3,99 €
Hans Brenner hat mit seiner Frau Cleo und seiner Gastwirtschaft ›Brenner’s Welt‹ im Örtchen Langhagen in der Mecklenburgischen Schweiz die Pandemie mit viel Mühe und leerer Kasse überstanden. Ein grosses Wildschweinfest soll die Gastwirtschaft wieder in Erinnerung rufen und die wirtschaftliche Rettung einleiten. Zwei Aushilfen werden angeheuert, damit der erhoffte Ansturm der Gäste bewältigt werden kann. Der örtliche Landtags-Abgeordnete Neumann soll Ehrengast sein und mit seinem Besuch die Presse anlocken. Tatsächlich nimmt Neumann am Fest in ›Brenner’s Welt‹ teil, bricht aber mitten im Trubel zusammen. Schnell ist klar, er ist ermordet worden. Zur Gastwirtschaft kommen kurzzeitig noch Sensationstouristen, dann bleiben die Gäste ganz aus. Hans Brenner muss den Mord aufklären, um seine Gastwirtschaft, seine Zukunft und seine Ehe zu retten. Eine der Aushilfen macht Kellnerin Karli den Hof, Brenners abergläubische Köchin Kathrin gerät unter Mordverdacht und sogar Dorfpolizist Bratzke rührt ihre Süßspeisen nicht mehr an. Können Brenner und sein Freund Bratzke Kathrins Unschuld beweisen und den Mord an dem Abgeordneten Neumann aufklären, bevor ›Brenner’s Welt‹ geschlossen werden muss?
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2024
Inhaltsverzeichnis
Neumann wird sterben
Rettungsanker (Montag)
Streik (Dienstag)
Regen (Samstag)
Wildschweinfest (Sonntag)
Ermittlungen (Dienstag)
Veteranengeschwätz (Mittwoch)
Stuhlkreis (Donnerstag)
Impressum
Verlag Weberhof Siebo Woydt, Kleine Seestrasse 1, 18279 Langhagen (www.verlag-weberhof.de, www.Mecklenbuch.de)
Umschlaggestaltung: Kostas Megas, Mönchengladbach
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung. Alle Rechte vorbehalten.
Copyright © 2024 Siebo Woydt
Sechs Familien warten darauf, dass Neumann stirbt. Meine Familie und fünf andere. Ich habe lange gebraucht, alles vorzubereiten. Ich bin Neumann lange gefolgt, jetzt ist alles so weit. Der Job in der Gastwirtschaft ist die beste Chance, die ich kriegen werde.
Meinen Tieren geht es gut, sie haben ihren Job gemacht. Ich habe genug geerntet, mehr als genug für Neumann. Im Keller geht es ihnen gut. Das Kellerabteil gehört zu der Nachbarwohnung, die steht leer, wie die meisten Wohnungen im Haus. Nur in diesen Keller kann ich mich zurückziehen und habe den Schlüssel dafür immer dabei. Nicht auszudenken, wenn hier jemand anderes hereinkommt, das ist viel zu gefährlich. Und alles würde auffliegen. Die anderen würden nicht begreifen, was ich hier tue. Aber bald ist egal, ob meine Tiere gefunden werden, sie haben ihren Job gemacht, ich brauche sie nicht mehr. Den Strom für das Licht und die Wärmelampen hole ich über ein unschuldiges Kabel von nebenan, der Strom geht auf den Zähler von der nach billigen Zigarillos stinkenden Ziege aus dem vierten Stock. Und ich achte darauf, dass es nicht riecht, dass die Tiere immer sauber sind. Ab morgen brauche ich die Tiere nicht mehr, dann kann ich den Strom ausschalten, den Stecker ziehen, wie bei Neumann.
Ich bin fertig, die Ernte ist sicher abgefüllt, und kann mich einen Augenblick hinsetzen. Der Stuhl ist auch von nebenan, alt und krächzend und klagend, aber auch der muss nur bis morgen halten. Sitzen und nachdenken, das habe ich in den letzten Monaten häufig gemacht. Ich habe nicht über das Ob nachgedacht, immer nur über das Wie. Mein Entschluss war schnell gefallen und seitdem habe ich wieder ein Ziel, etwas, das mich morgens aufstehen lässt.
Gleich werde ich wahrscheinlich zum Essen gerufen. Heute war ich nicht dran mit Kochen, noch so eine überflüssige Regel unserer überflüssigen Ehe. Danach müssen die Kinder gebadet werden. Die Kinder, die Kinder, mein ganzes Leben dreht sich nur um die Kinder und diese Familie. Und um Geld, immer wieder um Geld.
Dieses Leben habe ich nicht gewollt, es ist aufgezwungen. Die Ehe wollte ich nicht und die Kinder auch nicht. Es gab kein anderes Ziel, als früh Kinder zu kriegen. Wir sind ja selbst noch Kinder, wir haben nicht gelebt, wir haben nichts erlebt außer Enttäuschungen. Jetzt zahlen meine Schwiegereltern unsere Miete, damit wir nicht auf der Straße stehen. Das ist kaum auszuhalten, nur durch die Gnade der Schwiegereltern ein Dach über dem Kopf zu haben, für uns, aber hauptsächlich für deren Enkelkinder.
Ich habe gelesen, dass Männer bei der Heirat davon ausgehen, dass ihre Frauen sich in der Ehe nicht ändern, und Frauen davon ausgehen, dass ihre Männer sich in der Ehe ändern, und beide würden enttäuscht. Ich habe längst begriffen, was damit gemeint war. Aber erst nach der Hochzeit.
Damals, das war ein anderes Leben. Ein Leben mit ein wenig Freiheit und Spaß und vor allem Zukunft. Freiheit und Spaß gingen mit der Hochzeit verloren, mit dem Streit um Geld und lange Arbeitszeiten und die vielen Themen rund um die Kinder von morgens bis abends, die spontanen Aushilfsjobs, durch die kaum Geld hereinkommt, mit dem kalten Schweigen abends vor dem Fernseher und dem schlechten Sex. Wenn überhaupt. Die Zukunft ist schon früher kaputtgegangen, nachdem mein Vater zum Trinker wurde. Sein Gehalt versoffen, das Reihenhaus versoffen, mein Studium versoffen. Alles nur wegen Neumann.
Neumann wird sterben. Ich bin ihm gefolgt, ich habe ihn beobachtet. Je länger ich an ihm dran war, desto abstoßender wurde der Mann, desto mehr seiner Verbrechen habe ich gefunden. Niemand würde mir glauben, aber ich kenne seine Verbrechen und ich habe schließlich seine Schwachstelle gefunden, die Stelle, an der ich ansetzen werde. Die Stelle, an der er wehrlos ist, so wehrlos wie seine vielen Opfer es waren. So ahnungslos, wie seine Opfer es waren. Dagegen wird er nichts tun können, nicht mit seiner Brutalität und nicht mit seinem Anwalt.
Was danach kommt, ist nicht wichtig. Ich habe dieses Leben mit viel Geduld hinter mich gebracht, ich werde auch ein paar Jahre Gefängnis hinter mich bringen. Es ist ja nur ein einziger Mord, auch wenn es aussehen wird, als wären es sechs. Fünfzehn Jahre, von denen ich vielleicht nur zehn absitzen muss. Dann bin ich Mitte dreißig und ein halbes Leben liegt noch vor mir. Ich werde zehn Jahre sitzen und nachdenken können, was danach passieren wird. Vielleicht werden sie mir in dieser Zeit eine Arbeit geben, um mich vom Denken abzuhalten, aber das wird mich nicht aufhalten.
Es kann danach nur besser werden, meine Ehe und die Kinder sind dann verschwunden, die Scheidung wird nach dem Gefängnis längst durch sein. Und ich habe ein paar Jahre, um Zukunft vorzubereiten, nicht die Zukunft, sondern eine Zukunft, irgendeine Zukunft, irgendeine, aber meine. Etwas Besseres als diese Gegenwart finde ich überall. Nach dem Gefängnis kommt ein Neustart. Neumann wird dann tot sein, Ich werde leben und frei sein und eine Perspektive haben und eine Zukunft und er wird noch immer tot sein. Und er wird tot bleiben, die ganze Zeit.
Diese Gastwirtschaft wird es treffen, das ist nicht zu ändern. Von 100 auf null in wenigen Sekunden, erst himmelhoch jauchzend, dann zu Tode betrübt. Das wird hart für sie. Es kann sein, dass sie sich davon nicht erholen. Das ist ein kleiner Preis, das werden sie verstehen müssen. Sie werden es verstehen, sobald sie Neumann so kennen wie ich.
Die letzten Gäste des Tages, zwei Fahrradtouristen mit einem Zufallsstop bei Brenners Welt, machten sich wieder auf den Weg. Es waren die einzigen Gäste des ganzen Nachmittags gewesen. Hans Brenner verabschiedete sie höflich, ja, es habe ihnen gefallen, sehr lecker, sehr gemütlich, morgen seien sie in Plau am See und dann Richtung Küste unterwegs. Leider könnten sie bei der Feier nicht dabei sein, schade. Zwei E-Bikes mit roten Windjacken und schwarzen Fahrradhelmen verschwanden fast lautlos in Richtung Langhagen.
Karli sammelte die Speisekarten und Bestecke, die auch an diesem Tag niemand in die Hand genommen hatte, von den Tischen des Außenbereichs. Brenner stellte die Stühle an die Holzbänke, heute Nachmittag waren nur diese beiden Stühle angefasst worden, aber es sollte wenigstens ordentlich aussehen. Es war still, der Kies knirschte unter seinen Sohlen.
Er folgte Karli in den Innenraum und sah seine Frau am Tresen stehen. Cleos rotes Haar leuchtete ihm entgegen und seine Laune besserte sich ein wenig. Sie wollte ihn aufmuntern und stand in Socken am Tresen, zwei frischgezapfte Biere standen vor ihr. Das war ihr Feierabend-Ritual, das hatte sich irgendwann so entwickelt, ein Bier auf Socken, im Stehen am Tresen, wenn alle Gäste gegangen waren und die Arbeit getan. Aber in den letzten Monaten schmeckte ihnen das Bier nicht.
Neben ihr lag Bonnie auf den Dielen und wedelte vor Freude mit dem Schwanz, weil ihr Herrchen jetzt auch da war. Das Wedeln machte Tock-Tock-Tock auf dem Holzboden, das Geräusch war in dem großen stillen Raum gut zu hören. Bonnie hatte von Corona nichts gemerkt, ihr Napf war immer voll gewesen und ihre beiden Menschen hatten viel mehr Zeit gehabt als vorher. Cleo und er waren nicht undankbar gewesen, dass die dunkelbraune Labrador-Hündin ihre Flegeljahre ohne viele Gäste im Haus verbracht hatte. Trotzdem war sie noch ein junger und an allem interessierter Hund und manchmal, so schien es Cleo, hatte sie schlicht Langeweile.
Brenner küsste seine Frau auf die Schläfe und genoss kurz den Duft ihrer Haut. »Diese beiden hatten wir heute. Auf der Durchreise. Alles prima, alles lecker. Und wir werden sie nie wiedersehen.« Er trank einen kleinen Schluck und schob das Glas weg. »Wir haben Corona überstanden, aber die Welt hat uns vergessen.«
Bonnie stoppte das fleißige Wedeln, legte den Kopf wieder auf die Pfoten und schloss die Augen. Jetzt waren alle da, für sie war alles in Ordnung.
Vor der Pandemie waren sie endlich über der Wasserlinie gewesen, nach Jahren harter Arbeit. Die Gastwirtschaft Brenners Welt am Rand von Langhagen in Mecklenburg hatte sich bewiesen, die Gäste hatten die Gemütlichkeit und vor allem das tolle Essen gelobt, das Kathrin aus lokalen Zutaten kochte. Mecklenburgische Hausmannskost, sagte ihre Köchin immer, ehrliche Zutaten und große Portionen. Kein Schicki-Micki und keine Molekularküche. Sie würde ja gar nicht wissen, wo sie diese Moleküle alle einkaufen sollte, hatte sie gescherzt. Jetzt war sie auf Kurzarbeit, genau wie Karli, die ohnehin nur als Aushilfe angestellt war. Brenner hatte schlechtes Gewissen gehabt, als er es den beiden hatte sagen müssen, um so mehr freute und wunderte er sich gleichermaßen, dass die beiden zu ihnen hielten. Auch Lehmann, seinen Getränkelieferanten, hatte er überzeugen können, trotzdem waren wieder Mahnungen in Haus gekommen, dabei hatten sie das doch eigentlich schon hinter sich gehabt.
Die Gespräche waren kürzer geworden in Brenners Welt und die Gesichter ernster. Vor der Pandemie hatten Cleo und er gefeiert, dass schon über ein Jahr keine Mahnung mehr ins Haus gekommen war, dass ihr kleiner Betrieb endlich schwarze Zahlen schrieb. Die Pandemie hatte sie um Jahre zurückgeworfen. Es kamen kaum noch Gäste, am Ende des Tages waren immer viel Essen übrig, auch wenn Brenner und Kathrin noch so zurückhaltend planten. Wie soll man unter solchen Umständen überhaupt planen, dachte er häufig, behielt es aber für sich. Cleo machte sich ohnehin genug Sorgen, seit sie mit in die Buchhaltung eingestiegen war. Bevor sie Hans Brenner kennengelernt hatte, der noch mitten im Umbau der Gastwirtschaft stand, die sein Großvater eröffnet und lange geführt hatte, war sie Fotomodell in Hamburg, jetzt zeigte sie Talent bei der Buchführung und da es kaum Einnahmen gab, die verwaltet werden konnten, stürzte Cleo sich auf die Ausgaben. Die Anträge für die Corona-Unterstützung waren längst eingereicht, waren abgelehnt worden, überarbeitet und nochmal eingereicht. Niemand konnte ihm sagen, wie viel Geld er bekommen würde und vor allem nicht, wann es auf seinem Konto sein würde. Über die Notwendigkeit einer eventuellen Rückzahlung, weil er bei der Beantragung irgendwelche Bedingungen nicht eingehalten hatte, wollte er gar nicht nachdenken.
Jetzt lehnte Cleo den Kopf an seine Schulter und strich ihm über die schwarzen Haare. »Brenner, du und ich, wir schaffen das.« Er genoss diese Berührung und das Kitzeln ihrer Haare auf seiner Haut.
Alle nannten ihn nur Brenner, auch seine Cleo, das hatte sich vor Jahren schon so eingespielt, nachdem er begonnen hatte, das seit Jahrzehnten leerstehende Gebäude zu renovieren. Seitdem war er im Dorf nur Brenner. Die Alten hatten den Namen noch gekannt und hatten ihm zur Eröffnung alte Fotos und Postkarten der Gastwirtschaft geschenkt, schwarz-weiß und vergilbt, mit seinen stolzen Großeltern vor dem Gebäude und Pferdekutschen dort, wo jetzt die Holzbänke standen. Er war ebenso stolz gewesen wie seine Großeltern vor vielen Jahrzehnten, hatte die Bilder rahmen lassen und im Gastraum aufgehängt. Jetzt kam niemand mehr, um sie zu bestaunen.
Er hatte einen Kloß im Hals und drückte Cleo an sich. »Das geht«, sagte er. »Bestimmt.« Brenner zog das Glas wieder zu sich und nahm einen kleinen Schluck. »Sollen wir das wirklich durchziehen?«
Cleo stieß mit dem Ellenbogen in seine Seite. »Jetzt fang nicht wieder an! Ja, wir ziehen das durch. Das Schwein habt ihr doch schon geschossen.«
Brenner und sein Freund Mike aus Teterow hatten das Wildschwein vor vier Tagen geschossen, der abendliche Jagdausflug hatte ihn aufgemuntert. Jetzt hing das Tier in der Kühlkammer von Mikes Landfleischerei, sauber ausgenommen und abgeschwartet. Gestern hatte der Amtstierarzt das Fleisch nach der Untersuchung auf Trichinen zum Verzehr freigegeben. Eigentlich stand Mike die Hälfte zu, sie teilten jede Beute gerecht, unabhängig, wer den entscheidenden Schuss abgegeben hatte, aber Mike hatte ihm sofort angeboten, seine Hälfte für das Wildschweinfest in Brenners Welt zu stiften. Damit sich ein ganzes Schwein am Spieß dreht, hatte er gesagt, das sieht besser aus als nur ein halbes. Das wird den Leuten gut gefallen. Brenner hatte ihm gerne recht gegeben.
Die Idee mit dem Wildschweinfest hatten sie schon ein paarmal gehabt und immer wieder verworfen. Eigentlich hatte es immer eine Art Freudenfest werden sollen, eine Belohnung für die Jahre mit viel Arbeit und ohne Urlaub, einfach ein herrlicher Tag mit Freunden und Gästen, entspannt und sorgenfrei. Jetzt ging es um etwas ganz anderes. Er hatte lange darüber nachgedacht, in den vielen Wochen, in denen er nur geputzt und aufgeräumt hatte, bis es nichts mehr zu putzen und aufzuräumen gab. Viele Vorräte waren ihm schlecht geworden und er hatte sie wegwerfen müssen, auch das war etwas Neues gewesen und etwas, das ihm nicht gefallen hatte.
Brenner hatte keine Angst, aber eine ganze Menge Respekt, vor der Organisation und zunehmend auch vor den Kosten. Werbung war notwendig, damit kannte er sich kaum aus und ob eine Webseite, an die er auch schon ein paarmal gedacht und sie noch immer nicht realisiert hatte, dabei helfen würde, konnte er auch nicht sagen. Vor einer Webseite hatte er noch mehr Respekt als vor einem Schwein am Spieß und einem Haufen Gäste. Und ein Haufen Gäste würde auch einen Haufen fremder Männer bedeuten, die sich viel lieber mit Cleo unterhalten würden als mit ihm und sie den ganzen Tag umschwirren würden.
Das Schwein hatten sie schon und den Drehspieß würde er auch hinkriegen, immerhin hatte er Ingenieur gelernt, bevor er beschlossen hatte, die Familiengeschichte in Brenners Welt fortzuschreiben. Das Studium hatte ihm bei der Renovierung der Gastwirtschaft gute Dienste geleistet, ohne wäre es gar nicht gegangen. Mit Werkzeug konnte er gut umgehen, das waren Aufgaben, mit denen er gut klarkommen konnte, das war etwas Handfestes zu tun. Aber wenn sich die Entwicklung der letzten Wochen fortsetzte, dann hatten sie bald mehr Schweine als Gäste in Brenners Welt.
Jetzt sollte das Wildschweinfest am nächsten Sonntag die Gastwirtschaft retten. Wir haben nur diesen einen Schuss, hatte er bei der Entscheidung gedacht. Und der muss sitzen.
Bonnie grunzte und paddelte im Schlaf mit den Pfoten.
»Gleich morgen früh rufe ich im Büro von Neumann an. Wenn der zusagt, dann ist das die halbe Miete.« Cleo schaffte es, zuversichtlich zu klingen. Brenner hatte die Idee gehabt, den Landtagsabgeordneten Neumann zu dem Fest einzuladen, als Ehrengast in seinem Wahlkreis. Er hoffte, dass damit die Presse neugierig würde, auf jeden Fall neugierig genug, um ein oder zwei Artikel über das Wildschweinfest in Brenners Welt in Langhagen zu berichten. Und der MdL Nikolai Neumann galt als wirtschaftsnah und unternehmerfreundlich, da war es Brenner auch ziemlich egal, in welcher der beiden großen Parteien Neumann eigentlich zuhause war. Hauptsache, der Mann war dabei.
»Wenn der nicht zusagt, dann können wir es gleich bleiben lassen«, brummte er.
Cleo wollte ihr Bier auch nicht mehr austrinken. »Komm«, sagte sie. »Ich schließe ab und wir machen Feierabend. Den Rest räumen wir morgen früh auf.«
Brenner ging mit schweren Beinen hinter seiner Frau die Treppe zur Wohnung hinauf; heute gab er sich keine Mühe, die knarrenden Stellen der Treppe zu vermeiden.
Bonnie hatte die Augen sofort geöffnet, weil ihre Zweibeiner sich bewegten. Sie streckte sich und schlief sofort wieder ein. Alles war an seinem richtigen Platz.
Auf dem Tresen zerplatzten langsam die Schaumbläschen auf zwei angetrunkenen Bieren.
Brenner hatte unruhig geschlafen und die letzten Stunden irgendwo zwischen Traum und Wirklichkeit verbracht. Manchmal hatte er in dieser stillen Zeit die besten Ideen, wenn sein Hirn schon funktionierte, aber der Rest noch im Standby-Modus war. Jetzt schreckte er hoch, weil Bonnie unten lauthals bellte.
Es war ein freundliches Bellen und das konnte um diese Uhrzeit nur bedeuten, dass Kathrin schon da war. Die Köchin von Brenners Welt, die nur wenige Kilometer die schmale Straße herunter in Dersentin wohnte, hatte seit langem einen eigenen Schlüssel. Sie war zu Brenners Welt gestoßen, da hatte er noch gar nicht wieder eröffnet, da steckte er noch in den Resten des Umbaus. Schnell war die kleine stabile Frau in der Kittelschürze der eigentliche Grund geworden, warum sich die neue Gastwirtschaft in dem kleinen Ort hatte beweisen und dann auch halten können. Sie hatte einen scheinbar unerschöpflichen Fundus von Rezepten, die sie ohne Kochbuch zubereiten konnte. ›Die sind von meiner Oma noch‹, sagte sie dann, ›von der habe ich kochen gelernt. Auf dem Holzherd.‹
Er hörte das Stakkato von Bonnies Pfoten auf dem Holzboden, sie freute sich über die Ankunft ihrer neuen Freundin. Kathrin war zu Anfang sehr skeptisch gewesen, einen Hund im Haus zu haben und hatte ihre Küche zur hundefreien Zone erklärt. Während der langen Monate, in denen Brenners Welt zwangsweise geschlossen war, hatte sie genug Zeit gehabt, sich mit dem jungen Hund zu beschäftigen und anzufreunden. Bonnie hatte gelernt, die Küche nicht zu betreten, ganz egal, wie verlockend es gerade darin roch. Cleo hatte immer angenommen, dass Kathrin diesen Lernerfolg einer Menge ungesunder Häppchen zu verdanken hatte, die sie Bonnie spendiert hatte. Aber seitdem Bonnie die Schwelle zur Küche nicht mehr überschritt, sondern unmittelbar davor erwartungsvoll sitzen blieb, war zwischen den beiden alles in Ordnung.
Brenner stand auf und zog sich rasch etwas an. Er wollte Bonnie bremsen, damit Cleo weiterschlafen konnte.
Bonnie saß vor der offenen Küchentür und wedelte derart begeistert mit dem Schwanz, dass es für Brenner so aussah, als würde der Schwanz mit dem Hund wedeln. Dann erschien eine Hand in der Küchentür. »Braver Hund«, hörte er Kathrin sagen, dann hielt die Hand dem aufgeregten Hund ein Stück Wurst hin, das von Bonnie sofort eingeatmet wurde.
»Kathrin, das ist für den Hund nicht gut. Das war sicher zu fett und zu sehr gewürzt und was nicht sonst alles.«
»Guten Morgen, Brenner.« Kathrin stemmte die Hände in die Hüften. »Das war nur ein kleines Stück. Bonnie hatte sich eine Belohnung verdient. Ein sehr kleines Stück. Die Dosis macht das Gift, Brenner.« Sie legte den Kopf schief. »Und ich musste den Hund beruhigen. Sie spürt bestimmt, dass es ein großes Durcheinander geben wird. Hunde spüren so etwas. Und sie hat geheult.«
Brenner rollte mit den Augen. »Natürlich hat sie geheult, wahrscheinlich war die Wurst zu scharf.«
Sie schüttelte den Kopf. »Das lag nicht an der Wurst. Sie spürt etwas. Wenn Hunde den Mond anbellen oder ohne Grund bei Tag heulen, dann wird es in dem Haus einen Toten geben.«
Das war ja klar, dachte er. Und noch vor dem Frühstück. Sogar vor dem ersten Kaffee. Kathrins Vorrat an Aberglaube war fast so umfangreich wie ihr Vorrat an Rezepten. Aber viel schwerer verdaulich.
»Das war kein Heulen«, sagte er. »Das war höchstens ein Winseln.«
»Der Übergang ist fließend, oder?« Sie verschwand in ihrer Küche.
Ein Espresso, dachte Brenner. Ich brauche jetzt dringend einen Espresso. Der Übergang zwischen Kaffee und Espresso ist auch fließend. Er ging hinter den Tresen und schaltete die große Kaffeemaschine ein. Aus dem Augenwinkel sah er, dass ein weißer Lieferwagen über den Hof und dann um die Hausecke zur Küchentür fuhr.
Der Lieferwagen gehörte seinem Freund Mike. Brenner hörte sein Klopfen an der Küchentür, während die letzten Tropfen Espresso in die kleine Tasse fielen.
»Morgen, Kathrin«.
»Morgen, Mike. Willst du mal wieder lernen, wie man richtig kocht?«
Er musste lächeln. Die beiden verstanden sich eigentlich recht gut, trotzdem führten sie seit dem ersten Kennenlernen Duelle aus, wer besser kochen konnte. Mike war Fleischer und hatte seine Landfleischerei in der Pferdemarktstraße in Teterow, von ihm bekam Brenners Welt das Fleisch und nach dem Zerwirken auch das gemeinsam geschossene Wildbret. An der Qualität von Mikes Ware hatte Kathrin noch nie ernsthaft gezweifelt, damit war sie meist sogar sehr zufrieden, aber die Krone des besseren Kochs wollte sie ihm auf keinen Fall überlassen. Mike hingegen hatte gute Argumente, sich schon von Berufs wegen mit allen Gerichten mit Fleisch gut auszukennen und lieferte auch Platten und Salate für kalte Buffets.
Kathrin hatte ihm schon einen Becher Kaffee gegeben, der in Mikes großer Hand kaum zu sehen war. In Kathrins Küche gab es nur Kathrins Kaffee, das war ein eisernes, wenn auch ungeschriebenes Gesetz, die Bohnen dafür wurden mit der Hand gemahlen, in einer alten Klingenthal-Mühle aus den 50ern, einem schmalen rechteckigen Holzkasten mit Handkurbel. Auch darin war sie eigen, den modernen Kaffee aus der großen Maschine mit den vielen Knöpfen und Hebeln rührte sie nur ungern an. Ihr Küchen-Kaffee wurde mit einem alten Porzellanaufsatz und durch einen Nylonstrumpf gefiltert. Das Ergebnis fand Brenner erstaunlich gut, würde das aber nie zugeben.
Mike grinste ihn über den Rand des Bechers an. »Morgen, Brenner. Kam gerade vorbei. Wollte mal reinsehen.«
Brenner freute sich immer, Mike zu sehen. Sie waren sehr ungleich, Mike überragte ihn um mehr als eine Kopflänge und musste sich immer bücken, wenn er durch die Küchentür hineinkam. Neben Mike kam er sich immer klein und schmal vor. Und gut beschützt.
»Moin, Mike. Wie geht’s unserem Schwein?«
»Alles gut. Duftet schon herrlich. Gespritzt mit meiner Marinade.«
»Was ist denn drin, in deiner Marinade?«, fragte Brenner unschuldig. Er sah schon, wie Kathrin tief Luft holte.
Mike trank einen Schluck Kaffee und blinzelte Brenner dabei an. »Na, was so reinkommt in eine gute Marinade für Wildschwein. Wurzelgemüse kleingemacht und angeröstet. Sellerie, Möhren, Kohlrabi, und wenn du hast, auch Pastinaken. Geht nicht ohne Zwiebel. Zwiebel ist ein Muss. Zum Ablöschen Wein und Bier. Lorbeer, Fenchel, Koriander, Chili, Senfkörner, Pfeffer, Rosmarin, Thymian, Salbei, Wacholderbeeren und Piment. Eine Handvoll Zucker und natürlich ordentlich Salz.« Mike sah von Brenner zu Kathrin. »Rotwein und Weißwein jeweils eine Flasche, mindestens, aus dem Schwein geht hinterher viel Flüssigkeit wieder raus. Die Marinade paar Stunden köcheln lassen, also reduzieren. Und das Gemüse weich werden lassen. Wenn es gut ist, dann schmeckt es sehr streng. Hat zwischendurch auch streng gerochen, also alles gut. Hab ich durch ein Sieb passiert und dann ab in die große Spritze. Gespritzt von innen und außen, danach das Tier wieder zugenäht, mit festem Draht. Seit drei Tagen wird es kalt gelagert, dick eingewickelt in Alufolie.« Er leerte seinen Kaffeebecher. »Duftet herrlich. Mit dem Rest der Marinade wird das Tier eingepinselt, wenn es über dem Feuer ist. Nach drei oder vier Stunden kommt die Alufolie ab, dann kannst du mit Pinseln starten.« Er nickt. »So macht man das.«
Für Mike war das eine lange Rede, bei Fleisch und seiner Zubereitung war er in seinem Element. Sonst sprach er nicht viel. Zu seinen Eigenheiten, an die Brenner sich damals rasch gewöhnt hatte, gehörten viele Rituale, mit denen Mike sein Leben lebte. Alles hatte bei ihm seine feste Zeit und seinen festen Platz, von der Anordnung der Ware in seiner Kühltheke bis zum Inhalt des Jagdrucksacks und seinem Speiseplan. Montag machte er Gulasch, Dienstag Bratwurst, Mittwoch Schnitzel, Donnerstag Hackbraten, Freitag gibt es bei Mike Huhn, Samstag Nudeln mit Fleischsoße und am Sonntag Steak. Bei Abweichungen von diesen Ritualen wurde Mike nervös und unsicher und zog sich schnell zurück. Brenner und Cleo hatten ihn einfach so genommen, wie er war und Brenner hatte auch akzeptiert, dass sich sein stämmiger Freund nur ungern umarmen und berühren ließ. Das war alles ok, aber es war für Brenner noch immer unverständlich, dass Mike den Geschmack von Erdbeeren im Mund hatte, wenn er die Zahl fünf las oder schrieb.
Wie Brenner erwartet hatte, konnte Kathrin bei diesem Rezept nur mit dem Kopf schütteln. »Das arme Tier, das hat es nicht verdient. Das geht besser.«
Er wusste, dass sie jetzt keine Aufforderung brauchte.
»Wir können ja sehen, wie weit wir mit deinem Vorschlag kommen.« Sie holte nochmal Luft. »Aber erstmal sagt man Tunke, nicht Marinade. Marinade schmeckt auch nicht besser. Du nimmst Rotwein, Weißwein hat bei Wildschwein nichts zu suchen, dann kleingehackte Petersilie. Zwiebel auch, aber nur etwas. Soll ja kein Zwiebelschwein werden. Je nach Größe vier bis sechs Knoblauchzehen. Olivenöl, einen Viertelliter, Saft und Schale einer kleinen Zitrone. Jeweils ein halbes Glas körnigen Senf und ein halbes Glas Sojasauce. Bei den Gewürzen lagst du schon richtig, lieber Mike, aber Nelke hat gefehlt. Frisch aus dem Mörser natürlich, nicht aus der Tüte. Und ein Glas Preiselbeeren. Das Gemüse anrösten, mit dem Wein und der Sojasauce ablöschen, würzen, durchsieben, fertig. Kann jeder.«
»Klingt auch nicht schlecht«, meinte Brenner. Er hatte keine Lust, Schiedsrichter zu spielen.
Bonnie verfolgte das Gespräch aufmerksam, immer bereit, eine kleine Spende als Belohnung für ihre Anwesenheit zu akzeptieren.
Mike sprach ungerührt weiter. »Ich werde Sonntag früh um fünf anfangen, das Tier im großen Ofen am Spieß zu garen. Dann können Uschi und ich es gleich am Spieß herbringen. Holzkohle bringe ich mit. Dann braten wir es hier zu Ende.«
»Uschi kommt mit?«
»Ehrensache. Sie will helfen.«
Mike und seine Uschi hatten waren kurz vor Corona ein Paar geworden, nachdem Mike sich nach vielen Monaten des Zauderns und Zweifelns endlich getraut hatte, die stämmige Sprechstundenhilfe ihres Hausarztes, Dr. Kathami in Teterow, anzusprechen. Zur Freude der beiden Männer hatten sich Cleo und Uschi auch gleich super verstanden und waren Freundinnen geworden.
Brenner nickte. »Prima! Ich habe das Gestell für den Spieß fertig. Im Schuppen war ein altes Fahrrad, das hat jemand mal hier stehen lassen. Davon habe ich die Zahnräder ausgebaut und die Kette. Die alte Bohrmaschine ließ sich gut aufschrauben, da habe ich die Umdrehungen runtergesetzt. War ja nur Elektrik, keine Elektronik. Am Gestell habe ich eine Halterung dafür gemacht. Dann dreht sich das Schwein wie von selbst.«
Die Bastelei hatte ihm gutgetan. Das war endlich etwas zu tun gewesen, bei dem man anschließend den Erfolg sehen und ausprobieren konnte.
»Gut.« Mike stellte den leeren Becher auf die Arbeitsplatte.
Kathrin band sich eine Schürze um. »Seid ihr noch nicht fertig? Kaffee gibt’s keinen mehr, Mike, hier wird jetzt gearbeitet. Brenner, für die Tageskarte Pfannkuchen mit Geflügel-Geschnetzeltem, ok?«
Er nickte nur. Die Tageskarte, die sie immer draußen auf die Tafel neben dem Eingang schrieben, würde wieder kürzer ausfallen als früher. Aber Kathrins Vorschlag war ein schnelles und einfaches Gericht. »Ok.«
Mike ging zur Küchentür. »Kannst auch richtiges Fleisch nehmen. Schweinelendchen oder Tagliata.« Er öffnete die Tür und bückte sich hindurch. »Und kannst auch Tunke sagen. Aber Marinade schmeckt besser.«
Brenner sah, dass Kathrin ein Grinsen nicht unterdrücken konnte, gleich nachdem Mike die Tür hinter sich geschlossen hatte.
Das Telefon draußen am Tresen klingelte.
»Brenners Welt, Cleo Brenner. Guten Tag.« Seine Frau hatte ihn um zwei Schritte geschlagen. »Moment.« Cleo drückte eine Taste. »Jetzt kann mein Mann mithören, Frau Bluhm.«
»Guten Morgen auch an Sie, Herr Brenner. Mein Name ist Bluhm, vom Wahlkreisbüro von Herrn Neumann.« Die Dame hatte eine sehr nette Stimme.
»Guten Morgen, Frau Bluhm. Das ist sehr nett, dass Sie so rasch zurückrufen.«
Cleos Anruf dort konnte erst eine Stunde her sein.
»Bei interessanten Themen sind wir gerne schnell.« Die Dame versuchte ein Lachen. »Sie hatten bei meiner Kollegin telefonisch angefragt, ob Herr Neumann bei Ihnen in Langenhagen -«
»Langhagen«, unterbrach Brenner.
»Langhagen, entschuldigen Sie. Ob er am Sonntag bei Ihnen sein kann, für eine kurze Ansprache auf Ihrer Feier. Es ist doch eine öffentliche Veranstaltung, oder? Keine Familienfeier oder sonst etwas Privates?«
»Wir feiern sozusagen die Wiedereröffnung unserer Gastwirtschaft«, sagte Brenner. »Einer bekannten Gastwirtschaft.«
»Nach der schweren Corona-Zeit wollen wir wieder unternehmerisch durchstarten«, sagte Cleo.
»Das ist genau das Richtige, Herr und Frau Brenner. Ihre Anfrage ist zwar sehr kurzfristig und Sie haben Glück, dass Sie uns so früh überhaupt erreicht haben.« Das ließ Frau Bluhm kurz im Raum stehen. »Aber ein anderer Termin am Sonntag ist ausgefallen. Herr Neumann ist gerne bei Ihnen.«
Cleo stieß Brenner in die Rippen. Ihre Augen strahlten und sagten, guck mal, Brenner, wird doch alles gut.
»Herr Neumann würde auch gerne ein kurzes Wort zur Eröffnung sprechen. Das ist so üblich«, setzte Frau Bluhm nach einer kurzen Pause hinzu.
»Das ist nett, wir freuen uns«, sagte Cleo sofort und blickte dann erst zu ihrem Mann. Brenner nickte. Das muss wohl so sein. Eigentlich will ich mein Fest nicht missbrauchen lassen, aber das ist wohl der Preis dafür, dass wir den Abgeordneten überhaupt zu uns bekommen. Bald ist ja auch Wahlkampf, erinnerte er sich dunkel. Es ist immer irgendwann Wahlkampf.
Dann wird es wohl am Sonntag ziemlich voll werden. Er war nicht sicher, ob er sich darauf freute.
»Um wie viel Uhr beginnt Ihr Fest am Sonntag?«
»Wir starten um 14 Uhr«, sagte Cleo. »Herr Neumann ist natürlich auch etwas früher herzlich willkommen. Die Adresse ist -«
Frau Bluhm unterbrach mit einem weiteren Lachen. »Die Anschrift haben wir schon. Herr Neumann kennt sich schließlich aus in seinem Wahlkreis.«
»Prima.« Cleo bemühte sich auch um ein Lachen und Brenner fand, dass es sehr echt klang. »Noch einmal herzlichen Dank. Wir freuen uns auf seinen Besuch am Sonntag!« Sie legte auf. »Siehst du, Brenner, klappt doch alles.« Sie küsste ihn und schlang die Arme um seinen Hals. »Was soll jetzt noch schiefgehen?«
Hinter ihnen erklang eine Stimme. »Ich mache da nicht mit«, sagte Karli.
Karli stand hinter ihnen, ihre Arme hingen herab, aber ihre Fäuste waren geballt. »Also, ich hab ja kein Problem damit, auch am Sonntag zu arbeiten und mein Wochenende für euch zu investieren. Aber wenn das so bleibt, dann bin ich krank am Sonntag!«
Cleo sah, dass Karlis Nasenspitze ganz weiß war. »Was ist denn?«, fragte sie überrascht.
»Ihr habt das nicht zu Ende gedacht, oder? Wer soll denn die ganze Arbeit machen?« Weil weder Brenner noch Cleo reagierten, sprach Karli weiter. »Guckt mal, Brenner wird nichts tun können, der muss rumlaufen und reden und sich um die Gäste kümmern. Der hat keine Zeit für leere Teller oder volle Gläser. Ihr macht hier einen Riesenaufriss, rechnet mit einem vollen Haus, lotst einen Abgeordneten hier hin und dann sind nur Cleo und ich für den Service da? Und Cleo wird als Chefin auch für die Gäste da sein müssen. So viel Arme und Beine habe ich ganz einfach nicht.« Sie schüttelte den Kopf. »So gibt das nur Chaos. Das wird alles ruinieren. Da mache ich nicht mit.« Ihr Blick ging von Brenner zu Cleo und zurück. Bonnie bellte zur Bestätigung einmal.
»Sie hat recht«, sagte Brenner dann. »Daran habe ich noch gar nicht gedacht. Tut mir leid.«
»Was machen wir jetzt?«, fragte Cleo. »Es ist ja schon Dienstag.«
»Wir brauchen mehr Leute«, sagte Karli. »Ganz einfach.«
Ja, dachte Brenner, das sagt sich so einfach. »Aber wo kriegen wir die hier?«
»Warte mal«, meinte Cleo. »Da war neulich ein Flyer in der Post. Der liegt sicher noch beim Altpapier.« Sie lief ins Büro und kam mit einem gefalteten Stück buntem Papier zurück. »Hier. Die ›Feier Fighters‹, der Name hat mir gleich gefallen, aber ganz ehrlich, Karli, ich habe dabei nicht an unsere eigene Feier gedacht.« Sie sah sich den Flyer an. »Die sitzen in Rostock. Ich rufe da gleich an, ob die uns am Sonntag eine -«
»Zwei«, sagte Karli rasch. »Einer reicht nicht.«
Brenner sah Karlis energischen Blick. »Ok. Zwei.« Beim Gedanken an die Kosten wurde ihm schon wieder unwohl. Aber Karli hatte recht, ihre Perspektive hatten sie bei der Planung völlig vergessen. Und sie sollten nicht am falschen Ende sparen. Ein volles Haus mit Chaos war eigentlich schlimmer als ein leeres Haus ohne alles.
»Ob die uns am Sonntag zwei Damen schicken können. Zwei Damen, das wird den Gästen gefallen«, beendete Cleo ihren Satz mit einem Seitenblick auf Brenner. Der nickte ihr zu.
Cleo ging mit dem Flyer ins Büro, um in Ruhe zu telefonieren.
»Danke, Karli«, sagte Brenner und war erleichtert, dass sie sich wieder entspannt hatte.
»Schon ok«, sagte Karli und ging nach draußen, um dort irgendetwas zu tun.
Brenner folgte Cleo ins Büro. Sie war mit dem Telefonat schon durch. »Das klappt, Brenner. Zwei Damen kommen, ich habe sie für zehn Uhr bestellt, dann haben wir noch ein paar Stunden Zeit, um sie einzuweisen.«
»Und die Kosten?«
»Das willst du nicht wissen, Brenner.«
»So schlimm?«, fragte er.
»Nicht wirklich schlimm. Aber heftig. Wochenend-Zuschlag. Hilft ja nichts.« Cleo zuckte mit den Schultern.
Da hatte sie recht. Entweder mit den Aushilfen, dann halt auch mit den Kosten, oder ohne die Aushilfen, dann würde es halt schiefgehen. »Einige Gäste werden sicher auch früher da sein. Hat Charlie sich schon gemeldet?«
Charlie Stanke war ein alter Freund von Cleo aus ihrer Hamburger Zeit, ein Fotograf für Mode- und Szene-Events, der oft mit Cleo gearbeitet hatte. Ab und zu kam er bei Brenners Welt in Langhagen vorbei und war zu Brenners Überraschung einige wenige Male sogar nützlich gewesen. Er war mit diesem Stanke nie richtig klar gekommen, aber Cleo mochte ihn sehr. Stanke machte tolle Fotos, aber Brenner fand, er passe nach Langhagen wie eine Zierkirsche auf Zwiebelkuchen.
Cleo nickte. »Ja, er hat mir eine SMS geschickt. Das geht klar mit Sonntag, er ist mit dabei!«
Die Idee war, dass Charlie Stanke seine Presse-Kontakte nutzen sollte, um auf das Wildschweinfest bei Brenners Welt und den Besuch des Abgeordneten aufmerksam zu machen. Brenner wollte nicht wieder mit schlechten Nachrichten oder mit Katastrophen in der Zeitung stehen. Und dieser Stanke mit seinem klapprigen Porsche war der einzige Pressekontakt, den sie überhaupt hatten.
Wenn wir jetzt eine Webseite hätten oder ein Social-Media-Profil, dann könnten wir Stanke als Fotografen natürlich gut nutzen, dachte Brenner. Haben wir aber nicht.
»Siehst du«, sagte seine Frau. »Klappt doch alles. Komm, Bonnie, Frühstücksrunde!«
Es waren auch an diesem Tag kaum Gäste da, sie hatten nur vier Portionen des Tagesgerichtes verkauft. Karli hatte sich gelangweilt, auch der Small-talk mit den Gästen hatte das nur unterbrechen können.
Dann hatte sie sich ungewöhnlich lange von Cleo und Brenner verabschiedet. Sie wollte wohl sichergehen, dass die beiden ihr den Protest nicht übel nahmen.
Auch Kathrin machte sich schon auf den Weg, in der Küche hatte es wieder nicht viel gegeben, was aufgeräumt werden musste. Mit einem kurzen Gruß an Cleo und Brenner hatte sie sich in ihrem alten Audi auf den Weg gemacht und war vom Gelände aus nach rechts in Richtung Dersentin abgebogen. Sie würde nach Hause nur ein paar Minuten fahren müssen, eine schmale Allee erst aus Linden, dann aus Obstbäumen, entlang, links die Schienen und rechts eine weite Senke, die sich sanft zu ein paar Hügeln anhob.
Brenner sah ihr hinterher, dann stellte sich Cleo neben ihn und nahm seine Hand. »Ist schon wichtig, dass die beiden da sind. Ohne Kathrin und Karli wären wir ziemlich aufgeschmissen.«
»Kathrin ist echt ein Glücksfall«, stimmte er zu. »Und auch Karli ist kaum von hier weg zu denken. Ich weiß schon nicht mehr, wie es mal ohne sie war.«
»Dabei wissen wir eigentlich nicht viel über sie. Und eigentlich müsste sie längst auch mehr Geld von uns kriegen«, meinte Cleo. »Sie tut so viel, da hat sie echt mehr verdient.«
Auch da konnte er nur zustimmen. »Das ist richtig. Eigentlich. Auf der anderen Seite ist das jetzt eigentlich auch der schlechteste Zeitpunkt, um mehr Geld auszugeben.«
»Aber sie hatte natürlich heute vollkommen recht mit ihrem Protest. Wir hatten die ganze Feier nur aus unserer Perspektive geplant, ohne unsere Leute zu fragen. Dabei können wir Karli echt vertrauen. Kathrin natürlich auch.«
»Ja, und sie hat auch bei der Weinauswahl eine gute Idee gehabt. Einen Grauburgunder und einen Primitivo. Toller Geschmack und guter Preis. Das hat sie gut gemacht.«
Cleo lächelte. »Mecklenburg ist kein Weinland. Zwei Sorten reichen tatsächlich, einmal rot und einmal weiß.«
Schon wieder ging drinnen das Telefon. Er sah auf die Uhr, es war schon früher Abend, da rief sonst niemand mehr an. Das wird wohl so bleiben, dachte Brenner, bis wir das Ganze hinter uns haben.
Cleo war wieder vor ihm am Telefon. »Brenners Welt, Cleo Brenner. Guten Tag.« Sie stellte auf laut, damit Brenner mithören konnte. Gleichzeitig schüttelte sie mit dem Kopf. Kein Gast, keine Reservierung. Kein Umsatz.
»Ja hallo, hier ist die Tina von den Feier Fighters aus Rostock. Ihr habt doch für Sonntag zwei Damen bei uns gebucht?«
»Richtig, das sind wir. Brenners Welt in Langhagen.« Cleo schickte einen misstrauischen Blick zu Brenner. Nicht, dass die jetzt kurz vorher einen Rückzieher machten.
»Ja, du, Cleo, das ist kein Problem.« Bei dieser Stimme fühlte Cleo sich spontan an die Fashion-Influencer erinnert, die sie in Hamburg kennengelernt hatte. Sie schmunzelte. Bei den Feier Fighters schien auf Biegen und Brechen geduzt zu werden, aber das machte ihr nichts aus.
»Wir haben nur eine kleine Planänderung«, fuhr die Tina fort. »Eine der Damen hat gerade abgesagt. Wir schicken euch dafür einen Herren. Ich hoffe, das ist in Ordnung?«
»Ja, Tina, das ist natürlich in Ordnung.« Sie ignorierte Brenners zusammengezogene Augenbrauen. »Und du brauchst bestimmt noch eine Unterschrift von uns? Eine Bestätigung?«
»Ja, Cleo, klar, das Mail geht gleich raus. Ich wollte nur vorher fragen, weil ihr doch gerade zwei Damen haben wolltet.«
»Das geht in Ordnung«, sagte Cleo noch einmal. Sie würde es auch ein drittes oder ein viertes Mal bestätigen, Hauptsache, sie hatten am Sonntag vier Hände und vier Beine mehr im Einsatz.
»Ja, Cleo, prima. Dann kommen am Sonntag die Vicky Mutlur und der Frank Wendel zu euch. Mir reicht eine Bestätigung per Mail, eine echte Unterschrift brauchen wir nicht. Das Mail ist gleich bei dir. Tolle Party wünsche ich euch!«
Damit legte die Tina auf und Cleo atmete aus. »Puh, Brenner, wenn diese Vicky und der Frank auch so sind, dann kommt am Sonntag ein anderer Wind ins Haus.«
»Ist egal«, brummte er. »Hauptsache, die können laufen und schleppen und mit meinen Gästen umgehen.«
Den Samstagvormittag verbrachten Brenner und Cleo mit vielen unnötigen Kontrollen und Nachkontrollen und Nochmal-Kontrollen, ob alles am richtigen Platz stand, gesäubert war, gebügelt war, blitzte und blinkte und ansprechend aussah.