Die 11 Geheimnisse des IKEA-Erfolgs - Rüdiger Jungbluth - E-Book

Die 11 Geheimnisse des IKEA-Erfolgs E-Book

Rüdiger Jungbluth

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Beschreibung

IKEA ist Kult. IKEA ist unglaublich erfolgreich. Sein umstrittener Gründer Ingvar Kamprad gilt manchen (vor allem Schweden) heute als der reichste Mann der Welt. Dieses Buch erzählt die Story Kamprads und seines Unternehmens und erklärt, welche Erfolgsgeheimnisse IKEA so einzigartig machen.

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Die 11 Geheimnisse des IKEA-Erfolgs
Jungbluth, Rüdiger
Campus Verlag
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
9783593401577
Copyright © 2006. Campus Verlag GmbH, Frankfurt am Main
Besuchen Sie uns im Internet: www.campus.de
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|9|Prolog

Im März 2004 trafen sich Angela Merkel und Edmund Stoiber bei Guido Westerwelle in der Berliner Mommsenstraße. Es ging um nichts geringeres als die Entscheidung, wer der nächste Bundespräsident werden sollte. Die drei Spitzenpolitiker nutzten das private Ambiente von Westerwelles Wohnung, um sich auf Horst Köhler zu verständigen. Wahrscheinlich entging ihnen dabei, dass ihre Entscheidung an einem Tisch von Ikea getroffen wurde.

Es dürfte das erste Mal in der deutschen Geschichte gewesen sein, dass ein Staatsoberhaupt in einer privaten Etagenwohnung gekürt wurde. Keineswegs ungewöhnlich war hingegen, dass sich in dieser Wohnung Möbel von Ikea befanden. Denn unter fast jedem deutschen Dach steht heute irgendetwas von der schwedischen Einrichtungskette. Auch Gerhard Schröder hat in seiner Zeit als Bundeskanzler schon mal ein Schuhschränkchen von Ikea zusammengebaut.

Seit mehr als drei Jahrzehnten ist Ikea in Deutschland erfolgreich. Für die Möbelkette ist es der wichtigste Markt, in keinem anderen Land der Welt verkauft Ikea mehr Möbel und Accessoires. Das Unternehmen, das 1974 als »Das unmögliche Möbelhaus aus Schweden« seine erste deutsche Filiale in Eching bei München eröffnete, nimmt hierzulande inzwischen mehr als zweieinhalbmal so viel ein wie in seiner Heimat.

Obwohl die Deutschen in den vergangenen Jahren immer weniger Geld für Möbel ausgegeben haben, wuchs Ikea immer weiter. Das Unternehmen scheint immun zu sein gegen die Konsumschwäche. Im Geschäftsjahr 2005 (das bei Ikea mit dem Monat August endete) wuchs der Umsatz der 36 Möbelhäuser zwischen Freiburg und Kiel um elf Prozent auf 2,8 Milliarden Euro. Er übertraf damit den des |10|Axel Springer Verlages, der RTL-Gruppe oder den der McDonald’s-Restaurants.

Mittlerweile arbeiten fast 12 000 Menschen in Deutschland für Ikea. Und es werden laufend mehr. Bis 2010 will Ikea 5 000 weitere neue Stellen schaffen. Derzeit steht das Möbelhaus in der Rangliste der Unternehmen, die hierzulande die meisten Jobs schaffen, ganz oben.

Ikea ist aber nicht nur auf dem deutschen Markt eine Erfolgsgeschichte, es ist auch eine dynamische Globalisierungsstory. In gut zwei Jahrzehnten ist die Möbelkette zu einem wahrhaft weltumspannenden Unternehmen aufgestiegen. Bei Ikea kaufen heute nicht nur Schweden und Deutsche, sondern auch Araber und Israelis, Australier, Russen und Chinesen. Der Möbelmulti ist mit mehr als 230 Einrichtungshäusern in 33 Ländern präsent.

Wenn die Firmenführung markieren möchte, wo Ikea gerade expandiert, muss sie den Globus einmal um seine Achse drehen. Allein im vergangenen Jahr hat Ikea neue Einrichtungshäuser in diesen Städten eröffnet: London, Haarlem, Paris, Bilbao, Brüssel, Duisburg, Istanbul, Siegen, Asturias, Rom, Atlanta, Arlon, Dallas, Dijon, Osnabrück, Padua, St. Etienne, Chicago, Hsing Chuang, Erfurt und Boston.

Ikea gehört zu den stärksten Marken der Welt, obwohl das Unternehmen verglichen mit Coca Cola, McDonald’s und Nike wenig für Werbung ausgibt. Mit 14,8 Milliarden Euro war der weltweite Umsatz von Ikea 2004/2005 mehr als doppelt so hoch wie der von Adidas oder Porsche. Die Einnahmen der Möbelkette übertrafen die von Ebay sogar um das Fünffache.

Einen einsamen Rekord hält der Ikea-Katalog, dem jedes Jahr im August Millionen Menschen rund um den Globus entgegenfiebern. Er ist die mit Abstand auflagenstärkste Verkaufspublikation der Welt. Von der Ausgabe 2006 wurden 160 Millionen Exemplare verteilt.

Doch warum konnte ausgerechnet ein schwedisches Unternehmen zur größten Möbelfirma weltweit aufsteigen? Die Schweden sind ja ein ziemlich kleines Volk in einer geografischen Randlage. Sicher, das Land ist zur Hälfte mit Wald bedeckt. Dass es Möbel produziert und exportiert, ist nicht verwunderlich. Aber das vermag noch nicht die Tatsache zu erklären, dass dieses Unternehmen, was seinen Einfluss auf die Alltagskultur betrifft, zu einer wirklichen Weltmacht geworden |11|ist. Ikea prägt den globalen Massengeschmack.

Wie war das möglich? Welche Geheimnisse stehen hinter dem Ikea-Erfolg? Aus welchen Faktoren setzt er sich zusammen? Wie wurde Ikea zur »vollkommenen globalen Kult-Marke« (BusinessWeek)? Und: Stimmt die Wirklichkeit des Unternehmens mit seinem positiven öffentlichen Bild überein? Diese Fragen will dieses Buch beantworten.

Zunächst jedoch wird die Lebensgeschichte eines außergewöhnlichen Mannes erzählt: Ingvar Kamprad. Denn was jetzt ein international operierender Konzern ist, hat 1943 als Ein-Mann-Unternehmen eines schwedischen Realschülers begonnen. Und heute gibt es wohl kaum ein Unternehmen dieser Größenordnung, das so dauerhaft und nachhaltig durch den Charakter seines Gründer beeinflusst worden ist wie Ikea. Ingvar Kamprad ist Ikea, und Ikea ist Ingvar Kamprad. Die Abkürzung IKEA steht auch für Ingvar Kamprad Elmtaryd Agunnaryd. Elmtaryd ist der Name des Waldbauernhofes in Südschweden, auf dem Kamprad aufwuchs. Agunnaryd heißt das einige Kilometer entfernt liegende Kirchdorf.

Der Unternehmensgründer Ingvar Kamprad gilt als einer der reichsten Männer der Welt.

Nicht ganz eindeutig lässt sich jedoch bestimmen, ob Ikea heute noch ein schwedisches Unternehmen ist. Die Wurzeln des Unternehmens liegen ohne Zweifel im südschwedischen Småland. Gesteuert wird der Konzern aber seit langem aus Holland und Belgien.

Der Gründer selbst lebt mit seiner Familie seit Jahrzehnten in der Schweiz. Und zu den Dingen, die Kamprad nach eigener Aussage stark geprägt haben, zählt die Tatsache, »dass ich von einer deutschen Großmutter und einem deutschen Vater erzogen wurde«.

Manche Experten, vor allem schwedische, halten Kamprad heute |12|für den reichsten Mann der Welt. Das US-Magazin Forbes taxierte sein Vermögen zuletzt auf 23 Milliarden US-Dollar und sah ihn damit auf Platz sechs. Wie hoch auch immer Kamprads Vermögen sein mag und welchen Rang er damit international einnimmt, sicher ist in jedem Fall, dass der Ikea-Gründer unter den Multimilliardären derjenige mit den geringsten persönlichen Ansprüchen und dem größten Geiz ist.

Wer ist dieser Mann, der von sich selbst sagt, er habe keinen Geschmack, dessen Möbelkette aber das Stilempfinden von einigen hundert Millionen Menschen rund um den Globus beeinflusst? Was bewegt diesen Menschen, der am 30. März 2006 seinen achtzigsten Geburtstag gefeiert hat und der immer noch jedes neue Produkt im Ikea-Sortiment vor der Einführung sehen will?

Ingvar Kamprad ist ein kauziger, eigenwilliger und widersprüchlicher Mensch. Aber es steht außer Zweifel, dass er eine der größten unternehmerischen Leistungen des 20. Jahrhunderts vollbracht hat.

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|13|Teil 1

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|15|1. Kapitel

»Verkaufen wurde zu einer Art fixen Idee«

Ingvar Kamprads Kindheit in der Bullerbü-Welt

Der wichtigste Mensch im Leben des Jungen Ingvar Kamprad war seine Großmutter. Sie hieß Franziska und wurde Fanny genannt. Oma und Enkel lebten in den dreißiger Jahren auf dem abgelegenen Bauernhof Elmtaryd, 6 Kilometer entfernt von dem Dorf Agunnaryd in Südschweden.

Der kleine Ingvar ging noch nicht zur Schule, aber er liebte es schon, Geschäfte zu machen. Wirkliche Geschäfte, nicht nur gespielte. Mit fünf Jahren kaufte er sich eine Großpackung Streichhölzer und verkaufte die 100 Schachteln einzeln an die Erwachsenen, die um ihn herum waren. Die Päckchen, für die er weniger als 1 Öre pro Stück bezahlt hatte, brachten ihm 2, manchmal sogar 5 Öre ein und obendrein verschafften sie ihm ein Hochgefühl, wie er es zuvor nicht erlebt hatte.

So nahm der Junge Weihnachtskarten, Wandschmuck und Stifte in sein Sortiment, manchmal auch Preiselbeeren, die er selbst im Wald gepflückt hatte. Was immer Ingvar zu verkaufen hatte, seine erste Kundin war stets die Großmutter. Oma Fanny nahm ihm jedes Mal etwas ab, wenn er mit seinen Waren zu ihr kam. Sie kaufte zwar nicht viel, denn sie achtete sehr auf ihr Geld, aber sie gab dem Enkelsohn doch genug, dass er nicht enttäuscht wurde. Beflügelt von seinem Geschäftserfolg rannte Ingvar dann los, um den nächsten Kunden zu gewinnen: einen der Knechte, die auf dem Hof arbeiteten, oder einen Waldbauern in der Nachbarschaft von Elmtaryd.

Der Handel mit der Großmutter war für den kleinen Ingvar auch deshalb etwas Besonderes, weil sie die unumschränkte Herrscherin auf dem Gutshof war. Fanny Kamprad war nicht der Typ der lieben, nachsichtigen Oma, die am Rande der Familie stand und froh sein |16|konnte, wenn sich wenigstens der Enkelsohn für sie interessierte. Sie war eine strenge Frau mit großem Durchsetzungsvermögen, die jedermann in ihrer Umgebung großen Respekt einflößte.

Der Bauernhof Elmtaryd heute. In dem Haus in der Bildmitte ist Ingvar Kamprad aufgewachsen, im Haupthaus rechts lebte die Großmutter.

Ein Hof im Wald

Auf dem Hof Elmtaryd lebten Anfang der dreißiger Jahre acht Erwachsene. Neben Ingvars Großmutter und seinen Eltern waren das Ingvars unverheirateter Onkel Erich und seine ebenfalls ledige Tante Erna. Außerdem gab es zwei Knechte und einen Pferdepfleger mit einer ganzen Schar von Kindern.

Die Endung -ryd im Namen des Gutshofes bedeutet Rodung, denn rings um Elmtaryd und seine Wiesen war tiefer dunkler Wald. Das Anwesen selbst bestand aus drei Gebäuden, die um einen kleinen Platz angeordnet waren, der in der Mitte leicht erhöht und bepflanzt war. Das Haupthaus war ein zweigeschossiges Holzhaus mit Veranda an der Vorderfront, wie es typisch war für Schweden. Es war allerdings nicht mit Falunröd, der roten Farbe aus dem Kupferbergbau in Falun, angestrichen worden, sondern in einem hellen gelblichen Ton. Die beiden anderen Häuser waren |17|kleiner. Eines war aus Stein gebaut. Dort wohnte Ingvar mit seinen Eltern.

Der Waldbauernhof Elmtaryd liegt in einer Einöde in Südschweden.

Die Großmutter bewohnte das Haupthaus. In ihre Küche trugen die Knechte Abend für Abend die frisch gemolkene Milch in Eimern, und Fanny teilte sie dann auf. Wenn auf dem Hof Vieh geschlachtet wurde, überwachte die Großmutter die Zerlegung und nahm sich dabei selbst die besten Stücke. Ihre Schwiegertochter Berta, die Mutter des kleinen Ingvars, musste sich mit dem begnügen, was ihr zugeteilt wurde.

Da die Großmutter eine sparsame Frau war, hatte sie verfügt, dass auf Elmtaryd immer erst das alte, gepökelte Fleisch aufgebraucht werden musste, bevor frisches gekocht oder gebraten werden durfte. Ingvars Mutter gab sich zwar alle Mühe, dem Fleisch das Salz zu entziehen, indem sie es, so lange es eben ging, in Wasser legte. Aber es half nicht viel. So kam es, dass sich der Junge Ingvar Fleisch immer nur in der Verbindung mit dem Geschmack von Salz vorstellen konnte.

Ingvars Mutter litt gelegentlich unter dem diktatorischen Wesen ihrer Schwiegermutter, aber sie hatte akzeptiert, dass die alte Frau auf Elmtaryd das Sagen hatte. Anders als Fanny war Berta Kamprad eine Frau von freundlichem und ausgeglichenem Charakter. Für Ingvar war sie eine »Heldin im Stillen«, wie er es als Erwachsener einmal |18|formulieren sollte. Berta Kamprad war souverän genug, sich nicht auf einen Machtkampf mit ihrer Schwiegermutter einzulassen – des häuslichen Friedens willen und wohl auch ihrem Mann zuliebe.

Feodor Kamprad stand sehr unter dem Einfluss seiner Mutter und war stets bestrebt, es ihr recht zu machen. An kalten Morgen heizte er zuerst ihren Kachelofen, damit sie es warm hatte, wenn sie aus dem Bett stieg. Eigentlich hatte Feodor einen anderen Beruf als den des Landwirts ergreifen wollen, aber seine Mutter hatte das nicht zugelassen. Einen Vater gab es in Feodors Leben schon lange nicht mehr.

Achim Erdmann Kamprad hatte sich im Frühjahr 1897 erschossen, als Feodor noch ein Kind gewesen war und Fanny eine junge Frau. Diese Tragödie könnte erklären, warum aus Fanny eine harte und resolute Frau geworden war.

Auswanderer aus Deutschland

1896 war Franziska Kamprad an der Seite ihres Ehemannes mit der Fähre aus Deutschland in Trelleborg angekommen. Sie war damals 26, ihr Mann Achim 30. Das Paar hatte zwei kleine Kinder bei sich, den damals dreijährigen Feodor und den einjährigen Erich.

Die Kamprads hatten sich in Sachsen auf den Weg nach Schweden gemacht. Als sie in ihrer neuen Heimat landeten, sprachen sie kein Wort Schwedisch. Aber die Einwanderer waren nicht arm wie Hunderttausende Schweden, die zu dieser Zeit ihr Land verließen und nach Nordamerika auswanderten.

Achim Erdmann Kamprad war der Sohn eines großbürgerlichen Gutsbesitzers namens Zacharias August Kamprad und einer Adligen, die als Mädchen den wohlklingenden Namen Sidonie von Bärenstein getragen hatte. Er war auf dem Rittergut Wildenhain bei Lucka im Dreiländereck von Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt aufgewachsen. Als junger Mann hatte Achim Kamprad eine Forstschule in Böhmen besucht, das damals noch zur österreichisch-ungarischen Monarchie gehörte.

In Böhmen hatte er Fanny kennen gelernt. Wahrscheinlich waren |19|sich die beiden in der Schankwirtschaft begegnet, die Fannys Mutter in Grunthal bei Olbernhau betrieben hatte.

Fanny war kein feines Mädchen. Sie war unehelich geboren worden und verdankte ihr Leben dem Seitensprung eines verheirateten Bergbauingenieurs, mit dem sich ihre Mutter in jungen Jahren eingelassen hatte. Dieser Mann war aber immerhin finanziell für das Kind eingestanden. Fanny war im Haus des Zollbeamten Glatz aufgewachsen, den ihre Mutter bald nach ihrer Geburt geheiratet hatte und mit dem sie drei Kinder bekommen hatte.

Der Standesunterschied hatte Franziska Schön und Achim Kamprad nicht davon abgehalten zu heiraten. Achim Kamprads vornehme Mutter jedoch war von der Verbindung nicht angetan. Die Adelsfrau hatte in ihrem Leben zwölf Kinder geboren, von denen nur drei das Erwachsenenalter erreicht hatten. An die Überlebenden hatte sie große Erwartungen. Ihr Sohn Achim hatte wie sein Vater den Beruf des Forstwirts gelernt, zum Forstmeister hatte es bei ihm allerdings schon nicht mehr gereicht.

Warum Achim Kamprad gegen Ende des Jahrhunderts den Entschluss fasste, aus Deutschland fortzugehen und in Schweden ein neues Leben zu beginnen, ist nicht überliefert. Sein Vater war sieben Jahre zuvor gestorben, und es ist zu vermuten, dass Achims älterer Bruder dann die Bewirtschaftung des Ritterguts Wildenhain übernommen hatte. Für Achim war dort vermutlich seither kein Platz mehr gewesen. Vielleicht hatte es aber auch an der Ablehnung gelegen, die seine Familie der Frau entgegenbrachte, die er liebte und geheiratet hatte.

Es kann aber auch schiere Abenteuerlust gewesen sein, die Kamprad überfallen hatte, als er 1894 beim Blättern in seiner Jagdzeitung auf eine Annonce gestoßen war, in der ein Gutshof mit zugehörigem Wald in Småland angeboten wurde.

Småland, das hatte für ihn fremd geklungen. Was der kleine Kreis über dem A bedeutete, wusste er nicht. Per Brief hatte Achim sein Interesse an dem Hof Elmtaryd bekundet, und nach einigem Hin und Her war das Geschäft perfekt gemacht worden. 1895 war der Eigentümerwechsel beim Amtsgericht Älmhult in das Grundbuch eingetragen worden. Von nun an konnte Achim Kamprad 449 Hektar schwedischen Waldes sein Eigen nennen.

|20|Als das Grundstück umgeschrieben wurde, war Achim Kamprad noch in Deutschland. Es gilt als verbürgt, dass er den Forst, den er in Småland kaufte, zuvor nicht einmal angesehen hatte. Das war, wenn es denn stimmt, wohl ein Fehler. Denn nachdem die Kamprads 1896 aus Deutschland angereist waren und von einem Kutscher zu ihrem abgelegenen Besitz im Wald gebracht worden waren, mussten sie feststellen, dass der Betrieb in einem erheblich schlechteren Zustand war, als sie es erwartet hatten. Der Hof erforderte große Investitionen und harte Arbeit.

Beides vermochte Achim Kamprad nicht zu leisten. Nachdem er den Kaufpreis mit seinem Erbe finanziert hatte, konnte er auf weitere Mittel nicht zurückgreifen. Er war aber auch kein Mensch, der sein Leben der Arbeit opfern wollte. Achim Kamprad liebte die Jagd und hatte eine Leidenschaft für Hunde. Gerne besuchte er Gastwirtschaften. Von Kindheit an war er ein großbürgerliches Leben gewohnt. In Schweden angekommen, hatte er sogleich einen Kutscher angestellt, der ihn durch die Gegend fahren musste. Vor der Kneipe ließ Kamprad den Mann warten.

Die Einheimischen beargwöhnten die Fremden aus Deutschland. Die waren etwas Besonderes. Schweden war zu dieser Zeit ein Auswanderungsland, kein Einwanderungsland. Småland, die neue Heimat der Kamprads, war eine besonders arme Gegend. Bis 1658 war es das unwegsame Grenzland zum verfeindeten Dänemark gewesen. Dunkle Nadelwälder prägten das Bild dieser Moränenlandschaft. Der Boden war karg.

Mit viel Mühe hatten die Menschen im Laufe der Jahrhunderte kleine Waldstücke gerodet, um Wiesen oder gar Felder anzulegen. Die Steine hatten sie zu Mauern aufgeschichtet. Es gab zwar einige Glashütten in der Gegend, aber nicht genug auskömmliche Arbeit für eine schnell wachsende Bevölkerung.

Um 1800 hatten in ganz Schweden, einem Land, das ein Viertel größer ist als das heutige Deutschland, gerade einmal zwei Millionen Menschen gelebt. Dann war die hohe Sterblichkeit zurückgegangen und die Einwohnerzahl rasant gestiegen. Von Armut und Hunger getrieben flohen viele Menschen ins Ausland. Historiker haben errechnet, dass im 19. Jahrhundert jeder vierte Schwede sein Heimatland |21|verlassen hat. Die meisten gingen nach Amerika. Der Exodus erreichte zwischen 1880 und 1890 seinen Höhepunkt, also kurz bevor die Kamprads nach Schweden kamen. Trotz der Auswanderung wuchs die Bevölkerung in Schweden weiter. 1900 lebten dort fünf Millionen Menschen.

Achim Kamprad, der vermögende Immigrant aus Deutschland, weckte den Neid der Einheimischen. Bald aber sprach sich in der Gegend herum, dass der junge Gutsbesitzer in wirtschaftlichen Schwierigkeiten steckte. Da witterte mancher Nachbar die Chance, seinen eigenen Besitz billig zu erweitern.

In seiner Bedrängnis bemühte sich Achim Kamprad um einen Bankkredit. Aber die Herren auf der Sparkasse in Agunnaryd verweigerten ihm das gewünschte Darlehen. Die Lage erschien ihm ausweglos. Achim Kamprad erkannte, dass die Auswanderung nach Schweden ein Fehler gewesen war. Ein Großteil seines Geldes war verloren. Voller Verzweiflung und auch Selbstmitleid jagte er sich im Frühjahr 1897 eine Kugel in den Kopf. Seine Familie überließ er sich selbst.

Die Kamprads in Småland, das waren nun die junge Witwe Fanny, ihre beiden kleinen Söhne und ein Mädchen, das Fanny noch im Bauch trug, als ihr Mann den Freitod wählte. Erna Kamprad wurde sechs Monate nach dem Tod ihres Vaters geboren.

Eine Witwe setzt sich durch

Allein auf sich selbst gestellt, nahm Fanny Kamprad den Kampf um Elmtaryd auf. Sie übernahm das Regiment auf dem Gut und begab sich in die Auseinandersetzung mit einer ihr ziemlich feindlich gesonnenen Umgebung. Sie arbeitete hart und zielstrebig, so als wollte sie nun allein das zu Ende bringen, was sie einst gemeinsam mit ihrem Mann in Schweden angefangen hatte.

Unterstützung erfuhr die junge Witwe überraschenderweise von ihrer ungeliebten Schwiegermutter. Sidonie Kamprad kam der Familie nicht nur mit Geld zur Hilfe. Einmal reiste die alte Dame, die auf Schloss Podenschau in Sachsen aufgewachsen war, sogar persönlich nach Schweden, um Fanny zur Seite zu stehen.

|22|Nachdem Fanny Kamprad die alleinige Verantwortung für Elmtaryd zugefallen war, blieb ihr für die Erziehung ihrer drei Kinder kaum noch Zeit. Auf Wunsch der deutschen Schwiegermutter wurde ein Hauslehrer eingestellt, der sich um Feodor, Erich und Erna kümmerte. Die Kinder erhielten Sprachunterricht und lernten rechnen. Als sie alt genug waren, wechselten sie auf ein renommiertes Privatinternat in der südschwedischen Universitätsstadt Lund.

Die wirtschaftliche Lage der Familie besserte sich bald. 1900 starb Fannys Schwiegermutter und hinterließ ihren Enkelkindern einen Teil ihres Vermögens. Das Geld floss in das Gut Elmtaryd und trug dazu bei, die Existenz der kleinen Auswandererfamilie in Schweden zu sichern.

Fannys ältester Sohn Feodor machte in Lund das Abitur gemeinsam mit den Sprösslingen vornehmer schwedischer Familien, aber seine Mutter überließ ihm nicht die Wahl eines Berufs nach seinem Willen. Er musste zurück in den Wald, das stand für sie fest. Fanny Kamprad bestand darauf, dass Feodor sich um den Gutshof Elmtaryd kümmerte. Dabei hatte sie schon früh einen Verwalter angestellt, der den Betrieb geführt hatte, wenn sie mit ihren drei Kindern auf Reisen in ihre böhmische Heimat gegangen war.

Die ersten Jahre arbeitete Feodor Kamprad unter der Aufsicht seiner Mutter. Als er 25 Jahre alt wurde, übertrug sie ihm formell die Leitung des Gutes. Ihr Sohn war immer noch Junggeselle. Aber sein Blick fiel bald auf eine junge Frau aus der Umgebung, und er verliebte sich.

Heirat mit einer Kaufmannstochter

Berta Nilsson entstammte einer alteingesessenen Kaufmannsfamilie in Älmhult. Älmhult ist eine Kleinstadt im Süden des riesigen Möckelnsees, an dessen Nordufer die Pfarrgemeinde Agunnaryd liegt. Der Name Älmhult bedeutet soviel wie Ulmengehölz, und die Holzindustrie war auch das wirtschaftliche Rückgrat des Städtchens.

Die Nilssons handelten mit Grundstücken und mit Eisenwaren. Außerdem betrieben sie ein Kaufhaus. Nach ihrer Heirat lebten Berta und Feodor Kamprad in den zwanziger Jahren zunächst auf einem |23|Hof, den die Ehefrau von ihrem Vater als Mitgift bekommen hatte. Dieser Hof lag in Majtorp, etwa 20 Kilometer entfernt von Elmtaryd, wo Fanny und die übrige Familie Kamprad lebten.

1926 kam Ingvar Kamprad zur Welt. Er wurde am 30. März in einem Entbindungsheim des Weißen Kreuzes in Pjätteryd, nordöstlich von Älmhult, geboren und war das erste Kind in der Ehe von Berta und Feodor Kamprad. Vier Jahre später sollte noch ein Mädchen hinzukommen, das den Namen Kerstin erhielt.

Als kleiner Junge fuhr Ingvar oft mit seinem Vater auf einem Pferdefuhrwerk die kleine gewundene Straße durch den Wald nach Elmtaryd zur Großmutter. Feodor Kamprad hatte Arbeit auf zwei Höfen zu erledigen und pendelte. Als Ingvar sieben Jahre alt war, zog er mit seinen Eltern und der Schwester in die Waldeinöde. Vermutlich hatte Fanny ihren Sohn mit seiner Familie bei sich haben wollen und diesen Wunsch schließlich auch durchgesetzt.

Auf dem Hof im Wald fand Ingvar einen Spielkameraden im Sohn des Pferdepflegers, der ebenfalls in Elmtaryd lebte. Der kleine Kalle Andersson hatte noch vier Geschwister. Im Kreis dieser Kinder fühlte sich Ingvar Kamprad außerordentlich wohl.

Manchmal durfte er bei den Anderssons übernachten. Das war ein aufregendes Erlebnis, denn alle fünf Kinder der Familie schliefen auf einem einzigen großen Sofa. Ingvar genoss das sehr. Noch als alter Mann sollte er sich an das Gefühl der Geborgenheit erinnern, das er damals empfunden hat und das ihn für sein Leben geprägt hat: »Ich bin ein typisches Herdentier und fühle mich eigentlich nur in Gemeinschaft wohl.«

Wenn Ingvar für sich allein war, verschaffte er sich die gewünschte Gesellschaft im Kopf. Wie viele Kinder in seinem Alter schuf er sich unsichtbare Freunde. In seiner Fantasie waren zwei Indianer seine ständigen Begleiter, sie hießen Kamfert und Schane.

Ein echter Kaufmannsladen als Spielzimmer

Für die Landwirtschaft, das Vieh und den Forst interessierte sich der Junge nicht sonderlich. Das war seine tägliche Umgebung. Dagegen |24|faszinierte ihn der Kaufmannsladen seines Großvaters über alle Maßen.

Dieses Geschäft lag gegenüber dem Bahnhof in Älmhult und trug den Namen »C. B. Nilsson«. Es wurde von Valter Nilsson, dem Bruder von Ingvars Mutter, geführt. Aber auch Ingvars Großvater, ein überaus gutmütiger und leutseliger Mann, verbrachte immer noch die meiste Zeit des Tages im Laden.

In dem Laden roch es nach Hering, Bonbons und Leder. Im Hinterhof des Hauses wurden die Pferde gefüttert, die die Wagen der Kunden hergezogen hatten. Auf Ingvar übte vor allem das große Magazin eine Faszination aus. Dort wurden die Waren gelagert, ein riesiges Sortiment, das sogar Dynamit einschloss. Viele Stunden brachte der Junge in dem Laden zu und sog die Atmosphäre in sich auf.

Fünf Gehilfen arbeiteten damals für C. B. Nilsson. Auch für Ingvar gab es manchmal etwas zu erledigen. Onkel Valter beauftragte ihn mit Botengängen. Der Großvater hingegen verlangte nichts von seinem Enkelsohn und verwöhnte ihn mit Aufmerksamkeit und Zuwendung. Nilsson spielte leidenschaftlich und phantasievoll mit dem Kind. Es machte ihm nichts aus, sich unter einen Tisch zu hocken, wenn Ingvar gerade auf die Idee gekommen war, sich mit seinem Opa in eine Höhle zurückziehen zu wollen. Auch sonst ließ sich der Seniorchef willig von dem Kind herumkommandieren.

Die Welt, in der Ingvar Kamprad aufwuchs, war eine heile Welt. Es war just dieselbe Welt, die Millionen Kinder in späteren Jahren aus den Kinderbüchern von Astrid Lindgren kennen lernen sollten. Denn die Schriftstellerin wurde wie Kamprad in Småland geboren, allerdings schon 19 Jahre früher als er. Sie wuchs in der Nähe von Vimmerby auf dem Hof Näs in dem gleichen bäuerlichen Milieu auf wie Kamprad in Elmtaryd. Vor allem in ihren drei Büchern über die Kinder aus Bullerbü hat Astrid Lindgren diese Welt verewigt. Es ist eine Welt, in der das Kinderleben eine Abfolge großer, schöner Tage ist. Eine Welt voller spielerischer Abenteuer.

Die Parallelen sind bemerkenswert. Wie in Lindgrens Bullerbü standen in Kamprads Elmtaryd drei Häuser beieinander, die den Kosmos für die Kinder bildeten. Und wie die Familien in Bullerbü |25|waren auch die Kamprads eine bäuerliche Großfamilie, die sich selbst versorgte mit dem, was Vieh und Äcker hergaben.

In den Geschichten der Astrid Lindgren treten die Erwachsenen kaum in Erscheinung. Sie werden so sehr von ihren Aufgaben in Anspruch genommen, dass sie keine Zeit haben, sich in das Leben der Kinder einzumischen. Manchmal müssen die Kinder auf den Feldern mitarbeiten, aber diese Arbeit ist ein Teil von Spiel und Gemeinschaft.

Auch Ingvar Kamprad lernte als Junge, mit der Sense eine Wiese zu mähen. Oft musste er die Kühe melken, aber das war eine Arbeit, die ihm lästig und unangenehm war. Astrid Lindgren zog für sich das Fazit: »Ich glaube, das, was unsere Kindheit so glücklich machte, war, dass wir sowohl genügend Freiheit als auch Geborgenheit hatten.« Ingvar Kamprad hat seine Kindheit genauso in Erinnerung behalten. Zeitlebens hat er es als ein großes Glück empfunden, »dass ich als Kind in einem äußerst geschützten Milieu aufwuchs und nichts über die Härten des Lebens lernte«.

Hinzu kam das Naturerlebnis in dieser südschwedischen Wildnis mit ihren dunklen majestätischen Wäldern. Småland heißt wörtlich übersetzt kleines Land, aber in Wirklichkeit ist es ein weites Land mit Wäldern und Seen, so weit das Auge reicht. »Wenn du einmal an einem frühen Sonntagmorgen im Juni in einem Wald in Småland gewesen bist, dann wirst du dich sofort erinnern, wie es ist«, schreibt Astrid Lindgren in ihrem Buch Michel bringt die Welt in Ordnung: »Du hörst den Kuckuck rufen und die Amsel flöten und du fühlst, wie weich die Kiefernnadeln unter deinen nackten Füßen sind und wie schön die Sonne deinen Nacken wärmt. Du gehst dahin und magst den Harzduft von Kiefern und Tannen und du siehst, wie weiß die Walderdbeeren auf den Lichtungen blühen.«

Diese urwüchsige und stille Landschaft zog schon in den dreißiger Jahren Touristen an. Weil die Geschäfte mit dem Holz und der Landwirtschaft auf Elmtaryd damals nicht genug abwarfen, tat Berta Kamprad der Familie eine neue Einnahmequelle auf. Sie richtete einige Zimmer in ihrem Haus und in dem der Großmutter her und vermietete sie an Sommergäste. Die Besucher genossen auf Elmtaryd Vollpension. Mit ihren Feriengästen unternahmen die Kamprads manchmal Bootstouren auf dem nahe gelegenen Möckelnsee.

|26|Für Ingvar bedeuteten die fremden Besucher Abwechslung und Einschränkung zugleich. »Jedes Zimmer war belegt, außer dem von Mutter und Vater, wo wir uns alle mit hineinquetschten«, erinnerte er sich später an die Sommermonate seiner Kindheit. Aber der Junge verstand sehr wohl, dass die Familie auf das Geld angewiesen war.

Den Wert des Geldes begriff Ingvar Kamprad ungewöhnlich früh. Sein Vater nahm ihn manchmal mit in den Wald auf Inspektionstouren und berichtete ihm dann von seinen Plänen. Feodor Kamprad wollte an einigen Stellen neue Waldwege anlegen lassen, aber dazu fehlten ihm die Mittel. Dass der Vater nicht so konnte, wie er wollte, bedrückte den Jungen. »Ich erinnere mich, dass ich dachte: Wenn ich Vater nur helfen könnte ...«

Geld zu verdienen, spielte in Ingvar Kamprads Leben schon früh eine große Rolle. Wenn er im Möckelnsee angeln ging, dann nicht um des Vergnügens willen, sondern weil er den Fang anschließend zu Geld machen konnte. »Verkaufen wurde zu einer Art fixen Idee«, erinnerte er sich später an diese Erfahrung zurück.

Im Alter von elf Jahren ließ Ingvar sich von einer Samenhandlung in Nassjö beliefern und verkaufte die Tütchen an die Kleinbauern der Umgebung. »Das war mein erstes richtiges Geschäft, damit verdiente ich tatsächlich Geld.« Von seinem Gewinn kaufte sich der Junge ein Fahrrad und eine Schreibmaschine. Beide Anschaffungen waren im Grunde Investitionen, Hilfsmittel für weitere Geschäfte des Heranwachsenden.

Ingvar und der Zündholzkönig

Ingvar Kamprad hatte damals ein großes Vorbild. Das war Ivar Kreuger, den alle Welt den Zündholzkönig nannte. Kreuger war ein Industrieller, der ebenfalls aus Südschweden stammte, und zwar aus der Stadt Kalmar an der Ostküste. Schon in jungen Jahren war er als Bauunternehmer in Südafrika und Amerika erfolgreich gewesen. Nach dem Ersten Weltkrieg war Kreuger nach Europa zurückgekehrt und hatte einen gewaltigen Konzern aufgebaut, der sich um die Produktion und den Verkauf von Zündhölzern drehte.

|27|Das sichere Streichholz war eine schwedische Erfindung. Der Chemiker Gustaf Erik Pasch hatte 1844 im småländischen Jönköping erstmalig Zündhölzer mit getrennter Zünd- und Reibmasse hergestellt, die sich in der Tasche nicht selbst entzünden konnten. Jahrzehnte später machte Ivar Kreuger daraus ein globales Geschäft.

Kreugers Einfluss reichte bald weit über die Grenzen Schwedens hinaus. Der Industrielle eroberte mit seinen Streichhölzern einen Auslandsmarkt nach dem anderen, indem er die jeweiligen nationalen Konkurrenten mit Dumpingpreisen so lange schwächte, bis er das Geschäft kontrollierte. So entstand unter dem Dach seiner Holdinggesellschaft Swedish Match eine Unternehmensgruppe, die in den dreißiger Jahren rund 150 Tochterfirmen umfasste. Der Mann wurde zur Wirtschaftsmacht.

Gegen Ende seines Lebens beherrschte Kreuger den Zündholzmarkt in nicht weniger als 33 Ländern der Erde. Rund 60 Prozent der Weltproduktion an Streichhölzern lagen in seiner Hand. Daneben gehörten dem Zündholzkönig eine Vielzahl an Berg- und Verhüttungswerken, ein großer Teil der schwedischen Papierindustrie mitsamt den dazugehörigen Wäldern und auch die Telefonfirma Ericsson.

Es war daher alles andere als ein Zufall, dass der kleine Ingvar Kamprad seine ersten Handelsgeschäfte mit Zündhölzern machte. Schon im Alter von fünf Jahren hatte er auf die Frage seiner Tante, was er später einmal werden wollte, geantwortet: »Ein neuer Kreuger.«

In den dreißiger Jahren war Kreugers Name in Europa in aller Munde. Der Schwede galt als der Inbegriff des modernen Kapitalisten. Allein in Deutschland erschienen sechs Bücher über ihn. Die Macht des Zündholzkönigs faszinierte Europas Literaten und Intellektuelle ebenso wie den normalen Zeitungsleser, und sie regte besonders die Fantasie des Jungen in Småland an. »Alle sprachen über Kreuger«, erinnerte sich Ingvar Kamprad als alter Mann im Gespräch mit seinem Biografen. »Ich wollte wie er Geld verdienen.«

Kreuger war ein außerordentlich geschickter Stratege und er machte seine Geschäfte nicht selten mit Regierungen. 1929 schloss er zum Beispiel mit dem Deutschen Reich einen Vertrag ab, der ihm den Absatz seiner Streichhölzer unter der Marke »Welthölzer« in |28|Deutschland sicherte. Als Gegenleistung gab er dem Weimarer Staat, dem es damals wegen der Reparationszahlungen und der Wirtschaftskrise an Geld mangelte, einen Kredit über 125 Millionen US-Dollar. Im Januar 1930 verabschiedete der Reichstag das so genannte Zündwarenmonopolgesetz, durch das Kreuger zwei Drittel des Streichholzabsatzes garantiert wurden. Dieses Monopol sollte noch bis zum Jahr 1983 Bestand haben.

Kreuger selbst endete in den dreißiger Jahren unglücklich. Er hatte ein zu großes Rad gedreht. Als sich die Weltwirtschaftskrise verschärfte, drehten ihm die Banken den Geldhahn zu. Dann kam auch noch heraus, dass der Industrielle seine Geldgeber betrogen hatte, indem er ihnen Sicherheiten vorgegaukelt hatte, die er nicht hatte. 1932 starb der Schwede in einem Pariser Hotel, vermutlich durch eigene Hand. Der Zusammenbruch seines Konzerns erschütterte das gesamte schwedische Wirtschaftsgefüge.

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|29|2. Kapitel

»Da waren Trommler, Fahnen – eine neue Art von Gemeinschaft«

Die Naziverführung des Schülers Kamprad

Im Grunde ihres Herzens fühlte sich Ingvar Kamprads Großmutter als Deutsche, nicht als Schwedin. Genauer gesagt: Sie fühlte sich als Sudetendeutsche, denn aus dem Sudetenland stammte sie und diese Identität hatte sie während der Jahrzehnte, die sie in Schweden lebte, nicht aufgegeben.

In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg war Franziska Kamprad mit ihren Kindern Feodor, Erich und Erna einige Male zu ihren Verwandten im Sudetenland gereist. Nach dem Krieg war ihr das nicht mehr möglich gewesen. Aber die Bindung an die Heimat blieb erhalten.

Wer waren die Sudetendeutschen? Der Name dieser Volksgruppe leitet sich von den Sudeten ab, einem Gebirgszug, der sich im Norden Böhmens, Mährens und Südschlesiens hinzieht. In diese unwegsame Gegend hatten die böhmischen Könige und Herzöge im 12. und 13. Jahrhundert Siedler aus Deutschland gerufen. Sie sollten den rückständigen Landstrich als Bauern und Bergleute entwickeln.

Nach dem Krieg zwischen Österreich und Preußen, der 1866 um die Vorherrschaft im Deutschen Bund geführt wurde, hatte das Königreich Böhmen mitsamt dem Sudetenland zur österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie gehört. Bis zum Ersten Weltkrieg hatten die Sudetendeutschen in diesem Vielvölkerstaat ihren Platz gehabt.

Nachdem das deutsche Kaiserreich und die mit ihm verbündete Habsburgermonarchie den Krieg verloren hatten, zerschlugen die Siegermächte den österreichischen Vielvölkerstaat. Die Tschechen forderten nun einen eigenen Staat. Dieser sollte auch das Sudetenland umfassen, das sich mittlerweile zu einem industriereichen Gebiet entwickelt hatte.

|30|Die Sudetendeutschen selbst wollten lieber einer verkleinerten Republik Österreich angehören und wehrten sich. Ihre Politiker setzten ihr ganzes Vertrauen in den US-Präsidenten Wilson, der den Völkern Europas ein Selbstbestimmungsrecht zugesichert hatte. Aber auf den Friedenskonferenzen in Versailles und St. Germaine wurde das Sudetenland dann doch der damals neu gegründeten Tschechoslowakei zugesprochen.

Franziska Kamprad litt sehr darunter, dass ihre Heimat nun nicht mehr deutsch war. Immer wieder schilderte sie dieses Unrecht auch ihrem Enkel. Manchmal klagte sie unter Tränen, wie schlecht es ihren Verwandten unter der tschechischen Herrschaft ginge.

Tatsächlich wurden die Sudetendeutschen in der Tschechoslowakei benachteiligt. Aber es lag auch an der Weltwirtschaftskrise, dass es den Menschen in dieser Gegend schlechter ging als in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg. Monat für Monat schickte Franziska Kamprad Pakete mit abgelegten Kleidungsstücken und Lebensmitteln aus Schweden in die alte Heimat. Ansonsten war sie eine eher hartherzige Frau.

Als sich ihr zweiter Sohn Erich 1935 in eine Bankkassiererin in Lund verliebte und mit ihr ein Leben außerhalb von Elmtaryd anfangen wollte, verbot ihm die Mutter fortzugehen. Wie üblich konnte Franziska Kamprad ihren Willen durchsetzen. Aber sie erreichte am Ende doch nicht, was sie wollte. In seiner Verzweiflung erschoss sich Erich Kamprad. Fannys zweitgeborener Sohn wählte damit denselben Weg, den sein Vater 38 Jahre zuvor gegangen war.

Der kleine Ingvar, der den Schuss im Obergeschoss gehört hatte, trauerte sehr um seinen Onkel. Er hatte ihn immer als großen Jäger und Fischer bewundert. Erich Kamprad war auch derjenige gewesen, der an Feiertagen auf Elmtaryd die Fahne gehisst hatte.

Ingvar Kamprad allerdings erlebte die Großmutter von ihrer liebevollen Seite. Er war ihr Hätschelkind und stand unter ihrem besonderen Schutz. »Sie hat mich immer verteidigt, wenn mein Vater versuchte, mich zu strafen«, erinnerte er sich später. Als der Junge einmal aus Übermut einem Küken den Hals umdrehte und dabei von seinem Vater erwischt wurde, kam es zu einer denkwürdigen Verfolgungsjagd auf dem Hof. Die Großmutter, die zusah, wie ihr |31|Sohn ihren Enkel zu fassen versuchte, feuerte den Jungen lautstark an: »Schnell, schnell, Ingvar, schnell!« Der Junge erkannte seine Chance, schlug einen Haken und flüchtete in die Arme seiner Oma. Als Feodor seinen Sohn packen wollte, zischte ihn die alte Frau an: »Untersteh dich, meinen kleinen Jungen anzufassen!«

Großmutter und die Nazis

Fanny Kamprad sympathisierte mit den deutschen Nationalsozialisten von dem Tag an, an dem sie erstmals etwas über diese neue politische Kraft erfuhr. Ein wichtiger Punkt im Programm der Hitler-Partei war die Revision des als schändlich empfundenen Versailler Vertrages. Die alte Frau hatte es niemals als gerecht akzeptieren können, dass ihr geliebtes Sudetenland der Tschechoslowakischen Republik zugeschlagen worden war. Und sie hoffte, dass die Nationalsozialisten diese Nachkriegsordnung umstoßen würden.

Die Weltwirtschaftskrise traf auch Schweden hart. Aber anders als in Deutschland gab die Depression in dem nordeuropäischen Land weder links- noch rechtsextremen Parteien einen Auftrieb. Stattdessen kamen die Sozialdemokraten an die Macht. Die Partei hatte in Schweden nicht das Stigma von Vaterlandsverrätern zu tragen wie die deutsche SPD. Im Norden waren die Sozialdemokraten schon damals eher ein Volkspartei als eine Klassenpartei.

1932 übernahm Per Albin Hansson das Amt des Ministerpräsidenten in Stockholm. Der Sohn eines Maurers war eine kluge und starke Persönlichkeit. Überdies war er ein bescheidener Mann, der auch als Premier mit der Straßenbahn zur Arbeit fuhr.

Hansson gelang es, die Wirtschaftskrise zu meistern, indem er die Staatsausgaben erhöhte. Als erste Regierung der Welt praktizierte Schweden damit die Lehre des britischen Ökonomen John Maynard Keynes, nach der es in der Konjunkturkrise darauf ankommt, die Nachfrage zu stimulieren. Mit einem durch Kredite finanzierten Programm zur Arbeitsbeschaffung gingen die Schweden gegen das Elend vor. Später sorgte auch US-Präsident Franklin D. Roosevelt mit seinem »New Deal« dafür, dass der amerikanische Staat die Nachfrage belebte.

|32|Hansson begann, in Schweden einen Wohlfahrtsstaat aufzubauen. Der Premier schuf eine Arbeitslosenversicherung, die durch den Staat subventioniert wurde. 1935 führte er eine Volkspension ein sowie Zuschüsse für den Eigenheimbau. Die theoretischen Köpfe dieser weitsichtigen Politik waren neben Hansson Finanzminister Ernst Wigforss und Sozialminister Gustav Möller. Gemeinsam mit dem Premier entwarfen sie das Modell eines »folkhemmet«, eines Volksheims, das seinen Bürger unabhängig von ihrer Leistung soziale Geborgenheit geben sollte.

»In einem guten Heim walten Gleichheit, Umsicht, Zusammenarbeit und Hilfsbereitschaft«, hatte Hansson schon 1929 formuliert. »Übertragen auf das große Heim der Nation und der Bürger bedeutet dies einen Abbau aller sozialen und ökonomischen Grenzen.« In einer solchen Gesellschaft, einer neuen Form nationaler Gemeinschaft, sollte es weder Privilegierte noch Benachteiligte geben, versprach Hansson, alle würden gleich sein. Im Volksheim waren die Bürger »Mitglieder ein und derselben Familie, die einander unterstützen und sich in diese Familie fügen müssen«.

Die beachtlichen Erfolge einer solcherart ideologisch unterfütterten Reformpolitik begründeten eine neue Stabilität der schwedischen Gesellschaft und sicherten der Sozialdemokratie in Schweden eine langjährige Vorherrschaft. Die Partei sollte nicht weniger als 44 Jahre an der Macht bleiben.

Die Menschen auf dem Lande waren von der Wirtschaftskrise weniger betroffen als die Städter. Entsprechend wenig ließen sie sich von den Erfolgen ihrer Regierung beeindrucken. Und unter den Bauern hatten die Sozialdemokraten als Arbeiterpartei ohnehin kaum Anhänger.

Die Kamprads auf Elmtaryd blickten mit großem Interesse auf die Vorgänge in Deutschland, von denen sie in der Zeitung lasen und im Radio hörten. In diesem neuen Reich schien ja Großes vor sich zu gehen ...

1938 erlebte Franziska Kamprad eine der glücklichsten Zeiten ihres ganzen Lebens. Der Mann, dem sie das verdankte, hieß Adolf Hitler. Im März marschierte der selbst ernannte »Führer« in Österreich ein und schloss seine Heimat dem Deutschen Reich an. Nun hatte er es auf die Tschechoslowakei abgesehen.

|33|Im Sudetenland gab es schon seit 1933 eine Nazipartei. Deren Führer drängten zunächst auf die Autonomie der deutschsprachigen Grenzgebiete innerhalb der Tschechoslowakei. Dirigiert wurde die Bewegung von Berlin aus. Nach dem Anschluss Österreichs forderten die Sudetendeutschen auf Hitlers Geheiß, dass nun auch ihre Heimat dem Deutschen Reich angeschlossen werden sollte. Im September hielt Hitler in Berlin eine viel beachtete Rede, in der er forderte, dass die Tschechen das Sudetenland umgehend räumten. »Das ist der letzte territoriale Anspruch, den ich in Europa zu stellen habe«, log der Diktator.

Wenige Tage später schlossen das Deutsche Reich, Großbritannien, Frankreich und Italien in München ein verhängnisvolles Abkommen. Es sah vor, dass die Tschechoslowakei – deren Regierung an den Verhandlungen nicht beteiligt worden war – das Sudetenland mit seinen dreieinhalb Millionen Einwohnern an Deutschland abtrat und somit ein Fünftel ihres Territoriums verlor.

Der britische Premier Neville Chamberlain glaubte, den Frieden in Europa dadurch sichern zu können, dass Großbritannien und Frankreich Hitler dieses eine Mal noch entgegenkamen. In Wahrheit spielte Chamberlain aber durch falsche Nachgiebigkeit einem Aggressor in die Hände.

Als die Nachricht vom Anschluss des Sudetenlands an Hitlers Großdeutschland nach Schweden drang, lud Franziska Kamprad alle auf dem Hof und den Gehöften in der Nachbarschaft zu einer großen Feier auf Elmtaryd ein. Mit einer Kaffeetafel beging sie, dass der »Führer« wahrgemacht hatte, was sich die Sudetendeutschen von ihm erhofft hatten.

Franziska Kamprad wurde eine begeisterte Anhängerin der Nationalsozialisten und das änderte sich auch nicht, als die deutsche Wehrmacht Polen überfiel. Die alte Frau bezog die Propagandazeitschrift Signal aus Deutschland und las sie mit Freude. Dieses Magazin wurde seit April 1940 in Berlin alle 14 Tage für das besetzte oder befreundete Ausland produziert. Die Illustrierte, die den Untertitel Zeitschrift des Neuen Europas trug, bestach durch ein hervorragendes Layout und exzellente Fotos.

Auch andere Propagandamaterialien ließen sich die Kamprads |34|nach Elmtaryd schicken. Oma Fanny zeigte die Hefte voller Stolz ihrem Enkel Ingvar. Fasziniert betrachtete der Junge die vielen Bilder von fröhlichen, jungen Menschen in Uniformen, die an Lagerfeuern saßen und von denen es im Text hieß, dass sie Großtaten vollbringen würden. Ingvar Kamprad war für derlei Töne außerordentlich empfänglich. Wenn er und seine Mitschüler die schwedische Nationalhymne sangen, stiegen ihm jedes Mal die Tränen in die Augen.

Auch sein Vater wurde ein großer Bewunderer Hitlers. Als junger Mann hatte Feodor Kamprad für den Sozialismus geschwärmt, doch je älter er geworden war, umso konservativer dachte er. Die größte politische Gefahr sah er nunmehr im Kommunismus. Obwohl er seit frühester Kindheit in Schweden lebte, fühlte sich auch Feodor Kamprad als Deutscher. Dazu trug sicherlich auch die Tatsache bei, dass viele seiner Nachbarn den Herrn von Elmtaryd nicht als echten Schweden akzeptierten.

»In unserer Gegend wurde Vater von vielen als purer Nazi oder, wie man hinter vorgehaltener Hand sagte, als ›Nazischwein‹ betrachtet«, erinnerte sich sein Sohn später. In Vater Kamprads Bücherregal stand eine Ausgabe von Hitlers Mein Kampf. Feodor Kamprad lief gern in Reiterhosen und mit hohen Stiefeln durch die Gegend und sah damit aus wie ein deutscher SA-Mann. Einer schwedischen Rechtspartei aber schloss er sich wohl nicht an.

Ein Antisemit war er in jedem Fall. Häufig erzählte er, die Juden hätten nach dem Ersten Weltkrieg in Deutschland durch die von ihnen betriebenen Wechselstuben zum Ruin vieler Menschen beigetragen. Auch Oma Fanny war nicht gut auf die Juden zu sprechen. Sie fühlte sich von einem jüdischen Makler betrogen, der nach dem Tod der Schwiegermutter den Verkauf eines Bauernhofes in Sachsen vermittelt hatte, den ihre drei Kinder geerbt hatten. Das leidige Thema kam in Elmtaryd häufig zur Sprache.

Für Hitler und die Nationalsozialisten war Schweden damals ein »germanisches Bruderland« und galt als ein potenzieller Verbündeter. Die meisten Schweden sahen in Deutschland das Land der Dichter und Denker, mit dem sie sich kulturell verbunden fühlten.

»Die sind hier hoffnungslos für Deutschland«, schrieb Kurt Tucholsky 1935 in einem Brief aus Schweden, wo er seit 1929 lebte. |35|Der Schriftsteller, der in Hindas bei Göteborg wohnte, fühlte sich in seinem Gastland nicht sonderlich wohl. Trotz sozialdemokratischer Regierung war Schweden nach seinem Empfinden ein kulturell rückständiges Land. Verbittert registrierte Tucholsky in seinem Exil eine »stumpfsinnige Denkfaulheit bei den Bürgern«. Mangelnde Arbeitsmöglichkeit und Krankheit brachten ihn schließlich soweit, dass er sich kurz vor Weihnachten 1935 das Leben nahm.

Die schwedische Regierung betrieb damals international eine Politik der Zurückhaltung. Sie setzte in den dreißiger Jahren alles daran, nicht in einen Konflikt der europäischen Großmächte hineingezogen zu werden. Seit 1814 war Schweden nicht mehr an einem Krieg beteiligt gewesen. Das war dem Land gut bekommen und hatte ihm geholfen, wirtschaftlich zum reicheren Teil Europas aufzuschließen. Aber auch in Schweden formierte sich in den dreißiger Jahren eine große Zahl rechter Gruppierungen, deren Mitglieder mit Nazideutschland sympathisierten. Sie beschworen eine »Blut- und Schicksalsgemeinschaft der arischen Völker«, wie es damals hieß.

Eine dieser Organisationen war die Nationalsozialistische Arbeiterpartei, die ein Mann namens Sven Olov Lindholm aufgebaut hatte. Sie vereinigte sich 1938 mit einer weiteren Rechtspartei zur Schwedischen Sozialistischen Koalition. Im breiten Spektrum der schwedischen Nazigruppierungen zählte sie zu den eher sozialistisch orientierten Kräften, zu einer Strömung also, die es vor der Machtergreifung auch in der deutschen NSDAP gegeben hatte und der beispielsweise Joseph Goebbels angehört hatte.

Ingvar in der »Nordischen Jugend«

In der Bauernzeitung stieß der Junge Ingvar Kamprad auf eine Annonce dieser »Lindholmer« und bestellte deren Zeitschrift Der schwedische Volkssozialist. Auf diese Weise erfuhr er, dass die Partei eine Jugendorganisation hatte, die so genannte Nordische Jugend, die der Hitlerjugend nachempfunden war.

Ihr schloss sich der Schüler an. Mit elf Jahren fuhr Ingvar Kamprad 1937 zu einem großen Zeltlager, das in der Nähe seines Heimatortes |36|aufgeschlagen worden war. »In Moheda sah ich Jugendliche in Uniform. Ein Mann forderte uns auf, Mitglieder zu werden«, erinnerte er sich später zurück, »da waren Trommler, Fahnen.« In Gemeinschaft mit anderen Jungen fühlte sich Kamprad wohl. An ein weiteres Lager der Nordischen Jugend sollte er sich als alter Mann noch mit den Worten erinnern: »Da waren noch mehr Uniformen, abends wurde ein Feuer angezündet, und wir sangen eine Menge.«

Aber es war mehr als nur Pfadfinderromantik, die den eher introvertierten Jungen fesselte. »Für mich, der ich ein richtiger Einzelgänger war und eigentlich außer Kalle, dem Sohn vom Pferdepfleger, keine gleichaltrigen Freunde hatte, war dies eine neue Art von Gemeinschaft, die mir gut tat und nach der ich mich in meinem Innersten sehnte.«

Bald arbeitete der junge Kamprad nach Kräften in der Nordischen Jugend mit. Einmal hängte er Plakate mit einem Porträt des schwedischen NS-Führers im Kirchdorf Agunnaryd auf. Als in der Weihnachtsausgabe der Propagandazeitschrift Ungt Volk ein Grußschreiben an den »Führer Lindholm« erschien, gehörte der »Nationalrekrut« Ingvar Kamprad zu den Unterzeichnern. Kamprad meldete auch einen Schulfreund bei der Nordischen Jugend an.

Damals machte Ingvar Kamprad auch die erste Erfahrung mit Alkohol. Heimlich ging er an die Flaschen seines Vaters und trank daraus so viel, dass er das Bewusstsein verlor. Seine Mutter bestrafte ihn, indem sie ihn eine Woche lang ignorierte. Für Berta Kamprad war der Vorfall mehr als der Ausrutscher eines Pubertierenden. Die Alkoholsucht vieler Bürger war in Schweden ein nationales Trauma. Als Schweden im 19. Jahrhundert das Armenhaus Europas war, waren seine Bewohner einer Art Kollektivsuff verfallen. Dass das Land später den Aufstieg aus dem wirtschaftlichen Elend doch noch schaffte, das verdankte es zu einem nicht geringen Teil der Bekämpfung und sozialen Ächtung des Alkoholkonsums.

Mit 15 Jahren sollte Ingvar Kamprad auf die Realschule in Ljungby wechseln. Aber er fiel durch die Aufnahmeprüfung. Er war kein guter Schüler, besonders schwer tat er sich damit, Vokabeln zu lernen. Berta Kamprad meldete ihren Sohn auf einem Internat in Osby an, das sie selbst als Mädchen besucht hatte. Ingvars Großeltern |37|in Älmhult erklärten sich bereit, die Schulausbildung zu finanzieren.

Im Internat fühlte sich Kamprad wohl. Allerdings geriet der Junge bald in die Gewalt eines älteren Schülers, der ihn für sich arbeiten ließ. Kamprad musste seinem »Herrn« das Bett machen, die Schuhe putzen und für ihn Besorgungen erledigen. Was ihm passieren würde, wenn er sich weigerte, sah er an einem Mitschüler, der von den Älteren regelmäßig verprügelt wurde. Kamprad hingegen fügte sich. Die Unterordnung sei ihm nicht einmal schwer gefallen, berichtete er später seinem Biografen. Diese Sitte sei an dem Internat verbreitet gewesen.

Auch in der neuen Umgebung ließ die Faszination des Jungen für die rechten Parteien nicht nach. Kamprad liebte das Geheimbündlerische und fand unter seinen Mitschülern bald Gleichgesinnte. »Wir waren drei Jungen, die einmal auf den Dachboden der Schule gingen, um heimlich eine politische Partei zu gründen«, erinnerte er sich später. »Wir hatten unsere gelben kleinen Notizbücher dabei, auf deren Innenseite wir ein Hakenkreuz zeichneten. Wir versuchten uns in den Arm zu schneiden und unser Blut zu mischen, um Blutsbrüder zu werden.«