Die Bestie zähmen - Jürgen Bruhn - E-Book

Die Bestie zähmen E-Book

Jürgen Bruhn

4,8
12,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Immer wieder haben wir sie gehört und selbst angestimmt: die Klagelieder über die Zerstörung von Menschlichkeit, Kultur und natürlichen Ressourcen durch eine entfesselte Wirtschaft, die Moritaten über die planmäßige Produktion von gesellschaftlicher Ungleichheit im Interesse der Profite einiger Weniger. In diesem vielstimmigen Chor der Kapitalismuskritik wählt Jürgen Bruhn die konstruktiv-praktische Tonart. Sein Maßnahmenkatalog gegen ein unmenschliches Wirtschaftssystem orientiert sich an historischen Größen wie Mahatma Gandhi und Martin Luther King und richtet sich damit nicht nur an die Spitzen von Politik und Wirtschaft, sondern vor allem an jeden einzelnen von uns. Bruhn lotet unseren Handlungsspielraum und macht deutlich: Wir sind diesen Entwicklungen nicht hilflos ausgeliefert und können uns wehren! Wussten Sie zum Beispiel, dass man Steuerboykott betreiben kann, ohne wegen Steuerhinterziehung hinter Gittern zu landen? Oder dass gewaltfreier Widerstand durch die Menschenrechtsgarantien des Grundgesetzes abgesichert ist? Ist Ihnen bewusst, wie Ihre Stimme bei Wahlen wieder mehr wiegen kann? Jürgen Bruhn lehrt uns die Kunst des effizienten institutionellen und persönlichen Widerstands und weist damit den Weg in eine neue Ökonomie - eine Wirtschaftsweise, von der wir alle profitieren und für die wir alle etwas tun können.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 300

Veröffentlichungsjahr: 2015

Bewertungen
4,8 (16 Bewertungen)
12
4
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Jürgen Bruhn

Die Bestie zähmen. 

Wege aus dem Raubtierkapitalismus in eine neue Ökonomie

© Tectum Verlag Marburg, 2015 ISBN 978-3-8288-6173-2

(Dieser Titel ist zugleich als gedrucktes Buch unter der ISBN 978-3-8288-3454-5 im Tectum Verlag erschienen.)

Umschlaggestaltung: Jens Vogelsang

Besuchen Sie uns im Internet unter

www.tectum-verlag.de

www.facebook.com/Tectum.Verlag

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Jürgen Bruhn

Die Bestie zähmen

Wege aus dem Raubtierkapitalismus in eine neue Ökonomie

Tectum Verlag

Zum Andenken an Hermann Scheer, alternativer Nobelpreisträger,

Inhaltsverzeichnis
1. Kapitel: Wohin treiben wir?
2. Kapitel: Fordismus/Taylorismus und »Planned Obsolescence«
3. Kapitel: Die West Point Connection und die Usurpation der Manager
4. Kapitel: Angebotswirtschaft und »Shareholder Value«
5. Kapitel: Systemwettbewerb Kapitalismus versus Sozialismus
6. Kapitel: Rio de Janeiro – Der größte Flop aller Zeiten
7. Kapitel: Entfesselter Raubtierkapitalismus
8. Kapitel: Eine neue Ökonomie – ein neues Utopia
9. Kapitel: Ziviler Ungehorsam – Eine Revolution ohne Gewalt
Literaturverzeichnis

1. Kapitel: Wohin treiben wir?

Die durch den marktwirtschaftlichen Wachstums- und Verschwendungsprozess ausgelöste Entwicklung hat selbstzerstörerische Qualität. Das ex­treme ständige Wirtschaftswachstum mit seiner eingebauten Obsoleszenz in dem historisch gesehen kurzen Zeitraum seit der Industriellen Revolution belastet die natürlichen Produktions- und Ressourcengrundlagen der Erde in einem Ausmaß, dessen Auswirkungen schon kurzfristig – im Hinblick auf Regenerationsmöglichkeiten der Rohstoffe und das ökologische Gleichgewicht – eindeutig erkennbar sind.

Der neueste Bericht an den Club of Rome unter dem Titel »2052. – Eine globale Prognose für die nächsten 40 Jahre«, verfasst von Jørgen Randers, der mit den Meadows auch schon 1972 die Studie »Die Grenzen des Wachstums« herausgeben hatte, weist auf die Unmöglichkeit hin, ständig unbegrenztes Wirtschaftswachstum in den nächsten 40 Jahren auf unserem Planeten fortzuführen. Der Bericht erkennt aber auch, dass eine praktische, eingreifende Politik gegen diesen zerstörerischen Raubbau an der Natur kaum vorhanden ist. Im Gegenteil: Dieser Prozess wird durch die Wachstums- und Wettbewerbsfähigkeits-Besessenheit der Wirtschafts­eliten noch verschlimmert.

Deshalb, so Randers und seine Co-Autoren, müssen wir uns vom »Wachstumskapitalismus« verabschieden, wenn wir und nachfolgende Generationen überleben wollen. Denn wir sind nur noch »vierzig Jahre von einem auf uns zukommenden ökologischen und energetischen Desaster entfernt.« Nach dem Jahre 2052 wird der Treibhauseffekt, die Abgabe von CO2-Emissionen (Kohlendioxid) in die Atmosphäre, ein Niveau erreichen, das der Erde einen »irreversiblen Schaden« zufügen wird, nämlich eine Erderwärmung, die die angepeilte Zwei-Grad-Celsius-Grenze bei weitem übersteigen und mindestens 3 bis 4 Grad Celsius betragen wird. Das aber bedeutet mit aller Sicherheit ein Ansteigen der Ozeane von bis zu 3 Metern, ein Schmelzen der Pole, eine Überschwemmung der Küstengebiete und vieler Inseln, einhergehend mit großen Bevölkerungswanderungen ins Inland der Kontinente und Hungersnöten. Um das zu verhindern, müsste der »Weltlevel des CO2-Ausstoßes bis 2052 um 50 Prozent (auf der Basis der Emissionen von 1990) verringert werden.«

Jørgen Randers und die meisten seiner Mitarbeiter glauben nicht, dass die Regierungen der Welt (die Industrien sowieso nicht) schnell genug handeln werden, um dieses Desaster zu verhindern. Im Gegenteil: Sie sagen voraus, dass die Regierungen erst handeln werden, wenn die Klimakatastrophe bereits eingetroffen ist oder wenn sie vor der Tür steht. Denn die Katastrophe wird nicht wie ein plötzlicher »Big Bang« auftreten, sondern durch eine »große Zahl kleiner Unheile.« Während die Regierungen also zu spät eingreifen werden, werden die transnationalen Konzerne, Banken und Versicherungen erst recht nichts dagegen unternehmen wollen, denn es wird ihnen schwerfallen, sich auf Nachhaltigkeit, Klimaschutz und soziale Verantwortung einzustellen. Sie werden vielmehr weiterhin versuchen, bei ihren alten Paradigmen Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit zu verbleiben. Die Voraussagen der 2052-Studie sind, gelinde ausgedrückt, düster. Schon jetzt bräuchten wir 1,4 Planeten, um unseren Lebensstil aufrechtzuerhalten. Die Menschheit sei schon heute über das Ziel ihrer Tragfähigkeit hinausgeschossen. Jørgen Randers nennt das »Overshoot«.

Einer seiner Co-Autoren, der US-amerikanische Ökonom Herman Daly, schlussfolgert: »Wird die Menschheit zur Vernunft kommen und bewusst Wirtschaftswachstum schrumpfen lassen, um unseren Planeten zu retten? Ich glaube nicht! Wir haben schon heute die Grenzen wirtschaftlichen Wachstums erreicht, aber wir wissen es nicht – oder wollen es nicht wissen. Denn Wachstum ist unser Idol und seine Anbetung zu beenden ist ein Anathema.«

Der neue Report an den Club of Rome, erstellt von 40 hervorragenden Geo-,Klima-, Wirtschafts- und Naturwissenschaftlern, wähnt uns im zweiten Teil dieses Jahrhunderts vor dem Abgrund (»we will live like cliff­hangers«), wenn wir die Wachstumszuwachsraten so weiterlaufen lassen wie bisher. Die negativen Auswirkungen, so behaupten die Co-Autoren, werden verheerend sein, denn wir stoßen z. B. jedes Jahr »zweimal so viel Treibhausgase aus wie Wälder, Meere und unser Klima absorbieren und vertragen können«.

Die kein Kohlendioxid ausstoßenden, unendlich und überall vorhandenen erneuerbaren Energien Sonne, Wind und Wasser werden – so scheint es – nicht rechtzeitig genug eingesetzt, um die Klimakatastrophe durch die Treibhausgase erzeugenden fossilen Energieträger Kohle, Öl und Erdgas zu verhindern. Grund: Die fossilen Energien werfen noch immer immense Profite ab.

Außerdem werden wesentliche Ressourcen, die die Grundlage unseres Produktionsprozesses bilden, wie Silber, Zink, Quecksilber, Schwefel, Blei, Wolfram, Zinn, Kupfer, Nickel, Platin, Phosphatgestein, Mangan, Eisenerz, Bauxit, Indium und sowieso wenig vorhandene Erdmetalle wie Neodym, Dysprosium, Terzium etc., in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts ausgereizt sein.

Die Erschöpfung der irdischen Rohstoffe und der Zusammenbruch des planetarischen Ökosystems werden nicht aufzuhalten sein, wenn wir uns nicht ändern, wenn wir mit unbegrenztem Wachstum, Verschwendung und geplanter Kurzlebigkeit so weitermachen, statt auf Nachhaltigkeit, erneuerbare Energien und Recycling zu setzen. Die Ausbeutung der Ressourcen hat die Erde in einen anderen, vom Menschen veränderten Planeten verwandelt. Und dem stehen dadurch nach 2050 hohe Konzen­trationen von Treibhausgasen, versauerte, mit Plastik vermüllte Ozeane, überflutete Küsten, mit Pestiziden und Herbiziden vergiftete Böden etc. entgegen.

Es ist schwer vorauszusagen, ob wir auf diesem »geplünderten Planeten« im zweiten Teil dieses Jahrhunderts ohne Gewalt, Hungersnot und Bürgerkriege überleben werden. Die Kombination aus Ressourcenerschöpfung und Zerstörung der Ökosysteme bedroht unsere Zivilisation und könnte eine ausweglose Situation schaffen. Denn die Menschheit holt – vor allem als Folge des Bergbaus – seit dem Zweiten Weltkrieg jährlich über 10 Milliarden Tonnen Material aus dem Erdboden, sie verwertet »alle 88 Elemente«, die es in der Erdoberfläche gibt, sogar die instabilen. So werden Struktur und Zusammensetzung der Erdoberfläche und der Atmosphäre verändert. Dabei verschwinden Rohstoffe nicht nur, sondern einige – wie Kohle, Öl, Erdgas, Uran – verursachen Klimakatastrophen und Unfälle in Atomkraftwerken und ihren Endlagern.

Die globale 2052-Prognose von Jørgen Randers und seinen 40 Co-Autoren verteidigt heute die 1972er Club of Rome-Studie »Grenzen des Wachstums« gegen ihre Kritiker, die der Studie Panikmache vorgeworfen hatten. 40 Jahre später sehen die meisten Autoren von »2052« kaum noch eine Chance, schwindende Ressourcen zu ersetzen, zu recyceln oder ihren Verbrauch nachhaltig zu reduzieren. Es sei denn, die große Politik – die UNO oder die vier Weltmächte USA, EU, China und Russland – könnten/würden regulierend in den globalisierten Wachstumskapitalismus eingreifen. Das aber, so scheint es, glauben die Autoren zwar nicht ernsthaft, doch es ist ihre Hoffnung.

Auf die berühmte Studie von 1972 blickt der 2052-Herausgeber Jørgen Randers zurück als eine »Zukunftsvariante, von der meine Kollegen und ich damals glaubten, es werde infolge einer neuen, weisen, weltweiten, vorausschauenden Politik gar nicht so weit kommen«. Heute, betont Randers, gäbe es »leider überhaupt keine Anzeichen dafür, dass die vergangenen 40 Jahre unseren jugendlichen Optimismus bestätigt hätten«.

Nach den Recherchen der 2052-Studie gehen wir einem selbstproduzierten Kollaps entgegen. Der malaysische Wirtschaftswissenschaftler Chandra Nair kritisiert in der Studie den »fast religiösen Glauben des Westens und Chinas an Wirtschaftswachstum und freie Märkte« und fordert eine von der UNO kontrollierte, »weltweite Regulierung von Märkten, Wachstum, Konsum und Verschwendung«, damit die Erde den Menschen erhalten bleibt. Am Ende des 2052-Reports schreibt der Herausgeber Jørgen Randers: »Bitte helft, unsere Voraussagen falsch werden zu lassen. Zusammen können wir eine viel bessere Welt schaffen.«

Randers hofft also noch auf ein Wunder in der mittleren Zukunft. Er glaubt, dass noch einiges gerettet werden kann. Aber der Kapitalismus muss zu seinem Ende kommen. So schreibt er: »Ich glaube nicht, dass der Kapitalismus überleben wird über die nächsten 40 Jahre. Nur der Name wird bleiben.« Die Konzerne und Banken, so glaubt er, könnten am Ende noch von den Regierungen gezwungen werden, ihre Performance nicht nur nach Wachstum und Gewinn auszurichten, sondern ebenfalls auf Nachhaltigkeit und Sozialverantwortlichkeit. Es ist eine schöne Hoffnung.

Wie konnte es zu dieser Welt-Situation kommen? Wie konnte es zu solchen düsteren Prognosen angesehener Wissenschaftler kommen? Wie ist es zu diesem ständigen Wirtschaftswachstum, zu dieser ständigen Verschwendung nach tausenden Jahren Bedarfsdeckungsprinzip gekommen? Seit der Industriellen Revolution, die im gleichen Zuge exponentielles Wirtschaftswachstum und exponentielles Bevölkerungswachstum entstehen ließ, unterwirft das kapitalistische Wirtschaftssystem Mensch und Natur einem historisch einmaligen Ausbeutungsprozess, dessen Ertrag u. a. in den hohen Wachstumsraten besteht.

Die kapitalistische Marktgesellschaft verselbstständigte das ökonomische System, brach aus dem traditionellen gesellschaftlichen Zusammenhang heraus und unterwarf alle anderen gesellschaftlichen Strukturen und Lebensbereiche der Ökonomie. Im Verhältnis von Politik und Ökonomie verursachten diese tiefgreifenden Veränderungen eine Umkehrung der Dominanzbeziehungen. Das traditionelle Primat der Politik wurde vom Primat der Ökonomie abgelöst. Die Politik wurde zum Erfüllungsgehilfen der Wirtschaft, zum Kellner des Kapitals und im heutigen finanzmarktgetriebenen Kapitalismus gar zur Reparaturwerkstatt der Groß- und Investmentbanken, die durch billionenschwere steuerliche Hilfspakete vor dem Bankrott gerettet wurden (außer Lehman Brothers). So verschleuderte die Politik Steuergelder, die zu zwei Dritteln von der Mittelklasse für die Infrastruktur, für Schulen, Universitäten, Ausbildung und Umschulung eingezahlt wurden, fremdbestimmt an die betrügerischen Banken und ihre gierigen Manager. Ein ungeheurer Vorgang.

Im Zusammenhang von rigoroser Ausbeutung von Mensch und Natur einerseits und Wachstum und Technologieerneuerung andererseits erkennen wir die zentrale historische Funktion des Kapitalismus bis hin zum zukünftigen voll-automatisierten Kapitalismus, der dann »seine« Arbeiter in den Fabriken nicht mehr benötigt und sie »freisetzen« wird, weil die Kosten des Produktionsfaktors Arbeit bedeutend höher sind als der Einsatz immer neuerer Technologien (Roboter, Computer, Sensoren etc).

Das Hauptmerkmal dieses Systems liegt in der Suche nach immer neuen Renditequellen, nach immer neuen Absatzmärkten – zu erreichen durch ständige Produktion neuer Konsumgüter, neuer Technologien, heute auch neuer Finanzmarktprodukte – mit einhergehender früher Obsoleszenz oder Verschrottung der vorherigen Generation von Produkten und Technologien. Das Ganze ist ein Prozess immerwährender Erneuerung, eingebauter, geplanter Obsoleszenz, enormer Verschwendung und Zerstörung von Ressourcen und Natur. Oder, wie es der austro-amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Joseph A. Schumpeter ausdrückte: »Der Prozess der schöpferischen Zerstörung ist für den Kapitalismus das wesentliche Faktum, … das unaufhörlich die Wirtschaftsstruktur von innen heraus verändert und revolutioniert, unaufhörlich die alte Struktur zerstört und unaufhörlich eine neue schafft.«

Das nannte der US-amerikanische Wirtschaftsingenieur Bernard London schon 1932 »planned obsolescence« bzw. »built-in obsolescence« (geplante bzw. eingebaute Obsoleszenz). Durch eingebaute Obsoleszenz bzw. frühes »Kaputtgehen« von Gütern und Produktionsmitteln glaubte er, die US-Wirtschaft anzukurbeln und die Depression in den USA zu bekämpfen. Ich komme im nächsten Kapitel darauf zurück.

Wir müssen uns heute fragen, ob unser Wirtschaftssystem mit unaufhörlicher schöpferischer Zerstörung der alten Strukturen und unaufhörlicher Schaffung neuer, schnell kaputtgehender Konsumgüter, mit ständiger eingebauter Obsoleszenz im Produktionsprozess, also mit ständigem Wachstum und Verschwendung überleben und funktionieren kann oder ob es selbstzerstörerisch ist. Wenn es Letzteres ist, müssen wir es verändern, um nachkommenden Generationen eine Überlebenschance durch die Installation eines nicht verschwenderischen, nicht wachstumsbesessenen, sondern nachhaltigen Systems zu hinterlassen.

Die totale ökonomische Verfügungsgewalt zur Ausbeutung der Natur – vor allem entstanden durch das in unseren Verfassungen festgeschriebene Recht auf Privateigentum an Grund und Boden – bedeutet die Beseitigung aller Hemmnisse, die für uns aus traditionellen, religiösen, moralischen, also nicht ökonomischen Gründen bestanden, und führte zu der sich daraus ergebenden Tatsache einer völligen Unterwerfung der Erde und ihrer Ressourcen unter dem ökonomischen Verwertungsprozess. Das sichtbare Resultat dieses ökonomischen Handelns ist eben der historisch unvergleichbare Wachstums- und Verschwendungsprozess, den die Weltwirtschaft insbesondere seit der Einführung des Fließbandes und der »wissenschaftlichen Betriebsführung« (Taylorismus/Fordismus) kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges und dann nach der Weltwirtschaftskrise 1929-1936 durch geplante Obsoleszenz erfahren hat.

Die Verselbstständigung des ökonomischen Prozesses verschob auch die Legitimationsprobleme der Gesellschaftssysteme (Kapitalismus versus Sozialismus) ins Ökonomische. Wirtschaftswachstum galt für beide Systeme als Priorität, ergab auf beiden Seiten Wachstumsimpulse und gilt auch heute in China und Indien als unabdingbare Voraussetzung der politischen Legitimation der Regierung und der sozialen Legitimation des gesamten Systems. Die dem Jahrtausende praktizierten Bedarfsdeckungsprinzip widersprechende Ideologie der unbegrenzten Bedürfnisse des Menschen (siehe Angebotswirtschaft) reduziert alle gesellschaftlichen Problemlösungsmuster auf ständiges, unbegrenztes ökonomisches Wachstum.

Realer Wachstumsprozess und Wachstumsideologie bestätigen einander. Da vom ökonomischen Wachstum auch die politische Macht eines Systems abhängt, sind letztlich alle Gesellschaften gezwungen, diese sich selbst reproduzierende Wachstumsdynamik zu übernehmen, wenn sie sich als selbstständige Gesellschaft behaupten wollen. Das bis in die 1980er Jahre nur teilweise industrialisierte China ist heute dafür das beste Beispiel. Nach der Einführung eines ausbeuterischen Manchesterkapitalismus und eines Wirtschaftswachstums von durchschnittlich über 10 Prozent pro Jahr ist China heute zur politischen und militärischen Großmacht aufgestiegen.

Das extreme, immer neue und künstliche Bedürfnisse schaffende und neue Renditequellen suchende Wirtschaftswachstumssyndrom mit seinem einhergehenden Ausstoß der klimazerstörenden Treibhausgase wird noch vor 2050 Mensch und Natur mit katastrophalen Folgen aus dem Gleichgewicht bringen, schreibt Hermann Scheer in seiner Studie »Der energetische Imperativ«. Der alternative Nobelpreisträger warnt, dass die – zumindest in Deutschland – bis 2050 geplante Umstellung fossiler Energien auf erneuerbare Energien 30 Jahre »zu spät« kommen wird. Ein sofortiger, vollständiger Wechsel (in den nächsten 10 Jahren) zu den erneuerbaren, keinen Kohlendioxid ausstoßenden Energien ist für Scheer der »letztmögliche Ausweg«, um eine Klimakatastrophe in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts zu verhindern. Jedes versäumte Jahr ist für ihn ein verlorenes, um eine dauerhafte, lebens- und umwelterhaltende Energieversorgung der Menschheit zu gewährleisten.

Der Kapitalismus geht in den kommenden Jahrzehnten mit seiner Ressourcenverschwendung, seiner Wachstums- und Wettbewerbsfähigkeits-Besessenheit, seiner immer größer werdenden CO2-Ausstöße, seiner zu späten Anwendung der erneuerbaren Energien, wegen der Gier und Selbstbereicherung seiner Finanzeliten seinem Ende entgegen. Sollte er sich zu lange halten, müssen wir durch zivilen Ungehorsam etwas dagegen unternehmen. Sein Wachstums- und Wohlstandsmodell – das Bruttoinlandsprodukt (BIP) – berücksichtigt nicht die Kosten, die dieses Ausbeutungsmodell an Natur, Ressourcen, Klima, Umwelt, Gesundheit der Menschen etc. verursacht. Das Modell hat schon lange ausgedient, es ist »out of date«.

Sollten wir keine Alternative zum globalen Raubtierkapitalismus finden, dann wird es sich in den kommenden 40 Jahren erweisen, dass der kapitalistische Wachstumsprozess, seine Wettbewerbsfähigkeitsbesessenheit, sein ständiges Auffinden neuer Renditequellen, der Prozess seiner schöpferischen Zerstörung (Schumpeter), kurz: die Effizienz des Kapitalismus als enorme Verschwendung und Zerstörungsproduktion zu beurteilen ist. Und die 200 Jahre des kapitalistischen Wachstums bedeuten den Beginn einer Epoche der Entfremdung, Ausbeutung und totalen Ökonomisierung in der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft und schließlich die Nicht-Überlebensfähigkeit des auf ständigem Wachstum, Verschwendung, geplanter Obsoleszenz und Zerstörung beruhenden Systems.

Wie es dazu kommen konnte, welche historischen Vorbedingungen dazu führten und was wir noch immer dagegen tun können, um dieses Schicksal zu vermeiden, darüber möchte ich in den folgenden Kapiteln berichten.

2. Kapitel: Fordismus/Taylorismus und »Planned Obsolescence«

Wodurch entstand–historisch gesehen–diese enorme Wachstumsdynamik? Wachstum hatte es seit Beginn des Kapitalismus gegeben, er beruht schließlich darauf. Die Industrielle Revolution, der Einsatz der ersten maschinellen Produktionsmittel wie Webmaschinen, Werkzeugmaschinen, Dampfmaschinen, Eisenbahnen etc. beendete die Bedarfsdeckungswirtschaft. Es waren die Elektrifizierung und das Fließband, die kurz vor Beginn des Ersten Weltkrieges die kapitalistische Produktionsweise revolutionierten, enorme Wachstumssprünge kreierten, Kosten reduzierten und ohne Zweifel für viele Millionen Menschen Arbeitsplätze schufen. Später, nach der Großen Depression (1929-1936), war es die geplante, eingebaute Obsoleszenz in den Konsumgütern, die das Wachstum enorm ankurbelte.

Henry Ford, der berühmte Autobauer und »Selfmade Man«, installierte 1910 das Fließband in der Autoindustrie. Zwar führte er es als Erster in diese neue Multiplikator-Industrie in seinem Detroiter Werk ein, aber er hatte das Fließband und die Fließbandproduktion nicht erfunden, vielmehr hatte er beides in den Chicagoer Schlachthöfen abgekupfert. Das Neue an Fords Fließbandarbeit war jedoch, dass er sie gleichzeitig mit der sogenannten »wissenschaftlichen Betriebsführung« (»scientific shop management«) verband. Es war eine Arbeits- und Produktionsplanung, die auf den »wissenschaftlichen Zeit- und Bewegungsstudien« (» time and motion studies«) des amerikanischen Ingenieurs Frederick Taylor beruhte, die dieser zu Anfang des letzten Jahrhunderts entwickelt hatte.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!