Die anderen Anderen - Sammelband 1 - Melissa Ratsch - E-Book

Die anderen Anderen - Sammelband 1 E-Book

Melissa Ratsch

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Beschreibung

Der erste Sammelband von »Die anderen Anderen« entführt dich in eine Welt, in der Magie und Liebe das Unmögliche möglich machen! Triff auf die Naga Shari, deren Liebe so gefährlich ist wie ihr Gift, und die Harpyie Kalliope, die sich in den Stürmen eines schweren Verlusts wiederfindet. Folge der Pixie Moira auf ihrer verzweifelten Suche nach Heilung und spüre die Hitze des Feuers, das in der Fuchsgöttin Kaori lodert, die sich ihrer Bestimmung stellt. Schließlich begegnest du Raven, einer Banshee, die sich nach Freiheit und Zugehörigkeit sehnt.

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Melissa Ratsch

Die anderen Anderen - Sammelband 1

Diese Sammlung von Band 2 bis 6 der abgeschlossenen Romantic-Fantasy-Reihe »Die anderen Anderen« ist dein Ticket in eine Welt, in der Fabelwesen unter uns weilen. Ein Muss für alle Fans des Übernatürlichen!

Inhaltsverzeichnis

Über die Autorin

Über das Buch

Schlangengift – Die anderen Anderen

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Epilog

Sturmwind – Die anderen Anderen

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Epilog

Irrlicht – Die anderen Anderen

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Kapitel 59

Kapitel 60

Kapitel 61

Kapitel 62

Kapitel 63

Kapitel 64

Kapitel 65

Kapitel 66

Kapitel 67

Kapitel 68

Kapitel 69

Kapitel 70

Kapitel 71

Kapitel 72

Epilog

Fuchsfeuer – Die anderen Anderen

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Epilog

Blutdurst – Die anderen Anderen

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Epilog

Leseprobe »Neuschnee«

Weitere Bücher der Autorin

Impressum

Über die Autorin

Die 1987 geborene Autorin schreibt schon seit ihrer Jugend Kurzgeschichten und Romane – anfangs aus der Not heraus, da einfach nichts ihrem Geschmack entsprach und die Ideen in ihrem Kopf viel interessanter waren. Daraus ergaben sich im Laufe der Jahre mehrere Kurzgeschichten und Romane, die sie seit 2017 veröffentlicht.

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Über das Buch

Der erste Sammelband von »Die anderen Anderen« entführt dich in eine Welt, in der Magie und Liebe das Unmögliche möglich machen!

Triff auf die Naga Shari, deren Liebe so gefährlich ist wie ihr Gift, und die Harpyie Kalliope, die sich in den Stürmen eines schweren Verlusts wiederfindet. Folge der Pixie Moira auf ihrer verzweifelten Suche nach Heilung und spüre die Hitze des Feuers, das in der Fuchsgöttin Kaori lodert, die sich ihrer Bestimmung stellt. Schließlich begegnest du Raven, einer Banshee, die sich nach Freiheit und Zugehörigkeit sehnt.

Diese erste Sammlung der abgeschlossenen Romantic-Fantasy-Reihe »Die anderen Anderen« ist dein Ticket in eine Welt, in der Fabelwesen unter uns weilen. Ein Muss für alle Fans des Übernatürlichen!

Sammelband Nr. 1 umfasst folgende Teile der abgeschlossenen Reihe »Die anderen Anderen«:

Schlangengift

Sturmwind

Irrlicht

Fuchsfeuer

Blutdurst

Sammelband Nr. 2 umfasst die letzten Teile der abgeschlossenen Reihe »Die anderen Anderen«:

Neuschnee

Traumwandler

Nachtgeheimnis

Höllenfeuer

Wasserflüstern

Schlangengift – Die anderen Anderen

Man gibt nicht auf, nur weil es schwierig ist!

Denn nichts was sich zu haben lohnt fällt einem in den Schoß.

Kapitel 1

»Marleen, hör auf damit.«

Lír sah nicht von dem Buch auf, über das er gebeugt saß, um das Grinsen um seine Mundwinkel zu verbergen. Große Regentropfen prasselten gegen die hohen Fenster. Entfernt war immer wieder leises Donnergrollen zu hören. Das Frühlingsgewitter war unerwartet über sie hereingebrochen. Nicht, dass sie vor gehabt hätten an diesem Tag das Haus zu verlassen. Oder in nächster Zeit.

Seufzend blätterte Lír weiter. Seit Wochen saßen sie hier, durchwühlten Datenbanken im Internet wie in den Bibliotheken im Umland. Lír hatte angenommen, dass die gewöhnliche Recherchearbeit, die er während seines Studiums kennen und hassen gelernt hatte, sei anstrengend und langweilig, doch er hatte sich eines Besseren belehren lassen müssen.

Denn sie mussten nicht nur die herkömmlichen Quellen nach den anderen Anderen nutzen, sondern auch Klatschblätter, pseudowissenschaftliche Magazine und dubiose Internetforen über Verschwörungstheorien, Kulte und sonstigen Verrücktheiten. Manchmal fragte er sich, warum solche Leute überhaupt noch frei herumlaufen durften. Lír stellten sich regelmäßig die Haare zu Berge, wenn er sich durch solche »Quellen« wühlen musste.

Eine zarte Berührung an seinem Geist, begleitet von einem sehr vertrauten femininen Duft holte ihn aus seinen Überlegungen zurück in die Gegenwart. Dennoch hielt er seinen Blick konsequent auf die Buchseiten vor ihm gerichtet. Es war ohnehin schwer für ihn, seine Belustigung gegenüber Marleen zu verheimlichen. Er wollte sie auf keinen Fall merken lassen, dass ihre ständigen Sticheleien ihn maßlos erheiterten. Dennoch hatte er Mitleid mit seinem Freund.

Als er auch auf einen weiteren geistigen »Schubs« von ihr nicht reagierte, maulte sie: »Ach komm schon Lír.«

Als er sich zutraute, nicht doch noch zu Grinsen, hob er den Kopf und sah zu ihr hinüber. Zusammengerollt wie eine zufriedene Katze saß sie in einem großen Ohrensessel und sah aus wie ein unschuldiger Teenager.

Das blauschwarze Haar zu zwei langen Zöpfen geflochten, ungeschminkt, gekleidet in einen viel zu großen dunkelblauen Trainingsanzug, einen Schal um den Hals und mit Wollsocken an den Füßen -und dennoch hätte Lír Marleen am liebsten über seine Schulter geworfen, hoch in ihr gemeinsames Zimmer getragen und den restlichen, verregneten Nachmittag bis zur Erschöpfung geliebt.

»Denkst du denn nicht, dass Patrik eine Atempause von deinen Sticheleien verdient hat?«

Mit purer Willenskraft zog Lír sich von Marleens Anblick und den verführerischen Gedanken zurück. Stattdessen betrachtete er seinen Freund, der etwas zerzaust, mit geröteten Wangen und Schweißperlen auf der Stirn hinter einem wuchtigen Schreibtisch saß. In seinen hellen, blaugrauen Augen stand ein gehetzter Ausdruck.

Sichtlich nervös leckte sich Patrik über die Lippen.

»Ja, das denke ich auch.« Seine Stimme war rau und klang ausgetrocknet.

Mit einer vertrauten Bewegung strich er sich das Haar aus dem Gesicht. Lír hatte ihn das schon unzählige Male tun sehen, doch so fahrig wie heute noch nie. Einen Moment lang wollte er Marleen kräftig schütteln, weil sie seinen besten Freund so unbarmherzig piesackte. Egal, wie amüsant es anzusehen war.

Es waren mittlerweile sechs Monate vergangen, seit Lír und Marleen New Port verlassen hatten. Als erstes waren sie zu seinem Großvater gegangen, aber es hatte sich bald herausgestellt, dass man bei der Suche nach den anderen Übernatürlichen alle möglichen altmodischen wie auch neuzeitlichen Kanäle nutzen musste. Und niemand in Lírs Bekanntenkreis war dafür besser geeignet als Patrik Baker.

Lír schmunzelte bei der Erinnerung daran, wie sie seinem besten Freund von ihren … speziellen Unterschieden zur restlichen Menschheit erzählt hatten. Zuerst hatte er sie ausgelacht, dann war er skeptisch geworden und hatte sie – ganz Wissenschaftler, der er war – einigen Tests unterzogen. Unter anderem hatte er sie in verschiedene Räume gesetzt und war fast wahnsinnig geworden, weil er sich nicht erklären konnte, wie Lír vor laufender Kamera exakt dasselbe sagte, wie Marleen während seiner Befragung.

Als er sie schließlich an ein EEG hängen wollte, hatte Lír ihm ohne Vorwarnung sein wahres Gesicht gezeigt. Noch jetzt könnte er sich ausschütten vor Lachen, wenn er an Patriks aufgerissene Augen und das schockierte Stammeln dachte. Marleen dagegen wäre ihm fast an die Kehle gegangen, als Patrik sie hinterrücks mit einem Eimer Wasser übergossen hatte, um ihre Verwandlung zu erzwingen.

Dass sie ihm lediglich eine Ohrfeige verpasst hatte, war dem Umstand zu verdanken, dass sie sich Dank der Verbindung zu Lír nicht mehr zwingend verwandeln musste, wenn sie mit Wasser in Berührung kam. Lír wollte nicht wissen, was sie ihm angetan hätte, wenn sie sich tatsächlich hätte wandeln müssen.

Wobei ihre jetzige Strafe fast schlimmer ist, dachte er mit einem schiefen Grinsen. Denn als »Ausgleich« zu seinem Überfall, den indiskreten Fragen und der ständigen Forderung, sie endlich als Nixe sehen zu wollen, benutzte Marleen ihm gegenüber mit fast sadistischer Freude die Sirenenstimme. Als Marleen es Patrik gegenüber angekündigt hatte, dass sie ihn einfach alles machen lassen könnte, was sie wollte, hatte sein Freund gelacht und gesagt, dass er ihr das nicht glaube.

Einige Minuten später, als er lediglich in Boxershorts und einem alten Blecheimer auf dem Kopf laut singend durch den Garten gelaufen war, war ihm das Lachen vergangen. Ganz zu schweigen von dem offensichtlich unerwünschten erotischen Begehren, das ihn erfasste, sobald Marleen mit der Sirenenstimme zu ihm sprach.

Hätte sich dieses Verlangen auf Marleen gerichtet, wäre Lír vermutlich beiden an die Gurgel gegangen. Er war ziemlich überrascht gewesen, dass Patrik nicht wie er damals das Bedürfnis hatte, Marleen unverzüglich an ein lauschiges Plätzchen zu entführen, sondern eher eine nicht zielgerichtete sexuelle Erregung verspürte.

Marleens Erklärung dafür war simpel gewesen: »Damals warst du ohnehin scharf auf mich. Solange ich Patrik nicht direkt befehle, mit mir in die Kiste zu steigen, wird er gar nichts in diese Richtung unternehmen.«

Marleens leises, unanständiges Lachen brachte ihn in die Gegenwart zurück. »Du bist doch nur frustriert«, schnurrte sie.

Obwohl Lír mittlerweile immun gegen den Zwang der Sirenenstimme war, durchlief ihn immer noch ein wohliger Schauer, wenn Marleen in dieser speziellen Tonlage sprach. Patriks Reaktion war ein leises Zischen und ein seltsam entrückter Ausdruck in den hellen Augen. Lír schüttelte den Kopf und klappte sein Buch zu.

»Du quälst ihn.«

»Weil ich ihm einen Ständer verpasse?« Dieses Mal hörte er Marleens Lachen nur in seinen Gedanken. Er sah sie mit hochgezogener Augenbraue an.

»In engen Jeans ist das nicht so angenehm, wie du vielleicht denkst. Außerdem hat Patrik keine verruchte kleine Freundin, zu der er flüchten könnte.«

»So wie mich?«

Als Lír ihr einen strengen Blick zuwarf, verdrehte sie die Augen und sagte: »Schon gut. Aber mach mich bitte nicht für sein nicht vorhandenes Sexualleben verantwortlich.«

Patrik räusperte sich und klang wieder mehr wie er selbst, als er sagte: »Es ist unhöflich, sich so zu unterhalten, wenn noch jemand im Raum ist.«

Marleen schenkte ihm ein besonders liebenswürdiges Lächeln und erwiderte: »Sinn und Zweck der Sache ist doch aber, dass es sonst niemand hören soll.«

»Außerdem bist du doch noch immer skeptisch«, fügte Lír lächelnd hinzu. Ihm war nicht entgangen, wie erleichtert Patrik ausgesehen hatte, als Marleen ohne Verführung in der Stimme gesprochen hatte.

Patrik stieß ein missmutiges Schnauben aus und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Einige Augenblicke waren im Raum nur die Geräusche des Regens hörbar.

»Seid ihr sicher, dass wir jemand anderen … Übernatürlichen überhaupt finden?«, fragte Patrik schließlich. Sein Blick ruhte nachdenklich auf dem überfüllten Schreibtisch vor ihm. Sein dunkelbraunes Haar war ihm wieder ins Gesicht gefallen und verdeckte halb seine Augen.

Lír atmete tief durch, aber es war Marleen, die seinem Freund antwortete. Ihre Stimme war ernst, als sie sagte: »Ja, auf jeden Fall. Dass wir bisher noch niemanden gefunden haben, muss nicht heißen, dass es außer Inkubi und Sirenen niemanden gibt.«

»Und Grundlage zu dieser Annahme ist ein Buch, dessen Autor wir nicht kennen?«, fragte Patrik skeptisch. Alle drei blickten auf das besagte Buch, dessen kunstvoll gestalteter Ledereinband im Lampenlicht schimmerte.

»Es wäre dumm von uns dieses Buch als bare Münze zu nehmen«, erwiderte Marleen. Sie erhob sich von ihrem Sessel und ging zu Patrik an den Schreibtisch hinüber. Mit verschleiertem Blick strich sie über den unregelmäßigen Buchrücken.

»Aber zu glauben, dass es außer Lírs und meiner Familie sonst keine gibt wäre noch dümmer.« Sie lächelte Patrik an und fügte hinzu: »Jedem Märchen, jeder Legende und jedem Aberglauben wohnt ein Fünkchen Wahrheit inne. Nicht wahr, Herr Professor?«

Lír lachte leise vor sich hin, als er Patriks säuerliche Miene sah. Er wusste genau, warum sein Freund so unleidlich war. Und das lag nicht unbedingt an der ständigen Erregung, die Marleen ihm bescherte.

»Wir sind alle etwas frustriert, weil die Arbeit der letzten Monate noch immer keine Früchte trägt.«

»Ich sehe es als ein gutes Zeichen. Ansonsten hätten die Menschen die Übernatürlichen schon längst von selbst entdeckt«, fügte Marleen hinzu.

Lír nickte und sagte: »Und wir haben ja noch Zeit.«

»Ihr vielleicht«, seufzte Patrik und strich sich das Haar aus den Augen. »Im Gegensatz zu euch habe ich nicht einige Jahrhunderte vor mir, sondern nur ein paar Jahrzehnte.«

Mit einem schiefen Grinsen in Marleens Richtung fügte er hinzu: »Und wenn es nach dir geht, du kleine Seehexe, dauert es nur noch ein Jahr, bis ich an Bluthochdruck sterbe.« Marleens leises, tiefes Lachen erfüllte den Raum.

»Du hast immer noch die Möglichkeit, schwul zu werden.«

Einige Herzschläge völliger Lautlosigkeit verstrichen, bevor alle drei in lautes Gelächter ausbrachen. Lír stellte sich hinter Marleen und legte einen Arm um ihre Taille. Als sie sich an ihn schmiegte, seufzte er innerlich zufrieden. Sie würden die anderen Anderen finden.

Möge es auch noch so lange dauern.

»Warum stehst du draußen im Regen? Willst du dir eine Erkältung holen?«

Marleen lächelte, als sie Lírs vertraute Stimme in ihren Gedanken hörte. In den vergangenen Monaten war es wundervoll und erschreckend zugleich gewesen, wie eng ihre Verbindung geworden war. Obwohl sie beide es immer besser schafften, ihre Gedanken voneinander abzuschirmen, genossen sie die unglaubliche Einheit, die ihre Gehirne bildeten.

Doch am aller besten an dieser Verbindung war es, dass Marleen so nass werden konnte, wie sie wollte, ohne zur Verwandlung gedrängt zu werden. Nicht, dass sie nicht noch dieses mächtige Verlangen danach verspürte. Dies war ihr geblieben, doch der ungezügelte, schmerzhafte Zwang war verschwunden.

Um dies auszukosten, war sie in den vergangenen Monaten immer wieder hinaus in den Regen gegangen. Über den Winter, als der Schnee meterhoch das Haus beinah unter sich begraben hatte, war sie stundenlang in der heißen Badewanne gelegen. Es war ein unglaubliches Gefühl von Freiheit und Selbstbestimmung, dass vor ihr wahrscheinlich keine Sirene jemals ausgekostet hatte.

»Ich habe dir doch schon einmal gesagt, dass ich nie krank werde.« Warmes, tiefes Lachen wehte durch ihren Kopf und bescherte ihr eine wohlige Gänsehaut.

»Ich erinnere mich daran. Ich hoffe nur, dass du nicht wie damals nackt auf einer Wiese liegst.«

»Das lässt sich ändern.« Wieder lachte Lír leise. Marleen schloss die Augen und hielt ihr Gesicht dem kalten Frühlingsregen entgegen, bevor sie sich umdrehte und zum Haus zurückging.

Wobei das Wort ›Haus‹ eine wahre Untertreibung für dieses Gebäude war. Viel eher konnte man es als Herrenhaus oder kleine Villa bezeichnen. Umgeben von einem riesigen Garten, uneinsehbar von der Straße aus stand ein dreistöckiges, viktorianisches Haus mit Erkern, Türmchen und großer Veranda, die einmal komplett um das ganze Haus herumführte. Gestrichen in Naturweiß und mit schwarzen Ziegeln thronte es zwischen riesigen, knorrigen Trauerweiden und wirkte wie aus einer anderen Zeit.

Als sie zusammen mit Lír vor einer gefühlten Ewigkeit hierhergekommen waren, hatte Marleen einen anerkennenden Pfiff ausgestoßen.

»Sowas kann man sich also als Historiker leisten«, hatte sie gemurmelt. Als ihr Blick zu Lír gefallen war, hob der abwehrend die Hände, als wolle er sich für das kleine, gemütliche Häuschen seines Großvaters entschuldigen.

»Schau mich nicht so an, dieses Haus hat Patrik von seinen Eltern geerbt. Zusammen mit einem riesigen Haufen Geld.«

»Seine Eltern sind tot?«

Traurig hatte Lír genickt. Auch jetzt noch wurde Marleen bei diesem Gedanken ganz elend ums Herz. Sie konnte es sich nicht vorstellen, ihre Familie zu verlieren. Sie war lediglich räumlich von ihrer Familie getrennt, hielt nur per Telefon oder E-Mail den Kontakt und fühlte sich dennoch innerlich seltsam wund. Als wäre ihre Familie chirurgisch von ihr abgeschnitten worden.

Alle Verwandten zu verlieren … Marleen atmete tief durch, um den aufwallenden Schmerz zu verdrängen. Nein, das konnte sie sich nicht vorstellen. Rasch strich sie sich das nasse Haar aus dem Gesicht und überwand die letzten Meter zum Haus.

Durch den Hintereingang gelangte sie direkt in die Küche, wo Lír sie mit einem übergroßen Handtuch erwartete. Lächelnd ließ sie sich von ihm darin einwickeln und vor den Kachelofen setzen. So distanziert und historisch das Haus von außen wirkte, so urgemütlich und heimelig war es innen drin.

»Furchtbare Frau«, murmelte Lír und küsste sie auf die Stirn.

Mit einem Grinsen konterte Marleen: »Genau deswegen magst du mich doch so.« Statt etwas darauf zu erwidern, ging Lír zur langen Küchenzeile und schenkte ihr eine Tasse Tee ein.

»Ich werde nicht krank«, sagte sie ihm nochmals, als er ihr die Tasse reichte. »Die Cromwells erfreuen sich nicht nur eines besonders guten Heilfleischs, sondern einer insgesamt sehr guten Gesundheit.«

»Erscheint mir auch sinnvoll, wenn ihr im eiskalten Meer herumschwimmt.« Patrik betrat die Küche, das dunkelbraune Haar zerzaust und die Schultern wie immer gebeugt. Marleen seufzte innerlich. Lírs Freund war deutlich größer als Lír selbst und dennoch wirkte er kleiner, wenn beide nebeneinander standen.

Allgemein schien sich Patrik nicht sonderlich wohl zu fühlen, wenn er Aufmerksamkeit erregte. Worauf Marleen nicht nur gekommen war, weil er allein in diesem riesigen Haus wohnte.

»Das ist gut möglich«, kommentierte sie seinen Einwurf. Innerlich mahnte sie sich, dass sie nicht die Sirenenstimme gegen ihn einsetzte.

Zumindest nicht die nächsten Tage, dachte sie grinsend. Ganz so ein fieses Miststück war sie nicht, auch wenn Luna das immer behauptete. Es gab auch andere Mittel und Wege, Patrik aus der Reserve zu locken. Denn obwohl er von der Persönlichkeit her komplett gegensätzlich zu Marleen zu sein schien, mochte sie ihn wirklich gern.

Mit ihren eigenen Teetassen setzten sich die beiden Männer neben Marleen an den warmen Kachelofen.

»Hat irgendwer etwas Neues bei seinen Übernatürlichen gefunden?«, fragte Patrik. Sein resignierter Tonfall ließ darauf schließen, dass er selbst keinen Durchbruch erzielt hatte.

Nachdem Lír verneinend den Kopf geschüttelt hatte, sagte Marleen: »Bei mir gibt es auch nichts zu berichten.«

Frustriert blies sie in ihren Tee. Um die Arbeit nicht doppelt und dreifach zu machen, hatten sie alle im »Buch über die Fabelwesen« befindlichen Gruppen unter sich aufgeteilt. Bei den insgesamt sechzehn Spezies fielen zwei vorerst weg, da sie bei den Sirenen und Inkubi logischerweise bereits Familien gefunden hatten. Sie würden sich erst später wieder mit diesen beiden befassen.

Die restlichen vierzehn waren unter ihnen aufgeteilt. Lír und Patrik hatten jeweils fünf, während Marleen nur vier Spezies zugeteilt bekommen hatte. Marleen hatte es nichts ausgemacht, eine Nadel weniger im riesigen Heuhaufen der Geschichten und Gerüchten suchen zu müssen. Doch auch diese Arbeitsteilung und das Gespür, dass sie mittlerweile für diese spezielle Suche entwickelt hatten, hatte sie bisher zu keinerlei Ergebnissen geführt.

Stattdessen waren sie auf den einen oder anderen großen Haufen Mist gestoßen. Bei der Erinnerung lachte Marleen leise auf.

Sie stieß Patrik leicht mit der Schulter an und fragte: »Meinst du, dieser Amazonenkult in Mexico erfährt jemals, wo du wohnst?« Vor einigen Wochen hatte Patrik zu einer sehr seltsamen Frauenbewegung Kontakt aufgenommen, die es ihm ziemlich verübelt hatte, dass er einen Schwanz hatte.

Patrik grinste schief und sah sie unter seinem in die Stirn gefallenen Haar verschmitzt an.

»Keine Ahnung. Ich hoffe nicht. Aber ihr müsst zugeben, dass Harpyien und Amazonen von der geschichtlichen Seite nah beieinander liegen.«

»Vielleicht sollten wir alle weiblichen Übernatürlichen Marleen aufs Auge drücken«, warf Lír ein, worauf Marleen ihm einen vernichtenden Blick zuwarf.

»Kommt gar nicht in Frage. Mir reicht es mich mit Schlangen, Todesfrauen, brennenden Männern oder welchen aus Stein zu beschäftigen.«

Nach einem Schluck Tee seufzte sie leise. »Es war wirklich ein wahnsinniger Glücksfall, dass Lír und ich uns getroffen und auch noch von unserer unmenschlichen Abstammung erfahren haben.«

»Gleich und gleich gesellt sich gern«, zitierte Patrik.

»Schön wär‘s«, warf Lír ein. »Wenn es so wäre und die anderen Anderen sich bereits alle ›zueinander gesellt‹ hätten, dann würden wir nicht hier sitzen und uns dumm und dämlich suchen.«

»Selbst die Gründer von Nationen und anderen Vereinigungen hatten es nicht so schwer. Die wussten wenigstens noch voneinander«, sagte Marleen. »Wir hingegen suchen unter sieben Milliarden Menschen ein paar wenige.«

Mit einem unheilvollen Seufzen fügte Patrik hinzu: »Und wir wissen nicht einmal, ob sie alle noch existieren oder überhaupt unter den normalen Menschen leben.«

Stille senkte sich über die Küche, selbst das Feuer im Kachelofen loderte lautlos vor sich hin. Gedankenversunken strich Marleen durch ihr langsam trocknendes Haar. Was Patrik sagte, war ihr auch das ein oder andere Mal durch den Kopf gegangen. Was war, wenn nicht alle anderen Anderen so unauffällig unter den Menschen lebten?

Wenn sie ihre äußere Gestalt nicht so perfekt anpassen konnten wie Lír und sie. Oder wenn einige von ihnen bereits ausgestorben sind, dachte sie betrübt. Alles und nichts war möglich bei dieser schwierigen Suche.

Am schlimmsten war, dass es einfach nicht vorwärts ging. Marleen war nicht besonders geduldig. Nadja war diejenige der Schwestern gewesen, die sich über längere Zeiträume hingebungsvoll mit etwas beschäftigen konnte. Marleen hingegen verlor schnell das Interesse oder die Geduld, wenn sie nicht gleich Erfolge sah. Doch hier durfte sie nicht einfach so aufgeben.

Seufzend lehnte sie ihren Kopf an Lírs Schulter.

»Wir könnten doch einfach eine Anzeige schalten«, schlug sie vor. »So etwas wie eine übernatürliche Partnersuche.«

Patrik neben ihr lachte leise vor sich hin. »Ich glaube, dass zieht auch nicht die richtigen Personen an.«

Marleen grinste ihn schief an und stichelte: »Du hast doch nur Angst, dass du bald der einzige normale Mensch in einem Haufen Freaks bist. Nicht wahr?« Die letzten Worte sprach sie mit Sirenenzauber in der Stimme.

Augenblicklich verspannte sich Patriks zuvor lässige Haltung. Marleen sah deutlich, dass sich seine Pupillen weiteten und sich die Haut an seinem Hals rötete.

»Miststück«, zischte er, bevor er tief durchatmete. Statt die Beleidigung ernst zu nehmen, lachte Marleen lediglich.

»Wir müssen ihm eine Freundin suchen«, sagte sie stumm zu Lír.

Obwohl seine Antwort nüchtern klang, spürte sie deutlich seine Belustigung, als er sagte: »Willst du Luna anrufen?«

»Lieber nicht. Ich bin mir nicht sicher, ob Patrik es verkraften könnte, wenn ihm ein Stück Fleisch fehlt.«

Lír seufzte resigniert, bevor er ihr den Arm um die Schultern legte. »Wie schön, wenn das unser einziges Problem wäre.«

Kapitel 2

Zwei Tage später, in der mit Sonnenschein durchfluteten Bibliothek des Hauses, überlief Marleen eine kalte Gänsehaut. Mit angewidertem Gesichtsausdruck stand sie von ihrem Laptop auf und stellte sich an eines der hohen Erkerfenster.

An diesem Tag war sie allein in dem großen Haus. Lír und Patrik waren die zweieinhalb Stunden nach San Francisco gefahren, um in den dortigen Bibliotheken nach neuen Quellen zu suchen. In Sacramento, Modesto und Stockton waren sie nicht fündig geworden – von der winzigen Bücherstube in San Andreas ganz zu schweigen. Marleen war bei weitem keine Großstadt gewöhnt, schließlich war New Port auch eher ein verschlafenes Nest. Und dennoch kam sie sich in San Andreas vor wie in einem Schuhkarton.

»Es muss am Meer liegen«, murmelte sie vor sich hin. Fast wäre sie mit den Männern mitgefahren, nur um sich kopfüber in die San Francisco Bay zu stürzen. Seufzend lehnte sie ihren Kopf an den Fensterrahmen. Sie vermisste das Meer fast so sehr wie ihre Familie. Marleen konnte sich nur schwer vorstellen, wie ihre anderen Verwandten, die nicht mehr in New Port lebten, dieses Fehlen dauerhaft aushielten.

Trotz dieses fast zwanghaften Verlangens, Meeresluft zu atmen und Salzwasser zu schmecken, hatte sich Marleen dazu entschieden im Haus zu bleiben. San Francisco war nicht New Port. Dort gab es keine verborgenen Buchten, keine Grotten und nicht so wenig Schiffsverkehr, dass sie einen Sprung in den Ozean am helllichten Tag gewagt hätte. Zu groß war die Gefahr entdeckt zu werden. Diese Art von Aufmerksamkeit konnten sie im Moment auf keinen Fall gebrauchen.

Pflichtbewusst hatte sie nicht den Tag faul im Bett oder am Kachelofen in der Küche verbracht, sondern sich mit Laptop und Notizblock hingesetzt und die Suche nach ›ihren‹ anderen Anderen fortgesetzt. Ein weiterer Schauer überlief sie und sie rieb sich über die Gänsehaut an ihren Armen. Sie war auf eine besonders gruslige Erzählung über Banshees gestoßen. Diese Todesfeen töteten laut Legende allein mit einem Schrei – als ob ihr schauriges Aussehen nicht allein zu Tode erschreckte.

»Wir sind alle Monster«, murmelte sie vor sich hin. Marleen lächelte schief und ging an den Schreibtisch zurück. »Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen.«

Wahrscheinlich würde sie sich vor sich selbst ebenso fürchten, wenn sie über Sirenen lesen würde. Fischfrauen, die Männer mit ihrem Gesang betörten, um sie nachher aufzufressen. Zum Glück erinnerte sich der arme Sam Brown nicht mehr daran, dass Marleen ihn um ein Pfund Fleisch erleichtert hatte. Sonst hätte er sicher jetzt noch Albträume.

Mit mäßigem Interesse klickte sich Marleen durch das Internet, ohne wirklich einer Spur oder einem Muster zu folgen. Kurz nach Mittag gab sie auf und ging in die Küche hinunter. Es brachte ihre aufgewühlten Gedanken zur Ruhe, in der aus hellem Holz gefertigten Küche zu hantieren und sich etwas zum Essen zu machen.

Sie lächelte schief vor sich hin, dass die beiden Männer sich immer beschwerten, dass sie viel zu viel kochte, wenn sie dran war. Marleen hatte mit einem Schulterzucken geantwortet, dass sie es gewohnt war für sechs Personen zu kochen. Diese Angewohnheit plötzlich zu halbieren dauerte seine Zeit.

Heißes Heimweh drohte sie zu übermannen und sie musste ihre Gabel beiseitelegen, um sich zu sammeln und nicht über ihren Nudeln in Tränen auszubrechen. Doch selbst nachdem sie sich gefangen, aufgegessen und die Küche in Ordnung gebracht hatte, plagte sie eine bleierne Schwere und gleichzeitig eine rasende Unruhe. Ihr gesamter Körper fühlte sich kribblig und unerträglich eng an.

»Marleen, geht es dir gut? Ist etwas passiert?« Sie zuckte überrascht zusammen, als sie Lírs Stimme in ihrem Kopf hörte. Leise und seltsam gedämpft, aber deutlich zu verstehen. Wärme breitete sich in ihr aus, die ihre Rastlosigkeit für einen kurzen Moment milderte.

»Mach dir keine Sorgen Lír, mir geht es gut.« Mit einem Lächeln in der Stimme fügte sie hinzu: »Wir sollten nochmal darüber reden, dass du nicht in meinen Gedanken und Gefühlen herumwühlen sollst, wenn ihr wieder da seid.«

Als Antwort erhielt sie lediglich ein tiefes, vertrautes Lachen und das Gefühl, als würde ihr jemand über die Brüste streichen. Augenblicklich richteten sich die Spitzen auf und drängten gegen die Körbchen ihres BHs. Ein sehnsüchtiges Seufzen entwich ihr, gefolgt von einem leisen Lachen. Soll er nur heimkommen, dachte sie mit einem sadistischen Unterton.

Nachdem Marleen wieder nach oben gegangen war, blieb sie unschlüssig an der Tür zur Bibliothek stehen. Der Raum wirkte nicht länger gemütlich und einladend, sondern düster und beengt, obwohl noch immer die Frühlingssonne durch die Fenster schien. Unwillkürlich machte Marleen einen Schritt rückwärts, flüchtete schließlich in ihr Zimmer.

Dort atmete sie tief durch und wusste genau, dass sie nur noch eine Minute hier länger drinbleiben müsste, um schreiend dem Wahnsinn zu verfallen. Als sie sich schließlich in Bewegung setzte, geschah dies mit einer erschreckenden Eile und Dringlichkeit. Zielsicher griff Marleen nach einer großen Tasche, warf neue Kleidung, ihren Kosmetikbeutel und drei große Handtücher hinein und zog den Reißverschluss zu. Das laute Zirpen klang wie Musik in ihren Ohren.

Sie hechtete die Treppe hinunter, zog sich so schnell wie möglich Schuhe und Jacke an, schnappte sich die Wagenschlüssel und verließ fluchtartig das Haus. Schon die ersten Schritte an der frischen Luft wirkten wie eine Droge. Die schwere Tasche auf der Schulter, legte Marleen eilig die kurze Strecke zwischen dem Haupthaus und dem kleinen Nebengebäude zurück, das als Garage diente.

Einen kurzen Augenblick zögerte sie, als sie Patriks ramponierten, dunkelgrünen Dodge Carger sah, der mehr Dellen als glatte Flächen zu haben schien.

»Geld wie Dreck und dann so eine Rostlaube«, grummelte Marleen, ging zur Fahrertür und stieg ein. Nach einer kurzen Schrecksekunde, in der der Motor lediglich röchelte, sprang er schnurrend an. Mit einem zufriedenen Lächeln fuhr Marleen los.

Zwanzig Minuten, einige Meilen auf asphaltierter Straße, einige auf holprigen Feldwegen, hatte sie den äußersten Ausläufer des New Hogan Lake erreicht. Ihre Haut fühlte sich heiß und fiebrig an, als sie den Motor abstellte und ausstieg. Es war bei weitem nicht das Meer, aber dennoch fühlte sich Marleen von dem ruhigen Gewässer wie magnetisch angezogen. Trotzdem zwang sie sich, nicht ohne nachzudenken die Kleider abzustreifen und hinein zu rennen.

Sie atmete tief durch und lauschte. Sofia und Anna hatten sie nicht zu einem Dummkopf erzogen und bis auf den Vorfall mit Lírs Vorfahr im letzten Sommer war Marleen niemals beim Baden beobachtet worden. Was sie im Ozean vor ihrer Haustür geschafft hatte, würde sie in dieser Pfütze von einem See nicht vernachlässigen.

Mit geschlossenen Augen, schräg geneigtem Kopf und vollkommen bewegungslos stand Marleen neben dem alten Dodge und lauschte. Als nach mehreren Minuten lediglich die gewöhnlichen Laute des Waldes zu hören waren, kickte sich Marleen die Schuhe von den Füßen, zog sich bis auf die Haut aus und verstaute alles im Kofferraum des Wagens. Mit einem breiten Grinsen rannte sie zum Seeufer und lachte, als sie die ersten Schritte in das eiskalte Wasser hinein machte.

Mit einem geübten Sprung tauchte sie unter und gab dem drängenden, fast schmerzhaften Sehnen ihres Körpers nach, sich zu verwandeln. Im Geiste ächzte sie, als ihre Beine zerfaserten. Ihre Haut schälte sich vom Fleisch, während sich ihre Beine zusammenpressten und das rohe Gewebe dazwischen miteinander verschmolz. Mit einem zischenden Atemzug kam sie zurück an die Oberfläche und atmete gegen die Qual an, als ihr Unterleib sich verlängerte und sich an den Enden lange, biegsame Knorpelstreben bildeten.

Wie scharfe Klingen durchstießen Schuppen das blutige Fleisch ihres rohen Unterleibs. Obwohl Marleen die Augen geschlossen hatte wusste sie, dass die neue Extremität von einem schillernden, überirdischen Blau überzogen wurde. Sie atmete bereits durch die schlitzartigen Kiemen an ihrem Hals, als sich entlang ihrer Wirbelsäule ebenfalls Schuppen durch die Haut schoben.

Die Flossen bildeten sich aus, eine durchsichtige, aber ledrige Membran. Gleichzeitig wuchsen an ihren Hüften und ihrem unteren Rücken entlang weitere Knorpel, bildeten sich zu fächerartigen Auswüchsen. Ihre Ohren wurden in die Länge gezogen, wurden spitz und an den Enden beinah durchscheinend.

Die Wandlung ihrer Hände war weit weniger schmerzhaft. Ihre Finger wurden etwas länger, krallenartiger. Das Wachstum ihrer Eckzähne war innerhalb eines Herzschlags beendet. Als letztes änderte sich die Textur ihrer Haut, die ohnehin milchweise Farbe nahm das helle Schillern von Perlmutt an, wenn das Licht darauf traf.

Marleens Lippen entwich ein gurgelndes Seufzen, halb Wasser halb Luft, bevor sie untertauchte. Der See war sauber, doch um sie herum war der Boden aufgewirbelt worden und ließ das Sonnenlicht nur noch bis knapp unter die Wasseroberfläche dringen. Doch nach wenigen kräftigen Flossenschlägen war sie in klarerem Wasser – wenn auch nicht so rein und durchscheinend wie das Meer an den Küsten New Ports.

Stunden schienen vergangen zu sein, als Marleen sich wie ein gestrandeter Wal an eine seichte Stelle treiben ließ und die warme Frühlingssonne auf der kalten Haut genoss.

Ihre Schwestern hätten sie wieder damit aufgezogen, dass sie zu lange gewartet hatte mit der Verwandlung. Und sie hätten recht, dachte sie lächelnd. Sie musste sich an regelmäßige Schwimmausflüge gewöhnen, bevor sie jedes Mal einen regelrechten Käfigkoller bekam und fluchtartig zum nächsten Gewässer raste.

Genüsslich streckte sie sich, strich mit den Händen über das zarte Grün am Ufer – und erstarrte mitten in der Bewegung, als sie ein bedrohliches Rasseln und Zischen hörte. Langsam drehte sie sich um und suchte mit den Augen den noch kargen Waldboden ab, bis sie die Klapperschlange entdeckte. Keine zwei Meter von ihr entfernt saß das Tier, den Körper eng zusammengerollt, die Augen starr auf sie gerichtet und mit rasselndem Schwanz.

Obwohl Marleen wusste, dass ihre Haut viel zu robust sein müsste, dass die Schlange ihre Zähne in sie schlagen könnte, zog sie sich langsam in den See zurück. Sie hatte keine Lust herauszufinden, ob Sirenen genauso auf Schlangengift reagierten wie normale Menschen. Es war gut möglich, dass das vorhandene Gegengift nicht wirkte oder alles nur noch schlimmer machte. Anna und ihre Schwester Helena waren bei einer Routineimpfung in der Kindheit beide angeschwollen wie ein Luftballon.

Marleen lachte leise vor sich hin, als sie sich am Ufer in der Nähe des Autos an Land hievte. Sofia und Thea hatten bei jeder größeren Familienzusammenkunft diese Bilder herausgezogen und allen gezeigt. Marleen und ihren Schwestern war dieser Vorfall sehr zugute gekommen – Anna hatte sie nie zum Kinderarzt geschleppt und mit Spritzen traktieren lassen. Ihr Stoffwechsel war anders als der normaler Menschen.

Ruckartig fuhr Marleens Kopf in die Höhe.

»Das ist es!«

Erbarmungslos und mit purer Willenskraft zwang sie ihren Körper zurück in seine menschliche Form. Tränen liefen ihr übers Gesicht, als sie schließlich nackt und keuchend auf dem harten Waldboden lag. Mühsam richtete sie sich auf und wankte zum Wagen. Noch bevor sie sich anzog, kramte sie im Handschuhfach des Dodge.

Auf eine alte Quittung schrieb sie: Giftunfälle mit unbekanntem Gift.

»Ich bin genial!«

Mit diesen Worten wurden Patrik und Lír begrüßt, als sie das Haus durch die Hintertür betraten. Grinsend wie ein Honigkuchenpferd saß Marleen am Kachelofen in der Küche. Irritiert sah Patrik zu seinem Freund hinüber, bevor er Marleen wieder ansah. Obwohl sie ihn manchmal erbarmungslos quälte, mochte er Lírs … Lebensgefährtin wirklich sehr.

Die Vorstellung, dass sie beide keine richtigen Menschen waren, machte ihm zwar immer noch zu schaffen, aber im Groben und Ganzen hatte er sich damit abgefunden. Er war bereits echten Menschen begegnet, die sich weit mehr wie Monster verhielten als seine beiden neuen Mitbewohner.

Doch in manchen Momenten, so wie diesem, raste ein heißer Schwall Adrenalin durch seinen Körper. Langsam streifte er seine Jacke ab, ohne Marleens dunkle Augen loszulassen. Es juckte ihn, sie mit ihrem Ausspruch aufzuziehen, doch sie schien sich wirklich und wahrhaftig über etwas zu freuen. Automatisch knüpfte sein Verstand die Verbindung zu ihrer etwas ungewöhnlichen Personensuche.

»Hast du etwas … ich meine, jemanden gefunden?« Lír neben ihm brach in leises Gelächter aus, als er Marleens mörderischen Blick sah.

Innerlich stöhnte Patrik, weil er die Übernatürlichen schon wieder als »Etwas« bezeichnet hatte. Das letzte Mal, als ihm das herausgerutscht war, hatte Marleen ihn gezwungen einen halben Vormittag in der Ecke zu stehen – wie ein verdammter Schuljunge.

Beschwichtigend lächelte er sie an, bevor er sich in sicherem Abstand zu ihr an den Küchentisch setzte. Dort schenkte er sich und Lír Kaffee ein, der für sie bereitstand. Eins musste man der verrückten Sirene lassen – sie wusste, wie man verdammt guten Kaffee machte. Lír setzte sich neben ihn und nach einem langen, leidgeprüften Seufzen kam Marleen ebenfalls an den Tisch.

Interessiert beobachtete Patrik, wie sie und Lír sich mental unterhielten. Er konnte nur ahnen, wann sie es taten, aber die Stille im Haus wurde auf seltsame Art tiefer, eindringlicher obwohl sich sonst nichts zu verändern schien. Um die Aufmerksamkeit wieder auf sich und die ungeklärte Grundlage für Marleens eigenwilligen Begrüßungssatz zu lenken, räusperte sich Patrik vernehmlich.

Sofort huschten zwei Augenpaare zu ihm und er musste ein Grinsen unterdrücken, als er den leicht verlegenen Ausdruck der beiden bemerkte.

»Hast du nun jemanden gefunden, Marleen?«

»Nein«, sagte sie fröhlich. Das gutgelaunte Grinsen auf ihrem Gesicht blieb und Patrik zog die Augenbrauen zusammen.

»Was ist dann dein Grund für die gute Laune und deine angebliche Genialität?«

»Das hier«, verkündete sie und legte einen kleinen, vergilbten Zettel auf die dunkle Tischplatte. Noch bevor Lír die Hand danach ausstreckte, hatte Patrik nach dem Stück Papier gegriffen.

Überrascht sagte er: »Und was an dieser alten Tankrechnung ist so besonders?«

Genervt schnaubte Marleen, riss ihm das Stückchen Thermopapier aus der Hand, drehte es um und sagte: »Die Rückseite, Professor Baker. Dieser Gedanke ist mir heute beim Schwimmen gekommen, als ich eine Klapperschlange am Ufer gesehen habe.«

»Du warst schwimmen?«, platzte es aus Lír heraus. Mit einer Mischung aus Fassungslosigkeit und Empörung sah er Marleen an. Patrik musste sich auf die Wangeninnenseite beißen, um nicht laut zu lachen.

Bevor Lír mit Marleen hier aufgetaucht war, war sein Freund nie derart besitzergreifend oder beschützend gewesen. Nachdenklich runzelte Patrik die Stirn. Ich kann mich auch nicht daran erinnern, dass er je eine richtige Freundin hatte, dachte er irritiert.

»Ja, ich war schwimmen«, antwortete Marleen liebenswürdig und riss ihn aus seinen Überlegungen. Sein Blick glitt zurück auf den Papierfetzen. Auf der Rückseite der alten Quittung stand in Marleens geschwungener, aber etwas verrutschten Schrift: Giftunfälle mit unbekanntem Gift.

Ohne sich um die kleine Zankerei zu scheren, die zwischen Marleen und seinem Freund bezüglich ihres Badeausflugs entbrannt war, fragte Patrik laut: »Marleen, du denkst an die Naga, nicht wahr? Dass auch sie Gift produzieren und eventuell Menschen gebissen haben könnten, oder?«

Ein tiefes, fast animalisches Knurren erfüllte die Küche, bei dem sich Patriks Nackenhaare sträubten.

Er blickte kurz zwischen Marleen und Lír hin und her, hätte aber nicht sagen können, wer dieses Brummen ausgestoßen hatte. Er schluckte trocken, als er sah, wie die Augenfarben der beiden seltsam flirrten, unstet wie Quecksilber und mit einem unheimlichen, inneren Leuchten. Es waren Momente wie diese, in denen Patrik die Andersartigkeit der beiden wie ein eiskalter Lappen ins Gesicht traf.

Schließlich seufzte Marleen und sah ihn an.

Die letzten Reste des metallischen, saphirblauen Schimmerns verschwanden aus ihren Augen, als sie an ihn gewandt antwortete: »Ja, das war meine Überlegung. Wenn man den Erzählungen und unseren bisherigen Nachforschungen trauen kann, dann sind Naga Gestaltwandler, die zwischen einer komplett menschlichen Form und einer Mischung aus Mensch und Schlange wechseln können.«

Sie beugte sich ein Stück weiter zu ihm, ein Funkeln in den nun wieder menschlichen Augen. »Ein Großteil aller Schlangen produziert Gift – warum also nicht auch die Naga?«

Patrik starrte zurück auf den Zettel und nickte langsam. Dennoch hatte er bei dieser Theorie Bedenken.

»Sollten sie wegen der zu vermutenden Größe nicht eher in den Bereich der Würgeschlangen fallen?«

Marleen machte eine wegwerfende Geste und sagte: »Das glaube ich nicht. Es verträgt sich nicht mit der Persönlichkeit von Menschen, zu lauern und auf die passende Gelegenheit zu warten. Ich denke, auch Naga sind aktive Jäger.«

»Sprichst du aus Erfahrung?«, fragte Lír mit einem belustigten Unterton.

Mit einem kurzen Seitenblick auf Lír und in trockenem Ton antwortete Marleen: »Ja, durchaus. Wäre ich heute hungrig zum Schwimmen gegangen, wäre der New Hogan Lake jetzt so gut wie leer.« Dieses Mal konnte Patrik sich das Lachen nicht verkneifen und prustete los.

»Vielleicht sollten wir nicht uns Menschen für die Überfischung der Meere verantwortlich machen, sondern die Schuld bei den gefräßigen Sirenen suchen.«

»Ach, sei still«, murrte Marleen. Obwohl sie missmutig klang, wurde Patriks Lachen augenblicklich erstickt. Gleichzeitig erhitzte sich sein Blut und floss südwärts. Mit einem – wie er hoffte – bösartigen Seitenblick sah er Marleen an. Wie er es hasste, wenn sie die Sirenenstimme ihm gegenüber benutzte. Anzeigen sollte man sie deswegen, grollte er stumm vor sich hin.

Beruhigend strich Lír der aufgebrachten Nixe über die helle Wange. Wieder war deutlich zu sehen, dass sie sich telepathisch austauschten, bevor Marleen nach einem langen Seufzer den Zauberbann von Patrik nahm.

»Das sollte ein Scherz sein«, beschwichtigte Patrik sie und versuchte gleichzeitig, seine Erektion wieder unter Kontrolle zu bekommen. Ich muss niemals Viagra kaufen – ich ruf einfach Marleen an, wenn ich Hilfe brauche, dachte er sarkastisch.

Einige Augenblicke war es still in der gemütlichen Küche. Ohne es wirklich zu merken, lehnte sich Patrik zufrieden auf seinem Stuhl zurück. Seit seiner Geburt lebte er in diesem Haus, hatte es selbst für sein Studium nur so selten wie möglich verlassen und doch war es ihm nie derart einladend und heimelig erschienen wie in den letzten Monaten.

Selbst als seine Eltern noch gelebt hatten, war nicht dieses unbeschreibliche Gefühl von Wärme und Geborgenheit diesem alten Haus angehaftet.

Über sich selbst lächelnd schüttelte er den Kopf. Statt sich auf diese albernen Sentimentalitäten zu konzentrieren, durchdachte er Marleens Idee. Und je mehr er sich dieses Suchkriterium durch den Kopf gehen ließ, desto besser gefiel es ihm.

»Du könntest wirklich recht haben«, sagte er schließlich. Er nahm einen Schluck Kaffee, bevor er den anderen beiden am Tisch seine Aufmerksamkeit zuwandte. »Beide Wesen der gestaltwandelnden Übernatürlichen beeinflussen die Fähigkeiten und das Verhalten. Das ist nur logisch.«

Er bekräftigte seine Aussage mit einem entschiedenen Nicken. »Um anzugreifen oder sich zu verteidigen ist es naheliegend, dass alle möglichen Register gezogen werden. Wenn man bedenkt, dass Naga wirklich Gift produzieren, werden sie dies sicher auch einsetzen.«

»Und es muss stark sein«, warf Lír ein. »Stark genug jedenfalls, um mindestens einen ausgewachsenen Mann außer Gefecht zu setzen. Wenn nicht sogar zu töten.«

Aus dem Augenwinkel sah Patrik, wie sich Marleen mit einem selbstgefälligen Lächeln zurücklehnte. »Habe ich nicht gesagt, dass ich genial bin?«

Noch eine Stunde später, als Marleen und Lír gemeinsam das Abendessen zubereiteten, grinste Marleen über das ganze Gesicht.

Patrik saß ebenfalls in der Küche, doch er war über seinen Laptop gebeugt und arbeitete – was gleichbedeutend war, als wäre er nicht mehr im Raum oder gar im selben Gebäude.

»Er ist ein richtiger verrückter Professor. Nur gut für die Menschheit, dass er nicht Physik oder Chemie studiert hat«, sagte Marleen stumm an Lír gewandt. Ein leises, intimes Lachen folgte ihren Worten.

»Gott sei Dank. So müssen wir nicht fürchten, dass er irgendwann den gesamten Bundesstaat in die Luft jagt.« Lír blickte zu seinem Freund hinüber und grinste vor sich hin. Sie könnten sich genauso gut laut unterhalten oder ein Feuerwerk in der Küche zünden – Patrik würde es kaum bemerken. Vielleicht, wenn ein Knallkörper ihn trifft, überlegte Lír belustigt.

Einige Zeit arbeiteten sie schweigend weiter, schnitten Gemüse und Fleisch und schoben alles in den Ofen.

Als Marleen sich die Hände abtrocknete, sagte Lír: »Wir waren übrigens auch nicht ganz untätig.«

Mit einem Lächeln drehte sie sich zu ihm um. »Wirklich? Ich dachte schon, ihr seid nur wegen Chinatown und der Meeresfrüchte nach San Francisco gefahren.«

Lír gab ihr einen mentalen Klaps und freute sich diebisch über ihr finsteres Gesicht.

Geschickt wich er dem Küchentuch aus, das sie nach ihm warf und sagte: »Nein. Mir ist es gelungen, etwas mehr über Korriganen herauszufinden.«

Sofort flammte echtes Interesse in Marleens dunklen Augen auf. »Und?«

Nachdem sie das letzte Kochgeschirr in die Spülmaschine geräumt hatte, stellte sie sich dicht vor ihn. Lächelnd zog Lír sie zwischen seine Beine und legte die Hände auf ihre Hüften.

»In einer der Universitätsbibliotheken gab es ein paar Regale mit okkulten Büchern. In einem stand, dass Korriganen nachts wunderschöne Frauen sind, die vor allem Männer mit ihren betörenden Stimmen in Trugbilder locken.«

Nach einer kurzen Pause fügte er grinsend hinzu: »Das legt doch den Schluss nahe, dass sie mit den Sirenen verwandt sind. Meinst du nicht?«

Für einen Sekundenbruchteil flammte quecksilberartige Bewegung in Marleens Augen auf. »Wenn du nicht aufhörst mich zu ärgern, färbe ich dir mit Patriks Hilfe heute Nacht die Haare pink.«

Trotz Marleens sehr ernstgemeinter Drohung hätte Lír platzen können vor Glück. Es erfüllte ihn jedes Mal mit großer Befriedigung und einer primitiven Besitzgier, wenn er sah, wie der Inkubus Marleen beeinflusste.

Seit mehr als sechs Monaten waren sie durch Blut und das dritte Siegel des Inkubus‘ aneinander gebunden. Damals war er sich so sicher gewesen, dass er an der Verletzung sterben musste, die sein Vorfahr Aiden ihm mit einem Messer zugefügt hatte. Die Wunde hatte sich hässlich entzündet und hatte ihn langsam vergiftet.

Die Verletzung hatte ihn in seine natürliche Gestalt gezwängt – gedrehte Hörner waren ihm gewachsen und seine Augen hatten golden geglüht, mit katzenhaften Pupillen. Nie und nimmer hätte er so zu einem Arzt gehen können. Als Marleen keinen anderen Ausweg mehr gesehen hatte, hatte sie ihm einen Tropfen ihres Bluts gewaltsam eingeflößt und damit das dritte Siegel zwischen ihnen geschlossen.

Eigentlich hätte dieses Siegel sie umbringen und ihre Lebensenergie an Lír abtreten lassen müssen, doch stattdessen teilten sie nun die besondere Langlebigkeit, die allen Sirenen zu Eigen war. Lír wurde es immer noch jedes Mal ganz schlecht, wenn er an die panische Angst gedacht hatte, als Marleen ihn mit Sirenengesang dazu gezwungen hatte den einen Blutstropfen von ihr zu trinken, der ohne weiteres ihr Ende bedeutet hätte.

Zarte Hände holten ihn aus der grauenhaften und doch schönsten aller seiner Erinnerungen zurück.

»Ich würde es jeder Zeit wieder tun«, gestand Marleen. Sie setzte einen sanften Kuss auf seine Halsbeuge.

Mit einem seufzenden Atemzug schloss Lír die Augen. »Genau dafür liebe ich dich.«

Einige Minuten standen sie still beisammen, körperlich und geistig eng umschlungen.

Schließlich war es Lír, der mit leisen Worten das Schweigen brach. »In einem kleinen Absatz heißt es auch, dass Korriganen nur in der Nacht wunderschön sind. Sobald die Sonne aufgeht werden sie zu hässlichen, verkrüppelten Frauen mit rot-geränderten Augen.«

Marleen durchlief ein fühlbarer Schauer und sie schmiegte sich noch etwas enger an ihn. »Das hört sich ja gruslig an.«

»Schlimmer, als wenn man sich in einen halben Fisch verwandelt, wenn man vom Regen überrascht wird?« Bei Patriks nüchtern gestellter Frage lachte Lír leise vor sich hin. Marleen warf seinem Freund, der mittlerweile den Laptop von sich geschoben hatte, ein überaus liebenswürdiges Lächeln zu. Ein Lächeln, das die beiden Männer in den letzten Monaten zu fürchten gelernt hatten.

»Ich werde Luna bitten, uns zu besuchen. Ihr würdet so ein hübsches Paar abgeben.«

Tatsächlich wurde sein Freund blass um die Nasenspitze.

»Besser nicht«, wehrte er ab. »Mir reicht eine Cromwell in diesem Haus und die gelegentlichen Telefonate mit Sofia.«

»Tu nicht so. Du verstehst dich doch blendend mit Marleens Großmutter«, warf Lír ein. Als eine Art Familienhistorikerin war Sofia Cromwell eine äußerst anregende Gesprächspartnerin, wenn es um Geschichte ging.

Marleen grinste vor sich hin und überließ das weitere Gespräch den Männern.

Während Lír und Patrik sich erst über Sofia und anschließend über den Ausflug nach San Francisco unterhielten, schnappte sie sich Patriks Laptop und setzte sich an den Kachelofen. Als die wohlige Wärme sie durchdrang, seufzte sie zufrieden. Sie musste Anna unbedingt davon überzeugen, so etwas im Haus der Cromwells auf den Klippen von New Port einbauen zu lassen. Vielleicht schenkte sie ihrer Familie auch einfach einen Kachelofen zu Weihnachten.

Am Geld soll es nicht liegen, dachte sie belustigt. Ihre Familie hatte ein derart beträchtliches Vermögen, dass es direkt peinlich war. Einer der Vorteile eines langen, langen Lebens war es unter anderem ein hervorragendes Gespür für Geld und Investitionen zu entwickeln. Aufgrund der bedingungslosen Loyalität und Liebe der Frauen untereinander, war schon immer alles Geld jeder Cromwell frei zugänglich gewesen.

Marleens Lippen verzogen sich zu einem schiefen Lächeln. Wenn ihre Familie wollte, könnte sie die gesamte Industrie des Bundesstaates aufkaufen und hätte immer noch unanständig viel Geld. Sie warf einen kurzen Seitenblick auf Lír, ob er ihren Gedanken nicht gerade erraten hatte. Doch ihr leckerer Inkubus war voll in sein Gespräch mit Patrik vertieft. In nächster Zeit würde sie Lír darüber informieren müssen, wie viel Vermögen sie besaß.

»Aber nicht heute«, murmelte sie leise und loggte sich ins Internet ein. An diesem Abend würde sie ihrer Idee nachgehen und sich auf die Suche nach ungeklärten Giftunfällen machen.

Drei Tage später hatten sie nicht nur eine heiße Spur, sondern auch einen Namen: Tarek Narayan.

Kapitel 3

Heißer Wüstenwind strich über ihre Haut und trug feinen Sand mit sich, der sich wie Nadelstiche anfühlte. Sie hatte die Augen geschlossen und ließ sich Stück für Stück von der Düne verschlingen. Die untere Hälfte ihres Körpers war bereits unter dem goldgelben Sand verschwunden – als hätte sie nie existiert.

Neben dem Pfeifen des Windes war die Luft erfüllt vom tiefen, hypnotischen Gesang der Dünen. Ein sonores, tieffrequentes Brummen, das die heiße Wüstenluft tränkte und sich bis in die letzte Zelle ihres Körpers ergoss. Die Geräusche, die Gerüche und das Gefühl von Sand, Wind und Sonne auf der Haut gaben ihr ein Gefühl von Frieden.

Sie konnte nicht sagen, wie viel Zeit vergangen war, als sie sich langsam aus dem Sand schälte. Windung um Windung ihres kräftigen Leibs glitt aus den Milliarden Sandkörnern hervor. Schuppen in schimmerndem Schwarz und Dunkelgrün traten hervor, als Shari sich seufzend auf den Rücken legte und genüsslich streckte. Mehr als vier Meter maß ihr Körper, der nur zur Hälfte menschlich war. An ihren Hüften wurde ihre Haut von glatten Schuppen abgelöst, die den langen, muskulösen Schlangenkörper bedeckten.

Shari schloss die Augen und ließ den Sand durch ihre Hände gleiten, deren vormals manikürte Nägel in ihrer jetzigen Form zu scharfen Klauen geformt waren. Noch waren die feinen Körnchen glühend heiß. Oft saß Shari bis zur Dämmerung in der Wüste, wenn die Hitze des Tages von der bitteren Nachtkälte verschlungen wurde. Dann sah sie hinauf in den unendlichen Sternenhimmel und schämte sich dafür, dass sie ihrem winzigen Leben so viel Bedeutung beimaß.

Sharis Lippen verzogen sich zu einem schiefen Lächeln. Es war wirklich lächerlich, dass sie immer wieder hier herauskam. Mehrmals die Woche verkroch sie sich regelrecht in dieser Umgebung, einem lebensfeindlichen Ort, an dem sie dennoch Ruhe und Trost fand. Jeder andere Mensch mied die Wüste wie die Pest.

Ein leises, heiseres Lachen entwich ihr und wurde vom heißen Wüstenwind davongetragen.

»Jeder Mensch trifft es doch sehr gut.«

Zumindest kein ganzer, ging es ihr durch den Kopf. Es war keinesfalls menschlich, dass sie die Glut und Dürre der Wüste ohne weitere Probleme wochenlang überlebte. Nicht im Entferntesten war es menschlich, dass Shari sich von der Taille abwärts in eine riesige Schlange verwandeln konnte.

Menschlich war es auch nicht, dass sie bereits seit mehr als einem Jahrhundert lebte, ohne einen Tag älter als dreißig auszusehen.

Unter halb geschlossenen Lidern beobachtete Shari, wie der strahlendblaue Himmel sich langsam verfärbte und die Dämmerung hereinbrach. Jeden Tag aufs Neue passierte es, Sonnenauf- und Sonnenuntergang, ganz egal was auf der Welt geschah. Stoisch und unbeirrbar, schon seit Jahrmillionen. Shari konnte sich nicht vorstellen, wie solch eine Ewigkeit auszuhalten war.

Für ihre Art, für eine Naga, war sie selbst fast noch ein Kind und doch war sie an Tagen wie diesen unendlich müde. Dann fiel es ihr schwer, sich weitere Jahrhunderte auszumalen. Ganz im Gegensatz zu ihr strahlte ihre Mutter Delia eine ansteckende Vitalität aus, trotz der über zweihundertfünfzig Jahre. Seufzend rollte sich Shari auf den Bauch. Feiner Wüstensand rieselte aus ihren großen, schwarzen Locken.

Sie stützte das Kinn auf die Unterarme und blickte über die Kante der Düne hinunter.

»Bald müssen wir wieder umziehen«, murmelte sie gegen ihre warme Haut. Shari und ihre Familie lebten fast fünfzehn Jahre in El Aaiún. Nicht mehr lange und den Menschen würde auffallen, dass sie nicht alterten. Bisher hatten sie an diesem Ort nur so lange ausharren können, weil die Stadt so groß war und sie in der Masse verschwanden.

Schweren Herzens hatten ihre Mutter und sie sich entschieden, im nächsten Monat El Aaiún zu verlassen und so gut wie möglich ihre Spuren zu verwischen. Aber es wird immer schwerer, dachte Shari besorgt. Die Menschheit legte immer eifriger ihre Datenbanken und Karteien an, immer mehr der Weltbevölkerung waren erfasst. Dadurch müssten sie sich in Zukunft nur noch mehr anstrengen, ohne Spuren fortzugehen und irgendwo anders unbemerkt ein neues Leben zu beginnen.

»Das ist egal«, ließ sie die seelenlose Wüste wissen. Es war egal, wie sehr ihre Mutter an dem kleinen Haus mit dem blühenden Garten hing oder wie sehr Shari die Menschen im Krankenhaus vermissen würde. All das würde ihnen nicht eine Sekunde helfen, wenn die Normalsterblichen je herausfanden, was sie tatsächlich waren. Trotz der Hitze überlief Shari eine Gänsehaut – fast hörte sie die aufgebrachte, blutrünstige Meute lauthals ihren Tod fordern.

Kurz presste sie die Augen zu, bevor sie sich halb aufrichtete. Sie musste nach Hause gehen, Delia erwartete sie sicher bereits. Durch jahrzehntelange Übung glitt sie geschickt den steilen Dünenhang hinunter. Dabei hinterließ der muskulöse Schlangenkörper eine deutliche, tiefe Spur im Sand. Aber Shari wusste, dass nach wenigen Minuten nichts mehr davon zu sehen wäre. Als würde die Sahara ebenfalls ihr Geheimnis hüten wollen.

Die kraftvollen, wellenförmigen Bewegungen ihres langen Unterkörpers beförderten Shari schnell und zielsicher durch die Dünentäler. Kurz nachdem die Sonne hinter dem Horizont verschwunden war, erreichte sie eine versteckte Höhle. Es kostete sie einige Anstrengung, den Fels vom schmalen Eingang zu entfernen und in den beengten Hohlraum dahinter zu kriechen. In ihrer derzeitigen Gestalt füllte sie das Versteck fast komplett aus.

Doch ohne diesen Schutz wagte Shari sich nicht zu wandeln. Erst als sie die Höhle wieder verschlossen hatte, atmete sie tief durch und gab ihrem Körper den Befehl, sich wieder in die Hülle einer menschlichen Frau zu zwängen. Als die Verwandlung einsetzte, zwang sich Shari mit reiner Willenskraft zur Stille – ansonsten hätte sie einen markerschütternden Schrei ausgestoßen.

Welle um Welle puren Schmerzes schwappte durch ihren Körper und mit jedem Aufwallen der Qual verkürzte sich der lange Schlangenleib. Gleichzeitig zogen sich die schimmernden Schuppen zurück. Ein Wimmern entwich Shari, als sich der kompakte Unterleib zu zwei Beinen aufspaltete und das blutige Fleisch dazwischen mit neuer Haut umspannt wurde. Keuchend lag sie auf dem Rücken und genoss beinah die vergleichbar sanfte Pein, die ihr die Rückwandlung ihrer Hände und der Giftzähne bereitete.

Als Sharis Herzschlag sich wieder beruhigt hatte, schlüpfte sie in ihre mitgebrachte Kleidung und verließ die Höhle. Die Nacht war hereingebrochen. Sie warf einen letzten, begehrlichen Blick zu den Dünen, bevor sie über die felsige Ebene zurück zur Stadt lief.

Dabei rieselte unaufhörlich Sand aus den Falten ihrer weißen, weitgeschnittenen Tunika und den dunkelgrünen Leinenhosen. Shari wusste, dass sie erst nach einer ausgiebigen Dusche den beigefarbenen Staub loswurde, der ihre dunkle Haut heller erscheinen ließ.

»Das ist egal«, wiederholte sie leise. Ihre Worte wurden von dem weichen Stoff des Tuchs vor ihrem Mund komplett verschluckt.

Zielsicher machte sie sich auf den Weg zurück in die Zivilisation. Wie alle in ihrer Familie besaß sie ein untrügliches Gefühl dafür, in welche Richtung sie laufen musste, um zu anderen Menschen und vor allem zu Wasser zu gelangen. Als befände sich in ihrem Körper ein exakt justierter Kompass, der sie immer ans richtige Ziel führte.

Eine halbe Stunde später hatte sie den westlichen Stadtrand wieder erreicht. In den kühleren Abendstunden tummelten sich immer mehr Menschen auf den Straßen, je weiter sie ins Herz der Stadt vordrang. Wie immer vermied sie die großen Straßen, huschte durch kleinere Gassen und gelangte schließlich zu ihrem Haus.

Durch eine unscheinbare Holztür eines schmalen Durchlasses in der hohen Mauer gelangte sie in den Hinterhof – eine wahre Oase aus grünen Pflanzen, Schatten und Wasser. Selbst in der größten Tageshitze war es in dem schattigen Innenhof immer noch angenehm kühl. Der Duft der vielen Jasminranken erfüllte die Luft zusammen mit dem sanften Plätschern eines Brunnens. Ein wahres Blütenmeer bedeckte alles bis auf die schmalen Wege und die kleine Terrasse mit den gusseisernen Gartenmöbeln.

Leise schloss Shari die hölzerne Tür und sperrte damit die ganze Welt aus diesem kleinen Paradies aus. Seufzend legte sie den Schal ab und schüttelte ihr Haar auf. Augenblicklich rieselte ein steter Strom von Sand herab. Nachlässig ordnete Shari ihre Locken, die selbst am hellen Tag alles Licht zu verschlingen schienen.

Sie legte gerade den Besen wieder fort, mit dem sie den Sand zusammengekehrt hatte, als sie ein missbilligendes Zungenschnalzen hörte.

»Sag nicht, dass du schon wieder da draußen warst.« Die Hände in die Hüften gestemmt, stand Delia vor ihr und musterte sie mit zusammengekniffenen, dunkelgrünen Augen. Eine steile Falte bildete sich zwischen ihren Augenbrauen, als sie den kleinen Sandhaufen auf dem Boden entdeckte.

»Sicher hast du durch die ganze Stadt eine Spur hinterlassen«, grollte sie.

Shari lächelte die Frau liebevoll an, die nur ein paar Jahre älter aussah als sie selbst. »Keine Sorge, den meisten Sand habe ich in der Wüste gelassen.«

Seufzend verdrehte Delia die Augen, kam auf sie zu und nahm sie fest in den Arm. Obwohl Shari größer war als sie, fühlte sie sich in Delias Armen jedes Mal kleiner und zerbrechlicher. Shari schloss die Augen und atmete tief den vertrauten Geruch der anderen Frau ein.

»Ich habe Angst, dass du eines Tages nicht mehr zurückkommst.« Leise und kaum verständlich hatte Delia die Worte in Sharis Haar geflüstert. Augenblicklich legte sich eine kalte Hand um Sharis Herz und ließ ihren Atem stocken. Sie wusste, dass Delia damit nicht andeuten wollte, dass sie sich eines Tages verlaufen könnte.

Shari bekam ein schlechtes Gewissen, weil sie tatsächlich mit dem Gedanken gespielt hatte, nicht mehr in die Stadt zurück zu kehren. Wäre Delia nicht hier gewesen, hätte sie es vermutlich schon längst getan.

Beruhigend strich sie der kleineren Frau über den Rücken. »Ich werde immer wieder zu dir zurückkehren.«

Mit einem kleinen Lächeln löste sie sich von ihr. Delias Augen sprachen von viel mehr erlebten Jahren, als ein einzelner Mensch es jemals konnte. Doch nach einigen Wimpernschlägen war der Eindruck fort und Delia erwiderte ihr Lächeln.

»Komm amira, das Abendessen ist fertig.«

Es war bereits dunkelste Nacht, als die beiden Frauen wieder hinaus in den Garten traten. Die Stadt um sie herum schlief und man musste sich anstrengen, um in der Ferne die letzten Geräusche der Zivilisation auszumachen. Im weiteren Umkreis war kein Mensch mehr wach, bis auf Shari und Delia.

Shari lachte leise vor sich hin und blies in ihre Tasse mit heißem, stark gesüßtem Kaffee. »Kein Mensch trifft es doch sehr gut.«

Im flackernden Schein einer einzelnen Öllampe, die neben der Tür hinein ins Haus hing, saßen die beiden Frauen auf der überwucherten Terrasse.

»Willst du denn ein ganzer Mensch sein?« Delias Stimme drang leise zu ihr hinüber. Ihre Mutter saß an die Wand gelehnt da, ein enganliegendes, safrangelbes Oberteil bedeckte gerade ausreichend ihre Brüste. Die restliche Haut war braun wie edle, geschmolzene Schokolade.

Shari schüttelte langsam den Kopf. »Nein. Aber es beunruhigt mich, dass ich schon zum zweiten Mal heute daran denke.«

Delia legte den Kopf schief, ihre Augen waren in dem spärlichen Licht kaum zu erkennen. Weit entfernt erklang für einige Herzschläge Musik, bevor sie ebenso unerwartet wieder verschwand.

»Es wäre einfacher«, sagte Delia schließlich. Mit einem leisen Klirren stellte sie ihre Tasse auf den kleinen Tisch zwischen ihnen. Die weiten, safrangelben Hosen bauschten sich, als sie die Beine überschlug.

»Aber es würde uns nicht glücklich machen. Mich zumindest nicht.« Shari blickte in den schwarzen Kaffee und ließ sich diesen Gedanken durch den Kopf gehen.

»Nein, mich auch nicht«, gestand sie schließlich. Selbst wenn sie müde war, wenn sie sich einsam fühlte mit dem Geheimnis um ihre wahre Gestalt, könnte sie ihre Schlangenhaut doch niemals ganz abstreifen. Ein Teil ihres Herzens, ihrer Seele hing an der Tatsache, dass sie eine Naga war.

Nachdenklich rieb sie einige Kardamonsamen zwischen den Fingern, bis das süßlich-scharfe Aroma sich mit dem Duft des Kaffees und der Nacht vermischte.

»Meinst du es war klug, den Kontakt zu den anderen Naga-Familien abzubrechen?«, fragte sie leise. Als Delia leidgeprüft seufzte, sah Shari nicht auf. Sie wusste, dass ihre Mutter dieses Thema schmerzte – nicht nur auf eine Weise.

»Vielleicht«, gab sie schließlich zu. »Doch es kann nicht so schlimm gewesen sein, da die wenigen uns bekannten Sippen uns scheinbar nicht vermissen.«