Die Bank der kleinen Wunder - Gernot Gricksch - E-Book

Die Bank der kleinen Wunder E-Book

Gernot Gricksch

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Beschreibung

"Auf Gernot kann ich mich verlassen und würde blind jeden Stoff von ihm machen." Wotan Wilke Möhring Gernot Gricksch ist einer der meistverfilmten deutschen Autoren und fängt in seinen Geschichten die kleine Augenblicke ein, die alles verändern können. Die Summe dieser vermeintlich kleinen Augenblicke macht uns und das Leben aus. Manchmal braucht es Mut, sein Leben zu überdenken. Manchmal aber auch nur fünf Minuten auf der Bank der kleinen Wunder: In "Die Bank der kleinen Wunder" erzählt Gernot Gricksch von einem Mann, der partout nicht aufhören will zu arbeiten. Von einem Model, das furchtbaren Hunger hat. Von einem Mädchen und einem Jungen, die nicht zueinander passen und deshalb zusammengehören. Von einem alten Mann, dessen Liebe seit Jahrzehnten ein Geheimnis ist. Und einem Hundehasser, der beim Gassigehen einen ganz neuen Weg einschlägt. Sie alle erleben, wie eine gewöhnliche Parkbank ihr Leben auf den Kopf stellt. In dieser vollständig überarbeiteten Neuausgabe von "Die Bank der kleinen Wunder" finden Sie drei bisher unveröffentlichte Geschichten von Gernot Gricksch.

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Seitenzahl: 232

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Gernot Gricksch

Die Bank der kleinen Wunder

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Über dieses Buch

»Auf Gernot kann ich mich verlassen und würde blind jeden Stoff von ihm machen.« Wotan Wilke Möhring

Gernot Gricksch ist einer der meistverfilmten deutschen Autoren und fängt in seinen Geschichten die kleine Augenblicke ein, die alles verändern können. Die Summe dieser vermeintlich kleinen Augenblicke macht uns und das Leben aus. Manchmal braucht es Mut, sein Leben zu überdenken. Manchmal aber auch nur fünf Minuten auf der Bank der kleinen Wunder:In »Die Bank der kleinen Wunder« erzählt Gernot Gricksch von einem Mann, der partout nicht aufhören will zu arbeiten. Von einem Model, das furchtbaren Hunger hat. Von einem Mädchen und einem Jungen, die nicht zueinander passen und deshalb zusammengehören. Von einem alten Mann, dessen Liebe seit Jahrzehnten ein Geheimnis ist. Und einem Hundehasser, der beim Gassigehen einen ganz neuen Weg einschlägt. Sie alle erleben, wie eine gewöhnliche Parkbank ihr Leben auf den Kopf stellt.

Inhaltsübersicht

Der Herr VerwaltungsdirektorDer Pudel im WolfsrudelDéjà-vuVerstohlene BlickeZweimal FabianHundeliebeMarthas FeldzugAusgemustertDas HerzAuf feindlichem GebietDas KirschblütenfestEiskaltDie unerwartete Verzauberung des Herrn Verwaltungsdirektors
[home]

Der Herr Verwaltungsdirektor

Der Antrag lag in dreifacher Ausfertigung auf dem Schreibtisch des Herrn Verwaltungsdirektors Siegmar Zürn und musste nur noch unterschrieben werden, damit alles seinen Gang gehen konnte. Es gab kaum einen Platz auf dieser Welt, an dem ein Formular besser aufgehoben wäre als in direkter Reichweite des Herrn Verwaltungsdirektors.

Wer Siegmar Zürn kannte, konnte sich problemlos vorstellen, dass auch dessen eigene Existenz womöglich einst mit dem Ausfüllen eines schnöden Schriftstücks begonnen hatte, dass der kleine Siegmar seinerzeit einfach beantragt, bewilligt und dann geliefert wurde: ein Kind, männlich, Standardausführung, schnörkellos. Es bedurfte dagegen einer beträchtlichen Portion Fantasie, sich vor Augen zu führen, dass der von keinerlei nennenswerter Charaktereigenschaft beseelte Herr Verwaltungsdirektor tatsächlich das Produkt eines mehr oder weniger leidenschaftlichen Liebesspiels seiner Eltern war.

Siegmar Zürn war, als er den Kugelschreiber aus dem zweiten Fach der linken oberen Schublade nahm und dessen Schreibspitze einmal feucht anhauchte, da die Kugelschreiber aus dem Fundus der Hamburger Behörde zum störrischen Austrocknen neigten, zweiundvierzig Jahre alt. In diesen zweiundvierzig Jahren war Siegmar Zürn zweimal verliebt gewesen. Das erste Mal mit fünfzehn Jahren in seine Mitschülerin Irina, die er sich nie anzusprechen traute und die später einen Tanzlehrer aus dem Schwäbischen heiratete. Als sich Herrn Zürns ansonsten ausgesprochen phlegmatische Hormone ein zweites Mal über Gebühr regten, war er achtunddreißig Jahre alt gewesen. Das Objekt seiner Begierde hieß Margarete Lamprecht. Die freundliche, auf eine unscheinbare Art relativ hübsche Margarete arbeitete als Sachbearbeiterin in seiner Abteilung und fühlte sich, da er ihr Vorgesetzter war, verpflichtet, seine unter Aufwendung allen Mutes ausgesprochene Einladung zu einem Abendessen anzunehmen. Herr Zürn führte seine jüngere Kollegin in die gutbürgerliche Ratsstube und empfahl ihr den Grünkohl mit Pinkel. Noch Jahre später erzählte Margarete ihren Freunden, dass sie an diesem Abend die qualvollsten und langweiligsten vier Stunden ihres Lebens verbracht hatte und sie eher zwei Wochen lang jeden Tag einen anderen Versicherungsvertreter bei sich zu Hause empfangen würde, als jemals wieder ein privates Treffen mit dem Herrn Verwaltungsdirektor Zürn zu durchleiden.

 

Siegmar Zürn räusperte sich und griff nach dem Formular. Er schaute in die rechte obere Ecke des Antrages und sah, dass es Margarete Lamprecht gewesen war, die diesen Vorgang bearbeitet hatte. Das war gut, denn Margarete arbeitete sorgfältig, und ihre Akten mussten nicht akribisch kontrolliert werden. Herr Zürn war seiner Kollegin niemals böse gewesen, dass sie ihn nach jenem Rendezvous nie wieder privat treffen wollte – obgleich er nie verstand, warum nicht. Der Herr Verwaltungsdirektor hatte den Abend, den netten Plausch und die seiner Ansicht nach ausgesprochen gelöste Stimmung nämlich sehr genossen.

Es war nicht so, dass Siegmar Zürn gar keine Leidenschaften hatte. Er liebte beispielsweise Fußball. Na ja, was man bei einem Menschen wie Herrn Zürn eben so als lieben bezeichnet. Der Herr Verwaltungsdirektor liebte mit Bedacht. Er brachte keine Opfer für seine Passion. Ein Stadion, in dem sich viel zu viele Menschen auf viel zu wenig Raum drängten und in dem ihm unangenehme, beklemmende Kontakte mit wildfremden, womöglich wenig kultivierten Menschen drohten, betrat er beispielsweise nie. Und die Vorstellung, selbst in einer Mannschaft zu spielen, erschien ihm schlichtweg furchterregend, hätte er dann doch in der Öffentlichkeit kurze Hosen tragen und im Anschluss ans Spiel gemeinsam mit anderen Männern duschen müssen. Nackt! Nein, Herr Zürn sah Fußball im Fernsehen und hatte ein besonderes Faible für die Zeitlupenwiederholungen einzelner Szenen entwickelt, da diese eine sehr genaue Analyse der Technik der Spieler ermöglichten.

Vielleicht wäre Siegmar Zürn auch ein begeisterter Monopoly-Spieler geworden, hätte er bloß jemals Freunde oder zumindest Bekannte gehabt, mit denen er um die Parkstraße feilschen und denen er den Westbahnhof hätte abluchsen können.

Viermal im Jahr nahm der Herr Verwaltungsdirektor die Dienste einer Dame namens Linda in Anspruch, die gemeinsam mit ihm älter wurde und Herrn Zürn als höflichsten all ihrer Kunden zu schätzen gelernt hatte.

Siegmar Zürn – es ließe sich nicht einmal schönreden, wenn man es wollte – war einfach ein fader Furz. Er lebte ohne Aufs und Abs, ohne Vision, nennenswerte Träume und Sehnsüchte. Manchmal lachte er leise über den Witz des Tages im Hamburger Abendblatt. Damit war dann aber auch schon das äußerste Ende seines Spaß-Spektrums erreicht. Und doch hatte der Herr Verwaltungsdirektor durchaus seine Funktion im kosmischen Ganzen, war nicht einfach bloß als sinnloser Sauerstoffverschwender und Wohnraumvergeuder auf die Welt gekommen. Nein, er hatte eine Aufgabe zu erfüllen: Am 21. Mai 1967 bewilligte Siegmar Zürn, Abschnittsleiter des Gartenbauamtes Hamburg-Mitte, den Antrag und den damit verbundenen Auftrag zur Her- und Aufstellung einer hölzernen Parkbank am westlichen Ufer der Außenalster, an der kleinen Liegewiese und dem besonders im Sommer äußerst frequentierten Alsterwanderweg.

Als Siegmar Zürn die notwendigen Unterschriften leistete, ahnte er nicht, dass er gerade Schicksal spielte. Dass ausgerechnet er, der überdurchschnittliche Gefühlsregungen nur aus Büchern und dem Fernsehen kannte, mit der offiziellen Bewilligung dieses Freiluft-Sitzmöbels der Kostengruppe IV b das Leben einiger Menschen komplett auf den Kopf stellen würde. Denn rund um diese Bank sollten viele Jahre später ganz erstaunliche, ja mitunter sogar wunderbare Dinge geschehen …

[home]

Der Pudel im Wolfsrudel

Zucker!«, quietschte der rothaarige Assistent des Fotografen. »Denk an Zucker! Süüüß! Du musst süß aussehen!«

Oleanna, die auf einer Wiese an der Hamburger Alster stand und nach fast zwei Stunden Posieren langsam müde wurde, zog ihre Mundwinkel noch ein Stückchen weiter nach oben und zeigte ein paar Prozent mehr ihrer makellos weißen oberen Zahnreihe. Ihre Augen funkelten im Sonnenlicht.

»Geil!«, quietschte der Rothaarige. »Ja! Genau so!«

Gregor, der Fotograf, sagte nichts. Er klickte nur. Gregor Halstroem war einer der zehn erfolgreichsten und bestbezahlten Modefotografen des Planeten Erde und sah meistens keinerlei Veranlassung, seinen Mund für etwas anderes zu öffnen als zur Nahrungsaufnahme, um Frauen anzubaggern oder seiner Lieblingsbeschäftigung zu frönen: dem Meckern. Kaum ein Zimmermädchen, Kellner, Empfangschef oder sonstiger Knecht im hochpreisigen Dienstleistungsbereich hatte nicht schon mindestens einmal die wortreichen und im Allgemeinen nicht stubenreinen Zornesausbrüche des Gregor Halstroem über sich ergehen lassen müssen, wenn angeblich ein Handtuch fehlte, ein Essen nicht die exakt richtige Temperatur oder Konsistenz hatte, wenn ein Zimmer nicht die gewünschte Aussicht bot oder irgendein Auftrag nicht zur vollsten Zufriedenheit erledigt worden war. Darum war es Oleanna nur recht, wenn Gregor seine Anweisungen an sie über seinen Assistenten laufen ließ. Nicht nur, dass sie den Herrn Fotografen für ein veritables Arschloch hielt – sie hatte sich in einer schwachen Stunde, als Jetlag und Einsamkeit ihr aufs Gemüt drückten, zu einem One-Night-Stand mit ihm hinreißen lassen. Und das zählte zu jenen Dingen, die sie inständig zu vergessen wünschte. Doch jeder von Gregors Blicken, der Tonfall seiner Stimme, alles erinnerte sie an diesen peinlichen Zwischenfall.

 

Sie hatte damals keinen Zweifel daran gelassen, dass Gregor sich keinerlei Hoffnungen auf eine Wiederholung dieses Ereignisses machen brauchte – und Gregor ließ seinerseits keinen Zweifel daran, dass er sie deswegen seitdem mit größtmöglicher Nichtachtung strafte und zudem jeden, den es auch nur ansatzweise interessieren könnte, über ihre »Liebesnacht« (bei der es sich genau genommen um mickrige viereinhalb Kopulationsminuten handelte) in Kenntnis setzte. »Das wertet dich doch auf, mit mir im Bett gewesen zu sein«, hatte er damals mit seiner leicht näselnden Stimme behauptet. »Es verleiht dir Klasse.« Oleanna hatte ihn nur angeschaut, völlig fassungslos.

 

»Wolke«, grunzte Gregor und senkte die Kamera.

Der Rothaarige signalisierte der ihm untergeordneten Assistentin, dass sie den Reflektor auf den Boden stellen dürfe. Oleannas Mundwinkel fielen hinab, ihr Gesicht verlor binnen einer Sekunde jenen besonderen Glanz, der sie in den Jahren ihrer steilen Karriere zum Topmodel, zur Ikone der Beauty-Jünger gemacht hatte.

»Dem Himmel sei Dank für diese Wolke!«, bemerkte Gregor trocken, aber mit einem gehässigen Blick in Oleannas Richtung. »Sie fängt schon an zu glänzen.«

Aufgeregt huschte Lisa, die Visagistin, herbei, schubste Oleanna förmlich auf den eiligst aufgestellten Klappstuhl und begann, das entgegen aller Behauptungen nach wie vor perfekte Puder- und Make-up-Kunstwerk zu überprüfen. Im Hintergrund wartete bereits Percy, der Hairstylist, der jedem hysterisch kreischend in die Weichteile treten würde, der ihn Friseur zu nennen wagte.

»Hamburg«, seufzte der Rothaarige. »Warum produzieren wir die Serie in Hamburg? Die Fischköpfe können Sonne doch nicht mal buchstabieren! Alles, was man hier fotografieren kann, ist eine Werbekampagne für Selbstmord.«

»Oder für Regenschirme«, schlug seine Assistentin vor.

Der Rothaarige reagierte nicht. So weit käme es noch, dass er – die rechte Hand von Gregor Halstroem – die Scherzversuche irgendwelcher Reflektor-Mausis zur Kenntnis nahm!

Oleanna unterdrückte den Wunsch, die Stirn zu runzeln; dies hätte Lisa einem mittelschweren Nervenzusammenbruch nahe gebracht. Der Rothaarige hatte ja keine Ahnung. Sie mochte Hamburg. Und sie mochte besonders die Alster, die durch die Präsenz des weltberühmten Fotomodels gerade zum bloßen Hintergrund degradiert wurde.

Oleanna – kein Nachname. Foto-Objekt der Multimillionen Dollar teuren Werbekampagne für die neue Turci-Kollektion. Sie war nicht weit von hier aufgewachsen, in Tarp, Schleswig-Holstein. Und wenn sie nicht eines Abends vor fünf Jahren beschlossen hätte, mit ihren Freundinnen nach Hamburg in diesen Kiez-Club zu gehen, wo sie von einem Agenturscout entdeckt wurde, dann würde sie vielleicht noch heute dort leben. Oleanna, die eigentlich Sabine Wirth hieß und die Tochter des Landwirts Horst Wirth und der Hausfrau Gerda Wirth war, genoss es, zwischen all den Aufenthalten in Paris, Mailand und New York, London und Tokio zu ihren norddeutschen Ursprüngen zurückzukehren. Auch wenn sie ein Ausflug nach Tarp zu viel Zeit kosten würde und sie nie auf die Idee käme, ihre ehemaligen Freunde aus der Schulzeit anzurufen, gab ihr ein Termin in Hamburg dennoch den Hauch einer Illusion von Heimat.

Oleanna war vierundzwanzig Jahre alt. Sie war auf nahezu jedem nennenswerten Illustrierten-Cover abgebildet worden, und das weltweit. Sie war reich, begehrt, umschwärmt. Sie wohnte in mondänen Suiten, trug Designer-Klamotten, aß Designer-Food, plauderte mit Topdesignern. Doch manchmal träumte sie von drei Tagen, drei ruhigen, kuscheligen Tagen in ihrem alten Zimmer auf dem Hof in Tarp. Wenn sie sich spätabends in einem anonymen Marmorbad irgendwo auf der Welt abschminkte, sehnte sich Oleanna danach, ihren Hund Poppi knuddeln zu können. Sie war sich allerdings nicht sicher, ob Poppi sie noch erkennen würde.

 

»Branko!«, brüllte Gregor seinem rothaarigen Assistenten zu, der darob eiligst angehuscht kam. »Wo sind die verschissenen Polaroids? Ich erwarte, dass du mir in unerwünschten Unterbrechungen wie diesen sofort das Material für die nächste Sequenz bringst! Ich stehe hier nicht tatenlos im Schatten herum. Hast du eigentlich eine beschissene Ahnung, wie viel jede Minute meiner Zeit kostet? Menschen wie ich tun niemals nichts! Also: Bring! Mir! Die! Verkackten! Polaroids!«

Branko raste zum an der Straße abgestellten Van, als hinge sein Leben davon ab.

Oleanna war Gregors Auftritt peinlich. Was für eine gestörte Persönlichkeit musste man haben, wenn man in fünf Sätzen drei verschiedene Worte für menschliche Fäkalien einfügte? Er war, im wahrsten Sinne des Wortes, ein Scheißkerl. Und dieser Scheißkerl warf sein Licht leider auch auf sie. Für die Schaulustigen, die sich hinter der weiträumigen Absperrung drängten, waren sie alle – Gregor, Branko, Oleanna – eine Einheit. Wenn sich auch nur einer von ihnen wie ein Widerling aufführte, wäre das für die Zaungäste ein zweifelsfreier Beweis, dass sie alle, das gesamte Team, eine Horde von Großkotzen und Snobs waren. Oleanna wusste, dass es Gregor gleichgültig war, was das Pack, wie er alle »Nicht-Kreativen« nannte, über ihn dachte. Aber Oleanna war nicht so abgestumpft, dass sie keinen Wert mehr auf die Meinung der restlichen Welt legte.

Sie musterte die Menschen hinter dem rot-weiß gestreiften Plastikband. Sie alle sahen sie, den Model-Superstar, an. Oleanna lächelte ihnen freundlich zu. Ihr Blick wanderte die Menschenreihe entlang und blieb dann bei einem Paar hängen, das auf einer Bank saß und Eis schleckte. Eine junge Frau, deren Übergewicht sich im zweistelligen Kilo-Bereich bewegte, und ihr Freund, ein durchtrainierter, südländisch anmutender Typ, der ihr den Arm um die Schulter gelegt hatte. Auch diese beiden schauten zu Oleanna hinüber – doch als Oleanna ihnen zulächelte, lächelten sie nicht zurück. Sie zeigten keine der üblichen erfreuten, nervösen oder aufgeregten Reaktionen, die Oleannas Aufmerksamkeit sonst zur Folge hatte. Die dicke Frau und ihr erstaunlich attraktiver Freund sahen sie bloß an.

Obwohl …

Nein! Sie sahen sie noch nicht einmal an! Oleanna musste erstaunt erkennen, dass die beiden durch sie hindurchschauten. Sie schien ihnen nicht wichtig genug zu sein, um ihren Blick ernsthaft zu justieren. Nicht einmal die Verachtung, die Oleanna manchmal von Leuten entgegenschlug, die es verwerflich fanden, dass man durch bloße Schönheit zur Millionärin werden konnte, war im Blick der beiden zu entdecken. Und auch nicht das Amüsement, das manche Leute über die vermeintlich komplett unterbelichtete Brut der Models an den Tag zu legen pflegten. Nein, für diese beiden dort auf der Bank war sie offenbar völlig irrelevant. Als ob das drittteuerste Model der Welt, eine der offiziell schönsten Frauen des Universums, ihnen bloß als lästiges Hindernis beim Ausblick auf die malerische Alster im Wege stünde.

Es versetzte Oleanna einen Stich. Und mit Entsetzen registrierte sie ein Gefühl, das sie schon lange nicht mehr gespürt hatte: Neid. Sie beneidete die Frau auf der Bank! Die war nicht schön, eher das Gegenteil, sie war mehr als mollig und mampfte trotzdem drei Kugeln sahniges Speiseeis, deren addierte Kalorienzahl Oleannas Fitnesstrainer, Ernährungsberaterin und Agenten ein angstvolles Keuchen in die Kehle getrieben hätte. Und sie fühlte sich wohl dabei, hielt es nicht für erstrebenswert, rank und schlank zu sein, sah im Sex-Appeal des Models nichts Beneidenswertes. Denn die Frau auf der Bank wurde geliebt. So, wie sie war. Die Frau auf der Bank hatte jemanden, an den sie sich anlehnen konnte, der ihr so viel Sicherheit, Geborgenheit und Selbstvertrauen gab, dass sie einen Scheiß auf ihre Pfunde gab, dass sie einfach so dasitzen konnte, völlig zufrieden, und nicht einmal mit einem Hauch von Interesse auf die Überdosis Schönheit und Grazie blickte, die Oleanna verkörperte.

Oleanna war eines der wenigen Models, die weder bulimisch noch magersüchtig waren, sondern sich jeden Tag aufs Neue unter Aufwendung aller Willenskraft zum Verzicht auf Genuss zwingen mussten. Es gab Tage, da hätte Oleanna für einen Schokoriegel oder ein Stück Schwarzwälder Kirschtorte töten können – und trank dann doch bloß eine Flasche Wasser. Jetzt aber sah sie da eine Frau sitzen, die mampfte, wie sie lustig war, die entsprechend aus dem Leim ging und die dennoch das hatte, was der perfekt in Form gehungerten Oleanna auf der Welt am meisten fehlte: jemanden, der einen Arm um ihre Schulter legte.

Natürlich gab es mehr als genug Leute, die Oleanna nur zu gerne versicherten, wie wunderbar sie war – sie hatte Fans, Angestellte, Berater, Kollegen. Aber sie hatte keine Freunde. Nicht einen einzigen. Um sie herum tummelten sich Charmeure, Schleimer, Wichser, Kokser, Betrüger, Parasiten und Lügner. Niemand, der einfach nur tat, was er tun wollte, und niemand, der wirklich sagte, was er dachte. Oleanna war sich nicht einmal sicher, ob vielen der Schönen und Reichen oder doch zumindest Kreativen, mit denen sie jeden Tag zu tun hatte, das Konzept des Denkens überhaupt geläufig war. Und so gab es in Oleannas Welt nicht einen einzigen Arm, den sie auf ihrer Schulter spüren wollte. Himmel, sie war vor kurzem sogar so verzweifelt auf der Suche nach ein bisschen menschlicher Wärme gewesen, dass sie sogar Gregor Halstroem näher als auf Anspuckweite an sich herangelassen hatte! Und nach diesem Fehlgriff und dem grotesken Verdacht, dass die jahrelangen Schwaden von Haarspray und Puder womöglich ihre Menschenkenntnis vergiftet haben könnten, stand nun die selbst gewählte Isolation. Oleanna hatte begonnen sich einzureden, dass sie eine unabhängige Frau war, die gut ohne all diesen Kuschelkitsch klarkäme. Doch jetzt, wo sie dieses beneidenswert selbstvergessene Paar auf der Parkbank sah, konnte sie diese Lüge vor sich selbst nicht mehr aufrechterhalten.

 

»Sonne!«, quietschte Branko, und die zweite Assistentin rannte, eifrig bestrebt, das rare goldene Flirren am Hamburger Himmel unverzüglich einzufangen, zu ihrem Reflektor und brachte ihn in Position.

»Sabine!«, grölte Gregor und machte sich wie so oft einen Spaß daraus, Oleanna bei ihrem wahren Namen zu nennen und sie so vor dem versammelten Pack vom Olymp zu zerren.

Oleanna warf sich in Position, lächelte strahlend, hob den Kopf, straffte die Schultern, tat alles, was ihr gesagt wurde. Gregor knipste und knipste. Er ließ sie strammstehen, sich drehen, jede noch so absurde – aber angeblich ausgesprochen ästhetische – Haltung annehmen.

»Lächeln, Sabine! Warum haben deine Agenten dich drei Tage lang beim Zahnarzt rumsitzen lassen, wenn du jetzt nicht deine polierten Beißerchen zeigst?«

»Du weißt, was ich dir damit am liebsten abbeißen würde, oder, Gregor-Schätzchen?«, zischte Oleanna zwischen den Zähnen hervor.

Gregor, der gerade einen Assistenten vierter Klasse zusammenschiss, weil der ihm nicht rechtzeitig die richtige Kamera gereicht hatte, hörte Oleannas geflüsterte Kastrationsandrohung nicht. Aber Lisa, die Visagistin, gluckste leise vor sich hin und zwinkerte Oleanna verschwörerisch zu. Von Frau zu Frau. Oleanna rollte mit den Augen. Elende Heuchlerin. Du würdest mit diesem Arschloch doch schneller in die Kiste springen, als der ›Mach dich schon mal frei‹ sagen kann.

Während Gregor die Kamera wechselte, wanderte Oleannas Blick wieder zu dem Paar auf der Bank. Die beiden hatten ihr Eis aufgegessen und die Frau ihren Kopf ganz auf die Schulter ihres Freundes gesenkt. Sie hatte die Augen geschlossen und genoss es, wie ihr Freund ihr über das Haar strich. Es sah aus, als summe sie leise etwas vor sich hin. Während er seine Freundin liebkoste, sah der Mann Oleanna an, die unter dem nicht unfreundlichen, aber vollkommen desinteressierten Blick regelrecht zu zittern begann. Oleanna war es gewohnt, dass selbst Erstliga-Kerle, elegante Hollywoodstars und rassige Pop-Machos bei Augenkontakt mit ihr nervös zu zwinkern begannen. Doch diesen Mann – einer, der bei aller Attraktivität dann doch nicht ganz in ihrer Spielklasse agierte – interessierte das gar nicht. Und es bestand keinerlei Zweifel daran, dass er seine mopsige Freundin niemals gegen Oleanna tauschen würde. Er hatte einen Schatz im Arm. Die Frau, die eine sechsstellige Summe für eine einzige Fotosession erhielt, war ihm dagegen nur eines nüchternen, leeren Blickes bar aller Begehrlichkeit wert.

»Ein bisschen Seele, Süße«, quengelte der Rothaarige. »Oleanna-Schatz, wo bist du mit deinen Gedanken? Schau uns an! Nicht so einen Flunsch! Das sind Super-Klamotten!«

Oleanna fragte sich einmal mehr, wie Gregor eine solch unfassbare Flitzpiepe wie Branko zu seinem Sprachrohr machen konnte.

»Du bist glücklich wie eine frisch gebürstete Pudeldame, dass du sie tragen darfst!«

Wie konnte jemand ernsthaft annehmen, einen anderen Menschen zu motivieren, indem er ihn mit einem Hund verglich? Aber vielleicht war es ja genau das, was Oleanna für sie alle verkörperte: ein Hündchen, das Männchen machte. Das man frisierte und dressierte, an der Leine führte und auf Hundeschauen präsentierte.

»Seele, Schätzchen! Wir brauchen Seele!«, quietschte Branko mit zunehmender Ungeduld.

Wuff, wuff.

Oleanna sah zur Parkbank hinüber.

Gregor ließ die Kamera sinken, da Oleannas Gesichtsausdruck völlig entgleiste und sie plötzlich aussah wie das Schrecklichste, was einem Modefotografen überhaupt nur begegnen kann: wie ein ganz normaler Mensch!

»Sabine«, bellte er zu ihr hinüber. »Was ist los mit dir? Reiß dich zusammen! Ich habe keine Zeit für deine verschissenen Mätzchen!«

Das Paar lachte leise. Ob sie über die groteske Szenerie lachten, über die bis zur Künstlichkeit durchgestylte Frau, um die eine aufgeregte Entourage von Speichelleckern und gernegroßen Despoten herumwimmelte, oder über irgendetwas anderes, konnte Oleanna nicht erkennen. Die beiden kicherten, den Blick von Oleanna und ihrem verhassten Hofstaat abgewandt. Und dann küssten sie sich. Leidenschaftlich. Sie waren ganz allein mit sich; Oleanna, Gregor, Branko, Lisa und der Rest der Welt waren ihnen völlig schnurz.

»Oleanna!«, brüllte Gregor, und vor Aufregung vergaß er sogar, sie bei ihrem richtigen Namen zu nennen. »Oleanna! Die beschissene Sonne ist in spätestens drei Minuten wieder verschwunden.«

Oleanna betrachtete das küssende Pärchen.

»Reiß dich zusammen und mach uns die Schönheitskönigin, verdammt noch mal!«

Oleanna riss sich von dem Anblick auf der Parkbank los und wandte sich wieder zu Gregor, Branko und Lisa um – und plötzlich wusste sie, was sie wollte. Das heißt, sie wusste zumindest, was sie nicht wollte. Sie wollte nicht mehr der Pudel in diesem Wolfsrudel sein.

Erhaben – erhabener, als sie es je auf dem Laufsteg gewesen war – ging sie auf Gregor zu. Mit langsamen, festen Schritten. Das Kreuz durchgedrückt, den Kopf erhoben. Und um ihre Lippen spielte der leise Hauch eines Lächelns. Ein bedrohliches Lächeln.

Branko quietschte irgendetwas. Er war verwirrt. Was sollte das? Wie konnte ein professionelles Fotomodell mitten in einer nur wenige Minuten langen Sonnenphase das Motiv verlassen? Wie konnte ein Model überhaupt eigenmächtig entscheiden, wo es hingeht? Lisa, die sonst ihre Mimik kontrollierte wie die CIA ihre Exil-Kubaner, starrte sie mit halb geöffnetem Mund an, und endlich sah sie einmal so dämlich aus, wie sie tatsächlich war. Und Gregor, der jetzt nur noch drei Schritte von der immer breiter grinsenden Oleanna entfernt war, hob gerade an, etwas zu sagen, als das drittteuerste Model der Welt plötzlich mit einem Riesensatz auf ihn zustürzte – und ebenso unvermutet wie unglaublich lautstark loskläffte. Sie bellte wie ein tollwütiger Hund! Der Pudel hatte die Schnauze voll!

»Wau! Wau! Wau! Grrrrrrrgh!«

Gregor stolperte vor Schreck zwei, drei Schritte zurück, verhedderte sich in dem Kabel eines Scheinwerfers, strauchelte und fiel schließlich direkt in einen Rhododendronbusch. Die Zaungäste lachten herzhaft, als sich der Herr Fotograf mit zornesrotem Gesicht und Flüchen, die selbst einem minderintelligenten Zuhälter peinlich wären, aus der Botanik rappelte.

Oleanna schaute ein letztes Mal zur Bank. Hatte das wunderbare Paar, das so friedlich und glücklich mit sich selbst lebte, wenigstens diesen Auftritt mit ihren Blicken gewürdigt?

Die Bank war leer.

Oleanna lächelte und zuckte die Achseln. Die beiden waren sicher auf dem Weg nach Hause und würden, sowie die Tür sich hinter ihnen geschlossen hatte, Liebe machen.

Gregor pöbelte etwas, doch Oleanna hörte gar nicht hin. Sie ging weiter, überschritt das rot-weiße Absperrband. Als Branko hinter ihr herkam und einen halbherzigen Versuch unternahm, sie aufzuhalten, knurrte sie ihn mit gefletschten Zähnen an. Der Assistent zuckte sichtlich zusammen und wurde rot, als die Passanten ihn auslachten. Auch Oleanna musste lachen. Sie winkte den Leuten zu, die amüsiert applaudierten, und ging davon. Als Erstes würde sie sich ein Eis kaufen. Drei Kugeln. Und dann würde sie einen der Portiers im Hotel bitten, eine Zugverbindung nach Tarp herauszusuchen.

 

Wenn Oleanna gesehen hätte, wie sich das von ihr so bewunderte Paar kurz zuvor umständlich von der Parkbank erhoben hatte, wie die beiden ihre zusammengeklappten Blindenstöcke aus den Taschen geholt und dann mit leisem Tack-tack-tack ihren Heimweg angetreten hatten – wer weiß? Vielleicht wäre Sabine Wirth dann heute immer noch ein Topmodel.

[home]

Déjà-vu

Der Regen kam völlig unerwartet. Eben noch hatte die Sonne geschienen, kaum ein Wölkchen war am Himmel zu sehen gewesen. Dann waren jedoch blitzschnell, ohne dass man wusste woher, dunkle Streifen am Himmel aufgetaucht, und nicht mal eine Minute später hatte es sintflutartig zu schütten begonnen.

Fabian sprang hastig von der Bank, hielt sich die Zeitung, die er eben noch gelesen hatte, über den Kopf und tat, was auch alle anderen taten: Er suchte sich einen Unterschlupf.

Die Auswahl an trockenen Plätzen war an der Außenalster jedoch gering. Der eine oder andere Baum bot leidlichen Schutz, man konnte sich ein Stück weiter in das italienische Restaurant retten oder über die Straße in Richtung City laufen, wo diverse Hauseingänge Regenasyl bieten würden. Fabian aber zog es vor, keinen Schritt weiter als nötig zu flüchten und statt völlig durchweichter Klamotten lieber den unpopulärsten aller Unterstände zu wählen: das Toilettenhäuschen neben dem Bootsanleger. Ein kleines Vordach bot genug Platz für vier oder fünf Leute. Doch weil man als Preis für die Trockenheit den Mief in Kauf nehmen musste, der durch das Kippfenster vom Pissoir nach draußen zog, war Fabian der Einzige, der sich hierher rettete.

Er nahm die pitschnasse Zeitung, die sich binnen Sekunden dermaßen voller Wasser gesogen hatte, dass sie Fabians Haar mit Tropfen flüssiger Druckerschwärze einzufärben begonnen hatte, und warf sie in den Papierkorb neben sich. Dann schüttelte er sich und zog an seinem nassen Hemd. Er löste es mit einem leisen Schmatzgeräusch von seiner Haut.

Fabian atmete tief aus und fragte sich gerade, wie lange dieser Regenguss wohl dauern würde, als sein Blick noch einmal zurück zur Parkbank wanderte. Und auf der stand, verdammt, sein Rucksack! In der Eile hatte Fabian völlig vergessen, ihn mitzunehmen.

Seufzend rannte er also wieder durch die prasselnden Wassermassen, diesmal sogar ohne den bescheidenen Schutz der Zeitung, schnappte sich den triefend nassen Rucksack und lief so schnell wie möglich wieder zum Toilettenhäuschen. Beim Rennen kniff er die Augen zu, weil ihm der Regen direkt ins Gesicht peitschte. Es war ein kalter Regen, ein unangenehmer Frühlingsschauer.

Als Fabian wieder unter dem Dach des Toilettenhäuschens stand, sich mit der Hand über das Gesicht fuhr und langsam wieder seine volle Sehfähigkeit zurückgewann, bemerkte er, dass er nicht mehr allein war. Neben ihm stand eine Frau.

»Scheißwetter«, sagte sie. »So viel zum Thema Frühling in Hamburg.« Sie lächelte.

Normalerweise war Fabian nie um ein Wort verlegen. Ganz im Gegenteil: Er war ein Ausbund an Schlagfertigkeit und Charme. Doch unerklärlicherweise gelang ihm diesmal nur ein zustimmendes, stummes Nicken.

Irgendetwas war mit dieser Frau …

Sie war etwa Anfang vierzig. Schlank. Ihr Haar, das sie schulterlang trug, war von einem dunklen Brünett, aber vielleicht sah es normalerweise, wenn es nicht wassertriefend von ihrem Kopf herabhing, heller aus. Sie trug eine schwarze, schlichte Jeans, Turnschuhe, ein graues Sweatshirt. Sie war, sofern Fabian das beurteilen konnte, kaum geschminkt. Nur um ihre Augen herum hatte sich ein dünner Strich Eyeliner aufzulösen begonnen. Und, ja – es waren die Augen. Irgendetwas in diesen Augen erschien Fabian seltsam vertraut.

Wer zum Teufel war sie? Schon lange hatte Fabian keine Frau mehr dermaßen anziehend gefunden. Und sie zog ihn im allerwörtlichsten Sinne an – als wäre sie ein Magnet. Der Sog, der von ihr ausging, beruhte nicht auf bloßen Äußerlichkeiten. Es war ein undefinierbares Knistern und Knacken zwischen ihnen, ein Säuseln. So, als ob sie zu ihm gehörte. Als ob sie ihn rief.

Aber das ist doch albern!

Liebe auf den ersten Blick?

Blödsinn!

Wahrscheinlicher war vielmehr, dass er sie von irgendwoher kannte. Dass er sich an sie erinnerte. Nur eben nicht mit seinem Gedächtnis, sondern mit seinen Sinnen.

Fabian kramte in seinen Erinnerungen, wo ihm diese Frau schon mal begegnet sein könnte. Doch es fiel ihm ums Verrecken nichts ein.

»So ein schöner Anblick bin ich nun auch wieder nicht«, lachte die Frau plötzlich und schreckte Fabian aus seinen Gedanken auf.

Er zuckte zusammen. Hatte er sie etwa die ganze Zeit angestarrt? Er hatte. Wahrscheinlich mit dämlich halb geöffnetem Mund geglotzt und geglotzt und es nicht mal bemerkt.

»Entschuldigung«, sagte Fabian. »Es ist nur … Kennen wir uns nicht irgendwoher?«

»Kennen?« Die Frau grinste. »Kennen ist ein großes Wort. Wer kennt schon wirklich jemand anderen? Nein, ich glaube nicht, dass wir uns je gekannt haben.«

Fabian war verwirrt.

»Aber«, hakte er nach, »wir sind uns schon mal begegnet?«

»Ja«, sagte die Frau. Und ihr Lächeln ließ ein wenig nach. »Wir sind uns schon mal begegnet.«