Die Berechnung des Kosmos - Ian Stewart - E-Book

Die Berechnung des Kosmos E-Book

Ian Stewart

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Beschreibung

Ian Stewarts Führer durch den Kosmos führt uns von der Entstehung der Erde und ihres Mondes zu den Planeten und Asteroiden des Sonnensystems und von dort hinaus in die Galaxie und das Universum. Er beschreibt, wie sich Galaxien bilden, warum Sterne implodieren, wie alles begann und wie es enden wird. Er spekuliert über Paralleluniversen oder welche Formen extraterrestrisches Leben annehmen könnte. Mathematik war seit den alten Babyloniern die treibende Kraft in Astronomie und Kosmologie. Stewart schildert, wie Keplers Werk über Planetenbahnen Newton dazu brachte, seine Gravitationstheorie zu formulieren, und wie zwei Jahrhunderte später Unregelmäßigkeiten in der Marsbewegung Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie inspirierten. Nachvollziehbar erklärt er die Grundlagen von Gravitation, Raumzeit, Relativität und Quantentheorie und zeigt, wie sie alle miteinander in Beziehung stehen. Vor 80 Jahren führte die Entdeckung, dass das Universum expandiert, zur Urknall-Theorie, das wiederum führte Kosmologen dazu, Phänomene wie Dunkle Materie und Dunkle Energie zu postulieren. Aber gibt es Dunkle Materie tatsächlich und könnte eine weitere wissenschaftliche Revolution im Gange sein, die die gegenwärtigen wissenschaftlichen Überzeugungen in Frage stellt? Diese und andere Fragen behandelt Stewart auf seinem Streifzug durch die Gefilde von Astronomie und Kosmologie.

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Ian Stewart

Die Berechnung des Kosmos

Wie die Mathematik das Universum entschlüsselt

Aus dem Englischen von Monika Niehaus und Bernd Schuh

Ihr Verlagsname

Über dieses Buch

Ian Stewarts Führer durch den Kosmos führt uns von der Entstehung der Erde und ihres Mondes zu den Planeten und Asteroiden des Sonnensystems und von dort hinaus in die Galaxie und das Universum. Er beschreibt, wie sich Galaxien bilden, warum Sterne implodieren, wie alles begann und wie es enden wird. Er spekuliert über Paralleluniversen oder welche Formen extraterrestrisches Leben annehmen könnte.

Mathematik war seit den alten Babyloniern die treibende Kraft in Astronomie und Kosmologie. Stewart schildert, wie Keplers Werk über Planetenbahnen Newton dazu brachte, seine Gravitationstheorie zu formulieren, und wie zwei Jahrhunderte später Unregelmäßigkeiten in der Marsbewegung Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie inspirierten. Nachvollziehbar erklärt er die Grundlagen von Gravitation, Raumzeit, Relativität und Quantentheorie und zeigt, wie sie alle miteinander in Beziehung stehen. Vor 80 Jahren führte die Entdeckung, dass das Universum expandiert, zur Urknall-Theorie, das wiederum führte Kosmologen dazu, Phänomene wie dunkle Materie und dunkle Energie zu postulieren. Aber gibt es dunkle Materie tatsächlich, und könnte eine weitere wissenschaftliche Revolution im Gange sein, die die gegenwärtigen wissenschaftlichen Überzeugungen in Frage stellt? Diese und andere Fragen behandelt Stewart auf seinem Streifzug durch die Gefilde von Astronomie und Kosmologie.

Über Ian Stewart

Ian Stewart, geboren 1945, ist der beliebteste Mathematik-Professor Großbritanniens. Seit Jahrzehnten bemüht er sich erfolgreich, seine Wissenschaft zu popularisieren. Er studierte Mathematik in Cambridge und promovierte an der Universität Warwick. Dort ist er heute Professor für Mathematik und Direktor des Mathematics Awareness Center. Seit 2001 ist Stewart zudem Mitglied der Royal Society. Er lebt mit seiner Familie in Coventry.

Einleitung

«Nun, ich habe es ausgerechnet.»

So antwortete Isaac Newton Edmond Halley auf die Frage, woher er wisse, dass ein reziprokes quadratisches Abstandsgesetz für die Anziehung zwischen Himmelskörpern zu einer Ellipse für die Umlaufbahn eines Planeten führe.

Zitiert nach Herbert Westren Turnbull, The Great Mathematicians

Am 12. November 2014 hätte ein intelligentes Wesen von einem anderen Stern, das unser Sonnensystem observiert, eine verwirrende Beobachtung machen können. Schon seit Monaten war ein kleiner Apparat einem Kometen auf seiner Bahn um die Sonne gefolgt – ganz passiv, schlafend. Doch plötzlich erwachte der Apparat und spuckte eine noch kleinere Maschine aus. Diese stieg auf die pechschwarze Oberfläche des Kometen hinab, traf ihn … und schlug mehrmals hart auf. Als sie schließlich zur Ruhe kam, kippte sie auf eine Seite und rammte einen Felsbrocken.

Als dem Außerirdischen klar wurde, dass die Landung nicht ganz wie geplant verlaufen war, war er möglicherweise nicht furchtbar beeindruckt. Doch hatten die Ingenieure hinter den beiden Maschinen ein Kunststück ohnegleichen vollbracht – nämlich eine Raumsonde auf einem Kometen landen zu lassen. Die größere Maschine war Rosetta, die kleinere Philae und der Komet hieß 67P/Tschurjumow-Gerassimenko. Die Mission wurde von der European Space Agency (die europäische Raumfahrtorganisation ESA) durchgeführt, und der Flug dauerte mehr als zehn Jahre. Trotz der holprigen Landung erreichte Philae die meisten ihrer wissenschaftlichen Ziele und sandte wichtige Daten zur Erde zurück. Rosetta funktioniert weiterhin wie geplant.

Warum landet man auf einem Kometen? Kometen sind für sich genommen schon sehr interessant, und alles, was wir über sie herausfinden können, erweitert unser Grundlagenwissen in nützlicher Weise. Ganz praktisch betrachtet, kommen Kometen der Erde gelegentlich nahe, und ein Zusammenprall würde gigantische Verwüstungen zur Folge haben, sodass es klug ist, herauszufinden, woraus Kometen bestehen. Man kann die Umlaufbahn eines festen Körpers mit Hilfe einer Rakete oder einer Atomrakete verändern, aber eine zu schwache könnte auseinanderbrechen und das Problem verschlimmern. Es gibt jedoch noch einen dritten Grund. Kometen enthalten Material, das auf den Ursprung des Sonnensystems verweist; deswegen liefern sie wertvolle Hinweise zum Verständnis, wie unsere Welt entstanden ist.

Astronomen glauben, dass Kometen schmutzige Schneebälle sind, nichts als Eis mit einer dünnen Staubschicht darauf. Philae konnte das bestätigen, jedenfalls für den Kometen 67P, bevor ihre Batterien erschöpft waren und die Sonde für immer schwieg. Falls sich die Erde in der gegenwärtigen Entfernung von der Sonne gebildet hat, besitzt sie mehr Wasser, als sie dürfte. Wo kam dieses zusätzliche Wasser her? Eine attraktive Möglichkeit wäre ein Bombardement durch Millionen Kometen, als sich das Sonnensystem bildete. Das Eis schmolz, und die Ozeane waren geboren. Vielleicht überrascht es, dass man diese Theorie prüfen kann. Wasser besteht aus Wasserstoff und Sauerstoff. Wasserstoff kommt in drei verschiedenen atomaren Formen vor, die man als Isotope bezeichnet. Sie alle haben dieselbe Anzahl Protonen und Elektronen (jedes einzelne Atom), doch sie unterscheiden sich in der Anzahl der Neutronen. Gewöhnlicher Wasserstoff hat keine Neutronen, Deuterium hat eins und Tritium zwei. Wenn die Ozeane der Erde auf Kometeneinschläge zurückgehen, müsste das Verhältnis dieser Isotope im Meer und in der Erdkruste, deren Gestein ebenfalls große Mengen Wasser enthält, den Mengenverhältnissen in den Kometen ähneln.

Der Komet 67P, auch «Gummiente» genannt, von Rosetta fotografiert.

Philaes Analyse zeigt, dass 67P im Vergleich zur Erde einen höheren Anteil Deuterium enthält. Weitere Daten von anderen Kometen werden nötig sein, um ganz sicherzugehen, doch die These vom Entstehen der Ozeane aus einem Kometenhagel steht bereits auf wackligen Füßen.

Die Rosetta-Mission ist nur ein Beispiel für die zunehmenden menschlichen Fähigkeiten, Roboter zur wissenschaftlichen Erkundung oder zum alltäglichen Gebrauch ins Weltall zu entsenden. Diese neue Technologie hat unsere wissenschaftlichen Bestrebungen erweitert. Unsere Raumsonden haben mittlerweile Schnappschüsse von jedem Planeten im Sonnensystem und sogar von noch kleineren Himmelskörpern zur Erde gefunkt.

Der Fortschritt vollzieht sich rapide. Amerikanische Astronauten landeten 1969 auf dem Mond. 1972 wurde Pioneer 10 gestartet; die Sonde besuchte Jupiter und verließ anschließend das Sonnensystem. Pioneer 11 folgte im Jahr darauf und besuchte auch Saturn. 1977 starteten Voyager 1 und Voyager 2, um diese Welten und außerdem die noch weiter entfernten Planeten Uranus und Neptun zu erkunden. Andere Raumschiffe, von anderen Nationen oder nationalen Zusammenschlüssen gestartet, haben Merkur, Venus und Mars besucht. Einige sind sogar auf Venus und Mars gelandet und haben wertvolle Informationen zurückgesendet. 2015 sind fünf Raumsonden[1] und zwei Oberflächenfahrzeuge[2] dabei, den Mars zu erkunden, Cassini umrundet Saturn, die Raumsonde Dawn umkreist den früher als Asteroid und nun als Zwergplanet bezeichneten Ceres, und das Raumschiff New Horizons ist gerade am bekanntesten Zwergplaneten unseres Sonnensystems vorbeigesaust und hat umwerfende Bilder von ihm gesendet: Pluto. Seine Daten werden dazu beitragen, die Geheimnisse dieses rätselhaften Himmelskörpers und seiner fünf Monde zu entschlüsseln. Die Sonde hat schon bewiesen, dass Pluto unwesentlich größer als Eris ist, ein noch weiter entfernter Zwergplanet, den man bislang für den größten gehalten hatte. Pluto wurde ja seinerzeit zum Zwergplaneten zurückgestuft, um Eris seines planetaren Status zu entheben. Nun zeigt sich, dass das gar nicht nötig gewesen wäre.

Am 14. Juli 2015 sandte die NASA-Sonde New Horizons dieses historische Bild von Pluto zur Erde, das erste, auf dem Merkmale des Zwergplaneten deutlich zu sehen sind.

Wir fangen auch gerade an, weniger wichtige, doch gleichermaßen faszinierende Himmelskörper zu erkunden: Monde, Asteroiden und Kometen. Das ist noch nicht Star Trek, doch die letzte Grenze, The Last Frontier, ist eröffnet.

Die Erkundung des Weltraums ist Grundlagenwissenschaft, und während die meisten Menschen neue Erkenntnisse über die Planeten faszinierend finden, wären manchen Steuerzahlern etwas handfestere Ergebnisse lieber. Soweit es unseren Alltag betrifft, ist die Fähigkeit, gravitative Wechselwirkung zwischen Körpern mathematisch zu modellieren, die Quelle einer Reihe technologischer Wunder, die auf künstlichen Monden beruhen: Satellitenfernsehen, ein hocheffizientes internationales Telefonnetzwerk, Wettersatelliten, Satelliten, die Magnetstürme auf der Sonne registrieren, Umweltbeobachtungssatelliten, die auch den Globus kartieren – bis hin zu Fahrzeugen, die mit Hilfe des Global Positioning System navigieren.

Diese Errungenschaften hätten frühere Generationen erstaunt. Noch in den 1930er Jahren dachten die meisten Menschen, dass nie ein Mensch den Mond betreten würde. (Heute noch glaubt eine Menge naiver Verschwörungstheoretiker, dass das immer noch nicht geschehen sei, aber davon will ich gar nicht erst anfangen.) Es gab hitzige Debatten darüber, ob es überhaupt möglich sei, in den Weltraum zu fliegen.[3] Manche Leute bestanden darauf, dass Raketen im Weltraum nicht funktionieren würden, weil «es nichts gäbe, an denen sie sich abstoßen könnten», wobei sie Newtons drittes Bewegungsgesetz missachteten – zu jeder Wirkung gibt es eine gleich große und entgegengesetzte Gegenwirkung, actio gleich reactio.[4]

Ernsthafte Wissenschaftler bestanden hartnäckig darauf, dass eine Rakete niemals funktionieren würde, weil man eine Menge Treibstoff brauchte, um die Rakete in die Luft zu bekommen, dann noch mehr Treibstoff, um den Treibstoff hochzubekommen, dann noch mehr Treibstoff, um das zu schaffen … und das, obwohl schon im chinesischen Huolongjing (Feuerdrachen-Anleitung) aus dem 14. Jahrhundert die Darstellung (von Jiao Yu) eines Feuerdrachen, sprich einer mehrstufigen Rakete abgebildet ist. Um eine weitere Stufe in die Luft zu bekommen, benutzten diese chinesischen Marinewaffen abwerfbare Booster; sie sahen aus wie der Kopf eines Drachen, der mit Feuerpfeilen bestückt war, die aus seinem Maul schossen. Conrad Haas machte 1551 das erste europäische Experiment mit mehrstufigen Raketen. Die Raketenpioniere des 20. Jahrhunderts wiesen nach, dass die erste Stufe einer Mehrstufenrakete in der Lage wäre, die zweite Stufe und ihren Treibstoff nach oben zu bringen, wenn sie alles überschüssige Gewicht der ausgebrannten ersten Stufe abwarfen. Konstantin Ziolkowski veröffentlichte im Jahr 1911 detaillierte und realistische Berechnungen zur Erforschung des Sonnensystems.

Nun, wir sind ja trotz der Nörgler zum Mond gekommen – mit genau den Ideen, die sie in ihrer Verblendung gar nicht in Betracht ziehen wollten. Bis jetzt haben wir lediglich den Weltraum in unmittelbarer Nähe erforscht, der angesichts der ungeheuren Weiten des Universums zur Bedeutungslosigkeit verblasst. Noch haben wir keine Menschen auf einen anderen Planeten gebracht, und selbst der nächste Stern scheint in unerreichbarer Ferne. Mit der heutigen Technologie würde es Jahrhunderte dauern, dorthin zu kommen, selbst wenn wir ein zuverlässiges Raumschiff bauen könnten. Doch wir sind auf dem richtigen Weg.

Diese Fortschritte in der Erforschung und Nutzung des Weltraums beruhen nicht nur auf cleverer Technologie, sondern auch auf einer langen Reihe wissenschaftlicher Entdeckungen, die bis ins antike Babylon drei Jahrtausende zuvor zurückgehen. Das Herz dieser Fortschritte bildet die Mathematik. Natürlich sind auch die Ingenieurwissenschaften ganz entscheidend, und Entdeckungen in vielen anderen wissenschaftlichen Disziplinen waren nötig, bevor wir die notwendigen Materialen herstellen und zu einer Weltraumsonde zusammensetzen konnten, doch ich werde mich darauf konzentrieren, wie die Mathematik unsere Kenntnis vom Universum vergrößert hat.

Die Geschichte der Weltraumfahrt und die Geschichte der Mathematik gehören seit jeher zusammen. Mathematik hat sich als essenziell für das Verständnis der Sonne, des Mondes, der Planeten und der Sterne erwiesen, und auch der riesigen Palette weiterer Objekte, die zusammen den Kosmos ausmachen – das Universum, in großem Maßstab betrachtet. Seit Tausenden von Jahren ist die Mathematik unsere effektivste Methode gewesen, kosmische Ereignisse zu verstehen, aufzuzeichnen und vorherzusagen. Tatsächlich war die Mathematik in einigen Kulturen, wie im alten Indien um 500, sogar eine Teilwissenschaft der Astronomie. Auf der anderen Seite haben astronomische Phänomene die Entwicklung der Mathematik seit mehr als drei Jahrtausenden beeinflusst, haben Anregungen für alles Mögliche gegeben, angefangen bei den babylonischen Vorhersagen von Verfinsterungen bis hin zur Infinitesimalrechnung, der Chaostheorie und der gekrümmten Raumzeit.

Ursprünglich bestand die Hauptaufgabe der Mathematik in der Astronomie darin, Beobachtungen aufzuzeichnen und nützliche Berechnungen zu Himmelserscheinungen anzustellen, wie etwa die Vorhersage von Sonnenfinsternissen, bei denen der Mond vorübergehend die Sonne bedeckt, oder Mondfinsternissen, wo der Erdschatten den Mond verdunkelt. Indem sie die Geometrie des Sonnensystems bedachten, wurde den Pionieren der Astronomie klar, dass die Erde sich um die Sonne bewegt, obwohl es, von hier unten betrachtet, genau andersherum aussieht. Die Alten kombinierten auch Beobachtung und Geometrie, um die Größe der Erde und die Entfernung zu Mond und Sonne abzuschätzen.

Tiefergehende astronomische Regelmäßigkeiten schälten sich um 1600 heraus, als Johannes Kepler drei mathematische Gesetze in den Umlaufbahnen der Planeten entdeckte. Im Jahr 1679 formulierte Isaac Newton die Kepler’schen Gesetze zu einer ehrgeizigen Theorie um, die nicht nur die Bewegung der Planeten im Sonnensystem beschrieb, sondern die Bewegung eines beliebigen Systems himmlischer Körper. Dies war die Theorie der Gravitation, eine der zentralen Entdeckungen in seiner weltverändernden Philosophiae Naturalis Principia Mathematica (Mathematische Prinzipien der Naturphilosophie). Newtons Gravitationsgesetz beschreibt, wie jedweder Körper im Universum andere anzieht.

Durch die Verbindung der Schwerkraft mit mathematischen Gesetzen über die Bewegung von Körpern, erstmals ein Jahrhundert zuvor von Galileo geleistet, erklärte Newton zahlreiche himmlische Phänomene und konnte sie voraussagen. Allgemeiner gesagt, veränderte er unser Weltbild, indem er eine wissenschaftliche Revolution in Gang setzte, die heute immer noch mit Macht voranschreitet. Newton zeigte, dass natürliche Phänomene (häufig) von mathematischen Regelmäßigkeiten geprägt sind, und durch das Verständnis dieser Zusammenhänge können wir die Natur besser verstehen. Zu Newtons Zeiten erklärten die mathematischen Gesetze, was am Himmel geschah, doch hatten sie keine bedeutenden praktischen Anwendungen, außer für die Navigation.

All das änderte sich, als der sowjetische Satellit Sputnik im Jahr 1957 in eine Erdumlaufbahn ging und damit das Weltraumrennen begann. Wenn Sie heute ein Fußballspiel über Satellitenfernsehen sehen oder eine Oper oder Komödien oder Wissenschaftsdokumentationen, dann profitieren Sie von einem Alltagsnutzen, der Newtons Einsichten entspringt.

Ursprünglich führten seine Erfolge zu einem Bild vom Kosmos als einem Uhrwerk, in dem alles majestätisch Bahnen folgt, die schon von Anbeginn an festgelegt waren. Zum Beispiel glaubte man, dass das Sonnensystem recht genau in seinem gegenwärtigen Zustand erschaffen worden war, mit denselben Planeten, die sich auf denselben nahezu kreisförmigen Bahnen bewegen. Zugegebenermaßen war durch die Fortschritte der astronomischen Beobachtungen in jener Zeit alles ein wenig in Wanken geraten. Aber dennoch gab es den weit verbreiteten Glauben, dass sich nie etwas geändert hatte, nichts sich änderte oder sich jemals auf dramatische Weise ändern würde. In der europäischen Religion war undenkbar, dass Gottes perfekte Schöpfung jemals anders gewesen war. Die mechanistische Sichtweise eines geregelten, vorhersagbaren Kosmos hielt sich mehr als 300  Jahre.

Aber nicht länger. Neuere Innovationen in der Mathematik, wie die Chaostheorie im Verbund mit heutigen leistungsstarken Computern, die in der Lage sind, die maßgeblichen Zahlen mit nie dagewesener Geschwindigkeit zu knacken, haben unser Bild vom Kosmos völlig verändert. Das Uhrwerkmodell des Sonnensystems bleibt über kurze Zeiträume bestehen, und in der Astronomie gelten eine Million Jahre in der Regel als kurz. Doch unser kosmischer Hinterhof hat sich nun als Ort offenbart, wo sich Welten verändern und es schon immer getan haben. Sicher, es gibt sehr lange Perioden regelhaften Verhaltens, doch von Zeit zu Zeit werden sie von Ausbrüchen wilder Aktivität unterbrochen. Die unveränderlichen Gesetze, die das Bild eines Uhrwerk-Universums beförderten, können genauso gut plötzliche Veränderungen und hoch erratisches Verhalten verursachen.

Die Szenarien, die Astronomen nun vor Augen haben, sind häufig dramatisch. Während der Entstehung des Sonnensystems zum Beispiel kollidierten ganze Welten mit apokalyptischen Folgen. Eines Tages in ferner Zukunft werden sie es wahrscheinlich wieder tun: Es besteht ein kleines Risiko, dass entweder Merkur oder Venus dem Untergang geweiht ist, doch wissen wir nicht, wer von beiden. Es könnten auch beide sein, und sie könnten uns mitreißen. Ein solcher Zusammenstoß führte wahrscheinlich auch zur Bildung des Erdmonds. Es hört sich wie Science-Fiction an, und das ist es auch … aber von der besten Sorte, «harte» Science-Fiction, in der nur die phantastische neue Erfindung über die bekannte Wissenschaft hinausgeht. Nur dass es hier nicht um eine phantastische Erfindung geht, sondern nur um eine unerwartete mathematische Entdeckung.

Die Mathematik hat unser Verständnis vom Kosmos auf jeder Größenskala geformt: Ursprung und Bewegung des Mondes, die Bewegungen und die Form der Planeten und ihrer Monde, die Besonderheiten der Asteroiden, der Kometen und der Objekte des Kuipergürtels und der schwerfällige himmlische Tanz des gesamten Sonnensystems. Sie hat uns gelehrt, wie Wechselwirkungen mit Jupiter Asteroiden in Richtung Mars schleudern können und damit auch zur Erde, warum Saturn nicht als einziger Planet Ringe besitzt, wie seine Ringe überhaupt erst entstanden und warum sie sich verhalten, wie sie es tun, mit ihren Fransen, Wellen und speichenartigen Strukturen. Sie hat uns gezeigt, wie der Ring eines Planeten einen Mond nach dem andern ausspucken kann.

Auf das Uhrwerk ist ein Feuerwerk gefolgt.

Vom kosmischen Standpunkt aus gesehen ist das Sonnensystem lediglich eine unbedeutende Ansammlung von Felsbrocken – eine unter Quadrillionen. Wenn wir das Universum in größerem Maßstab betrachten, spielt die Mathematik eine noch bedeutendere Rolle. Experimente sind kaum möglich und direkte Beobachtungen schwierig, sodass wir stattdessen indirekte Schlüsse ziehen müssen. Menschen mit einer kritischen Haltung gegenüber Wissenschaft greifen diese Methode oft als Schwäche an. Tatsächlich aber besteht die große Stärke der Wissenschaft darin, Dinge, die man nicht direkt beobachten kann, aus solchen herzuleiten, die man beobachten kann. Die Existenz von Atomen war bereits bekannt, lange bevor man sie in ausgeklügelten Mikroskopen sehen konnte, und selbst dann hängt die Bedeutung von «sehen» von einer Reihe Annahmen darüber ab, wie die besagten Bilder zustande kommen.

Mathematik ist eine sehr leistungsfähige Herleitungsmaschine: Sie gestattet, Folgerungen aus alternativen Hypothesen zu ziehen, indem sie deren logischen Konsequenzen nachgeht. Im Verein mit der Kernphysik, die ihrerseits sehr mathematisch ist, hilft sie uns, die Dynamik von Sternen zu erklären, ihre vielen unterschiedlichen Typen, ihre chemische und nukleare Zusammensetzung, ihre magnetischen Wirbel und dunklen Sonnenflecken. Sie liefert Einsichten in die Tendenz von Sternen, sich zu gigantischen Galaxien zusammenzuballen, die durch noch gigantischere Leerräume getrennt sind, und sie erklärt, warum Galaxien solche interessanten Formen ausbilden. Sie sagt uns, warum sich Galaxien zu Galaxienclustern zusammenfinden, die durch noch größere Leerräume getrennt sind.

Schließlich gibt es einen noch größeren Maßstab: das Universum als Ganzes. Das ist der Gegenstand der Kosmologie. Auf diesem Gebiet beruht die rationale Erkenntnis der Menschheit nahezu vollkommen auf Mathematik. Wir können einige Aspekte des Universums beobachten, aber wir können mit ihm als Ganzes nicht experimentieren. Die Mathematik hilft uns, Beobachtungen zu deuten, indem sie «was wäre, wenn»-Vergleiche zwischen alternativen Theorien erlaubt. Doch selbst auf diesem Gebiet liegen Start und Ziel nahe beieinander. Albert Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie, in der die Gravitationskraft durch die Krümmung der Raumzeit ersetzt wird, ersetzte die Newton’sche klassische Physik. Die antiken Geometer und Philosophen hätten zugestimmt: Dynamik wurde auf Geometrie zurückgeführt. Einstein sah seine Theorie durch zwei seiner eigenen Vorhersagen bestätigt: bekannte, aber unverstandene Änderungen in der Umlaufbahn des Merkur und die Ablenkung von Lichtstrahlen durch die Sonne, erstmals im Jahr 1919 während einer Sonnenfinsternis beobachtet. Er konnte jedoch nicht wissen, dass seine Theorie zur Entdeckung der wohl bizarrsten Objekte im ganzen Universum führen würde: Schwarze Löcher, die so viel Masse haben, dass selbst Licht ihrer gravitativen Anziehung nicht entkommen kann.

Sicherlich hat er auch eine andere mögliche Konsequenz seiner Theorie nicht erkannt, den Urknall. Das ist die Vorstellung, dass das Universum zu einem Zeitpunkt in der fernen Vergangenheit in einer Art gigantischer Explosion aus einem einzigen Punkt entstand. Etwa 13,8 Milliarden Jahre liegt das nach derzeitigen Schätzungen zurück. Doch es war die Raumzeit selbst, die explodierte, nicht irgendetwas in ihr. Die ersten Hinweise für diese Theorie waren Edwin Hubbles Beobachtungen, dass das Universum expandiert. Lässt man alles rückwärts laufen, dann zieht sich alles auf einen einzigen Punkt zusammen. Jetzt startet man die Zeit in der Vorwärtsrichtung erneut und kommt zum Hier und Jetzt.

Einstein beklagte sich, dass er das hätte vorhersagen können, wenn er nur seinen eigenen Gleichungen vertraut hätte. Deshalb können wir sicher sein, dass er es nicht erwartet hat.

In der Wissenschaft führen neue Antworten zu neuen Rätseln. Eines der größten ist die dunkle Materie, eine völlig neue Art von Materie, die scheinbar gebraucht wird, um die Beobachtungen an den Drehbewegungen der Galaxien mit unserem Verständnis der Gravitationskraft in Einklang zu bringen. Die Suche nach dunkler Materie ist bisher jedoch ergebnislos geblieben. Weiterhin gibt es zusätzlich zur ursprünglichen Urknalltheorie zwei andere Annahmen, die den Kosmos verstehen helfen. Die eine ist die Inflation, ein Effekt, der das frühe Universum in unglaublich kurzer Zeit enorm hat wachsen lassen. Man braucht sie, um zu erklären, warum die Materieverteilung im heutigen Universum nahezu, wenn auch nicht völlig gleichmäßig ist. Die zweite Annahme ist die dunkle Energie, eine mysteriöse Kraft, die dazu führt, dass das Universum immer schneller expandiert.

Der Urknall wird von den meisten Kosmologen akzeptiert, jedoch nur, wenn diese drei Extras – dunkle Materie, Inflation und dunkle Energie – mit dazugenommen werden. Jeder dieser drei dei ex machina, so werden wir später sehen, hat ein Bündel schwieriger Probleme im Gepäck. Die moderne Kosmologie scheint nicht länger auf so sicheren Füßen zu stehen wie noch vor zehn Jahren, und es könnte sich eine Revolution anbahnen.

Newtons Gravitationsgesetz war nicht das erste mathematische Regelwerk, das im Himmel entdeckt werden sollte, doch es fokussierte den ganzen Ansatz und ging auch weit über alles hinaus, was bis dahin geschehen war. Es ist ein Kernthema dieses Buches, eine Schlüsselentdeckung, die das Herzstück dieses Buchs ausmacht. Nämlich: Es gibt mathematische Regelmäßigkeiten in der Bewegung und Struktur himmlischer wie auch irdischer Körper, angefangen beim kleinsten Staubpartikel bis zum Universum als Ganzes. Indem man diese Muster versteht, kann man nicht nur den Kosmos erklären, sondern auch erkunden, nutzen und sich vor ihm schützen.

Zugegeben besteht der größte Durchbruch in der Erkenntnis, dass es überhaupt Regelmäßigkeiten gibt. Danach muss man nur noch nach ihnen suchen, und auch wenn es schwierig sein mag, Antworten zu finden, werden die Probleme zu einer rein technischen Frage. Häufig braucht es vollkommen neue mathematische Ideen. Ich will nicht sagen, es sei leicht oder liege auf der Hand. Es ist ein Langstreckenlauf, und er ist noch im Gange.

Newtons Ansatz rief auch einen Standardreflex hervor. Sobald die jeweils jüngste Entdeckung aus dem Ei schlüpft, beginnen Mathematiker darüber zu sinnieren, ob eine ähnliche Idee vielleicht auch andere Probleme lösen könnte. Der Zwang, alles zu verallgemeinern, ist tief in der mathematischen Psyche verwurzelt. Es bringt nichts, ihn Nicolas Bourbaki[5] und seiner «neuen Mathematik» in die Schuhe zu schieben: Er geht auf Euklid und Pythagoras zurück. Aus diesem Reflex entstand auch die mathematische Physik. Newtons Zeitgenossen, hauptsächlich in Kontinentaleuropa, wandten dieselben Prinzipien, die den Kosmos ausgelotet hatten, auf das Verständnis von Wärme, Schall, Licht, Elastizität und später auch Elektrizität und Magnetismus an. Und die Botschaft wurde immer klarer:

 

Die Natur hat Gesetzmäßigkeiten. Diese sind mathematisch. Wir können sie entdecken. Wir können sie nutzen.

 

Natürlich, ganz so einfach war es nicht.

Kapitel 1Fernwirkung

«Bibistibos, Bibistibos, ist niemand wie Bibistibos,

’s gibt kein Gesetz, im Jus und in Natur, das ihm nicht odios.

Wenn er sich in die Luft erhebt, wird jeder Fakir blass,

und triffst du ein am Ort der Tat – Bibistibos ist nicht dort!»

T.S. Eliot, Old Possums Katzenbuch

Warum fallen Dinge herunter?

Einige tun es nicht. Bibistibos offensichtlich. Gemeinsam mit Sonne, Mond und allem anderen da oben am Himmel. Obwohl manchmal Steine vom Himmel fallen, wie die Dinosaurier zu ihrem Unmut erfahren mussten. Hier unten, wenn man pingelig sein will, bewegen sich Insekten, Vögel und Fledermäuse in der Luft, aber sie bleiben nicht dauernd dort. So ziemlich alles andere fällt zu Boden, außer irgendetwas hält es oben. Doch da oben, im Himmel, gibt es keinen Halt – und doch fällt nichts herunter.

«Da oben» scheint sehr verschieden von «hier unten» zu sein.

Es bedurfte schon eines Geniestreichs, um herauszufinden, dass das, was irdische Objekte fallen lässt, dasselbe ist wie das, das himmlische Objekte oben hält. Newton verglich, das ist legendär, einen fallenden Apfel mit dem Mond, und ihm wurde klar, dass der Mond, anders als der Apfel, oben bleibt, weil er sich auch seitwärts bewegt.[6] Tatsächlich befindet sich der Mond in einem andauernden Fall, doch die Oberfläche der Erde fällt im selben Maße von ihm weg. So kann der Mond für immer fallen und doch immer wieder die Erde umrunden und sie nie treffen.

Der wirkliche Unterschied war also nicht, dass Äpfel fallen und Monde nicht. Er bestand darin, dass Äpfel sich nicht schnell genug seitwärts bewegen, um die Erde zu verfehlen.

Newton war Mathematiker (und Physiker, Chemiker und Mystiker), deswegen stellte er einige Berechnungen an, um seine radikale Idee zu bestätigen. Er berechnete die Kräfte, die auf Apfel und Mond wirken müssen, damit sie ihren jeweiligen Bahnen folgen. Bei Berücksichtigung ihrer unterschiedlichen Massen erwiesen sich die Kräfte als identisch. Das überzeugte ihn davon, dass die Erde sowohl den Apfel wie auch den Mond anzieht. Da erschien es nur natürlich anzunehmen, dass dieselbe Art von Anziehung für jedes beliebige Paar Körper gilt, ganz gleich ob irdisch oder himmlisch. Newton fasste diese attraktiven Kräfte in eine mathematische Gleichung, ein Naturgesetz.

Eine bemerkenswerte Folge davon ist, dass nicht nur die Erde den Apfel anzieht: der Apfel zieht auch die Erde an. Und den Mond, und alles andere im Universum. Doch ist die Wirkung des Apfels auf die Erde viel zu klein, um sie zu messen, im Gegensatz zur Wirkung der Erde auf den Apfel.

Diese Entdeckung war ein riesiger Triumph, eine tiefe und präzise Verbindung zwischen Mathematik und Natur. Sie hatte eine weitere wichtige Folge, die man über den technischen Aspekten der Mathematik leicht übersieht: Entgegen allem Anschein ist «da oben» im Wesentlichen dasselbe wie «hier unten». Die Gesetze sind identisch. Anders ist lediglich der Kontext, in dem sie zur Anwendung kommen.

Wir nennen Newtons mysteriöse Kraft «Gravitation». Ihre Wirkung können wir mit bemerkenswerter Genauigkeit berechnen. Aber wir verstehen sie noch immer nicht.

Lange Zeit glaubten wir, wir täten es. Um 350 v. Chr. begründete der griechische Philosoph Aristoteles auf einfache Weise, warum Objekte zu Boden fallen: Sie suchen ihren natürlichen Ruhepunkt.

Um Zirkelschlüsse zu vermeiden, erklärte er auch, was «natürlich» bedeutet. Er behauptete, alles sei aus vier Grundelementen aufgebaut: Erde, Wasser, Luft und Feuer. Der natürliche Ruhepunkt von Erde und Wasser sei das Zentrum des Universums, das selbstverständlich mit dem Mittelpunkt der Erde zusammenfällt. Der Beweis, dass sich die Erde nicht bewegt: Wir leben auf ihr und hätten doch sicherlich bemerkt, wenn sie es täte. Da Erde schwerer ist als Wasser (sie sinkt doch ab, oder?), sind die untersten Bereiche von Erde besetzt, eine Kugel. Als Nächstes kommt eine Kugelschale aus Wasser, dann aus Luft (Luft ist leichter als Wasser: Luftblasen steigen auf). Über all dem – aber noch unterhalb der Himmelssphäre, die den Mond trägt – ist das Reich des Feuers. Alle anderen Körper tendieren je nachdem, wie sie aus den vier Elementen zusammengesetzt sind, zum Steigen oder zum Fallen.

Diese Theorie ließ Aristoteles weiter argumentieren, dass die Geschwindigkeit eines fallenden Körpers proportional zu seinem Gewicht sei (Federn fallen langsamer als Steine) und umgekehrt proportional zur Dichte des umgebenden Mediums (Steine fallen in Luft schneller als in Wasser). Hat ein Körper seinen natürlichen Ruhepunkt erreicht, verharrt er dort, bis eine Kraft ihn in Bewegung versetzt.

Als Theorien sind sie gar nicht so schlecht. Insbesondere stimmen sie mit der Alltagserfahrung überein. Während ich dies schreibe, liegt auf meinem Schreibtisch eine Erstausgabe der Erzählung Triplanetary, die im Epigramm von Kapitel 2 zitiert wird. Solange ich sie dort liegen lasse, bewegt sie sich nicht. Wenn ich eine Kraft anwende – ihr einen Stoß versetze –, bewegt sie sich ein paar Zentimeter, wird dann langsamer und bleibt liegen.

Aristoteles hatte recht.

Und so schien es für nahezu 2000 Jahre. Aristotelische Physik, obgleich viel diskutiert, wurde bis ans Ende des 16. Jahrhunderts im Allgemeinen von den meisten Intellektuellen akzeptiert. Eine Ausnahme bildete der arabische Gelehrte al-Hasan ibn al-Haytham (Alhazen), der im 11. Jahrhundert aus geometrischen Gründen gegen Aristoteles’ Ansichten argumentierte. Doch selbst heutzutage passt die aristotelische Physik besser zu unserer Intuition als die Ideen von Galilei und Newton, die sie ersetzt haben.

In neuzeitlicher Auffassung hat Aristoteles’ Theorie einige große Lücken. Eine ist das Gewicht. Warum ist eine Feder leichter als ein Stein? Eine andere ist Reibung. Angenommen, ich platzierte meine Kopie von Triplanetary auf einer Eislaufbahn und gäbe ihr dann einen Stoß. Was würde passieren? Sie würde weiter rutschen: und noch viel weiter, wenn ich ihr zusätzlich ein Paar Eislaufschuhe anziehen würde. Reibung bewirkt, dass sich ein Körper in einem viskosen – zähflüssigen – Medium langsamer bewegt. Im Alltag ist Reibung allgegenwärtig, und darum passt aristotelische Physik besser zu unserer Intuition als Galileis und Newtons Physik. Unsere Vorstellung von Bewegung hat sich anhand von internen Modellen entwickelt, in die Reibung eingebaut ist.

Inzwischen wissen wir, dass Körper zur Erde fallen, weil die Gravitation des Planeten an ihnen zieht. Aber was ist Gravitation? Newton dachte, es sei eine Kraft, aber er erklärte nicht, woher diese Kraft kam. Sie war einfach da. Sie wirkte aus der Entfernung, ohne irgendetwas dazwischen. Er erklärte auch nicht, wie sie das tat, sie tat es einfach. Einstein ersetzte die Kraft durch die Krümmung der Raumzeit, machte damit die Fernwirkung irrelevant, und er formulierte Gleichungen dafür, wie die Krümmung durch die Verteilung der Materie beeinflusst wird – aber er erklärte nicht, warum die Krümmung sich so verhält.

Schon Jahrtausende, bevor irgendjemand bemerkte, dass es eine Schwerkraft gibt, hat man kosmische Erscheinungen berechnet, wie zum Beispiel Finsternisse. Doch sobald die Rolle der Schwerkraft entdeckt war, wurde unsere Fähigkeit, den Kosmos zu berechnen, wesentlich erweitert. Newtons Untertitel für Buch 3 der Principia, das seine Bewegungsgleichungen und die Gravitation beschreibt, lautete «de mundi systemate», «Vom Weltsystem». Das war nur eine leichte Übertreibung. Die Schwerkraft und die Art, in der Körper auf Kräfte reagieren, bildet den Kern der meisten Berechnungen kosmischer Erscheinungen. Bevor wir also zu den jüngsten Entdeckungen kommen, wie zum Beispiel beringte Planeten Monde ausspucken oder wie das Universum begann, sollten wir zunächst einige grundlegende Ideen über die Schwerkraft klären.

Vor der Erfindung der Straßenbeleuchtung waren Mond und Sterne den meisten Menschen so vertraut wie Flüsse, Bäume und Berge. Wenn die Sonne unterging, erschienen die Sterne am Himmel, der Mond zog seine Bahn, manchmal leuchtete er während des Tages wie ein bleicher Geist, doch leuchtete er viel stärker in der Nacht. Aber es gab auch andere sich wiederholende Muster. Jeder, der den Mond auch nur gelegentlich über ein paar Monate beobachtet, wird schnell bemerken, dass er einem geregelten Rhythmus unterliegt, indem er innerhalb von 28 Tagen seine Form von einer dünnen Sichel zu einer runden Scheibe und wieder zurück ändert. Er wandert auch merklich von einer Nacht zur anderen, wobei er eine geschlossene, sich wiederholende Bahn über den Himmel beschreibt.

Auch die Sterne haben ihren eigenen Rhythmus. Sie drehen sich einmal am Tag um einen festen Punkt am Himmel, so als wären sie auf die Innenseite einer rotierenden Schüssel gemalt. Das Buch Genesis spricht vom Himmelsfirmament: Das hebräische Wort für «Firmament» bedeutet Schüssel.

Beobachtete man den Himmel einige Monate lang, wurde klar, dass fünf Sterne, darunter einige der hellsten, sich nicht wie die Mehrheit der Fixsterne drehen. Statt auf der Schüssel festzukleben, kriechen sie langsam auf ihr entlang. Die alten Griechen brachten diese umherziehenden Lichter mit Hermes in Verbindung (dem Götterboten), mit Aphrodite (Göttin der Liebe), mit Ares (der Kriegsgott), mit Zeus (dem obersten Gott) und Kronos, dem Gott der Aussaat. Die entsprechenden römischen Götter haben den Lichtern ihre deutschen (und englischen) Namen gegeben: Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn. Die Griechen nannten sie Planeten, «Wanderer», daher der heutige Name Planeten, von denen wir inzwischen drei weitere kennen: Erde, Uranus und Neptun. Ihre Bahnen waren merkwürdig, scheinbar unvorhersagbar. Einige bewegten sich relativ schnell, andere langsamer. Einige bewegten sich im Laufe der Monate auf ihrer Bahn sogar rückwärts.

Die meisten Menschen nahmen diese Lichtpunkte einfach hin, so wie sie auch die Existenz von Flüssen, Bäumen und Bergen hinnahmen. Einige wenige aber stellten Fragen. Was sind das für Lichter? Warum sind sie da? Wie und warum bewegen sie sich? Warum sind einige Bewegungen regelmäßig, während andere davon abweichen?

Sumerer und Babylonier lieferten die grundlegenden Beobachtungsdaten. Sie schrieben auf Tontafeln in einer Schrift, die man Keilschrift nennt, weil die Zeichen Keilform haben. Unter den von Archäologen gefundenen babylonischen Tafeln finden sich Sternenkataloge, die die Positionen der Sterne am Himmel auflisten. Sie gehen ungefähr auf das Jahr 1200 v. Chr. zurück, sind aber wahrscheinlich Kopien von noch älteren sumerischen Tafeln. Die griechischen Philosophen und Geometer, die ihre Spur aufnahmen, hatten mehr Gespür für die Notwendigkeit von Logik, Beweis und Theorie. Sie sucht nach Regelmäßigkeiten. Der pythagoräische Kult führte das mit seinem Glauben ins Extrem, das gesamte Universum sei von Zahlen bestimmt. Heutzutage würden die meisten Wissenschaftler dem wohl zustimmen, wenn auch nicht in den Einzelheiten.

Der griechische Geometer, der den größten Einfluss auf das astronomische Denken späterer Generationen hatte, war Claudius Ptolemäus, ein Astronom und Geograph. Sein frühes Werk ist als Almagest bekannt, eine arabische Abkürzung des ursprünglichen Titels, der mit «Mathematische Zusammenstellung» begann, woraus dann «die große Berechnung» und schließlich «al-majisti», die größte, wurde. Der Almagest stellte eine voll ausgefeilte Theorie der Planetenbewegung dar, die darauf beruhte, was die Griechen für die perfekten geometrischen Formen hielten, Kreise und Sphären.

Die Planeten bewegen sich eigentlich nicht in Kreisen. Für die Babylonier wäre das nichts Neues gewesen, weil es nicht zu ihren Aufzeichnungsdaten passte. Die Griechen gingen noch weiter, indem sie fragten, was passen könnte. Ptolemäus’ Antwort lautete: Kombinationen von Kreisen auf Sphären. Die innerste Sphäre, der «Deferent», umschließt die Erde. Der Mittelpunkt der zweiten Sphäre, des «Epizykels», liegt auf der ersten Sphäre. Alle Sphärenpaare sind voneinander getrennt. Das war keine neue Idee. Zwei Jahrhunderte zuvor hatte Aristoteles, auf früheren, ähnlichen Ideen aufbauend, ein kompliziertes System von 55 konzentrischen Sphären vorgeschlagen, mit dem Mittelpunkt jeder Sphäre auf der jeweils umschlossenen. Ptolemäus’ Abwandlung kam mit weniger Sphären aus und war genauer, aber immer noch ziemlich kompliziert. Beide Systeme führten zu der Frage, ob diese Sphären tatsächlich existierten oder nur bequeme Vorstellungen waren – oder ob in Wirklichkeit etwas völlig anderes vor sich ging.

In den nächsten 1000 Jahren und noch länger wandte sich Europa theologischen und philosophischen Fragen zu und bezog dabei den Großteil seines Naturverständnisses von Aristoteles und dem, was er um 350 v. Chr. verfasst hatte. Das Universum wurde als geozentrisch angesehen, alles sollte um eine ruhende Erde rotieren. Die Fackel der Innovation in Astronomie und Mathematik wanderte nach Arabien, Indien und China. Erst mit dem Aufkommen der italienischen Renaissance kam die Fackel zurück nach Europa. In der Folge spielten drei Giganten der Wissenschaft führende Rollen beim Fortschritt astronomischer Erkenntnis: Galilei, Kepler und Newton. Und das Begleitensemble war gewaltig.

Galilei ist für seine Verbesserungen am Teleskop berühmt, mit dem er entdeckte, dass die Sonne Flecken hat, dass Jupiter (mindestens) vier Monde hat, dass die Venus Phasen wie die Monde hat und dass etwas Geheimnisvolles den Saturn umgibt – was später als sein Ringsystem erkannt wurde. Diese Indizien brachten ihn dazu, die geozentrische Theorie zu verwerfen und Nikolaus Kopernikus’ rivalisierende heliozentrische Theorie zu bevorzugen, in der die Planeten und die Erde um die Sonne kreisen, wodurch Galilei Schwierigkeiten mit der Kirche in Rom bekam. Doch er machte noch eine scheinbar bescheidenere, letztlich aber bedeutendere Entdeckung: eine mathematische Regelmäßigkeit in der Bewegung von Gegenständen, zum Beispiel Kanonenkugeln. Auf der Erde wird ein sich frei bewegender Körper immer schneller (wenn er fällt) oder er wird immer langsamer (wenn er aufsteigt), und zwar um einen Betrag, der in einem festen, kleinen Zeitintervall immer gleich ist. Da Galilei nicht über genau gehende Uhren verfügte, beobachtete er diese Effekte an Kugeln, die er leicht geneigte schiefe Ebenen hinabrollen ließ.

Die nächste Schlüsselfigur ist Kepler. Sein Chef Tycho Brahe hatte sehr genaue Messungen der Marsbewegung vorgenommen. Als Tycho Brahe starb, erbte Kepler dessen Position als Hofastronom unter Kaiser Rudolf II. zusammen mit den Beobachtungsdaten, und er begann, die richtige Form der Umlaufbahn des Mars zu berechnen. Nach fünfzig Fehlversuchen kam er zu dem Schluss, dass die Bahn wie eine Ellipse geformt war – ein Oval wie ein zusammengedrückter Kreis. Die Sonne stand in einem festen Punkt, dem Brennpunkt der Ellipse.

Ellipsen waren den antiken griechischen Geometern vertraut, die sie als Schnitte von Ebenen mit Kegeln definierten. Zu diesen «Kegelschnitten» gehören, je nach Winkel zwischen Ebene und Kegel, Kreise, Ellipsen, Parabeln und Hyperbeln.

Oben: Kegelschnitte. Unten: grundlegende Merkmale einer Ellipse.

Wenn sich ein Planet auf einer Ellipsenbahn bewegt, ändert sich seine Entfernung zur Sonne. Kommt er der Sonne nahe, wird er schneller. Ist er weiter entfernt, wird er langsamer. Es ist ein bisschen überraschend, dass diese Effekte zusammengenommen eine Umlaufbahn bewirken, die an beiden Enden exakt die gleiche Form hat. Kepler hatte das nicht erwartet, und lange Zeit hielt er deshalb eine Ellipse für die falsche Antwort.

Form und Größe einer Ellipse werden durch zwei Längen bestimmt: ihre Hauptachse, das ist die längste Verbindungslinie zweier Punkte auf der Ellipse, und ihre Nebenachse, die darauf senkrecht steht. Ein Kreis ist eine Spezialform der Ellipse, für die diese beiden Abstände gleich sind. Sie entsprechen dem Durchmesser des Kreises. Für astronomische Zwecke ist der Radius ein natürlicheres Maß – der Radius einer kreisförmigen Umlaufbahn ist der Abstand des Planeten von der Sonne –, und die zugehörigen Größen für eine Ellipse nennt man große Halbachse und kleine Halbachse. Weniger unmittelbar einsichtig, aber sehr wichtig ist die Exzentrizität der Ellipse, ein quantitatives Maß dafür, wie lang und dünn sie ist. Die Exzentrizität ist für einen Kreis gleich null, und bei fester großer Halbachse wird sie unendlich groß, wenn man die kleine Halbachse gegen null gehen lässt.[7]

Größe und Form einer elliptischen Umlaufbahn kann durch zwei Zahlen charakterisiert werden. Die übliche Wahl ist die große Halbachse und die Exzentrizität. Die kleine Halbachse kann daraus hergeleitet werden. Die Umlaufbahn der Erde hat eine große Halbachse von 149,6 Millionen Kilometern und eine Exzentrizität von 0,0167. Die Länge der kleinen Halbachse beträgt 149,58 Millionen Kilometer, sodass die Umlaufbahn fast ein Kreis ist, wie schon die kleine Exzentrizität andeutet. Die Ebene der irdischen Umlaufbahn hat einen eigenen Namen: Ekliptik.

Die räumliche Lage irgendeiner anderen elliptischen Umlaufbahn um die Sonne kann man durch drei weitere Zahlen charakterisieren, die allesamt Winkel sind. Einer ist die Neigung (Inklination) der Umlaufbahnebene zur Ekliptik. Der zweite gibt letztlich die Richtung der Hauptachse in dieser Ebene an. Der dritte gibt die Richtung der Geraden an, in der sich die beiden Ebenen schneiden. Schließlich müssen wir noch wissen, wo sich der Planet in der Umlaufbahn befindet, was einen weiteren Winkel erfordert. Um die Umlaufbahn eines Planeten und seine Position auf dieser Bahn zu spezifizieren, braucht man also zwei Zahlen und vier Winkel – sechs Bahnelemente. Ein wesentliches Ziel der frühen Astronomie bestand darin, die Bahnelemente jedes Planeten und Asteroiden, den man gefunden hatte, zu berechnen. Sind diese Zahlen bekannt, kann man seine zukünftige Bewegung vorhersagen, zumindest so lange, bis die Einflüsse anderer Himmelskörper, die seinen Umlauf stören, zusammengenommen wichtig werden.

Kepler gelangte schließlich zu einem Satz von drei eleganten mathematischen Regeln, die heute als seine Gesetze der Planetenbewegung bezeichnet werden. Das erste konstatiert, dass die Umlaufbahn eines Planeten eine Ellipse mit der Sonne in einem Brennpunkt ist. Das zweite besagt, dass die Verbindungslinie (der «Fahrstrahl») von der Sonne zum Planeten in gleichen Zeiten gleiche Flächen überstreicht. Und das dritte verrät uns, dass das Quadrat der Umlaufzeit proportional zur dritten Potenz der Entfernung ist.

Newton formulierte Galileis Beobachtungen an kräftefreien Körpern neu und machte daraus drei Bewegungsgesetze. Das erste konstatiert, dass Körper sich geradlinig mit konstanter Geschwindigkeit fortbewegen, solange keine Kraft auf sie wirkt. Nach dem zweiten ist die Beschleunigung eines Körpers, multipliziert mit seiner Masse, gleich der auf ihn wirkenden Kraft. Das dritte Gesetz besagt, dass jede Aktion eine gleiche und entgegengerichtete Reaktion hervorruft. Im Jahr 1687 formulierte er auch Keplers Planetengesetze neu, und zwar als ein allgemeines Gesetz für die Bewegung von Himmelskörpern – das Gravitationsgesetz, eine mathematische Formel für die gravitative Anziehung zwischen beliebigen Körpern.

Tatsächlich leitete er diese Kraft sogar aus den Kepler’schen Gesetzen mit Hilfe einer zusätzlichen Annahme ab: Die Sonne übt eine anziehende Kraft aus, die immer auf ihren Mittelpunkt gerichtet ist. Unter dieser Voraussetzung konnte Newton beweisen, dass die Kraft umgekehrt proportional zum Quadrat der Entfernung sein muss. Das ist eine elegante Art auszudrücken, dass sich die Kraft, wenn man zum Beispiel die Entfernung zwischen zwei Körpern mit drei multipliziert, auf ein Neuntel verringert.

Newton bewies auch das Umgekehrte: Die Kepler’schen Gesetze folgen aus dem Gravitationsgesetz.

Newton gilt zu Recht als Urheber des Gravitationsgesetzes, doch stammt die Idee letztlich nicht von ihm. Kepler leitete mit Hilfe von Analogieüberlegungen mit Licht etwas Ähnliches her; er glaubte jedoch, dass die Schwerkraft die Planeten auf ihren Kreisbahnen bewegt. Ismael Bullialdus widersprach und führte aus, dass die Schwerkraft umgekehrt proportional zum Quadrat des Abstands sein müsste. In einem Vortrag vor der Royal Society im Jahr 1666 führte Robert Hooke aus, dass sich alle Körper geradlinig bewegen, bis eine Kraft auf sie wirkt, dass sich weiterhin alle Körper gravitativ anziehen und die Schwerkraft mit dem Abstand gemäß einer Formel abnimmt, «in deren Besitz ich bin, die ich aber nicht selbst entdeckt habe». 1679 stellte er ein reziprokes Quadratgesetz für die Anziehung auf und berichtete Newton davon.[8] Deswegen war Hooke ausgesprochen verärgert, als exakt dasselbe in den Principia erschien, obwohl Newton sowohl ihm als auch Halley und Christopher Wren das Gesetz zuschrieb.

Hooke erkannte an, dass allein Newton die elliptische Form der geschlossenen Umlaufbahnen hergeleitet hatte. Newton wusste, dass das reziproke Quadratgesetz auch parabolische und hyperbolische Bahnen zulässt, doch das sind keine geschlossenen Kurven, sodass sich die Bewegung nicht periodisch wiederholt. Auch solche Bahnen kennt die Astronomie, hauptsächlich bei Kometen.

Newtons Gesetz geht über die Kepler’schen Gesetze aufgrund einer weiteren Besonderheit hinaus, die mehr einer Vorhersage gleicht als einem Theorem. Newton erkannte, dass der Mond wohl auch die Erde anziehen muss, wenn die Erde den Mond anzieht. Sie sind wie zwei Volkstänzer, die sich an den Händen halten und umeinander wirbeln. Jeder Tänzer spürt die Kraft des anderen, die an seinen Armen zieht. Diese Kraft hält beide Tänzer fest: Wenn sie sich loslassen, werden sie über die Tanzfläche davonfliegen. Die Erde ist jedoch wesentlich schwerer als der Mond, gleicht also eher einem dicken Mann, der mit einem kleinen Kind tanzt. Der Mann scheint sich auf der Stelle zu drehen, während das Kind sich um ihn dreht und dreht. Doch wenn man genau hinschaut, sieht man, dass auch der dicke Mann einen Kreis beschreibt: Seine Füße beschreiben einen kleinen Kreis, dessen Mittelpunkt sich etwas näher beim Kind befindet, als wenn er sich alleine drehen würde.

Diese Überlegung ließ Newton vorschlagen, dass jeder Körper im Universum jeden anderen Körper anzieht. Die Kepler’schen Gesetze beziehen sich nur auf zwei Körper, die Sonne und einen Planeten. Newtons Gesetz gilt für jedes System von Körpern, weil es sowohl Stärke als auch Richtung aller Kräfte zwischen ihnen angibt. Eingesetzt in die Bewegungsgleichungen, bestimmt die Kombination all dieser Kräfte die Beschleunigung jedes Körpers, und damit seine Geschwindigkeit und schließlich seinen Ort zu jedem Zeitpunkt. Die Verkündung eines universellen Gravitationsgesetzes war ein epischer Moment in der Geschichte der Naturwissenschaften, denn dadurch wurde eine bis dahin verborgene mathematische Maschinerie offenbar, die das Universum in Gang hält.

Newtons Bewegungs- und Gravitationsgesetz rief eine langanhaltende Verflechtung von Astronomie und Mathematik ins Leben und führte zu den meisten Erkenntnissen über den Kosmos, über die wir heute verfügen. Doch selbst wenn man versteht, welche Gesetze wirken, ist es noch nicht einfach, sie auf konkrete Probleme anzuwenden. Insbesondere ist die Gravitationskraft «nicht linear», ein technischer Ausdruck, dessen Hauptauswirkung darin besteht, dass man die Bewegungsgleichungen nicht mit hübschen Formeln lösen kann. Und übrigens auch nicht mit hässlichen.

Nach Newton haben Mathematiker dieses Problem umgangen, indem sie entweder an künstlichen (gleichwohl faszinierenden) Fragestellungen arbeiteten, wie zum Beispiel drei gleich große Massen, die sich an den Ecken eines gleichseitigen Dreiecks befinden, oder indem sie Näherungslösungen für realistischere Probleme ableiteten. Der zweite Zugang ist praktischer, aber aus dem ersten, so künstlich er auch sein mag, entwickelten sich eine Menge brauchbare Ideen.

Lange Zeit mussten Newtons Erben ihre Berechnungen von Hand durchführen – häufig eine heroische Aufgabe. Als Extrembeispiel kann Charles-Eugène Delaunay gelten, der 1846 damit begann, eine Näherungsformel für die Bewegung des Mondes aufzustellen. Diese Aufgabe nahm mehr als 20 Jahre in Anspruch, und er veröffentlichte seine Resultate in zwei Büchern. Jedes hat mehr als 900 Seiten, und der zweite Band besteht komplett aus der Formel. Im späten 20. Jahrhundert hat man seine Lösung mit Hilfe von Computeralgebra überprüft (das sind Programme, die nicht nur Zahlen, sondern auch Formeln manipulieren). Man fand nur zwei kleine Fehler, von denen der eine auf den anderen zurückgeht. Beide sind vernachlässigbar.

Die Bewegungs- und Gravitationsgesetze verkörpern einen Gleichungstyp, den man Differenzialgleichungen nennt. Solche Gleichungen geben die zeitliche Änderung von Größen an. Geschwindigkeit ist die zeitliche Änderung des Ortes, Beschleunigung die zeitliche Änderung der Geschwindigkeit. Die Änderungsrate einer Größe zu einem bestimmten Zeitpunkt lässt auf ihren Wert in der Zukunft schließen. Wenn sich ein Auto mit 10 Metern pro Sekunde bewegt, dann wird es nach einer Sekunde 10 Meter weiter sein. Diese Art Berechnung setzt voraus, dass die Änderungsrate konstant ist. Wenn der Wagen beschleunigt, wird er sich eine Sekunde später mehr als 10 Meter bewegt haben. Differenzialgleichungen werden mit diesem Problem fertig, indem sie die momentane Änderungsrate angeben. Im Endeffekt arbeiten sie mit sehr kleinen Zeitintervallen, sodass die Änderungen in diesem Zeitintervall als konstant angesehen werden können. Die Mathematiker brauchten einige hundert Jahre, bevor sie diese Idee mit all ihren logischen Konsequenzen richtig verstanden hatten, weil kein endliches Zeitintervall instantan sein kann, außer es ist null, und in null Zeit ändert sich nichts.

Computer führten zu einer methodischen Umwälzung. Statt eine Näherungsformel für die Bewegung aufzustellen und dann Zahlen in diese Formel einzusetzen, kann man auch von Beginn an mit Zahlen rechnen. Angenommen, man möchte für ein System von Körpern – sagen wir die Jupitermonde – ihre Position in 100 Jahren vorhersagen. Man beginnt mit den Anfangsbedingungen und Bewegungen von Jupiter, seinen Monden und allen anderen Körpern, die wichtig sein könnten, zum Beispiel die Sonne und Saturn. Dann, einen winzigen Zeitschritt nach dem andern, berechnet man, wie sich diese Zahlen für alle Körper ändern. Das wiederholt man, bis man 100 Jahre weiter ist: dann stopp. Ein Mensch mit Papier und Bleistift könnte diese Methode auf kein realistisches Problem anwenden. Es würde viele Leben dauern. Mit einem schnellen Computer jedoch wird die Methode absolut machbar. Und heutige Computer sind tatsächlich richtig schnell.

Um ehrlich zu sein, es ist nicht ganz so leicht. Obwohl der Fehler (der dadurch entsteht, dass man eine konstante Änderungsrate annimmt, obwohl sie sich in Wirklichkeit ein wenig ändert) in jedem Schritt sehr klein ist, muss man furchtbar viele Schritte machen. Eine große Zahl multipliziert mit einem kleinen Fehler muss nicht unbedingt klein sein, doch mit ausgesuchten Methoden kann man die Fehler unter Kontrolle halten. Der Zweig der Mathematik, der sich numerische Analysis nennt, beschäftigt sich exakt mit diesem Problem. Man nennt solche Methoden gemeinhin «Simulationen», worin sich die entscheidende Rolle des Computers widerspiegelt. Man muss aber wissen, dass man ein Problem nicht einfach dadurch löst, dass man es «in den Computer gibt». Jemand muss die Maschine mit mathematischen Regeln programmieren, die dafür sorgen, dass ihre Berechnungen die Realität widerspiegeln.

Diese Programme sind dermaßen genau, dass Astronomen die Finsternisse von Sonne und Mond auf die Sekunde genau vorhersagen, und auf wenige Kilometer genau vorhersagen können, an welchen Orten auf unserem Planeten sie auftreten werden, und das hunderte Jahre im Voraus. Diese «Vorhersagen» kann man auch rückwärts in der Zeit laufen lassen, um herauszubekommen, wo und wann genau historisch aufgezeichnete Finsternisse auftraten. Solche Daten hat man zum Beispiel benutzt, um Beobachtungen zu datieren, die chinesische Astronomen vor Tausenden von Jahren von gemacht haben.

Selbst heute noch entdecken Mathematiker und Physiker neue und unerwartete Konsequenzen des Newton’schen Gravitationsgesetzes. Im Jahr 1993 konnte Cris Moore mit Hilfe numerischer Methoden zeigen, dass drei Körper gleicher Masse einander über mehrere Umläufe auf einer wie eine Acht geformten Bahn verfolgen können, und im Jahr 2000 zeigte Carles Simó numerisch, dass diese Bahn, abgesehen von einer kleinen Drift, stabil ist. Im Jahr 2001 lieferten Alain Chenciner und Richard Montgomery einen exakten Beweis dafür, dass diese Bahn existiert, also kein numerisches Artefakt ist, wobei der Beweis auf dem Prinzip der kleinsten Wirkung beruht, einem grundlegenden Satz der klassischen Mechanik.[9] Simó hat viele ähnliche «Planetenchoreographien» entdeckt, bei denen mehrere Körper gleicher Masse einander längs desselben komplizierten Weges folgen.[10]

Die Stabilität des Dreikörperumlaufs auf der Acht bleibt offenbar sogar bestehen, wenn die Massen sich leicht unterscheiden, was eine kleine Chance eröffnet, dass drei echte Sterne sich in dieser bemerkenswerten Weise bewegen könnten. Douglas Heggie schätzt, dass es pro Galaxie ein solches Dreifachsystem geben könnte, und die Chancen stehen nicht schlecht, dass es mindestens eins irgendwo im Universum gibt.

Die «Achter»-Bahn der drei Körper.

Die Bahnen der drei Massen liegen alle in einer Ebene, doch es gibt auch neuartige dreidimensionale Möglichkeiten. Eugene Oks wurde 2015 klar, dass ungewöhnliche Elektronen-Umlaufbahnen, wie sie in so genannten Rydberg-Atomen und -Quasimolekülen auftauchen, auch in der Newton’schen Gravitation auftauchen könnten. Er wies nach, dass ein Planet zwischen zwei Sternen eines Binärsystems auf einer spiralartigen Bahn, die sich an den Enden schließt, hin- und herflitzen könnte.[11] Die Bögen der Spiralen sind in der Mitte locker, werden aber in der Nähe der Sterne immer dichter. So, als wären die Sterne durch eine rotierende Treppenspirale (Sie kennen das Spielzeug, das man die Treppe runterlaufen lässt) verbunden, die in der Mitte gestreckt ist und an den Enden in sich selbst zurückläuft. Wenn die Sterne unterschiedliche Massen haben, sollte die Spirale wie ein Kegel zugespitzt sein. Solche Bahnen können stabil sein, selbst wenn die Sterne nicht umeinander kreisen.

Aus kollabierenden Gaswolken entstehen nur ebene Bahnen, deswegen wird ein Planet kaum einer solchen Bahn folgen. Doch ein Planet oder Asteroid, der durch eine Störung in eine hochgradig verdrehte Umlaufbahn gebracht wird, könnte in seltenen Fällen durch das Binärsystem eingefangen werden und schließlich zwischen den Sternen hin- und herspiralen. Es gibt zaghafte Anzeichen, dass 16b, ein Planet, der einen fernen Stern umkreist, ein solcher sein könnte.

Ein Aspekt von Newtons Gesetz machte dem großen Mann selbst zu schaffen; tatsächlich störte es ihn sogar mehr als diejenigen, die auf seiner Arbeit aufbauten. Das Gesetz beschreibt die Kraft, die ein Körper auf einen anderen ausübt, doch es macht keine Aussage darüber, wie die Kraft funktioniert. Das Gesetz postuliert eine mysteriöse «Fernwirkung». Wenn die Sonne die Erde anzieht, muss die Erde irgendwie «wissen», wie weit sie von der Sonne entfernt ist. Wenn zum Beispiel eine Art elastisches Band die beiden verbände, dann könnte dieses Band die Kraft transportieren, und die Physik des Bandes würde bestimmen, wie groß die Kraft ist. Doch zwischen Sonne und Erde ist nichts als leerer Raum. Woher weiß die Sonne, wie stark sie an der Erde ziehen soll – oder die Erde, wie stark sie gezogen wird?[12]

Man kann das Gravitationsgesetz ganz pragmatisch anwenden, ohne sich darum zu kümmern, welcher physikalische Mechanismus dahinter steckt, der die Kraft von einem Körper zum anderen überträgt. Im Großen und Ganzen ist jedermann so vorgegangen. Einige wenige Wissenschaftler jedoch haben eine philosophische Ader. Albert Einstein ist ein spektakuläres Beispiel. Seine Spezielle Relativitätstheorie, die 1905 veröffentlicht wurde, veränderte die Anschauung der Physiker von Raum, Zeit und Materie. Ihre Erweiterung auf die Allgemeine Relativitätstheorie 1915 veränderte ihre Sicht auf die Schwerkraft und brachte ganz nebenbei die Lösung der widerspenstigen Frage nach der Fernwirkung der Schwerkraft. Die neue Theorie löste das Problem, indem sie sich der Kraft entledigte.

Einstein leitete die Spezielle Relativitätstheorie aus einem einzigen fundamentalen Prinzip ab: Die Lichtgeschwindigkeit bleibt selbst dann unverändert, wenn sich ein Beobachter mit konstanter Geschwindigkeit relativ zur Lichtquelle bewegt. Wenn man in der Newton’schen Mechanik aus einem Cabriolet einen Ball in der Bewegungsrichtung des Autos wirft, ist die Geschwindigkeit des Balls aus Sicht eines stationären Beobachters am Straßenrand durch die Geschwindigkeit des Balls relativ zum Fahrzeug plus die Geschwindigkeit des Fahrzeugs gegeben. Ganz ähnlich sollte die Lichtgeschwindigkeit, wenn Sie die Scheinwerfer des Autos anmachen, vom Straßenrand aus gemessen, gleich der normalen Lichtgeschwindigkeit plus der Geschwindigkeit des Autos sein.

Experimentelle Daten und einige Gedankenexperimente überzeugten Einstein jedoch, dass sich Licht nicht so verhält. Die beobachtete Lichtgeschwindigkeit ist für die Person, die die Scheinwerfer anmacht, und den Menschen am Straßenrand dieselbe. Die logischen Konsequenzen aus diesem Prinzip – das, wie ich immer meine, eigentlich Nicht-Relativität genannt werden sollte – sind verblüffend. Nichts kann sich schneller als Licht bewegen.[13] Wenn ein Körper die Lichtgeschwindigkeit nahezu erreicht, schrumpft er in Bewegungsrichtung zusammen, seine Masse nimmt zu und die Zeit vergeht immer langsamer. Bei Lichtgeschwindigkeit – falls er diese erreichen könnte – wäre er unendlich dünn, hätte unendliche Masse und die Zeit auf ihm käme zum Stillstand. Masse und Energie hängen zusammen: Energie = Masse mal Lichtgeschwindigkeit zum Quadrat. Schließlich erscheinen Ereignisse, die ein Beobachter als gleichzeitig sieht, einem anderen, der sich mit konstanter Geschwindigkeit relativ zum ersten bewegt, als nicht gleichzeitig.

In der Newton’schen Mechanik passiert nichts derartig Verrücktes. Raum ist Raum und Zeit ist Zeit, und die beiden werden niemals zusammenkommen. In der Speziellen Relativitätstheorie sind Raum und Zeit bis zu einem gewissen Grade austauschbar, wobei der Grad durch die Lichtgeschwindigkeit begrenzt wird. Zusammen bilden sie ein einziges Raum-Zeit-Kontinuum. Trotz dieser merkwürdigen Voraussagen ist die Spezielle Relativitätstheorie als die genaueste uns bekannte Theorie von Raum und Zeit voll akzeptiert. Viele ihrer wilderen Effekte treten nur auf, wenn sich Objekte sehr schnell bewegen, weswegen wir sie im Alltag nicht bemerken.

Die am deutlichsten fehlende Komponente ist die Gravitation. Einstein verbrachte Jahre damit, die Schwerkraft in die Relativitätstheorie einzubauen, zum Teil auch motiviert durch eine Anomalie in der Umlaufbahn Merkurs.[14] Das Endresultat war die Allgemeine Relativitätstheorie, die die Formulierung der Speziellen Relativitätstheorie von einer «flachen» Raumzeit auf eine «gekrümmte» ausweitet. Ganz grob kann man das verstehen, indem man den Raum auf zwei Dimensionen statt auf drei beschränkt. Nun ist der Raum eine Ebene, und die Spezielle Relativitätstheorie beschreibt die Bewegung von Teilchen in dieser Ebene. In Abwesenheit von Gravitation folgen sie geraden Linien. Wie Euklid bereits bemerkte, ist die gerade Linie die kürzeste Distanz zwischen zwei Punkten. Um die Schwerkraft in das Bild einzubauen, setze man einen Stern in die Ebene. Nun folgen die Teilchen nicht mehr geraden Linien; stattdessen umkreisen sie den Stern auf gekrümmten Bahnen, wie zum Beispiel Ellipsen.

In der Newton’schen Physik sind die Bahnen gekrümmt, weil eine Kraft das Teilchen von der geraden Bahn abgelenkt. In der Allgemeinen Relativitätstheorie erreicht man einen ähnlichen Effekt, indem man die Raumzeit verbiegt. Man stelle sich vor, der Stern würde die Ebene ausbeulen, indem er eine kreisrundes Tal erzeugt – eine Schwerkraft-Schüssel mit dem Stern am Boden –, und man nehme an, das bewegte Teilchen würde dem jeweils kürzesten Weg folgen. Der technische Ausdruck dafür ist geodätisch. Weil die Raumzeit gebogen ist, sind Geodäten nun nicht mehr gerade Linien. Zum Beispiel kann ein Teilchen von der Schüssel eingefangen werden und in fester Höhe umlaufen, wie ein Planet auf einer Umlaufbahn.

An die Stelle einer hypothetischen Kraft, die die Bahn des Teilchens verbiegt, setzte Einstein eine Raumzeit, die bereits gekrümmt ist, und deren Krümmung die Bahnen eines bewegten Teilchens beeinflusst. Man braucht keine Fernwirkung mehr: Die Raumzeit ist gekrümmt, weil die Sterne die Krümmung verursachen, und umlaufende Massen reagieren auf die lokale Krümmung. Was wir und Newton Gravitation nennen und uns als Kraft vorstellen, ist in Wirklichkeit die Krümmung der Raumzeit.

Krümmungseffekt durch Wirken der Schwerkraft auf ein Teilchen beim Passieren eines Sterns oder Planeten.

Einstein hat mathematische Formeln entwickelt, die Einstein’schen Feldgleichungen,[15] die beschreiben, wie die Krümmung die Bewegung von Massen beeinflusst und wie die Massenverteilung die Krümmung beeinflusst. In der Abwesenheit jeglicher Massen reduziert sich die Formel auf die Spezielle Relativitätstheorie. Damit passieren all die verrückten Effekte, wie etwa die Zeitdehnung, auch in der Allgemeinen Relativitätstheorie. Tatsächlich kann die Schwerkraft die Zeit selbst für nicht bewegte Objekte verlangsamen. In der Regel sind diese paradoxen Effekte klein, doch unter extremen Umständen ist das Verhalten, das die Relativität vorhersagt, von der Newton’schen Physik völlig verschieden.

Sie meinen, das alles höre sich verrückt an? Das haben schon viele von Anfang an geglaubt. Doch jeder, der sein Navi im Auto benutzt, verlässt sich sowohl auf die Spezielle als auch die Allgemeine Relativitätstheorie. Die Berechnungen, die Ihnen sagen, dass Sie sich am Ortsrand von Bristol in südlicher Richtung auf der M 32 bewegen, beruhen auf Zeitsignalen umlaufender Satelliten. Der Chip in Ihrem Auto, der Ihre Position berechnet, muss diese Zeitsignale um zwei Effekte korrigieren: erstens um die Geschwindigkeit, mit der sich der Satellit bewegt, und zweitens um dessen Position im irdischen Schwerkrafttopf. Für Ersteres braucht man die Spezielle Relativitätstheorie, für das Zweite die Allgemeine Relativität. Ohne diese Korrekturen würde Sie das Navi nach ein paar Tagen mitten im Atlantik verorten.

Die Allgemeine Relativitätstheorie zeigt, dass die Physik Newtons nicht das wahre, exakte «Weltsystem» ist, das er (und fast alle anderen Wissenschaftler vor Beginn des 20. Jahrhunderts) für richtig hielt. Dennoch bedeutete diese Entdeckung nicht das Ende der Newton’schen Physik. Tatsächlich wird sie heutzutage viel mehr genutzt als zu Newtons Tagen, und zwar aus ganz praktischen Erwägungen. Newton’sche Physik ist einfacher als die Relativität.

Die Unterschiede zwischen den beiden Theorien werden hauptsächlich offenbar, wenn man exotische Phänomene wie Schwarze Löcher untersucht. Astronomen und Raumfahrtingenieure, die hauptsächlich in Diensten von Regierungen oder Organisationen wie NASA und ESA stehen, benutzen für fast alle Berechnungen immer noch die Newton’sche Mechanik. Es gibt einige wenige Ausnahmen, wo zeitliche Präzision wichtig ist. Im Lauf dieser Geschichte werden wir dem Einfluss des Newton’schen Gravitationsgesetzes immer wieder begegnen. Es ist wirklich überaus wichtig: eine der größten wissenschaftlichen Entdeckungen aller Zeiten.

Sobald es jedoch um Kosmologie geht – die Untersuchung des Universums als Ganzes und insbesondere seines Ursprungs –, müssen wir die Newton’sche Physik verwerfen. Sie kann die wichtigsten Beobachtungen nicht erklären. Stattdessen müssen wir auf die Allgemeine Relativitätstheorie zurückgreifen, im Verbund mit der Quantenmechanik, und selbst diese beiden großen Theorien brauchen noch zusätzliche Unterstützung.

Kapitel 2Kollaps des solaren Urnebels

«Vor so etwa 2000 Millionen Jahren stießen zwei Galaxien zusammen, besser gesagt, sie durchdrangen einander … Etwa zur selben Zeit – mit derselben Fehlerspanne von plus/minus 10 Prozent, so glaubt man – kamen praktisch alle Sonnen der beiden Galaxien zu ihren Planeten.»

Edward E. Smith PhD, Triplanetary

Triplanetary (deutsch: Die Planetenbasis) ist die erste Folge der Lensmen-Saga, einer Reihe von Science-Fiction-Erzählungen von Edward Smith, und der erste Band gibt eine Theorie über die Entstehung des Planetensystems wieder, die 1948, als das Buch erschien, sehr in Mode war. Sogar heute noch wäre das eine zugkräftige Art, eine Science-Fiction-Erzählung zu beginnen; damals war sie atemberaubend. Die Erzählungen selbst sind frühe Beispiele einer barocken Space Opera, eines kosmischen Kampfes zwischen den Kräften des Guten (durch die Arisier repräsentiert) und des Bösen (Eddorier), der sich über sechs Bücher erstreckt. Die Figuren waren platt, die Geschichten banal, aber die Action war fesselnd und die Bandbreite der Erzählung zu jener Zeit beispiellos.

Heute glaubt man nicht mehr, dass es galaktische Zusammenstöße braucht, um Planeten hervorzubringen, auch wenn Astronomen darin eine der vier vorherrschenden Möglichkeiten der Sternentstehung sehen. Die gegenwärtige Theorie der Bildung unseres Sonnensystems, und vieler anderer Planetensysteme, sieht anders aus, ist aber nicht weniger atemberaubend als jener Saga-Auftakt. Und sie geht so.

Vor viereinhalb Milliarden Jahren[16] zerriss eine 600 Billionen Kilometer im Durchmesser messende Wasserstoffwolke langsam in kleine Stücke. Jedes Stück kondensierte zu einem Stern. Ein solches Stück, der solare Urnebel, bildete die Sonne und mit ihr das Sonnensystem aus acht Planeten, fünf (bisher) Zwergplaneten und Tausenden von Asteroiden und Kometen. Der dritte Felsbrocken von der Sonne aus gesehen ist unsere Heimatwelt: die Erde.

Anders als die Fiktion könnte das sogar wahr sein. Schauen wir uns die Indizien an.

Die Vorstellung, dass die Sonne und die Planeten alle aus einer riesigen Gaswolke kondensierten, tauchte schon erstaunlich früh auf, und sie war lange Zeit die vorherrschende wissenschaftliche Theorie für den Ursprung der Planeten. Als Probleme damit auftauchten, geriet sie für nahezu 250 Jahre in Vergessenheit, doch nun ist sie, dank neuer Ideen und neuer Daten, wiederbelebt worden.

René Descartes ist hauptsächlich für seine Philosophie – «Ich denke, also bin ich» – und seine Mathematik bekannt, insbesondere die kartesischen Koordinaten, die Geometrie in Algebra und umgekehrt übersetzen. Doch zu seiner Zeit bezog sich der Begriff «Philosophie» auf viele Gebiete intellektueller Aktivität, die Naturwissenschaften eingeschlossen, und nannte sich Naturphilosophie. In seinem 1664[17] erschienenen Le Monde (Die Welt) beschäftigte sich Descartes mit dem Ursprung des Sonnensystems. Er führte aus, dass das Universum ursprünglich ein formloses Durcheinander von Teilchen war, die wie Wirbel in einem Wasserbecken kreisten. Ein ungewöhnlich großer Wirbel zog sich immer mehr zusammen, bildete dabei die Sonne, und kleinere Wirbel um ihn herum wurden zu Planeten.

Diese Theorie erklärte mit einem Schlag zwei grundlegende Fakten: Warum das Sonnensystem viele getrennte Körper enthält, und warum die Planeten sich alle in derselben Richtung um die Sonne bewegen. Descartes’ Wirbeltheorie stimmt nicht mit dem überein, was wir über die Gravitation wissen, doch Newtons Gesetz lag noch zwei Jahrzehnte in der Zukunft. Emanuel Swedenborg ersetzte 1734 Descartes’ rotierende Wirbel durch eine riesige Gas- und Staubwolke. Im Jahr 1755 gab der Philosoph Immanuel Kant dieser Idee seinen Segen; unabhängig davon formulierte der Mathematiker Pierre Simon de Laplace 1796 diese Vorstellung.

Alle Theorien über den Ursprung des Sonnensystems müssen zwei Schlüsselbeobachtungen erklären. Dass sich Materie zu getrennten Körpern – Sonne, Planeten und so weiter – zusammenballt, ist eine der beiden. Ein subtilerer Punkt betrifft eine Größe, die man als Drehimpuls bezeichnet. Dieser ging aus mathematischen Untersuchungen der weitergehenden Folgerungen aus Newtons Bewegungsgesetzen hervor.