Die Boreout-Falle - Philippe Rothlin - E-Book

Die Boreout-Falle E-Book

Philippe Rothlin

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  • Herausgeber: REDLINE
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2008
Beschreibung

Langeweile am Arbeitsplatz ist ein ernstes Problem für Betroffene und deren Unternehmen. Das "Boreout"-Syndrom stellt eine strukturelle Unterforderung und damit eine gefährliche Kosten- und Leistungsfalle dar. Die Symptome sind schwieriger festzustellen als beim Gegenstück "Burnout". Die Autoren zeigen Managern und Unternehmern, wie sie Fälle erkennen und lösen statt sie zu ignorieren. Sie analysieren die Wechselwirkung Boreout – Kundenzufriedenheit ebenso wie Boreout und Mobbing. Das Buch hilft Mitarbeitern, ihre Leistungsfähigkeit wieder voll auszuschöpfen – zur eigenen Zufriedenheit und zum Nutzen der Firma. Es zeigt auch, warum gegen das Phänomen oft wenig unternommen wird - etwa weil Vorgesetzte aus Prestigegründen lieber Mitarbeiter in ihrer Abteilung "sammeln" statt sie der Arbeit angemessen einzusetzen. Nachdem Rothlin und Werder das Problemfeld in "Diagnose Boreout" erstmalig bekannt gemacht haben, wenden sie sich nun dem Schaden zu, den Boreout in den Unternehmen anrichtet und zeigen detailliert und praxistauglich Lösungswege.

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Seitenzahl: 205

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Philippe Rothlin | Peter R. Werder

Die Boreout-Falle

Philippe Rothlin | Peter R. Werder

Die Boreout-Falle

Wie Unternehmen Langeweile und Leerlauf vermeiden

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National- bibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-636-01593-8 | Print-Ausgabe

ISBN 978-3-86881-071-4 | E-Book-Ausgabe (PDF)

E-Book-Ausgabe (PDF): © 2009 by Redline Verlag, FinanzBuch Verlag GmbH, München. www.redline-verlag.de

Print-Ausgabe: © 2009 by Redline Wirtschaft, FinanzBuch Verlag GmbH, München.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Redaktion: Karina Matejcek, Ulrike Kroneck Umschlaggestaltung: Thomas Uhlig, www.coverdesign.net Umschlagabbildung: iStock Satz: Manfred Zech, Landsberg am Lech Printed in Austria

Inhalt

EinleitungBoreout-Strategien: Bewährtes und NeuesDie Kollektiv-Zwang-StrategieViel Papier – wenig Worte: Der BlufferFallbeispiel: Der kleine Müller – und der große MüllerDie Spam-StrategieDie „I don’t give a shit“-StrategieWer ist schuld?Einleitung: Drei Ebenen im UnternehmenOrganisationKulturPersonalplanungInnovationsmanagementFührungFührungsmodelleBeförderungspolitikDelegationExkurs: Statussymbole am Arbeitsplatz, oder: Das Alter Ego der VorgesetztenKommunikationErlebnisketteBewertung der KommunikationDen Boreout enttarnenExkurs: Lüge und BullshitManipulation erkennen und diskutierenDas interpersonelle GesprächExkurs: Die Wirklichkeit hält sich nicht an die TheorieQuick Check für FührungskräfteEinleitung: eine FallstudieDer Quick CheckExkurs: … und wie merkt’s der Chef des Chefs?Willkommen in der Realität, lieber KritikeExkurs: Job-Exchange, ein einfacher Boreout-TestBoreout, Mobbing und innere KündigungMobbing in den BoreoutBoreout und innere Kündigung – das Gleiche?Zum SchlussDankÜber die Autoren LiteraturverzeichnisStichwortverzeichnis

Auch wenn es eine Zeitungsente war, sind wir geneigt, es für wahr zu halten: Wir widmen das Buch dem unbekannten Buchhalter, der drei Tage lang tot an seinem Schreibtisch saß und erst von der Putzfrau bemerkt wurde. Er litt bestimmt an einem Boreout.

Einleitung

Als ob wir nicht schon genug Probleme hätten: Die Globalisierung bringt ganze Sektoren ins Schwitzen, das Finanzsystem gerät ins Wanken, die Kaufkraft sinkt immer weiter und das Wetter spielt auch jedes Jahr verrückter. O tempora, o mores! Doch damit nicht genug. Hinzu kommt unsere Arbeit, wo wir mehr Zeit verbringen als zu Hause. Zu unserer Arbeit haben wir ein gespaltenes Verhältnis: Einerseits ist sie ein notwendiges Übel, das uns Geld zum Leben gibt, das uns aber auch Freizeit stiehlt und manchmal einfach nur nervt. Aber andererseits macht sie uns halt doch irgendwie Spaß. Ohne Arbeit geht’s nämlich auch nicht: Wir lernen neue Leute kennen, haben eine Aufgabe und können unser gelerntes Wissen anwenden.

Bei der Arbeit in einem Unternehmen treffen Menschen zusammen, um gemeinsam ein Ziel zu erreichen. Und wo Menschen zusammentreffen, entstehen zwangsläufig Probleme. Und einige dieser arbeitsplatzbezogenen Probleme haben bekannte Namen. Da gibt’s einerseits den Burnout – ein Phänomen der gestressten Mitarbeiter eines Unternehmens, die vor lauter Arbeit fast zusammenbrechen. Herbert Freudenberger verwendete den Begriff 1974 zum ersten Mal. Andererseits hat Mobbing in unsere Büros Einzug gehalten – die systematische Ausgrenzung und abschätzige Behandlung am Arbeitsplatz. Heinz Leymann veröffentlichte Anfang der neunziger Jahre seine Forschungen über direkte und indirekte Angriffe in der Arbeitswelt. Beide Phänomene drangen erst mit einer zeitlichen Verzögerung in das Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit – und damit in das Bewusstsein der Arbeitgeber und Arbeitnehmer.

Aber seit 2007 beschäftigt die Arbeitsgesellschaft des 21. Jahrhunderts ein weiteres Problem – der Boreout. Beim Boreout geht es um Langeweile, Desinteresse und Unterforderung am Arbeitsplatz. Und es geht darum, wie man auf kreative Art und Weise vortäuscht, bei der Arbeit völlig ausgelastet zu sein. Denn auch wenn alle immer über ihren stressigen Arbeitstag lamentieren, so gibt es doch, bei einem genaueren Blick hinter die Kulissen, eine Unmenge von Arbeitnehmern, die während ihres Arbeitstages wenig bis nichts tun und ihren Stress am Arbeitsplatz lediglich vortäuschen.

Mit der Publikation unseres Buches Diagnose Boreout haben wir offensichtlich einen Nerv getroffen: Der Schuh drückt am Arbeitsplatz – und zwar gewaltig. Die Arbeitnehmer sind unzufrieden, unterfordert und eben: ausgelangweilt.

Es gibt auch Kritiker unserer Theorie, die insbesondere aus der Ecke der Arbeitspsychologie kommen. Sie bezeichnen den Begriff Boreout als „Wortgeklingel“. Uns ist klar, weshalb: Weil sie den Begriff nicht selber entwickelt haben. 1974 prägte Freudenberger, wie gesagt, den Begriff „Burnout“ – wir können uns gut vorstellen, wie das Echo der Berufskollegen damals war: „Gut gemacht, Herbi, wir sind stolz auf dich! Jetzt haben die Manager wieder etwas, worüber sie mit uns sprechen müssen!“ Es handle sich, so unsere „wissenschaftlichen“ Kritiker, beim Boreout um ein Phänomen, das gar keines sei.

Aber die Realität spricht eine andere Sprache: Das Echo auf die Entdeckung des Phänomens Boreout in den Medien, in Foren und Blogs war und ist nach wie vor gewaltig. Arbeitnehmer erzählen uns, wie sie ihre Arbeit nach zwei Stunden erledigt und danach einfach nichts mehr zu tun haben; wie sie ihren Chef um Arbeit bitten und der sie einfach ignoriert; oder wie sie wenigstens, dank zahlreicher Strategien, so tun müssen, als ob sie beschäftigt wären. Die ausgelangweilten Arbeitnehmer melden sich also zu Wort – ganz im Gegensatz zu den Unternehmen. Dort treffen wir vor allem auf eines: das große Schweigen.

Hierzu eine kleine Anekdote: Ein Journalist rief in der PR-Abteilung eines sehr großen Finanzunternehmens an. Er fragte direkt, ob das Unternehmen ein Boreout-Problem habe. Nach einigem Stottern antwortete die Verantwortliche, dass ihr Unternehmen damit sicher keine Probleme hätte. Sie hätten vielmehr mit dem Gegenteil zu kämpfen, also mit dem Burnout. Eine interessante Aussage, insbesondere wenn man bedenkt, dass wir mit zahlreichen Arbeitnehmern gerade dieses Unternehmens gesprochen haben – über den Boreout wohlgemerkt, nicht den Burnout. Interessant war das auch deswegen, weil wir von einer anderen Abteilung des gleichen Unternehmens für ein Seminar gebucht wurden.

Dies ist die Reaktion, auf die wir immer wieder stoßen. Die Unternehmen schweigen zum Thema Boreout. Denn schließlich zählt ja die operative Effizienz, und der internationale Wettbewerbsdruck ist gewaltig: Ein Unternehmen kann sich also den Boreout gar nicht leisten. Es ist aber nicht die Rede von Führungsfehlern, fehlenden Jobbeschreibungen oder fehlenden Unternehmenswerten; es herrscht das große Schweigen. Ganz im Gegenteil zum Thema Burnout: Es ist cool, gestresste Arbeitnehmer zu haben, denn dies signalisiert Erfolg und Unersetzbarkeit.

Zwar wurde das Problem der Unterforderung und Langeweile am Arbeitsplatz mittlerweile in der öffentlichen Diskussion anerkannt, im gleichen Atemzug aber immer wieder gesagt, es sei halt so: Nicht jeder könne einen schönen Arbeitsplatz haben, viel Geld verdienen und auch noch Spaß haben an der Arbeit: All dies zusammen sei einfach nicht möglich.

Dies mag als Momentaufnahme stimmen, für uns zählt das aber nicht. Denn vielfach sind die Ursachen der Unzufriedenheit und der Unterforderung relativ einfach anzugehen: Man kann Dinge verbessern, wenn man sich der Probleme erstens bewusst ist und sie zweitens auch lösen will. So kann ein Vorgesetzter, anstatt die Vorschläge des Teams immer abzublocken und damit Frustration auszulösen, zuhören und das Team vermehrt in seine Führungsarbeit integrieren. Oder er kann sich Zeit nehmen zu erklären, welchen Zweck das Ausführen einer bestimmten Aufgabe oder eines bestimmten Projektes hat, und so das große Ganze in den Vordergrund stellen.

Darum geht es in diesem Buch. Es geht darum, wie das Unternehmen und seine Führungskräfte mit dem Problem Boreout umgehen können.

Wir werden auf der einen Seite weitere Strategien kennenlernen, die Arbeitnehmer anwenden, um gestresst zu wirken, und so weiterhin vor sich hinwursteln und das Problem nicht angehen. Denn trotz der mittlerweile weltweiten öffentlichen Diskussion kennt die Kreativität der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer keine Grenzen, wenn es darum geht, das eigene Nichtstun zu verheimlichen. In den vergangenen zwei Jahren haben wir unzählige Gespräche geführt und von weiteren Strategien erfahren. Diesen teils amüsanten Verhaltensformen widmen wir auch in diesem Buch einige Seiten. Denn es ist für Unternehmen – also für Vorgesetzte – entscheidend, das Phänomen ganzheitlich zu verstehen, um es zu bekämpfen. Zu diesem umfassenden Verständnis gehört es auch, die Strategien der Gelangweilten zu erkennen.

Andererseits werden wir bei den Unternehmen verschiedene Ebenen betrachten, in denen das Problem Boreout seinen Ursprung hat, Ebenen, die aber auch ganz allgemein wichtig sind für das erfolgreiche Führen eines Unternehmens. Sie werden Geschichten lesen aus dem Unternehmensalltag, die dem Boreout, aber auch den Führungsmängeln in Unternehmen ein lebendiges Gesicht geben. Mit einem Quick Check werden Sie herausfinden können, ob in Ihrem Team bereits Boreout herrscht. Sie werden sehen, was Burnout, Mobbing, innere Kündigung und Boreout unterscheidet und was sie verbindet. Und wir werden zeigen, dass Boreout nicht einfach ein Ausdruck unserer Wohlstandsgesellschaft ist, sondern ein ernst zu nehmendes Problem für Unternehmen.

Boreout-Strategien: Bewährtes und Neues

Wir haben in unserem ersten Buch einige Strategien präsentiert – Verhaltensmuster, mit welchen die Boreout-Betroffenen zu vertuschen versuchen, dass sie unterfordert sind. Als einige Beispiele seien hier die Komprimierungs-, die Pseudo-Burnout oder die Lärmstrategie genannt. Menschen erledigen – im ersten Fall – die wenige Arbeit, die sie haben, in kurzer Zeit, damit sie für ihre privaten Angelegenheiten – während der Arbeit, weil sie ja unterfordert sind – genug Zeit haben. Im zweiten Fall täuschen sie Stress vor, sind früh morgens bis spät in der Nacht am Arbeitsplatz und machen den Anschein, vor lauter Arbeit bald zusammenzubrechen. Sie verhalten sich genauso wie ein Burnout-Opfer. Und schließlich – im dritten Fall – sitzen die Arbeitnehmer so unterfordert vor ihren Computern, dass sie von Zeit zu Zeit einfach ein Geräusch machen müssen, um dem Verdacht der Untätigkeit nicht ausgesetzt zu sein. Sie tippen wahllos eine leere Mail voll oder kritzeln mit einem lauten Stift nutzlose Skizzen auf ein Papier. Das alles sind Beispiele von Strategien, die typisch für einen Boreout sind.

Die Kollektiv-Zwang-Strategie

Mit der Kollektiv-Zwang-Strategie möchten wir beginnen. Sie werden anhand dieser Ausführungen den Einstieg in den Boreout-Fokus schnell finden. Dann präsentieren wir Ihnen neue Formen solcher Verhaltensmuster. Damit ist es uns möglich, schnell in medias res zu gehen und Ihnen – sollten Sie mit dem Thema noch nicht so vertraut sein – einen guten Start in das Gebiet zu ermöglichen, etwas, was natürlich insbesondere Führungskräfte interessieren wird.

Dass es sich bei diesen Strategien um eine Form von Manipulation handelt, sei an späterer Stelle genauer erläutert. Worum geht es also bei der Kollektiv-Zwang-Strategie?

Sie kennen das: Der Beginn einer neuen Arbeitsstelle bringt nicht nur neue Aufgaben, sondern auch das Lernen neuer Regeln mit sich. Dabei geht es sowohl um offizielle als auch um inoffizielle und informelle Regeln. Man lernt zum Beispiel, ob man für die morgendliche Kaffeepause ausstempeln muss oder nicht. Oder man wird darüber informiert, ob einem Freunde und Kollegen im Büro einen Besuch abstatten dürfen oder nicht. Das sind offizielle Regeln. Die inoffiziellen Gebräuche erfährt man nicht gerade am ersten Tag, sondern meist erst dann, wenn man gegen sie verstößt. Zum Beispiel, dass es dem Geschäftsleitungsmitglied X wichtig ist, die offiziellen Projektanträge auszufüllen, während das Geschäftsleitungsmitglied Y schon fast allergisch auf die Formulare reagiert. Oder dass erwartet wird, dass man am Geburtstag für das Team einen Kuchen mitbringt – allerdings auch nur fürs Team und nicht für die ganze Abteilung, da sonst Druck aufgebaut würde und andere Abteilungsmitglieder beim nächsten Mal auch einen Kuchen mitzubringen hätten, was die Tradition komplett über den Haufen werfen würde. Und so weiter.

Eine solche informelle Regel ist die Kollektiv-Zwang-Strategie zum Boreout. Wir haben sie in einigen Unternehmen entdeckt. Das hat uns – ehrlich gesagt – überrascht. Denn es wurde uns bewusst, dass der Boreout damit eine Art interne Legitimation erfuhr, ohne dass offiziell über ihn gesprochen wurde. Und ohne dass es überhaupt ein Bewusstsein dafür gab. Diese Strategie ist vor allem in staatsnahen oder gar staatseigenen Betrieben zu beobachten. Das mag nun weniger überraschen, als dass es bekannte Klischees bekräftigt.

Von kollektivem Zwang reden wir, wenn es einen internen inoffiziellen Druck gibt, nicht (zu) viel zu arbeiten und dies zugleich zu verheimlichen – es sogar vorzutäuschen. Womit wir mitten im Boreout-Schlamassel wären. Wenn Sie schon in der ersten Arbeitswoche ermahnt werden, nicht zu schnell zu arbeiten, wenn man Ihnen klar und natürlich inoffiziell zum Ausdruck bringt, dass ein zu rasches Erledigen der Aufgaben hier nicht gewünscht sei, weil damit die Messlatte für den Rest der Belegschaft zu hoch angesetzt werde, und wenn Sie früh damit konfrontiert werden, dass hoher Einsatz sowieso nicht honoriert würde, dann befinden Sie sich in einem Unternehmen, in dem ein kollektiver Zwang zum Boreout besteht. Das kann auf einzelne Abteilungen oder Vorgesetzte reduziert sein: Kern der Sache ist, dass es nicht gern gesehen wird, wenn schnell und proaktiv gearbeitet wird. Dass aber trotzdem so getan wird.

Sie mögen an dieser Stelle einwenden, dass dies nun eher als Faulheit zu bezeichnen sei. Sie haben damit auch ein wenig Recht. Wir befinden uns mit der Kollektiv-Zwang-Strategie tatsächlich in einer Grauzone zwischen Faulheit und Boreout. Mit dieser Art von gesellschaftlichem Druck kommen die Faulen denn auch ganz gut zurecht. Es entspricht ihrem Wesen, nicht zu viel zu arbeiten – ganz im Gegensatz zu den eigentlich Motivierten und Fleißigen, die arbeiten wollen, die man aber nicht lässt.

Aber: Die Kollektiv-Zwang-Strategie ist für alle Beteiligten Gift, egal, ob sie nun faul sind oder eigentlich arbeiten wollen. Am Schlimmsten ist ein solches Leistungskartell aber natürlich für das Unternehmen selbst. Sie ist für diejenigen, die arbeiten wollen, der kollektive, erzwungene Einstieg zum Boreout. Dieser Kollektive-Zwang ist somit insofern eine neue Boreout-Strategie, als dass er uns eine neue Sicht und einen neuen Einstieg in das Problem Boreout liefert.

Viel Papier – wenig Worte: Der Bluffer

Eine Boreout-Strategie ist eine Form von Manipulation. Dies weiß auch Frau Dammann, die eine Abteilung mit 25 Mitarbeitern leitet. Seit einiger Zeit beobachtet sie Herrn Simmler und beginnt, seine Manipulationsversuche zu entlarven:

„Es fällt mir bei meiner Abteilungsgröße natürlich schwer, jeden Mitarbeiter und jede Mitarbeiterin intensiv zu begleiten. Ich weiß auch nicht, ob alle richtig belastet sind. Aber so ab und zu fällt mir Herr Simmler auf. Er kommt immer sehr knapp in die Meetings, schleppt immer stapelweise Papier mit, wirkt auch immer leicht gestresst und hört sehr aufmerksam zu. Meistens macht er sich Notizen. Das hat mich vor ein paar Tagen zum ersten Mal hellhörig gemacht: Er hat sich Dinge aufgeschrieben, die für ihn gar nicht von Bedeutung waren. Zudem sagte er kaum ein Wort in der Sitzung.“

Herr Simmler leidet aller Wahrscheinlichkeit nach an einem Boreout. Frau Dammann hat folgende Indizien erkannt:

➤ Knapp in die Sitzung: Wer früh vor Ort ist, macht den Eindruck, viel Zeit zu haben. Wer knapp kommt, muss gestresst sein. Ein einfacher Weg, Stress vorzutäuschen. ➤ Viel Papier dabei: Das sieht nach Arbeit und Fachkenntnissen aus. Und ist ein einfaches Täuschungsmanöver. ➤ Wirkt leicht gestresst: Wie kann man Stress einfacher vortäuschen, als einfach gestresst zu tun? ➤ Aufmerksam zuhören und Notizen machen: Meist sind das zwei Widersprüche. Wer aufmerksam zuhört, macht sich wohl eher am Schluss Notizen. Zumal sind solche Notizen meist nutzlos. Ganz nutzlos sind sie, wenn es vom Meeting ein Protokoll gibt.

Frau Dammann ist auf Herrn Simmler aufmerksam geworden und hat seine Manipulationsversuche durchschaut. Sie stellt ihm heiße Fragen: „Herr Simmler, bei Ihnen ist scheinbar recht viel los. Was machen Sie denn gerade so?“ Oder „Herr Simmler, Sie haben sich doch in der letzten Sitzung Notizen gemacht. Würden Sie mir diese überlassen? Blöderweise gibt es kein Protokoll davon.“ Oder, während einer Sitzung „Herr Simmler, Sie haben in Ihren Unterlagen nicht zufällig das Protokoll der letzten Sitzung und das Konzeptpapier? Ich hab’s wieder mal im Büro liegen gelassen.“

All diese Fragen können zur Entlarvung des Bluffs beitragen. Sie führen nie zu Beweisen, aber zu Indizien. Sollte sich der Verdacht von

Frau Dammann durch solche Fragen erhärten, wird ein Gespräch nötig. Damit ist die Schuldfrage natürlich noch nicht beantwortet – vielleicht ist Frau Dammann ja ursächlich für die Unterforderung von Herrn Simmler verantwortlich?

Der kleine Müller – und der große Müller

Ein weiteres Indiz für einen Boreout: Ist Ihnen auch schon aufgefallen, dass man auswärtige Sitzungen so planen kann, dass sich eine Rückkehr ins Büro nicht mehr lohnt? Auch eine Form von Manipulation (man ist wichtig und im Stress) und gleichzeitig eine Möglichkeit, die Präsenz im Büro zu reduzieren. Zwei Beispiele.

Sie wollen sich mit einem Kunden treffen. Er schlägt Ihnen 13.30 Uhr vor. Die Sitzung wird zwei Stunden dauern und beim Kunden stattfinden. Die Anfahrt wird eine gute halbe Stunde in Anspruch nehmen. Wenn Sie sich tatsächlich um 13.30 Uhr treffen, dann fällt Ihre Mittagspause eher dürftig aus. Sie werden um 16 Uhr im Büro zurück sein. Für Leute, die viel zu tun haben, optimal. Für Leute, die an einem Boreout leiden, eine sehr unglückliche Planung. Die Alternative: Das Meeting beginnt um 14 Uhr oder um 14.30 Uhr. Sie können so den Mittag besser genießen und nach der Sitzung wird es sich nicht mehr lohnen, ins Büro zurückzufahren. Kontrollieren wird dies niemand mehr, weil es völlig plausibel ist.

Zweites Beispiel: Sie planen ein etwas längeres Meeting um 10 Uhr morgens. So können Sie einen „kreativen Unterbruch“ über Mittag einplanen, mit den Kunden ausgiebig plaudern, am Nachmittag um 14.30 Uhr weiterfahren und anschließend ebenfalls direkt nach Hause fahren. Die Alternative wäre ein Beginn um 8.30 Uhr gewesen, dann hätten Sie unter Garantie kurz vor Mittag alles unter Dach und Fach gehabt.

Sie sehen: Mit einer solchen Sitzungsplanung können Sie Unterforderung bestens verstecken. Wir haben eine Führungsverantwortliche kennengelernt, die in ihrem Team einen Herrn Müller hatte.

Herr Müller hatte genau diese Angewohnheit, Sitzungen so abzumachen, dass es sich nicht mehr lohnte, ins Büro zurückzukommen. In seinem Team waren solche „Ausflüge“ als kleiner Müller (erstes Beispiel am Nachmittag) und als großer Müller (zweites Beispiel während des ganzen Tages) bekannt. Die Chefin hat davon natürlich lange nichts mitbekommen, bis sie zufällig im Kalender von Herrn Müller nach einem freien Termin suchte. Die Tage waren oft so breit blockiert, dass sie misstrauisch wurde. Ein paar klärende Gespräche im Team brachten es dann zutage: Es waren des Müllers kleine und große Müllers. Und: Herr Müller litt natürlich an einem Boreout.

Die Spam-Strategie

Zudecken mit Quantität, um von Leere abzulenken: Das ist der Kern der Spam-Strategie, die wir im ersten Buch noch nicht beschrieben haben. Boreout-Betroffene erstellen sinnlos lange Konzepte, um sich damit auszulasten. Und um damit zu signalisieren, dass sie ausgelastet seien. Interessanterweise kommt bei der Spam-Strategie oft auch hinzu, dass die Betroffenen für ihre Elaborate unglaublich lange Verteiler erstellen. Die Verteiler werden schon auf den ersten Seiten des Konzeptes breitgetreten, und solche Konzepte werden an sehr viele Leute per E-Mail verschickt. Nicht nur direkt, sondern auch per CC werden Mitarbeitende über die Tätigkeiten informiert. Es ist ein regelrechter Fluch geworden: Und in diesem Sinne haben wir auch die Bezeichnung für den normalen Mail-Spam als Synonym gewählt, weil im Büroalltag viele Leute mit vielen Informationen bedient werden, die sie nicht brauchen. Eine Mail wird an einen möglichst großen Verteiler verschickt, obwohl die meisten Leute überhaupt nicht an den Inhalten interessiert sind. Die Idee dahinter ist denn auch nicht der eigentliche Inhalt des Projektes, sondern die Tatsache, den Leuten zu zeigen, dass möglichst viel gearbeitet wird. Eine klassische Boreout-Strategie.

Schauen wir uns im folgenden Beispiel an, wie Alex versucht, eine eigentlich simple Aufgabe dermaßen aufzublasen, dass das Projekt bald nicht nur eine lange Projektnummer bekommt und braucht, sondern auch ein eigenes Budget, weitere Sitzungen, an denen natürlich möglichst viele Delegierte aus dem ganzen Unternehmen teilnehmen: Alles völlig unnötig, denn Alex könnte die Aufgabe ebenso gut in einem Tag allein lösen.

Das aufgeblasene Projekt

Der Chef von Alex gilt im Unternehmen als innovativ. Er weiß, dass die Bindung an Lieferanten, an ehemalige Mitarbeiter, an Nachbarn und vielleicht sogar an weitere Personen der Öffentlichkeit nicht ganz unwichtig ist. Der Fachbegriff „Stakeholder-Management“ ist ihm nicht unbekannt. Da er keine eigene Abteilung für Medienarbeit hat, entschließt er sich, Alex damit zu beauftragen, ein Tool zu entwickeln, das es ermöglicht, den Kontakt zu diesen Leuten geregelt zu pflegen. Viele Adressen sind bereits gesammelt und liegen in Excel-Files ordentlich bereit. Der Chef von Alex möchte nun einiges klären: Es soll geregelt werden, wie Kontakte erfasst werden, wer die Adressen bereinigt, welche Informationen zu einem Kontakt gehören, welche die wichtigen und vielleicht auch welche die weniger wichtigen Kontakte sind. Alex bekommt die Aufgabe mit einem Zeithorizont von sechs Monaten.

Alex ist froh, wieder einmal eine Aufgabe zu haben. Er ist in letzter Zeit etwas nachlässig geworden mit dem Verstecken seiner Langeweile. Deswegen packt er diese Gelegenheit beim Schopf, fasst erste Projektideen in einem Formular, das er bisher noch nie gebraucht hat, zusammen. Zufällig hatte er am Morgen im Intranet – beim Surfen natürlich und nicht beim zielgerichteten Arbeiten – Formulare gefunden, die die Abläufe für große Projekte regeln sollen. Auf diese Formulare greift er nun zu. Er füllt sie aus und versendet sie, sobald er damit fertig geworden ist, mit ersten Ideen und Ansätzen an sein Team. Somit beschäftigen sich mit dem Projekt als direkte Empfänger einer E-Mail nicht nur sein Chef, sondern sieben weitere Personen in und außerhalb seines Teams und als indirekte, sogenannte CC-Empfänger, weitere zehn Personen. Alex signalisiert damit, ausgelastet zu sein.

In diesem ersten Projektwurf stehen nebst einer ausführlichen Einleitung und Zielbeschreibung viele weitere „nützliche“ Informationen. Es ist allerlei über die bestehende Situation und über die bestehenden Kontakte zu finden. Niemand wird diese langweiligen Texte jemals lesen, außer Alex selbst. Der gähnt am andern Tage bereits wieder unterfordert in seinen Bildschirm und freut sich über seine eigenen Texte. Die direkten und indirekten Empfänger des immerhin neun Seiten umfassenden Dokuments sind teilweise erstaunt, teilweise erfreut, teils sogar erbost über die Informationen. Erbost sind die Gestressten im Unternehmen, die Erfreuten sind seine Leidensgenossen, die ebenfalls von Boreout Betroffenen, und die Erstaunten wundern sich, dass man für ein so kleines Projekt so viel Papier verbrauchen kann. Alex hat ganze Arbeit geleistet und auf den neun Seiten von A bis Z alles geregelt, was es zu tun gibt, bis dieses neue Programm funktioniert. Er möchte alle und jeden miteinbeziehen. Es ist ihm mindestens vordergründig wichtig, dass in dieser ersten Evaluation fast alle ihre Meinung äußern können.

Natürlich, das haben Sie als aufmerksamer Leser und als aufmerksame Leserin längst gemerkt, wird sich niemand mit dieser Aufgabe intensiver beschäftigen. Aber Alex freut sich, so viel zu diesem Thema sagen zu können. Er denkt in dieser Situation nicht an die Menschen, die seine Ergüsse lesen müssen. Am Schluss des Dokuments befinden sich Zeitachsen und Verantwortlichkeiten sowie ein nächster offizieller Schritt: die Sitzung. An dieser Sitzung sollen sage und schreibe sieben Personen teilnehmen, wer verhindert sei, solle, so Alex, sich einen Stellvertreter oder eine Stellvertreterin suchen. Die Sitzung ist groß angelegt und geplant, Alex verwendet Stunden für die Tagesordnung, um aus der zuerst einfachen Sitzung einen Workshop zu machen. Von den sieben eingeladenen Personen erscheinen drei zur Sitzung, zwei von diesen dreien haben das Dokument annähernd gelesen. Die Sitzung verläuft entsprechend. Niemand interessiert sich für das Thema, alle erwarten die Vorbereitung und die Inputs von Alex, der sich selber aber sehr auf die Meinungen und Fachkenntnisse seiner neuen Teammitglieder gestützt hatte. Der Workshop wird kein Erfolg für Alex, allerdings ist das kein Problem, denn somit kann er nun weiter an der Idee werkeln und wirkt nach außen hin beschäftigt.

Wir machen einen Zeitsprung: Alex wird das Projekt innerhalb der geforderten Zeit selbstverständlich zur absoluten, oder wie es in den Arbeitszeugnissen jeweils heißt: vollsten Zufriedenheit (nur in Arbeitszeugnissen kann mit dieser sprachlichen Dummheit voller gemacht werden, was schon voll ist) seines Chefs zu Ende bringen und dies sogar noch schneller als gefordert. Das neue Tool zur Bewirtschaftung der Kontakte funktioniert tadellos. Eines hat sein Chef jedoch nicht gemerkt: Alex hat nicht nur mit einem neun Seiten umfassenden Projektdokument am Anfang, sondern mit weiteren fünf Dokumenten insgesamt 15 Personen während fünf Monate gelangweilt und mit Informationen belästigt, die sie nicht brauchen. Immerhin: Er wirkte ausgelastet.

Die „I don’t give a shit“-Strategie

Die „I don’t give a shit“-Strategie ist im Grunde genommen keine richtige Boreout-Strategie, denn eine solche zeichnet sich ja dadurch aus, dass man seinem Vorgesetzten gegenüber Arbeit und Beschäftigung vortäuscht. Man unternimmt alles, um vor neuer Arbeit, die sowieso wieder nur langweilig wäre, zu flüchten – oft versucht man sogar zu verhindern, dass man überhaupt im Büro hocken muss. Wir wollen die Quintessenz dieser eigentlichen „Anti-Boreout-Strategie“ anhand eines konkreten Beispiels erläutern.

Daniela wird lahmgelegt

Daniela hatte einen Bürojob. Sie hatte vor Kurzem ihre Lehre abgeschlossen und wollte sich innerhalb des Unternehmens verändern. Also stieß sie ins Team des Strategieverantwortlichen. Dort wurden Businesspläne erarbeitet, Off-sites geplant, interne Prozesse analysiert und vieles mehr. Manche mögen jetzt einwenden, das sei sowieso nur ein „Sesselfurzer-Job“, öde, zu theoretisch und überhaupt. Aber Daniela freute sich auf die Herausforderung, auf neue Inhalte und abwechslungsreiche Projekte. Es verstrichen die Monate und mit jedem Tag hatte sie weniger zu tun – weil der Chef keine Zeit für sie hatte, weil nur er die Arbeit erledigen könne. Sie hatte ihn regelmäßig auf ihr „Freie Zeit“-Problem angesprochen und er hatte immer Arbeit in Aussicht gestellt. Sie verhielt sich während dieser Monate absolut Boreout-konform: Nichts zu tun, unzufrieden weil sie nicht ernst genommen wurde, und sie brauchte die Strategien, um ihr Nichtstun vor dem Vorgesetzten zu verheimlichen. Ja, wir wissen es: Eine paradoxe Situation, denn der Chef wusste ja, dass sie zu wenig zu tun hatte, und Daniela wusste, dass ihre Situation – das Nichtstun – nicht gut war. Dem wollte Daniela zu Beginn sogar noch aus dem Wege gehen, denn sie fühlte sich schuldig. Bis es ihr dann eines Tages zu bunt wurde und sie eben aufschrie: „I don’t give a shit, ob mich mein Chef nun im Internet surfen oder privat telefonieren sieht!“ Fortan unternahm sie nichts, absolut nichts mehr, um ihr Nichtstun zu verheimlichen, denn es war ihr schlicht und einfach zu blöde. Sie hockte vor ihrem Computer, ohne Dokumente, völlig transparent im Internet surfend – der vollständige, knallharte Verzicht auf das Vorspielen falscher Tatsachen. Ihr Computer-Bildschirm zeigte zur Türe hin, und jedes Mal, wenn der Chef reinplatzte, sah er sie beim Surfen, insbesondere beim Gamen (Sudoku-Online gehörte zu ihren Favoriten). Für Friedrich, ihren Bürogenossen, war es jedes Mal ein Spektakel, die Gesichtszüge des Chefs zu beobachten: Dominierte zu Beginn noch unterdrückte Entrüstung, zeigte sich