Die Befreier - Claudia Sperlich - E-Book

Die Befreier E-Book

Claudia Sperlich

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Beschreibung

Dreizehn kurze Geschichten über Dinge, die besser nicht geschehen wären - teils realistisch, teils dystopisch, mit Gruselanteilen. Auszug: Bundeswehrhubschrauber kreisten anderntags über der Stadt. Bundespräsident und Bundeskanzlerin hielten ernste Reden, sprachen den Opfern ihren Respekt und den Angehörigen ihr Beileid aus und mahnten, die Anweisungen der Sicherheitskräfte zu befolgen und Ruhe zu bewahren, wiederholten im Wesentlichen die Ratschläge der Polizei. Stündlich wurde berichtet, in welchen Bezirken Großkatzen und Bisons gesichtet worden waren. Teltowkanal, Spree und Havel wurden zu Gefahrenzonen erklärt wegen der Krokodile und Alligatoren. Ein Sprecher von Greenpeace äußerte sich bestürzt und prognostizierte verheerende Folgen für die Fischpopulation. Die blieben allerdings aus; bisher fügen sich die Gäste gut ins Ökosystem ein.

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EPUB
MOBI

Seitenzahl: 82

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Für

Josef Bordat

Claudia Sperlich

Die Befreier

13 Geschichten von Verwandten, Nachbarn und anderen Dämonen

© 2017 Claudia Sperlich

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

Paperback

978-3-7439-0866-6

Hardcover

978-3-7439-0867-3

e-Book

978-3-7439-0868-0

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Inhalt

Arme Tante Rike

Nadeln

Ein Job fürs Leben

Kettenöl

Genetisch einwandfrei

Fünfmal Sterben

Mahlzeit

Onkel Walter

Das Amt

Weihnachtsfeier mit Autorenlesung

Friede sei mit dir

Das Erbstück

Die Befreier

Arme Tante Rike

„Hast du einen Freund, Tante Rike?“ Sie ist groß geworden, dachte Friderike. Nicht mehr das Baby überm Taufbecken. „Einen sehr schönen sogar“, lächelte sie. Hella blieb ernst und sachlich. „Und Kinder?“ „Nein, Mäuschen. Kinder haben wir nicht.“ Hella wußte Rat. „Dann mußt du mit dem schlafen.“ „Nützt nichts bei uns“, sagte ihre Tante, „- also, jedenfalls nicht zum Kinderkriegen.“ Hella wußte es besser: „Mama hat aber gesagt, davon kriegt man Kinder. Sonst wär ich nicht da.“ Friderike grinste. „Überwältigend logisch. Aber bei mir ist etwas hier unten kaputt, und deshalb kann ich nicht schwanger werden.“ Das Mädchen rutschte vom Stuhl, lief auf die Frau zu und streichelte ihr Gesicht. „Deswegen mußt du nicht traurig sein, Tante Rike. Ich bin ja schon bei Mama, aber ich komm dich ganz oft besuchen, dann ist das fast genau so gut.“ Sie brach ab, zögerte und fragte mit dem Interesse eines Verhaltensforschers: „Du, Tante Rike - wieso schlaft ihr dann miteinander?“

Für diesmal wurde Friderike von der Antwort entbunden. Es klingelte, Hella riß die Tür auf und stürzte auf ihre Mutter zu, ließ sich durch die Luft schwenken und abküssen. Friderike stand neben den leergegessenen Kuchentellern und betrachtete das Schattenbild im hellen Viereck der geöffneten Tür. Der Garten verschwand im goldenen Spätsommerlicht; ihre Schwester hielt das Mädchen auf dem Arm und hatte den Kopf so geneigt, daß ihre Stirnen sich beinahe berührten. Friderike sah an sich herunter. „Etwas hier unten kaputt“, flüsterte sie.

Renate schlug ihr den Arm um die Schulter. „Na, Schwesterherz. War die Kleine brav?“ Hastig nickte Friderike. „Ist sie doch immer, die Süße.“ Dabei stellte sie die Teller zusammen, ohne ihre Schwester anzublicken. „Könntest Du mich vielleicht nächstes Wochenende von ihr befreien? Ich müßte mal eine Weile mit Paul allein sein. Wäre wirklich süß von dir.“

Friderike versicherte, es sei ihr ein Vergnügen. Hella jubelte. „Können wir verreisen, Tante Rike?“ fragte sie begierig. Die lächelte. „Wenn deine Mama nichts dagegen hat, können wir in mein Ferienhaus wandern. Du wanderst doch gerne?“

Der Brief war maschinengeschrieben.

„Liebe Friderike, ich glaube, es hat keinen Sinn. Ich fühle mich erdrückt. Du versuchst einerseits, mich zu vereinnahmen, andererseits interessierst Du Dich mehr für Deine Nichte als für mich. Ich glaube, sogar mehr als für Dich selbst. Ich bin mindestens auf längere Zeit weg. Such mich nicht. Gruß, Stephan.“

„Alter Trottel“, murmelte sie. Dabei liefen ihr Tränen über das Gesicht.

Renate blinzelte ihrer Schwester müde entgegen. Hella warf sich ihr an den Hals, verlangte ihren Rucksack, rannte zurück ins elterliche Schlafzimmer und küßte ihren Vater ab, der darüber grunzend aufwachte. „Kommt heile wieder“, brummelte er. „Ruft an, wenn was passiert.“

„Hier sieht es ein bißchen aus wie bei Oma. Aber auch ganz anders“, stellte Hella fest, als sie den dörflichen Bahnsteig verließen. Der Damm leuchtete gelb von Goldruten. Friderike breitete die Karte auf einer Bank aus. „Siehst du, hier ist Norden - immer oben auf der Karte. Wir müssen nach Süden, den Weg lang...“ In weniger als einer Viertelstunde hatte Hella gelernt, eine Wanderkarte zu lesen, und Friderike letzte Gewißheit über die Route gewonnen. Hand in Hand zogen sie los, schmetterten Lieder, machten einander auf Blumen, sonderbar verfärbte Blätter und winzige Insekten aufmerksam. Im Landschaftsschutzgebiet rasteten sie zum ersten Mal. „Den Müll nehmen wir schön mit.“

Farnkraut ragte über ihre Köpfe. „Das ist wie in dem Spiel mit den Elfen.“ Friderike hatte das Computerspiel einmal mitgespielt und fand es kitschig. „In dem Spiel riecht man aber nichts.“ Hella nickte. „Ja, Tante Rike. Das hier ist eigentlich besser als ein Spiel. Außerdem macht man alles selber.“

Das Ferienhaus lag sehr einsam an einem verträumten kleinen See. Friderike hatte es vor Jahren für künftige Familienurlaube mit Kindern gekauft, hatte jedes zweite Wochenende renoviert und eingerichtet. Seit der Operation war sie nur noch selten dort gewesen. Es war staubig und muffig, aber Hella jubelte. „Ein Zauberhaus! Weißt du, der gute Zauberer in dem Spiel hat so ein Haus. Aber nur der gute, der andere nicht.“ „Ja, aber bei dem Zauberer macht der Besen von selber sauber, nicht? Hier müssen wir das machen.“ Begeistert half Hella beim Fegen. Die Hütte wurde wirklich gemütlich, gelüftet war nun auch. Friderike holte Nudeln und Tomatensauce aus dem Rucksack und machte in der winzigen Einbauküche Abendessen. Hella war bald so müde, daß sie vergaß, nach dem Fernsehprogramm zu fragen, und schlief schnell ein.

Mit dem Finger zog Friderike den Weg auf der Karte nach und ging in Gedanken auf der anderen Seite des Sees zurück. Dann legte sie die Karte sorgfältig zusammen, steckte sie wieder in den Gürtel und ging auf die Terrasse. Sie fröstelte im aufsteigenden Nebel. Über dem See schwamm ein dunkler werdender Streifen Abendlicht. Die hellen, flach umzäunten Steinplatten und ein hoch aufgetürmter Holzstapel am Weg brachten sie zu Gedankenverbindungen von Tanzplatz, Feuerplatz, heidnische Feiern, Stonehenge und so. Gebannt sah sie zu, wie sich verdichtende Nebelschwaden den Seespiegel verdeckten. Avalon, oder was immer. Sie spürte die Kälte nicht mehr; Blut pochte in ihren Schläfen. Reglos wartete sie auf die Dunkelheit. Erst als sie die ihr bekannten Sternbilder unterscheiden konnte, beschloß sie, ins Haus zu gehen, wandte sich aber doch nicht um. Ergriffen, ohne im geringsten zu ahnen, wovon, krampfte sie die Hand um die Karte und zog sie langsam aus dem Gürtel, ohne die Stellung zu verändern. Dann ließ sie sich auf ein Knie nieder, breitete die Karte sorgfältig aus und faltete die Ecken zur Mitte, drehte sie um und wiederholte den Vorgang. Hier taten Opfer Not - für wen? - gleich, hier waren Leben und Tod und All und Nichts versammelt, und ihr oblag es, die heilige Handlung zu vollziehen. Sie kramte das Mobiltelephon aus der Tasche, pulte die Sim-Karte heraus und legte sie auf das Papier. Neben dem forstamtseigenen Holzstapel fand sie trockenes Laub und streute es darüber. In der Rocktasche tastete sie nach dem Feuerzeug, hielt es kurze Zeit mit zärtlicher Ehrfurcht auf der ausgestreckten Hand, weckte die Flamme und hielt sie unter das Papiergebilde. Die Karte flammte auf und verglomm unter ihren segnenden Händen. Langsam stand sie auf und ging hinein, wusch sich sorgfältig und ging ins Schlafzimmer.

Friderike erwachte von Hellas trappelnden Schritten. Die Welle von Scham war schnell überwunden. Sie hatte vollkommen richtig gehandelt; alles andere wäre eine Unterlassungssünde gewesen. Ihre Schwester hatte Hella niemals wirklich geliebt. Sicher war das Kind nur für sie, die Sterile, geboren, von der, die nicht gebären wollte, für die, die es nicht konnte... „Meine Kleine“, murmelte sie. Hella hopste zu ihr. „Ja, Tante Rike. ń Morgen. Machst du mir einen Kakao?“ Friderike fuhr auf. „Ja, natürlich. Gleich. Ich habe noch ein bißchen geträumt. Geh dich aber erst waschen.“ Sie blieb sitzen, bis sie die Badezimmertür klappen hörte. Dann stand sie auf, stellte sich mit einiger Sorgfalt gerade hin und schritt in die Küche. In einer Schublade fand sie die Küchenschere, ging zum Festnetztelephon und durchschnitt das Kabel, verwahrte die Schere wieder, nahm den Besen und hastete auf die Terrasse. Die schwarzen Aschenfetzen zeigten noch ein Netz von heller glänzenden Straßen. Langsam schob sie den Haufen vor sich her. Erst auf dem taunassen Gras zerbröselte die Asche zur völligen Unkenntlichkeit. „Hella ist mein Kind“, flüsterte sie. Dann ging sie in die Küche und setzte die Milch auf.

„Der Kakao ist gut“, sagte Hella anerkennend. Friderike lächelte. „Freut mich, mein Schatz. Übrigens ist ein bißchen was Blödes passiert.“ „Was denn?“ Hella blieb ruhig. „Ich habe die Karte verloren“, sagte ihre Tante. „Außerdem ist das Telephon kaputt, das Handy auch. Und einen PC oder so etwas haben wir hier nicht. Und weißt du, ohne Karte finde ich mich gar nicht zurecht. Wir können nicht zurück.“

Nadeln

Vor der Mahnwache bleibt sie stehen. Klein, schmächtig, die Augen fingerbreit dunkelblau gerändert, klatschrosa Kußmund. Platinblondes toupiertes Haar, die dünne Bluse tief ausgeschnitten, Jeansjacke, Ledermini, Nahtstrümpfe mit Laufmaschen. Schiefstehende Mausezähne, blasses rundes Gesicht, blutiger Hautausschlag an Hals und Händen.

Gandhi, der war ja auch irgendwie wie Jesus, oder.

Meinter, det ändert was, wenner hier steht?

Naja... Aber es passiert doch allet, was passieren muß. Lies doch mal ins Alte Testament. Da steht auch, daß Gott alle Leute vernichtet, wennse nich glauben und nich gehorchen. Dann wirder zornig, und dann machter sie zu Staub.