Die Bandkeramik in Mittelhessen und angrenzenden Gebieten - Johanna Ritter-Burkert - E-Book

Die Bandkeramik in Mittelhessen und angrenzenden Gebieten E-Book

Johanna Ritter-Burkert

0,0

Beschreibung

Die Linearbandkeramische Kultur (LBK) besiedelte als erste Ackerbau und Viehzucht treibende Zivilisation den hessischen Raum. Im 6. Jahrtausend v.Chr. errichtete sie dort riesige Langhäuser, unterhielt weite Handelsnetzwerke und fertigte charakteristische Keramiken, die in den Jahren 2015 bis 2017 Gegenstand eines Dissertationsprojektes waren. Untersucht wurden dabei die Zentralsiedlung Bad Nauheim – Nieder-Mörlen „Auf dem Hempler“ sowie die Plätze Karben-Okarben, Wöllstadt A4, Wöllstadt A6, Limburg-Eschhofen, Großseelheim 4, Friedberg B3a km 19, Idstein-Walsdorf, Hain-Gründau und Leihgestern 78, deren gesamtes Fundmaterial aus Grabungsmaßnahmen des Landesamts für Denkmalpflege Hessen, Abteilung Hessen Archäologie, stammt. Durch großangelegte Bauvorhaben besteht ein stetiger Zustrom an bandkeramischen Fundstellen und Funden auf hessischem Landesgebiet, die eine Neubewertung des Arbeitsraumes nötig machten. Entstanden ist eine detaillierte Studie mit einer aktuellen Typochronologie der hessischen Bandkeramik und einer Rückführung ihrer europaweiten Kontakte.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 642

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Die Bandkeramik in Mittelhessen und angrenzenden Gebieten Typologie, Chronologie und Kontaktszenarien

Neu bebilderte Auflage, erschienen 3-2023

Umschlaggestaltung: Romeon Verlag

Text: Dr. Johanna Ritter-Burkert

Titelbild: Dr. Johanna Ritter-Burkert

Layout: Dr. Johanna Ritter-Burkert

ISBN: 978-3-96229-654-4

www.romeon-verlag.de

Copyright © Romeon Verlag, Jüchen

Das Werk ist einschließlich aller seiner Teile urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung und Vervielfältigung des Werkes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks und der Übersetzung, sind vorbehalten. Ohne ausdrückliche schriftliche Genehmigung des Verlages darf das Werk, auch nicht Teile daraus, weder reproduziert, übertragen noch kopiert werden. Zuwiderhandlung verpflichtet zu Schadenersatz.

Alle im Buch enthaltenen Angaben, Ergebnisse usw. wurden vom Autor nach bestem Gewissen erstellt. Sie erfolgen ohne jegliche Verpflichtung oder Garantie des Verlages. Er übernimmt deshalb keinerlei Verantwortung und Haftung für etwa vorhandene Unrichtigkeiten.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Die Bandkeramik in Mittelhessen und angrenzenden Gebieten

Typologie, Chronologie und Kontaktszenarien

Johanna Ritter-Burkert

Inauguraldissertation zur Erlangung des akademischen Grades eines Dr. phil., vorgelegt dem Fachbereich 07 Geschichts- und Kulturwissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität Mainz 2017.

2., neu bebilderte Auflage 2023.

Schematisierte Karte mit Auswahl der Fundstellen der LBK im Arbeitsgebiet (Abbildung: Johanna Ritter).

Weitere Publikationen der Autorin

Zu Chronologie und Herstellungstechniken der Bandkeramik anhand der Fundstelle Friedberg B3a km 19, Wetteraukreis. Archäologisches Korrespondenzblatt 44, 2014, 325–335.

Gräber der jüngeren LBK auf der Ortsumgehung B3a bei Friedberg. Hessen Archäologie 2014 (Darmstadt 2015) 28–32.

Neue und seltene bandkeramische Gefäßtypen von der Umgehungsstraße B3a bei Friedberg, Wetteraukreis. Hessen Archäologie 2014 (Darmstadt 2015) 26–28.

Jungsteinzeitliches Gefäß – Idolfigur aus Karben. Archäologie in Deutschland 6/2015, 5–7.

Zu einem Knochenkamm der LBK aus Friedberg B3a km 19, Wetteraukreis Archäologisches Korrespondenzblatt 45, 2015, 475–486.

Hochwertige Erzeugnisse frühneolithischer Steinbearbeitung aus Großseelheim 4. Hessen Archäologie 2015 (2016) 32–34.

J. Meyer, J. Ritter, Ein Idol aus der ältestbandkeramischen Siedlung Karben-Okarben, Wetteraukreis. In: lucundi acti labores. Festschrift für Egon Schallmayer anlässlich seines 65. Geburtstags. Hessen Archäologie Sonderband 5 (Darmstadt 2017) 67 – 71.

Bemalung, Inkrustation, Politur und Verzierungstechniken bandkeramischer Gefäße in Mittelhessen. Hessen Archäologie 2016 (Darmstadt 2017) 33 – 37.

Workshop zur frühen Jungsteinzeit im Rhein-Main-Gebiet am Römisch-Germanischen Zentralmuseum Mainz. Denkmalpflege und Kulturgeschichte 1/2017, 48–49.

Die bandkeramischen Öfen von Friedberg B3a km 19 (Wetteraukreis). Fundberichte aus Hessen 53/54, 2013/2014 (Wiesbaden 2017) 1 – 8.

Standbodengefäße oder Deckel aus der mittelhessischen Bandkeramik? Hessen Archäologie 2017 (Darmstadt 2018) 38 – 39.

The Transition from the 6th to the 5th millennium BC in the southern Wetterau: Pottery as expression of contacts, boundaries and innovation. In: R. Gleser, D. Hofmann (Hrsg.), Contacts, Boundaries & Innovation in the Fifth Millennium. Exploring developed Neolithic societies in central Europe and beyond (Leiden 2019) 225 – 231.

Die Bandkeramik in Mittelessen – Siedlungsentwicklung und Keramikchronologie. Hessen Archäologie 2018 (Darmstadt 2019) 38 – 41.

Suspiciously rich pits in the Wetterau. In: D. Hofmann et al. (Hrsg.), Magical, Mundane or Marginal? Deposition practices in the Early Neolithic Linearbandkeramik culture. (Leiden 2020) 169 – 180.

Mehr westwärts? Das bandkeramische Mittelhessen im Spannungsfeld der Ost- und Westkontakte. In: V. Becker, J.-H. Bunnefeld, A. O’Neill, G. Woltermann, H.-J. Beier, R. Einicke, Varia neolithica X. Go West! Kontakte zwischen Zentral- und Westeuropa. Beiträge der gemeinsamen Sitzung der Arbeitsgemeinschaften Neolithikum und Bronzezeit 2017 im Rahmen des 9. Archäologiekongresses in Mainz & Aktuelles aus der Neolithforschung. Beiträge zur Ur- und Frühgeschichte Mitteleuropas 91 (Langenweissbach 2020) 7 – 13.

D. Sarnowski, J. Ritter-Burkert, Wasserstellen, Schöpflöcher und Brunnen in der Bandkeramik Hessens. Hessen Archäologie 2019 (Darmstadt 2020) 71 – 74.

S.Pfnorr, J. Ritter-Burkert, Geschliffene und geschlagene Steingeräte der bandkeramischen Großsiedlung Bad Nauheim – Nieder-Mörlen „Auf dem Hempler“. Hessen Archäologie 2020 (Darmstadt 2021) 60 – 64.

Komplex verzierte Rössener Keramik in Wölfersheim-Berstadt. Hessen Archäologie 2021 (Darmstadt 2022) 79 – 82.

Inhalt

Verzeichnis der wichtigen Abkürzungen

1Einleitung

2Forschungsgeschichte und Forschungsstand

3Arbeitsgebiet – Geographie und Geologie, Klima und Naturraum

4Die Fundstellen des mittelhessischen Arbeitsgebietes

4.1Die zentrale Fundstelle: Bad Nauheim–Nieder-Mörlen „Auf dem Hempler“

4.1.1Häuser der bandkeramischen Siedlung Bad Nauheim–Nieder-Mörlen

4.1.2Die Kreispalisaden-Anlage „Auf dem Gutenmann“

4.1.3Feuerstellen, Herdstellen, Kuppelöfen, Gruben- und Grabenöfen der Bandkeramik in Bad Nauheim–Nieder-Mörlen

4.1.4Die bandkeramischen Funde aus Bad Nauheim – Keramik und Sonderkeramik

4.1.5Geräte zur Textilverarbeitung aus Bad Nauheim–Nieder-Mörlen: Spinnwirtel und Webgewichte

4.1.6Ausgewählte Steingeräte aus Bad Nauheim–Nieder-Mörlen „Auf dem Hempler“

4.1.7Roteisen sowie weitere Farbsteine in Bad Nauheim–Nieder-Mörlen „Auf dem Hempler“ und ihre potentielle Verwendung

4.1.8Tierisches aus Bad Nauheim: Fauna sowie Knochen-, Geweih- und Zahnartefakte und ihre potentielle Verwendung

4.1.9Bad Nauheim–Nieder-Mörlen „Auf dem Hempler“ – Ein bandkeramischer Zentralort der Wetterau?

4.2Die übrigen Fundstellen der LBK aus dem mittelhessischen Arbeitsgebiet

4.2.1Großseelheim 4 (GS 4) – Keramik und Steingeräte

4.2.2Karben (EV 2014/65) – Häuser I-VI und ihre potenzielle Hausgenerationenfolge

4.2.3Die Fundstellen in Wöllstadt

4.2.3.1Wöllstadt A4 (EV. 2013/08) – Häuser und Ofen der ältesten / älteren LBK

4.2.3.2Wöllstadt „Nasse Tränke“ Brückenbauwerk – Fundstelle der jüngeren / jüngsten LBK 55

4.2.3.3Wöllstadt „Nasse Tränke“ A6 (EV. 2013/06) – Jüngstbandkeramische Häuser und Bestattung

4.2.4Hain-Gründau Ortsumgehung (EV. 2008/43)

4.2.5Limburg-Eschhofen A3 (EV. 2012/33) – Häuser I-IX und X

4.2.6Leihgestern 78 (EV 1978/79)

4.2.7Idstein-Walsdorf „Auf der Weide“ (NFG 263/2011) – Jünger- / jüngstbandkeramische Gruben, Ofen und ein Wasserloch

4.2.8Friedberg B3a km 19 – Häuser A–E, Kuppelöfen und ein Knochenkamm

4.2.9Vergleichsfundstellen für die Chronologie des mittelhessischen Arbeitsgebietes – Niederdorfelden und Wiesbaden Schierstein „Kaltloch“

4.3Das bandkeramische Bestattungswesen in Mittelhessen – Keine Gräberfelder

4.4Gruben mit vertikaler Pfostensetzung in Mittelhessen – Wildfallen oder Vorratshaltung?

4.5Das Phänomen der „sehr reichen Gruben“ in der Wetterau und ihre Position im Bezug auf strukturelle (kultische oder sakrale) Deponierung

5Die bandkeramischen Waren des mittelhessischen Arbeitsgebietes – Typologie

5.1Gefäß- und Bodenformen der bandkeramischen Waren Mittelhessens – Bekanntes und Ungewöhnliches

5.2Technische Formen-Merkmale in der bandkeramischen Typologie Mittelhessens

5.3Handhaben in der mittelhessischen LBK – Neuen und bereits bekannte Knubben, Ösen, echte Henkel und Durchlochungen

5.3.1Ösen und Henkel – Die bestehende Systematik nach Stehli 1973

5.3.2Knubben – Die bestehende Systematik nach Stehli 1973

5.3.3Handhaben-Typen und -Typen-Varianten in der mittelhessischen LBK

5.3.4Handhaben-Sonderformen in der mittelhessischen LBK – Echte Henkel, Doppelösen, Zipfel und Appliken

5.3.5Durchlochungen in Gefäßen der mittelhessischen LBK – Aufhängung und Flickung

5.4Technische Kategorien und Oberflächenbehandlungen an bandkeramischen Waren Mittelhessens

5.4.1Oberflächenbehandlung an Waren und die vielfältigen Verzierungstechniken der LBK in Mittelhessen – Polituren, Schlicker, Inkrustation und Pech

5.4.2Leistenherstellung auf bandkeramischen Gefäßen in der Wetterau – Möglichkeiten A – D

5.5Die Typologie der bandkeramischen Waren in Mittelhessen

5.5.1Das Aufnahmesystem und der Merkmalskatalog zur Bandkeramik nach „Bandkeramik Online“

5.5.1.1Das Aufnahmesystem der ältesten Bandkeramik nach Cladders

5.5.2Die Ausführungstechniken der bandkeramischen Verzierungen

5.5.3Bandverläufe und Motive

5.5.4Der Merkmalskatalog Mittelhessen – Bestehende und ergänzte Typen der LBK in Mittelhessen nach dem Merkmalskatalog Bandkeramik Online

5.6Die Sonderkeramiken der LBK aus Mittelhessen

5.6.1Anthropomorphe Plastiken und weitere „Menschendarstellungen“ der mittelhessischen LBK 157

5.6.2Zoomorphe Plastiken der mittelhessischen LBK – Rinder, Widder und Schweine 160

5.6.3Die Sondergefäßformen der mittelhessischen LBK – Echte Miniaturen, kleine Becher und Deckel

5.6.4Taschen-, Füßchen-, Umbruch-, Ausguss-, Schulter-Gefäße und Pokale

5.6.5Weitere Tonobjekte aus Mittelhessen und ihre Bedeutung innerhalb der Sonderkeramik

6Auswertung der Keramik-Inventare des mittelhessischen Arbeitsgebietes

6.1Die Motive in den Waren der mittelhessischen LBK

6.1.1Wellenbänder

6.1.2Spiralen

6.1.3Stehende Dreiecke

6.1.4Winkelbänder

6.1.5Gestaffelte Bandelemente

6.1.6Hufeisenbänder

6.1.7Rauten

6.1.8Umlaufende horizontale Bänder

6.1.9Umlaufende Girlanden

6.1.10Weitere Motivbestandteile – Spiegelachsen, Dreiecke und Kombinationen

6.1.11Grobkeramische Verzierungen – Leisten, Kanneluren und Barbotinen

6.1.12Verzierungen am Rande der Typologie – Blumensträuße, Karnevalsmützen und anderes 201

6.2Kontakte der lokalen, regionalen und überregionalen bandkeramischen Gruppen und ihrer Zierstile

6.2.1Die Lokal-Gruppen und lokalen Eigenheiten im mittelhessischen Arbeitsgebiet

6.2.2Regional-Gruppen der Bandkeramik in Mittelhessen – Leihgesterner Stil (Kammstrich), Plaidter Stil (Kammstich) und Schraffurstil (Schraffuren)

6.2.3Verzierungen als Zeugen für Kontaktmechanismen – Kontakte zwischen den Regional-Gruppen und überregionale Kontakte

6.2.4Echte Importe und dezidierte Fremdformen in der mittelhessischen Bandkeramik

6.3Methodenkritisches Vorgehen im Bezug auf Typologie und Merkmalsbildung – Neue und alte Typen, Typensplitting und Merkmalsgrenzen

6.4Potentielle Produktionsszenarien der bandkeramischen Waren im mittelhessischen Arbeitsgebiet

7Chronologie – Die Fundstellenübergreifende Interpretation von Material und Befunden des mittelhessischen Arbeitsgebiets

7.1Die Phasengliederung nach Meier-Arendt 1966 und ihre Adaption in der LBK Mittelhessens

7.1.1Die älteste LBK – Phase I nach Meier-Arendt

7.1.2Die ältere LBK – Phase I/II und II nach Meier-Arendt

7.1.3Die mittlere LBK – Phase III nach Meier-Arendt

7.1.4Die jüngere LBK – Phase IV nach Meier-Arendt

7.1.5Die jüngste LBK – Phase V nach Meier-Arendt

7.2Die Phasengliederung nach Kneipp 1998 und ihre Probleme

7.3Relativchronologie und Möglichkeiten der Chronologie-System-Parallelisierung

7.4Chronologische vs. lokal-spezifische Indizien – Kammverzierungen und Zinkenzahlen der mittelhessischen Bandkeramik

8Relativchronologische Auswertung der Keramik im mittelhessischen Arbeitsgebiet – Seriation(en) und Korrespondenzanalyse(n)

8.1Die Forschungsgeschichte der Anwendung statistischer Analysen, Seriation und Korrespondenzanalyse im Überblick

8.2Die grundlegende Methodik – Multivariate Statistik, Seriation und Korrespondenzanalyse

8.3Tatsächliches Verhalten in Seriation und Korrespondenzanalyse der archäologischen Inventare Mittelhessens – Vermischte Inventare und ungleichmäßige Besetzung

8.4Auswertung von Seriation und Korrespondenzanalyse im Bezug auf die Belegung der mittelhessischen Fundstellen innerhalb der bandkeramischen Stilphasen – Relativchronologische Einordnung von Befundstrukturen

8.5Auswertung von Seriation und Korrespondenzanalyse im Bezug auf die bandkeramische Stilentwicklung

8.5.1Älteste LBK (Phase I nach Meier-Arendt)

8.5.2Ältere LBK / Flomborn (Phase II nach Meier-Arendt)

8.5.3Mittlere LBK (Phase III nach Meier-Arendt)

8.5.4Jüngere LBK (Phase IV nach Meier-Arendt)

8.5.5Jüngste LBK (Phase V nach Meier-Arendt)

9Vom Sinn und Unsinn der 14C-Datierung in der mittelhessischen Bandkeramik… – Eine kritische Evaluation

10Gesamtinterpretation im Bezug auf alt- und mittelneolithische Kulturübergänge in Mittelhessen – Im Spannungsfeld zwischen Nachweis und archäologischen Modellentwürfen

10.1Der Beginn der Bandkeramik in Mittelhessen und das frühe Flomborn

10.2Der Übergang von Flomborn zur mittleren LBK in Mittelhessen

10.3Die jüngere und jüngste LBK und das Ende der bandkeramischen Kulturentwicklung in Mittelhessen

10.4Der Übergang von der Bandkeramik zum Mittelneolithikum in Mittelhessen – Szenarien von Kulturbruch und Parallelität

10.5Aussagemöglichkeiten von Keramik im Bezug auf Kulturkontakte, kulturelle Grenzen und Innovationen

11Bandkeramik ohne Ende oder das Ende der Bandkeramik in Mittelhessen – Archäologische Modelle zum Auslaufen der mittelhessischen LBK und sozialen Komponenten des Kulturwandels

12Forschungsausblick: Netzwerke und Netzwerkanalysen der Bandkeramik in Mittelhessen

13Die Bandkeramik in Mittelhessen – Zusammenfassung der Ergebnisse

Literatur

Der Merkmalskatalog Mittelhessen – Bestehende und ergänzte Typen der LBK in Mittelhessen nach dem Merkmalskatalog Bandkeramik Online

A Ränder

B Metopierungen

C Bänder

D Bandabschlüsse

E Bandunterbrechungen im Scheitel

F Bandunterbrechungen auf der Seite

G Sekundärmotive

H (Haupt-)Motive

Katalog der Keramiken aus Mittelhessen

„[…] research is a mysterious adventure that inspires passion and holds many surprises.“

(U. Eco 1985, XXVI)

Verzeichnis der wichtigen Abkürzungen

Abb. – Abbildung

Bef. – Befund

BN / Hempler – Bad Nauheim–Nieder-Mörlen „Auf dem Hempler“

EV – Eigenvektor

EV. (Nr.) – Eingangsverzeichnis-Nummer

FB (B3) – Friedberg B3a km 19

Fl. – Fläche

Fund-Nr. – Fundnummer

FZ – Fundzettel (Nummer)

Ggt / GG / GGT – Großgartacher Kultur

GS (4) – Großseelheim 4

hA – hessenARCHÄOLOGIE (Landesamt für Denkmalpflege Hessen)

HG – Hain-Gründau

HST – Hinkelstein Kultur

Inv. – Inventar(nummer)

IW – Idstein-Walsdorf

k.A. – keine Angabe

LBK – Linienbandkeramische Kultur

LE – Limburg-Eschhofen

LG – Leihgestern

MA (I – V) – Stilphasen nach Meier-Arendt

Taf. – Tafel

VSG – Villeneuve Saint Germain

WÖ – Wöllstadt

Abbildungen von Johanna Ritter, Fremdabbildungen sind ausgewiesen.

1 Einleitung

Die frühjungsteinzeitliche archäologische Kultur der Linienbandkeramik (LBK) erstreckte sich im 6. Jahrtausend v.Chr. über ein Verbreitungsgebiet, das sich zwischen dem Pariser Becken und der Ostukraine ausbreitete. Die Region Mittelhessen stellt in Deutschland mit ihrer dichten Besiedlung und ihrem großen Fundreichtum gleichsam einen der „Hotspots“ dieser Kultur dar. Zwar reicht die Erforschung der LBK im Arbeitsgebiet bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts zurück, es sind in den vergangenen Jahren jedoch zahlreiche neue Fundstellen auf die Forschung gekommen, die eine Neubewertung des Raumes notwendig machen. Neben zahlreichen Siedlungsstrukturen stellt Keramik das Hauptfundgut dar. Sie eignet sich durch ihre sich in der Zeit wandelnden Verzierungen im höchsten Maße dazu, typologische Reihen zu erstellen und lässt sich somit für feingegliederte relative Chronologien nutzen. Hierzu werden statistische und ordnende mathematische Verfahren eingesetzt. Durch die sich stetig verdichtende Datenbasis wird es so in einigen Jahren möglich sein, auch kleinere Fundstellen der LBK anhand ihrer Keramik auf einem Auflösungsniveau von zwei Dekaden zeitlich einzuordnen, was in jedem Falle feiner ist, als die Auflösungsgenauigkeit physikalischer Altersbestimmungen. Erkenntnisse über die neolithischen Kulturgruppen in Hessen waren bereits am Ende des 19. Jahrhunderts vorhanden und Werke zu verschiedenen dieser Kulturgruppen sind im Laufe der Jahrzehnte viele erschienen.1 Als bedeutendste Arbeit zu diesem Forschungsgebiet kann wohl Walter Meier-Arendts „Die bandkeramische Kultur im Untermaingebiet“2 aus dem Jahr 1966 gelten – seine Phaseneinteilung der LBK wird bis zum heutigen Tage als Chronologiegerüst3 verwendet. Doch auch die vergangenen Jahre haben zahlreiche neue Fundstellen und Funde der LBK in Hessen erbracht, man denke nur an Frankfurt Nieder-Eschbach, Friedberg-Bruchenbrücken4 oder die Arbeiten von Saile5 oder Schade6. Ebenso von Bedeutung war die Erschließung von Neubaugebieten wie z.B. 2003 in Bruchenbrücken unter Lüning in Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege Hessen7 und der Bau der Bundesstraße 3a. Es erschienen immer wieder Arbeiten zu Fundstellen in Hessen8 und im Jahr 1998 schließlich ein Überblickswerk von Kneipp9. Eine Publikation, die sich mit dem aktuellen Stand an Fundstellen und besonders mit den neuen Fragen an die Chronologie der LBK befasst, fehlt bisher.10 Hessen und besonders die Wetterau sind reich an bandkeramischen Funden und Fundstellen, doch eine detaillierte und typologisch hochaufgelöste Bearbeitung existiert nicht flächendeckend. Dies gilt besonders für die Erfassung der Keramik – auch zur Erstellung relativchronologischer Abfolgen und stilistischer Typologien. Den Ausgangspunkt für die vorliegende Aufarbeitung der LBK in Mittelhessen bildete die Fundstelle Bad Nauheim–Nieder-Mörlen „Auf dem Hempler“11, die seit über 50 Jahren bekannt ist und zwischen 1997 und 2001 vom Landesamt für Denkmalpflege Hessen (hessenARCHÄOLOGIE) ergraben wurde. Diese Fundstelle lieferte 3360 Befunde12, worunter sich etwa 120 Hausbauten, 35 Grubenöfen13 sowie 15 Siedlungsbestattungen aus der Zeit der LBK befanden. Die Ansiedlung war von dichter Bebauung, absoluter Siedlungskontinuität und einer sehr langen Belegungsdauer gekennzeichnet, was den Ort als Ausgang für die Erstellung einer Relativchronologie ideal macht.14 Da vor der erneuten Bearbeitung der Kenntnisstand auf dem Gebiet der LBK in Hessen, zwar nicht gerade unzureichend war, aber das Wissen besonders hinsichtlich der Keramikinventare der mittleren und jüngeren LBK zahlreiche Lücken aufwies, versprach man sich von der Aufarbeitung der Funde, ebendiese zu füllen. In diesem Zusammenhang konnte es gelingen, der lückenlosen Erfassung des Keramikspektrums der LBK immer näher zu kommen und die relativchronologische Einordnung von Fundplätzen weiter zu präzisieren. Dazu konnte das Material aus Bad Nauheim–Nieder-Mörlen „Auf dem Hempler“ auch in die Datenbank „Bandkeramik Online“15 einfließen, die sich eben jenen Zielen widmet. Zudem weist die Keramik auf Fremdelemente und somit auch Kontakte mit anderen Kulturgruppen, deren Mechanismen noch untersucht werden müssen. Darüber hinaus präsentieren sich im Fundmaterial zahlreiche Hinweise auf arbeitsteilige Prozesse, deren Charakter diskutiert werden muss. Desweiteren lieferte Bad Nauheim–Nieder-Mörlen „Auf dem Hempler“ auch eine immense Anzahl an keramischen Sonderformen, die im Kontext bandkeramischer Alltags- und Glaubensvorstellungen interpretiert und einen Beitrag zur Kenntnis der historischen Realität leisten können.16 Doch Nieder-Mörlen steht keineswegs isoliert: Es war Teil einer historischen Siedlungslandschaft, deren Erscheinungsbild komplexen Prozessen unterworfen und von den sozialen Strukturen der LBK-Bevölkerungsgruppen geprägt war. Daher war es in dieser Arbeit notwendig, zusätzlich andere Ansiedlungen der LBK in Mittelhessen und angrenzenden Gebieten aufzuarbeiten, die im Zusammenhang standen und sich in Existenz und Struktur gegenseitig bedingten. Hierunter sind Karben-Okarben, Wöllstadt A4, Wöllstadt A6, Limburg-Eschhofen, Großseelheim 4, Friedberg B3a km 19, Idstein-Walsdorf, Hain-Gründau und Leihgestern 78 zu nennen. Nur so konnte es gelingen, ein umfassendes neues relativchronologisches Gerüst der mittelhessischen LBK-Keramik zu erstellen. Nach der Auswahl des geeigneten Materials für das Dissertationsvorhaben zur Bandkeramik in Mittelhessen musste dieses aufgenommen werden. Hierzu wurden alle in Frage kommenden Funde in eine Datenbank eingegeben. Dadurch konnte der Datensatz schließlich in eine rechteckige Matrix überführt werden. Dabei wurden die Merkmale der Keramiken direkt codiert auf der Grundlage von „Bandkeramik Online“. Hinter „Bandkeramik Online: Merkmalskatalog zur Aufnahme verzierter Keramik“ verbirgt sich ein Manuskript, das unter dem Namen auch auf der betreffenden Homepage erhältlich ist. Es stellt eine überarbeitete Erweiterung des SAP-Systems dar, das sich auf die Aufnahme und Codierung von Merkmalen der Keramik aus dem Forschungsprojekt zur Siedlungsarchäologie der Aldenhovener Platte (SAP) im rheinischen Braunkohlerevier bezog und von Petar Stehli entwickelt wurde. Dieses System war seit 1973 lange Jahre Grundlage für die Keramikaufnahme vieler Arbeiten und wurde stetig erweitert. Ab 1987 arbeiteten Stehli und jetzt außerdem Hans-Christoph Strien an der Erweiterung dieses vereinheitlichten Merkmalkatalogs und zahlreiche Forscher ließen ihre Ergebnisse dort einfließen.17 Die Aufnahme der Keramik teilt dabei die Verzierungen in Rand-Verzierung, Metopierungen, Bänder, Bandunterbrechungen, Bandabschlüsse und Zwickel.18 Eines der Charakteristika von Bandkeramik Online ist, dass es als System konzipiert wurde, welches sich ständig im Progress befindet, sich in bereits bestehenden Daten überarbeiten und verändern lässt. Zudem kann der Merkmalskatalog bei Bedarf um Merkmale erweitert werden, ohne das Aufnahme-System ändern zu müssen. Dies ist besonders wichtig, da sich Merkmale oft erst als chronologisch relevant erweisen, wenn die Datengrundlage groß genug ist, dass sie sich rechnerisch nachweisen und statistisch darstellen lassen. Das Vorgehen nach diesem Katalog sollte die früher allgegenwärtige Problematik vermeiden, dass gleiche Verzierungen in jeder Arbeit neu codiert und für Vergleiche aufwändige Konkordanzlisten erstellt werden mussten. Zumal dies bei dem stetig anwachsenden Material bereits jetzt kaum noch zu bewältigen wäre. Neben den codierbaren Elementen der Keramiken steht zudem das äußere Erscheinungsbild, worunter auch die „technischen“ Kategorien zu nennen sind. Es muss diskutiert werden, ob die Art der Ausführung und des dazu verwendeten Gerätes künftig eigene Kategorien bilden sollten. Ebenso verhält es sich mit Orientierungen von Motiven und Verzierungselementen. Zur Analyse der mittels „Bandkeramik Online“ aufgenommenen Daten zur Keramik der LBK aus Mittelhessen kamen statistische Methoden zur Anwendung. Die multivariate Statistik ist eine Disziplin, die der LBK-Forschung in puncto Auswertung viel zu bieten hat und ihre Abkömmlinge „Seriation“ und „Korrespondenzanalyse“ – beides Varianten der Kombinationsstatistik – finden bereits seit langen Jahren regelhafte Anwendung. Grundlegende Idee dieser Methoden ist, dass sich eine Entwicklung zeigt, deren Merkmale durch Veränderungen geprägt sind, die chronologisch bedingt sind und dass man diese statistisch darstellen kann. Solche chronologisch sensiblen Merkmale sind auch die linienbandkeramischen Verzierungen.19 Im Anschluss an die Aufnahme wurden die Daten einer zuvor generierten Matrix in ein Programm20 eingespeist, um zunächst über bestimmte Sortierfunktionen eine Seriation zu erreichen und im Anschluss eine Korrespondenzanalyse durchzuführen. Danach erfolgte die Auswertung dieser Analysen, denn sie liefern keine absoluten Ergebnisse, sondern sind Ausdruck einer relativen Entwicklung und müssen durch den Bearbeiter interpretiert werden. Die Auswertung der beschriebenen Analysen kann auf verschiedenen Wegen geschehen, doch in diesem Dissertationsvorhaben stand die Erstellung einer Relativchronologie im Vordergrund. Dabei wurde anhand der multivariaten Statistiken die exakte Entwicklung der keramischen Verzierungen verfolgt, um diese in Stilphasen einzuordnen. Als Grundlage für die chronologische Stufengliederung dienten die Arbeiten von Walter Meier-Arendt, der die LBK in die Keramik-Stufen I (älteste) bis V (jüngste)21 einteilte. Dieses Grundgerüst wurde allerdings erweitert und präzisiert, um dem neuen Kenntnisstand im Bezug auf die LBK in Mittelhessen gerecht zu werden. Der Versuch, quantitative Analysen von Netzwerken in der Geschichtsforschung zur Anwendung zu bringen, besteht in seinen Grundzügen bereits seit den 1960er und 1970er Jahren22, doch erst seit der Jahrtausendwende hat die Netzwerkanalyse zur Erforschung und Modellierung sozialer Zusammenhänge verstärkt in die Archäologie Einzug gehalten.23 Für die Erfassung von Identitäten sozialer Gruppen innerhalb der Bandkeramik ist das Verfahren noch immer als problematisch einzustufen.24 Daher werden in diesem Zusammenhang lediglich Potential und Problematiken des Verfahrens diskutiert. Es kann abschließend konstatiert werden, dass die Bandkeramik keinesfalls als archäologische Kultur betrachtet werden kann, die bereits alle ihre Geheimnisse preisgegeben hat.

2 Forschungsgeschichte und Forschungsstand

Die Linienbandkeramik (LBK) in Hessen im Allgemeinen und in Mittelhessen im Besonderen kann bereits auf eine lange Forschungstradition zurückblicken. Die Forschungsgeschichte der LBK25 per se würde wohl zahllose Seiten füllen, daher soll hier der Fokus auf der Forschungsgeschichte der LBK in Mittelhessen und besonders der Wetterau liegen.

Heute liegt die Wetterau mit ihrem eponymen Fluss Wetter nördlich von Frankfurt am Main in Hessen. Im Westen der Wetterau finden sich diverse Quellen und noch letzte Ausläufer des Taunus (östlicher Hintertaunus), wogegen sich im Osten solche des Vogelberges und des Spessarts zeigen. Das Gebiet öffnet sich hin zum Untermaingebiet und zum Mittelrhein. Erwähnung fanden die zahlreichen archäologischen Fundstellen der Wetterau schon 1730 in Johann Georg Liebknechts Werk „Hessiae subterraneae specimen“, der sein Opus zudem mit entsprechenden Abbildungen illustrierte.26 Die Beschäftigung mit der Geschichte der Region fokussierte sich zunächst allerdings auf die neuere Geschichte. Dies ist durchaus naheliegend, gibt es doch in der Wetterau unzählige Baudenkmäler aus der Zeit der Romanik und Gotik und anderer architektonischer Epochen.27 Neben diesen Baudenkmälern waren die historischen Bilder und Kupferstiche, aber auch die schriftlichen Aufzeichnungen, die sich erhalten haben, ein Grund dafür, dass dieser Teil der Geschichte der Wetterau stets präsent war. Die Zeit der Wirren der Christianisierung und die Zeiträume, während derer die Wetterau den Merowingern unterstand und anschließend dem fränkischen Reich, erfreuten sich bereits im 19. Jahrhundert einigem Interesse. Je weiter es in der Historie zurückgeht, umso spärlicher werden allerdings die Erkenntnisse aus der Forschungsgeschichte vor dem Ende des 20. Jahrhunderts. So sorgten die Überreste des Limes und einiger Kastelle der Wetterau dafür, dass die Kenntnisse über das Aussehen der Landschaft zur Römerzeit bereits am Beginn des 19. Jahrhunderts verhältnismäßig gut waren. Seitdem in den Jahren 1812 und 1821 die Geschichts- und Altertumsvereine der Wetterau gegründet worden waren und in ganz Hessen weitere folgten, wurde eine systematische Limesforschung betrieben und regelmäßig erschienen darüber Publikationen.28 Doch noch bis in die 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts waren die Informationen über die vorangegangenen Epochen der Eisenzeit, Bronzezeit und besonders des Neolithikums oftmals recht diffus. Zwar waren einige Fundstellen bekannt – man denke hier nur an den Glauberg – doch es verging noch einige Zeit, bis die archäologischen Vorgänge zutreffend interpretiert wurden.29 Nachdem 1836 das Dreiperiodensystem, bestehend aus Steinzeit, Bronzezeit und Eisenzeit, „erschaffen“ worden war, erschien ein weiteres maßgebliches Werk zur Archäologie der Wetterau, als Johann Philipp Dieffenbach ab 1843 sein „Zur Urgeschichte der Wetterau, zugleich als Beitrag zur Alterthumskunde“ in Band 4 des „Archivs für Hessische Geschichte und Alterthumskunde“30 veröffentlichte. Die zeitlichen Vorstellungen um 1843 hatten kaum etwas mit der historischen Realität gemein, da der Glaube an die biblischen Berichte der Geschichte eine Datierung vor die Zeit der Römer und Kelten verbot. Auch wenn Dieffenbach sich die zeitlichen Dimensionen nicht vorstellen konnte, leistete er eine herausragende Bearbeitung des Fundmaterials. Sein Sohn Gustav Dieffenbach setzte seine Arbeit durch seine Sammlungstätigkeit fort. Ein weiterer bemerkenswerter Ausgräber war Oberst K. A. von Cohausen, der 1874 in den Steedener Höhlen im Lahntal bei Limburg Gefäßfragmente des Mittelneoltihikums aber auch der LBK bergen konnte.31 Nach und nach erschienen weitere Arbeiten, die die Ergebnisse von Ausgrabungen, Lesefunden und Raubgrabungen dokumentierten, wie z.B. Philip Alexander Ferdinand Walthers „Die Alterthümer der heidnischen Vorzeit innerhalb des Großherzogtums Hessen, nach Ursprung, Gattung und Örtlichkeit“32 von 1896, Adam Hammerans „Urgeschichte von Frankfurt a.M. und der Taunus-Gegend“ von 1882 oder Rudolf Adamys „Großherzogliches Hessisches Museum. Die archäologischen Sammlungen. Verzeichnis ihrer Bestände auf Grund der Neuordnung“33 von 1897. Im Jahr 1913 schließlich kam das grundlegende Werk seiner Zeit zur Siedlungsgeschichte von G. Wolff heraus: „Die südliche Wetterau in vor- und frühgeschichtlicher Zeit, mit einer archäologischen Fundkarte“34. C. Koehl etablierte schließlich eine Abfolge der Kulturen Hinkelstein – Rössen – Großgartach – Bandkeramik.35 Ein weiterer Meilenstein war Otto Kunkels „Oberhessens vorgeschichtliche Altertümer“36 von 1926 mit einer Aufnahme aller Funde und Literatur. Hier fanden erstmals auch in Teilen zutreffende Jahreszahlen zur Periodisierung der Vor- und Frühgeschichte Verwendung.37 Die heute bekannte LBK-Fundstelle Leihgestern im Landkreis Gießen konnte bereits ab dem Jahr 1908 als solche untersucht werden.38 Seit man 1911 bei Treis auf Knochen von Tieren der Eiszeit stieß, wurde bereits gemeinhin die Präsenz des Menschen in der Region während des Paläolithikums angenommen. Als Heinrich Richter mit einem Team dort 1924 auch Artefakte fand, nutzte Karl Schuchardt dies in seiner „Vorgeschichte von Deutschland“39 zur Postulierung eines paläolithischen Wohnplatzes.40 Die Forschung hatte zu diesem Zeitpunkt bereits eine recht weitreichende Vorstellung von der Dauer der Anwesenheit der Menschen in der Wetterau und Umgebung. Diese Entwicklung gipfelte in den 1970er Jahren darin, dass der Kreispfleger Herbert Krüger ein Geröllgerät-Paläolithikum in der nördlichen Wetterau feststellte, dem er eine Zeitstellung von vor mindestens 600.000 Jahren zuwies.41 Fiedler definierte später ein „Protoacheuléen“ des Homo erectus.42 Auch Erkenntnisse über die neolithischen Kulturgruppen waren bereits am Ende des 19. Jahrhunderts vorhanden. Erkannte man doch beispielsweise die Keramik der Rössener Kultur in der Wetterau recht früh durch einen Vergleich mit dem Material aus dem 1889 gefundenen eponymen Gräberfeld.43 Auch die Fundstellen der Linienbandkeramik um Friedberg und Bad Nauheim wurden als eben solche eingeordnet, was zu diesem Zeitpunkt der Forschungsgeschichte keineswegs selbstverständlich war.44 In den 1920er Jahren reifte zunehmend die Vorstellung einer chronologischen Gliederung heran: Hatte man zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch häufig archäologische Hinterlassenschaften nach räumlichen Begrenzungen definiert, wie beispielsweise die „Wetterau-Keramik“, so gingen derartige Einordnungen nun über zu Phaseneinteilungen, wie dem chronologisch verstandenen „Wetterauer Typus“.45 Während sich Koehl vorwiegend noch auf die reine Typenkunde stützte, um seine Phasen zu definieren und somit die Entwicklung in der Keramik von den einfachen hin zu den komplizierteren Motiven ordnete, ging W. Buttler in seiner Dissertation von 1929 methodisch-stratigraphisch vor und bezog gesicherte Befunde aus Westböhmen zu seiner Unterteilung in eine ältere und eine jüngere Bandkeramik heran. Er erkannte zudem bereits die späte Stellung der Hinkelstein-Inventare.46 Entsprechende Ausgrabungen in Köln-Lindenthal ließen den Forscher eine mittlere LBK-Phase ausmachen.47 Werke zu einigen neolithischen Kulturgruppen – nachdem diese nun auch als solche erkannt worden waren und eine reale Vorstellung über die zeitliche Ausdehnung der Epochen entstanden war – erschienen ab den 1940er Jahren. Man denke nur an Armin Strohs „Die Rössener Kultur in Südwestdeutschland“; erschienen 1940 im Bericht der Römisch-Germanischen Kommission 28.48 Neuen Aufwind bekam die Erforschung der LBK 1936 durch die Grabungen an der bandkeramischen Siedlung von Griedel unter der Betreuung von H. Richter49 und W. Jorns, deren Ergebnisse jedoch erst nach der einschneidenden Unterbrechung durch den 2. Weltkrieg veröffentlicht wurden.50 Ein recht treffendes Bild von der „linienbandkeramischen Landschaft“ zeichnet ebenso Kerber in seinem Werk „Gießen und die Wetterau“ 1964. Doch in gewissem Maße „leidet“ auch dieses Werk unter den damaligen (Fehl-) Interpretationen der linienbandkeramischen Lebensweise. Auch die allgegenwärtige Fehldeutung der Behausungen als „umzäunte Wohngrubenhäuser“ ist präsent.51 Allerdings waren durch E. Sangmeister die charakteristischen bandkeramischen Rechteckhäuser mit Pfostengruben, Wandgräbchen und Längsgruben bereits nahezu 20 Jahre zuvor als die typische Hausform der LBK in Mitteleuropa deklariert worden.52 Zentral war das Erscheinen von H. Müller-Karpes Werk von 1951 zur niederhessischen Vorgeschichte, das eine Verbreitungskarte zur LBK aufweist.53 O. Uenze erbrachte 1956 einen Überblick zum nordhessischen Neolithikum unter Berücksichtigung der LBK, dem es jedoch an gesicherten stratigraphischen Zusammenhängen zur Unterteilung der Kulturen LBK, Großgartach und Rössen ermangelt.54 In den Nachkriegsjahren war keine derart rege Ausgrabungstätigkeit zu beobachten, trotzdem fanden auch zu diesem Zeitpunkt wichtige Forschungen statt: Es seien hier F.-R. Hermann, C. Ankel, G. Bosinski und H. Quitta genannt.55 Letzterer kann gleichsam als der „Vater“ der ältesten Bandkeramik gelten, deren Begriffsbezeichnung er 1960 prägte. Eine bahnbrechende Arbeit, die bis heute noch in vielen Teilen Gültigkeit hat, erschien 1966 mit Walter Meier-Arendts „Die bandkeramische Kultur im Untermaingebiet“56. Er war es, der damit die erste umfassende Materialstudie zum hessischen Altneolithikum vorlegte und gleichzeitig eine Einteilung der LBK in fünf Stilphasen wagte: Die erste Stufe der ältesten LBK, die zweite Stufe der älteren LBK (Flomborn) sowie die Stufen drei bis fünf, die mit vermehrten Winkelbändern und Stichverzierungen die jüngeren Phasen repräsentieren. Schließlich wird dort auch für eine ältere Zeitstellung der Großgartacher Kultur gegenüber Rössen plädiert. Seine Phaseneinteilung der LBK der Region besteht bis heute als Grundlage vieler Systeme zur bandkeramischen Stilentwicklung.57 Von Interesse ist daneben Meier-Arendts Abhandlung zur Forschungsgeschichte der Linienbandkeramik in o.g. Werk, in der auch die Wetterau ein zentrales Thema darstellt. Hier kommen einmal mehr die Wirren zur Geltung, die sich in der Bandkeramik-Forschung ab Beginn des 20. Jahrhunderts bis in dessen 40er Jahre zeigten. Als Beispiele seien der Begriff der „Wetterau-Keramik“ noch einmal genannt, den Wolff 1907 prägte sowie die vielen anderen regional-benannten Typen, die sich an Grabungen fanden und die die damalige Forschungstradition davon zu unterscheiden meinte.58 In den 1980er Jahren blühte die Erforschung diverser linienbandkeramischer Fundstellen, zu denen auch die Plätze der Ältesten Bandkeramik in Frankfurt Nieder-Eschbach und Friedberg-Bruchenbrücken gehörten. Dies geschah v.a. unter der Leitung von Jens Lüning.59 Besonders die Bemühungen um die Erkenntnisse zur Entstehung der LBK wurden intensiviert. Unter den bedeutenden Forschungen waren u.a. solche zur Gruppe La Hoguette und den Entwicklungen im südosteuropäischen Raum. Maßgebend für neue Ansätze zu Methodik und Besiedlungsabläufen waren P. Stehlis Arbeiten im Merzbachtal60, der schließlich auch eine Gesamtseriation der Keramiken von dort mit denen Meier-Arendts durchführte und somit den statistischen, mathematisch-ordnenden Verfahren zur Anwendung im Bereich der Relativchronologie zu neuem Ansehen verhalf. Ab Beginn der 1990er Jahre hielt die Luftbildarchäologie zur Dokumentation neuer und dem Auffinden bereits bekannter Fundstellen in der Wetterau Einzug61 und es erschienen nach den regen Grabungstätigkeiten in den 80er Jahren desselben Jahrhunderts weitere wichtige Arbeiten zur „linienbandkeramischen Wetterau“. Von diesen beschäftigten sich zwar viele, wie z.B. Sailes Publikationen62, besonders mit der nördlichen Wetterau, doch Rupps „Archäologie der Wetterau“ von 199163 behandelt die gesamte Region. Darüber hinaus sei hier die Aufarbeitung der Siedlung in Friedberg-Bruchenbrücken aus der Ältesten Linienbandkeramik erwähnt, die 1997 unter J. Lüning erschien64, der an den Ausgrabungsarbeiten der Region in den 1980ern maßgeblich beteiligt war. Die Wetterau scheint mit bandkeramischen Fundstellen geradezu „gepflastert“ zu sein: Bereits als Meier-Arendt 1966 sein Werk veröffentlichte, nannte er schon allein aus dem Landkreis Friedberg 35 Fundorte65 und bei Kneipp schlagen die Fundstellen 245 bis 354 für den Wetteraukreis66 zu Buche. Auch das neue Jahrtausend brachte weitere Funde in der Wetterau und darunter besonders in Friedberg. Bis zum Jahr 2000 hatte die nördliche Wetterau eine detaillierte Untersuchung durch die Prospektionstätigkeiten unter J. Lüning erfahren, woraus schließlich Christoph Schades Arbeit zur Besiedlungsgeschichte der nördlichen Wetterau mit einer Analyse von 39 Fundstellen resultierte.67 Als 2003 ein Neubaugebiet im Bereich Friedberg erschlossen wurde war es wiederum Lüning, der in Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege Hessen die Arbeiten an den neuen Funden bei Bruchenbrücken u.a. übernahm.68 Bereits ab dem Jahr 2007 folgte ein weiteres wichtiges Bauprojekt, das weitere linienbandkeramische Hinterlassenschaften zu Tage förderte: Mit dem Bau der als B3a bezeichneten Bundesstraße entstanden seit dieser Zeit Ortsumgehungen um bandkeramische Fundstellen wie Friedberg und Karben sowie Wöllstadt und im Bereich der Trassenführung wurden zahlreiche linienbandkeramische Funde und Befunde – darunter auch Hausgrundrisse und Bestattungen – freigelegt.69 Es existieren bereits zahlreiche Werke, Berichte und Artikel70 über einzelne Fundstellen und einige mehrere Fundstellen-übergreifende Werke, man denke nur an die Arbeiten von Jürgen Kneipp, Christoph Schade71 und Sabine Schade-Lindig72, doch ein Komplett-Werk lässt noch auf sich warten. Die Wetterau stellt weder naturräumlich, noch geologisch oder archäologisch eine Einheit dar, was ein Überblickswerk problematisch erscheinen lässt. Der Forschungsstand zu Fauna und Viehwirtschaft im Neolithikum birgt eine weitere forschungsgeschichtlich bedingte Schwierigkeit, denn er krankt in Deutschland noch vielfach an „[…] dem Mangel an modern ergrabenem Material, aber auch an der Aufarbeitung vorhandener Bestände.“73, wie Lüning einst bereits treffend feststellte. Die vergangenen beiden Jahrzehnte erbrachten zwar verschiedene entsprechende Arbeiten zur LBK74, jedoch harren noch zahlreiche Bestände, wie beispielsweise die Faunenreste der Fundstelle Friedberg B3a km 19, einem Bearbeiter.75 Eine weitere Sonderstellung kommt innerhalb der Forschungsgeschichte den Netzwerkanalysen zu den Kulturkontakten und Agglomerationsprozessen der LBK zu: Der Versuch, quantitative Analysen von Netzwerken in der Geschichtsforschung zur Anwendung zu bringen, besteht in seinen Grundzügen bereits seit den 1960er und 1970er Jahren76, doch erst seit der Jahrtausendwende hat die Netzwerkanalyse zur Erforschung und Modellierung sozialer Zusammenhänge verstärkt in die Archäologie Einzug gehalten.77 Dominiert wird diese Disziplin bis in die Gegenwart von den Epochen der frühen, mittleren und neueren Geschichte.78 Doch auch der Vorgeschichtsforschung haben diese Methoden viel zu bieten. Für die Jungsteinzeit im Allgemeinen und darunter die LBK-Forschung im Besonderen ist hier Erich Claßen hervorzuheben, der sich seit nunmehr 15 Jahren den sozial-archäologischen Untersuchungen neolithischer Funde und Befunde widmet.79 Durch die Neufunde der vergangenen Jahre zeichnet sich zweifellos die Fortsetzung der bandkeramischen Forschungstradition in Mittelhessen ab und Prospektionen lassen auch für die Zukunft kein Abreißen derselben vermuten.

3 Arbeitsgebiet – Geographie und Geologie, Klima und Naturraum

Das Arbeitsgebiet der untersuchten Fundstellen erstreckt sich über die Region Mittelhessen mit den Fundstellen Bad-Nauheim–Nieder-Mörlen „Auf dem Hempler“, Wöllsdtadt A6 „Nasse Tränke“, Wöllstadt A4 (2013/08), Karben (2014/65), Limburg-Eschhofen A3, Idstein-Walsdorf „Auf der Weide“, Großseelheim 4, Friedberg B3a km 19, Leihgestern 78 und Hain-Gründau. Hinzu treten Vergleichsfundstellen, wie Niederdorfelden80, die von anderen Bearbeitern aufgenommen wurden, deren Materialdaten jedoch in die vorliegende Arbeit Eingang gefunden haben. Es fällt auf, dass ein Großteil genannter Fundplätze in der hessischen Wetterau gelegen ist, die ihren Namen dem Bach Wetter verdankt. Diese altbekannte neolithische Lösssiedellandschaft stellt sich als nördliche Fortsetzung der Oberrheinischen Tiefebene als zentraler Teil des Rhein-Main-Tieflandes dar und reicht bis in die Mittelbgebirgszone hinein. Im Westen der Wetterau grenzt der Taunusabfall an, im Osten die Nidda-Aue sowie im Nord-Osten die Wetter-Aue und die tektonisch bedingte Hochscholle des „Bellersheimer Horst“. Geologisch gesehen ist die Wetterau Teil der hessischen Senke als Fortsetzung des Rheingrabens und verbindet die nördlich von ihr liegenden Bereiche. Die Wetterau erscheint als flachwellige Landschaft mit fruchtbaren Lössböden für intensive Landwirtschaft, die durch die bewaldeten Rücken der umgebenden Mittelgebirge überragt wird. Wichtigster Entwässerer der Wetterau ist die Nidda, hinzu kommen vom Vogelsberg aus fließend die Nidder, aus dem Taunus die Usa, der Erlenbach, der Eschbach und der Urselbach. Die Nidda mündet bei Frankfurt in den Main, die Kinzig bei Hanau. Letztere kann als Südost-Begrenzung der Wetterau fungieren. In der Topographie finden sich niedrige Höhen bis zu 250 m NN, die das Klima günstig gestalten. Die Bewaldung fokussiert sich auf die Rücken der Höhenzüge, wobei basaltische Erosionsrelikte, Taunusquarzit-Reste oder Rotliegendes sowie Buntsandstein den Untergrund formen. Solcher Buntsandstein findet sich häufig in den Rohmaterialspektren neolithischer Mahlsteinnutzung wieder. Als zentrale Wetterauer Orte können das nördliche Butzbach und zudem Bad Nauheim und Friedberg im Zentrum gelten, deren bandkeramische Hinterlassenschaften in der vorliegenden Arbeit von zentraler Bedeutung sind. Das Mittelgebirge des Taunus ist im Südwesten gelegen und erstreckt sich von dort nach Südosten. Die markanten Erhebungen des Eichberges und des Johannisberges liegen in unmittelbarer Nähe zu Bad Nauheim. Nach den Taunusausläufern im Norden sind im Westen das Rheinische Schiefergebirge mit dem Hintertaunus zu nennen, bevor sich die Wetterau in die Butzbacher Bucht und im Südwesten in die Fauerbacher Bucht einbringt. Die Vorkommen des Quarz- und Quarzitkies verdankt die Wetterau der jüngsten Hebung des Taunus im Miozän und Pliozän. Für die östliche Begrenzung der Wetterau – den Vogelsbergbereich – waren vulkanische Aktivitäten prägend, deren basaltische Ergüsse auch bis nach Bad Nauheim und Frankfurt reichten. Um den Glauberg bei Glauburg liegen variszische Züge des Rotliegenden und nach Nordosten abtauchend die Schichten des Unteren Buntsandstein vor. Weiter östlich liegt der Büdinger Wald mit wenig fruchtbarem Buntsandstein-Untergrund. Über dem basaltischen Bereich des eigentlichen Vogelsberges ist in einem abgeflachteren Areal wieder Landwirtschaft (Streuobstwiesen u.a.) möglich.81 Die Buntsandsteinablagerungen können eine Gesamtmächtigkeit von 600 m erreichen: Der Untere Buntsandstein besteht vorwiegend aus feinkörnigen, eher instabilen Sandsteinen; der Mittlere Buntsandstein aus mittel- bis grobkörnigen, sehr stabilen Bänken und der Obere Buntsandstein aus einer feinklastischen Ausbildung. Letzterer zeigt zumeist eine kräftige rote Färbung. Ebenfalls von Interesse ist der in der südlichen Wetterau in bis zu 10 m Mächtigkeit vorliegende Glimmersand, der als glimmerführender Schluff bis Feinsand charakterisiert werden kann. Aufgrund der geringen Verwitterungsresistenz steht er heute nicht mehr an der Oberfläche an.82 Ab dem mittleren Tertiär kam es in der Wetterau zu tektonischen Absenkbewegungen, die ein differenziertes Relief aus Becken- und Schwellzonen schufen. Im Mitteloligozän fand durch das Eindringen des Meeres eine Ablagerung von marinen und im Anschluss von Süßwassersedimenten wie Sand und Mergel statt. Durch den Vogelbergvulkanismus ergossen sich schließlich im Untermiozän Basaltströme in die Wetterau, die oftmals die heutigen erhabenen Reliefteile der Landschaft bilden. Eine Landphase mit tropischen Klimabedingungen und intensiver Bodenbildung folgt im Jungtertiär. Am Übergang vom Tertiär zum Quartär kam es zu einem abrupten Klimawandel – während der Kaltzeiten wurde der Löss abgelagert und dieser ist durch die Verbreitung und Mächtigkeit bis zum heutigen Tag von landschaftsbestimmendem Charakter. In der Wetterau findet sich dieser Löss auf tertiären Sanden und Mergeln aufliegend und ältere Schotterterrassen der Wetter werden durch ihn überdeckt. Im Übergang zur Aue der Wetter taucht der Löss dann unter dem holozänen Auenlehm ab, der besonders aus der Ackerwirtschaft des Mittelalters stammt. Im Atlantikum, das die Klima-Periode der LBK bildet, entkalkten die Böden und es kam zu einer Verringerung des Humusgehaltes sowie einer Tonneubildung durch Verwitterung und einer Verlagerung der Tonpartikel in den Unterboden. Diese Vorgänge waren die Geburtsstunde der typischen Bodenhorizonte der Parabraunerde. Zu diesem Zeitpunkt in der geologischen Geschichte trafen die bandkeramischen Siedler im Arbeitsgebiet ein. Heutzutage liegt jedoch durch postneolithische Bodenerosion teilweise wieder der Löss zuoberst.83

Für die Rekonstruktion neolithischer Landschaften und Lebensweisen ist auch die Archäobiologie von zentraler Bedeutung. Hinsichtlich der Vegetation lassen sich für Früh-, Mittel- und Jungneolithikum keine Unterschiede in der Intensität der Landnutzung in den Pollendiagrammen ausmachen. Die Pollendiagramme aus dem Vogelsberg deuten auf anthropogene Aktivitäten bei der Waldauflichtung hin, die durch Brandrodung mit der Intention der verbesserten Unterwuchsqualität für Viehweide entstanden sein könnten.84 Klimatisch ist die Zeit der Linienbandkeramik in das Holozän und hierbei in das Atlantikum einzuordnen. Generell war im Neolithikum die Jahresmitteltemperatur um 2°C höher als heute und es kann für das 7. bis 5. Jahrtausend BC von einem Klimaoptimum gesprochen werden.85 Dadurch wurde die Ausbreitung von Laubbäumen gefördert.86 Vorherrschend war hinsichtlich der Vegetation der Eichenmischwald (Eiche, Ulme, Linde, Esche, Ahorn) mit Hasel. Außerdem begannen Erlen aufzutreten und auch Gräser und andere Kräuter prägten das Bild; Efeu und Mistel sind charakteristisch für das Klima. Nach Untersuchungen von Pollendiagrammen in den vergangenen Jahren muss das bisher in der Forschung dominierende Bild der altneolithischen Eichenmischwälder bedingt eingeschränkt werden: Diese Pollenspektren ergaben für die zweite Hälfte des Atlantikums ein wesentlich differenzierteres Bild der Bewaldung in Mittelhessen. Die von den bandkeramischen Populationen angetroffenen Wälder waren in ihrer Zusammensetzung vorwiegend bedingt durch die Höhenlage und den mittleren Jahresniederschlag. Sowohl für die Wetterau, als auch das nördliche Oberrheingebiet zeigten die Pollenanalysen im Gegensatz zur vorherrschenden Forschungsmeinung keine reine Eichen-Dominanz, sondern vielmehr eine Tendenz zur Kiefer. In den Tieflagen der Region Mittelhessen konnten somit Kiefernmischwälder rekonstruiert werden, die bei einem Jahresniederschlag von 650 mm gedeihen und in unterschiedlichem Maße Eiche, Esche, Ulme, Linde und Hasel beherbergten. In den mittleren Höhen mit häufigeren Niederschlägen stiegen die Anteile an Linden, mit weiter steigender Höhe folgten Ulme und Hasel als dominante Arten im Gehölzspektrum.87 Für die Zeit der Linienbandkeramik sind auch Getreide bereits durch Pollen nachweisbar.88 Zunächst besiedelten die bandkeramischen Bevölkerungsgruppen lediglich die Trockengebiete der für den Ackerbau ideal geeigneten Schwarzerdegebiete, die sich durch 7° – 9° durchschnittlicher Jahrestemperatur und 600 mm Niederschlag auszeichneten. Erst in der älteren LBK rückten zunehmend niederschlagsreichere Regionen, wie z.B. das Niederrheingebiet, in den Fokus der Siedlungstätigkeit. In diesen Schwarzerdegebieten können Wälder als Bewuchs im Neolithikum angenommen werden.89 Für die Rekonstruktion der Wälder sind der prozentuale Anteil an Gehölzphasen und auch die Einflussfaktoren wie Beeinträchtigungen von Bäumen durch Wettereinwirkung oder Herbivoren entscheidend. Ausdehnung und Struktur des Kronendachs führen zu eher geschlossenen oder offenen Wäldern90 mit unterschiedlich beschaffenem Unterwuchs, der für die Viehfütterung der domestizierten Herbivoren in der LBK eine Rolle spielte. Regenrationszyklen von Wäldern unterliegen der Ausschlagfähigkeit, Regenerationsmöglichkeit durch Samen / Früchte und Konkurrenzfähigkeit ihrer Bäume sowie deren Erträglichkeit, Zerstörungen und Verbiss zu überdauern. Zu den maßgeblichen Beeinflussern des Unterwuchses zählen der Bieber, der durch das Abschälen von Rinden Bäume zerstören kann, sowie das domestizierte Schwein, das durch massives Umwühlen des Bodens dessen Bewuchs zu fördern vermag.91 So sind für die Wetterau zwei Gebiete zu unterscheiden: Um Münzenberg herum liegt die sogenannte „Trockeninsel“ der zentralen Wetterau, die eine niederschlagsarme Region bezeichnet. Während des Atlantikums zeigte sich in der Wetterau sonst der für diese Klima-Periode typische Laubwald mit Esche, Eiche, Ulme und Linde, die die Hasel zurückdrängt. Die Linde dominierte besonders die höher gelegenen Lössflächen mit höheren Niederschlags-Werten und die Esche die Hartholzauen. Ulme, Esche, Eiche und Hasel waren die maßgeblichen Pflanzen in den feuchten Auen, während die Erle für die Moor-Gebiete bezeichnend war. Mit der zunehmenden gerodeten Fläche für die Siedlungen und die Wirtschaftsflächen der Linienbandkeramik, nahm auch die Eiche zu, die die Linde verdrängte, die zuvor den Wald dominiert hatte. Eine weitere Auswirkung linienbandkeramischer Wirtschaftsweise war, dass das Auflichten der Wälder für die Waldweide und Laubfütterung die Verbreitung der Esche förderte. Gleichzeitig ging die Ulme zurück. Für die Versorgung des Viehs war Esche geeignet, die durch Beschädigungen stärker nachwächst sowie die Ulme, die jedoch durch Entfernen von zu viel Rinde und Blättern zurückgeht. Auf den Hochflächen der „Trockeninsel“ in der zentralen Wetterau zeigte sich ein vollkommen anderes Bild: Dort blieb die Kiefer aufgrund des geringen Niederschlages auch im Atlantikum dominierend. Zentrale Kulturpflanzen der LBK waren Emmer, Einkorn, Erbse, Linse, Lein oder Flachs. Ab der Phase Flomborn trat als Ölpflanze zusätzlich Schlaf-Mohn auf. Die Getreide Nacktweizen und Gerste wurden erst am Ende der LBK eingeführt.92 In Bezug auf die Fauna lässt sich sagen, dass in der Wetterau zu dieser Zeit die Jagd eine bestenfalls untergeordnete Rolle für die Versorgung der linienbandkeramischen Gruppen spielte. Es gibt Belege für Rothirsch, Reh, Hase und Kaninchen. Die dominierenden Haustiere waren dagegen Schaf / Ziege und Schwein; Haushuhn, Rind und Pferd kamen ebenfalls vor. Der Hund spielte an einigen Fundstellen ebenfalls eine verhältnismäßig große Rolle.93 Die LBK der Wetterau entwickelte sich also in einer klimatisch günstigen Phase mit vorwiegend maritimen Verhältnissen und gelegentlichen Trockenperioden, wobei die Niederschlagsmengen teils stark schwankend waren.94 Die klimatischen Bedingungen stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit den Siedlungsstrukturen der linienbandkeramischen Bevölkerung, deren geographische Lage bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts derart charakterisiert wurde, dass sie sich i.d.R. auf Lössböden bzw. deren Randgebieten befänden und somit meist in der Nähe von Tälern und Wasserläufen. Weiterhin seien bevorzugt Hanglagen mit deutlichem Gefälle aufgesucht worden.95 Diese Lage wurde auch in unmittelbaren Zusammenhang mit dem niederschlagsreichen Klima zur Zeit der Linienbandkeramik gestellt. Die Hanglagen waren nun einmal trockener und wurden im Gegensatz zu den tiefergelegenen Arealen nicht überschwemmt. Tiefer gelegene und flache Bereiche verfügten nicht über einen guten Wasser-Ablauf und waren durch die dauernde Bodenfeuchte somit weniger zur Besiedlung geeignet.96 Auch auf die linienbandkeramischen Siedlungsstrukturen der Wetterau, wie beispielsweise Bad Nauheim–Nieder-Mörlen „Auf dem Hempler“, die im Folgenden vorgestellt werden sollen, scheinen diese Interpretationen zu Klima und Siedlungslage zuzutreffen.97 Mineralwässer und Salz sind im Bereich des Taunusrandes nicht nur in Wiesbaden, sondern auch in Bad Nauheim zu finden – daher wird eine Nutzung und Bedeutung dieser Ressourcen bereits für neolithische Zeiten diskutiert. Bedeutende Mineralwasseraustritte finden sich am östlichen Taunus-Rand zwischen Bad Homburg und Bad Nauheim. Besonders die Mineralisationen mit ihren generell erhöhten NaCl-Gehalten wurden in Bad Nauheim zur Salzgewinnung genutzt.98 In der Nähe zu den Bad Nauheimer Salzquellen befanden sich zu bandkeramischer Zeit bereits mehr als 10 Siedlungen, die alle von der Nutzung des Rohstoffes profitiert haben könnten. Die Entfernung zwischen den Quellen und Siedlungsplätzen betrug zudem weniger als 1,5 km und die Ansiedlungen verzeichnen eine besonders lange Laufzeit. Die Verwendung dickwandiger Scherben im Zusammenhang mit einem Pech-Auftrag zum Salzsieden kann diskutiert werden, ist jedoch nicht nachgewiesen.99 Sowohl aufgrund der Haltbarmachung von Nahrungsmitteln, als auch für die Versorgung von domestiziertem Vieh mit dem wichtigen Rohstoff, ist eine gestiegene Bedeutung von Salz im Neolithikum zu postulieren. Jedoch kann für das Europa des 6. Jahrtausends BC weder die Gewinnung, noch der Transport oder der Konsum von Salz bisher archäologisch nachgewiesen werden. Entsprechende Gefäße zur Produktion von Salz aus Salzwasserquellen, zu Lagerung und der Verbringung in Salz-arme Regionen fehlen gänzlich. Möglicherweise wurde Salz durch Erhitzen des entsprechenden Wassers in dafür geeigneten Behältnissen gewonnen. Es kann lediglich auf Analogien aus dem karpatenländischen Spätneolithikum der Lengyel-Kultur zurückgegriffen werden, wo sich im 5. Jahrtausend BC Gefäße aus dem Kontext der Salzgewinnung finden. Die Erschließung von Salzquellen wird zudem in Zusammenhang mit Mobilitätsaktivitäten von neolithischen Bevölkerungsgruppen gebracht. Jedoch nur in wenigen Regionen – wie Moldavien – wurden Untersuchungen zur neolithischen Nutzung der ost- und mitteleuropäischen Salzquellen durchgeführt. Als Beispiel kann die Quelle von Solca-Slatina Mare angeführt werden, wo sich Hinterlassenschaften der Criş-, Pre-Cucuteni- und Cucuteni-Kulturen sowie weiterer post-neolithischer Gruppen fanden. Darunter waren auch Keramiken, die als Briquetage-Gefäße angesprochen werden können. Die zur Salzkristallisation verwendeten Gefäße deuten auf eine Gewinnung und Nutzung des Rohstoffes in neolithischer Zeit hin, auch wenn sie keine Rückstände von Salzkrusten aufweisen. Daher wird hier von der ältesten Salznutzung in Europa gesprochen. Salz war zwar kein Rohstoff mit zentraler Bedeutung für die Ernährung an sich, konnte jedoch in seiner Verwendung durchaus einen ökonomischen Faktor darstellen. Salzkuchen waren dabei leicht aufzuteilen und zu transportieren und könnten gar eine Funktion als „Ersatz-Währung“ eingenommen haben, wie in rezenten ethnographischen Kulturen belegt.100 Ob jedoch die Salzquellen bei Bad Nauheim in der LBK genutzt wurden und sie der Grund für ein Netzwerk des Platzes waren, das sich in der Jungsteinzeit bis in das Donau-Tal erstreckte, kann diskutiert, aber nicht belegt werden.101 Die Gewinnung und Nutzung von Salz im Neolithikum ist eine äußerst komplexe und schwer greifbare Thematik, für deren Untersuchung künftig eine geeignete Methodik gefunden werden muss.102

4 Die Fundstellen des mittelhessischen Arbeitsgebietes

4.1 Die zentrale Fundstelle: Bad Nauheim–Nieder-Mörlen „Auf dem Hempler“

Das Gebiet von Bad Nauheim kann auf eine lange Forschungstradition zurückblicken und es sind von dort zahlreiche bandkeramische Fundstellen103 bekannt, wie beispielsweise Bad Nauheim „Feuerwehrstützpunkt“ oder Bad Nauheim „Rosenstraße 54“ und auch andere neolithische und postneolithische Kulturen haben ihre Spuren hinterlassen.104 In den Jahren 1997 bis 2001 wurden im Rahmen der Erschließung eines Neubaugebietes die Fluren „In den obersten Wingerten“ im Naturschutzgebiet südwestlich der alten Bebauung, „Ober den Nussbäumen“ östlich des Buchenwegs, „Auf dem Gutenmann“ westlich der Raiffeisenstraße sowie die dazwischen gelegene „Auf dem Hempler“ in Bad Nauheim durch die hessische Denkmalpflege untersucht. Die untersuchte Fläche „In den obersten Wingerten“ lieferte vorwiegend Wingertgräbchen mit wenigen Funden von Münzen, Keramik und Glas, die eine Nutzung ab dem frühen 18. Jahrhundert belegen. Die Flur „Ober den Nussbäumen“ wurde aufgrund fehlender Befunde und Funde sowie einer weit fortgeschrittenen Erosion als Grabungsgelände verworfen. Lediglich eine große Grube mit Funden der jüngsten LBK und zudem Reste einer bandkeramischen Bestattung konnten geborgen werden. Es ist zu vermuten, dass eine potentielle, östliche Fortsetzung der LBK-Siedlungsstelle erodiert wurde, was ebenfalls durch geomagnetische Prospektionen bestätigt ist. „Auf dem Gutenmann“ zeigte in den Prospektionen eine Ausdehnung der bandkeramischen Befunde in westliche Richtung und wurde in der Folge dezidierten Untersuchungen unterzogen. Von zentraler Bedeutung ist jedoch die Fundstelle der bandkeramischen Großsiedlung von Bad Nauheim–Nieder-Mörlen „Auf dem Hempler“105: Sie liegt in der nordwestlichen Wetterau auf Löss am Nordrand des Bad Nauheimer Stadtteils Nieder-Mörlen. Im frühen Neolithikum war in einer Höhe von 185 bis 189 m ü. N.N. der gesamte südliche Bereich des Plateaus besiedelt. Das Gelände fällt nach Süden hin in Richtung der Usa ab, von der ein Altarm noch im Altneolithikum den Platz in 150 m passiert haben soll. Geologisch lassen sich hochwertige Parabraunerde auf dem Löss ausmachen sowie im Süden hangabwärts pleistozäne Schotter. Die Fundstelle in der Flur „Auf dem Hempler“ selbst ist bereits seit den 1960er Jahren bekannt.106 Reiche Lesefunde ließen eine Ansiedlung von zentralem Charakter bereits früh vermuten, sodass in den Jahren 1997 bis 1999 und 2001 im Zuge der Erschließung eines Neubaugebietes das Landesamt für Denkmalpflege Hessen, Wiesbaden, Ausgrabungen in mehreren Kampagnen durchführte. Daneben wurden breit angelegte geomagnetische Prospektionen durchgeführt.107

Abb. 1: Die Befunde aus Bad Nauheim – Nieder-Mörlen im Überblick (Übersicht zusammengestellt von J. Ritter nach den Grabungsberichten von Sabine Schade-Lindig, Landesamt für Denkmalpflege Hessen, Wiesbaden, Abteilung Hessen Archäologie EV 97/21, 98/2, 99/1, 01/3 der Ortsakten).108

Auch die in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts überbauten südlichen Bereiche der ehemaligen bandkeramischen Besiedlung konnten auf freien Teilarealen noch erfasst werden. Somit konnten 1,6 ha in 21 Schnitten ergraben werden, die eine extreme Dichte an Befundstrukturen der LBK lieferten. Die Befunde zeigten eine Erhaltung bis über 1,3 m in der Tiefe, jedoch waren vielfache Überlagerungen zu verzeichnen, die mehrere Plana nötig machten. Es konnten 3360 Befunde109, darunter 37 Feuerstellen bzw. Öfen, 120 oder mehr Hausgrundrisse, 15 Siedlungsbestattungen sowie zahllose Gruben verschiedener Funktion aus der Zeit der LBK ausgemacht werden, die ein Gesamtfundaufkommen von 29 t erbrachten (Abb. 1). Unter den Funden sind neben Rotlehm, Mahlsteinen und Knochen besonders Steingeräte, Hämatite und Keramiken zu nennen. Die Ausgräber werteten schon zu diesem Zeitpunkt den Platz als „[…]nicht nur eine einfache lokale zentrale Siedlung mit Marktcharakter der unteren Hierarchiestufe […], sondern eine solche von wenigstens regionaler zentralörtlicher Bedeutung, deren zahlreiche Funktionen weit über die eines nur kleinen lokalen Zentrums hinausgingen.“110 Bemerkenswert ist zudem die hohe Ortskonstanz, das das Siedlungsgebiet mit einer Ausdehnung von insgesamt etwa 7 ha immer wieder überbaut und über alle Phasen der älteren bis hin zur jüngsten LBK kontinuierlich genutzt wurde. Zur Erforschung der landwirtschaftlichen und naturräumlichen Gegebenheiten zur Zeit der LBK in Bad Nauheim wurden 85 archäobotanische Proben aus 59 ungestörten Befunden der Siedlung untersucht: Hierunter konnten vorwiegend verkohlte Elemente angetroffen werden, da es sich um eine Trockenboden-Ansiedlung außerhalb des Einflusses von Grundwasser handelte. Neben 78 Pflanzentaxa spielten auch Fischknochen eine Rolle im Fundgut, was auf Fischfang in der nahegelegenen Usa hinzudeuten scheint. Während der Flomborn-Phase dominierten die Spelzweizen Emmer und Einkorn, die sich in der Mehrheit der bandkeramischen Befunde in Bad Nauheim zeigen. Im Kontrast zu den Spektren anderer LBK-Fundstellen Mittelhessens waren Gerste und Echte Hirse nicht vorhanden. Zudem waren in Nieder-Mörlen Erbse, Linse, Lein und Schlafmohn als Kulturpflanzen präsent. In den folgenden bandkeramischen Siedlungsphasen werden die Anteile der Hülsenfrüchte größer, wogegen der Lein etwas zurückgeht. Sammelpflanzen wie besonders die Haselnuss, aber ebenso Himbeere, Wildapfel und Erdbeere blieben konstanter Teil des Pflanzenspektrums. Die Anwesenheit des Schlafmohns, der an ältestbandkeramischen Fundstellen Hessens fehlt, impliziert Einflüsse aus dem Mittelmeerraum. Die Unkrautarten verweisen zudem durch ihre Hochwüchsigkeit auf eine Ährenernte hoch am Halm und lassen desweiteren keine Bodenverschlechterung im Verlauf der LBK-Besiedlung erkennen. Daneben ist die für eine bandkeramische Siedlung extrem hohe Präsenz von verkohltem Mäusekot in nahezu 50% der Befunde erwähnenswert, der auf eine gesteigerte Produktion, Verarbeitung sowie Lagerung von Getreide an dem wichtigen Zentralort hinweisen könnte – diese These wird ebenfalls durch die hohen Anteile an Verarbeitungsabfällen (Spelzen u.a.) gestützt.111

Die meisten Befunde in Bad Nauheim (alle Befunde aller Kampagnen in Abb. 2) wurden durch Gruben ohne nähere Funktionsbestimmung gestellt und durch große Grubenkomplexe, die eine rege Siedlungstätigkeit bezeugen. Einige Strukturen konnten als Hausbefunde interpretiert werden, die eine Ausrichtung von 80–85° bzw. 50–60° Nordwest besaßen. Ein Gebäude mit Doppelpfostenreihen innerhalb der Längswände (Befunde 433–439; 420–425) ist besonders erwähnenswert, ein Bau-Typ der im Bereich der jüngeren LBK in Süd- und Mitteldeutschland häufig ist.112 Es zeigten sich zudem mehrere Grubenöfen und auch einfache Herdstellen aus der LBK, von denen sich die Brandplatten – in einem Fall mit Unterfütterung – überliefert hatten. Aus der Eisenzeit sind von diesem Bereich der Fundstelle Gruben – darunter besonders Silogruben – sowie ein kleiner Kreisgrabenkomplex zu erwähnen. Es konnten zahlreiche Pfostenstellungen und Abschnitte von Wandgräbchen ausgemacht werden, die sich jedoch nicht in allen Fällen zu Hausgrundrissen rekonstruieren ließen. Vereinzelt konnten allerdings Hauslängen von ursprünglich bis zu 45 m ausgemacht werden – ein Exemplar aus Fläche 8 (dazu auch die Befunde 875 und 910 der Wandgräbchen) zählt damit zu den größten bekannten bandkeramischen Hausstrukturen am Platz. Zu den Hausbauten gehörten zudem unzählige Siedlungsgruben. Aus diesen Gruben sowie den ehemaligen Längsgruben der Häuser wurden oftmals große Massen an Hausschutt – wie z.B. enorme Rotlehmmengen – geborgen, die auf ein intentionelles Beseitigen der Häuser und Neuerrichtungen am Platz schließen lassen sowie darauf, dass die Bauten nach dem Abschluss ihrer Nutzung nicht langsam verfielen.

Abb. 2: Übersicht über die Befundzahlen aus allen Grabungskampagnen in Bad Nauheim–Nieder-Mörlen (Übersicht zusammengestellt von J. Ritter nach den Grabungsberichten von Sabine Schade-Lindig, Landesamt für Denkmalpflege Hessen, Wiesbaden, Abteilung Hessen Archäologie EV 97/21, 98/2, 99/1, 01/3 der Ortsakten).

Desweiteren zeugen die Befunde von der dichten Nutzung der Fundstelle mit einer ausgeprägten Bautätigkeit während der LBK. In bandkeramischer Zeit wies das Siedlungsareal darüber hinaus ein bedeutend reliefierteres Gelände mit kleinen Plateaus und Vertiefungen als Hausstandorte auf. Die bandkeramischen Grubenöfen sind in Bad Nauheim–Nieder-Mörlen „Auf dem Hempler“ eine ungewöhnlich stark vertretene Befundgattung. Der Typus der Schlitzgruben113 dagegen ist nur selten vertreten (Befunde 282B; 633; 1143, 1187; 1282A, 1334; 1384). Diese befanden sich meist randlich des bevorzugten eigentlichen bandkeramischen Siedlungsgeländes. Da aus ihnen kein datierendes Material stammt ist eine sichere Zuweisung nicht gegeben und alleine anhand der analogen Verfüllung im Vergleich der bandkeramischen Befunde getroffen worden.

Die Hockerbestattungen der LBK am Platz entstammen den sämtlichen Besiedlungsphasen von Bad Nauheim–Nieder-Mörlen „Auf dem Hempler“, führten jedoch nicht immer Beigaben zur einwandfreien typochronologischen Datierung. Im südlichen Bereich der Fundstelle scheinen sich die Bestattungen tendenziell zu häufen – ob in bandkeramischer Zeit dort bevorzugt Gräber angelegt wurden, kann diskutiert werden. Auf den Flächen 11 bis 12 der Fundstelle Bad Nauheim–Nieder-Mörlen „Auf dem Hempler“ bzw. „Auf dem Gutenmann“ zeigten sich zahlreiche Befunde eines sehr frühen Flomborn-Horizontes, weshalb hier der Beginn der Ansiedlung angenommen werden kann. Es ist zudem bemerkenswert, dass in diesen Bereichen die Hausbefunde bis in oder zumindest auf die pleistozänen Schotterschichten reichten und dort eingetieft waren. Dies impliziert, dass auch während der LBK der Löss sowie die postulierte Schwarzerde-Auflage lediglich von geringer Mächtigkeit gewesen waren. Hierin könnte auch die Begründung für die Siedlungsverlagerung nach Osten während der jüngeren LBK zu finden sein, da dort die Lössdecke bis zum heutigen Tag bedeutend mächtiger ist. Aus Fläche 10 ist besonders eine Großgrube von 15 x 15 m Ausdehnung zu erwähnen, deren Material zwischen den ältesten Flomborn-Horizont der Fundstelle und die frühe mittlere LBK datiert – es handelte sich offensichtlich um eine Lehmentnahme- oder Lössabbau-Grube, die über viele Jahre hinweg bandkeramisch genutzt worden war. Von zentraler Bedeutung sind ebenso die zahllosen Befund-Überschneidungen und Befund-Überlagerungen: Bis zu 11fach liegen Hausgräbchen und Pfostensetzungen von Häusern übereinander. Dies impliziert, dass lediglich Teile der sechs bis sieben ha der Fundstelle zur gleichen Zeit belegt waren und nach der Nutzung der Bauten eine Neugründung am gleichen Platz erfolgte. Im Gegensatz hierzu steht das an vielen Fundplätzen der LBK beobachtete Verhalten der „wandernden“ Häuser innerhalb einer Siedlung, deren ungenutzte, verfallende Häuser nicht überbaut wurden. Eine derartige Fundstellenentwicklung ist beispielsweise auf der Aldenhovener Platte sowie der bekannten Siedlungsstelle von Elsloo dokumentiert.114 Gelegentlich wurden darüber hinaus in den jüngsten Siedlungsbereichen im Osten der Bad Nauheimer Fundstelle rechteckige Pfostenstandspuren (z.B. Befund 2998 Fläche 15) dokumentiert. Dies könnte auf die Nutzung von Spalthölzern hinweisen, was eine sparsamere Verwendung von Holz bedeuten könnte. Neben Hausstrukturen deuten einige Gräbchen die Existenz von kleinen Palisaden und Zäunen – vielleicht aus Flechtwerk – innerhalb der Siedlung in Nieder-Mörlen an. Unter den Grubenbefunden insgesamt sticht eine große rechteckige Grube hervor (Befund 2627 Fläche 14), die durch ihre homogene Verfüllung sowie den planen Grubenboden als Grubenhaus gedeutet werden kann.

4.1.1 Häuser der bandkeramischen Siedlung Bad Nauheim–Nieder-Mörlen

Bad Nauheim–Nieder-Mörlen „Auf dem Hempler“ hat eine Unmenge von Pfostenstellungen, Wandgräbchen und Längsgruben geliefert, die bei näherem Ansehen als Überreste bandkeramischer Hausbauten gelten können. Durch die zahllosen Überlagerungen von bis zu 11 Häusern, die an ein und demselben Standort übereinander errichtet worden waren, ist eine dezidierte stratigraphische Auswertung schlichtweg nicht möglich. Bei den über 120 rekonstruierbaren Häusern handelte es sich wohl zumeist um Langhäuser. Es existierten Häuser, die lediglich im Nordwestteil ein Wandgräbchen besaßen, als auch solche mit seitlich laufenden Wandgräbchen. Ebenso waren begleitende Längsgruben präsent. Neben Außenpfosten und selten zu beobachtenden Doppelpfosten konnten die Überreste zahlreicher Dreierpfostenriegel festgestellt werden. Die Ausrichtung der Bauten variiert von Nordwest-Südost bis hin zu annähernd West-Ost. Einige Pfostenstellungen dagegen scheinen nicht zu Hausbauten gehört zu haben, sondern zu Begrenzungen innerhalb der Siedlung zwischen den Häusern. Wenn ein Haus außer Nutzung ging – wobei die Gründe dafür beispielsweise im Schädlingsbefall zu sehen sein könnten – wurden diese nicht wie an anderen Fundstellen verlassen und dem Verfall preisgegeben sowie ein neues Haus an versetzter Stelle erbaut: Vielmehr erfolgte ein Abbruch des Baus und ggf. ein Brand, der sich noch in den Abfallgruben der Siedlung fassen lässt, und im Anschluss der Neubau an gleicher Stelle, sodass sich regelrechte „Wohnmulden“ bildeten, die sich bis in die pleistozänen, anstehenden Schotter in die Tiefe erstrecken konnten.115 Durch dieses Verhalten wurde eine enorme Befunddichte am Platz generiert, die oftmals ineinandergreifende Strukturen hervorbrachte, deren zeitliche Differenzierung kaum zu bewerkstelligen ist. Daher müssen in der typochronologischen Auswertung der Fundstelle zahlreiche durchmischte Befunde außen vor bleiben und es können lediglich zeitlich versetzt genutzte Bereiche unterschieden, jedoch keine Hausgenerationenfolge116 erstellt werden. Gleiches gilt für eine Typisierung117 der einzelnen Häuser. Im Vergleich innerhalb der bandkeramischen Ökumene zählen die Hausbauten in Hessen zu den größten Vertretern, die lediglich im Elsass noch Ihresgleichen finden. Sie erreichen Flächen von bis zu 200 m². Die Gründe für die Unterschiede in den Größen der Hausbauten könnten in einem veränderten Siedlungsverhalten liegen. Bloße Präferenz ist als Ursache dabei ebenso denkbar wie ein Zusammenhang mit Viehhaltung.

4.1.2 Die Kreispalisaden-Anlage „Auf dem Gutenmann“

Im Nordwesten der Siedlung von Bad Nauheim zeigte sich ein Hausgrundriss, der an die Bauweise der ältesten oder älteren LBK erinnerte und an den eine Kreispalisaden-Anlage angeschlossen war. Die Struktur war bereits in Prospektionen im Jahr 1998 erfasst und während der Ausgrabungskampagne 1999 freigelegt worden. Sie erregte durch ihre ungewöhnliche Beschaffenheit viel Aufmerksamkeit: Dieses für die LBK singuläre Gebäude wurde als einziges am Platz im Verlauf der Siedlungsnutzung niemals überbaut und sucht bis zum heutigen Tag in der bandkeramischen Welt seinesgleichen. Der Kreisgraben selbst bemaß im Durchmesser etwa 31 bis 32 m. Die kreisrunde Struktur (Befund 0001 in Fläche 1, 3-4 „Auf dem Gutenmann“) war dabei als Spitzgraben zu identifizieren, der sich noch bis in eine Befundtiefe von 30 cm sowie in Breiten zwischen 30 und 60 cm erhalten hatte. Die Längsprofile des Grabens zeigten häufige, zipfelige Ausprägungen, die als Überreste der Standspuren einer Palisade gewertet werden können. Der Vorbau (v.a. Befunde 0128-0129 in Fläche 1 „Auf dem Gutenmann“) erinnert an einen Nordwest-Teil bandkeramischer Langhäuser118 und erreichte eine Ausdehnung von 13 m in der Länge. Im Innern ließen sich mehrere Pfostenriegel ausmachen; außen waren Reste von Wandgräbchen als Begrenzung zu erkennen. Anstatt einer weiteren Hauswand war im Westen der hausartigen Struktur jedoch der Kreisgraben angebaut, der im westlichen Innenbereich eine 6 m lange und 2,5 m breite Grube (Befund 0050 Fläche 1 „Auf dem Gutenmann“) mit Flomborn-zeitlichem Material barg. Die Scherben waren stark fragmentiert und daneben zeigten sich Knochen und Rotlehm. An einem Grubenrand auf halber Höhe der ursprünglichen Grube war die Bestattung eines sechs Monate alten Kindes anzutreffen, das in Hockerlage, Ost-West-Ausrichtung und mit Blick nach Süden begraben worden war. Es wird ein bandkeramisches Datum für das Kindergrab aufgrund der Stratigraphie angenommen. Daneben führt dieser Befund einmal mehr die ausgezeichnete Knochenerhaltung am Platz vor Augen. Innerhalb des Kreisgrabens war während der Latènezeit zudem eine Bestattung119 eingetieft worden. Die Ausrichtung des Hauses war Nordwest-Südost. Es ist anzumerken, dass die parallelen „Haus“gräbchen nicht durchgängig ausgehoben waren, sondern vielmehr eine Aneinanderreihung länglicher Gruben darstellten, die es auf Längen zwischen 2,00 und 2,70 m sowie Breiten bis 0,40 m brachten. Dies Phänomen trat in Bad Nauheim–Nieder-Mörlen „Auf dem Hempler“ ebenfalls an vielen regulären bandkeramischen Hausbauten auf. Neben den Pfostenriegeln im Inneren und den Wandgräbchen hatten sich Spuren von Außengräbchen parallel zu dem Gebäude überliefert, die in manchen Bereichen einen Übergang in die Längsgruben zeigten. Die Kreisgrabenanlage und die hausartige Struktur werden als zusammengehöriges Ensemble gedeutet, was als stratigraphisch gesichert gilt. Ebenso als stratigraphisch gesichert gilt die Einordnung des Befund-Ensembles in die Zeit der LBK – eine Annahme, die durch die Funde bandkeramischer Scherben weitere Bestätigung erfährt. Zur genaueren zeitlichen Einordnung kann möglicherweise die Morphologie das bandkeramischen Hausabschnitts dienen: Die vor die Hauswand vorgelagerten Wandgräbchen in Kombination mit den Längsgruben und der Nordwest-Südost-Ausrichtung des Gebäudes verweisen in den ältesten Besiedlungsabschnitt der Fundstelle in Bad Nauheim; ebenso wie die vergesellschafteten Scherben, die in eine frühe Flomborn-Stufe einzuordnen sind.120