Die Anastasia-Bewegung - Hanna Poddig - E-Book

Die Anastasia-Bewegung E-Book

Hanna Poddig

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Beschreibung

Die Anastasia-Bewegung im deutschsprachigen Raum ist vor allem bekannt aufgrund völkischer Landsitzprojekte wie 'Weda Elysia' (Wienrode/Harz) oder 'Goldenes Grabow' (Brandenburg). Doch es gibt zahlreiche weitere Anastasia-Wohnprojekte und darüber hinaus auch verschiedenste eng vernetzte Akteur*innen, die Teil der rechtsesoterischen Bewegung sind. Sie bieten nationalistische Treffpunkte, produzieren und vertreiben Hörbücher der der Selbstbezeichnung zugrunde liegenden Romanreihe, geben Zeitschriften heraus, verkaufen sibirische Zedernprodukte, versuchen eigene Schulen zu gründen, vertreten Reichsbürger-Ideologie oder sind Q-Anon-Anhänger*innen. Was fasziniert Menschen an der Welt von Anastasia? Wie gefährlich sind diese Netzwerke und Strukturen? Und wie kann antifaschistischer Widerstand dagegen aussehen?

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EPUB
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Seitenzahl: 148

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Hanna Poddig

Die Anastasia-Bewegung

Völkisch, esoterisch, antisemitisch

rechter rand

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar

Hanna Poddig:

Die Anastasia-Bewegung

unrast transparent

rechter rand, Band 22

1. Auflage, März 2025

eBook UNRAST Verlag, September 2025

ISBN 978-3-95405-230-1

© UNRAST Verlag, Münster 2025

Fuggerstraße 13 a, 48165 Münster

www.unrast-verlag.de | [email protected]

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Umschlag: UNRAST Verlag, Münster

Satz: UNRAST Verlag, Münster

Inhalt

Nie wieder ist jetzt

Einleitung

Die Bücher

Antisemitismus

Rassismus und die Zivilisation der Wedrussen

Exkurs: Die religiöse Lehre Megres

Gesundheit und die Reinheit des Erbgutes

Das wedische Zeitalter und die Telegonie

Sexismus

Telepathie und Psychoteleportation

Mammuts und Action

Resümee

Was sagen Verlag und Auslieferung?

Hörbücher

Exkurs: Naturharmoniestationen am Möhnesee

Akteur*innen und Netzwerke

Die Schnittstellen nach Russland

Christa Jasinski und Thalus von Athos

Frank Willy Ludwig

Robert Briechle und der Mutterhof

Dr. Ralf Otterpohl: Chemtrails und das neue Dorf

Weda Elysia und das Haus Lindenquell

Marktplatz

Exkurs: Ökologie als Tarnung? Problematische Berichterstattung

Das Goldene Grabow

Schloss Ober-Neundorf

Exkurs: Humisal – Elementarwesen mit freiem Willen und gechillte Tiere

Das Wedenland und sein König

Die Akademie Engelsburg

Die Videos: Misshandelte Völker, entwurzelte Bäume und zusammengematschte Farben

Laker als Vernetzer: Aussterbende Bioroboter und die Patriotische Union

Exkurs: Vernetzung durch Produktwerbung

Konstantin Kirsch – Blogger mit Waldgarten

Exkurs: Kirschs Kampf gegen vermeintliche Verleumdungskampagnen

Yella Weber in Ungarn: Anastasia auf Expansionskurs?

Agata Janik: Botschafterin einer weltweiten Bewegung?

Bildung und Schule

Ricardo Leppe: Zauberkünstler und Lern-Referent

Exkurs: Der Mopf

Die Schule im Wald

Ein Blick in die Bücher

Im Abkürzungslabyrinth: LAIS-Schule, school of bliss, ISKA, KiEP

Sind alle so?

Wen spricht das an? Wer ist anfällig?

Handlungsstrategien und Widerstand

Logische Brüche benennen

Betroffenen helfen

Aufklären, abgrenzen und vorbeugen

Das Mietshäusersyndikat

Das Permakulturinstitut

Dreschflegel Saatgut

Die Bio-Anbauverbände

Von Recherche bis Theater

Beherzt fUEr Vielfalt

Lautstarker Gegenwind

The future is unwritten

Nie wieder ist jetzt

Optimist*innen hatten Hoffnung als Anfang 2024 nach der correctiv-Recherche und Anfang 2025 anlässlich gemeinsamer Parlamentsabstimmungen von FDP, CDU, CSU und AfD massenhaft gegen die AfD protestiert wurde. Sie meinten, die viel beschworene schweigende Mehrheit würde endlich laut werden. Der Bundespräsident sprach gar davon, die demokratische Mitte habe die Gleichgültigkeit vertrieben. Gegen die AfD zu sein ist in vielen Kreisen selbstverständlich, aber sobald es konkreter wird, entpuppt sich die Frage, was es bedeutet ›gegen Rechts‹ zu sein als komplizierter. Unter der rot-grün-gelben Bundesregierung wurden 2024 im Schnitt jeden Tag über 50 Menschen aus Deutschland abgeschoben, Kanzler Scholz nennt das einen »echten Fortschritt«, Innenministerin Faeser spricht angesichts von 40.000 an den Grenzen abgewiesenen Menschen von wirksamen Maßnahmen. Die EU, konkret Frau von der Leyen, schließt millionenschwere Migrations-Abkommen mit Mauretanien und Tunesien ab, wo systematisch flüchtende Menschen in abgelegene Wüstenregionen verschleppt und ausgesetzt werden. Die Grünen unter Habeck fordern im Wahlkampf Anfang 2025 mehr und schnellere Abschiebungen.

Wie glaubwürdig ist es da, wenn auch zahlreiche Anhänger*innen der Parteien, die eben diese Politik machen, gegen die AfD und insbesondere deren Massen-Abschiebungspläne demonstrieren? Oder, um es mit den Worten von Markus Reuter von netzpolitik.org zu fragen »Denn was nützt eigentlich die Brandmauer, wenn die Parteien hinter dieser quasi die Forderungen der AfD von vor drei Jahren umsetzen?«

Wenn ›gegen Rechts‹ zu sein mehr als nur das Gefühl sein soll, zu den Guten zu gehören und auf der richtigen Seite zu stehen, dann braucht es mehr. Und dieses mehr muss neben Protesten auf der Straße und an den Stammtischen zwingend auch beinhalten, die verschiedensten Akteur*innen der rechten Szene genauer zu betrachten. Indem wir uns bemühen, ernsthaft zu verstehen, warum Menschen anfällig sind für rechtes Gedankengut und was ein rechtes Weltbild überhaupt ausmacht, können wir Frühwarnzeichen erkennen, Gegenstrategien aufbauen.

Und Akteur*innen der rechten Szene gibt es auch außerhalb der Parteienlandschaft zuhauf: Verlage und Thinktanks, Vereine, Burschenschaften, Kameradschaften und Bünde, Aktionsgruppen und Influencer*innen, Reichsbürger*innen und Prepper*innen, Musiker*innen, Netzwerke innerhalb staatlicher Institutionen wie Polizei oder Bundeswehr, Kampfsportler*innen und Ökosiedler*innen. Dieses Buch betrachtet davon nicht mehr und nicht weniger als ein Puzzlestück: Die Anastasia-Bewegung.

Einleitung

Ein russischer Autor schreibt eine zehnteilige Romanserie. Die ist antisemitisch, frauenverachtend, rassistisch. Soweit sicherlich leider kein Einzelfall. Doch auf Wladimir Megres zehnbändiger Reihe Die klingenden Zedern Russlands baut eine ganze Bewegung auf: Die Anastasia-Bewegung. Die Hauptfigur Anastasia, die blonde Schönheit aus der Taiga, wird zur Ikone, zum Mythos, gottähnlich verehrt. Ihre Lehren, oder besser die des Autors Megre, werden von Anhänger*innen teils als exakt wörtlich auszulegende Anleitungen für ein besseres Leben betrachtet. Sie versprechen den Ausbruch aus dem Kapitalismus und die endgültige Erfüllung auf dem einen Hektar großen Familienlandsitz.

Bereits im ersten Band in einem der ersten Kapitel wird geschildert, wie Eichhörnchen Anastasia auf der Lichtung, die ihr Zuhause darstellt, mit haufenweise Nüssen versorgen, wenn Anastasia nur mit den Fingern schnippt. Schon allein diese Szene verortet das Werk eindeutig im Bereich der fiktionalen Literatur – und ist dennoch vergleichsweise unspektakulär angesichts der an anderen Stellen geschilderten übernatürlichen Geschehnisse. Während einige Vertreter*innen der Bewegung Anastasia mehr als eine Inspiration und die Geschichten als Metaphern betrachten, so gibt es bemerkenswerterweise auch viele, die Anastasia wirklich wörtlich nehmen und glauben, dass wir alle nur ausreichend unsere Verbindung zur Natur ›wiederfinden‹ müssten, um auch die magischen Kräfte Anastasias zu bekommen.

Der Theologe Matthias Pöhlmann, der viel zur Anastasia-Bewegung recherchiert und veröffentlicht hat, schreibt in einem Artikel:

»Und so gibt es einzelne Anhänger, die von der tatsächlichen Existenz dieser geheimnisvollen sibirischen Frau überzeugt sind. Die Fakten sprechen klar dagegen: In einem Gerichtsprozess in Sankt Petersburg gegen eine Frau, die sich als Anastasia ausgegeben hatte, musste Megre zugeben, dass die Hauptfigur seiner Bücher eine ›künstlerisch erschaffene Gestalt‹ sei.«

Dessen ungeachtet bauen zahlreiche Menschen nach dem Vorbild Anastasias Wohn- und Kulturprojekte auf, geben Seminare und Kurse, versuchen Schulen zu gründen, vertreiben sibirische Zedernprodukte mit vermeintlich sensationellen Effekten, verkaufen die Bücher und Hörbücher. Die Anastasia-Bewegung im deutschsprachigen Raum ist, auch wenn das vielen Menschen auf den ersten Blick nicht auffällt, tief verwurzelt in der rechtsradikalen und esoterischen Szene.

Dieser Text umreißt zunächst den Inhalt der Bücher, um sich dann den Akteur*innen, deren Tätigkeiten und Netzwerken und ihrer Gefährlichkeit zu widmen. Daran anschließend folgt dann ein Blick auf antifaschistischen Widerstand gegen die völkischen Siedler*innen.

Die Bücher

Zwischen 1996 und 2010 im russischen Original erschienen und auf Deutsch zwischen 1999 und 2011 veröffentlicht, fanden die Bücher weite Verbreitung. Laut dem antifaschistischen Magazin der rechte rand behauptet Megre, es seien weltweit 11 Millionen Exemplare verkauft worden. Diese Zahl lässt sich nicht überprüfen, fest steht aber, dass die Bücher sowohl in Russland als auch im deutschsprachigen Raum bekannt sind.

Die grobe Handlung der Bücher besteht darin, dass die Hauptfigur, der Geschäftsmann Wladimir Megre, in der Taiga die deutlich jüngere, blonde, umwerfend schöne Anastasia kennenlernt. Neben einer romantischen Beziehung zwischen den beiden, beschreiben die Bücher in erster Linie Anastasias Weltsicht. Ihre Vorstellungen von Gartenbau und Kindererziehung sowie das Wissen über die allen Menschen vermeintlich innewohnenden Fähigkeiten sollen über die von Wladimir zu schreibenden Bücher auf der ganzen Welt verbreitet werden. Die Handlung der Bücher ist in hohem Maß selbstreferenziell. So beschreibt beispielsweise der zweite Band nahezu ausschließlich die Entstehung des ersten. Zentrales Element der Geschichte ist der Widerstreit zwischen dunklen und lichten Kräften, eines der größten Probleme ist die technokratische Entwicklung der Gesellschaft. Dem gegenüber stehen ein einfaches Leben und die Verbindung mit dem Kosmos, die sich durch ein Leben mit der Familie auf einem eigenen Grundstück, dem Familienlandsitz, umsetzen lassen. Während Anastasia zu Beginn so wirkt, als würde sie die Taiga nicht verlassen, wo sie ohne feste Behausung oder Vorräte im Einklang mit der Natur lebt, wird später klar, dass sie durchaus immer wieder Ausflüge in die Zivilisation unternimmt. Die Bücher sind maßgeblich davon geprägt, dass sie so erzählt sind, als wären die Begegnungen zwischen dem Buchautor und der Einsiedlerin real und als wenn sich darüber dann eine Debatte in Wissenschaft und Gesellschaft um Anastasias Existenz und ihre Thesen entwickelt habe, die dann wiederum in folgenden Büchern aufgegriffen wird. Möglicherweise ist genau dieser pseudo-autobiografische Erzählstil des Autors einer der Gründe, warum die Romanfigur Anastasia derart erfolgreich wurde. So behauptete Wladimir Megre beispielsweise in Frankfurt auf der Buchmesse 2018, er habe Anastasia zuletzt vier Monate vor diesem Auftritt getroffen.

Im Folgenden werden die Bücher nicht chronologisch nacherzählt, sondern hinsichtlich des enthaltenen Antisemitismus, Rassismus und der propagierten Rollenbilder näher unter die Lupe genommen. Außerdem werden anschließend die »Telegonie«, eine »ultramisogyne und rassistische Pseudo-Erblehre«, wie es das Netzwerk für digitale Zivilgesellschaft Belltower treffend einordnet, und skurrile Action- und Fantasyelemente näher beleuchtet.

Antisemitismus

In Band 6 Das Wissen der Ahnen werden zunächst zahlreiche real geschehene Verbrechen gegen Jüdinnen*Juden aufgelistet, um daraus dann folgendes abzuleiten:

»Da das schon mehr als ein Jahrtausend geschieht, kann man den Schluss ziehen, dass das jüdische Volk vor den Menschen Schuld hat. Aber worin besteht die Schuld? Die Historiker, die alten wie die neuen, sprechen davon, dass sie Verschwörungen gegen die Macht anzettelten. Sie versuchten alle zu betrügen, vom jungen bis zum alten. Von einem, der nicht sehr reich sei, versuchten sie, wenigstens etwas wegzunehmen, und bei einem Reichen seien sie bestrebt, ihn ganz und gar zu ruinieren. Das bestätigt die Tatsache, dass viele Juden wohlhabend sind und sogar auf die Regierung Einfluss nehmen können«.

Damit schreibt Megre den Opfern die Verantwortung für sämtliche gegen Jüdinnen*Juden gerichtete Gewalttaten zu – insbesondere auch die der Shoa. Implizit legitimiert er damit die auf restlose Auslöschung der Jüdinnen*Juden gerichtete industrielle Massenvernichtungsmaschinerie der Deutschen. Sein Credo: Nichts geschehe ohne Grund, also müsse es auch für den Massenmord an Jüdinnen*Juden einen Grund geben und der liege in einer kollektiven jüdischen »Schuld« »vor den Menschen«. Jakob Gruber spricht in seiner Diplomarbeit Von »kodierten Juden« und »natürlicher Familie« angesichts dieses Zitats von einer Schuldumkehr, die aus den Opfern Täter*innen mache. In Band 7 wird behauptet, wohlhabende Jüdinnen*Juden müssten Geld an die einflussreichen und ebenfalls jüdischen Leviten zahlen, die so etwas wie die »Regisseure« seien, die Jüdinnen*Juden und Christ*innen für ihre eigenen Zwecke nutzen würden:

»In den Reihen der Juden gibt es eine Kaste, einen Stamm, einen Stand, eine Nationalität – die genaue Bezeichnung ist hier nicht wichtig –, die wir im Folgendem kurz als ›Leviten‹ bezeichnen werden. […] Und so werden die Juden schon seit Jahrtausenden in verschiedenen Ländern verfolgt und geschlagen. Wofür werden sie denn bestraft? Dafür, dass sie mit allen Mitteln versuchen, so viel Geld wie nur möglich in ihren Händen zu konzentrieren. Und vielen von ihnen gelingt das auch ganz gut. […] Alle wohlhabenden Juden […] sind verpflichtet, einen Teil ihrer Gewinne an die Leviten abzuführen. Sie müssen sich nicht einmal um die Sicherheit und die Vermehrung ihres Geldes sorgen. In vielen Ländern der Welt bestehen die Bankvorstände aus Juden und das ist ihre Aufgabe. Wenn es erforderlich ist, können die Leviten natürlich auch den Bankprofis einen Ratschlag geben, welche Anlagen momentan vielversprechend […], welches Regime, welche Gruppierungen oder Oppositionsbewegungen zu unterstützen oder mit Hilfe von finanziellen Intrigen zu vernichten sind.«

Eine kleine Gruppe von jüdischen Menschen steuere mithilfe des Geldes aller Jüdinnen*Juden faktisch die ganze Welt. Das ist lupenreiner Antisemitismus. Klassisch für die Anastasia-Bücher folgt nun der Versuch des Autors, Kritik zu entkräften und Fragen, die in der Debatte um die bisherigen Bücher aufgeworfen worden sind, zu beantworten.

»Bisher haben manche Leser an Anastasias Behauptung, die wahre Regierung der Welt würde nur aus einer kleinen Gruppe von Priestern bestehen, noch gezweifelt. Nach dem Aufbau der obigen logischen Kette dürfte es nun keine logisch denkenden Menschen mehr geben, die Anastasias Aussagen weiter anzweifeln. Die Fanatiker werden hier nicht mitgezählt.«

Mit der Behauptung, wer noch zweifle, sei unlogisch und fanatisch, wird den Lesenden damit also auch direkt an die Hand gegeben, wie sie Kritiker*innen einordnen sollen.

In Band 8.1 Neue Zivilisation gibt es ein Kapitel mit dem Titel Zum Thema »Juden«. Darin taucht auch eine der Lieblingsvokabeln vermeintlich enthüllender Schriften auf, und zwar die hinter allem steckenden »gewissen« Kreise auf deren Betreiben Dinge passieren würden. Eine Andeutung, die nicht benennt, wer diese »gewissen Kreise« denn sind und Assoziationen wecken soll. Der Duden definiert gewiss als »nicht genau bestimmbar; nicht näher bezeichnet [aber doch dem andern bekannt]« und das digitale Wörterbuch der deutschen Sprache schreibt »wird häufig gebraucht, wenn der Hörer weiß oder leicht erraten kann, wer oder was gemeint ist; drückt aus, dass man zwar an eine bestimmte Person oder Sache denkt, diese aber nicht näher bezeichnen kann oder will«. Im konkreten Kontext des Buches ist die einzig schlüssige Lesart, wer sich hinter den von Megre beschriebenen ominösen Kreise verbirgt, der Mythos einer jüdischen Weltverschwörung. Der Vorteil dieser Wortwahl: Die schreibende oder sprechende Person kann antisemitisches Gedankengut äußern, ohne dass dies sofort als solches erkennbar ist. An anderen Stellen im Buch ist analog schwammig die Rede von »gewissen Behörden«, »gewissen Mächten« und »gewissen Regionen«, es geht um »gewisse historische Fakten«, eine »gewisse Organisation« und »gewisse Informationen« und die »Mithilfe gewisser Kräfte«. Nebulöse Formulierungen, die den Eindruck geheimer Zusammenhänge suggerieren, ohne irgendeinen greifbaren und damit widerlegbaren Inhalt zu enthalten, füttern bei den Lesenden das Gefühl, ihnen werde hier etwas ganz Großes enthüllt und erläutert. Sie verstärken zudem permanent die transportierte Erzählung, die Welt bestehe im Grunde nur aus Verschwörungen. Reale Macht- und Herrschaftsverhältnisse werden verschleiert, indem die Ursachen der Probleme unzutreffend personalisiert werden. Mona Schwarz weist in diesem Kontext zusätzlich auf den prognostizierten Weltuntergang hin:

»Immer wieder streut Megre Angstmomente, in welchen er den kommenden Weltuntergang und die Vernichtung der Menschheit beschwört […] und gefährliche Verschwörungen enttarnt […]. Diese Verschwörungen werden durchgängig von antisemitischen Klischees begleitet und getragen […].«

In den Anastasia-Büchern wird viel mit Wiederholungen gearbeitet und so verwundert es nicht, dass auch der Antisemitismus in mehreren Büchern explizit auftaucht. Insbesondere der Mythos, Jüdinnen*Juden würden Geld anhäufen und auf die Politik Einfluss nehmen, mithin eine der am weitesten verbreiteten antisemitischen Erzählungen, wird auch in Band 8.1 erneut reproduziert und als vermeintliche Tatsache dargestellt:

»Die meisten Veröffentlichungen zum Thema ›Juden‹, die mir in die Hände gefallen sind, haben auf mich einen recht primitiven Eindruck gemacht. Fast alle laufen auf die Feststellung der gleichen Tatsachen hinaus: ›Die Juden haben die Presse verschiedener Länder unter ihre Kontrolle gebracht‹; ›das Fernsehen ist von Grund auf jüdisch‹; ›der Geldfluss in der Welt wird zum größten Teil von Juden kontrolliert.‹ Das ist alles so, keine Frage, auch im heutigen Russland. Aber dies allein ist nicht mehr als eine Feststellung von Tatsachen. Viel interessanter wäre es herauszufinden, warum dies in vielen Ländern der Fall ist, und zwar mit beneidenswerter, seit Jahrhunderten währender Konstanz. Dazu möchte ich sogleich bemerken: Die Juden sind einfach zu dieser Sonderstellung verpflichtet, und wir sind verpflichtet, uns ihnen zu unterwerfen, und zwar ist dies gesetzlich abgesegnet«.

Antisemitismus ist nie im engeren Sinne logisch. Gerade in der Verweigerung rationaler Überprüfbarkeit liegt der Kern vieler Verschwörungserzählungen. Doch die Widersprüchlichkeit in den Anastasia-Büchern ist durchaus bemerkenswert. So heißt es im Kapitel Zum Thema »Juden« auch:

»Ich bekomme allmählich den Eindruck, dass an der Spitze der Bewegung zur Verwirklichung von Anastasias Ideen Juden stehen werden, die andere Völker in diesem Bemühen anführen.«

Es lässt sich festhalten, dass antisemitische Muster und Mythen sich durch die gesamte Anastasia-Buchreihe konstant hindurchziehen, ohne dass dabei insgesamt eine stringente Ideologie entwickelt wird. Das konstatiert auch Manuela Beyer in ihrem Beitrag Anastasia als Brückenspektrum zwischen extremer Rechter und alternativen Milieus:

»In manchen wissenschaftlichen oder zivilgesellschaftlichen Publikationen hat es den Anschein, als würden Megres Bücher ein kohärentes ideologisches Gebilde darstellen. Das ist jedoch nicht der Fall, auch wenn es an verschiedensten Stellen inhaltliche Überschneidungen mit Argumentationsweisen der Neuen Rechten gibt. Die Bücher bieten keine stringente politisch-ideologische Argumentation, sondern eine bunt zusammengewürfelte Melange aus narrativ-fiktionalen, historischen, ideologischen, politisch-philosophischen, spirituellen, pädagogischen und gartenpraktischen Elementen.«

Dass der Antisemitismus in den Büchern keiner kohärenten Logik folgt, macht ihn nicht weniger antisemitisch und nicht weniger gefährlich. Zahlreiche Leser*innen der Anastasia-Bücher bewegen sich in Milieus, in denen Menschen mehr auf Gefühl als auf Logik setzen. Daher kann Stringenz kein Kriterium zur Beurteilung der Gefährlichkeit von Anschauungen sein, weil es kein Kriterium für den Erfolg der Erzählungen darstellt. Vielleicht ist es sogar im Gegenteil gerade die »zusammengewürfelte Melange«, die die Ideenwelt Megres so attraktiv macht. Wer Megre kritisiert, belege damit aus seiner eigenen Sicht die Existenz von Strukturen, die »Katastrophen programmieren«, also gesellschaftliche Geschehnisse beeinflussen oder lenken. Hier ein Beispiel aus Band 10:

»Außerdem gab es auf einmal das Bestreben, unter verschiedenen Vorwänden die Quelle zu verleumden. Das ging sogar so weit, dass im Ersten Programm des russischen Staatsfernsehens (Rossija 1) in einer Sendung mit dem Titel ›Geheimnisvolle Anastasia‹ gewisse Leute zu erklären begannen, dass die Leser meiner Bücher mit den Aussagen der Taiga-Einsiedlerin verrückt werden. Ist es nicht seltsam? Sexmagazine, Kriegsromane oder stupide Actionfilme sollen die Leute angeblich nicht verrückt machen, wohl aber das Lesen von philosophischen Aussagen über die Liebe! Diese Einstellung zeigt deutlich, dass es in unserer Gesellschaft Kräfte gibt, von denen soziale Katastrophen programmiert werden, und dabei treten Leute in Erscheinung, durch die diese Kräfte handeln, indem sie sich das Unverständnis jener Leute vom Wesen des Geschehenden zunutze machen.«

Diese Art mit Kritik umzugehen ist ein wesentliches strategisches Element Megres und gehört zum Wesen von Verschwörungsideologien: Widersprüche werden dadurch aufgelöst, dass sie in die Erzählung integriert werden, als vermeintliche Beweise dafür, dass hier »die Wahrheit« verschleiert werden soll.

Rassismus und die Zivilisation der Wedrussen

Neben antisemitischen Inhalten und Mustern bedient die Erzählung um Anastasia auch rassistische Stereotype und propagiert eine auf vermeintliche Reinheit orientierte Rassenlehre. Zudem schreibt Megre in Band 8.2 Die Bräuche der Liebe sogar explizit von der Existenz einer vermeintlich legendären weißen arischen Rasse: