Die Antarktis-Verschwörung - Clive Cussler - E-Book

Die Antarktis-Verschwörung E-Book

Clive Cussler

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Beschreibung

Der 18. Roman um Kurt Austin, dem besten Mann für Unterwassereinsätze der amerikanischen Meeresbehörde NUMA.

Kurt Austin reist in die Antarktis, nachdem er erfährt, dass ein ehemaliger NUMA-Kollege dort spurlos verschwunden ist. Doch gefährliche Gewässer und eisige Temperaturen sind Kurts geringste Probleme: Auf einem alten deutschen Luftwaffenstützpunkt hat ein zu allem entschlossener verrückter Wissenschaftler eine Möglichkeit gefunden, die gesamte Erde mit einer meterdicken Eisschicht zu überziehen. Und dieser ist absolut bereit, seinen Plan umzusetzen, sollten seine Forderungen nicht erfüllt werden. Während ein monströser Sturm aufzieht, riskieren Kurt und sein NUMA-Team alles, um die Menschheit vor einem frostigen Schicksal zu bewahren.


Jeder Band ein Bestseller und einzeln lesbar. Lassen Sie sich die anderen Abenteuer von Kurt Austin nicht entgehen – zum Beispiel Geheimfracht Pharao, Projekt Nighthawk und Das Jericho-Programm.

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Seitenzahl: 588

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Buch

Kurt Austin reist in die Antarktis, nachdem er erfährt, dass ein ehemaliger NUMA-Kollege dort spurlos verschwunden ist. Doch gefährliche Gewässer und eisige Temperaturen sind Kurts geringste Probleme: Auf einem alten deutschen Luftwaffenstützpunkt hat ein zu allem entschlossener verrückter Wissenschaftler eine Möglichkeit gefunden, die gesamte Erde mit einer meterdicken Eisschicht zu überziehen. Und dieser ist absolut bereit, seinen Plan umzusetzen, sollten seine Forderungen nicht erfüllt werden. Während ein monströser Sturm aufzieht, riskieren Kurt und sein NUMA-Team alles, um die Menschheit vor einem frostigen Schicksal zu bewahren. ((Nur E-Book Ende))

Autoren

Seit er 1973 seinen ersten Helden Dirk Pitt erfand, ist jeder Roman von Clive Cussler ein »New-York-Times«-Bestseller. Auch auf der deutschen SPIEGEL-Bestsellerliste ist jeder seiner Romane vertreten. 1979 gründete er die reale NUMA, um das maritime Erbe durch die Entdeckung, Erforschung und Konservierung von Schiffswracks zu bewahren. Er lebt in der Wüste von Arizona und in den Bergen Colorados.

Der leidenschaftliche Pilot Graham Brown hält Abschlüsse in Aeronautik und Rechtswissenschaften. In den USA gilt er bereits als der neue Shootingstar des intelligenten Thrillers in der Tradition von Michael Crichton. Wie keinem zweiten Autor gelingt es Graham Brown verblüffende wissenschaftliche Aspekte mit rasanter Nonstop-Action zu einem unwiderstehlichen Hochspannungscocktail zu vermischen.

Die Kurt-Austin-Romane bei Blanvalet

Tödliche Beute

Brennendes Wasser

Das Todeswrack

Killeralgen

Packeis

Höllenschlund

Flammendes Eis

Eiskalte Brandung

Teufelstor

Höllensturm

Codename Tartarus

Todeshandel

Das Osiris-Komplott

Projekt Nighthawk

Die zweite Sintflut

Das Jericho-Programm

Geheimfracht Pharao

Die Antarktis-Verschwörung

Weitere Bände in Vorbereitung

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Clive Cussler

& Graham Brown

DIE ANTARKTIS-VERSCHWÖRUNG

Ein Kurt-Austin-Roman

Aus dem Englischen

von Michael Kubiak

Die englische Originalausgabe erschien unter dem Titel »Fast Ice (Kurt Austin 18)« bei Putnam, New York.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Februar 2023 bei Blanvalet,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Copyright © 2021 by Sandecker RLLLP

By arrangement with Peter Lampack Agency, Inc.

551 Fifth Avenue, Suite 1613

New York, NY 10176 – 0187 USA

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2023 by Blanvalet Verlag,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Covergestaltung: © Johannes Wiebel | punchdesign,

unter Verwendung von Motiven von stock.adobe.com

(Getmilitaryphotos, Tyler Olson, Jakob Reisinger, dule964, kitsana, Wayne, salman2)

Redaktion: Jörn Rauser

HK · Herstellung: sam

Satz: KCFG – Medienagentur, Neuss

ISBN: 978-3-641-29575-2V001

www.blanvalet.de

Handelnde Personen

Antarktika, 1939

Kapitän Günther Jürgenson – Lufthansa-Pilot spezialisiert auf das Lenken von Wasserflugzeugen und Flugboten, Pilot der MSBremerhaven, Expeditionsschiff der Deutschen Antarktischen Expedition 1938 – 1939.

Leutnant Schmidt – Navigator des Jürgenson-Flugboots und linientreues Mitglied der NSDAP.

Gegenwart

GRISHKA-EXPEDITION

Cora Emmerson – Klimaexpertin und Mikrobiologin, außerdem früher bei der NUMA (National Underwater and Marine Agency) beschäftigt.

Alec Laskey – Kapitän der Grishka, eines vierzig Jahre alten Polarforschungsschiffes.

NATIONALUNDERWATERANDMARINEAGENCY (NUMA)

Kurt Austin – Direktor der Abteilung für Sonderprojekte, Bergungsspezialist, Hochleistungstaucher und begeisterter Segler.

Joe Zavala – Kurts Helfer und bester Freund, Hubschrauberpilot und technisches Genie.

Rudi Gunn – Stellvertretender Direktor der NUMA, Absolvent der Naval Academy. Er leitet die meisten tagesaktuellen Operationen.

Hiram Yaeger – Technologischer Direktor der NUMA, entwickelte und betreibt ihre leistungsfähigsten Computer- und Datenverarbeitungssysteme.

Paul Trout – Leitender Geologe der NUMA, Absolvent des Scripps Institute, verheiratet mit Gamay Trout.

Gamay Trout – Leitende Meeresbiologin der NUMA, ebenfalls Absolventin des Scripps Institute.

St. Julien Perlmutter – Schifffahrtshistoriker von Weltrang und Sternekoch, beherbergt in seinem Haus eine umfangreiche Sammlung seltener nautischer Fachbücher und Seekarten.

Lee Garland – Spezialist für Fernerkundungs- und Kommunikationstechnik, trägt den Spitznamen Satellitencowboy.

SÜDAFRIKA – PROVINZLIMPOPO

Yvonne Lloyd – Umweltschützerin und Paläobiologin mit Schwerpunkt Mikrobiologie; als Mitglied von Cora Emmersons Expeditionsteam auf der Grishka hat sie die Aufgabe, in den durch Bohrungen zutage geförderten Eisproben nach jahrtausendealten Viren und Bakterien zu suchen.

Ryland Lloyd – Yvonnes älterer Bruder, CEO von Mata-Petroleum und in Fragen des Umweltschutzes mit seiner Schwester seit jeher auf Kriegsfuß.

Zhao Liang – Eigentümer von Liang Shipping, einer Reederei mit umfangreicher Tankerflotte, und Geschäftspartner von Ryland Lloyd.

Sergei Nowikow – Russischer Baulöwe, spezialisiert auf die Errichtung von Hafenanlagen und Schiffsfrachtterminals ebenfalls Geschäftspartner von Ryland Lloyd.

Eileen Tunstall – Kanadische Großindustrielle, deren Firma Hochleistungsturbinen baut und Pipelinetechnik liefert; auch sie ist mit Ryland Lloyd geschäftlich eng verflochten.

SÜDAFRIKA – JOHANNESBURG

Leandra Ndimi – Verbindungsoffizier der NUMA in Südafrika und mit Rudi Gunn befreundet.

Professor Noah Watson – Mikrobiologe an der Universität von Johannesburg.

Lieutenant Clarence Zama – Special Forces Commander der South African Navy.

EUROPA

Matthias Räikkönen – Forschungsdirektor des European Ice Core Depository in Helsinki.

Andrea Bauer – Leitende Kuratorin im Berlin Document Center.

CREWDER P-8 POSEIDON

Commander Walter Hansen – Pilot der P-8 Poseidon mit dem Codenamen Hermes 51.

Lieutenant Rebecca Collier – In der Hermes 51 für die Bedienung des hochauflösenden Aufklärungssystems zuständig.

Prolog

IMEISKELLERDERERDE

TERRAAUSTRALIS (ANTARKTIS)

JANUAR 1939

Das dumpfe Dröhnen von Flugzeugpropellern hallte über die kahle Winterlandschaft. Es wurde von den Schneefeldern reflektiert und legte sich auf die gefrorenen Eisströme – so entstand ein pulsierendes Brummen, wie es in diesem Teil der Antarktis niemals zuvor erklungen war.

Einer Kolonie Kaiserpinguine, die unten auf dem Festland nistete, blieb das Geräusch nicht verborgen. Sie blickten zum Himmel und drehten auf der Suche nach dem Ursprung dieser Störung die Köpfe, als würden sie allesamt an einer unsichtbaren Schnur gezogen. Als sie die Quelle schließlich gefunden hatten, verfolgten sie in stramm aufrechter Körperhaltung mit einem Ausdruck gebannter Neugier, wie ein riesiger grauer »Vogel« mit starren Schwingen schwerfällig am Himmel an ihnen vorüberzog.

Der Vogel – ein Dornier-Flugboot – war ein silbern glänzendes Ganzmetallflugzeug mit einer Registrierungsnummer in großer schwarzer Blockschrift auf dem Rumpf. Das Flugzeug, dessen Tragflächen in Hochdeckerbauweise angeordnet waren, wurde von zwei Radialmotoren auf der Mittellinie des Rumpfs angetrieben – der vordere Motor zog das Flugzeug, der hintere lieferte zusätzliche Schubkraft.

Die Piloten dieses Modells – seine genaue Bezeichnung lautete Dornier Do J II – hatten ihm den Spitznamen Wal nicht nur wegen seiner Größe verpasst, sondern auch aufgrund der gerippten Rumpfplatten, die den Längsfalten des Blubbers auf der Bauchseite vieler dieser im Ozean lebenden Leviathane ähnelten.

In der Führerkanzel des Flugzeugs saß ein Pilot mittleren Alters an den Kontrollen. Er hatte braune Augen und graumeliertes Haar. Die untere Hälfte seines Gesichts war mit dunklen Bartstoppeln bedeckt. Bekleidet war er mit der sogenannten Fliegerbluse, der klassischen knopflosen Uniformjacke der deutschen Heeresflieger. Wie an dem Abzeichen an seinem Kragen zu erkennen war, bekleidete er den Rang eines Hauptmanns der Luftwaffe. Auf einem offenbar erst vor kurzem auf der linken Brustseite der Fliegerbluse aufgenähten Stoffstreifen stand, dass der Name des Piloten Jürgenson lautete.

Während er die Maschine auf die Seite legte und durch die beheizte Seitenscheibe des Cockpits auf die Pinguine hinabschaute, weidete sich Jürgenson an dem Anblick der nahezu schnurgeraden Reihen, in denen sich die Vögel auf dem Eis angeordnet hatten.

»Wie kleine Soldaten«, sagte er bewundernd.

Der Kopilot lachte und deutete dann auf etwas anderes. »Blaues Wasser«, sagte er. »Dies dort muss wieder so ein See sein. Das wäre dann der dritte auf einer Strecke von fünfzig Kilometern. Alle drei liegen auf einer geraden Linie.«

Jürgenson richtete seine Aufmerksamkeit auf den See, der sich vor ihnen befand. Was er aus der momentanen Entfernung erkennen konnte, war ein langgestreckter schmaler Streifen offenen Wassers, das im Licht der Polarsonne aquamarinblau schimmerte. Die Farbe war so intensiv, dass der See wie ein gigantischer Saphir aus der grenzenlosen grellweißen Schneefläche herausstach.

»Dieser See ist größer als die anderen.« Er schaltete die Bordsprechanlage ein. »Navigator, ich brauche unsere exakte Position.«

Aus dem Bauch der Maschine antwortete der Navigator mit den aktuellen Werten für den Längen- und Breitengrad und fügte hinzu: »Wir nähern uns dem Zweihundert-Kilometer-Wegpunkt. Wird Zeit, dass wir unsere Pflicht für das Deutsche Reich erfüllen.«

Jürgenson verdrehte die Augen und wechselte einen vielsagenden Blick mit dem Kopiloten. Offiziell waren sie als Forscher und Entdecker hierhergekommen und fotografierten weite Gebiete des nahezu unberührten Kontinents, in Wahrheit aber bestand im Jahr 1939 der einzige Sinn der Erforschung unbekannter Landmassen darin, sie für König und Volk – oder in diesem Fall für Führer und Vaterland – in Besitz zu nehmen.

Um dieser Inbesitznahme Gewicht zu verleihen, hatten sie vom Oberkommando den Befehl bekommen, alle fünfzig Kilometer Beweise für ihre Reise in diese Region zu hinterlassen. Zu diesem Zweck warfen sie massive Markierungsstäbe durch die Frachtklappe des Flugzeugs ab – in der Hoffnung, dass sie sich senkrecht in den Untergrund bohrten und wie Grenzflaggen aus dem Eis- und Schneepanzer ragten.

Diese Markierungsstäbe waren jeweils einen Meter lang, aus Stahl geschmiedet und wie Pfeile geformt. Mit ihren beschwerten Spitzen sollten sie wie Speere durch die Luft fliegen und sich in Eis und Schnee bohren. Wenn alles wie geplant verlief, würden sie aufrecht stecken bleiben, sodass die in ihre Schäfte eingravierten Hakenkreuze für jeden Besucher auf Anhieb zu erkennen waren.

Für Jürgenson war dieser Teil ihres Auftrags nichts als eine lächerliche Zeitverschwendung. Soweit er es erkennen konnte, kippten die Pfeile bereits beim Aufschlagen um oder bohrten sich so tief in die Schneedecke, dass sie vollkommen verschwanden und von ihnen nichts zu sehen war.

Jürgenson traf eine schnelle Entscheidung und wandte sich über die Bordsprechanlage an seine Crew. »Wir sind hierhergekommen, um zu suchen, was für unser Vaterland von Wert ist, seine Stellung in der Welt verstärkt und seinen Einfluss vergrößert. Schneeschmelze und tauendes Eis lassen auf geothermische Wärmequellen schließen, die von hohem Nutzen sein werden, wenn unser Oberkommando beschließen sollte, in dieser Region eine militärische Basis zu errichten. Daher sollte sich nun jeder anschnallen. Wir werden jetzt ein Stück zurückfliegen, um zu landen.«

Nachdem er die Bordsprechanlage ausgeschaltet hatte, sagte er zu seinem Kopiloten: »Nehmen Sie Verbindung mit der Bremerhaven auf. Geben Sie durch, dass wir landen.«

Während der Kopilot den Frachter anfunkte, von dem sie per Katapultvorrichtung gestartet waren, justierte Jürgenson die Kontrollen, legte die Dornier in eine weite Kurve und ging gleichzeitig in einen mäßigen Sinkflug. Er überflog den See einmal in seiner gesamten Länge, hielt Ausschau nach Felsen oder anderen Hindernissen und leitete dann die Landung ein. Die blau glitzernde Wasserfläche vor und unter sich, fuhr er die Landeklappen aus und drosselte schließlich die Drehzahl der Motoren.

Es herrschte kein nennenswerter Wind, der das Landemanöver hätte beeinträchtigen können. Die Dornier setzte an einem Ende des schmalen Sees auf und teilte die spiegelglatte Wasserfläche mit einer langen dünnen Kiellinie in der Mitte.

Der Widerstand des Wassers verringerte die Geschwindigkeit des Flugzeugs genauso wirkungsvoll wie jedes Bremssystem, und das große Flugboot wühlte sich wie ein schwer beladenes Schiff durch das eisige Wasser. Jürgenson steuerte die Maschine mit Hilfe spezieller Pedale, die mit einem kleinen Steuerruder unter dem Kiel des Flugzeugrumpfs verbunden waren. Während die Geschwindigkeit weiter abnahm, gab er kurz Gas, lenkte das Flugzeug nach rechts und schaltete die Motoren aus.

In der Dornier wurde es still, während sie am Ende des Sees noch einige Schritte weitertrieb und dann ganz anhielt.

»Nutzen wir die Gelegenheit, um uns die Beine zu vertreten«, sagte Jürgenson und lockerte seine Schultergurte.

Gleichzeitig kam der Navigator auf der Leiter aus dem Flugzeugbauch herauf und streckte den Kopf durch die Bodenöffnung ins Cockpit. »Herr Hauptmann«, sagte er im förmlichen Tonfall eines Politkommissars, wie man sie aus der sowjetischen Armee kannte, »ich muss darauf bestehen, dass wir …«

Jürgenson schnitt ihm das Wort ab. »Leutnant Schmidt«, sagte er. »Ich bestehe darauf, dass Sie uns begleiten. Sie können so viele Markierungsstäbe mitnehmen, wie Sie wollen. Wir können sogar den gesamten See damit umrahmen, wenn Ihnen das gefällt. Und als weitere Ehre überlasse ich es Ihnen, dem See einen deutschen Namen zu geben.«

Einige Sekunden lang herrschte Schweigen, dann meinte der Navigator: »Danke, Herr Hauptmann.«

Der Navigator verschwand im Flugzeugrumpf, und der Kopilot grinste amüsiert. »Wie ich es sehe, wird am Ende noch ein richtiger Politiker aus Ihnen.«

»Nicht in einer Million Jahre.«

Jürgenson hatte nicht das Geringste für die Nationalsozialistische Partei übrig – im Gegenteil sogar, denn in den Anfangsjahren der Nazis, als man es sich noch gefahrlos hatte erlauben können, hatte er kein Hehl daraus gemacht, dass er sie entschieden ablehnte. Dadurch war er in den Fokus der Gestapo geraten, die seinen Namen auf eine schwarze Liste gesetzt und alles unternommen hatte, um seine Teilnahme an der Expedition zu verhindern. Nachdem er aber jahrelang auf den Überseerouten der Lufthansa unterwegs gewesen war, galt er als einer der erfahrensten Piloten der Dornier J IIWal. Dieses fliegerische Können – sowie eine schriftliche Erklärung, in der er seinen früheren Aktivitäten als Gewerkschaftsmitglied abschwor – hatten ihm zu dieser Position verholfen, nachdem er, als politisch unzuverlässig eingestuft, längere Zeit als Kumpel in einem Steinkohlebergwerk im Ruhrgebiet unter Tage gearbeitet hatte.

Jürgenson fasste nach oben und öffnete eine Luke über seinem Kopf. Die meisten Versionen der Dornier hatten ein offenes Cockpit, aber die für die Antarktis-Expedition ausgewählte Maschine war aus Gründen, die klar auf der Hand lagen, mit einer rundum verglasten Führerkanzel ausgestattet worden.

Als das gläserne Paneel aufglitt, strömte ein eisiger Hauch in das stickige Abteil, frischte die Luft auf und vertrieb den Anflug von Müdigkeit, den die beiden Männer – Pilot und Kopilot – nach dem langen Flug über die eintönige Schneelandschaft verspürten. Jürgenson atmete tief ein, dann zog er sich hoch und kletterte durch die Lukenöffnung auf das Rückgrat seines Flugzeugs hinaus.

Hinter ihm befand sich die Tandem-Motorgondel mit den Propellern an dem vorderen und hinteren Ende. Zwar waren sie zum Stillstand gekommen, aber er konnte das Knistern und Knacken der erhitzten Metallteile des Motors hören, während die kalte Luft über sie hinwegstrich.

In der Unterseite des Rumpfs wurde eine Tür geöffnet. Leutnant Schmidt und zwei andere Crewmitglieder kletterten auf die untere stummelförmige Tragfläche hinaus, das sogenannte Schwalbennest. Dieser zweite Tragflügel war dem Flugboot hinzugefügt worden, um seine Stabilität zu erhöhen, wenn es auf dem Wasser schwamm, aber er bot auch einen idealen Standplatz, wenn man ins Flugzeug einstieg oder es verließ.

Leutnant Schmidt ging auf ein Knie hinunter und feuerte eine Harpune ins Eis. Auf ihrer Flugbahn zog sie ein Seil aus einem Metallkasten hinter sich her, der von den beiden anderen Mannschaftsmitgliedern auf dem Stummelflügel abgestellt worden war und von ihnen festgehalten wurde. Sobald sich die Harpune an Land ins Eis gebohrt hatte, zogen Schmidt und seine Helfer an dem Seil und bugsierten auf diese Weise das Flugboot dicht ans Ufer heran.

Nachdem die Maschine sicher vertäut war, legte Leutnant Schmidt ein langes Holzbrett über den Spalt zwischen Flugzeug und Seeufer. »Wie viel Zeit haben wir, Herr Hauptmann?«

Jürgenson warf einen Blick auf das Außenthermometer. Zehn Grad Celsius unter null. Bei dem Sonnenschein und der herrschenden Windstille fühlte sich das geradezu angenehm an. Jürgenson wurde an einen Tag während eines Urlaubs in den Alpen erinnert, an dem er vormittags Ski gelaufen war und sich am Nachmittag an einen Tisch im Freien auf der Terrasse einer Skihütte gesetzt und sich einen Krug bayrischen Biers genehmigt hatte.

»Eine Viertelstunde«, sagte er. »Aber keine Minute länger.«

Dieses Zeitlimit galt jedoch nicht für die Flugzeugbesatzung – die Männer hatten keinerlei Probleme mit der Kälte –, dagegen war die Zeitspanne so kurz gewählt, um zu vermeiden, dass die Kolben zu stark abkühlten, was das Verdampfen des Treibstoffes und damit den Neustart der Motoren erheblich erschwert hätte.

Er bückte sich zur Ausstiegsluke hinunter und rief dem Kopiloten im Cockpit zu: »Behalten Sie die Öltemperatur im Auge. Wenn sie zu weit absinkt, starten Sie die Motoren und schalten Sie sie auf Leerlauf. Ich gehe an Land.«

Der Kopilot salutierte, Jürgenson richtete sich auf und schritt über das Flugzeug hinweg. Er schlängelte sich an einem Propellerflügel vorbei, duckte sich unter der Tragfläche hindurch und sprang auf das Schwalbennest hinunter. Von dort aus überquerte er die Holzplanke und kam an Land.

Als er festen Grund unter den Füßen hatte, stellte er fest, dass der Schnee zu solidem Eis zusammengebacken und nur mit einer dünnen Schicht Pulverschnee bedeckt war. Während er sich von dem Flugzeug entfernte, registrierte er mit Staunen die nahezu vollkommene Stille. Er hörte nur das Geräusch seiner Atemzüge und das Knirschen des Schnees unter seinen Stiefelsohlen.

Die Landschaft ringsum war grenzenlos, bar jeglichen Lebens und in ihrer Feindseligkeit absolut überwältigend. Die Luft war so kalt, dass sie keinerlei Feuchtigkeit enthielt. Obwohl sein Atem in den Nasenlöchern zu gefrieren schien, sah er nicht die geringste Spur von Wasserdampf, wenn er ausatmete. Das grelle Weiß der Schneewüste blendete ihn, aber in der Ferne erspähte er mehrere schneefreie Bergspitzen, deren dunkle Farbe auf vulkanisches Gestein schließen ließ. Das Firmament darüber erstrahlte in dem sattesten Himmelblau, das er je gesehen hatte.

Bedächtig setzte er einen Fuß vor den anderen und nahm alles in sich auf. Er war sich nicht sicher, aber er vermutete, dass er weiter nach Süden vorgedrungen war als jemals ein anderer Deutscher vor ihm. Allein dies war schon etwas, worauf er sich etwas einbilden konnte. Er ging an Leutnant Schmidt vorbei, der seine Stahlpfeile ins Eis hämmerte und sorgsam darauf achtete, dass die Hakenkreuze auf den Wimpeln deutlich zu erkennen waren.

Als Nächstes folgte das obligatorische Foto. Während Schmidt die Hakenkreuzflagge entfaltete, stellte ein anderes Mitglied der Crew die Kamera auf. Sie winkten dem Hauptmann, zu ihnen zu kommen, um ebenfalls auf die Platte gebannt zu werden.

Jürgenson ging zu ihnen hinüber und stellte sich mit lustloser Miene neben sie. Er ließ die Arme herabhängen, während Leutnant Schmidt und die anderen die Hände zu einem strammen Hitlergruß hochrissen.

Nachdem der offizielle Teil der Inbesitznahme abgeschlossen war, wanderte der Pilot weiter über die schmale Eisfläche und erreichte einen der Wissenschaftler, der am Rand des Sees kauerte.

Der Mann entnahm ihm mehrere Proben. Dazu tauchte er eine große Glasflasche ins Wasser, ließ sie weit genug absinken, damit sie sich füllte, ehe er sie an einer Schnur wieder herauszog.

»Was meinen Sie?«, fragte Jürgenson und ging neben ihm auf ein Knie hinunter. »Hat es hier früher mal einen Vulkan gegeben?«

»Ja«, antwortete der Wissenschaftler. »Mit ziemlicher Sicherheit. Der Geruch nach Schwefel ist sogar deutlich wahrzunehmen. Dieser See wird zweifellos durch eine geothermische Wärmequelle aufgeheizt.«

»Aber ich dachte, wir stünden hier auf einem massiven Gletscher.«

»Sie haben vollkommen recht, das tun wir auch«, bestätigte der Wissenschaftler. »Das macht diese Entdeckung zu etwas ganz Besonderem – wir haben hier eine geothermische Energiequelle, die sich durch einen enormen Gletscher arbeitet. Sehr ungewöhnlich. Und außerdem haben wir dies.« Der Wissenschaftler deutete auf eine der Glasflaschen in einem Kasten, der neben ihm auf dem Eis lag und in Fächer unterteilt war. Die Flasche enthielt eine der ersten Wasserproben aus dem See.

»Das Wasser ist mit Schwebstoffen angefüllt. Dabei sollte es eigentlich reines Schmelzwasser und vollkommen klar sein. Aber das ist es nicht.«

Der Hauptmann betrachtete die Glasflasche und ihren Inhalt genauer. Ein Thermometer, das in der Flasche schwamm, zeigte einen Wert von plus vier Grad Celsius, aber auf der Wasseroberfläche hatte sich bereits eine dünne Eisschicht gebildet. Als der Wissenschaftler die Flasche schüttelte, um die Eisschicht zu beseitigen, waren in den entstehenden Wirbeln Schlieren einer grünlichen Substanz zu erkennen.

»Sediment?«

»Vielleicht.«

»Oder sogar lebendes Material … möglicherweise …«

»Herr Hauptmann!«, durchdrang ein lauter Ruf die Stille.

Jürgenson richtete sich auf und blickte zum Flugzeug hinüber. Einer seiner Männer stand auf dem hinteren Rumpfabschnitt der Dornier, hielt sich an einer Verstrebung des Höhenleitwerks fest und deutete über den See in Richtung des Bereichs, in dem sie gelandet waren.

»Das Wasser gefriert, es bildet sich eine Eisschicht«, rief das Crewmitglied. »Wir müssen sofort abheben, sonst hängen wir hier fest!«

Jürgenson wandte sich um. Von dem gleißenden Sonnenschein geblendet, der von der Schneewüste reflektiert wurde, musste er die Augen zu schmalen Schlitzen zusammenkneifen, um zu erkennen, was der Mann auf dem Dach des Flugboots meinte. Das leuchtende Blau des Wassers verdunkelte sich in der Ferne zu einem bleifarbenen Grau. Sogar am Rand des Sees neben ihnen war eine papierdünne Eisschicht entstanden, die dort Minuten zuvor noch nicht zu sehen gewesen war.

»Alle Mann sofort zurück zum Flugzeug!«, befahl Jürgenson. Er half dem Wissenschaftler, die Glasflaschen mit den Wasserproben zu verschließen und in die Transportkiste zu stellen, dann sprang er auf und rannte zum Flugboot. Er balancierte über die behelfsmäßige Gangway und kletterte aufs Dach der Passagierkabine.

Er eilte zum Höhenleitwerk, um sich daran abzustützen, als er sich auf die Zehenspitzen stellte. Von diesem höheren Aussichtspunkt konnte er mehr erkennen. Was er sah, ließ das Blut in seinen Adern viel eher gefrieren, als es die eisige Luft vermochte, die ihn umgab. An beiden Seeufern war auf dem Wasser eine Eisschicht entstanden, deren rasantes Wachstum man auch ohne Fernglas verfolgen konnte. Gleichzeitig breitete sich diese Schicht in Richtung Seemitte aus – wie Raureif, der im Zeitraffertempo über eine Fensterscheibe kriecht. Im Augenblick sah es so aus, als würde ein Kanal in der Seemitte eisfrei bleiben.

Mit wenigen Schritten überquerte Jürgenson das Kabinendach des Flugboots, duckte sich unter die Tragfläche und beugte sich über den Cockpiteinstieg. »Starten Sie die Motoren!«

»Aber noch sind nicht alle Männer an Bord«, erwiderte der Kopilot.

»Starten Sie die Maschinen trotzdem«, befahl Jürgenson. »Beeilen Sie sich.«

Während der Kopilot die notwendigen Vorbereitungen traf, blieb Jürgenson auf dem vorderen Kabinenabschnitt stehen und ließ den Blick am Seeufer entlangwandern. Die Wissenschaftler schleppten ihre Ausrüstung und die Behälter mit den Wasserproben mühsam durch den Schnee zum Flugzeug. Schmidt hatte in seinem blinden Diensteifer nichts anderes zu tun, als noch einen letzten Markierungsstab ins Eis zu hämmern. »Nun kommen Sie schon!«, trieb Jürgenson ihn an. »Schnell, schnell!«

Der hintere Propeller setzte sich in Bewegung. Der Motor hustete eine schwarze Abgaswolke aus dem Auspuff. Das Gasgemisch in den Zylindern wurde gezündet, und der Propeller erhöhte schlagartig die Drehzahl und verwandelte sich in eine flirrende Scheibe rotierender Flügel. Unten kletterten die Wissenschaftler an Bord. Leutnant Schmidt rannte noch über das Eis.

Schließlich rutschte der Hauptmann durch die Einstiegsöffnung ins Cockpit und schloss die Luke. »Nummer zwei ist gestartet und läuft rund«, sagte er. »Starten Sie Nummer eins.«

Während der vordere Motor ansprang, übernahm Jürgenson die Steuerung. Er justierte die Drehzahl der Propeller und bereitete sich darauf vor, die Startphase einzuleiten.

»Abzählen«, verlangte er über die interne Sprechanlage.

»Alle Mann vollzählig an Bord«, meldete Leutnant Schmidt. Er war von seinem Sprint über das Eis noch immer leicht außer Atem.

»Machen Sie die Leine los. Und stoßen Sie uns ab. Wir brauchen Platz zum Wenden.«

Im Heck des Flugboots durchtrennte Schmidt die Leine und benutzte die Laufplanke, um die Dornier vom Seeufer wegzuschieben. Sie bewegte sich schwerfällig, trieb ein paar Schritte weit auf den See, aber diese kurze Strecke war alles, was Jürgenson brauchte, um ungehindert manövrieren zu können.

Er schob die Gashebel nach vorn und trat gleichzeitig auf das Pedal des Seitenruders. Das Flugzeug beschrieb eine scharfe Rechtskurve, das Heck schwang herum, bis die Nase in die Richtung zeigte, aus der sie noch kurz zuvor eingeflogen waren.

Als die Länge des Sees vor ihnen lag, brachte Jürgenson die Propellerflügel in Startstellung und drückte die Gashebel auf Vollgas. Die Motoren über dem Rumpf brüllten schon, während die Dornier Tempo aufnahm und ihr gesamter Rahmen bis in die letzte Schweißnaht erzitterte.

Anfangs bewegte sich die Dornier Wal so wie ihr Namensvetter, pflügte mit brutaler Kraft vorwärts, schob die Wassermassen beiseite und beschleunigte nur langsam. Aber als sich der Luftstrom über der Tragfläche verdichtete, hob die Auftriebskraft das Flugzeug zentimeterweise in die Höhe, wodurch sich der Widerstand des Wassers beträchtlich verringerte. Nicht lange, und die Dornier begann über das Wasser zu fliegen und zügig an Tempo zu gewinnen.

Voraus wuchs die Eisdecke. Ihre glitzernden Kanten bewegten sich unaufhaltsam zur Mitte des Sees.

»Wie kommt es, dass der See so schnell zufriert?«, fragte der Kopilot.

»Bei unserer Landung wurde offensichtlich kaltes Wasser aus den tieferen Schichten nach oben gespült«, vermutete Jürgenson. »Landeklappen ausfahren. Wir brauchen mehr Auftrieb.«

Der Kopilot führte den Befehl aus, und die Dornier stieg auf, bis sie dicht über die Wasserfläche dahinraste, verzweifelt bemüht zu fliegen, aber durch ihr Gewicht vorerst noch an die Erde gefesselt.

»Wir werden es nicht schaffen«, warnte der Kopilot. Er streckte die Hand nach den Gashebeln aus, um sie zurückzuziehen.

Jürgenson wehrte jedoch die Hand des Mannes ab und ließ die Motoren mit Vollgas weiterlaufen. Das Flugboot streifte die vordere Kante der rasend schnell wachsenden Eisfläche. In diesem Bereich war sie noch nicht solide, sondern weich und matschig. Aber die Masse wurde hochgeschleudert und spritzte auf die metallene Außenhaut des Flugzeugs, wo sie augenblicklich gefror und steinhart wurde. Die Streben der Tragfläche, der hintere Abschnitt des Flugzeugrumpfs und Teile des Schwanzleitwerks waren innerhalb von Sekunden mit einer dichten Eisschicht bedeckt.

Jürgenson spürte, dass die Kontrollen deutlich schwerer zu bedienen waren und die Dornier erheblich träger reagierte. Aber die hoch angesetzte Tragfläche und die darüber thronenden Motoren und Propeller waren noch immer eisfrei und trocken. Eine innere Stimme gab ihm den entscheidenden Befehl. Jetzt oder nie.

Jürgenson zog den Steuerknüppel zurück. Die Dornier kam vom See frei, stieg ein kleines Stück auf und sackte wieder ab. Sie berührte die Wasseroberfläche, hüpfte und sprang höher. Diesmal blieb sie über der Wasseroberfläche und begann himmelwärts zu klettern.

»Tragflächen und Schwanzleitwerk enteisen«, befahl Jürgenson.

Der Kopilot legte zwei Kippschalter um. »Heizung eingeschaltet.«

Die Enteisungsanlage leitete elektrischen Strom durch Heizspiralen in der Tragfläche und im Flugzeugheck. Die Heizspiralen tauten das Eis, doch dies war ein langsamer Prozess. In der Zwischenzeit hatte Jürgenson alle Hände voll zu tun, um die Maschine im Flugmodus zu halten.

»Wir sind zu schwer«, sagte er und aktivierte die Bordsprechanlage. »Sofort sämtliches überschüssiges Gewicht abwerfen, sonst fallen wir vom Himmel.«

Da er sich ausschließlich auf die Instrumente und darauf konzentrierte, die Tragflächen waagerecht zu halten, hatte Jürgenson keine Ahnung, welche Panik sein Befehl im hinteren Teil des Flugzeugrumpfs auslöste. Die Frachtklappe wurde geöffnet. Ersatzteile, Ausrüstungsgegenstände, die Winterbekleidung der Crew, all dies wurde hinausgeworfen. Dazu noch ein Schlitten, mehrere Paar Skier und ein Fünfzig-Pfund-Sack Reis, der geholfen hätte, sie am Leben zu halten, falls sie notlanden müssten. Alles, was nicht niet- und nagelfest war, verschwand in der Tiefe bis auf Leutnant Schmidts Markierungsstangen, die der Navigator bewachte wie eine Glucke ihre Küken.

Mit weitgehend geleertem Heck wog die Maschine etwa dreihundert Pfund weniger und war damit leicht genug, um sich in der Luft zu halten.

Und dann begann Motor Nummer eins asthmatisch zu husten.

»Eis in der Benzinleitung«, meldete der Kopilot. »Diese verdammten Tanks auf der Bremerhaven.«

Er öffnete ein Ventil, um mehr Wärme vom Motor in die Vergaser strömen zu lassen in der Hoffnung, damit zu verhindern, dass Eispfropfen die Benzinleitung vollständig verstopften, aber diese Maßnahme kam bereits zu spät.

Der Motor verstummte, und die Dornier schüttelte sich heftig. Ein Strömungsabriss kündigte sich an, und die Maschine drohte abzustürzen. Jürgenson hatte keine Wahl. Er drückte die Nase des Flugboots nach unten und steigerte die Geschwindigkeit ausreichend, um den Sinkflug zu kontrollieren. Aber in der Luft halten konnte er die Dornier nicht mehr.

Sie legte etwa eine halbe Meile im Gleitflug zurück und setzte mit Wucht auf der Schneedecke auf, wenn auch nicht hart genug, um das Flugzeug vollständig zu zerschmettern. Aber immerhin reichte der Aufprall aus, um es gründlich zu beschädigen.

Der Rumpf ächzte, als es zur Bodenberührung kam. Nieten sprangen aus den Rumpfplatten heraus und schossen wie Querschläger durch die Kabine der Dornier. Jürgenson musste machtlos registrieren, wie die Maschine vom Kurs abkam, als ihre Nase nach links ausbrach und das Heck nach rechts schwenkte. Wie ein Automobil über nasses Kopfsteinpflaster rutschte das Flugboot steuerlos über die Eisfläche. Er rammte den Fuß auf das Höhenruderpedal, ohne eine nennenswerte Wirkung zu erzielen.

Sie rutschten über die harte, festgebackene Schneefläche und einen Schräghang hinauf. Die Geschwindigkeit wurde gedrosselt, als die Dornier vom eigenen Schwung angetrieben den Hügel erklomm. Sie stoppte abrupt, als sich die linke Tragfläche in eine Schneewehe bohrte und die Maschine herumgerissen wurde.

Jürgenson streckte die Hände instinktiv nach den Kontrollen aus und schaltete Benzinpumpe und die gesamte Elektrik ab. Mit einem schnellen Blick in die Runde vergewisserte er sich, dass nirgendwo ein Feuer ausgebrochen war. Und als er tief Luft holte, nahm er zu seiner Erleichterung weder Brand- noch Benzingeruch wahr.

Sie waren zum Stehen gekommen und am Leben. Sie würden nicht verbrennen. Darüber hinaus gab es für sie allerdings kaum einen Grund zum Feiern.

Nachdem sie einige Sekunden lang schweigend auf ihren Plätzen gesessen hatten, gab sich Jürgenson einen Ruck und stand auf. Er öffnete die Luke und streckte den Kopf ins Freie hinaus.

Sie hatten etwa dreihundert Meter auf dem Berghang zurückgelegt, ehe sie in tieferem Schnee liegen geblieben waren. Das Flugzeug hatte sich um fünfundvierzig Grad gedreht, als hätte es versucht zu wenden, um den Berghang wieder hinabzurutschen, ehe es stecken geblieben war.

Ein Blick zum Flugzeugheck sagte ihm alles, was er wissen musste. Die vordere Kante des Höhenleitwerks war eingedrückt und vollkommen verbogen. Ein Riss in der Rumpfseite erstreckte sich von einem der Schwalbennester bis zum Höhenruder. Jede weitere Inspektion könnte er sich getrost ersparen. Die Dornier Wal würde sich nie mehr in die Lüfte erheben.

Während er sich ins Cockpit zurücksinken ließ, sackte Jürgenson in seinem Sessel in sich zusammen. »Mit dieser Nummer werde ich mir in Berlin wohl kaum neue Freunde schaffen«, sagte er. »Funken Sie die Bremerhaven an. Geben Sie unsere Position durch und teilen Sie unseren Freunden mit, dass wir Hilfe brauchen.«

Während der Kopilot das Funkgerät einschaltete und die Unglücksmeldung absetzte, schaute Jürgenson aus dem Fenster. Er sah den See in der Ferne, aber seine leuchtende türkisblaue Farbe war verschwunden. Der See war jetzt eine gleichmäßig hellgraue Fläche, die sich kaum von der Eis- und Schneewüste ringsum unterschied.

Noch nie in seinem Leben war Jürgenson Zeuge geworden, dass ein Gewässer von dieser Ausdehnung so schnell zu solidem Eis gefroren war. Im Grunde war es ein Ding der Unmöglichkeit. Nicht bei vier Grad Celsius. Und nicht mit einer geothermischen Wärmequelle, die es von unten aufheizte.

Er fragte sich, ob dieses Phänomen etwas mit dem Sediment zu tun hatte, das der Wissenschaftler mit der Wasserprobe aus dem See entnommen hatte. Vielleicht hatten sie am Ende doch noch einen bemerkenswerten Fund gemacht.

Er schaltete die Sprechanlage an. »Fritz«, wandte er sich an den Wissenschaftler, mit dem er sich während ihrer Fahrt in die Antarktis angefreundet hatte. »Konnten Sie wenigstens Ihre Wasserproben retten, als wir Ballast abwarfen?«

»Nein, Käpt’n«, erwiderte der Wissenschaftler mit einem bedauernden Achselzucken. »Der Behälter mit den Flaschen ging mit über Bord, als wir unser Startgewicht reduzieren mussten.«

»Das ist jammerschade«, sagte Jürgenson. »Ich hätte wirklich zu gern gewusst, was dieses grüne Zeug war, das in dem seltsamen blauen Wasser herumgeschwommen ist.«

1

FORSCHUNGSSCHIFFGRISHKA

NÖRDLICHDERKÜSTEDERANTARKTIS

GEGENWART

Einhundert Meilen vor der Küste von Antarktika suchte sich das Forschungsschiff Grishka vorsichtig einen Weg durch das Südpolarmeer. Das Zehntausend-Bruttoregistertonnen-Schiff hatte einen grauen Rumpf, einen verstärkten Bug und einen fünf Stockwerke hohen Deckaufbau in verblichenem internationalem Orange. Immerhin einhundert Meter lang, erschien die Grishka zwischen den Eisbergen in ihrer Umgebung wie ein winziges Spielzeugschiff.

Einige dieser Eisberge waren flache und breite tischebene Monolithen, auf denen ganze Städte Platz gefunden hätten. Andere sahen wie hoch aufragende Berge aus, deren Matterhorn-ähnliche Eismassen von Wind und Wellen zu Gebilden von erstaunlicher Vielfalt geformt worden waren. Aber neben diesen Riesen waren es die viel kleineren Eisberge, die für die Grishka eine akute Gefahr darstellten.

Cora Emmerson stand auf der Kommandobrücke, hatte das Fernglas vor den Augen und suchte die Wasserfläche vor ihnen nach Eisblöcken ab, die so groß wie Autos schienen, tief im Wasser trieben und auf größere Entfernung nahezu unsichtbar waren.

»Growler direkt voraus«, warnte sie.

Im Gegensatz zu Meereis, durch das die Grishka gefahrlos hindurchpflügen konnte, oder den riesigen Eisbergen, die so leicht zu erkennen waren, dass man ihnen rechtzeitig ausweichen konnte, waren Growler kaum auszumachen und konnten tödlich sein. Sie variierten in Größe und Form und brachten nicht selten dreißig Tonnen und mehr an Gewicht auf die Waage. Hinzu kam, dass sie an den Rändern häufig scharfe Abbruchkanten aufwiesen und weder glatt noch abgerundet waren, was zur Folge hatte, dass sie einen Schiffsrumpf regelrecht aufschlitzen konnten, anstatt harmlos an ihm entlangzugleiten.

»Vor dem Backbordbug treiben noch mehr von diesen Gesellen«, warnte Cora. »Fünf Grad nach Steuerbord und sie kommen uns nicht in die Quere.«

Ohne nachzufragen änderte der Kapitän des Schiffes, Alec Laskey, den Kurs. Cora war während der gesamten Reise in die Antarktis stets an seiner Seite geblieben und hatte die Brücke, seit sie vor zwölf Stunden auf nördlichen Kurs gegangen waren, so gut wie überhaupt nicht verlassen.

Über ihre Ausdauer konnte er nur staunen. Und was ihm besonders imponierte, waren ihre scharfen Augen, denen kaum etwas entging. »Ich glaube, Sie müssen in einem früheren Leben zur See gefahren sein.«

»Ich kann diese Vermutung zwar weder bestätigen noch dementieren«, erwiderte Cora, »aber mittlerweile bin ich seit mehreren Jahren in der Antarktis-Forschung tätig. Dies ist meine siebente Reise zu dem Kontinent. Und davor habe ich bei der amerikanischen maritimen Agentur NUMA gearbeitet. Da wäre es ein peinliches Armutszeugnis für mich, wenn ich bei meiner Tätigkeit dort nicht einige zusätzliche Kenntnisse und Fertigkeiten erworben hätte.«

»Ich würde sogar sagen, Sie haben da eine ganze Menge aufgeschnappt«, meinte Laskey anerkennend. »Sie haben einen ausgeprägten Blick fürs Wesentliche und sind ungewöhnlich wachsam.«

Ja, dachte Cora Emmerson. Dazu habe ich auch ausreichende Gründe.

Nach Monaten aufwendiger Suche hatte Coras Expedition etwas zugleich Einzigartiges als auch Gefährliches entdeckt. Wenn sie mit ihrer Einschätzung nicht vollkommen danebenlag, hatte dieser Fund sogar das Potential, die Welt zu verändern. In den richtigen Händen könnte er die Rettung und Heilung des geschundenen Planeten bewirken, doch in den falschen Händen wäre er eine ganz und gar tödliche Waffe. Ungeachtet der Möglichkeiten seiner Verwendung gab es viele, die es vorgezogen hätten, wenn diese Entdeckung nicht gemacht worden wäre.

Ganz gleich, ob es ein Anfall akuter Paranoia war oder ein überempfindlich reagierender sechster Sinn, Cora hatte sich bereits lange vor ihrer Entdeckung nicht des Gefühls erwehren können, dass sie verfolgt wurden. Als sie das Festlandeis verließen und unbehelligt an Bord der Grishka zurückkehrten, hatten sich ihre Ängste zwar ein wenig zerstreut, aber vollkommen sicher würde sie sich erst fühlen, wenn sie Kapstadt erreicht hätten.

»Neuer Kurs liegt an«, meldete der Kapitän. »Haben wir freies Fahrwasser vor uns?«

Cora richtete ihr Fernglas wieder auf das Feld mit den Growlern. Die grauweißen Eisbrocken schaukelten schwerfällig auf und nieder, als die Bugwelle des passierenden Schiffes über sie hinwegspülte, und rieben sich aneinander. Schaumbläschen stiegen zur Wasseroberfläche auf und zerplatzten in der eisigen Luft, als sich einer der kleinen Eisberge herumwälzte, für einen kurzen Moment vollständig untertauchte, nicht mehr zu sehen war und dann mit einer anderen Seite in Richtung Himmel wieder hochkam.

»Wir haben Glück gehabt. Das Packeis liegt hinter uns«, sagte sie.

Cora warf einen letzten Blick auf die Growler, dann richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf den vor ihnen liegenden Weg. Hatte es gerade eben noch so ausgesehen, als läge das offene Meer einladend vor ihnen, konnte davon nun nicht mehr die Rede sein. Eine Meile voraus befand sich ein Eisberg: kein ausgesprochener Riese, aber doch größer als die Grishka und erheblich kleiner als die Eisbastionen in der Ferne. Und er war gerade im Begriff, sich ihnen in den Weg zu schieben.

Der Eisberg hatte eine seltsame Form. Aber Cora wusste aus Erfahrung, dass kein Eisberg dem anderen glich. Dieser wies eine ebene Oberfläche auf, so wie die riesigen Eisschollen, die von den Gletschern abbrachen. Aber die der Grishka zugewandte Seite war scharfkantig und ragte senkrecht in die Höhe. An einigen Punkten waren merkwürdige kleine Eisbuckel zu erkennen.

Das Eis selbst hatte eine seltsame Farbe. Anstatt schneeweiß zu leuchten oder leicht bläulich zu schimmern, erschien es gelbstichig, als wäre es mit Vulkanasche überstäubt.

»Herrscht hier irgendeine Strömung?«, fragte Cora Emmerson.

»Eine ausgeprägte Westwinddrift«, sagte Laskey. »So wie überall in der Umgebung von Antarktika.«

»Aber es gibt keine örtlich begrenzte Strömung, oder?«

»Nicht dass ich wüsste.«

»Warum treibt dieser Eisberg dann nach Osten statt nach Westen?«

Laskey blickte zu dem herankriechenden Eisberg hinüber. »Muss eine optische Täuschung sein. Das kommt in diesen Breiten schon mal vor.«

»Ich glaube nicht.«

Der Kapitän sah offenbar keinen Anlass zur Sorge, deutete jedoch auf den betagten Kathodenstrahlbildschirm. »Werfen Sie einen Blick auf das Radar.«

Cora ging zu dem vorsintflutlich erscheinenden Radarsichtgerät des Schiffes. Es hatte schon einige Jahre auf dem Buckel. Linien hatten sich in den Bildschirm eingebrannt und waren deutlich zu erkennen, selbst wenn die Anlage nicht in Betrieb war. Cora schaltete das Gerät in den Suchmodus und wartete darauf, dass der Bildschirm die gewünschten Informationen lieferte. Nach etwa einem Dutzend Suchstrahlumläufen erhielt sie die Bestätigung dessen, was sie bereits mit den Augen registriert hatte. »Ohne Zweifel – der Eisberg bewegt sich mit einer Geschwindigkeit von vier Knoten nach Südosten.«

»Was ist mit Wind?«, fragte Laskey.

Cora zog das Anemometer des Forschungsschiffes zu Rate. Es zeigte eine Fünf-Knoten-Brise von Norden an. Ein Blick auf den Wimpel am Bug bestätigte die Information. »Vielleicht hat die Rückseite des Eisbergs eine besondere Form. Möglich, dass der Wind sich dort wie in einem Segel fängt und einen gewissen Schub entwickelt.«

Allmählich schlich sich ein besorgter Ausdruck in die Augen des Kapitäns. Er schaltete die Maschine auf halbe Kraft, und die Geschwindigkeit des Schiffes sank auf Schleichtempo herab. »Zu versuchen, ihm auszuweichen und ihn zu umfahren, ist zu gefährlich«, sagte er. »Wer weiß schon, wie viel von dem Brocken noch unter der Wasseroberfläche lauert. Wir halten am besten ganz an und warten hier, bis er an uns vorbeigetrieben ist.«

Aber der Eisberg machte keinerlei Anstalten, die Grishka zu passieren. Ganz gleich, welche Kombination von Strömungen und Wind auch immer ihn antreiben mochte, sie bewirkte, dass der Monolith seine Drift nach Osten abbrach und nach Süden und damit direkt in Richtung der Grishka herumschwang.

Cora spürte, wie sich ein eisiger Ring um ihren Brustkorb legte. »Er kommt geradewegs auf uns zu.«

»Vollkommen unmöglich«, sagte Laskey.

»Sehen Sie doch selbst.«

Er machte sich nicht die Mühe, sondern stoppte die Maschine und schaltete auf viertel Kraft Rückwärtsfahrt. Das alte Schiff reagierte verzögert, erzitterte und schien einen Moment lang auszuruhen und Luft zu holen, ehe es begann, sich in die entgegengesetzte Richtung zu bewegen.

»Bringen Sie uns etwa zurück ins Packeis?«

»Das ist auf jeden Fall besser, als diesem Ungetüm zu nahe zu kommen«, sagte der Kapitän. »Schon bei einer leichten Kollision könnte der Brocken da unseren Rumpf aufreißen. Und sollte er umkippen, begräbt er uns unter sich.«

Die Grishka kam allmählich in Schwung, nahm mühsam Tempo auf und vergrößerte den Abstand zu dem heranschleichenden Eisberg wieder. Aber es dauerte nicht lange, bis ein lautes Knirschen durch das Schiff hallte und es zum Vibrieren brachte.

Laskey stoppte die Maschinen. »Das müssen Growler sein«, stellte er fest. »Offenbar sind sie in unsere Kiellinie gezogen worden, als wir sie passiert haben. Ich brauche ein Paar Augen am Heck, wenn wir unseren Rückzug fortsetzen wollen.«

»Ich gehe schon«, sagte Cora.

Sie angelte sich das Sprechfunkgerät, das an der Steuerkonsole hing, und verließ die Kommandobrücke. Auf einer Leiter kletterte sie fünf Stockwerke zum Hauptdeck hinunter und begab sich nach achtern. Da noch früher Morgen war und die meisten Mannschaftsmitglieder in ihren Kojen lagen und schliefen, begegnete ihr niemand auf ihrem Weg durchs Schiff.

Als sie die Lukentür am Schiffsheck erreichte, holte sie einen schweren, dick gefütterten Parka aus einem Spind. Sie tauchte mit den Händen in die Ärmel, streifte sich den Mantel über die Schultern, zog den Reißverschluss zu und machte einen entschlossenen Schritt ins Freie.

Die eisige Kälte traf sie wie ein Schlag in die Magengrube, der Wind fraß sich in ihre ungeschützten Wangen und Hände. Sie zog die mit Pelz besetzte Öffnung der Kapuze um ihr Gesicht zusammen und vergrub eine ungeschützte Hand in einer Manteltasche.

Mit dem Funkgerät in der anderen Hand überquerte sie den Landeteller des Helikopters, auf dem der EC130 des Expeditionsteams parkte und festgezurrt war. Die Fenster des Helikopters waren mit dichtem Raureif bedeckt, aber seine Rotoren steckten in beheizbaren Schutzhüllen.

Sie ließ den Landeteller hinter sich und erreichte das Schiffsheck, auf dem die wuchtigen Gehäuse zweier Seilwinden standen. Hier zwängte sie sich zwischen ihnen hindurch und blickte über die Heckreling.

Zu ihrer Überraschung bewegten sie sich bereits rückwärts und nahmen Fahrt auf. Ein wiederholtes dumpfes Dröhnen, begleitet von Vibrationen, die durch das gesamte Schiff liefen, verrieten ihr, dass sie mit dem stumpfen Heckende kleinere Eisbrocken rammten.

Die Eisschollen in ihrer unmittelbaren Umgebung erschienen nicht allzu bedrohlich, aber erheblich voluminösere Growler trieben auf ihrem weiteren Kurs.

Sie hielt das Funkgerät vor den Mund und drückte auf die Sendetaste. »Weißes Eis direkt vor dem Heckspiegel, Käpt’n. Mindestens drei separate Schollen. Ich würde keine direkte Kollision riskieren. Das Letzte, was wir in diesem Moment brauchen können, wären Beschädigungen an Schrauben oder Ruder.«

Die Propeller wühlten nach wie vor das Wasser auf, und ein heftiges Zittern lief durch das Schiff, während es stetig beschleunigte.

Cora drückte erneut auf die Sprechtaste. »Käpt’n, haben Sie mich gehört?«

Das Blöken des Nebelhorns ertönte dreimal, um vor einer drohenden Kollision zu warnen. Sobald es verhallt war, drang die Stimme des Kapitäns aus dem Decklautsprecher der nachgerüsteten internen Gegensprechanlage des Schiffes. »Achtung! Alle Mann bereit halten für Rammstoß!«

Da die Kapuze ihr Gesicht vollständig umschloss, hatte Cora nur ein eng begrenztes Gesichtsfeld. Sie wirbelte herum und entdeckte zu ihrem Schrecken einen Schatten, der das Schiff überragte, während sich eine Wand aus Eis vor dem Steuerbordbug auftürmte. Diese Eisbastion holte zügig auf, obwohl die Grishka von Sekunde zu Sekunde schneller durchs Wasser pflügte. Die Eiswand erreichte das Forschungsschiff und rammte es schräg von der Seite.

Die Grishka geriet außer Kurs und krängte mehr als fünfzehn Grad nach Backbord. Der Eisberg schrammte an ihrem Rumpf entlang und entlud einige tausend Pfund schmutzigen Schnees auf ihr Oberdeck.

Cora verlor das Gleichgewicht, stürzte und landete neben dem nächstgelegenen Winschgehäuse. Sie ließ das Funkgerät fallen und presste die Hand auf ihre Rippen, die die volle Wucht des Sturzes aufgefangen hatten.

Das knirschende Geräusch von Eis auf Stahl steigerte sich zu einem ohrenbetäubenden Kreischen, dann ließ es schlagartig nach, als die Grishka und der Eisberg sich ineinander verhakten und als Einheit noch ein kurzes Stück weitertrieben, bis sie zum Stillstand kamen. Die Maschinen setzten aus. Das Schiff richtete sich wieder auf, und weitere Schnee- und Eismassen ergossen sich auf das Deck.

Cora kam sich wie in einem surrealen Traum vor. Nicht das Schiff war mit dem Eisberg kollidiert, sondern der Eisberg hatte das Schiff gerammt. Dann bot sich ihr ein noch seltsamerer Anblick.

Gleichzeitig wurden ein halbes Dutzend Seile über die vordere Kante des Eisbergs geworfen. Sie entrollten sich in der Luft und schlugen mit dumpfen Lauten auf dem Deck der Grishka auf.

Noch ehe die Seile gelandet waren, erschienen Männer in Wintertarnkleidung und ließen sich an ihnen herab. Cora sah Sturmgewehre, die sie auf die Rücken geschnallt hatten, und Messer in Futteralen an ihren Unterschenkeln. Köpfe und Gesichter waren mit weißen Kapuzen verhüllt, während die Augen durch dunkle Skibrillen abgeschirmt wurden. In schneller Folge gelangten sie auf das Deck und verteilten sich, während diesem ersten Trupp weitere Männer als Verstärkung folgten.

Cora begriff auf Anhieb, was hier geschah. Sie hob das Funkgerät vom Deck auf und versuchte, den Kapitän zu warnen, aber Gewehrfeuer brandete auf, ehe sie ihren Ruf absetzen konnte.

In panischem Schrecken hinter dem Winschgehäuse kauernd brachte sie das Mikrofon an ihre Lippen. »Käpt’n, unser Schiff wird geentert«, warnte sie ihn. »Männer mit Gewehren sind auf dem Achterdeck. Sie kommen vom …«

Gewehrsalven legten sich über ihre Worte. Als Nächstes erklang die Stimme des Kapitäns. »Sie sind auch auf dem Vorderschiff«, meldete er über Funk. »Gehen Sie in Deckung, ich fordere …«

Das Stakkato heftigen Maschinengewehrfeuers drang aus dem Lautsprecher, dann brach die Verbindung ab.

Cora unterdrückte einen Entsetzensschrei und blickte sich um. Laute Rufe und heiseres Gebrüll hallten über das Deck. Aus dem Schiffsinnern und von den tiefer gelegenen Decks drang der gedämpfte Schusslärm von Handfeuerwaffen herauf.

Auf der Suche nach Möglichkeiten, Widerstand zu leisten, zermarterte sie sich das Gehirn. Aber ohne wirkungsvolle Waffen in Reichweite, mit denen sie sich hätte wehren können, war das Einzige, was ihr blieb, sich eine Brandaxt zu beschaffen und sich damit in das Getümmel zu stürzen.

Doch ehe sie ihren Gedanken in die Tat umsetzen konnte, kam ein Mitglied der Grishka-Mannschaft aus der achtern gelegenen Lukentür herausgestolpert. Er rannte in Richtung Helikopter, erreichte ihn jedoch nicht. Ein Scharfschütze, der auf dem Rand des Eisbergs in Position gegangen war, streckte ihn mit unbarmherziger Präzision nieder.

Ein zweiter Matrose des Forschungsschiffes erschien Sekunden später in der Türöffnung auf der Flucht vor dem Blutbad, das die Eindringlinge offenbar innerhalb des Schiffes anrichteten. Er rannte zum Heck und steuerte auf den Punkt zu, an dem Cora Schutz gesucht hatte.

»Runter! In Deckung!«, rief sie.

Der Knall eines Gewehrschusses erklang, und der Körper des Mannes wurde nach vorn geschleudert und brach drei Meter von Coras Versteck entfernt zusammen. Er lag auf den Deckplatten, schaute jedoch direkt zu ihr. Er sah, wie sie Anstalten machte, ihm zu Hilfe zu kommen, und schüttelte warnend den Kopf.

Doch es war schon zu spät, Cora handelte jetzt rein instinktgeleitet. Sie rannte ins Freie, ergriff einen Arm des Getroffenen und zog mit aller Kraft.

Sie schaffte es, ihn die Hälfte des Weges bis zu ihrem Versteck zu schleifen, ehe der Scharfschütze abermals feuerte.

Das Projektil überquerte das Deck mit einer Geschwindigkeit von eintausend Metern pro Sekunde. Es folgte einer nahezu schnurgeraden Bahn, die nur minimal vom Wind beeinflusst und um einen mikroskopisch kleinen Wert vom Rollen des Schiffes verändert wurde, das sich noch immer unverrückbar im Griff des Eisbergs befand.

Diese Kombination reichte aus, um das Projektil die winzige Spanne von einem knappen Zentimeter von seinem anvisierten Ziel abzulenken.

Es zerfetzte die Rückseite von Coras Kapuze und schleuderte eine Wolke aus Gänsedaunen, Stofffetzen, Pelzhaaren und Blut in die Luft. Wie ein Mehlsack fiel Cora um und landete mit dem Gesicht nach unten auf dem Körper ihres sterbenden Kollegen.

Reglos lag sie da, den Kopf mit den Resten der Kapuze verhüllt, deren weißer Außenstoff sich mit purpurrotem Blut vollsog.

Oben auf der Kante des Eisbergs lag der Scharfschütze und begutachtete die Ergebnisse seines Einsatzes.

Ein Schussbeobachter neben ihm blickte durch ein Fernglas. »Kopfschuss«, entschied er. »Das waren zwei Volltreffer.«

Der Scharfschütze nickte und kratzte mit einem kleinen Taschenmesser zwei Kerben in den Kolben seines Gewehrs. Sie befanden sich in Gesellschaft eines Dutzends weiterer Kerben, einige waren schon älter, andere noch ziemlich frisch.

Nachdem er das Deck auf diese Weise gesäubert und seine Treffer vermerkt hatte, griff er nach einem Funkgerät und sandte der Kommandotruppe eine Meldung. »Das Achterdeck ist klar«, sagte er. »Wie sieht es im Schiff aus?«

»Die Brücke ist klar«, erwiderte eine Stimme. »Es gab keinen Widerstand von Seiten der Crew. Scheint so, als ob die meisten bereits ausgeschaltet waren. Wir sind jetzt unten im Tresorraum. Gehen Sie davon aus, dass hier eine große Menge Material liegt. So wie es aussieht, werden wir wohl einige Zeit brauchen.«

Der Scharfschütze nickte. Man hatte ihm angedeutet, dass er mit so etwas rechnen müsse. »Fangt an, alles heraufzuschaffen. Und beeilt euch. Wir müssen die Sprengladungen verteilen und das Schiff auf den Grund des Ozeans schicken, ehe jemand bemerkt, dass wir hier sind.«

2

Coras Körper war mit einem grellen Schmerz erfüllt, der bis in seine äußersten Zonen reichte. Nein, es war kein richtiger Schmerz, erkannte sie, sondern ein vollständiger Mangel an Sinneseindrücken.

Sie schlug die Augen auf und sah überhaupt nichts – außer einem dunklen, verschwommenen Deck unter ihr. Sie versuchte sich zu bewegen. Es kostete sie große Überwindung und fühlte sich unendlich mühsam an, am Ende aber gelang es ihr, ihren Körper in eine natürlichere Haltung zu drehen, und sie schaffte es schließlich sogar, sich aufzurichten.

Für einen kurzen Augenblick kam es ihr vor, als wäre dies ein drastischer Fehler. Ihr Kopf dröhnte wie eine Basstrommel. Ihre Augen waren vollkommen blind, und sie hatte das Gefühl, sie müsse sich jeden Moment übergeben.

Die Augen zu schließen und geschehen zu lassen, dass die eisige Luft über ihr Gesicht strich, bewirkte, dass dieser Drang sehr schnell verflog. Aufrecht sitzend verhielt sie sich vollkommen ruhig, während ihre Sinne nach und nach wieder zurückkehrten und sie etappenweise mit Informationen über ihre Umgebung versorgten.

Zuerst hörte sie das Pfeifen des Windes, als er durch die Bündel von mit Eis umhüllten Stromleitungen pfiff, und dann spürte sie das Vibrieren der Maschinen, die offenbar wieder in Gang gesetzt worden waren. Das Deck unter ihr schwankte, als die Grishka leichte Rollbewegungen ausführte, während sie sich durch die Wellen kämpfte. Dann dämmerte es ihr.

Sie schob sich die Kapuze des Parkas in den Nacken und riskierte es, ein Auge zu öffnen. Sie sah einen blassen Himmel über sich und um sich herum dunkles Wasser. Der Tag ging zur Neige. Der Eisberg war verschwunden.

Sie versuchte sich vollends aufzurichten und bemerkte, dass ihre Hände mit Blut bedeckt waren. Sie sah den Körper, neben und auf dem sie teilweise gelegen hatte. Erst in diesem Moment kehrte die Erinnerung an das, was geschehen war, in Schüben zurück. Der Eisberg, die mit Sturmgewehren bewaffneten Männer, die Schüsse.

Sie versuchte aufzustehen, aber das war zu viel. Auf Händen und Knien kroch sie über das Deck und erreichte die Lukentür auf dem Achterschiff. Sie zog sie auf und schlängelte sich durch den Türspalt.

Dem Wind und den Minustemperaturen nicht mehr ausgesetzt, taute ihre Haut wieder auf. Seltsamerweise war es ein schmerzhafter Prozess. Ihr Gesicht kribbelte, aber Hände und Füße blieben weiterhin taub.

Als sie ihre Finger krümmte und streckte, bemerkte sie weiße, schuppige Flecken und Verfärbungen. Frühzeitige Anzeichen für Erfrierungen. Nach einer oberflächlichen Inspektion der Schäden schätzte sie, dass sie an jeder Hand mindestens drei Finger verlieren würde. Immer noch besser als mein Leben, dachte sie.

Als ihre Kräfte allmählich wieder zurückkehrten, zog sich Cora an einem Handlauf an der Gangwand in den Stand hoch. Unsicher einen Fuß vor den anderen setzend, schlug sie die Richtung zur Kommandobrücke auf dem Vorschiff ein. In der Schiffsmesse stieß sie auf Spuren der stattgefundenen Tragödie – Blutspritzer an den Wänden, tote Mannschaftsmitglieder, die noch immer dort lagen, wo sie zusammengebrochen waren, und Patronenhülsen, die unter ihren Schuhsohlen umherrollten und sie beinahe zu Fall brachten.

Sie gelangte zur Kommandobrücke und stieß die Tür auf. Der Kapitän und der Bootsmann des Schiffes lagen reglos auf dem Boden. Ihre Körper waren von Kugeln durchsiebt.

Sie ging neben Kapitän Laskey auf die Knie hinunter in der unsinnigen Hoffnung, bei ihm noch einen Pulsschlag wahrnehmen zu können, aber sein Körper war kalt und starr. »Was habe ich getan?«, murmelte sie unter heftigem Schluchzen. »Was um alles in der Welt habe ich getan?«

Tränen rannen über ihr Gesicht, als sie von Schuldgefühlen überwältigt wurde. Sie war sich absolut sicher, dass sie selbst die Ursache für diesen brutalen Überfall gewesen sein musste. Ihre Entdeckung hatte sie alle zu todgeweihten Zielobjekten gemacht. Und nun war ausgerechnet sie als Einzige noch am Leben.

Ihr Schluchzen erstarb. Ihr Körper war zu erschöpft, um auf das emotionale Inferno in ihrem Bewusstsein zu reagieren. Suchend blickte sie sich um, als ein seltsam beharrlicher rhythmischer Piepton ihre Aufmerksamkeit erregte.

Nachdem sie sich erneut auf die Füße gekämpft hatte, ging sie zum Ruderstand. Das Schiff stampfte mit westlichem Kurs durch die antarktischen Gewässer, aber es war niemand mehr da, der es lenkte.

Sie schaute durch die Brückenfenster. Draußen breitete sich das offene Meer aus, gefleckt mit Schaumkronen auf den Wellen und vereinzelten träge dahintreibenden großflächigen Eisschollen.

Ihr Blick wanderte weiter zur Funkkabine, und sie musste feststellen, dass sie von mehreren Gewehrsalven vollkommen zertrümmert worden war. Die Quelle des zwitschernden Warntons musste sich woanders befinden. Sie kontrollierte die beschädigte Steuerkonsole und entdeckte das Blinken einer roten Kontrolllampe.

Wasser strömte herein, und das unterste Deck wurde überflutet. Die Bilgenpumpen arbeiteten mit voller Leistung, aber die wasserdichten Lukentüren waren in der offenen Position fixiert.

Die Grishka lag tief in den Wellen. Cora spürte, wie sie in der Dünung zunehmend schwerfälliger rollte. Das Schiff nahm mehr Wasser auf, als seine altersschwachen Pumpen bewältigen konnten.

Sie verließ die Kommandobrücke so schnell, wie ihre von der Kälte starren und tauben Füße es gestatteten. Sie erreichte die zentrale Treppe, stolperte sie mit eiligen Schritten hinunter und kam zum Unterdeck, wo sich das kleine Labor befand, in dem sie einen großen Teil ihrer Zeit an Bord des Schiffes verbracht hatte.

Der Raum war bis in den letzten Winkel durchstöbert worden. Nichts befand sich mehr an seinem angestammten Platz. »Natürlich«, murmelte sie vor sich hin. »Deshalb sind sie hergekommen.«

Aber das war jetzt bedeutungslos. Nichts war in diesem Augenblick wichtiger, als das Schiff zu retten. Sie durchquerte das Labor und stand vor dem Gefriertresor, in dem ihr Team einige hundert Eisbohrkerne deponiert hatte, die sie während des vergangenen Monats aus den Gletschern herausgeholt hatten.

Das eisige Abteil war ebenfalls leer. Die Bohrkerne waren entfernt worden.

Am hinteren Ende des Abteils befand sich eine kreisrunde Luke. Aus der Öffnung ragte eine Leiter, die bis in die Bilge hinunterreichte. Die Seeleute nannten diese Öffnung Scuttle.

Sie blickte durch das Scuttle und sah, dass der Boden des darunterliegenden Raums bereits von Wasser überspült wurde. Kleine Bläschen und Turbulenzen deuteten darauf hin, dass es durch eine verborgene Öffnung hereingepresst wurde.

Sie zwängte sich durch das Scuttle, kletterte die Leiter hinab und versank fast bis zu den Knien. Die Wasserflut stammte aus dem nebenan liegenden Abteil und strömte über die Schwelle unter der Lukentür herein. Die Tür war zwar geschlossen, allerdings nicht ausreichend abgedichtet worden.

Das überraschte sie nicht im Mindesten. Nicht bei einem vierzig Jahre alten Schiff, das Stürme und mindestens zwei Kollisionen überlebt hatte und mehrmals während seiner wechselvollen Geschichte auf Grund gelaufen war. Die Zeit und seine intensive Nutzung hatten am Skelett des Schiffes unübersehbare Spuren hinterlassen. Infolgedessen waren die Schotten leicht verbogen und keine der Luken schien vollkommen wasserdicht. Wenn das Schiff schwimmfähig bleiben sollte, müsste Cora versuchen, zumindest dieses Leck dauerhaft zu verschließen.

Knietief im eisigen Wasser stehend, zerbrach sie sich den Kopf.

Sie kannte sich gut genug mit den Methoden der Schadensbegrenzung aus, um zumindest eine Außenseiterchance im Kampf um das Schiff zu haben. Sie fand ein altes Handtuch und einen Rohrabschnitt auf einer Werkbank. Das Handtuch rollte sie zusammen und drückte es mit dem Rohrabschnitt in den gekrümmten Spalt. Sie zertrümmerte einen Stuhl, um größere Holzsplitter zu erhalten, die sie wie Klemmkeile zwischen Türkante und Handtuchrolle zwängte.

Als sie sich wieder aufrichtete, wurde ihr schwarz vor Augen. Sie geriet ins Taumeln und verlor beinahe das Gleichgewicht. Also ließ sie den Rohrabschnitt fallen und streckte eine Hand nach der Leiter aus, um nicht hinzufallen.

Als der Schwindelanfall abklang, begutachtete sie ihr Werk. Sie hatte mit ihrer Vorrichtung die eindringende Wassermenge nahezu halbiert, aber das Abteil füllte sich weiterhin, wenn auch deutlich langsamer. Aber selbst unter diesen Umständen würde das Wasser unaufhaltsam einströmen, das Unterdeck füllen und durch Shuttleöffnungen und Spalten aufsteigen, die genauso wenig dicht waren wie die, die sie gerade zugestopft hatte.

Der Untergang der Grishka schien unabwendbar.

Körperlich erschöpft, wie sie war, stand Cora dicht davor zu kapitulieren. Aber auch wenn ihr Körper im Begriff war, den Dienst zu quittieren, lief ihr Verstand noch auf vollen Touren.

Aufgeben kam für sie nicht in Frage. Nicht jetzt, nachdem sie gefunden hatte, wonach sie seit Jahren suchte, und es ihr entrissen worden war. Und nicht, nachdem sie hatte miterleben müssen, wie Freunde und Kollegen vor ihren Augen ermordet worden waren.

Sie erinnerte sich an ihre Ausbildung, dachte an ihre Zeit bei der NUMA. Es musste eine Möglichkeit geben, das Sinken des Schiffes zu verhindern. Irgendetwas musste ihr einfallen.

Sie ließ den Blick durch den zur Hälfte überfluteten Raum schweifen, blickte dann nach oben durch das Scuttle in den darüber liegenden Lagerraum. Und plötzlich hatte sie eine Idee, die ihr so brillant erschien, dass sie sich eines triumphierenden Grinsens nicht erwehren konnte.

Cora raffte sämtliche Energie zusammen, die ihr Körper noch aufzubringen in der Lage war, kletterte die Leiter hinauf und fand schon bald alles, was sie brauchte, um das sterbende Schiff zu retten.

3

POTOMACRIVER

WASHINGTON, D. C.

Während er sich nach hinten lehnte, die rechte Hand an einer Leine, die linke an der Ruderpinne neben ihm, peitschte Kurt Austin eisige Luft ins Gesicht.

Ein Dreiecksegel blähte sich vor ihm. Mit der steifen Brise aus dem Norden war es fast zum Platzen prall gefüllt. Der Druck auf dem Segel bog einen Kohlefasermast nach vorn und beschleunigte Kurts kleines Vehikel auf ein halsbrecherisches Tempo.

Obgleich sein Gefährt vom Wind angetrieben wurde und über den Potomac River flitzte, war es kein Segelboot oder Schoner. Kurt lenkte eine Eisyacht – ein auf einem Dreibein ruhendes Fahrzeug mit einem langen schlanken Korpus und am Rumpf befestigten Gleitkufen. Eine der Kufen saß unter der Nase des Boots, während sich die beiden anderen unter Auslegern befanden, die sich neben Kurts Position weit nach rechts und links ausstreckten.

Die stählernen Kufen waren wie Samuraischwerter geformt. Sie schnitten tief in die gefrorene Oberfläche des Potomac und erlaubten der Yacht, äußerst scharfe Kurven zu fahren und auf den Geradeauspassagen sehr hohe Geschwindigkeiten zu erreichen.

Kurt hatte einen mehrfarbigen Signalpfosten im Auge. Diesem näherte er sich zügig. Zu zügig, wie er schnell erkannte.

Er ließ ein wenig Leine nach, sodass Wind aus dem Segel entwich. Gleichzeitig schwang er seinen Körper herum und wechselte von der rechten auf die linke Seite des Bootskörpers. Wieder fest in seinem Sitz verankert, lehnte er sich zurück und leitete die Wende ein.

Auf einer extrem engen Bahn umrundete der Eisschlitten den Pfosten. Die vordere Kufe ratterte, als sie über das Eis rutschte. Die äußere Kufe hielt dem Druck stand und blieb in der Spur.

Trotz Kurts Bemühungen hob die Kufe unter ihm vom Eis ab, stieg hoch, und das Gefährt drohte zu kentern, da es nur noch auf einer einzigen Kufe dahinglitt. Kurt lehnte sich weiter hinaus, streckte den Körper und spannte die Muskeln, um zu verhindern, dass die Yacht umkippte.

Während er die Eisyacht auf Geradeauskurs manövrierte, reduzierte sich die Kippkraft, und die Kufe unter Kurt senkte sich zurück aufs Eis. Als alle drei Kufen mit gleichem Druck in den Untergrund schnitten, schoss der Eissegler vorwärts.

Der Stimme im Headset, das Kurts Ohren bedeckte, war die Erleichterung deutlich anzuhören. »Das war knapp, Kurt. Eine Sekunde lang dachte ich, ich müsste einen Krankenwagen anfordern.«

»Das war doch nur ein Spaziergang«, erwiderte Kurt Austin. »Aber halt die Notrufnummer zur Vorsicht lieber bereit. Ich kann nicht versprechen, dass wir nicht doch noch einen Crash hinlegen.«

Die Stimme im Headset gehörte Joe Zavala, Kurts bestem Freund. Joe hatte beim Bau der Eisyacht geholfen und das Segel und den Glasfaserrumpf entworfen und optimiert.

»Auf dieser Yacht da draußen gibt es kein ›wir‹«, sagte Joe. »Dort bist nur du. Und damit du es weißt, ich hab die Versicherungssumme für diese Maschine verdreifacht. Wenn du sie zerlegst, werde ich ein reicher Mann sein. Also hol an Tempo aus der Kiste raus, was drinsteckt.«

Kurt lachte, korrigierte seine Position und nahm die aerodynamisch günstigste Sitzhaltung ein. Er befand sich jetzt auf dem Geradeausabschnitt der Strecke, kehrte zu Joe zurück und hatte den Wind im Rücken. Sollte es ihm gelingen, seinen eigenen Geschwindigkeitsrekord einzustellen, dann würde es auf diesem Teilstück geschehen.

»Ich peile die einhundert an«, sagte er.

»Lass den Schlitten laufen. Ich geb dir die Geschwindigkeiten durch, während du dich der Ziellinie näherst.«

Kurt zog das Segel wieder stramm und hielt die Leine mit stählernem Griff fest.

Auch wenn er sein halbes Leben auf und an der See verbracht hatte, war er kein ausgesprochener Freund des gemütlichen Wassersegelns. Es war ihm zu langsam und schwerfällig und erforderte viel zu große Anstrengungen, um gewöhnliche Geschwindigkeiten zu erreichen. Außerdem gab es für Kurt zu viele untätige Phasen zwischen den eher kurzen Momenten ausgeprägter Aktivität.