und besetzten, nachdem sie Gwahor eingenommen hatten, die Halbinsel Kathiawar, so dass sie um 1200 in den Besitz der Diamantvorkommen von Bundelkhand kamen. So soll denn auch der bedeutendste Ghoridenfürst, Muhammad Ghori, der 1206 starb, bei seinem Tod etwa 400 Pfund Diamanten hinterlassen haben, die sicher nicht nur allein Ergebnis seiner Plünderungen sondern auch der Ausbeute der Minen von Panna waren, die heute noch in Betrieb sind. Es besteht kein Grund zu der Annahme, der indische Diamantexport habe sich auf der Basis der im Lauf von Jahrhunderten zusammengetragenen Schätze entwickelt. Im Gegenteil, die alten indischen Lapidarien mit ihren Tarif- und Preislisten wie auch die Beschreibungen der ersten Europäer, die dieses Land besuchten, lassen viel eher vermuten, dass schon seit frühester Zeit auf Anordnung der jeweiligen Herrscher eine ständige Diamantproduktion betrieben wurde, die auch für den Handel bestimmt war. Ein indirekter Beweis dafür findet sich bei einem anonymen griechischen Schreiber aus dem 1. Jahrhundert unserer Zeitrechnung, dessen Schrift ›Rundreise um das Meer von Eritrea‹ (Rotes Meer) betitelt ist. Sie behandelt den nördlichen Teil des Indischen Ozeans und erwähnt ausdrücklich die Hafenorte in Indien, die damals für den Diamanthandel bekannt waren: das heutige Nileshwar und ein gewisses Bacare, das nicht mehr existiert und wahrscheinlich an der Mündung des Kandragiri gelegen war. Hier wird der Diamant zum ersten Mal in Zusammenhang gebracht mit der berühmten Seestraße, die die Küste von Malabar mit dem Persischen Golf verbindet und die bis zum Beginn der Römerzeit eine der Haupthandelsstraßen war. Versucht man nun, sich ein Bild von dem Ausmaß des Handelsaustauschs zwischen Ostasien und Europa zu machen – und zwar von der Blütezeit des Römischen Reiches bis zur Ankunft der Europäer in Indien zu Beginn des 16. Jahrhunderts –, so ist man erstaunt über die Regelmäßigkeit und Beständigkeit. Nur zum Zeitpunkt des Untergangs Roms ist ein leichter Rückgang zu sehen. Bald aber knüpften die kleinen italienischen Küstenrepubliken lebhafte Beziehungen zu den wichtigsten Hafenstädten des Mittelmeeres (Alexandria, Tyrus, Antiochia, Byzanz), in denen von nun an alle Waren einliefen, die das Rote Meer und den Persischen Golf passiert hatten. Dieser Zustand hielt an, bis Vasco da Gama im Mai 1498 einen direkten Seeweg nach Ostindien entdeckte. Die politisch instabile Lage, die Indien seit dem 7. Jahrhundert zerrüttete und das Land in mehrere rivahsierende Königreiche spaltete, konnte den Diamantexport natürlich nur ankurbeln. Man sollte annehmen, dass die lebhafte Entwicklung des Handels mit Europa im Mittelalter den Export steigerte. Doch dem war nicht so. Denn im Mittelalter gelangte – wie schon zur Zeit des Römischen Reiches – nur ein kleiner Teil der indischen Produktion nach Europa. Bis zur Entdeckung des direkten Seeweges nach Indien besaßen Perser und Araber das Monopol für den Karawanentransport. So hatten die einheimischen Herrscher entlang des Weges sozusagen eine erste Sicht, ein Vorkaufsrecht für alle Edelsteine, deren Transport sie sicherstellten. Die orientalischen Fürsten, leidenschaftliche Schatzsammler und stets darauf bedacht, ihre Throne mit prachtvollen Juwelen noch mehr zu schmücken, suchten natürlich stets die schönsten Steine aus, angefangen bei den Diamanten. Für Plinius konnten denn auch nur Könige, und selbst unter ihnen nur wenige, Diamanten kennen. So ist es möglich, dass noch im 7. Jahrhundert n. Chr. der lateinische Kirchenlehrer und Erzbischof Isidor von Sevilla (560–630) in seinem Steinbuch Diamanten als ›klein und unscheinbar‹ beschreibt.

Raub eines Hindu-Abbilds durch Mahmud de Ghasni. Aus einer Hindu-Handschrift, 18. Jahrhundert. (Foto: Nationalbibliothek)

Karawane. Miniatur von ai-Wasiti für die ›Maqamat (Versarnmlungen) von al-Hann‹. Baghdad, 1237. Nationalbibliothek, Paris (Foto: Nationalbibliothek)

Karte der Handelswege im 1, Jahrhundert v. Chr. bis zum 3. Jahrhundert. (Zeichnung: Burns Graphics, London)

Neben seinem Wert als Talisman hatte der Diamant jedoch in griechisch-römischer Zeit auch eine praktische Verwendung: Er wurde auf einen eisernen Halter montiert und ersetzte als Gravierwerkzeug allmählich den Korund, wie Pünius berichtet. Mit ihm wurden die Arbeiten der Steinschneider erleichtert, sie wurden präziser und auch noch schöner. Diese Art von ›Gravierspitze‹ war bereits im 2. Jahrhundert v. Chr. bekannt. Den Beweis dafür erbringt eine chinesische Handschrift aus dieser Zeit mit dem Titel ›Lie Tseu‹ oder ›Buch des Meisters Lie‹. Dort wird ein Instrument mit dem Namen kun-wu erwähnt, das nichts anderes als ein Eisenstab mit einer Diamantspitze ist. Das Buch nennt nur das Instrument und Fu-lin (Rom) als den Ort seiner Herkunft, sagt aber nichts über den Diamanten selber aus, außer, dass er aus dem Westen kommt. Viel später erst, im 5. Jahrhundert n. Chr., wird in einigen Handschriften genau und ausdrücklich angegeben, dass dieser Edelstein aus Ta Ts'in, das heißt aus dem Oströmischen Reich stammt.

Wenn es auch eher überrascht, welchen Weg der Diamant genommen hat, so bestätigen uns diese Quellen immerhin, dass Indien den wertvollsten aller Steine als Werkzeug schon lange vor den Einfällen der Muselmanen im Jahr 1000 exportiert hat. Außerdem gilt als sicher, dass zwischen Chinesen und Indern spätestens im 3. Jahrhundert n. Chr. direkte Kontakte bestanden und Diamanten zu den Tauschprodukten zählten. Wang Chen bemerkt in seiner ›Bestandsaufnahme von Kuriositäten in den Südprovinzen‹ (Nun Chou i Wu ki), die er um 270 n. Chr. verfasste, dass der Diamant ungefähr einer Perle ähnele, womit abgerollte Rohdiamanten treffend beschrieben sind. Dann erwähnt er seine außerordentliche Härte und fügt hinzu, dass die Ausländer (d. h. die Nicht-Chinesen) ihn in Ringen fassen, die sie als Amulette tragen, in der Hoffnung, sich so vor geheimen Kräften oder Gift zu schützen. Diese Bemerkung ist äußerst aufschlussreich: Da die Chinesen nicht die magischen Vorstellungen der Inder oder der abendländischen Völker hatten, konnten sie die Verwendung eines so unscheinbaren Steines als Talisman nur skeptisch sehen.

Lagerstätten und Handelszentren Indiens. (Zeichnung: Burns Graphics, London)

Produktionsmethoden in Indien

Über kaum etwas sagen die historischen Quellen so wenig aus wie über die Diamantförderung Indiens bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Manchmal werden insgesamt 30 Millionen Carat angegeben, doch ist dies reine Spekulation, die durch nichts bestätigt werden kann.

Die ersten, wenn auch wenig zuverlässigen Informationen über die indischen Minen verdanken wir François Jean-Baptiste Tavernier (1605–1689). Der zuerst von Mazarin, später von Ludwig XIV. geförderte Kaufmann und Edelsteinexperte unternahm zahlreiche Reisen nach Indien und hinterließ einen Reisebericht (1676), in dem es von wertvollen Informationen nur so wimmelt. (Auf sie kommen wir später noch zurück). In Wirklichkeit besuchte Tavernier nur drei von den vielen Minen, nämlich Raolconda, Gani Coulour und Soumelpour, die er auch kurz beschreibt. Leider zu kurz, um sich dabei eine Vorstellung von den Abbaumethoden oder der Bedeutung der Produktion im 17. Jahrhundert machen zu können. Paradoxerweise werden wir über die Produktionsmethoden früherer Zeiten beinahe besser informiert, dank der Notizen, die Garcia ab Horto, Leibarzt des indischen Vizekönigs in Goa, 1565 nach einer Reise auf die Hochebene von Dekhan machte. Er berichtet auch über den damals weitverbreiteten indischen Glauben, dass auf bereits abgebautem und aufgeschlossenem Gestein immer wieder neue Diamanten entstünden. Auch Anseimus Boetius de Boot, Leibarzt des Kaisers Rudolf IL, übernimmt diese Vorstellung in seinem berühmten Steinbuch (1609) ebenso wie 1647 der Antwerpener Ioannis de Laet: »Wenn die Gruben, die in Mannshöhe abgebaut werden, erschöpft sind, gibt man sie auf, öffnet sie aber dreißig oder vierzig Jahre später wieder, da sich inzwischen neue Diamanten gebildet haben«. Hier handelt es sich nicht um eine Legende, sondern um einen äußerst genauen Hinweis auf eine bestimmte Abbaumethode, die ganz unbewusst auf den Vorgang der natürlichen Verwitterung zurückgriff.

Während es bei fluvialen (von fließendem Wasser abgetragenen) oder alluvialen (angeschwemmten) Vorkommen genügt, das Geröll oder den Sand mit dem Sieb zu waschen, muss das Gestein hier zuerst zerkleinert werden. Sind die Behandlungsmethoden primitiv – und dies war bis Mitte des 20. Jahrhunderts der Fall sind sie nur rentabel, wenn eine große Menge von Gestein verarbeitet wird. Dies geht nicht ohne Verluste ab, da nicht alle im Gestein vorhandenen Diamanten beim ersten Mal gewonnen werden können. Daher gibt man zu einem bestimmten Zeitpunkt die Arbeitsstätte auf, dann arbeitet die Verwitterung an der Zerkleinerung des Gesteins weiter. Wird nach ein paar Jahren das verwitterte Geröll erneut ausgewaschen, werden tatsächlich weitere Diamanten gefunden. Da dieser Vorgang in längeren zeitlichen Abständen sogar mehrmals Erfolg haben kann, bis die Mine völlig erschöpft ist, entstand der Glaube, dass sich im Felsgestein neue Diamanten bildeten. Aus diesen Angaben ist zu entnehmen, dass sich die Diamantförderung in Indien seit dem 16. Jahrhundert nicht auf den relativ leichten Abbau alluvialer und fluvialer Lager beschränkte, sondern auch Felsschichten über und unter Tage bearbeitet wurden; daher ergab sich die Notwendigkeit, Stollen oder Schächte zu graben. So gesehen wirft der Bericht von Garcia ab Horto ein ganz neues Licht auf die Beobachtungen des griechischen Seefahrers Eudoxus von Cyzicus, der Indien um 120. v. Chr. besuchte und ohne genauer darauf einzugehen berichtet, dass man neben den alluvialen Vorkommen auch ›tiefe Stollen grub‹. Bei einer solchen Übereinstimmung der Aussagen über Jahrhunderte hinweg kann mit einiger Sicherheit behauptet werden, dass diese Art des Abbaus schon lange vor unserer Zeitrechnung praktiziert wurde und wahrscheinlich auf früheste Zeiten zurückgeht. Die Tatsache, dass die Abbauorte, die noch in Betrieb waren als Indien im 18. Jahrhundert seine Monopolstellung verlor, ausnahmslos Verwitterungslagerstätten höherer Ordnung waren, bedeutet nicht, dass es sich ebenso ausnahmslos um Flussalluvionen oder oberflächliche Seifenlagerstätten handelte. Die geologischen Vorgänge der Ablagerung neuer und der Überlagerung anderer Schichten auf die ursprünglich gebildeten diamantreichen Sedimente, weiter die chemischen Vorgänge der Verkittung vormals lockerer Ablagerungen lassen den Diamanten in Indien großteils in anstehenden, festen Sandsteinen und Konglomeraten eingeschlossen finden. Diese verfestigten sekundären Lagerstätten unterliegen erneut der Verwitterung und natürlichen Abtragung, so dass der Diamant auch in ihrem Verwitterungsprodukt und in den Alluvionen der Flüsse auftritt, die den anstehenden Sandstein und dessen Verwitterungsprodukt durchfließen; Er findet sich hier auf tertiärer Lagerstätte oder solcher höherer Ordnung.

Edelsteingewinnung in alluvialem Gebiet am Rand eines Flusses in Indien, ›einem Land, wo es eine große Fülle von Edelsteinen gibt‹. Miniatur aus der französischen Handschritt ›Die Geheimnisse der Naturgeschichte‹, um 1480. Nationalbibliothek, Paris (Foto: Nationalbibliothek)

San-Marco-Platz in Venedig. Miniatur aus der französischen Handschrift ›Beschreibung der Herrschaft Venedigs‹, Ende 15. Jahrhundert. Musee Conde, Chantilly (Foto: Giraudon, Paris)

Den Reiseberichten nach zu urteilen schienen sich die Abbaumethoden der Vorkommen in Flüssen nicht wesentlich von denen zu unterscheiden, die heute noch auf den von Hand betriebenen Arbeitsstätten in Afrika praktiziert werden. Die Gewinnung erfolgt durch Schaufeln, Auswaschen und Auslesen.

Bestenfalls fing man mit dem Aushub einer Arbeitsgrube an und teufte dann Schächte, die bis zu 25 m tief sein konnten. Offensichtlich aber begnügte man sich meist mit Höhlen von ein paar Metern Durchmesser und einer Tiefe von höchstens sechs Metern. War die diamanthaltige Schicht erreicht und das darüberliegende Gestein genügend fest, wagte man sich an kurze Seitenstollen. Tavernier berichtet, dass die Männer den Abbau vornahmen, während die Frauen und manchmal auch die Kinder die Steine aussuchten. Obgleich Produktionszahlen fehlen, zeigt sich dennoch aus den Angaben von Ioannis de Laet über die Vorkommen der Ellore-Gruppe entlang des Flusses Krishna der industrielle Charakter des Diamantabbaus zumindest zu Beginn des 17. Jahrhunderts: 30000 Arbeiter waren damit beschäftigt, das Gestein abzubauen, zu zerkleinern und die Diamanten auszulesen. Etwa zwanzig Jahre später besucht Tavernier die Vorkommen von Gani Coulour, die damals als die bedeutendsten der Ellore-Gruppe galten, und schätzt die Arbeiter auf 60000. Bei der Mine von Soumelpour im Nordosten Indiens, die zur kleineren Gruppe von Sambalpour gehörte, gibt er 8000 Arbeiter an. Trotz ihres bruchstückhaften Charakters lassen diese Angaben vermuten, dass der Diamantabbau im Laufe des 17. Jahrhunderts schnell intensiviert wurde und dann seinen Höhepunkt erreichte. Denn knapp hundert Jahre später, als 1750 die Minen in Brasilien entdeckt wurden, sank er ebenso schnell wieder bis fast zur Bedeutungslosigkeit ab.

Handel und Verarbeitung des Diamanten vom 13. bis zum 18. Jahrhundert

Zwischen der Abfassung der beiden indischen Lapidarschriften des Buddhabhatta und des Varahamihira und den ersten Zeugnissen der Araber aus dem 13. Jahrhundert liegen sechshundert Jahre, aus denen wir nicht ein einziges Dokument über den Handel mit Schmuckdiamanten besitzen. Die Schriften nehmen lediglich die antiken Beschreibungen wieder auf und ändern sie manchmal um: So wurde zum Beispiel der legendäre Berg al-Rahun, wo sich das ›Tal der Diamanten‹ befunden haben soll, von Indien nach Ceylon, auf die Insel Serendib (heute Sri Lanka), verlegt. Zwischenstationen im Handel zwischen Indien und China mag es dort vielleicht gegeben haben, Diamanten aber wurden dort nie gefunden. Die arabischen Schriftsteller und Geographen des 13. Jahrhunderts sprechen ihrerseits nur vom Diamanten in Verbindung mit den beiden großen Handelsstraßen zwischen Indien und dem Mittelmeer. Die erste haben wir bereits kennengelernt; sie verläuft vom Golf von Cambay oder den Befestigungen an der Küste von Malabar über den Umschlagplatz Aden nach Äthiopien und Ägypten, nach Kairo und Alexandria. Wie der Historia naturalis des Plinius zu entnehmen ist, der als Ursprungsland des Diamanten Äthiopien angibt, ist dies der älteste Weg. Er lässt keinen Zweifel daran, dass der äthiopische Diamant der Römer der Diamant ist, der uns interessiert und nicht irgendein anderer Edelstein. Doch gibt es Grund genug zu der Annahme, dass kein Schmuckdiamant auf dem Weg durch das Rote Meer nach Europa gelangt ist.

Venedig und das Diamantmonopol vom 13. bis zum 16. Jahrhundert. Für den Diamanthandel wurde die Nordroute offenbar bevorzugt. Marco Polo ist im 13. Jahrhundert der erste Reisende, der die Insel Ormus als bedeutendsten Markt für Edelsteine und besonders für Diamanten aus Indien bezeichnet; von dort wurden die Steine über Persien nach Armenien und in die Türkei oder nach Aleppo (NW-Syrien) auf arabischen Boden transportiert. Als letzte Station auf dem Weg nach Konstantinopel oder Venedig nahm Aleppo schließlich eine Vorrangstellung ein, wie es der Vertrag bezeugt, der 969/70 zwischen dem byzantinischen Kaiser und den muselmanischen Herrschern der Stadt geschlossen wurde und der ausdrücklich Edelsteine als zollpflichtig aufführt.

Als Bindeglied zwischen Europa und dem Orient wird die Dogenstadt Venedig zum größten Lagerhaus indischer Produkte auf dem Kontinent und besitzt zwei Jahrhunderte lang das Monopol über den Diamanthandel. Erst als Vasco da Gama 1498 die direkte Verbindung auf dem Seeweg nach Indien entdeckt, verlagert sich der Diamanthandel allmählich nach Lissabon.

Karte des Persischen Golfs mit der Insel Ormus und der Spitze der arabischen Halbinsel. Aus den ›Sechs Reisen des J.-B. Tavernier in die Türkei, nach Persien und nach Indien …‹, Paris, Ausgabe von 1676. Nationalbibliothek, Paris (Foto: Hubert Josse, Paris)

Brügge und die Sage von Lodewijk van Berckem. Die ersten Informationen über die entstehende Diamantenindustrie in Europa betreffen Süddeutschland, dessen große Städte zumindest seit Beginn des 16. Jahrhunderts einen dauerhaften Handel mit Venedig betrieben. Die Lehrzeit war dort bereits gewissen Vorschriften unterworfen, und erst eine Abschlussprüfung berechtigte zur Berufsausübung. Daraus lässt sich schließen, dass die Schleifkunst damals mitten im Aufschwung stand und sogar schon wesentliche Fortschritte gemacht hatte. Alles deutet darauf hin, dass Venedig auf diesem Gebiet eine führende Rolle gespielt hat.

Die deutschen Städte waren nicht die einzigen, die sich auszeichneten; der Wohlstand von Brügge im 14. Jahrhundert hängt sowohl mit dem Handel als auch mit dem Schleifen von Diamanten zusammen. Brügge unterhielt enge Beziehungen zu Venedig und war, mit Damme als Außenhafen, einer der größten Umschlaghäfen zwischen Nord- und Südeuropa. Der Diamant könnte hier seit Anfang des 15. Jahrhunderts sozusagen Bürgerrecht erworben haben, auch wenn überrascht, dass in den Stadtarchiven vor 1465 kein einziger Schleifer von Edelsteinen aufgeführt ist. Vermutlich, weil die Schleifer lange in der Minderheit waren und Schleifarbeiten teilweise auch von Goldschmieden ausgeführt wurden, bis das Wissen um die Besonderheiten des Diamanten eine Spezialisierung erforderlich machte. Die Stadt war am äußersten Endpunkt des Handelsweges gelegen, der von der Lagune Venedigs über Mailand und die Alpen ins Rheintal führte. Wenn Brügge das Venedig des Nordens genannt wird, dann verdankt es dies nicht nur seinen Kanälen, sondern auch einer bedeutenden Kolonie italienischer Händler, die neben Seidenwaren Diamanten aus der Dogenstadt zum Schleifen mitbrachten. Bei der Entfernung der beiden Städte kam es wohl zu keiner Konkurrenz, und da die Nordroute nicht ungefährlich war (es war offensichtlich weniger riskant, Rohdiamanten als geschliffene Diamanten zu transportieren), wurde Brügge als letzte Station allmählich zu einem berühmten Schleifzentrum.

Das bezeugt, in der Sage, die Geschichte Lodewijks van Berckem, dem lange das Verdienst zugeschrieben wurde, den Diamantschliff erfunden zu haben. Er hatte herausgefunden, dass ein Diamant nur mit einem anderen Diamanten bearbeitet werden konnte. Nach seiner Entdeckung soll Lodewijk von Karl dem Kühnen, Herzog von Burgund, beauftragt worden sein, drei Steine zu bearbeiten und sie ›nach seiner Fähigkeit zu polieren‹: Der größte wurde von manchen Autoren als der berühmte ›Florentiner‹ identifiziert, den der Herzog in der Schlacht von Nancy (1477) trug, in der er den Tod finden sollte. Der zweite Diamant war für Papst Sixtus IV. bestimmt. Der dritte war ein dreieckiger Diamant, der auf einem Ring mit zwei kleinen Händen gefasst war und den der Herzog von Burgund Ludwig XI. zum Zeichen der Versöhnung schenkte. Für diese Arbeit soll der Mann aus Brügge immerhin 3000 Dukaten erhalten haben, in der damaligen Zeit ein kleines Vermögen.

Der berühmte Bankier Fugger (in Schwarz) mit seinem Gehilfen Matthias Schwartz in einem seiner Büros. Aquarell, 1516–1517. Nationalbibliothek, Paris (Foto: Nationalbibliothek)

Obgleich sich die Sage bis heute gehalten hat, ihr Wahrheitsgehalt ist dürftig. Einziger Beweis: ein zwei Jahrhunderte später herausgegebenes Werk des Pariser Juweliers Robert de Berquen.

In dieser neuen Abhandlung über Edelsteine und Perlen unter dem Titel ›Märchen aus West- und Ostindien behauptet de Berquen, der Brillantschliff sei 1476 von Lodewijk van Berckem, einem seiner Vorfahren, in Brügge erfunden worden. Es wäre legitim, wenn es sich hierbei um eine geschickte Inszenierung seitens des Verfassers handelt, um seinen Namen aus kaufmännischen Zwecken mit einer über die Landesgrenzen hinaus berühmten Erfindung zu verbinden.

Ganze Archive wurden in Brügge, Brüssel und Lille durchsucht, um die Verträge Philipp des Guten oder Karl des Kühnen mit den Lieferanten noch einmal einzusehen. Aber in keiner Urkunde wird Lodewijk van Berckem erwähnt, wie auch sein Name in der späteren Literatur in der Zeit zwischen 1476 und 1661 nicht auftaucht.

Das einzig wichtige an dieser Erzählung scheint das gesteigerte Interesse der Herzöge von Burgund für Juwelen und besonders für Diamanten zu sein, das zur Entwicklung des Handels und der Industrie von Edelsteinen in ihren flandrischen Besitzungen beitrug.

Die Ende des 15. Jahrhunderts herausragende Stellung von Brügge sollte mit der Versandung der Zwin schwinden. Wie viele andere wirtschaftliche Bereiche verlagerte sich auch der Diamanthandel allmählich nach Antwerpen, wo sich neue Erleichterungen im Transport und Umsatz anboten. Ein Gesetz der Behörden Antwerpens aus dem Jahr 1447 beweist indirekt diesen Sachverhalt und lässt vermuten, dass der Handel mit Edelsteinen in voller Blüte stand und die Ausübung geschützt werden musste. Dieser Erlass macht Einwohner wie Besucher auf die Gefahren des Handels mit falschen Edelsteinen aufmerksam: »Keiner kann einen falschen Stein kaufen, verkaufen, einlösen oder abgeben, sei es eine Imitation von Diamanten, Rubinen, Smaragden oder Saphiren, unter Androhung einer Geldstrafe von 25 Dukaten, davon ein Drittel für den Herrscher, ein Drittel für die Stadt und ein Drittel für den Zuträger« (Jan Walgrave, ›The History of Diamonds in Antwerp‹).

Venezianisches Handelsschiff. Gemälde von Carpaccio, Ausschnitt aus ›Begegnung der hl. Ursula mit ihrem Verlobtem. Um 1495. Accademia, Venedig (Foto: Scala, Florenz)

Die Achse Lissabon-Antwerpen im 16. Jahrhundert.