Die Botschaft Sri Ramakrishnas - Swami Nikhilananda - E-Book

Die Botschaft Sri Ramakrishnas E-Book

Swami Nikhilananda

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Beschreibung

Die gekürzte Ausgabe des Klassikers "The Gospel of Sri Ramakrishna" von Swami Nikhilananda. Enthalten sind die Gespräche von Sri Ramakrishna sowie die täglichen Ereignisse aus seinen vier letzten Lebensjahren (1882-1886), die sein vertrauter Schüler M. (Mahendranath Gupta) aufgezeichnet hat. Swami Nikhilananda hat ihnen eine ausführliche Biografie über den Meister vorangestellt. Sri Ramakrishna war einer der bekanntesten Heiligen des modernen Indien und lebte von 1836 bis 1886. Die meiste Zeit seines Erwachsenenlebens verbrachte er in Dakshineswar bei Kalkutta, wo er zunächst als Tempelpriester wirkte und später intensive spirituelle Übungen machte. In den bekannten Tempelgarten kamen viele Besucher. In den späteren Jahren kamen v.a. junge Männer aus der gebildeten Schicht und wurden teils seine Schüler. Der Meister besuchte regelmäßig einige Familienväter, die in Kalkutta lebten, wobei sich in ihren Häusern feste Treffpunkte für die Schüler bildeten. Gegen Ende seines Lebens entstanden aus dem Kreis seiner Schüler die Gruppe der künftigen Mönche, von denen Narendra (Swami Vivekananda) eine führende Rolle spielte, und die der Verheirateten. Neben vielen Gesprächen erfährt der Leser sehr detailreich vom täglichen Leben Sri Ramakrishnas, von der Zeit seiner schweren Erkrankung an Kehlkopfkrebs sowie von der spirituellen Entwicklung seiner Schüler. Auch die unmittelbare Zeit nach seinem Tod, in der die ersten Schüler Mönche wurden und das Kloster in Baranagore entstand, wird lebhaft geschildert. Sri Ramakrishnas Lehre betont die gleichberechtigte Gültigkeit aller Religionen. Er empfahl den Weg der Gottesliebe (Bhakti), die zur Gotteserkenntnis führt. Seine religiöse Erfahrung war von vielen Visionen geprägt, v.a. von der Göttlichen Mutter Kali, der er besonders ergeben war, und von häufigem Versunkensein in Samadhi. Besonders markant sind die vielen Beispiele aus dem täglichen Leben und die Gleichnisse, mit denen er seine Lehre veranschaulichte. Neben dieser gekürzten Version gibt es noch die vollständige Version, die unter demselben Titel im gleichen Verlag erschienen ist.

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INHALTSVERZEICHNIS

Vorbemerkung der Übersetzerin

Vorwort

Einleitung

Das Leben Sri Ramakrishnas

Meister und Schüler

Besuch bei Vidyasagar

Anweisungen an die Familienväter

Der Meister und Keshab

Der Meister und Vijay Goswami

In der Gesellschaft von Verehrern

Pundit Shashadhar

Der gottberauschte Zustand

Einige vertraute Schüler

Sri Ramakrishna in Syampukur

Der Meister in Cossipore

Die Liebe des Meisters für seine Verehrer

Nach dem Tod Sri Ramakrishnas

Appendix A: Sri Chaitanya

Appendix B: Tantra

Chronologie des Lebens Sri Ramakrishnas

Glossar

Index: Personen (Verehrer, Heilige, Götter)

Index: Themen

Index: Gleichnisse und Beispiele

Index: Lieder

Abbildungen

Weiterführende Literatur

VORBEMERKUNG DER ÜBERSETZERIN

Neben der vollständigen Version der Botschaft Sri Ramakrishnas von Swami Nikhilananda in zwei Bänden lässt diese gekürzte Version u.a. die vielen Gespräche und Vorkommnisse aus, die mit der indischen Mythologie zu tun haben, und vermeidet Wiederholungen. Deshalb ist sie für die meisten westlichen Leser leichter lesbar.

Zur Anschaulichkeit für den Leser habe ich meine Übersetzung reichhaltig bebildert. Das Bildmaterial wurde mir teils vom Ramakrishna-Vivekananda Center zur Verfügung gestellt, teils stammt es aus Wikimedia Commons sowie aus anderen urheberrechtlich frei verfügbaren Quellen.

Den Index der englischen Ausgabe habe ich auf vier Indices erweitert. Das reichhaltige Glossar wird dem Leser auch sehr nützlich sein. Texte in eckigen Klammern sind kleine Einfügungen von mir.

Im Englischen gibt es die beiden Wörter „spirit“ und „mind“, für die es – trotz völlig verschiedener Bedeutungen – im Deutschen nur das Wort „Geist“ gibt. Sofern der Unterschied durch den Kontext nicht ersichtlich ist, habe ich den englischen Begriff angefügt.

Ich danke dem Ramakrishna-Vivekananda Center für die Erlaubnis, dieses Buch übersetzen zu dürfen, und wünsche nun dem Leser eine inspirierende Lektüre.

Gabriele Ebert

VORWORT

Als Vorwort werden hier zwei Briefe angeführt. Der erste schrieb Sarada Devi, die Frau Sri Ramakrishnas und seine Gefährtin im spirituellen Leben, die jetzt allgemein als die Heilige Mutter geachtet wird, vor etwa sechzig Jahren an M. Sie schickte ihn ihm, nachdem sie einer Lesung aus Sri Ramakrishnas Gesprächen aus dem ursprünglichen Werk „Sri Ramakrishna Kathamrita“ in Bengalisch zugehört hatte.

Der zweite Brief stammt von Swami Vivekananda. Er hat ihn M. geschrieben, nachdem der zweite Teil dieses Buches veröffentlicht worden war.

Mein geliebtes Kind,

Die Worte, die du vom Meister gehört hast, sind wahr. Du brauchst dich nicht fürchten, sie zu veröffentlichen. Es war der Meister, der sie in deiner Obhut gelassen hat. Jetzt veröffentlicht er sie entsprechend der Bedürfnisse der Zeit. Du solltest wissen, dass das spirituelle Bewusstsein der Leute nicht erweckt wird, solange diese Worte nicht das Tageslicht sehen. Diese Worte, die in deiner Obhut sind, sind wahr, jedes von ihnen. Als du sie mir vorgelesen hast, war mir, als würde er selbst sprechen.

Mutter

Dehra Dun, 24. November 1897

Mein lieber M.,

vielen herzlichen Dank für deine zweite Schrift. Sie ist wundervoll. Es ist alles sehr originalgetreu. Nie wurde das Leben eines großen Lehrers so ungetrübt vom Geist des Schreibers in die Öffentlichkeit gebracht, wie du es getan hast. Auch die Sprache ist nicht genug zu preisen – so frisch, so auf den Punkt gebracht und außerdem so einfach und leicht zu lesen. Ich kann dir nicht sagen, wie sehr ich sie genossen habe. Ich bin wirklich ganz hingerissen, wenn ich sie lese.

Ist das nicht seltsam? Unser Lehrer und Herr war so ursprünglich, und jeder von uns muss ursprünglich sein, oder er ist gar nichts. Ich verstehe jetzt, warum keiner von uns sich zuvor daran gewagt hat, seine Biografie zu schreiben. Es war für dich gedacht, dieses große Werk. Offensichtlich ist er mit dir.“

Mit Liebe und Namaskar

Vivekananda

PS.: Die sokratischen Gespräche sind ganz und gar platonisch – du bleibst völlig im Verborgenen. Außerdem ist der dramatische Teil unendlich schön. Jeder mag ihn – hier und im Westen.“

EINLEITUNG

Dieses Buch ist die völlig überarbeitete Ausgabe von Ramakrishna: Prophet of New India, die 1948 erschienen ist. Die Standardausgabe von „The Gospel of Sri Ramakrishna“, die 1942 veröffentlicht wurde, ist den Studenten der Religion und Philosophie in Indien und im Westen bereits bekannt, besonders jenen, die in ihrer spirituellen Übung beim Hinduismus Hilfe und Führung suchen.

Die jetzige Ausgabe ist eine Kurzfassung des ursprünglichen Werks. Es gibt zwei Hauptgründe für diese Veröffentlichung: Erstens enthält die ungekürzte Ausgabe viele Verweise auf die hinduistische Mythologie und den Volksglauben, mit denen der normale westliche Leser nicht vertraut ist, wie auch Diskussionen über bestimmte schwer verständliche Aspekte des Hinduismus. Dies schafft unnötige Schwierigkeiten. Zweitens enthält diese Ausgabe, die eine vollständige Übersetzung der authentischen aufgezeichneten Gespräche von Sri Ramakrishna ist, viele Wiederholungen, die hauptsächlich für die 1063 Seiten verantwortlich sind. Es ist nicht bequem, solch ein Buch herumzutragen oder für das tägliche fromme Studium zu benutzen. Die gekürzte Version beseitigt diese Schwierigkeiten, ohne auf irgendeine Weise die Bedeutung der normalen Ausgabe zu schmälern. Im Gegenteil, es ist zu hoffen, dass diese Ausgabe den Wunsch des Lesers erweckt, alle aufgezeichneten Worte von Sri Ramakrishna zu lesen.

Wir danken Herrn J. Wendell Parr für seine großzügige Hilfe, die Druckkosten für diese Ausgabe zu tragen.

Es wurde die größte Sorgfalt darauf verwendet, die gekürzte Ausgabe als ein vollständiges Buch vorzulegen. Die Lehren wurden nicht verfälscht, um die Größe zu verringern. Der allgemeine Eindruck des großen Buchs findet man auch im kleinen Buch. Die ausführliche Einleitung wurde mit wenigen Auslassungen beibehalten. Sie gibt eine biografische Skizze von Sri Ramakrishna und handelt von den verschiedenen Aspekten der hinduistischen religiösen Gedanken, die im Gospel diskutiert werden. Anhang A enthält eine kurze Biografie von Sri Chaitanya, ein anderer Gottesmann Indiens, der im Buch oft erwähnt wird. Anhang B enthält eine ausführliche Erörterung des Tantra, eine religiöse Philosophie, die eng mit Sri Ramakrishnas Lehre in Verbindung steht. Das Glossar wird für das Verständnis von Namen und Begriffen, die dem westlichen Leser unvertraut sind, hilfreich sein. […]

„Die Botschaft Sri Ramakrishnas“ ist die wörtliche Übersetzung von „Sri Sri Ramakrishna Kthamrita“, das in Bengalisch verfasst wurde und Sri Ramakrishnas Gespräche mit seinen Schülern, Verehrern und Besuchern enthält. Es wurde unter dem Pseudonym „M.“ von Mahendranath Gupta verfasst, der die Gespräche, wie er sie täglich hörte, seinem Tagebuch anvertraut hat. Sie besitzen die Authentizität und Lebendigkeit von stenografischen Berichten.

Sri Ramakrishna, dessen Namen in Indien innerhalb von fünfzig Jahren nach seinem Tod geläufig wurde, wird jetzt durch die Schriften von Swami Vivekananda und die Tätigkeiten der Mönche des Ramakrishna-Ordens in Europa und Amerika bekannt. Unter den westlichen Gelehrten haben Max Müller und Romain Rolland über ihn geschrieben. Sowohl in Indien als auch außerhalb haben Menschen begonnen, ihn als der Linie solch religiöser Propheten wie Krishna, Buddha und Christus zugehörig zu erkennen. Er repräsentiert den inneren Kern der altehrwürdigen spirituellen Weisheit Indiens. In diesem Zeitalter der Vernunft und des Skeptizismus bringt er uns das direkte Zeugnis aus dem Bereich des Geistes. Seine Äußerungen belegen seine Gemeinschaft mit Gott. Sri Ramakrishnas Körper und Sinne, Geist und Ego, die von spirituellen Übungen gereinigt waren, wurden zu Instrumenten für die Enthüllung übersinnlicher Wahrheiten. Seine Worte sind direkt und anschaulich. Sie bringen alle Zweifel zum Schweigen. Sie besitzen die treibende Kraft, die Unruhe des Geistes zu bändigen und ihm Frieden und Gewissheit zu geben.

Die Krankheit unseres Zeitalters, wie tatsächlich die jedes Zeitalters, ist spirituell. Die Ursache der menschlichen Krankheit ist die Anhaftung an Verlangen und Gier oder, um Sri Ramakrishnas Ausdruck zu gebrauchen, an „Frauen“ und „Gold“. Das undisziplinierte Ich hat diese Krankheit verschlimmert. Das Heilmittel liegt in seiner Kontrolle. Sri Ramakrishnas Leben ist eine Demonstration des Triumphes des Geistes über die Materie. Er erreichte eine Tiefe des spirituellen Bewusstseins, die Zeit und Raum überschreitet und ein allgemeiner Appell ist. Sein Leben und seine Lehren ziehen alle ernsthaften Seelen an, gleichgültig welchen Glauben oder welche Überzeugung sie vertreten.

Nikhilananda

New York

15. Oktober 1957

DAS LEBEN SRI RAMAKRISHNAS

Die frühen Jahre

ABBILDUNG 1: DAS ZIMMER, IN DEM SRI RAMAKRISHNA GEBOREN WURDE

Sri Ramakrishna wurde in Kamarpukur geboren. Dieses Dorf im Hooghly Distrikt hatte sich während des letzten Jahrhunderts die idyllische Einfachheit der ländlichen Gegend Bengalens bewahrt. Weit weg von der Bahnstrecke gelegen, war es unberührt vom Zauber der Stadt. Es gab dort Reisfelder, hohe Palmen, königliche Banyanbäume, einige Seen und zwei Einäscherungsplätze. Südlich des Dorfes floss geruhsam ein Fluss. Ein Mangohain, der vom benachbarten Zemindar (Grundbesitzer) für die Öffentlichkeit bestimmt war, wurde oft von den Jungen für ihren mittäglichen Sport genutzt. Eine Hauptstraße führte durchs Dorf zum großen Tempel von Jagannath in Puri. Die meisten Dorfbewohner waren Bauern oder Handwerker, die die vielen durchziehenden heiligen Männer und Pilger versorgten. Die Eintönigkeit des Dorflebens wurde von munteren Festen, der Feier heiliger Tage, dem Singen religiöser Lieder und anderen unschuldigen Vergnügen unterbrochen.

Über seine Eltern sagte Sri Ramakrishna einmal: „Meine Mutter war die Verkörperung von Rechtschaffenheit und Freundlichkeit. Sie wusste nicht viel über die weltliche Lebensart. Sie konnte nichts verheimlichen und sagte, was sie dachte. Die Leute liebten sie für ihre Offenherzigkeit. Mein Vater, ein orthodoxer Brahmane, nahm nie Geschenke von den Sudras an. Er verbrachte viel Zeit mit Verehrung und Meditation, mit der Wiederholung von Gottes Namen und dem Singen Seines Lobs. Jedes Mal, wenn er in seinen täglichen Gebeten die Göttin Gayatri anrief, wurde seine Brust rot, und es rannen ihm Tränen über die Wangen. Seine Freizeit verbrachte er damit, für die Familiengottheit Raghuvir Girlanden zu winden.

Die Eltern Sri Ramakrishnas, Khudiram Chattopadhyaya und Chandra Devi, heirateten 1799. Zu dieser Zeit lebte Khudiram im Dorf seiner Vorfahren Dereypore, das nicht weit von Kamarpukur entfernt liegt. Ihr erster Sohn Ramkumar wurde 1805 geboren und ihre erste Tochter Katyayani 1810. 1814 wurde Khudiram von seinem Grundherrn befohlen, vor Gericht ein falsches Zeugnis gegen einen Nachbarn abzulegen. Als er sich weigerte, brachte der Grundherr eine falsche Anklage gegen ihn vor und entzog ihm seinen Familienbesitz. Auf diese Weise enteignet, kam Khudiram auf Einladung eines anderen Grundbesitzers ins stille Dorf Kamarpukur, wo er Unterkunft und etwa einen Morgen fruchtbares Land erhielt. Die Ernte von diesem kleinen Grundstück reichte für die einfachen Bedürfnisse seiner Familie aus. Hier lebte er in Einfachheit, Würde und Zufriedenheit.

Zehn Jahre nachdem Khudiram nach Kamarpukur gekommen war, machte er zu Fuß eine Pilgerreise nach Rameswaram im äußersten Süden Indiens. Die Götterstatue von Siva, die dort unter dem Namen Rameswara, der Herr Rama, verehrt wurde, soll von Rama auf Seinem Rückweg nach Indien nach der Vernichtung Ravanas, des schrecklichen Königs von Ceylon, aufgestellt worden sein. Zwei Jahre später wurde sein zweiter Sohn geboren, dem er den Namen Rameswar gab. 1835, im Alter von sechzig, machte er erneut eine Pilgerreise, diesmal nach Gaya. Seit alter Zeit strömen Hindus aus allen Himmelsrichtungen Indiens hierher, um ihre Pflicht ihren Ahnen gegenüber zu erfüllen, indem sie ihnen Essen und Trinken beim heiligen Fußabdruck des Herrn Vishnu darbringen.1 An diesem heiligen Ort träumte Khudiram, dass der Herr Vishnu ihm versprach, als sein Sohn geboren zu werden. Auch Chandra Devi hatte vor dem Siva-Tempel in Kamarpukur eine Vision, die ihr die Geburt eines heiligen Kindes anzeigte. Als der Ehemann nach Hause zurückkehrte, erfuhr er, dass sie schwanger war.

Am 18. Februar 1836 wurde das Kind, das später als Ramakrishna bekannt wurde, geboren. In Erinnerung an den Traum in Gaya wurde ihm der Name Gadadhar (Träger der Keule) gegeben, was ein Beiname von Vishnu ist. Drei Jahre später wurde noch eine kleine Schwester geboren.

Die Kindheit

ABBILDUNG 2: KAMARPUKUR

Gadadhar wuchs zu einem gesunden und umtriebigen Jungen heran, der voller Späße und lieblichem Schalk war. Er war intelligent und frühreif und hatte ein außerordentlich gutes Gedächtnis. Auf dem Schoß seines Vaters lernte er die Namen seiner Vorfahren und die Lieder für die Götter und Göttinnen auswendig. In der Dorfschule wurde er in Lesen und Schreiben unterrichtet. Aber seine größte Freude war es, den Rezitationen der Geschichten aus der Hindu-Mythologie und den Epen zuzuhören. Diese erzählte er dann zur großen Freude der Dorfbewohner aus dem Gedächtnis. Er malte gern und lernte von den Töpfern die Kunst, Statuen von Göttern und Göttinnen zu modellieren. Aber er hegte eine große Abneigung gegen das Rechnen.

Im Alter von sechs oder sieben erlebte Gadadhar seine erste spirituelle Ekstase. Eines Tages im Juni oder Juli, als er einen schmalen Weg zwischen den Reisfeldern entlangging und den Puffreis aß, den er in einem Korb trug, blickte er zum Himmel hinauf und sah eine schöne dunkle Gewitterwolke. Als sie sich ausbreitete und schnell den ganzen Himmel bedeckte, flog ein Schwarm schneeweißer Kraniche vor ihr vorbei. Die Schönheit des Kontrastes überwältigte den Jungen. Er fiel bewusstlos zu Boden, und der Puffreis wurde in alle Richtungen verstreut. Dorfbewohner fanden ihn und trugen ihn in ihren Armen nach Hause. Gadadhar sagte später, dass er in diesem Zustand eine unbeschreibliche Freude erfahren hatte.

Gadadhar war sieben Jahre alt, als sein Vater starb. Dieses Ereignis traf ihn zutiefst. Der Junge erkannte zum ersten Mal, dass das irdische Leben unbeständig ist. Von anderen unbeobachtet schlüpfte er in den Mangohain oder auf einen der Einäscherungsplätze und verbrachte dort Stunden in Gedanken versunken. Er half auch seiner Mutter mehr im Haushalt. Er widmete dem Lesen und Zuhören der religiösen Geschichten aus den Puranas mehr Aufmerksamkeit. Und er begann, sich für die Wandermönche und frommen Pilger zu interessieren, die auf dem Weg nach Puri waren und in Kamarpukur Halt machten. Diese Heiligen, die Hüter des spirituellen Erbes Indiens und die lebendigen Zeugen des Ideals der Entsagung der Welt und der allumfassenden Gottesliebe, unterhielten den kleinen Jungen mit Geschichten aus den hinduistischen Epen, von Heiligen und Propheten und auch mit den Geschichten ihrer eigenen Erlebnisse. Er holte im Gegenzug Wasser und Brennmaterial für sie und diente ihnen auf verschiedene Weise. Währenddessen beobachtete er ihre Meditation und Verehrung.

Als Gadadhar neun war, erhielt er die heilige Brahmanenschnur. Mit dieser Zeremonie wurden ihm die Befugnisse seiner brahmanischen Abstammung übertragen, was auch die Verehrung der Familiengottheit Raghuvir einschloss und ihm die vielen strengen Vorschriften des brahmanischen Lebens auferlegte. Während der Einweihungsfeier schockierte er seine Verwandten, weil er von seinem Kindermädchen, das eine Sudra war, eine gekochte Mahlzeit annahm. Sein Vater hätte so etwas nicht im Traum getan. Aber Gadadhar hatte der Frau im Scherz einmal versprochen, dass er etwas von ihr Gekochtes essen würde, und jetzt erfüllte er sein Versprechen. Die Frau war fromm und aufrichtig religiös, und das war für den Jungen wichtiger als die gesellschaftlichen Gepflogenheiten.

Gadadhar durfte jetzt Raghuvir verehren. Damit begann seine erste Unterweisung in Meditation. Er verehrte Ihn so sehr aus ganzem Herzen und ganzer Seele, dass die steinerne Statue ihm bald als der lebendige Herr des Weltalls erschien. Seine Neigung, sich in Kontemplation zu verlieren, wurde in dieser Zeit zum ersten Mal bemerkt. Hinter seiner jungenhaften Unbeschwertheit wurde eine Vertiefung seines spirituellen Wesens erkennbar.

Etwa zu dieser Zeit wurde für die Sivaratri-Nacht, die der Verehrung Sivas geweiht ist, ein Schauspiel vorbereitet. Der Hauptdarsteller, der die Rolle von Siva spielen sollte, wurde plötzlich krank, und Gadadhar wurde dazu überredet, an seiner Stelle zu spielen. Während Freunde ihn für die Rolle einkleideten, seinen Körper mit Asche beschmierten, seine Locken verfilzten, ihm einen Dreizack in die Hand gaben und Rudraksha-Perlen um seinen Hals legten, machte der Junge einen geistesabwesenden Eindruck. Er ging mit langsamen, gemäßigten Schritten auf die Bühne, wobei seine Freunde ihn stützten. Er sah wie das lebende Bild Sivas aus. Die Zuschauer applaudierten laut, was seiner Begabung als Schauspieler galt, entdeckten aber bald, dass er sich wirklich in Meditation verloren hatte. Sein Antlitz strahlte, und Tränen flossen aus seinen Augen. Er war der äußeren Welt abhandengekommen. Die Wirkung dieser Szene auf die Zuschauer war gewaltig. Die Leute fühlten sich wie von einer Vision Sivas gesegnet. Die Aufführung musste beendet werden, und die Stimmung des Jungen hielt bis zum nächsten Morgen an.

Jetzt baute Gadadhar mit seinen jungen Freunden eine Schauspieltruppe auf. Die Bühne wurde im Mangohain aufgestellt. Die Themen wurden aus den Geschichten des Ramayana und Mahabharata ausgewählt. Gadadhar kannte fast alle Rollen auswendig, da er sie von professionellen Schauspielern gehört hatte. Sein Lieblingsthema war die Episode in Vrindavan aus Krishnas Leben, die die erlesenen Liebesgeschichten von Krishna und den Milchmädchen und Kuhhirten schildert. Gadadhar spielte Radha oder Krishna und verlor sich oft in dem Charakter, den er darstellte. Seine natürliche weibliche Anmut steigerte den dramatischen Effekt. Im Mangohain erschallten die lauten Kirtans der Jungen. Verloren in Singen und Fröhlichkeit wurde Gadadhar die regelmäßige Schule gleichgültig.

1849 ging der älteste Sohn Ramkumar nach Kalkutta, um die finanzielle Situation der Familie zu verbessern.

Gadadhar war an der Schwelle zum Jugendlichen. Er war zum Liebling der Dorffrauen geworden. Sie liebten es, ihn sprechen, singen oder aus den heiligen Büchern rezitieren zu hören. Sie liebten sein Geschick, Stimmen zu imitieren. Mit ihrem weiblichen Instinkt erkannten sie die innere Reinheit und Arglosigkeit dieses Jungen mit der klaren Haut, dem fließenden Haar, den strahlenden Augen, dem lächelnden Gesicht und dem unerschöpflichen Schalk. Die frommen älteren Frauen betrachteten ihn als Gopala, das Baby Krishna, und die jüngeren sahen in ihm den jugendlichen Krishna von Vrindavan. Er selbst idealisierte die Liebe der Gopis für Krishna so sehr, dass er sich manchmal danach sehnte, als Frau geboren zu werden, um Sri Krishna aus ganzem Herzen und mit ganzer Seele lieben zu können. Er wünschte sich, in einer Brahmanenfamilie geboren zu werden und bald nach der Hochzeit Witwe zu werden. Seine einzige Beschäftigung würde darin bestehen, über Krishna zu meditieren, Ihn zu verehren, für Ihn zu kochen, und die wenigen Momente dem Spinnen zu widmen. Zu Sonnenuntergang, so träumte Sri Ramakrishna, würde die Witwe mit selbstgemachten Süßigkeiten das Kommen ihres Geliebten erwarten. Dieser Gedanke erfüllte seinen Geist mit großer Freude.

Gadadhar kommt nach Kalkutta

Im Alter von sechzehn wurde Gadadhar von seinem älteren Bruder Ramkumar nach Kalkutta beordert. Er wollte, dass er ihm bei seinen priesterlichen Pflichten half. Ramkumar hatte eine Bildungsanstalt für Sanskrit eröffnet, um sein Einkommen aufzubessern, und beabsichtigte, seinen jüngeren Bruder allmählich für Bildung zu interessieren. Gadadhar widmete sich mit Herz und Seele seiner neuen Pflicht als Familienpriester für einige Familien in Kalkutta. Sein Gottesdienst unterschied sich sehr von dem der berufsmäßigen Priester. Er verbrachte Stunden damit, die Götterstatuen zu schmücken und Hymnen und fromme Lieder zu singen. Mit Liebe führte er die anderen Pflichten seines Amtes aus. Die Leute waren von seiner Leidenschaft beeindruckt. Aber seinen Studien widmete er nur wenig Aufmerksamkeit.

Ramkumar stellte sich zunächst seinem temperamentvollen Bruder nicht entgegen. Er wollte, dass Gadadhar sich an das Stadtleben gewöhnte. Aber eines Tages beschloss er, den Jungen vor seiner Gleichgültigkeit für die Welt zu warnen. Schließlich musste Gadadhar in der nahen Zukunft als Familienvater seinen Lebensunterhalt durch die Ausübung seiner brahmanischen Pflichten verdienen, und dazu war eine gründliche Kenntnis der hinduistischen Gesetze, der Astrologie und ähnlicher Themen nötig. Er ermahnte Gadadhar freundlich und bat ihn, sich mehr seinen Studien zu widmen. Aber der Junge antwortete lebhaft: „Bruder, was soll ich mit einer Ausbildung anfangen, die nur dem Broterwerb dient? Ich würde viel lieber diese Weisheit erlangen, die mein Herz erleuchtet und mich für immer zufriedenstellt.“

Die Qual der inneren Seele Indiens fand in diesen leidenschaftlichen Worten des jungen Gadadhar ihren Ausdruck. Denn was sah sein schlichtes Auge um sich herum in Kalkutta, das zu dieser Zeit die indische Hauptstadt2 und das Zentrum der modernen Kultur und Gelehrsamkeit war? Gier und Lust beherrschten die höheren Gesellschaftsschichten, und die gelegentlichen religiösen Praktiken waren nur äußere Formen, von denen sich die Seele schon lange verabschiedet hatte. Gadadhar hatte in Kamarpukur bei den einfachen und frommen Dorfbewohnern nie etwas Derartiges gesehen. Die Sadhus und Wandermönche, denen er in seiner Kindheit gedient hatte, hatten ihm ein völlig anderes Indien offenbart. Er war von ihrer Hingabe und Reinheit, ihrer Selbstkontrolle und Entsagung beeindruckt gewesen. Er hatte von ihnen und von seiner eigenen Intuition gelernt, dass das Ideal des Lebens die Erkenntnis Gottes ist, wie die alten Weisen Indiens es gelehrt hatten.

Ramkumar konnte schwerlich die Bedeutung der Antwort seines jungen Bruders verstehen. Er beschrieb das glückliche, leichte Leben der Gelehrten in der Gesellschaft von Kalkutta in leuchtenden Farben. Aber Gadadhar spürte intuitiv, dass die Gelehrten wie die Aasgeier sind, die sich mit den Flügeln ihres uninspirierten Verstandes hoch in die Lüfte schwingen und die Augen auf das Aas von Gier und Verlangen gerichtet haben, um eine seiner lebhaften Beschreibungen zu benutzen. So beharrte er auf seinem Standpunkt, und Ramkumar musste nachgeben.

Kali-Tempel in Dakshineswar

Zu jener Zeit lebte in Kalkutta eine reiche Witwe namens Rani Rasmani. Sie gehörte der Sudra-Kaste an und war weit und breit nicht nur für ihre Geschäftstüchtigkeit, ihren Mut und ihre Intelligenz, sondern auch für ihre Großherzigkeit, Frömmigkeit und Hingabe an Gott bekannt. Ihr Schwiegersohn Mathuranath Biswas unterstützte sie bei der Verwaltung ihres großen Vermögens.

1847 kaufte die Rani in Dakshineswar, einem Dorf etwa vier Meilen nördlich von Kalkutta gelegen, zwanzig Morgen Land. Dort legte sie einen Tempelgarten an und ließ mehrere Tempel errichten. Ihr Ishta, ihre gewählte Gottheit, war die Göttliche Mutter Kali.

ABBILDUNG 3: TEMPELGARTEN VON DAKSHINESWAR

vom Ganges aus gesehen mit den zwölf Siva-Tempeln, dem Chandnidazwischen, links davon Sri Ramakrishnas Zimmer, die beiden Nahabats jeweils ganz rechts und links, im Hintergrund der Kali-Tempel

Der Tempelgarten erstreckt sich direkt am Ostufer des Ganges. Im nördlichen Bereich und in einem Teil des östlichen Bereichs gibt es einen Obstgarten, Blumengärten und zwei kleine Wasserspeicher. Der südliche Bereich ist mit Ziegeln und Mörtel gepflastert. Der Besucher, der mit dem Boot ankommt, steigt die Stufen eines beeindruckenden Bade-Ghats hinauf, der zum Chandni, einer bedachten Terrasse, hinaufführt. Auf jeder Seite von ihr steht eine Reihe von sechs Siva-Tempeln. Östlich von der Terrasse und den Siva-Tempeln befindet sich ein großer gepflasterter, rechteckiger Hof, der sich nach Norden und Süden erstreckt. Zwei Tempel stehen inmitten dieses Hofes, der größere im Süden, nach Süden gerichtet und der Kali geweiht, und der kleinere in Richtung des Ganges, Radhakanta (Krishna, dem Gemahl Radhas) geweiht. Neun Kuppelspitzen überragen den Kali-Tempel. Vor ihm steht die geräumige Musikhalle (Natmandir), eine Terrasse, die von imposanten Säulen gestützt wird. In der nordwestlichen und südwestlichen Ecke des Tempelbereichs gibt es zwei Musiktürme (Nahabats), von denen zu verschiedenen Tageszeiten Musik erschallt, besonders bei Sonnenaufgang, zur Mittagszeit und bei Sonnenuntergang, wenn der Gottesdienst in den Tempeln gefeiert wird. Drei Seiten des gepflasterten Hofes – alle, außer die im Westen – werden von Küchen, Lagerräumen, Speisesälen und den Unterkünften für die Tempelbediensteten und Gäste gesäumt.

ABBILDUNG 4: KARTE VON DER TEMPELANLAGE IN DAKSHINESWAR

Das Zimmer im nordwestlichen Winkel, gleich hinter dem letzten Siva-Tempel, ist für uns von besonderem Interesse, denn hier hat Sri Ramakrishna einen beträchtlichen Teil seines Lebens verbracht. Im Westen dieses Zimmers gibt es eine halbrunde Veranda, von der aus man den Fluss überblickt. Vor der Veranda verläuft ein Fußweg von Norden nach Süden. Jenseits des Wegs liegt ein großer Garten, und unter dem Garten fließt der Ganges. Im Obstgarten nördlich der Gebäude liegt das Panchavati, der Banyan- und der Belbaum, die mit Sri Ramakrishnas spirituellen Übungen in Verbindung stehen. Außerhalb, im Norden des Tempelbereichs, steht der Bungalow (Kuthi), den die Mitglieder von Rani Rasmanis Familie benutzten, wenn sie den Garten besuchten. Und im Norden des Tempelgartens, durch eine hohe Mauer von ihm abgetrennt, lieg ein Pulvermagazin der Britischen Regierung.

Siva

In den zwölf Siva-Tempeln sind die Wahrzeichen des großen Gottes der Entsagung in Seinen verschiedenen Aspekten aufgestellt, die täglich mit den entsprechenden Riten verehrt werden. Siva benötigt nur wenige Dinge für seine Verehrung. Weiße Blumen, Belblätter und ein wenig Wasser aus dem Ganges, die ihm hingebungsvoll dargebracht werden, genügen, um die freundliche Gottheit zufrieden zu stellen und von Ihm die Gunst der Befreiung zu erlangen.

Radhakanta

Der Tempel von Radhakanta (Krishna), der auch als der Vishnu-Tempel bekannt ist, enthält die Statuen von Radha und Krishna, das Symbol der Vereinigung mit Gott durch ekstatische Liebe. Die beiden Statuen stehen auf einem Podest und schauen nach Westen. Der Boden ist mit Marmor gepflastert. Von der Decke der Veranda hängen Lüster, die mit roten Tüchern bedeckt sind, um sie vor Staub zu schützen. Leinwände schirmen die Statuen von den Strahlen der untergehenden Sonne ab. In der Nähe der Schwelle zum inneren Schrein steht eine kleine Messingschale mit heiligem Wasser. Hingebungsvolle Besucher trinken ehrfürchtig einige Tropfen aus diesem Gefäß.

Kali

Der Haupttempel ist der Göttlichen Mutter Kali geweiht, die hier als Bhavatarini, die Retterin des Weltalls, verehrt wird. Auch der Boden dieses Tempels ist mit Marmor gepflastert. Die Basaltstatue der Mutter, die in prachtvollen goldenen Brokat gekleidet ist, steht auf der weißen Marmorstatue Ihres göttlichen Gemahls Siva, der ausgestreckt daliegt. Er versinnbildlicht das Absolute. An den Füßen der Göttin sind, abgesehen von anderem Schmuck, goldene Fußspangen. Ihre Arme sind mit Goldschmuck geschmückt, der mit Edelsteinen bestückt ist. Sie trägt Halsketten aus Gold und Perlen, eine goldene Girlande aus Menschenschädeln und einen Gürtel aus menschlichen Armen. Sie trägt eine Goldkrone, goldene Ohrringe und einen goldenen Nasenring mit einem Perltropfen.

ABBILDUNG 5: DIE STATUE VON KALI IM KALI-TEMPEL

Sie hat vier Arme. Die untere linke Hand hält einen abgetrennten Menschenschädel und die obere Hand umfasst einen blutüberströmten Säbel. Mit einer rechten Hand bietet Sie Ihren Kindern Wohltaten an, mit der anderen beschwichtigt Sie ihre Ängste. Ihre majestätische Haltung kann kaum beschrieben werden. Sie kombiniert den Schrecken der Vernichtung mit der Zusicherung mütterlicher Zärtlichkeit. Denn Sie ist die kosmische Kraft, die Gesamtheit des Universums, eine glorreiche Harmonie der Gegensatzpaare. Sie teilt den Tod aus, während Sie erschafft und bewahrt. Sie hat drei Augen, wobei das dritte Auge das Symbol für die göttliche Weisheit ist. Sie erschrecken die Bösen und verströmen Mitleid für Ihre Verehrer.

Die ganze symbolische Welt wird im Tempelgarten repräsentiert – die Dreiheit aus Mutter Natur (Kali), dem Absoluten (Siva) und der Liebe (Radhakanta), der Bogen, der Himmel und Erde umspannt. Die schreckliche Göttin des Tantra [Kali], der bezaubernde Flötenspieler des Bhagavata [Krishna] und das in sich selbst vertiefte Absolute der Veden leben zusammen und erschaffen die größte Synthese der Religionen. Alle Aspekte der Wirklichkeit sind hier repräsentiert. Aber von diesem göttlichen Haushalt ist Kali der Drehpunkt, die hoheitliche Herrin. Sie ist Prakriti, die Erzeugerin, die Natur, die Vernichterin und die Schöpferin. Für jene, die Augen haben zu sehen, ist Sie sogar noch etwas Größeres und Tieferes. Sie ist die universale Mutter, „meine Mutter“, wie Ramakrishna sagen würde, die Allmächtige, die sich Ihren Kindern unter verschiedenen Aspekten und göttlichen Inkarnationen offenbart, die sichtbare Göttin, die den Auserwählten zur unsichtbaren Wirklichkeit führt. Und wenn es Ihr gefällt, beseitigt Sie die letzte Spur des Egos von den erschaffenen Wesen und taucht es ins Bewusstsein des Absoluten, in die unterschiedslose Gottheit ein. Durch Ihre Gnade „verliert sich das endliche Ich im unermesslichen Ich – Atman – Brahman“.

Rani Rasmani gab ein Vermögen für die Anlage des Tempelgartens aus und ein weiteres für seine Einweihung, die am 31. Mai 1855 stattfand.

Fortan kam Ramakrishna – wir werden Gadadhar von jetzt an bei seinem bekannten Namen nennen3 – mit seinem älteren Bruder Ramkumar, der zum Priester des Kali-Tempels ernannt worden war, in den Tempelgarten. Sri Ramakrishna war zunächst nicht damit einverstanden, dass Ramkumar für die Sudra Rasmani arbeitete. Das Beispiel ihres orthodoxen Vaters war Sri Ramakrishna noch frisch im Gedächtnis. Er hatte auch etwas dagegen, die gekochten Opfergaben des Tempels zu essen, da nach orthodoxem hinduistischem Brauch solches Essen der Gottheit nur im Haus eines Brahmanen dargebracht werden kann. Aber die heilige Atmosphäre im Tempelbereich, die Einsamkeit des ihn umgebenden Waldes, die liebevolle Sorge seines Bruders, der Respekt, der ihm von Rani Rasmani und Mathur Babu entgegengebracht wurde, die lebende Gegenwart der Göttin Kali im Tempel und vor allem die Nähe des heiligen Ganges, den Sri Ramakrishna immer hoch in Ehren hielt, ließen ihn allmählich seine Missbilligung überwinden, und er begann, sich dort heimisch zu fühlen.

ABBILDUNG 6: RANI RASMANI (1793-1861)

In sehr kurzer Zeit zog Sri Ramakrishna die Aufmerksamkeit von Mathur Babu auf sich, der vom religiösen Eifer des jungen Mannes beeindruckt war und wollte, dass er sich am Gottesdienst im Kali-Tempel beteiligte. Aber Sri Ramakrishna liebte seine Freiheit und war an keiner weltlichen Karriere interessiert. Der Beruf des Priesters in einem Tempel, der von einer reichen Frau gegründet worden war, sagte ihm nicht zu. Zudem zögerte er, die Verantwortung für den Schmuck und das Geschmeide des Tempels zu übernehmen. Mathur musste auf eine geeignete Gelegenheit warten.

Zu dieser Zeit kam ein sechzehnjähriger Junge nach Dakshineswar, der eine bedeutende Rolle in Sri Ramakrishnas Leben spielen sollte. Hriday war ein entfernter Neffe4 von Sri Ramakrishna und stammte aus Sihore, einem Dorf nicht weit von Kamarpukur entfernt, und war sein Jugendfreund gewesen. Klug, besonders tatkräftig und sehr geistesgegenwärtig wurde er zum Schatten seines Onkels und war immer bereit, ihm zu helfen, selbst auf Kosten seiner persönlichen Bequemlichkeit, wie wir noch sehen werden. Er war dazu bestimmt, ein stiller Augenzeuge vieler spiritueller Erlebnisse Sri Ramakrishnas zu sein und während der stürmischen Tage seiner spirituellen Übungen für seinen Körper zu sorgen. Hriday kam auf der Suche nach Arbeit nach Dakshineswar, und Sri Ramakrishna war froh, ihn zu sehen.

Sri Ramakrishna konnte dem Zureden Mathur Babus nicht widerstehen und trat schließlich in den Tempeldienst ein mit der Bedingung, dass Hriday gebeten wurde, ihm zu helfen. Seine erste Aufgabe war, die Statue Kalis zu bekleiden und zu schmücken.

ABBILDUNG 7: KRISHNA-STATUE IN DAKSHINESWAR, DIE SRI RAMAKRISHNA REPARIERT HAT

Einmal ließ der Priester des Radhakanta-Tempels versehentlich die Statue Krishnas auf den Boden fallen, und ein Bein brach ab. Die Gelehrten rieten der Rani, eine neue Statue aufstellen zu lassen, da die Verehrung einer Statue mit einem gebrochenen Glied den Regeln der Schriften widersprach. Aber die Rani mochte die Statue und bat Sri Ramakrishna um seine Meinung. In Gedanken versunken sagte er: „Diese Lösung ist lächerlich. Wenn ein Schwiegersohn der Rani sich ein Bein bräche, würde sie ihn dann ausmustern und einen anderen an seine Stelle setzen? Würde sie nicht vielmehr dafür sorgen, dass er behandelt wird? Warum sollte sie in diesem Fall nicht dasselbe tun? Die Statue soll repariert und wie zuvor verehrt werden.“ Das war eine einfache und unkomplizierte Lösung, und sie wurde von der Rani akzeptiert. Sri Ramakrishna selbst reparierte den Bruch. Der Priester wurde wegen seiner Unachtsamkeit entlassen, und auf Mathur Babus innige Bitte hin nahm Sri Ramakrishna die Aufgabe des Priesters im Radhakanta-Tempel an.

Sri Ramakrishna als Priester

Sri Ramakrishna wurde in eine orthodoxe Brahmanenfamilie hineingeboren und kannte deshalb die Formalitäten des Gottesdienstes, seine Riten und Rituale. Die unzähligen Götter und Göttinnen des Hinduismus sind die menschlichen Aspekte des unbeschreiblichen und unfassbaren Geistes (Spirit), wie sie vom endlichen menschlichen Geist (mind) wahrgenommen werden. Sie verstehen und würdigen die menschliche Liebe und Gefühle, helfen den Menschen, ihre weltlichen und spirituellen Ideale zu verwirklichen, und ermöglichen es ihnen letztendlich, die Befreiung vom Elend des phänomenalen Lebens zu erlangen. Allein von der Quelle des Lichts, des Verstandes, der Weisheit und der Stärke wird das Verlangen erfüllt. Doch solange ein Mensch durch seine menschlichen Begrenzungen gebunden ist, kann er Gott nur durch menschliche Gestalten verehren. Er muss menschliche Symbole verwenden. Deshalb rät der Hinduismus den Verehrern, Gott als idealen Vater, ideale Mutter, idealen Ehemann, Sohn oder Freund zu betrachten. Aber der Name führt letztlich zum Namenlosen, die Gestalt zum Gestaltlosen, das Wort zur Stille, das Gefühl zur heiteren Verwirklichung des Friedens in der absoluten Existenz-Erkenntnis-Seligkeit. Die Götter gehen allmählich in den einen Gott ein.

Bis der Verehrer jedoch diese Erkenntnis erlangt hat, kann er nicht die menschlichen Faktoren von seiner Verehrung trennen. Deshalb wird die Gottheit gebadet, bekleidet und geschmückt. Ihr wird zu essen gegeben, und sie wird zu Bett gebracht. Sie wird mit Hymnen, Liedern und Gebeten gnädig gestimmt. Und es gibt für all diese Funktionen die passenden Riten. Um zum Beispiel selbst äußerlich rein zu sein, badet der Priester in heiligem Wasser und legt ein heiliges Gewand an. Er reinigt den Geist und die Sinnesorgane durch die entsprechende Meditation. Er schützt den Ort der Verehrung gegen böse Kräfte, indem er ihn mit Feuer und Wasser einkreist. Er erweckt die verschiedenen spirituellen Zentren des Körpers und ruft den höchsten Geist in seinem Herzen an. Dann überträgt er den höchsten Geist auf die Statue vor ihm und verehrt sie, wobei er sie nicht länger als Ton oder Stein betrachtet, sondern als die Verkörperung des Geistes, die vor Leben und Bewusstsein pulsiert. Nach der Verehrung ruft er den höchsten Geist von der Statue in Sein wirkliches Heiligtum, das Herz des Priesters, zurück.

Der wahre Verehrer weiß, dass es absurd ist, die transzendente Wirklichkeit mit materiellen Dingen zu verehren – Das zu bekleiden, was das ganze Weltall und auch das Jenseits durchdringt, Das auf ein Podest zu stellen, was nicht durch den Raum begrenzt werden kann, Dem zu essen zu geben, was körperlos und immateriell ist, vor Dem zu singen, dessen Herrlichkeit die Sphärenmusik vergeblich zu verkünden sucht. Aber durch diese Riten strebt der Verehrer danach, letztlich die Riten und Rituale, Gestalten und Namen, Worte und den Lobpreis zu überwinden und Gott als das alldurchdringende Bewusstsein zu erkennen.

Die Hindupriester sind völlig mit den Riten des Gottesdienstes vertraut, aber nur wenige kennen auch die ihnen zugrundeliegende Bedeutung. Sie bewegen ihre Hände und Glieder mechanisch, um die Schriften wortwörtlich zu befolgen, und wiederholen die heiligen Mantren wie Papageien. Aber Sri Ramakrishna war von Anfang an die innere Bedeutung dieser Riten klar. Wenn er vor der Statue saß, überkam ihn eine seltsame Verwandlung. Während er die vorgeschriebenen Zeremonien befolgte, fand er sich von einer Feuerwand umgeben, die ihn und den Ort der Verehrung vor ungeistigen Vibrationen schützte, oder er spürte, wie die geheimnisvolle Kundalini durch die verschiedenen Zentren des Körpers aufstieg. Das Strahlen auf seinem Gesicht, seine tiefe Versunkenheit und die intensive Atmosphäre des Tempels beeindruckten jeden, der ihm bei der Verehrung der Gottheit zusah.

Ramkumar wollte, dass Sri Ramakrishna die komplizierten Rituale der Kali-Verehrung lernte. Um ein Priester der Kali zu werden, musste man von einem kompetenten Guru einer besonderen Einweihung unterzogen werden. Für Sri Ramakrishna wurde ein geeigneter Brahmane gefunden. Doch kaum hatte der Brahmane das heilige Wort in Sri Ramakrishnas Ohr gesprochen, als dieser von Emotionen überwältigt laut aufschrie und in tiefer Konzentration versank.

Mathur bat Sri Ramakrishna, sich um den Gottesdienst im Kali-Tempel zu kümmern. Der junge Priester meinte flehend, er sei dazu ungeeignet und würde die Schriften nicht kennen. Doch Mathur meinte, dass Hingabe und Ernsthaftigkeit das Fehlen des theoretischen Wissens mehr als aufwiegen würde und die Göttliche Mutter dazu bringen würde, sich in Ihrer Statue zu manifestieren. Schließlich musste Sri Ramakrishna in Mathurs Bitte einwilligen. Er wurde der Priester der Kali.

1856 starb Ramkumar. Sri Ramakrishna hatte bereits mehr als einen Sterbefall in der Familie erlebt. Er hatte verstanden, wie vergänglich das irdische Leben ist. Je mehr er von der Vergänglichkeit der weltlichen Dinge überzeugt war, desto begieriger wurde er, Gott, den Quell der Unsterblichkeit, zu erkennen.

Die erste Vision von Kali

Und tatsächlich entdeckte er bald, was für eine seltsame Göttin er sich für seinen Dienst ausgesucht hatte. Er wurde allmählich im Netz Ihrer alldurchdringenden Gegenwart verstickt. Für die Unwissenden ist Sie zwar das Bildnis der Zerstörung, aber er fand in Ihr die gütige, allliebende Mutter. Um Ihren Hals trägt Sie eine Girlande aus Totenschädeln, um die Taille einen Gürtel aus menschlichen Armen, und in zwei Ihrer Hände hält Sie tödliche Waffen. Ihre Augen sprühen Feuer, aber seltsamerweise spürte Ramakrishna in Ihrem Atem die sanfte Berührung zärtlicher Liebe und sah in Ihr die Saat der Unsterblichkeit. Sie steht auf der Brust Ihres Gemahls Siva, weil Sie die Sakti ist, die Kraft, die vom Absoluten untrennbar ist. Sie wird von Schakalen und anderen unheiligen Kreaturen, den Bewohnern der Einäscherungsstätte, umgeben. Aber steht die letzte Wirklichkeit nicht über der Heiligkeit und Unheiligkeit? Sie scheint unter dem Einfluss von Wein zu taumeln. Doch wer würde diese verrückte Welt erschaffen, der nicht unter dem Einfluss einer göttlichen Trunkenheit stünde? Sie ist das höchste Symbol aller Naturkräfte, die Synthese ihrer Gegensätze, das höchste Göttliche in Gestalt einer Frau. Sie wurde nun für Sri Ramakrishna zur einzigen Wirklichkeit, und die Welt wurde zu einem substanzlosen Schatten. Er vergoss seine Seele bei Ihrer Verehrung. Sie stand vor ihm als die durchsichtige Pforte zum Schrein des unbeschreiblichen Brahman.

Der Gottesdienst im Tempel verstärkte Sri Ramakrishnas Sehnsucht nach einer lebenden Vision der Weltenmutter. Er begann, auch die Zeit, die er nicht mit dem Tempeldienst beschäftigt war, in Meditation zu verbringen, und wählte sich zu diesem Zweck einen sehr einsamen Ort aus. Nördlich der Tempel lag ein tiefer Dschungel mit dichtem Unterholz und stachligen Pflanzen. Da er einmal als Begräbnisstätte gedient hatte, wurde er auch tagsüber aus Angst vor Geistern von den Leuten gemieden. Dort verbrachte Sri Ramakrishna die ganze Nacht in Meditation und kehrte erst am Morgen mit geschwollenen Augen, als hätte er viel geweint, in sein Zimmer zurück. Wenn er meditierte, legte er seine Kleidung und die Brahmanenschnur ab. Hriday erklärte er einmal sein seltsames Verhalten folgendermaßen: „Weißt du nicht, dass man von jeder Bindung frei sein soll, wenn man an Gott denkt? Seit unserer Geburt tragen wir die acht Fesseln von Hass, Scham, Abstammung, Stolz über gutes Betragen, Angst, Heimlichtuerei, Kaste und Sorge. Die heilige Schnur erinnert mich daran, dass ich ein Brahmane und deshalb allen überlegen bin. Wenn man die Mutter anruft, muss man all diese Gedanken ablegen.“ Hriday dachte, dass sein Onkel geisteskrank wurde.

Als sich seine Liebe für Gott vertiefte, begann er, entweder die Formalitäten der Verehrung zu vergessen oder fallen zu lassen. Er saß vor der Statue und verbrachte Stunden mit dem Singen frommer Lieder der großen Verehrer der Mutter wie Kamalakanta und Ramprasad. Diese euphorischen Lieder, die die direkte Vision Gottes beschreiben, intensivierten Sri Ramakrishnas Sehnsucht nur noch mehr. Er fühlte die Schmerzen eines Kindes, das von seiner Mutter getrennt ist. Manchmal rieb er in seiner Qual sein Gesicht am Boden und weinte so bitterlich, dass die Leute glaubten, er habe seine irdische Mutter verloren, und Mitleid mit ihm in seinem Kummer hatten. Manchmal rief er in Augenblicken des Zweifels: „Gibt es Dich wirklich, Mutter, oder ist das alles nur eine Erfindung, eine reine Dichtung ohne jede Wirklichkeit? Wenn es Dich gibt, warum sehe ich Dich dann nicht? Ist Religion nur ein Hirngespinst, und bist Du nur eine Erfindung der menschlichen Vorstellungskraft?“ Manchmal saß er zwei Stunden lang bewegungslos auf dem Gebetsteppich. Er begann, sich unnormal zu verhalten, und war sich die meiste Zeit der Welt nicht bewusst. Er hörte fast zu essen auf und schlief überhaupt nicht mehr.

Aber er musste nicht lange warten. Er beschrieb seine erste Vision von der Mutter folgendermaßen: „Es war mir, als würde mein Herz wie ein nasses Handtuch ausgewrungen. Ich wurde von einer großen Unruhe überwältigt und einer Angst, dass es mir nicht bestimmt sein könnte, Sie in diesem Leben zu erkennen. Ich konnte die Trennung von Ihr nicht länger ertragen. Das Leben schien nicht lebenswert zu sein. Plötzlich fiel mein Blick auf das Schwert, das im Tempel der Mutter aufbewahrt wurde. Ich beschloss, mein Leben zu beenden. Als ich wie ein Verrückter aufsprang und es ergriff, offenbarte sich mir plötzlich die gesegnete Mutter. Die Gebäude mit ihren verschiedenen Teilen, der Tempel und alles andere verschwanden vor meinem Blick, ohne irgendeine Spur zu hinterlassen, und ich sah stattdessen ein grenzenloses, unendliches, glänzendes Meer von Bewusstsein. Soweit das Auge reichte, brach die strahlende Brandung mit schrecklichem Getöse von allen Seiten auf mich ein, um mich zu verschlingen! Ich keuchte nach Atem. Ich wurde davon überwältigt und brach bewusstlos zusammen. Was in der Außenwelt geschah, wusste ich nicht. Aber in mir war das beständige Fließen von ungetrübter Seligkeit, die mir völlig neu war, und ich fühlte die Gegenwart der Göttlichen Mutter.“ Als er sich der Welt wieder bewusst wurde, lag das Wort „Mutter“ auf seinen Lippen.

Der gottberauschte Zustand

Doch das war nur ein Vorgeschmack der intensiven Erfahrung, die noch kommen sollte. Der erste Blick auf die Göttliche Mutter machte ihn nur noch begieriger nach Ihrer ununterbrochenen Schau. Er wollte Sie sowohl in der Meditation als auch mit offenen Augen sehen. Aber die Mutter begann, ein neckisches Versteckspiel mit ihm zu spielen, was sowohl seine Freude als auch sein Leid intensivierte. In den Augenblicken der Trennung von Ihr weinte er bitterlich und ging in eine Trance ein, in der Sie dann vor ihm stand, lächelte, sprach, ihn tröstete, ihn bat, guten Mutes zu sein, und ihn unterwies.

Während dieser Zeit der spirituellen Übung machte er viele ungewöhnliche Erfahrungen. Wenn er sich zur Mediation hinsetzte, hörte er ein seltsames Klicken in den Gelenken seiner Beine, als würde jemand sie verschließen, eines nach dem anderen, um ihn bewegungslos zu machen. Wenn er seine Meditation beendete, hörte er wieder denselben Ton, dieses Mal ihr Entriegeln, womit er sich wieder frei bewegen konnte. Er sah Blitze wie einen Schwarm von Feuerfliegen vor seinen Augen schweben oder ein Meer tiefen Nebels um ihn herum mit leuchtenden Wellen flüssigen Silbers. Er sah die Mutter in einem Meer durchsichtigen Nebels, zuerst Ihre Füße, dann Ihre Taille, den Körper, das Gesicht, den Kopf und schließlich Ihre ganze Person. Er spürte Ihren Atem und hörte Ihre Stimme. Während des Tempelgottesdienstes wurde er manchmal überschwänglich, manchmal war er bewegungslos wie ein Stein, manchmal erlitt er durch seine zu starken Gefühle fast einen Zusammenbruch. Viele seiner Handlungen widersprachen jeder Tradition und erschienen den Leuten frevlerisch. Er nahm eine Blume, berührte damit seinen Kopf, seinen Körper, seine Füße und bot sie dann der Göttin dar. Oder er taumelte wie ein Betrunkener zum Thron der Mutter, berührte Ihr Kinn, um Ihr seine Liebe zu zeigen, sang, sprach, scherzte, lachte und tanzte. Oder er nahm einen Happen Essen von der Platte, hielt ihn Ihr an den Mund, bat Sie, ihn zu essen, und war nicht eher zufrieden, bis er davon überzeugt war, dass Sie ihn wirklich gegessen hatte. Nachdem die Mutter nachts schlafen gelegt worden war, hörte er in seinem Zimmer, wie Sie mit den leichten Schritten eines glücklichen Mädchens zum oberen Stockwerk des Tempels hinaufstieg, wobei Ihre Fußspangen klimperten. Dann entdeckte er Sie, wie Sie mit fließendem Haar dastand, Ihre dunkle Silhouette gegen den Nachthimmel, und auf den Ganges oder die fernen Lichter Kalkuttas blickte.

Die Tempelbediensteten hielten ihn natürlich für verrückt. Seine weltlichen Wohltäter brachten ihn zu erfahrenen Ärzten, aber keine Arznei konnte seine Krankheit heilen. Oft zweifelte er selbst an seiner Gesundheit, denn er war über ein unbekanntes Meer gesegelt, ohne einen irdischen Führer, der ihn leiten konnte. Sein einzig sicherer Hafen war die Göttliche Mutter selbst. Zu Ihr betete er: „Ich weiß nicht, was da geschieht. Ich kenne keine Mantren und Schriften. Mutter, lehre mich, wie ich Dich erkennen kann. Wer sonst kann mir helfen? Bist Du nicht meine einzige Zuflucht und meine Führerin?“ Und die helfende Gegenwart der Mutter ließ ihn nie in seiner Not oder in seinem Zweifel im Stich. Selbst jene, die sein Benehmen kritisierten, waren sehr von seiner Reinheit, Arglosigkeit, Wahrhaftigkeit, Integrität und Heiligkeit beeindruckt. Sie fühlten sich in seiner Gegenwart erbaut.

Es heißt, dass Samadhi oder Trance nur die Pforte zum spirituellen Bereich öffnet. Sri Ramakrishna spürte einen unstillbaren Wunsch, sich auf verschiedene Weise an Gott zu erfreuen. Für seine Meditation errichtete er sich einen Platz im nördlichen bewaldeten Bereich des Tempelgartens. Mit Hridays Hilfe pflanzte er dort fünf heilige Bäume. Der Ort, der als Panchavati bekannt ist, wurde der Schauplatz vieler seiner Visionen.

Als seine spirituelle Stimmungslage sich vertiefte, fühlte er sich immer mehr als das Kind der Göttlichen Mutter. Er lernte, sich völlig Ihrem Willen und Ihrer Führung zu überlassen. „Oh Mutter“, betete er beständig. „Ich habe Zuflucht bei Dir genommen. Lehre mich, was ich tun und sagen soll. Dein Wille steht überall an erster Stelle und dient zum Wohl Deiner Kinder. Versenke meinen Willen in den Deinen und mache mich zu Deinem Werkzeug.“

ABBILDUNG 8: DAS PANCHAVATI, 2002

Früher stand dort eine Lehmhütte. Wikimedia Commons, Foto: Alan Perry

Seine Visionen wurden tiefer und inniger. Er musste nicht länger meditieren, um die Göttliche Mutter zu sehen. Selbst wenn er das Bewusstsein der äußeren Welt zurückbehielt, sah er Sie so greifbar wie die Tempel, die Bäume, den Fluss und die Menschen um ihn herum.

Einmal betrat Mathur Babu heimlich den Tempel, um dem Gottesdienst zuzusehen. Er war sehr bewegt von der Hingabe und Ernsthaftigkeit des jungen Priesters. Er erkannte, dass Sri Ramakrishna die steinerne Statue in die lebende Göttin verwandelt hatte.

Eines Tages fütterte Sri Ramakrishna eine Katze mit dem Essen, das Kali geopfert werden sollte. Das war für den Verwalter des Tempelgartens, der sich für die richtige Durchführung des Gottesdienstes verantwortlich fühlte, zu viel. Er berichtete Mathur Babu von Sri Ramakrishnas geisteskrankem Verhalten.

Sri Ramakrishna hat den Vorfall folgendermaßen beschrieben: „Die Göttliche Mutter enthüllte mir im Kali-Tempel, dass Sie zu allem geworden ist. Sie zeigte mir, dass alles voller Bewusstsein ist. Die Statue ist Bewusstsein, der Altar ist Bewusstsein, die Wassergefäße sind Bewusstsein, die Türschwelle ist Bewusstsein, der Marmorboden ist Bewusstsein – alles ist Bewusstsein. Ich fand alles im Raum von Seligkeit durchdrungen, der Seligkeit Gottes. Ich sah einen bösen Mann vor dem Kali-Tempel, aber in ihm erkannte ich ebenfalls die vibrierende Kraft der Göttlichen Mutter. Deshalb habe ich eine Katze mit dem Essen, das der Göttlichen Mutter geopfert werden sollte, gefüttert. Ich nahm deutlich wahr, dass das alles die Göttliche Mutter ist, sogar die Katze. Der Verwalter des Tempelgartens schrieb Mathur Babu, dass ich die Katze mit den Opfergaben, die für die Göttliche Mutter gedacht waren, gefüttert hatte. Aber Mathur Babu wusste, in welchem Geisteszustand ich war. Er schrieb dem Verwalter zurück: ‚Lass ihn machen, was er will. Sag nichts zu ihm.’“

Eine der schmerzhaften Beschwerden, an denen Sri Ramakrishna zu dieser Zeit litt, war ein brennendes Gefühl in seinem Körper. Er wurde davon durch eine seltsame Vision geheilt. Während des Gottesdienstes im Tempel, der den Vorschriften der Schriften folgte, stellte er sich vor, dass in ihm der „Sünder“ sei und dieser „Sünder“ vernichtet wurde. Eines Tages meditierte er im Panchavati, als er einen rotäugigen, dunkelhäutigen Mann aus sich herauskommen sah, der wie ein Betrunkener torkelte. Bald kam noch eine weitere Person mit einem ernsten Gesichtsausdruck aus ihm heraus, die das ockerfarbene Gewand eines Sannyasin trug und in der Hand einen Dreizack hielt. Die zweite Person griff die erste an und tötete sie mit dem Dreizack. Danach war Sri Ramakrishna von seinem Schmerz befreit.

Etwa zu dieser Zeit begann er, Gott zu verehren, indem er die Haltung eines Dieners gegenüber seinem Herrn annahm. Er ahmte die Stimmung Hanumans, des Affenhäuptlings im Ramayana, nach, der der vollkommene Diener Ramas und das traditionelle Vorbild dieser bescheidenen Form der Hingabe ist. Wenn er über Hanuman meditierte, begannen seine Bewegungen und seine Lebensweise, denen eines Affen zu gleichen. Seine Augen wurden unruhig. Er lebte von Früchten und Wurzeln. Von dem Stück Stoff, das er um seine Taille gebunden hatte, hing ein Teil in Form eines Schwanzes herunter. Er hüpfte von Ort zu Ort anstatt zu gehen. Nach kurzer Zeit wurde er mit einer Vision Sitas, der göttlichen Gemahlin Ramas, gesegnet, die in seinen Körper eintrat und darin mit den Worten verschwand: „Ich hinterlasse dir mein Lächeln.“ Von da an war dieses Lächeln immer in seinem Gesicht, selbst in Samadhi.

Mathur hatte Vertrauen in die Ernsthaftigkeit von Sri Ramakrishnas spirituellem Eifer, aber begann jetzt, an seinem Verstand zu zweifeln. Er hatte beobachtet, wie er wie ein Affe umhersprang. Eines Tages, als Rani Rasmani Sri Ramakrishnas Singen im Tempel zuhörte, wandte sich der junge Priester abrupt um und schlug sie. Dem Schein nach hatte sie zwar seinem Lied zugehört, tatsächlich aber über einen Rechtsfall nachgedacht. Sie akzeptierte die Bestrafung, als hätte die Göttliche Mutter selbst sie verhängt. Aber Mathur war verzweifelt. Er bat Sri Ramakrishna darum, seine Gefühle zu kontrollieren und die gesellschaftlichen Konventionen zu beachten. Gott selbst würde den Gesetzen folgen, argumentierte er. Gott lässt zum Beispiel nie zu, dass Blumen von zwei verschiedenen Farben auf demselben Stängel wachsen. Am nächsten Tag schenkte Sri Ramakrishna Mathur Babu zwei Hibiskusblüten, die auf demselben Stängel wuchsen, eine rote und eine weiße.

Mathur und Rani Rasmani begannen, die Geisteskrankheit Sri Ramakrishnas wenigstens teilweise seiner strikten Enthaltsamkeit zuzuschreiben. Da sie glaubten, dass ein natürliches Leben die Anspannung seiner Nerven lösen würde, dachten sie sich einen Plan mit zwei Frauen von üblem Ruf aus. Aber sobald die Frauen sein Zimmer betraten, sah Sri Ramakrishna die Manifestation der Göttlichen Weltenmutter in ihnen und trat in Samadhi ein, wobei er Ihren Namen aussprach.

Haladhari

1858 kam Haladhari, ein Cousin Sri Ramakrishnas, nach Dakshineswar und sollte dort etwa acht Jahre bleiben. Wegen Sri Ramakrishnas ungewisser Gesundheit setzte Mathur ihn ins Amt des Priesters im Kali-Tempel ein. Er war ein komplizierter Charakter, versiert in den Schriften, aber sich kaum ihres Geistes bewusst. Er liebte es, sich an haarspalterischen theologischen Diskussionen zu beteiligen, und beurteilte Sri Ramakrishna nach dem Maßstab seiner eigenen Gelehrsamkeit. Als orthodoxer Brahmane war er überhaupt nicht mit den unorthodoxen Taten seines Cousins einverstanden, aber er war von Sri Ramakrishnas reinem Leben, ekstatischer Gottesliebe und Sehnsucht nach Erkenntnis nicht unbeeindruckt.

Eines Tages war Sri Ramakrishna über Haladharis Aussage bestürzt, dass Gott für den menschlichen Geist nicht wahrnehmbar sei. Sri Ramakrishna hat den großen Augenblick des Zweifels, als er sich fragte, ob seine Visionen ihn tatsächlich in die Irre geführt hatten, folgendermaßen beschrieben: „Schluchzend betete ich zur Mutter: ‚Wie kannst Du das Herz haben, mich so zu betrügen, weil ich ein Narr bin?‘ Tränen strömten aus meinen Augen. Kurz darauf sah ich eine Menge Nebel, der vom Boden aufstieg und den Raum vor mir erfüllte. In seiner Mitte erschien ein Gesicht mit einem fließenden Bart, das still, sehr ausdrucksstark und schön war. Es sah mich beständig an und sagte feierlich: ‚Bleibe in Bhavamukha, an der Schwelle des relativen Bewusstseins.‘ Das wiederholte es dreimal und verschwand dann allmählich im Nebel, der sich daraufhin von selbst auflöste. Diese Vision ermutigte mich.“

Ein verwirrender Bericht über Sri Ramakrishnas schlechte Gesundheit, Indifferenz für das weltliche Leben und seine verschiedenen unnormalen Handlungen erreichte Kamarpukur und erfüllte das Herz seiner armen Mutter mit Angst. Auf ihre wiederholte Bitte hin kehrte er für eine Luftveränderung in sein Dorf zurück. Aber seine Jugendfreunde interessierten ihn nicht mehr. Ein göttliches Fieber verzehrte ihn. Er verbrachte einen Großteil des Tages und der Nacht meditierend auf einem der Einäscherungsplätze. Der Ort erinnerte ihn an die Unbeständigkeit des menschlichen Körpers, der menschlichen Hoffnungen und Errungenschaften. Er erinnerte ihn auch an Kali, die Göttin der Zerstörung.

Die Hochzeit und die Zeit danach

Aber nach wenigen Monaten besserte sich seine Gesundheit, und er erlangte bis zu einem gewissen Grad seine natürliche Jungenhaftigkeit zurück. Seine glückliche Mutter fühlte sich ermutigt und dachte, dass dies ein guter Zeitpunkt sei, um seine Hochzeit zu veranlassen. Der Junge war jetzt dreiundzwanzig. Eine Frau würde ihn auf die Erde zurückbringen. Und sie freute sich, als ihr Sohn ihren Vorschlag begrüßte. Vielleicht sah er darin den Finger Gottes.

Saradamani, ein kleines fünfjähriges Mädchen, lebte im Nachbardorf Jayrambati. Bereits in diesem Alter hatte sie zu Gott gebetet, ihren Charakter so makellos und duftend zu machen wie die weiße Tuberose. Wenn sie den Vollmond betrachtete, sagte sie: „Oh Gott, sogar auf dem Mond gibt es dunkle Flecken. Aber mache meinen Charakter fleckenlos.“ Sie wurde als Braut für Sri Ramakrishna ausgewählt.

Die Hochzeit wurde ordnungsgemäß gefeiert. Diese frühen Hochzeiten in Indien sind Verlobungen. Die Hochzeit wird erst vollzogen, wenn das Mädchen in die Pubertät kommt. Aber in diesem Fall wurde die Hochzeit nie vollzogen. Sri Ramakrishna lebte etwa eineinhalb Jahre in Kamarpukur und kehrte dann nach Dakshineswar zurück.

Kaum hatte er die Schwelle des Kali-Tempels überschritten, war er erneut dem Wirbelsturm ausgesetzt. Seine Verrücktheit kehrte zehnmal so stark wieder. Dieselbe Meditation und dasselbe Gebet, dieselben Ekstasen, dasselbe brennende Gefühl, dasselbe Weinen, dieselbe Schlaflosigkeit, dieselbe Gleichgültigkeit für den Körper und die äußere Welt, derselbe göttliche Fieberwahn. Er unterwarf sich neuen Übungen, um Gier und Verlangen, die beiden großen Hindernisse für den spirituellen Fortschritt, auszumerzen. Mit einer Rupie in der einen Hand und etwas Erde in der anderen dachte er über den jeweiligen Wert dieser beiden Dinge für die Erkenntnis Gottes nach. Und als er fand, dass sie beide gleichermaßen wertlos waren, warf er sie gleichgültig in den Ganges. Frauen betrachtete er als Manifestationen der Göttlichen Mutter. Selbst nicht im Traum empfand er die Impulse von Verlangen. Um die Vorstellung der Überlegenheit der Kaste auszumerzen, reinigte er das Haus eines Paria mit seinen langen, vernachlässigten Haaren. Wenn er in Meditation dasaß, setzten sich Vögel auf seinen Kopf und pickten in seinem Haar nach Körnern. Schlangen krochen über seinen Körper, und keiner war sich des anderen bewusst. Der Schlaf verließ ihn völlig. Bei Tag und Nacht huschten Visionen vor ihm vorbei. Er sah den Sannyasin, der früher den „Sünder“ in ihm getötet hatte, erneut aus seinem Körper kommen. Er drohte ihm mit dem Dreizack und befahl ihm, sich auf Gott zu konzentrieren. Oder der Sannyasin besuchte ferne Orte, folgte einem erleuchteten Pfad und überbrachte ihm die Berichte darüber, was sich dort ereignet hatte. Sri Ramakrishna sagte später, dass bei einem fortgeschrittenen Schüler der Geist selbst zum Guru wird und wie ein verkörpertes Wesen lebt und sich bewegt.

Rani Rasmani, die Gründerin des Tempelgartens, starb 1861. Nach ihrem Tod wurde ihr Schwiegersohn Mathur der alleinige Nachlassverwalter. Er übergab sich und sein Vermögen Sri Ramakrishna und begann, für dessen körperliches Wohlbefinden zu sorgen. Sri Ramakrishna sagte später über ihn, dass er einer der fünf „Lieferanten“ gewesen sei, die die Göttliche Mutter für ihn bestimmt hatte. Wenn immer er einen Wunsch hatte, erfüllte Muthar ihn ohne Zögern.

Die Brahmanin

Zu dieser Zeit kam eine Brahmanin [die Brahmanin Bhairavi] nach Dakshineswar, die eine bedeutende Rolle bei Sri Ramakrishnas spiritueller Entfaltung spielen sollte. Sie war in Ostbengalen geboren und im Tantra und in den vishnuitischen Methoden der Verehrung bewandert. Sie war etwas über fünfzig, gutaussehend und trug das orangefarbene Gewand einer Nonne. Ihr einziger Besitz bestand in einigen Büchern und zwei Kleidungsstücken.

Sri Ramakrishna hieß die Besucherin respektvoll willkommen, beschrieb ihr seine Erfahrungen und Visionen und erzählte ihr, dass die Leute glaubten, dass es sich um Symptome von Verrücktheit handelte. Sie hörte ihm aufmerksam zu und sagte: „Mein Sohn, jeder in dieser Welt ist verrückt. Einige sind verrückt nach Geld, einige nach leiblichem Wohl, einige nach Namen und Berühmtheit, und du bist verrückt nach Gott.“ Sie versicherte ihm, dass er die fast unbekannte spirituelle Erfahrung, die in den Schriften als Mahabhava, der erhabenste Liebesrausch, bekannt ist, durchlief. Sie sagte ihm, dass in ihnen neunzehn physische Symptome beschrieben werden, in denen sich diese extreme Begeisterung äußert, Weinen, Zittern, Gänsehaut, Schwitzen und ein brennendes Gefühl eingeschlossen. Sie erklärte, dass die Bhakti-Schriften nur zwei Beispiele für diese Erfahrung anführen, nämlich Sri Radha und Sri Chaitanya.

Schnell entwickelte sich eine zarte Beziehung zwischen Sri Ramakrishna und der Brahmanin. Sie betrachtete ihn als das Baby Krishna und er sie als Mutter. Täglich beobachtete sie seine Ekstase während des Kirtan und der Meditation, sein Samadhi, seine verrückte Sehnsucht, und sie erkannte in ihm die Kraft, Spiritualität auf andere zu übertragen. Sie kam zum Schluss, dass solche Dinge für einen gewöhnlichen Verehrer nicht möglich seien, nicht einmal für eine hochentwickelte Seele. Nur eine Inkarnation Gottes war zu solchen spirituellen Manifestationen fähig. Sie erklärte öffentlich, dass Sri Ramakrishna wie Sri Chaitanya eine Inkarnation Gottes sei.

Als Sri Ramakrishna Mathur erzählte, was die Brahmanin über ihn gesagt hatte, schüttelte Mathur zweifelnd den Kopf. Er wollte ihn nicht als Inkarnation Gottes akzeptieren, als einen Avatar, der mit Rama, Krishna, Buddha und Chaitanya vergleichbar war, obwohl er zugab, dass Sri Ramakrishna außerordentlich spirituell war. Daraufhin bat die Brahmanin Mathur, eine Zusammenkunft von Gelehrten zu organisieren, die diese Angelegenheit mit ihr diskutieren sollten. Er stimmte ihrem Vorschlag zu, und das Treffen wurde organisiert. Es sollte im Natmandir vor dem Kali-Tempel stattfinden.

Es wurden zwei berühmte Gelehrte der damaligen Zeit eingeladen: Vaishnavcharan, der Führer der vishnuitischen Gesellschaft, und Gauri. Als erster traf Vaishnavcharan in Begleitung von angesehenen Schülern und Verehrern ein. Die Brahmanin teilte ihm wie eine stolze Mutter ihre Ansicht mit und belegte sie mit Schriftzitaten. Als die Gelehrten die tief theologische Frage erörterten, saß Sri Ramakrishna völlig gleichgültig, was um ihn herum geschah, in ihrer Mitte wie ein Kind. Er war gedankenverloren, lächelte manchmal, kaute hin und wieder eine Prise Gewürze aus einem Beutel oder schubste Vaishnavcharan und sagte: „Sieh her, manchmal ist mir auch so zumute.“ Bald stand Vaishnavcharan auf und erklärte, dass er völlig mit der Brahmanin übereinstimme. Er erklärte, dass Sri Ramakrishna zweifelsohne Mahabhava erfahren habe und dass dies das sichere Zeichen für die seltene Manifestation Gottes in einem Menschen sei. Die Leute, die sich versammelt hatten, besonders die Beamten des Tempelgartens, waren sprachlos. Sri Ramakrishna sagte zu Mathur wie ein Junge: „Stell dir nur vor, er sagt das auch! Ich bin froh zu erfahren, dass es sich also doch um keine Krankheit handelt.“

Als wenige Tage später Pundit Gauri ankam, wurde ein weiteres Treffen abgehalten, und Gauri stimmte der Meinung der Brahmanin und Vaishnavcharans zu. Auf Sri Ramakrishnas Bemerkung hin, dass Vaishnavcharan ihn für einen Avatar hielt, meinte Gauri: „Ist das alles, was er über dich zu sagen hat? Dann hat er nur sehr wenig gesagt. Ich bin völlig davon überzeugt, dass du diese Quelle der spirituellen Kraft bist. Nur ein Bruchteil davon kommt von Zeit zu Zeit in Gestalt einer Inkarnation auf die Erde herunter.“

„Ach,“, sagte Sri Ramakrishna lächelnd, „du scheinst Vaishnavcharan darin noch zu überbieten. Was findest du in mir, dass du eine solche Vorstellung hegst?“

Gauri sagte: „Ich fühle es in meinem Herzen, und ich habe die Schriften auf meiner Seite. Ich bin bereit, es jedem zu beweisen, der mich herausfordert.“

„Gut“, sagte Sri Ramakrishna. „Das sagst du, aber glaube mir, ich weiß nichts davon.“

Somit wurde durch den Urteilsspruch der großen Gelehrten der damaligen Zeit verkündet, dass der geisteskranke Priester eine göttliche Inkarnation war. Seine Visionen waren nicht das Ergebnis eines erhitzten Gehirns. Es gab sie bereits früher in der spirituellen Geschichte. Und wie hat diese Proklamation Sri Ramakrishna beeinflusst? Er blieb das einfache Kind der Mutter, das er seit dem ersten Tag seines Lebens gewesen war. Jahre später, als ihm berichtet wurde, dass zwei seiner verheirateten Schüler ihn offen als göttliche Inkarnation bezeichneten, sagte er mit einer Spur von Spott: „Glauben sie, meinen Ruhm auf diese Weise zu vergrößern? Der eine von ihnen ist Schauspieler und der andere Arzt. Was wissen sie schon über Inkarnationen? Vor Jahren haben Gelehrte wie Gauri und Vaishnavcharan erklärt, ich sei ein Avatar. Sie waren große Gelehrte und wussten, was sie sagten. Aber das hat mich überhaupt nicht verändert.“

Sri Ramakrishna lernte sein ganzes Leben lang. Er zitierte oft für seine Schüler einen Spruch: „Freund, je länger ich lebe, desto mehr lerne ich.“ Als die Aufregung, die die Erklärung der Brahmanin bewirkt hatte, sich gelegt hatte, machte er es sich zur Aufgabe, die spirituellen Disziplinen nach den traditionellen Methoden des Tantra und der vishnuitischen Schriften zu üben. Bisher hatte er sein spirituelles Ideal verfolgt, indem er der Stimme seines eigenen Geistes und Herzens gefolgt war. Jetzt akzeptierte er die Brahmanin als seinen Guru und betrat die traditionellen Wege.

Tantra

Nach dem Tantra5 ist Chit oder Bewusstsein die höchste Wirklichkeit. Sie ist identisch mit Sat oder Sein und mit Ananda oder Seligkeit. Diese höchste Wirklichkeit, Satchidananda, absolute Existenz-Erkenntnis-Seligkeit, ist mit der Wirklichkeit identisch, die die Veden predigen. Und der Mensch ist mit dieser Wirklichkeit identisch, hat aber unter dem Einfluss von Maya oder der Täuschung sein wahres Wesen vergessen. Er hält eine rein scheinbare Welt von Subjekt und Objekt für wirklich, und dieser Irrtum ist die Ursache seiner Bindung und seines Leidens. Das Ziel der spirituellen Übung ist die Wiederentdeckung seiner wahren Einheit mit der göttlichen Wirklichkeit.

Um dieses Ziel zu erlangen, schreibt das Vedanta eine streng negative Methode der Unterscheidung und Entsagung vor, die nur von wenigen, die einen scharfen Verstand und unerschütterliche Willenskraft besitzen, befolgt werden kann. Aber Tantra berücksichtigt die natürliche Schwachheit der Menschen, ihre niedrigen Begierden und ihre Liebe für das Konkrete. Es kombiniert Philosophie mit Ritualen, Meditation mit Zeremonien, Entsagung mit Genuss. Der zugrundeliegende Zweck ist, den spirituellen Sucher allmählich darin zu trainieren, über seine eigene Identität mit dem Höchsten zu meditieren.

Der durchschnittliche Mensch will die materiellen Gegenstände der Welt genießen. Das Tantra