Die besten falschesten Zitate aller Zeiten - Gerald Krieghofer - E-Book

Die besten falschesten Zitate aller Zeiten E-Book

Gerald Krieghofer

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Beschreibung

Sie sind beliebtes Doping für Ansprachen, Powerpoint- Präsentationen und Social- Media-Posts: geistvolle, scharfsinnige oder bloß altkluge Zitate von allerlei Geistesgrößen. Einstein, Laotse oder Tucholsky sind die beliebtesten Spender. Doch viele sind schlichtweg: Fake. Oder wurden Berühmtheiten untergeschoben. Das belegt Zitatforscher Gerald Krieghofer. Über 700 hat der Wiener bereits enttarnt. Nun versammelt Krieghofer die besten falschen Sprüche aus Politik, Kultur, Sport, Wissenschaft und Religion erstmals in einem Buch, erhellt Herkunft und Hintergründe und gibt Tipps, wie sich falsche Zitate identifizieren lassen. Ein schlaues, kurzweiliges Kompendium für Besserwisser:innen. Oder bloß alle, die es genau wissen wollen.

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Gerald Krieghofer

Die bestenfalschesten Zitate aller Zeiten

Was Einstein, Freud und Pippi Langstrumpf so niemals gesagt haben

„Lasst, die ihr eintretet, alle Hoffnung fahren!“

DANTE ALIGHIERI

Inhalt

Von Kuckuckszitaten und dem Glück der Parömiologie

EINE KURZE GESCHICHTE DES FALSCHEN ZITIERENS

„Lass dich nicht unterkriegen; sei frech, wild und wunderbar.“

PIPPI LANGSTRUMPF?

„Gute Künstler kopieren, große Künstler stehlen.“

STEVE JOBS?

„Das Auto ist eine vorübergehende Erscheinung. Ich glaube an das Pferd.“

KAISER WILHELM II.?

„Der Tod eines einzelnen Mannes ist eine Tragödie, aber der Tod von Millionen nur eine Statistik.“

KURT TUCHOLSKY? ERICH MARIA REMARQUE? JOSEF STALIN? ADOLF EICHMANN?

„Der heißeste Platz der Hölle ist für jene bestimmt, die in Zeiten der Krise neutral bleiben.“

DANTE ALIGHIERI?

„Was trifft, trifft auch zu.“

KARL KRAUS?

„Gut erzogene Frauen machen selten Geschichte.“

MARILYN MONROE?

„Kaffee dehydriert den Körper nicht. Ich wäre sonst schon Staub.“

FRANZ KAFKA?

„Das Leben ist zu kurz, um schlechten Wein zu trinken.“

JOHANN WOLFGANG VON GOETHE?

„Die Zeit, die man mit Katzen verbringt, ist niemals verlorene Zeit.“

SIGMUND FREUD?

„Eine Lüge muss nur oft genug wiederholt werden. Dann wird sie geglaubt.“

JOSEPH GOEBBELS?

„Wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht.“

BERTOLT BRECHT?

„Was kränkt, macht krank.“

HILDEGARD VON BINGEN?

„Be the change you want the world to see.“

MAHATMA GANDHI?

„Neue Wege entstehen, indem wir sie gehen.“

FRIEDRICH NIETZSCHE? FRANZ KAFKA?

„Was wir heute tun, entscheidet darüber, wie die Welt morgen aussieht.“

MARIE VON EBNER-ESCHENBACH?

„Mailand oder Madrid – Hauptsache Italien.“

ANDREAS MÖLLER?

„Ich freue mich, wenn es regnet, denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch.“

KARL VALENTIN?

„Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen.“

HELMUT SCHMIDT?

„Die Mentalität der Österreicher ist wie ein Punschkrapfen: außen rot, innen braun und immer ein bisschen betrunken.“

THOMAS BERNHARD?

„Ich fürchte nicht die Rückkehr der Faschisten in der Maske der Faschisten, sondern die Rückkehr der Faschisten in der Maske der Demokraten.“

THEODOR W. ADORNO?

„Niemand hat das Recht zu gehorchen.“

HANNAH ARENDT?

Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die Weltanschauung der Leute, welche die Welt nie angeschaut haben.“

ALEXANDER VON HUMBOLDT?

„Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten.“

ALBERT EINSTEIN?

„Am Ende wird alles gut. Und wenn es nicht gut ist, ist es nicht das Ende.“

JOHN LENNON?

Bedenke stets

FALSCHE ZITATE AUF GRABSTEINEN UND IN TODESANZEIGEN

Die Top 10 der beliebtesten angeblichen Zitate

VON VOLTAIRE ÜBER MARIE ANTOINETTE BIS NICCOLÒ MACHIAVELLI

Dank, Autor, Impressum

Von Kuckuckszitaten und dem Glück der Parömiologie

EINE KURZE GESCHICHTE DES FALSCHEN ZITIERENS

Geben Sie es ruhig zu: Auch Sie lieben treffende Zitate von berühmten Menschen, die einen klugen Gedanken, eine tiefsinnige Weisheit, eine stille Erkenntnis, eine bislang unentdeckte Wahrheit in brillant formulierten Wörtern zu einer geschliffenen Sentenz verdichten – und so auch ein wenig auf jene abstrahlen, die sich mit diesem Zitat schmücken. Das ist keinesfalls eitel, sondern bloß menschlich, überaus hilfreich und – gestehen wir es uns ein – sehr bequem. Rasch auf einer einschlägigen Website ein passendes Sprüchlein zum jeweiligen Thema herausgefischt, und schon überträgt sich der Geist der Berühmtheit auf Hochzeits- und Traueransprachen, politische Reden, Online-Präsentationen, Keynote-Speeches, Romane, Dissertationen, Grußworte, Durchhalteparolen, Bilanzpräsentationen, Zeitungsreportagen und manchmal sogar auf Stammtisch-Debatten. Besonders oft zitiert wird übrigens in Management-Ratgebern. Und das vor allem besonders falsch.

Allein diese Aufzählung zeigt: Ein Zitat geht immer. Bloß wurden viele dieser weisen Sätze im Laufe der Zeit verfremdet, stammen gar nicht von der Urheberin oder dem Urheber oder wurden schlicht erfunden. Die Gründe reichen vom einfachen Irrtum bis zu böswilliger Propaganda. Ein regelrechter Beschleuniger für die epidemische Verbreitung falscher oder zumindest halbwahrer Sprüche aller Art waren wenig überraschend das Internet bzw. Social-Media-Kanäle wie Facebook, Twitter oder Instagram. Ein unendliches Reservoir an Sprüchen und Aphorismen, das für jede persönliche oder gesellschaftspolitische Stimmung den passenden „Sager“ bereithält.

Vor fünf Jahren1 veröffentlichte ich auf Twitter eine Geburtsanzeige: „Ich möchte die Geburt eines schönen, neuen Wortes bekanntgeben: / ‚KUCKUCKSZITAT‘. / Geboren im Plural am 19. März 2018 - 11:31 / Neutrum / Größe: 13 Buchstaben / Geprägt von ‚Weltgeist is a bitch‘, @Sociopathblog.“ Ein Kuckuckszitat ist ein geflügeltes Wort, das einer berühmten Person in ihr Nest gelegt, also fälschlich zugeschrieben wird. Ich kenne von dem Erfinder des Wortes nur sein Twitter-Pseudonym und habe den Begriff Kuckuckszitat für diese Klasse von Falschzitaten gerne übernommen.

Ursprünglich sammelte ich auf meiner im Jahr 2009 gestarteten Website falschzitate.blogspot.com nur falsche Sprüche, die im Zusammenhang mit dem Satiriker und Polemiker Karl Kraus stehen. Ich hatte mich schon lange gewundert, warum ausgerechnet einem so peniblen Autor wie ihm, der lieber gar nicht als mit einem falschen Beistrich nachgedruckt werden wollte, so viele entstellte und völlig falsche Sprüche zugeschrieben werden. Was unter anderem dazu führte, dass der Name dieses unbestechlichen Kritikers des Pressebetriebs samt einem Zitat, das weder so noch so ähnlich von ihm stammt, mittlerweile auf T-Shirts prangt, die ein Journalist2 im Internet vertreibt.

Als mir vor ungefähr zehn Jahren klar wurde, dass auch anderen Berühmtheiten wie Kurt Tucholsky, Bertolt Brecht, Albert Einstein, Hildegard von Bingen oder Karl Valentin mindestens genauso viele Kuckuckszitate zugeschrieben wurden, hatte ich zum ersten Mal den Eindruck, wir würden von falschen Zitaten regelrecht überflutet werden. Was aber kaum aufzufallen schien. Dabei handelte es sich übrigens nicht nur um ein Facebook- oder Twitter-Phänomen. Gefühlt jedes zweite Augustinus-Zitat auf Todesanzeigen ist daneben, selbst angesehene Zeitungen übernehmen falsche Zuschreibungen, Politiker:innen verlassen sich mehr denn je auf Kuckuckszitate. Man muss etwas dagegen tun, dachte ich mir.

Da es im deutschen Sprachraum – im Gegensatz zum englischen – keine Institution gab, die sich systematisch um die Dokumentation und Analyse von falschen Zitaten kümmerte, habe ich mir 2014 ganz unbescheiden vorgenommen, selbst so eine Institution zu werden, und zwar mit einer lexikalisch strukturierten Website, auf der sich rasch überprüfen lässt, ob das gesuchte Zitat falsch ist. Das Vorwissen hatte ich mir bei der Arbeit an zwei großen Wörterbuch-Projekten3 für die Österreichische Akademie der Wissenschaften angeeignet, daneben Workshops mit Lexikograf:innen und Parömiolog:innen (Sprichwortforscher:innen) besucht und mit großem Vergnügen zentrale Texte dieser philologischen Sparte gelesen.

Zeit meines Lebens habe ich gerne damit prokrastiniert, der Evolution von Begriffen, Ideen und Zitaten nachzugehen. Was gibt es Besseres als eine Arbeit, die einem Spaß macht und die auch noch nützlich ist, weil sie ein paar weitverbreitete Unwahrheiten aufdeckt? Und bei der man sich nach einer komplizierten, aber erfolgreichen Recherche kurz wie ein Sherlock Holmes fühlt? Allerdings kann ich nach vielen Tausend Arbeitsstunden die Prophezeiung des beliebten Pseudo-Konfuzius-Zitates, „Wähle den Beruf, den du liebst – und du musst keinen Tag in deinem Leben mehr arbeiten“, nicht wirklich bestätigen.

Eines meiner Lieblingsbücher während meiner Zeit als Philosophiestudent war ein Werk des US-amerikanischen Soziologen Robert K. Merton mit der ausführlichen Antwort auf die Frage eines Freundes, wer die Metapher von den Zwergen, die weiter sehen, weil sie auf den Schultern von Riesen stehen, geprägt habe.

Merton antwortete auf diese kurze Frage zu einem der zentralen Sinnbilder für den wissenschaftlichen Fortschritt mit einem 277 Druckseiten langen Brief mit über Tausend Fußnoten, der 1980 unter dem Titel „Auf den Schultern von Riesen. Ein Leitfaden durch das Labyrinth der Gelehrsamkeit“4 auf Deutsch erschienen ist. Meistens galt Isaac Newton als Urheber des Spruchs. Er schrieb am 5. Februar 1676 an den Physiker Robert Hooke: „Wenn ich weiter gesehen habe, so deshalb, weil ich auf den Schultern von Riesen stehe.“5 Einer der Riesen Isaac Newtons war der Philosoph René Descartes. Aber Merton hat noch zwei Dutzend6 Autoren entdeckt, die den Spruch in verschiedenen Varianten vor Newton verwendet hatten. Am Ende seiner Untersuchung identifizierte er den – wahrscheinlichen – Urheber als den mittelalterlichen Philosophen Bernhard von Chartres.7 Immerhin bezeugten das zwei seiner Schüler.

Damit gab sich der US-Soziologe jedoch nicht zufrieden. Er forschte auch der unterschiedlichen Bedeutung der Metapher für einzelne Disziplinen nach. So meinten manche, erfahren wir bei Merton, das Bild gelte nur für die Naturwissenschaften. In den Sozialwissenschaften hingegen stünden die Zwerge nicht auf den Schultern, sondern jede Wissenschaftlergeneration tanze der vorigen auf der Nase herum.8 Im Postskriptum seiner unglaublich gelehrten Betrachtungen, die in der Tradition von Laurence Sternes umständlichironisch-amüsanten Roman „Tristram Shandy“ stehen, hat Robert K. Merton schließlich auf eine Einschränkung des Geltungsbereichs dieser Metapher hingewiesen. Sie stammt von Sigmund Freud. Dessen Zeitgenosse und ehemaliger Schüler Wilhelm Stekel, später ein moralisch und fachlich problematischer Psychoanalytiker, der sich seinem Lehrer bald überlegen fühlte, soll mit „arroganter Bescheidenheit“ einmal gesagt haben, „ein Zwerg auf den Schultern von Riesen könne weiter sehen als der Riese selbst“. Als man das Sigmund Freud erzählte, habe der ergrimmte Riese gekontert: „Das mag ja wahr sein, aber nicht eine Laus auf dem Kopfe eines Astronomen.“9

Auch die Zitatforschung steht auf den Schultern von Riesen. Trotz Digitalisierung von Milliarden von Zeitungsseiten und zig Millionen Büchern wären wir ohne die sorgfältige Arbeit früherer und aktueller Zitate-Expert:innen verloren. Zum einen, weil auch Unsinn samt falschen Informationen und Halbwahrheiten digitalisiert wird, zum anderen, weil viele Digitalisate fehler- und lückenhaft sind. Deshalb kann man auch ChatGPT und Konsorten in dieser Frage nicht vertrauen, da die eloquente Computerintelligenz Belegstellen halluziniert.

Zu den Ries:innen der Zitatforschung, die nur ein wenig kleiner sind als jene der Physik und Mathematik, gehören Zenobius, Diogenes Laertius, Plutarch, Valerius Maximus, Stobaeus, Aba-l-Wafa‘ al-Mubassir bin Fatik, Erasmus von Rotterdam, Georg Büchmann, Karl Friedrich Wilhelm Wander, Kate Louise Roberts, Christopher Morley, Louella Everett, Emily Morison Beck, Elizabeth Knowles, Nigel Rees, Elaine Partnow, Wolfgang Mieder, Fred Shapiro und Garson O’Toole.

Schon bald nachdem ich mit meiner Sammlung und Analyse von falschen Zitaten begonnen hatte, wurden Journalist:innen auf meine Arbeit aufmerksam. Sie folgten mir auf Twitter, machten Interviews10 und ein bisschen Werbung („Better call Krieghofer“11) und gaben mir ehrende Spitznamen. Ich habe es allerdings abgelehnt, Zitatjäger12 genannt zu werden, weil ich mich mehr als Zitate-Troubleshooter fühle, also wie ein entfernter Verwandter des von Harvey Keitel verkörperten Winston Wolf aus dem Film „Pulp Fiction“: Ich löse Probleme.

Nach der Maturafeier meiner Tochter im Jahr 2017 erhielten sie und ihre Mitschüler:innen einen Brief von ihrer Schuldirektorin mit ein paar sehr netten Worten und einigen „Gedanken für deinen weiteren Lebensweg“, konkret fünf Zitaten:13

„Es ist nicht genug zu wissen – man muss es auch anwenden. Es ist nicht genug zu wollen – man muss es auch tun.“

Johann Wolfgang von GOETHE

„Der Ziellose erleidet sein Schicksal – der Zielbewusste gestaltet es.“ Immanuel KANT

„Freundschaft fließt aus vielen Quellen, am reinsten aus dem Respekt.“ Daniel DEFOE

„In der Ruhe liegt die Kraft.“ KONFUZIUS

„Der Mensch ist so glücklich, wie er es beschließt zu sein.“

Abraham LINCOLN

Ha! Nur eines dieser Zitate ist halbwegs korrekt.14 Da wusste ich, dass mein Eindruck, wir würden von falschen Zitaten überflutet, nicht übertrieben war. Falsche Zitate hat es immer gegeben, schon vor dem Internet und dem Zeitalter von Fake News. Aber in den sozialen Medien, unseriösen Online-Zitate-Sammlungen und verpackt in Memes flimmern täglich Tausende Fehlzitate über unsere Bildschirme. Wer hat noch nicht bei einer Festansprache oder feurigen Manager:innen-Rede das Gustav-Mahler-Zitat „Tradition ist nicht die Anbetung der Asche, sondern die Weitergabe des Feuers“ gehört? Bloß ist es in den Schriften des Komponisten nicht und nicht zu finden.15

Inzwischen bekomme ich fast täglich Anfragen und Hinweise (was mich freut) zu Zitateproblemen, von Student:innen, Journalist:innen, Historiker:innen und anderen Interessierten. Neben den über 700 Zitaten auf meiner Website habe ich auch Hunderte Anfragen offline gesammelt, die ich noch nicht gründlich genug bearbeitet habe, um sie zu publizieren.

Wenn mich jemand fragt, ob die Zuschreibung eines Zitats stimmt, suche ich kurz auf der bekannten Suchmaschine und in einigen Online-Zeitungsarchiven. Wenn ein beliebter „Klassiker“ bei einer chronologischen Suche im 21. Jahrhundert das erste Mal auftaucht, ist der Verdacht sehr groß, dass es ein entstelltes Zitat oder ein Kuckuckszitat ist. Aber man kann sich nie sicher sein, bevor man nicht die relevante Fachliteratur durchsucht und sich mit einschlägigen Fachleuten ausgetauscht hat. Darüber hinaus bin ich mit Philolog:innen auf der ganzen Welt vernetzt. So hilfreich wie die Sekundärliteratur sind für mich auch Kollegen wie Bernd-Christoph Kämper, Martin Anton Müller oder Ralf Bülow, die mich auf entlegene Funde aufmerksam machen und Details meiner Arbeit verbessern. Bei Zweifelsfällen wende ich mich auch an die einschlägigen Forschungsstellen, die meistens sehr gerne kooperieren.

Kuckuckszitate kann man einteilen in absichtlich und irrtümlich entstandene. Es gibt Leute, denen es – aus welchem Grund auch immer – Spaß macht, einen Spruch zusammenzulügen und ihn so ihrer Umgebung zu präsentieren.

Absicht ist schwer nachzuweisen, kommt aber vor allem in politischen Debatten vor.16 Ich vermute, dass nur etwa zehn bis zwanzig Prozent aller Kuckuckszitate absichtlich einer falschen Autorität zugeschrieben werden. Vielleicht eher zwanzig Prozent, wenn man Internet-Trolle dazurechnet, also jene Spezies, die andere im digitalen Raum absichtlich verärgert und sich darüber freut, wie schnell ein falsches Zitat in den sozialen Medien Verbreitung findet. Besonders beliebt: Man nimmt das Foto eines politischen oder ideologischen Gegners, schreibt einen Spruch darunter, den er oder sie nie gesagt hat, und hat seinen Beitrag zumindest zur Empörungskultur geleistet.

Die meisten falschen Zitate entstehen aus einer Mischung aus Wunschdenken, Irrtum, Gedächtnistäuschung und Schlamperei. Niemand von uns hat ein perfektes Gedächtnis, auch unsere Lieblingszitate sind selten im genauen Wortlaut im Gedächtnis. Unredlich ist es allerdings, wenn man so ein ungefähres Zitat vor der Publikation nicht anhand der Originalquelle oder eines seriösen Nachschlagewerks überprüft. Wahrhaftigkeit ohne Genauigkeit gibt’s nicht.

Der US-amerikanische Zitatforscher Garson O’Toole17 hat einige Mechanismen bei einschlägigen Irrtümern analysiert, die ich hier gekürzt und etwas verändert wiedergebe.

Versehentliche Zuschreibungen entstehen vor allem aus folgenden Gründen:

1. Satirische oder ironische Zuschreibungen werden nicht als Ironie erkannt.

2. Paraphrasen werden als wörtliche Zitate interpretiert.

3. Die Textnachbarschaft von Personen führt zu Verwechslungen (Zeile verrutscht) ebenso wie

4. die geografische Nachbarschaft. (z. B. werden angebliche chinesische Zitate gerne auch Laotse oder Konfuzius zugeschrieben)

5. Namensgleichheit kann zu Verwechslungen führen ebenso wie Namensähnlichkeit.

6. Die Dialoge in Historienromanen oder -filmen werden den realen Figuren untergeschoben.

7. Die häufigsten Ursache ist Vereinnahmung: Zitate wenig bekannter Personen oder anonyme Sprüche werden Berühmtheiten untergeschoben. Witzige Sprüche vor allem Oscar Wilde, Mark Twain oder Kurt Tucholsky, politische Weisheiten Winston Churchill oder Otto von Bismarck, Wohlfühlsprüche Antoine de Saint-Exupéry oder Rainer Maria Rilke, Trauersprüche Augustinus oder Franz von Assisi.

Die folgende repräsentative Auswahl von Kuckuckszitaten enthält klassische Beispiele für diese Mechanismen und gibt hoffentlich auch das Vergnügen wieder, das man hat, wenn man diese Irrtümer aufspürt. Alle prägnanten Zitate, Bonmots, Aperçus, Aphorismen, Sentenzen, geflügelten Worte und Sprichwörter haben eine Vorgeschichte, bevor sie eine feste Form gefunden haben, und spiegeln die Zeit, in der sie entstanden sind, wider. Die lexikalischen Einträge auf meiner Website in die historischen Zusammenhänge einzubetten und so die individuelle Entstehungsgeschichte bekannter Sentenzen ausführlicher zu beleuchten, macht für mich den besonderen Reiz dieser Sammlung der besten falschesten Zitate aus.

Zitate haben heutzutage eine andere Funktion als die bildungsbürgerliche Angeberei vor hundert Jahren.18 Sie sind ein wichtiger Bestandteil unser aller Kommunikation und verbinden uns mit den hellsten Köpfen aus der Vergangenheit.

ANMERKUNGEN

1Tweet @krieghofer 19. März 2018 11:55

2Der deutsche Journalist Boris Reitschuster bietet auf seiner Webseite T-Shirts mit der Aufschrift „Was trifft, trifft auch zu. Karl Kraus“ an.

3Zum Beispiel: Schimpfwörterbuch zu der von Karl Kraus herausgegebenen Zeitschrift „Die Fackel“. 3 Bände. Herausgegeben von Werner Welzig. Redaktion: Hanno Biber, Evelyn Breiteneder, Gerald Krieghofer, Karlheinz Mörth. Verlag der Akademie der Wissenschaften, Wien: 2008

4Robert K. Merton: Auf den Schultern von Riesen. Ein Leitfaden durch das Labyrinth der Gelehrsamkeit (Originalausgabe: On the Shoulders of Giants. A Shandean Postscript, 1965). Aus dem Amerikanischen von Reinhard Kaiser. Syndikat, Frankfurt am Main: 1980

5Merton, S. 19

6Ebd., S. 223–225

7Elemente des Spruchs sind schon viel früher nachgewiesen worden.

8David Zeaman, siehe Merton, S. 223

9Merton, S. 225f.

10Mareen Linnartz: Falsche Zitate. Das Wort Idiot hätte Loriot nie verwendet. Gespräch mit Gerald Krieghofer, Süddeutsche Zeitung, 15. September 2020

11Von Julia Ortner

12Michael Allmaier: Berühmte Zitate. Falsch verbunden, Die Zeit, 3. Oktober 2022

13Siehe Tweet @krieghofer 20. Juni 2017 9:38

14Nur das Goethe-Zitat stimmt bis auf die Satzzeichen Die angeblichen Lincoln-, Defoe-, Konfuzius- und Kant-Zitate sind in ihren Schriften unauffindbar.

15Gerald Krieghofer: Irrwege einer Metapher, Wiener Zeitung, 10. Juni 2017

16Paul F. Boller, John George: They Never Said It: A Book of Fake Quotes, Misquotes, and Misleading Attributions. Oxford University Press, Oxford/New York: 1989, VIII

17Garson O’Toole: Hemingway Didn’t Say That: The Truth Behind Familiar Quotations. Little A, New York: 2017, S. 6–11

18Ruth Finnegan: Why Do We Quote? The Culture and History of Quotation. Openbook Publishers, Cambridge: 2011

„Lass dich nicht unterkriegen; sei frech, wild und wunderbar.“

PIPPI LANGSTRUMPF

Das Mädchen zählt zweifellos zum literarischen Weltkulturerbe: Pippi Langstrumpf. Selbstbewusst, abstehende rote Zöpfe, schier übermenschliche Kräfte: Das waren die Kennzeichen jener Heldin, die die schwedische Schriftstellerin Astrid Lindgren (1907–2002) ab 1944 in einer dreibändigen Kinderbuchreihe und unzähligen Bearbeitungen Abenteuer erleben ließ. Und wenn die nur darin bestanden, in der Villa Kunterbunt gegen die Welt der Erwachsenen und überkommene Erziehungsmethoden aufzubegehren. In über siebzig Sprachen übersetzt, sollte die Aufwieglerin die Kinderzimmer dieser Welt erobern.

Mit der gleichnamigen, ab den späten 1960ern ausgestrahlten schwedisch-deutschen Fernsehserie stieg das neunjährige Mädchen bzw. ihre Darstellerin Inger Nilsson gar zur Vorzeigefigur der Feminismus-Bewegung der 1970er-Jahre auf. Eine Rotzgöre, die Autoritäten ignoriert und in einer abgerockten Villa lebt, in der sie Tommy und Annika, zwei artigen Mittelschichtskindern, allerlei Flausen in den Kopf setzt – das war seinerzeit fast schon Anarchie. Davon übrig geblieben ist nicht zuletzt jenes Zitat, das Lindgren ihrer Hauptfigur in den Mund gelegt haben soll: „Lass dich nicht unterkriegen; sei frech, wild und wunderbar.“ Text einschlägiger Postkarten, beliebt bei Motivationstrainer:innen aller Art, auf Twitter oder Facebook sicherlich tausendfach gepostet.

2014 tauchte das Langstrumpf-/Lindgren-Zitat gar auf einem Frauen-Ratgeberbuch mit dem Titel „Sei frech, wild und wunderbar“ auf. Im Vorwort verriet Autorin Petra Wüst, sie habe den Spruch auf einer Postkarte mit einem Pippi-Langstrumpf-Foto entdeckt.1 Womit wahrscheinlich viele die Zuschreibung belegen. Nun war Astrid Lindgren eine, die noch als Fast-Siebzigjährige mit ihrer achtzigjährigen Freundin aufgrund einer Wette vor TV-Kameras auf einen Baum kletterte, was als deutlicher Hinweis zu werten ist, dass Lindgren und Langstrumpf sehr viel gemeinsam haben. Motivationssprüche zu verteilen, war jedoch weder Sache der einen noch der anderen. Niemand also hat Pippi diesen Ratschlag gegeben. Sie brauchte ihn nicht. Das beliebteste Lindgren-Zitat ist in ihren Texten weder auf Schwedisch noch auf Deutsch oder Englisch zu finden. Warum ich mir da einigermaßen sicher bin? Nicht nur ich habe vergeblich danach gesucht, auch kompetente Kolleg:innen sowie mir unbekannte Personen in deutschen und schwedischen Diskussionsforen blieben erfolglos.

Was direkt zu Arthur Schnitzler (1862–1931) führte. Der Literaturwissenschaftler Martin Anton Müller, Herausgeber von Teilen des Briefwechsels des Schriftstellers, fragte im November 2019 an, ob das Zitat tatsächlich von Lindgren stamme, zumal ihn der Pippi-Merksatz an einen Arthur-Schnitzler-Fall erinnere, konkret an den Postkartenspruch: „Du fragst mich, was soll ich tun? Und ich sage: Lebe wild und gefaehrlich, Artur.“ Ein gut gemeinter Rat Schnitzlers an Arthur Rimbaud, den der Wiener Schriftsteller seinem französischen Kollegen in einem Brief gegeben habe. So stand es zumindest in Zeitungen2 zu lesen. Aber es gab keinerlei Verbindung zwischen Schnitzler und dem um acht Jahre älteren Rimbaud, der als Dichter in der Zeit, in der sein Wiener Namensvetter erstmals zu publizieren begann, bereits verstummt war und als Geschäftsmann in Afrika lebte.

Die Losung „Lebe wild und gefaehrlich, Artur“ erlangte jedenfalls in Hamburg in Form eines Plakats Berühmtheit, darüber hinaus gingen Postkarten3 mit dem Bild eines verwegen dreinschauenden Volksschülers mit Pudelmütze um, ab den 1980er-Jahren tauchten entsprechende Plakate an den Wänden vieler deutscher Wohngemeinschaften auf.4 Nach einem Dutzend E-Mails und einigen Tagen Recherche