Die Brandung – Moorengel - Karen Kliewe - E-Book
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Die Brandung – Moorengel E-Book

Karen Kliewe

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Beschreibung

Das grausame Geheimnis vom Thorsberger Moor Frische Krimispannung von der Ostsee von Karen Kliewe: Dieses sympathische Ermittler-Team im deutsch-dänischen Grenzgebiet ist für alle Leser*innen von Eva Almstädt. Hochsommer im deutsch–dänischen Grenzgebiet der Flensburger Förde. Fria Svensson, Leiterin des dänischen Museums für Archäologie, erhält mysteriöse Post: ein skelettierter menschlicher Finger, gefunden im nahegelegenen Thorsberger Moor, einem uralten Opferplatz. Doch die Knochen sind eindeutig neueren Datums. Fria schaltet die deutsche Polizei in Norgaard ein. Tatsächlich entdeckt das Team um Hauptkommissar Ohlsen Ohlsen sechs Moorleichen mit eingeritzten mysteriösen Zeichen auf den nackten Körpern. Das Werk eines Serientäters? Die eiligst gegründete SOKO Bog Body nimmt die Ermittlungen auf, und Frias Fachwissen ist gefragt. Zeitgleich geht bei der Polizei eine Vermisstenmeldung ein: Die siebenjährige Tilda ist verschwunden, von der überforderten Mutter viel zu spät bemerkt. Ohlsen weiß, jede Minute zählt, doch die sofort eingeleitete Suchaktion bleibt erst mal erfolglos ... Der Auftakt der Krimi-Reihe um die dänische Archäologin und Polizeiberaterin Fria Svensson.

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Seitenzahl: 463

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Über das Buch

Hochsommer im deutsch–dänischen Grenzgebiet der Flensburger Förde.

Fria Svensson, Leiterin des dänischen Museums für Archäologie, erhält mysteriöse Post: ein skelettierter menschlicher Finger, gefunden im nahegelegenen Thorsberger Moor, einem uralten Opferplatz. Doch die Knochen sind eindeutig neueren Datums. Fria schaltet die deutsche Polizei in Norgaard ein. Tatsächlich entdeckt das Team um Hauptkommissar Ohlsen Ohlsen sechs Moorleichen mit eingeritzten mysteriösen Zeichen auf den nackten Körpern. Das Werk eines Serientäters? Die eiligst gegründete SOKO Bog Body nimmt die Ermittlungen auf, und Frias Fachwissen ist gefragt. Zeitgleich geht bei der Polizei eine Vermisstenmeldung ein: Die siebenjährige Tilda ist verschwunden, von der überforderten Mutter viel zu spät bemerkt. Ohlsen weiß, jede Minute zählt, doch die sofort eingeleitete Suchaktion bleibt erst mal erfolglos …

Karen Kliewe

Die Brandung

Moorengel

Kriminalroman

PROLOG

Er hasste den Sommer.

Schwer atmend mühte er sich vorwärts. Der Stoff klebte an seiner schweißbenetzten Haut, wieder einmal. Diese Hitze! Sein ohnehin voluminöser Körper sog sich voll Wasser, schwoll an und machte jeden Schritt, jede Bewegung zur Tortur. Beinahe ebenso sehr hasste er das Moor mit seinen Hexapoden. Mürrisch kratzte er sich die Stirn. Der penetrante Geruch, der aus den Poren seiner klebrigen Haut strömte, schien für dieses kleine ekelhafte Getier unwiderstehlich. Selbst jetzt, im Dunkeln, spürte er ihre winzigen Beinchen und die nach Blut gierenden Rüssel.

Plötzlich brach er ein.

Ein Wunder, dass er sich abfangen konnte. Leise fluchend richtete er das Licht seiner Kopflampe nach unten. Der rechte Fuß steckte in einem Erdloch. Mühsam stützte er sich auf dem Gerät ab, zog den Fuß heraus und drehte ihn prüfend hin und her.

Ein Blick zurück. Hinter ihm eine schwarze Wand – der Wald.

Keine Zeit! Schwerfällig setzte er sich wieder in Bewegung. Noch war er allein. Doch das konnte sich jederzeit ändern.

 

Endlich!

Vor ihm öffnete sich die Landschaft. Der Himmel gab sein tiefes Schwarz auf, überließ stattdessen dunklem Blauviolett die Vorherrschaft. Ein feiner pinkfarbener Streifen kündete von Morgendämmerung. Scherenschnitte aneinandergereihter Baumkronen spiegelten sich in der dunklen, blanken Oberfläche des Sees, sich mühsam aus der nächtlichen Umklammerung schälend. Nichts davon beeindruckte ihn. Er wusste nur eins: Ab jetzt würde es einfacher werden.

 

Wenige Minuten später glaubte er eine passende Stelle gefunden zu haben. Er schaltete die Sonde ein und begann mit der Suche. Nie zuvor hatte sich der See so weit zurückgezogen. Wenigstens etwas Gutes, das diese elendige Hitze der letzten Wochen bewirkt hatte. Langsam schritt er das trockengelegte Areal ab.

Er spürte, dieses Mal würde er etwas finden!

 

In den letzten vierzig Minuten war sein Puls mehrfach in die Höhe geschnellt – bei jedem Aufheulen des Metalldetektors. Je öfter er enttäuscht wurde, desto verbissener suchte er. Bald würden andere kommen. Andere wie er, Spaziergänger, Foto-Fetischisten und Touristen. Die Sonne hatte ihr Tagwerk begonnen und das Moor entblößt.

 

Seine abgewetzten Schuhe im Morast, bis zu den Schienbeinen im Wasser, durchpflügte er den für heute letzten Streifen. Wie konnte es sein, dass ein derart geschichtsträchtiger Ort sich ihm so vehement verwehrte? Zuhauf müssten sie zum Vorschein kommen, die Schätze der Vergangenheit! Warum konnte es ihm nicht ein Mal gewogen sein – das Glück, das immer nur die anderen traf? Er schnaufte vor Anstrengung. Die Luft stand. Kein Windhauch regte sich und verschaffte seinem aufgeheizten Körper Erleichterung. Wütend schlug er sich mit der flachen Hand in den Nacken. »Scheiß Viecher!«

Der Metalldetektor jaulte auf. Wie erstarrt blieb er stehen. Dieses Gefühl der Erregung – wie er es liebte! Er ging in die Hocke, ignorierte, dass er halb im Wasser saß. Seine rechte Hand durchwühlte gierig den schlammigen Grund. Was mochte es sein? Schmuck, Münzen oder gar die kriegerischen Zeugnisse einer Schlacht? Nie zuvor hatte jemand diesen Grund absuchen können, so weit draußen auf dem See. Seine Zunge fuhr immer wieder zuckend über die Wulst seiner Unterlippe.

»Zeig dich endlich!«, murmelte er, ließ sich nach vorn auf die Knie fallen und grub versessen weiter. Sehen konnte er in dem aufgewühlten schlammigen Wasser nichts.

Plötzlich blieben seine Finger hängen. Instinktiv zuckte er zurück. »Was zum Teufel …«

EINS

Gab es etwas Schöneres, als auf diese Weise geweckt zu werden? Genüsslich knurrend drehte sie sich auf den Rücken. Warme, feuchte Küsse benetzten die Haut ihres Arms und der Halsbeuge, arbeiteten sich hoch bis in ihr Gesicht.

Feuchte Küsse?

Ruckartig hob sie den Kopf.

»Bølle, nein! Lass das!« Liebevoll schob sie die Schnauze ihres Mischlingsrüden zur Seite und setzte sich auf. Sie gähnte und riskierte einen Blick auf den Wecker.

»Åh nej!«

Wie von der Tarantel gestochen sprang sie aus dem Bett, schlüpfte aus Boxershorts und T-Shirt und rannte ins Bad.

Ausgerechnet heute! Wieso hatte dieser verdammte Wecker nicht geklingelt?

Bølle hüpfte aufgeregt um sie herum. Dass er das auf drei Beinen tat, störte weder ihn noch seine beiden Mitbewohner.

Zum Duschen blieb keine Zeit.

Das Spiegelbild sagte etwas anderes. Ihr schulterlanges dunkelblondes Haar folgte weder der Gravitation noch einem erkennbaren Muster. Während die eine Hand die Zahnbürste schwang, versuchte die andere das vogelnestähnliche Gebilde auf ihrem Hinterkopf zu entwirren. Gleichzeitig flitzte sie einen Raum weiter, riss die Tür auf und blieb vor dem riesigen Bett ihres Mitbewohners stehen.

»Mohtnh? Bischd du uach?«

Bølle bellte und sprang zu Marten auf die Decke.

Sie rannte zurück ins Bad, spuckte den Schaum aus, spülte kurz nach, hetzte in ihr Zimmer und riss den Kleiderschrank auf.

»Hej, Marten!«, rief sie. »Sei so gut und geh mit Bølle! Ich hab voll verschlafen, müsste längst unterwegs sein.«

Die Wahl der Kleidungsstücke fiel genauso chaotisch aus, wie dieser Morgen begonnen hatte.

Als Fria Svensson in ihren alten R4 sprang und den Zündschlüssel herumdrehte, hoffte sie inständig, dass sie es nicht verbockt hatte. Es stand so viel auf dem Spiel! Die üblichen Suchschnitte auf dem Areal, auf dem die riesige Biogasanlage gebaut werden sollte, hatten nichts ergeben – tagelang. Erst kurz bevor das Grabungsteam abrücken sollte, waren sie fündig geworden. Zwei Gewandnadeln, ein paar Tonscherben und die Spuren eines Brunnens. Sie brauchten mehr Zeit! Die Stadt und der Bauträger sahen das garantiert anders. Fria hatte um dieses Treffen gebeten. Sie hatte gehofft, den Baubeginn noch etwas herauszögern zu können. Ihr blutete das Archäologinnenherz, wenn sie daran dachte, dass sich ab morgen Baumaschinen durch wertvolle Spuren menschlicher Geschichte fressen würden.

Viel zu schnell fuhr sie durch die beschaulichen Straßen von Klüfterhöft, dem Dorf an der Flensburger Förde, das sie vor knapp zehn Jahren zu ihrer Heimat gemacht hatte.

In einer Viertelstunde würde sie die deutsch-dänische Grenze erreicht haben.

*

Als Tilda die Wohnungstür hinter sich schloss und auf ihren kleinen Füßen den Bürgersteig entlanghüpfte, ahnte sie nicht, dass es das letzte Mal sein würde, dass sie das tat. Nie wieder würde sie auf die großen Ziffern ihres Weckers schauen, aus Angst zu verschlafen, und warten, bis er endlich klingelte. Nie mehr in die Kleidung schlüpfen, die sie sich tags zuvor bereitgelegt hatte, die abgewetzte Zahnbürste nehmen und über ihre kleinen Zähnchen gleiten lassen, um danach in der vergilbten Küche nach Essbarem zu suchen. Heute hatte sie Glück gehabt. Es hatte Brot gegeben und Marmelade – sogar ein wenig Butterkäse hatte sie gefunden. Den aber hatte sie lieber für ihre Mutter gelassen, hatte eine halbe Schnitte mit Erdbeergelee gegessen und die andere Hälfte zusammengeklappt in ihren ausgeblichenen Ranzen gesteckt. Sie hatte den Tag schon schlechter beginnen müssen.

Den Weg zur Grundschule kannte sie in- und auswendig. So früh morgens gab es keine Kinder auf den Straßen. Die kamen erst später. Aber Tildas Weg war lang. Aus der sanierungsbedürftigen Reihenhaussiedlung am Stadtrand bis hin zu ihrer Schule. Das Geld für die Busfahrkarte hatten sie nicht. »Du bist jung, hast zwei gesunde Füße! Vom vielen Sitzen wirst du fett und träge. Die Zuschüsse für einen Fahrschein könnten wir gut gebrauchen«, hatte ihre Mutter noch gesagt. »Blöd nur, dass sie einem die Kohle nicht einfach auszahlen. Vorstrecken! Was glauben die, wer ich bin? Krösus?«

Also ging Tilda zu Fuß.

An Tagen wie heute war es leicht. Ihr kleiner Magen gab Ruhe, die Luft war warm und die Sonne verscheuchte die bösen Schatten, die Tilda wintertags erschreckten. Lächelnd breitete sie ihre dünnen Ärmchen aus und rannte ein paar Meter. Die Luft strich zart durch ihr feines Haar.

Wie durch das meines Ponys. Lauf, Kleine Sonne!

Tilda lachte glücklich, als sie den warmen Hauch aus den Nüstern ihres tierischen Freundes auf ihrem Arm spürte. Das kitzelte! Sein Fell fühlte sich so weich und flauschig an. Beseelt blieb sie stehen und drückte sich ganz eng an seinen Hals. Kleine Sonne würde immer für sie da sein. Stundenlang ritten oder flogen sie durch die Welt, durch ihre Welt. Seine Stimme war immer freundlich, nie kam ein böses Wort.

Auch jetzt nicht.

»Wie wäre es, wenn wir fortgingen? Dorthin, wo es schön ist, wo die Sonne immer scheint?«

 

Den schäbigen Ranzen, der wie achtlos weggeworfen neben dem grauen Verteilerkasten lag, würdigte niemand eines Blickes. Darin: ein paar Buntstiftstummel, Bücher über Mathematik und Deutsch, ein Block, auf dessen Seiten jeder noch so kleine Platz beschrieben oder bemalt war, und ein halbes zusammengeklapptes Brot mit Erdbeergelee, über das sich nun die Ratten hermachen würden.

*

Der arrogante Villads verkörperte all das, was die breite Masse mit dem Klischee Naturhistoriker verband. Er kleidete sich ausnahmslos in den Farben Moosgrün, Braun-Ocker und Beige, trug jeden Tag dasselbe Paar Treckingsandalen und toppte das Ganze mit einem ungepflegten dichten Bart. So stand er im Bürotrakt des Ørerup-Museums, mitten im Gang, und erwartete Fria mit dem typischen Villads-Blick, den Kopf leicht nach hinten gelegt, von oben herab. »Du warst so bei dem Treffen? Wolltest du nicht ernst genommen werden?«

»Lass mich eben Luft holen«, murmelte sie und schob ihn beiseite, um vorbeizugehen. Auch wenn er in diesem Falle recht hatte, wollte sie bestimmt nicht mit einem wie Villads über die Wahl ihres Outfits diskutieren.

Er dackelte hinterher. »Was hast du erreicht?«

Fria öffnete die Tür ihres Büros, warf ihren Rucksack auf den Schreibtisch und drehte wieder um. »Darf ich mir erst mal einen Kaffee holen?«

Genervt trat er zu Seite. »Wenn die Dame dann so weit wäre, könnte sie uns verraten, für wie viele Tage wir das Grabungsteam einplanen können. Schließlich muss das Ganze organisiert werden.« Sein nach Zustimmung heischender Blick traf Alberte, die vor ihrem Büro wartete und zögerlich den Zeigefinger hob.

»Ich wusste gar nicht, dass du dich um die Einsatzpläne der Grabungen kümmerst.« Fria griff nach ihrer Tasse und goss sich Kaffee ein.

»Du hast es nicht durchgekriegt, oder? Haben sie überhaupt bemerkt, dass du da warst? Weißt du eigentlich, was das bedeutet?«

»Drei Tage. Plus das Wochenende. Mehr sitzt nicht drin.«

»Nur drei Tage? Na bravo! Dann wollen wir mal hoffen, dass wir nichts mehr finden! Durchsetzungskraft, Fria! Zu unserem Job gehört Durchsetzungskraft! Ein piepsiges ›Bitte, bitte‹ reicht da nicht.«

Mit Villads konnte man nicht streiten, an Villads konnte man sich nur abarbeiten. Also war Fria dazu übergegangen, seine Unverschämtheiten an sich abprallen zu lassen. »Danach schicken wir einen zur Beobachtung und Dokumentation. Also, falls wir sehen, dass es Sinn macht.«

»Fria …!« Alberte hob erneut den Zeigefinger.

»Die Bautrupps baggern alles weg, walzen den Rest platt. Was bitte willst du da noch dokumentieren?«, fiel Villads ihr ins Wort.

»Die Funde werden gesammelt und uns übergeben.« Fria machte sich auf den Weg in ihr Büro.

»Ich bin gespannt, wie du dem Grabungsteam die Wochenendarbeit verkaufen willst!«, rief er ihr hinterher, schüttelte den Kopf und blickte Alberte auffordernd an. »Das hat sie wieder super hingekriegt, oder? Mit ernst zu nehmender Archäologie hat das hier wohl kaum noch was zu tun.«

Fria ließ sich in ihren Bürostuhl fallen, schwang herum und blickte gedankenverloren aus dem Fenster. Die parkähnliche Landschaft, in die das dänische Museum eingebettet war, war gezeichnet von wochenlanger Hitze.

Als sie vor etlichen Jahren beschlossen hatte, die Ausbildung bei der Polizei abzubrechen, hätte sie nie damit gerechnet, dass der Job als Archäologin so viel Bürokratie bedeuten, so viel Kampf- und Kompromissbereitschaft erfordern würde. Man war nicht gern gesehen, war ein notwendiges Übel, das andere gern umgingen. Denn wenn die Archäologen anrückten, kostete es Geld. Baumaßnahmen mussten gestoppt, Termine konnten nicht gehalten werden. Den Nutzen blendete man gern aus, denn der konnte nicht in Umsatz gemessen werden. Dazu kam das jährliche Ringen um die Finanzierung der Grabungen, Gehälter, Ausstellungen und des Museums. Keiner wollte Gelder lockermachen für etwas, das kaum oder gar keinen materiellen Gewinn erbrachte. So fand sich nicht nur Fria immer öfter in der Rolle des Bittstellers wieder, in der des ungebetenen Gasts, den man so schnell wie möglich wieder loswerden wollte. Dabei war ihre Arbeit wichtig. Die Vergangenheit zu verstehen, brachte aufschlussreiche Erkenntnisse, die sich auch die heutige Gesellschaft zunutze machen konnte.

»Fria …?« Alberte Lind, Kunsthistorikerin und Archäologin, war die älteste Angestellte des kleinen Museums. Gewohnt steif und mit ausdrucksloser Miene verharrte sie im Türrahmen. »Wir haben eine E-Mail bekommen. Das solltest du dir ansehen.«

Im Gegensatz zu Villads hielt sich Albertes Redefluss grundsätzlich in Grenzen.

»Was Besonderes? Worum geht’s?« Fria fuhr ihren Rechner hoch.

*

Benno Kranich wollte nicht mehr. Er war siebenundfünfzig und hatte die Maloche satt. Arthrose in den Knien, die Bandscheiben zickten jeden Tag mehr und die Haut seiner Hände war gezeichnet von tiefen Rissen und schorfigem Gewebe, dem keine Creme der Welt Herr wurde. Die Arbeit in der Autowerkstatt hatte viele Spuren hinterlassen. Für ’nen Appel und ein Ei hatte er sich kaputtmalocht. Von der Rente, die davon abfiel, würde er seinen Ruhestand, den er wie nichts auf der Welt herbeisehnte, nicht stemmen können. Sein neuestes Hobby allerdings machte Hoffnung. Hätte er gewusst, wie viel Kohle man mit der Zucht solcher Viecher machen konnte, hätte er früher damit angefangen. Zu Beginn hatte er Lehrgeld zahlen müssen, hätte fast aufgegeben. Ständig nur Totgeburten. Woher sollte er auch wissen, dass Munchkins, eine Katzenrasse mit extrem kurz gezüchteten Beinen und langem Rücken, untereinander gepaart nicht lebensfähig waren? Eigentlich waren diese Dackelkatzen die Ausgeburt einer Erbkrankheit. Er grinste zufrieden, als er aus dem Bus stieg und den Heimweg antrat. Eine Erbkrankheit, die ihm den Lebensabend versüßen würde. Er dachte an die zwei Würfe bei ihm zuhause im Keller. Sieben Kitten hatten sie ihm gebracht. Für jede würde er tausendfünfhundert Euro verlangen – und auch kriegen. Acht Wochen mussten reichen, dann wäre er sie los. Interessenten gab es genug. Er rieb sich die Hände. So bald wie möglich sollte er seinen Katzen wieder etwas Spaß gönnen. Den passenden Kater hatte er schon ausgesucht.

*

Fria starrte auf den Monitor. Leider war die Auflösung des Fotos nicht gerade hoch. »Lag er schon in der Dose?«

Alberte zuckte mit den Schultern.

Fria zoomte ran, versuchte vergeblich, Details zu erkennen. Der Behälter war zwar vollkommen verrostet, aber definitiv neueren Datums. »Wahrscheinlich aus Weißblech … Wir müssen wissen, ob er in dieser Schatulle gefunden oder erst später hineingelegt wurde! Aber warum sollte man einen solchen Fund in einer rostigen Dose aufbewahren?«

»Weil alles andere ekelig wäre? Oder möchtest du sie danach als Tupperware für dein Gemüse weiternutzen?« Villads trat ein und stellte sich hinter die beiden, um auf den Monitor sehen zu können. »Und wenn du schon dabei bist, dem mysteriösen E-Mail-Schreiber Informationen aus den Rippen zu leiern, frag ihn doch gleich nach dem Fundort. Ob alt oder nicht, die Frage bleibt: Wo ist der Rest?«

Sehr geehrte Finderin, sehr geehrter Finder,

vielen Dank für Ihre Anfrage. Um eine genaue Auskunft über das Alter Ihres Fundes geben zu können, brauchen wir dringend mehr Informationen. Im Idealfall überlassen Sie uns das Stück für eingehende Untersuchungen.

Auch die Beantwortung folgender Fragen könnte Aufschluss bringen:

War die Auffindesituation wie abgebildet oder stammt die Dose von Ihnen?

Wo haben Sie das Stück gefunden? Wo liegt der genaue Fundort?

Ich würde mich sehr freuen, von Ihnen zu hören.

Mit freundlichen Grüßen

Fria Svensson

Ørerup-Museum

Nachdenklich hielt Fria inne und beobachtete den blinkenden Cursor. Die Chance, das Fundstück in die Hände zu bekommen, war denkbar gering. Wahrscheinlich war ein nicht autorisierter Sondengänger darüber gestolpert, der ganz genau wusste, dass sein Handeln illegal war. Der würde nicht aus der Deckung kommen. Nur zwei Wörter hatten in der Mail gestanden: Wie alt?

Und im Anhang das Foto mit der geöffneten rostigen Dose und dem darin liegenden Knochen eines abgetrennten Fingers. Eines menschlichen Fingers.

*

Ihre Wohnung war alt. Die hohen Decken waren mit Stuck versehen, die Fußböden mit Holzdielen und norddeutschen Fliesen belegt. Die Heizkosten überstiegen jeden Winter wieder ihre Vorstellungskraft. Der urige Kachelofen fing einiges wieder auf. Trotzdem war die Bude eine energetische Katastrophe. Jetzt, in diesem Jahrhundertsommer, dem dritten in Folge, war das Problem ein anderes. Sie hatten locker vierundzwanzig Grad in der Wohnung. Auch nachts. Das Gute war, sie lag direkt an der Flensburger Förde, sodass der Wind durch die großen Fenster hereinwehen und ein wenig Erleichterung bringen konnte.

Und dieser Ausblick! Fria hätte um nichts in der Welt tauschen wollen. Leisten konnte sie sich das nur, weil Jobs wie der ihre in Dänemark weitaus besser bezahlt wurden als in Deutschland und weil sie in Marten einen solventen und zuverlässigen Partner gefunden hatte. Nun ja, solvent war eigentlich Martens Vater, aber der würde nie aufhören, seinen Sohn zu unterstützen.

Schon im Flur hörte sie sie. Hohe Frauenstimmen, die ausgelassen schwatzten und kicherten. Seine Ateliertür stand offen. Schmunzelnd blieb Fria im Türrahmen stehen. Während Marten sich an der riesigen Leinwand austobte, großzügig leuchtend blaue Ölfarbe auftrug, saßen die drei weiblichen Bewunderer auf dem alten Biedermeiersofa – Bølle mitten zwischen ihnen. Fria fragte sich oft, wem sie mehr huldigten, ihrem Mitbewohner oder seiner Kunst. Marten war, wie er war. Anders. Bunt und lebensfroh und gleichzeitig sensibel und melancholisch. Er hatte Phasen. An manchen Tagen war er derart schwermütig, dass Fria Angst hatte, er könne in eine Depression verfallen, aus der er nicht wieder herausfände. An anderen tänzelte er leichtfüßig durchs Leben. Eines war immer gleich: Je extremer die Phase, desto kreativer sein Schaffen.

Bølle hatte Fria entdeckt. Er sprang vom Sofa und begrüßte sie stürmisch.

»Fria, mein Lieblingsmensch!« Martens dunkle Augen leuchteten. Er lachte unbefangen.

Die Damenriege hingegen blickte ungläubig zu ihr herüber. Nicht nur, dass sie allesamt deutlich jünger waren, besser angezogen als Fria waren sie allemal.

Was heute keine Kunst ist, dachte sie im Hinblick auf den hektischen Start in den Morgen. »Komm, du Rabauke, wir drehen eine Runde!« Sie griff nach der Leine und verließ mit Bølle die Wohnung.

*

»Du musst keine Angst haben, Kleine Sonne«, flüsterte Tilda, doch ihre Stimme zitterte. Sie dachte an Frau Sandner, ihre Klassenlehrerin. Sie würde sehr ärgerlich sein und Tilda ausschimpfen. Ob sie ihr eine schlechte Bewertung schreiben würde? Und Mama … Tilda wollte nicht, dass sie wieder weinen musste.

»Komm hier rüber! Zu mir!«, sagte der Mann.

»Wir sind einfach ganz brav. Dann wird alles wieder gut«, wisperte Tilda.

*

Erst am Mittag des nächsten Tages hatte Fria Zeit, sich der Mail zu widmen, die ihr der Finder des Knochens am Morgen geschickt hatte.

Finger war in Dose. Bei Spaziergang im Wald gefunden. Gibts Finderlohn?

Sie zog die Tastatur näher und tippte:

Sehr geehrte Finderin, sehr geehrter Finder, da die Dose augenscheinlich jüngeren Datums ist, muss demnach auch der Finger einem Menschen gehören, der in den letzten Jahrzehnten gelebt hat. Es wäre sicher gut, wenn Sie den Fund der Polizei übergäben, möglichst mit einer genauen Beschreibung des Fundorts, damit ein Gewaltverbrechen ausgeschlossen werden kann. Gern können wir vermittelnd tätig werden, wenn Sie das wünschen.

Mit freundlichen Grüßen

Fria Svensson

Ørerup-Museum

Dann griff sie zum Hörer und rief ihren Vater Eskild auf der Wache an.

»… und ich bezweifle, dass der Typ sich bei der Polizei meldet. Eher schmeißt er die Dose mit dem Knochen einfach weg«, beendete sie ihren Bericht.

Eskild brummte zustimmend. »Und du glaubst, er ist Deutscher?«

»Er oder sie. Däne jedenfalls nicht. Könnte natürlich sein, dass er, ich bleib der Einfachheit halber mal bei er, hier in Dänemark arbeitet.«

»Ein Grenzpendler.«

»Oder der Fundort liegt in Deutschland und er hat sich an uns gewandt, weil er glaubte, wir seien fachlich gesehen die richtige Anlaufstelle.«

»Möglich. Leite die Mail an mich weiter. Vielleicht kriegen wir raus, von wem sie kommt.«

»Du bist ein Schatz!«

»Das in jedem Fall! Jais lässt fragen, wann du uns mal wieder besuchst.«

Fria hörte eine Stimme aus dem Hintergrund rufen. »Der alte Mann lügt! Aber wenn du schon kommst, bring Kuchen mit!«

Fria lachte. »Sag meinem kleinen Brüderchen, Kuchen gibt’s nur, wenn er mir den Absender der Mail bringt!«

 

Kopfschüttelnd legte sie auf. Was für eine Familie! Lauter Polizisten. Kein Wunder, dass Fria sich auch erst darin versucht hatte. Nach knapp zwei Jahren hatte sie geschmissen. Die Hilflosigkeit hatte sie aufgefressen. Zu sehen, wie sie immer wieder an dieselben Türen geklopft hatten, die Folgen der häuslichen Gewalt vor Augen, und so gut wie nichts hatten tun können, um die Opfer zu schützen – das hatte sie fertiggemacht. Drogensüchtige Teenager, die von Gleichaltrigen angefixt wurden, misshandelte Frauen, die immer wieder zu ihren Peinigern zurückkehrten, organisierte Banden, die vor ihren Augen ihren kriminellen Machenschaften nachgingen, denen einfach nicht genug nachgewiesen werden konnte, um sie länger aus dem Verkehr zu ziehen … Fria hatte schließlich aufgegeben. Den Begriff Cold Case hatte es in der Eisenzeit mit Sicherheit nicht gegeben, menschliche Abgründe dagegen schon. Und so hatte sie ins Fach Archäologie gewechselt. Für ihre drei Brüder und den Vater schien eine Laufbahn bei der dänischen Polizei genau das Richtige.

Nachdenklich betrachtete sie das Foto von dem abgetrennten Fingerglied. Was dem Menschen wohl passiert sein mochte? Sie dachte an die Männer, die im Sägewerk arbeiteten. Gerade früher war es in einigen Berufen häufiger zu abgetrennten Gliedmaßen gekommen. In der Holzverarbeitung hatte schon so manche Kreissäge mehr als nur den Werkstoff zerteilt.

Sie seufzte. »Nicht meine Baustelle! Apropos Baustelle …« Voller Tatendrang wandte sie sich dem Grabungsplan des Biogasareals zu.

*

Das Fell der beiden Muttertiere war längst nicht so schön wie das der Kitten. Aber das musste es auch nicht. Hauptsache die Kleinen waren flauschig und gut genährt.

Prüfend blickte Benno in die Boxen. Die Futterschalen waren leer.

»Bei dem, was ihr so fresst, müsstet ihr kugelrund sein«, murrte er und ließ ein paar Bröckchen Trockenfutter in die Näpfe kullern. Sofort sprangen die Katzen auf und machten sich darüber her. Als Benno das Licht löschte und die Tür hinter sich zuzog, war der Kellerraum erfüllt von ihren bettelnden Rufen.

Er ging nach oben und setzte sich vor seinen Rechner. Die Bewerberliste für die Kitten war lang. Er war versucht, den Preis noch ein wenig nach oben zu setzen. Ping! Wieder eine Mail. Dieses Mal von einer Frau. Er las.

»Aber natürlich wachsen die Kitten in einem behüteten Umfeld auf. Sie haben einen eigenen Koch, eine Nanny und werden jeden Tag spazieren gefahren«, raunzte er und lachte laut. »Ich liebe diese rührseligen Dummschwätzer, die ihre Viecher mehr lieben als ihre eigenen Blagen.«

*

Draußen war es noch hell. Heiß floss der Atem des Tages aus den Gebäuden und Straßen zurück in die Stadt. Auf dem ausgedörrten Boden knisterte und raschelte es unter suchenden Vogelkrallen. Hinter den dicken Wänden mit ihren tiefliegenden, total verdreckten winzigen Fenstern aber war die Welt eine andere. Dort war es so kühl, dass Tilda in ihrem knappen T-Shirt fror.

Sie verstand nicht, was der Mann dort tat. Oder warum. Sie hatte beschlossen, nicht zu fragen. Sie wusste, Erwachsene mochten es nicht, wenn Kinder zu viel fragten. Also umklammerte sie ihre dünnen Beinchen und schaute angsterfüllt zu.

Gerade putzte er Dinge.

Das tat Mama manchmal auch. Dabei fluchte sie meist. Oder sie weinte. Tilda wusste, dass es an ihr lag. Sie schwor sich jedes Mal, es besser zu machen. So gut, dass Mama nicht mehr weinen müsste.

Geduldig fuhr der Mann mit dem dreckigen Lappen über das glänzende Ding. Das schummrige Licht der maroden Deckenlampe schaffte es gerade so, den langen Tisch auszuleuchten, vor dem er stand. Den Rest des Raumes konnte sie nur erahnen. Tilda schaute lieber gar nicht so genau hin. Dunkle Ecken und die Bewohner, die dort hausten, machten ihr Angst.

Der Mann legte den glänzenden Gegenstand hin und griff nach etwas Langem. Das hatte viele gefährliche Zähne.

Tilda kniff die Augen zu und blinzelte hektisch. Keine Angst, Kleine Sonne! Das Ding wird uns nicht beißen. Wir müssen nur brav sein.

Plötzlich drehte der Mann sich zu ihr um. »Was willst du mal werden?«

Ihre Stimme war dünn, wie das erste Eis auf Winterpfützen nach einer mäßig kalten Nacht. »Groß.«

*

»Ohlsen?« Die Tür öffnete sich einen Spalt und Palle streckte seinen Kopf herein.

Polizeihauptkommissar Ohlsen hob den Kopf. »Hm?«

»Sarina Röddinghaus-Bruun. Sie wartet vorne.«

»Nicht schon wieder! Sag Sinje, sie soll sich darum kümmern!«

»Hat schon Feierabend.«

»Oltmann?«

»Telefoniert.«

Ohlsen sah den Kleinen erwartungsvoll an.

Doch der schüttelte demonstrativ den Kopf, meinte im Umdrehen: »Bin gar nicht mehr da!«, und verschwand im Flur.

»Palle!«

»Der Chef hat mir erst kürzlich verboten, weitere Überstunden anzuhäufen«, hörte Ohlsen ihn rufen.

»Was bin ich doch für ein beschissener Chef«, murmelte er und steuerte den Empfangsbereich an.

 

»Herr Ohlsen!«

»Frau Röddinghaus-Bruun, schön, Sie zu sehen.«

»Sie wollten mich unterrichten!«

»Richtig. Wenn es etwas Neues gibt.«

»Meine Mutter ist jetzt seit über einem Jahr verschwunden …«

»Zumindest hat sie sich so lange nicht bei Ihnen gemeldet.«

Sarina Röddinghaus-Bruuns Stimme wurde schrill. »Sie glauben also immer noch, sie habe sich absichtlich nicht bei uns gemeldet? Sie habe alles hingeschmissen und führe anderswo ein neues Leben? Haben Sie überhaupt schon irgendwas dafür getan, sie zu finden?«

»Wir haben alle uns zur Verfügung stehenden Mittel eingesetzt.«

»Ich habe nicht mitbekommen, dass Sie da draußen nach ihr gesucht hätten! Bei anderen werden Hundestaffeln eingesetzt. Warum nicht bei meiner Mutter?«

»Ihre Mutter hat sich ein Sabbatjahr genommen. Sie wollte um die Welt reisen.«

»Richtig! Ein Sabbatjahr, Betonung auf Jahr! Sie hätte längst wieder an ihrer Schule sein müssen. Oder glauben Sie, sie würde ihre Pension aufs Spiel setzen?«

»Das weiß ich nicht. Und hier liegt das Problem. Ich muss alle Möglichkeiten in Betracht ziehen. Auch die, dass Ihre Mutter nicht gefunden werden möchte. Sie ist erwachsen, alleinstehend. Ihr kann vieles widerfahren sein. Vielleicht hat sie auf ihrer Reise jemanden kennengelernt, für den es sich lohnt, das alte Leben aufzugeben, wer weiß?«

»Mutti würde uns so etwas nie antun!«

»Das glaube ich Ihnen. Und deswegen suchen wir auch weiter. Interpol ist verständigt. Überall hält man Ausschau nach Ihrer Mutter. Mehr können wir nicht tun. Es sei denn, Sie haben jemanden ausfindig machen können, der sie nach ihrer Abreise gesehen oder gesprochen hat? Irgendwas, wo wir ansetzen können?«

 

Zwei Stunden später schloss Ohlsen die Wache von Norgaard ab. Nachts war sie nicht besetzt. Dann war das nahegelegene Flensburg zuständig. Die Polizeistation dort platzte aus allen Nähten. Ganze Abteilungen waren ausgelagert worden. Zunächst hatte er geflucht, als sie ihn und sein Team in dieses Kaff versetzt hatten. Mit der Zeit sah er es als Privileg. Sie gehörten zum Flensburger Verein, waren gut vernetzt und bekamen Unterstützung, wenn nötig. Auf den Rummel der großen Wache konnte er gut und gern verzichten. Norgaard war beschaulich. Wenn er frische Luft brauchte, musste er nur das Fenster öffnen.

Sein Handy vibrierte leicht. Eine Nachricht von Lies.

Bin für ein paar Tage in Hamburg. Kuss-Emoji.

Mit einem warmen Gefühl im Herzen und leichtem Kribbeln im Unterleib dachte er an die vergangene Nacht. Es freute ihn, wie gut sie harmonierten. Sie gaben sich Freiräume, hielten sich zurück oder rissen den anderen einfach mit. Beim Sex. Alles andere lief aus seiner Sicht eher holprig. Aber daran wollte er jetzt nicht denken. Lieber an das, was sie gestern zu einer Einheit hatte verschmelzen lassen. Danach war sie an ihn geschmiegt eingeschlafen. Es hatte sich richtig angefühlt. Das tat es immer. Ohlsen wusste selbst nicht, was er erwartete. Vielleicht, dass sie sich eindeutiger zu ihm bekannte – zu einem Leben mit ihm.

Er stieg auf seinen Drahtesel und trat den kurzen Heimweg an.

*

Sie saßen auf dem großen Balkon ihrer Altbauwohnung. Selbst Schweigen ging mit Marten hervorragend. Bølle lag eingerollt zwischen ihnen und schlief.

Das Glas in Frias Hand glitzerte. Eiskalter Weißwein. Genau das Richtige bei dieser Hitze. Der Himmel leuchtete in kräftigem Gelborange, übermalte das Dunkelblau der See mit Braunnuancen. Es war absolut windstill.

»Keiner beherrscht die Kunst des Farbenspiels so wie die Natur«, schwärmte ihr Mitbewohner nach einer langen Zeit des Genießens.

»Hmm.«

»Gibt es was Neues zu dem schrecklichen Fund, diesem abgeschnittenen Finger?«

Fria musste lachen, als sie Martens angewiderten Blick sah. »Keine Ahnung. Mir erzählt ja keiner was. Moment …« Sie griff nach ihrem Handy und wartete, bis die Verbindung stand.

»Svensson.«

»Und hier ist deine dich liebende Tochter.« Sie aktivierte den Lautsprecher.

»Oh, zwei Anrufe in zwei Tagen. Du meinst wohl: meine neugierige Tochter.«

»Konntet ihr ihn ausfindig machen?«

»Den Wohnort von Santa Claus? Nein, tut mir leid. Du wirst deinen Wunschzettel wohl wie immer auf die Fensterbank legen müssen.«

Marten fing laut an zu lachen. »Hej, Eskild!«

»Hej, Marten. Was macht die Kunst?«

»Nun sag schon! Konntet ihr die Mailadresse zurückverfolgen? Bevor ich mir dieses Mal was ganz besonders Schauriges für dich zu Weihnachten ausdenke.«

»Konnten wir. Die deutschen Kollegen übernehmen.«

»Echt?« Enttäuscht ging Fria ihre Optionen durch.

»Der Absender sitzt in Deutschland. Da wir nicht wissen, wo sich die Fundstelle befindet, ist die Sache dort besser aufgehoben.«

»Aber du wirst doch bestimmt auf dem Laufenden gehalten, oder?«

»Na, so wichtig ist das Ganze nun auch nicht. Wie wär’s, wenn du dich einfach selbst schlaumachst? Ihr als Museum habt ein berechtigtes Interesse. Schließlich habt ihr das Ganze angestoßen. Bei der Suche nach dem Zuständigen haben sie mich an eine Außenstelle Flensburgs verwiesen, an einen Kommissar Ohlsen aus Norgaard. Das ist doch ganz in deiner Nähe.«

*

Tilda gähnte und krümmte sich fröstelnd zusammen. Sie atmete den säuerlich-modrigen Duft schimmeligen Holzes und dicker Dreckschichten ein. Träumte sie?

Sie schreckte hoch.

Nein! Sie war immer noch da. An diesem Ort.

Mühsam quälte sich Licht durch die blind gewordenen kleinen Fensterscheiben.

Sie war eingeschlafen. Obwohl sie sich so lange dagegen gewehrt hatte.

Mit zusammengekniffenen Augen tastete sie die Umgebung ab. War sie allein? Schemenhaft zeichneten sich die hölzerne Werkbank und zwei große Metallschränke ab, der lange Tisch, ein Dreibeinstuhl. In seiner Lehne: zwei Löcher. Die starrten sie böse an. Tilda presste ihre angewinkelten Arme an den Oberkörper, ihre Fäuste unter das Kinn. Sie wollte wegsehen, aber die grässlichen Augen ließen sie nicht los. Dabei musste sie so dringend Pipi.

»Hallo?« Ihre piepsige Stimme war selbst für sie kaum zu hören gewesen, also traute sie sich erneut: »Hallo?« Ob man ihr erlaubte aufzustehen? Sie wollte doch brav sein. Vielleicht durfte sie dann wieder nach Hause?

Auf zitternden Beinen stand sie da. Der Mann hatte ihr das Klo gezeigt, also das, was er als Klo benutzte. Ob sie einfach so hingehen durfte? Was, wenn nicht? Würde er ihr und Kleine Sonne dann wehtun? Ihr kleines Herz hämmerte wie wild. Gleich konnte sie nicht mehr anhalten. Wenn sie sich in die Hose machte, wie würde er wohl reagieren?

Tildas Mutter wurde dann immer sehr wütend. Sie riss ihr die nassen Kleider vom Leib und sagte viele schlimme Dinge. Einmal war sie so aufgebracht gewesen, dass ihre Hand in Tildas Gesicht geklatscht war.

Tilda wollte nicht, dass der Mann das auch tun musste. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sie wollte brav und mutig sein. Also tasteten sich ihre kleinen Füße langsam vorwärts. Der alte Steinfußboden war uneben, überall stand etwas herum. Vieles davon war nur zu erahnen. Immer wieder blieb sie stehen, lauschte und ließ ihre ängstlich aufgerissenen Augen suchen. Noch einmal rufen, das traute sie sich nicht.

Selbst Kleine Sonne hatte Angst. Das war das Schlimmste. Ihr Pony hatte nie Angst.

Eine kleine Unachtsamkeit weiter war es dann passiert. Sie stolperte über ein Dings aus Glas. Tilda wusste nicht, was sie umgeworfen hatte. Als es umfiel und auf dem holprigen Steinfußboden in tausend Stücke zerbrach, war es, als habe der große Lkw den Container angehoben, ganz hoch, so wie er es gleich um die Ecke von Tildas Zuhause immer tat, die Luken geöffnet und Hunderte von Flaschen mit schrecklichem Getöse in seinen Bauch fallen lassen.

Tilda stieß einen spitzen Schrei aus und hielt sich die Ohren zu. Vor Schreck leerte sich ihre Blase. Im gleichen Augenblick öffnete sich die schwere Stalltür, knarzte grausam wie ein wütendes Monster und – schickte einen Strahl gleißendes Licht auf Tildas jämmerliche Gestalt und das Zeugnis ihrer ungeheuerlichen Tat.

ZWEI

Bis Norgaard waren es keine zwanzig Kilometer. Fria hatte beide Seitenscheiben des R4 heruntergekurbelt und genoss den Fahrtwind. Elf Uhr in der Früh – und das Thermometer zeigte bereits sechsundzwanzig Grad. Ganz Europa ächzte unter der Hitze. Geregnet hatte es seit Monaten nicht. Die meisten Regionen meldeten besorgniserregend tiefe Pegelstände. Die ersten beklagten drohende Trinkwasserknappheit. Verrückt!

Sie bog auf den Parkplatz der Norgaarder Polizeistation.

»Dann wollen wir mal«, murmelte sie und verließ den Wagen.

*

»Da müssen Sie bitte zu uns auf die Wache kommen.« Sinje Cassuben lauschte in die Hörermuschel. »Hören Sie Frau …« Sie hielt inne, wartete auf die Antwort und fuhr dann fort: »Frau Dietrich. Wir brauchen genaue Informationen. Und ein Foto Ihrer Tochter!«

Ohlsen trat neben sie und blickte ihr fragend ins Gesicht.

Wieder hörte Sinje konzentriert zu.

»Nein, das geht leider nicht. Ja, ich versteh Sie ja! Trotzdem … Wie alt ist Ihre Tochter denn?«

Die Antwort schien die junge Polizistin zu beunruhigen.

»Sieben?«

Ohlsen runzelte besorgt die Stirn.

»Und seit wann ist sie verschwunden?«

Dann sah Ohlsen, wie sich Fassungslosigkeit auf dem Gesicht seiner Kollegin breitmachte.

»Sie wissen es nicht genau? Lebt die Kleine nicht bei Ihnen?«

Während des Zuhörens schüttelte Sinje entsetzt den Kopf. Ohlsen begann ungeduldig mit den Fingern zu trommeln.

»Nein, das können Sie nicht, Frau Dietrich! Wir kommen zu Ihnen! Wie ist Ihre Adresse?« Sinje lauschte. »Was? Wo wollen Sie jetzt hin? Und Ihre Tochter? Frau Dietrich …«

Vollkommen perplex starrte die Polizistin den Hörer an. »Aufgelegt!«

Während sie Ohlsen informierte, fegte Sinjes Kugelschreiber über das Papier. »Eine Ina Dietrich. Ihre Tochter Tilda ist verschwunden. Das Kind ist sieben Jahre alt.«

»Wie verschwunden?«

»Das weiß sie nicht.«

»Auf dem Schulweg, von zuhause, von unterwegs …«

»Das weiß sie nicht.«

»Wann?«

»Auch das weiß sie nicht.«

Auf Ohlsens Stirn bildete sich eine tiefe Zornesfalte. »Sie muss doch wissen, seit wann ihre Tochter abgängig ist! Das Kind ist sieben!«

Hilflos zuckte Sinje mit den Schultern. »Sie sagt, sie müsse jetzt arbeiten.«

»Wie bitte?« Fassungslos blickte Ohlsen seine Kollegin an. »Ihre kleine Tochter ist verschwunden und sie geht arbeiten?« Er stockte. »Glaubst du, die Mutter steht unter Schock?«

»Schwer zu sagen. Sie meinte, sie dürfe nicht zu spät kommen, sonst würde ihr gekündigt.«

»Adresse hast du?«

Sie nickte.

Eilig schnappte er sich sein Handy und bedeutete Sinje, ihm zu folgen. Die griff nach den Autoschlüsseln und lief ihm hinterher.

 

Als Fria die Wache betrat, wäre sie beinahe mit einem Pär-chen zusammengestoßen, genauer, mit dem voranstürmenden Mann.

Erschrocken blieben alle stehen.

»Ohlsen?«, rief eine Stimme aus dem Innern. Der Gerufene drehte sich um. »Deine Waffe!«

Fria sah den Polizisten hinter dem Tresen mit einem Gürtelholster wedeln.

Der Mann namens Ohlsen stöhnte und verdrehte genervt die Augen. »Ich hatte nicht vor, einen Massenmörder zu stellen«, murmelte er so leise, dass nur Fria ihn hören konnte. Dann drehte er um, lächelte und nahm das Holster entgegen. »Super, danke, Palle.«

»Hauptkommissar Ohlsen?« Sie ging beherzt auf ihn zu und streckte ihm die Hand entgegen. »Fria Svensson, Ørerup-Museum. Es geht um den Knochenfund, der abgetrennte Finger aus der Dose.«

Der Kommissar sah sie nicht einmal an, rannte an Fria vorbei und rief: »Palle, kümmerst du dich?« Dann waren er und seine Kollegin draußen.

Klar wusste Fria, wie oft es im Job eines Polizisten auf jede Minute ankam. Ein abgetrennter Finger dagegen lief nicht weg. Schon gar nicht, wenn die Zeit derart an ihm genagt hatte. Trotzdem war es nicht das schönste Gefühl, auf diese Weise ignoriert und stehengelassen zu werden.

Der Mann, den sie Palle nannten, kam ihr lächelnd entgegen. »Nis Reepschläger. Wie kann ich Ihnen weiterhelfen?«

*

Der Seniorenpark Fördeglück-Klüfterhöft hatte schon bessere Tage gesehen. Die Gebäude waren in die Jahre gekommen. Es wirkte abgelebt und lieblos. Das sollte sich bald ändern. Zumindest kündete ein riesiges Werbebanner an der Straße von umfangreichen Baumaßnahmen.

Die Ermittler parkten in der Nähe des Eingangs.

Schweigend folgten sie den Wegweisern. Der typische Geruch von Mensaessen, Desinfektionsmitteln und altem Gemäuer stieg ihnen in die Nase. Sinje fragte sich, warum es aus Großküchen immer so seltsam roch, während der verheißungsvolle Duft der Restaurants einen schon beim Eintreten vor Vorfreude sabbern ließ.

Ihr Ziel, der Speisesaal, bot zirka dreißig Seniorinnen und Senioren Platz. Und die Ersten hatten sich schon eingefunden. Zwei Damen halfen denen, die nicht allein zurechtkamen. Eine stand an der Essensausgabe und weitere zwei konnte Sinje durch die geöffnete Küchentür erkennen.

Ein Seitenblick auf ihren Chef zeigte ihr, wie angespannt er war.

»Frau Dietrich?«, sprach er die Nächststehende an.

Die schüttelte den Kopf und verwies auf die Frau an der Essensausgabe. Sie war jung – extrem jung, hatte kurzes blondiertes Haar, dessen dunkel nachwachsender Ansatz nach einer Auffrischung schrie, und lange künstliche Fingernägel in leuchtend Violett.

Ohlsen und seine Kollegin stellten sich vor den Tresen und hielten ihre Ausweise hoch.

»Frau Dietrich? Ohlsen und Cassuben von der Kriminalpolizei Flensburg. Ihre Tochter ist verschwunden?«

Die Frau nickte, hob aber nicht einmal den Kopf, sondern befüllte emsig in einer langen Reihe aufgestellte Teller mit Kartoffeln, Hackbraten, Möhrengemüse und dunkler Sauce.

Die Abwärme der Küche heizte den ohnehin gut temperierten Raum ordentlich auf. Ohlsen fand das unerträglich und hätte die Frau am liebsten mit nach draußen gezogen. »Wenn Ihre Tochter wirklich verschwunden ist, Frau Dietrich, sollten Sie jetzt mit uns reden und uns die genauen Umstände schildern – damit wir die Suchmaßnahmen starten können!« Er riss sich hörbar zusammen.

»Jetzt nicht! Sie sehen doch, was hier los ist!«, murmelte die Angesprochene und portionierte weiter.

Bevor ihr Chef platzen konnte, legte Sinje ihm beruhigend die Hand auf den Arm und ging zu einer der Mitarbeiterinnen, die neugierig herübersahen. »Seien Sie so nett und lösen Sie Frau Dietrich kurz ab? Wir haben etwas Wichtiges mit ihr zu besprechen.« Gleichzeitig hielt Sinje der erstaunten Frau ihren Ausweis unter die Nase.

»Ich, äh, … also eigentlich …«

»Sehr freundlich von Ihnen.« Sinje schob sie sanft Richtung Ausgabe.

»Ich muss das hier noch fertig machen. Die Chefin duldet keine Verzögerung.« Tildas Mutter ließ sich nicht beirren.

Sinje parkte die Kollegin neben Frau Dietrich und nahm dieser den Löffel ab. »Keine Angst! Wir sprechen mit Ihrer Chefin. So, nun kommen Sie mal mit!«

 

Sie nahmen den Lieferantenausgang und stellten sich in den Schatten einer Buche. Gelb-braune Blätter hingen kraftlos von ihren Ästen.

Ohlsen wischte sich den Schweiß von der Stirn. »So, dann erzählen Sie mal.«

»Tilda. Ich weiß nicht, wo sie steckt.«

»Wann haben Sie sie denn das letzte Mal gesehen?«

Die junge Frau dachte scheinbar angestrengt nach. »Die Schule. Die hat mich heute Morgen angerufen.«

»Frau Dietrich …« Ohlsens donnernder Bass zeigte an, wie es um seine Gemütslage stand. Wenn es um Kinder ging, war er extrem empfindlich.

Sinje grätschte dazwischen. »Was hat die Schule denn gesagt?«

»Dass Tilda nicht hingegangen ist.«

»Sie ist also heute nicht in der Schule angekommen?«

Tildas Mutter blickte immer wieder hektisch zur Tür. »Gestern und vorgestern auch nicht.«

Sinje hörte, wie ihr Chef geräuschvoll die Luft einsog. »Wie heißt die Schule?«

»Na, die Grundschule hier im Ort.«

»Den Namen der Klassenlehrerin wissen Sie aber?«

»Frau Sandner.«

»Und die hat Sie heute Morgen angerufen?«

»Vorher hat sie mich nicht erreicht.« Wieder ein hektischer Blick zur Tür.

»Tilda war also am Dienstag das letzte Mal in der Schule. Wann haben Sie sie denn das letzte Mal gesehen?«

Die junge Mutter knetete nervös ihre Finger. »Ja, auch dann. So ungefähr.«

»So ungefähr?« Ohlsens Blutdruck stieg sicher mit jedem Wort. »Wer hat sich in der Zwischenzeit um Ihre Tochter gekümmert? Wir bräuchten den Namen und den Kontakt.«

Die Befragte wurde immer nervöser. Ihre Augen bekamen einen verdächtigen Glanz. »Sie brauchen gar nicht so vorwurfsvoll zu gucken! Ich tu, was ich kann, gehe ständig arbeiten. Ich kann doch auch nichts dafür!«

»Wollen Sie uns damit sagen, dass Sie Ihre Tochter sich selbst überlassen haben? Drei Tage lang?« Die Augen des Kommissars funkelten unheilvoll.

»Frühmorgens von fünf bis acht bin ich im Discounter – Lebensmittel packen. Wenn ich nach Haus komm, ist sie schon weg zur Schule. Ich frühstücke dann und mach so Hauskram. Um elf muss ich hier sein und mich um die Essensausgabe der Alten kümmern, danach ist Küche aufräumen angesagt.«

»Wenn Sie nach Hause kommen?«

»Ist Tilda noch in der Schule. Ich ess Mittag und leg mich irgendwann schlafen.«

»Wann kommt Ihre Tochter nach Hause?«

»Um vier ist die OGS beendet.«

Ohlsens fragender Blick ließ Sinje antworten. »Offene Ganztagsschule.« Sie wandte sich wieder der Befragten zu. »Wie?«

»Watt wie?«

»Kommt sie nach Hause?«

»Zu Fuß.«

»Und dann?«

»Macht sie Hausaufgaben und so.«

»Aber da müssten Sie beide sich doch gesehen haben«, warf Ohlsen ein. »Haben Sie sich keine Sorgen gemacht, als Ihr Kind gestern und vorgestern von der Schule nicht nach Hause gekommen ist?«

»Nein. Ich mein, so ist das nicht. Meistens schlaf ich dann noch. Ich muss doch schon zu zehn wieder zur Tanke.«

»Wie bitte?« Jetzt war es an Sinje, die Fassung zu verlieren.

Ina Dietrich fing an zu weinen. »Glauben Sie, ich hab mir das ausgesucht? Ich komm doch sonst nicht rum!«

»Sie arbeiten also zusätzlich noch jede Nacht in einer Tankstelle? Von wann bis wann und bei welcher?«

»Von zehn bis vier.« Sie nannte Namen und Ort.

»Wie lange geht das schon so?«

»Ein paar Monate. Erst hatte ich nur den Supermarkt und das Altenheim. Und dann hörte ich, dass sie wen für die Nachtschicht an der Tanke suchen. Ich brauch das Geld!«

»Was ist mit dem Kindsvater?«

»Ist weg. Schon kurz nachdem die Kleine da war.«

»Gibt es denn keine Oma oder einen Opa?«

Die junge Frau schüttelte den Kopf.

Sinje seufzte. »Frau Dietrich! Ihre Tochter Tilda ist sieben, richtig?«

Ina Dietrich schniefte und nickte.

»Sie ist noch viel zu jung, um allein zurechtzukommen. Ein Wunder, dass es überhaupt so lange gut gegangen ist. Warum haben Sie sich keine Hilfe geholt?«

Nachdem sie keine Antwort erhielt, fuhr Sinje fort. »Könnte Tilda weggelaufen sein? Hat sie Freunde? Einen Platz, zu dem sie besonders gern geht?«

»Sie liebt Pferde.«

*

Die beschatteten Plätze im Außenbereich des Restaurants waren allesamt belegt. Auf den anderen hielt es niemand aus. Das Thermometer kletterte unbarmherzig auf neue Rekordwerte. Fria bestellte sich Fischbrötchen und Wasser zum Mitnehmen, ging ein paar Schritte, setzte sich auf den verbrannten Rasen unter einen Baum und blickte aufs Meer. Hier am Wasser ging sogar ein wenig Wind. Doch selbst der brachte keine Abkühlung. Im Gegenteil, er war fast schon unangenehm warm.

Polizist Palle hatte enttäuschend wenig zu berichten gehabt. Ja, der Absender der Mail war ermittelt, Wohnort inbegriffen. Man habe jedoch noch kein Gespräch mit der Person führen können.

»Warum das nicht?«, hatte Fria gefragt.

Es habe sich noch nicht ergeben.

Damit war das Thema für Herrn Reepschläger abgefrühstückt. Nach Abschluss der Ermittlungen könne man sich gern beim Museum melden und die Erkenntnisse teilen, hatte er noch angefügt und Fria freundlich verabschiedet.

Wäre der Fall doch nur in Dänemark geblieben! Bislang hatte sie es noch immer geschafft, ihren Brüdern Informationen zu entlocken. Alles wäre so einfach!

Gefrustet biss sie in ihr Fischbrötchen.

Ihr Handy wusste mal wieder genau, wann der unpassendste Moment für ein Telefonat gekommen war, und klingelte. Ihr Grabungsleiter!

Fria wischte sich hektisch Remoulade von Fingern und Kinn, kaute schneller und tippte auf Annehmen. »Leif! Was gibt’s?«

»Du solltest herkommen. Die Stelle ist goldrichtig!«

»Bin schon unterwegs …«, nuschelte sie, raffte ihre Sachen zusammen und eilte zum Parkplatz. Wenn Leif Worte wie goldrichtig benutzte, hatte das Biogasareal mehr zu bieten, als sie gehofft hatten.

*

Geert Holm war immer noch sauer. Nicht nur, dass er ausschließlich wertlosen Plunder gefunden hatte, jetzt stellte sich sein gruseliger Jahrhundertfund, der Finger einer Moorleiche, auch noch als neuzeitlich heraus! Was hatte diese dänische Museumstante geschrieben? »Die Dose ist nicht alt, also kann der Finger darin auch nicht alt sein.« Oder so ähnlich.

Zum wiederholten Mal kratzte er sich eine der vielen juckenden Stellen. Totgestochen hatten diese scheiß Viecher ihn. Und wofür? Er hatte einfach keine Lust auf eine weitere strapaziöse nächtliche Suchaktion. Eigentlich gab es nichts Schöneres, aber diese unsägliche Hitze verleidete ihm selbst das. Andererseits musste da was zu finden sein! Vielleicht hätte er nur ein paar Zentimeter weiter zur Seemitte hin suchen müssen.

Wie so oft in den letzten Stunden, überlegte er, ob und wie er den grausigen Fund doch noch zu Geld machen könnte.

*

»Vielen Dank, dass Sie sich Zeit für uns nehmen.« Ohlsen folgte der Lehrerin in einen leeren Klassenraum. Auf dem Flur war es mucksmäuschenstill. Hinter den vielen Türen jedoch, an denen sie vorbeigegangen waren, hatten sie Kinder und vereinzelt die erhobene Stimme einer Lehrerin gehört.

»Bitte!« Loreena Sandner wies auf zwei ziemlich kleine Sitzgelegenheiten.

Sinje und ihr Chef blieben lieber stehen.

»Wann haben Sie Tilda Dietrich hier in Ihrer Schule das letzte Mal gesehen?« Neugierig betrachtete Ohlsen den Raum, die kleinen Stühle, die selbstgemalten Bilder an den Wänden.

»Am Dienstagnachmittag. Ich habe die Kolleginnen befragt. Da sind wir uns einig.«

»War sie anders als sonst?«

Die Lehrerin schüttelte den Kopf. »Kann man nicht sagen.«

»Was für ein Kind ist die kleine Tilda? Aufgeweckt, impulsiv? Oder eher verschlossen?« Sinje zückte ihren Notizblock.

»Tildas Mutter ist alleinerziehend. Die Kleine kommt aus ärmlichen Verhältnissen. Obwohl sie ein liebes, nettes Kind ist, bleibt sie oft für sich. Ohne Verstand ist sie nicht, aber sehr verträumt. Ihr fehlt die Reife.«

»Hat sie vielleicht eine beste Freundin? Jemanden, mit dem sie öfter spielt?«

»Sie sitzt neben Greta. Greta Drömmel. Ich bezweifle allerdings, dass die beiden befreundet sind.«

»Ist Greta hier?«

Sandner nickte.

»Wir würden gern mit ihr sprechen. In Ihrer Gegenwart.«

Loreena Sandner zögerte. »Müssen Sie sich nicht zunächst das Einverständnis der Eltern einholen? Ich weiß, es ist wichtig, aber ich will keinen Ärger.«

Ohlsen fluchte innerlich.

»Wie wäre es, wenn Sie ihr zwei oder drei Fragen stellen würden? Wir setzen uns solange hinten in die Klasse«, schlug Sinje vor.

*

Benno Kranich war ein wenig aufgeregt. Die Interessenten würden sich heute vorstellen. Klar hätte er gern darauf verzichtet. Leider gab es für Haustürgeschäfte viel weniger Geld als für Kitten aus einer heimeligen Atmosphäre. Und von der wollten sich die zukünftigen Besitzer selbst ein Bild machen. Also hatte er einen Plan ausgeheckt. Seine Nachbarin, die alte Hilper, hatte ein Haus, das sich wunderbar eignete. Sie war fast taub und hielt sich ausschließlich in einem kleinen Teil der Wohnung auf. Dreimal am Tag kam der Pflegedienst. Benno hatte einen Schlüssel. Als fürsorglicher Nachbar schaute er ab und zu nach dem Rechten, versorgte sie mit Lebensmitteln und Medikamenten und Dingen des täglichen Bedarfs. Dafür steckte sie ihm Geld zu. Mit der Abrechnung des Einkaufs nahm es Benno nicht so genau. Die Alte konnte schließlich froh sein, dass er sich die Mühe machte. Den in die Jahre gekommenen Mercedes hatte er ebenfalls für sie vertickt. Für viertausenddreihundert. Erzählt hatte er ihr, er habe einen Tausender weniger bekommen.

Hilpers gute Stube war bestens geeignet. Alt, aber ordentlich und vor allem gemütlich. Da konnte seine eigene Bude nicht mithalten.

Benno hatte sich freigenommen an diesem Nachmittag. Er stellte eine große Wurfbox auf, die er aus Holzresten zusammengebaut hatte, bestückte sie mit Kissen, Plüschtierchen und Katzenspielzeug, das einzig der Präsentation diente, befüllte die Näpfe mit frischem Wasser und setzte eine der Katzen mit ihren Kitten hinein. Zuvor hatte sich die Mutter einmal richtig satt fressen dürfen. Ihr ständiges Gemaunze sollte die Begeisterung der zukünftigen Besitzer schließlich nicht stören. Im Zehnminutentakt hatte er sie bestellt. Sie sollten ruhig merken, dass es noch Mitstreiter gab und er, Benno, sich sorgfältig aussuchte, wem er seine kleinen Goldschätze anvertraute. Natürlich würden immer nur Personen eines Haushalts hereingelassen, schließlich sollten sich die Katzenmutter und die süßen Kleinen nicht zu sehr aufregen. Und kurz würde der Besuch ausfallen. Benno mimte den verantwortungsbewussten Katzenvater und – er gefiel sich in der Rolle.

Es klingelte. Das Ehepaar war begeistert von der heimeligen Wohnstube und dem Anblick der Kitten. Verzückt schlug die Frau die Hände vors Gesicht und seufzte.

»Wie alt sind die Kleinen jetzt?« Ihr Ehemann versuchte sich in sachlicher Konversation.

Benno lächelte milde und mogelte ein paar Tage hinzu.

*

»Ich versteh das nicht!« Ohlsen wollte sich gar nicht wieder einkriegen. »Irgendwer muss doch gesehen haben, was bei den Dietrichs abgeht! Die Schule, das Jugendamt …«

»Solange Tilda jeden Morgen im Unterricht gesessen hat und nicht außerordentlich aufgefallen ist … Die Schule kann sich nicht um alles kümmern. Sozial schwache Haushalte gibt es überall. Das heißt noch lange nicht, dass die Kinder gleich vernachlässigt werden. Und das Jugendamt? Das muss schon aufmerksam gemacht werden. Anscheinend hat die Kleine ihren Alltag ganz gut hingekriegt. Unglaublich, aber wahr. Du hast die Sandner doch gehört: Sie hatte immer ihre Hausaufgaben.«

»Ja, und keinerlei Sozialkontakte, keine Freunde. Diese Greta wusste absolut nichts über ihre Sitznachbarin.«

Sinje nickte traurig.

»Mein Gott, wir sind in Deutschland und nicht in irgendeinem korrupten Entwicklungsland, das nicht mal Aussagen darüber machen kann, wie viele Einwohner es hat! Wir sollten es doch wohl hinkriegen, unseren Kleinsten ein halbwegs normales Leben zu ermöglichen, oder?« Aufgebracht bearbeitete Ohlsen das Display seines Handys und hielt es sich ans Ohr. »Palle, ja. Wie viele Wagen sind raus? Alle Reithöfe und Bauernhöfe, die sich in erreichbarer Nähe des Fußwegs befinden!« Er hörte einen Moment lang zu. »Nein! Nachbarn, die infrage kommen, gibt es laut der Mutter nicht, Verwandtschaft auch nicht. Freunde hatte die Kleine wohl keine. Wie weit sind die Kollegen mit dem Schulweg?« Er wartete die Antwort ab und beendete das Gespräch. »Nicht mal den konnte die Dietrich bis ins Detail wiedergeben.« Er rieb sich den Schweiß von der Stirn.

»Sie ist selbst noch jung. Und vollkommen überfordert«, gab Sinje zu bedenken.

»Dann soll sie verdammt noch mal beim Sex besser aufpassen!«, polterte Ohlsen und schob ein resigniertes »Oder sich Hilfe holen!« hinterher.

»Kleine Fördestraße«, murmelte Sinje, nahm den Fuß vom Gas und schielte einem Straßenschild hinterher.

»Was?«

»Der Typ mit dem Finger in der Dose, der wohnt doch da, richtig?«

Eigentlich stand Ohlsen nicht der Sinn nach einem Gespräch mit einem freakigen Knochenfinder. Aber die Suche nach Tilda lief und jetzt, da sie schon mal hier waren … Er hob den Zeigefinger und schrieb einen Kreis in die Luft. Sinje wendete.

Keine zwei Minuten später standen sie vor der ermittelten Adresse eines gewissen Geert Holm.

*

Fria stöhnte. Hitze, überall Hitze. In den Büros des Ørerup-Museums war es nicht auszuhalten, und das, obwohl sie frühmorgens die Schotten dicht gemacht hatten. Wer konnte, hielt sich im Keller, im Archiv auf. Aber selbst da war die Wärme hingekrochen. Es war nicht ganz so schlimm wie in den oberen Etagen, dennoch, frisch ging anders.

Frias Sorge aber galt den Grabungsteams. Unter diesen Umständen war es unmenschlich, auf den Flächen zu arbeiten. Sie hatten Pavillons aufgestellt und literweise Wasser herangekarrt, trotzdem war heute jemand zusammengebrochen. Hitzschlag, Sonnenstich – wie immer der Volksmund den Aggregatzustand des Gehirns auch beschreiben mochte. Eigentlich hätten sie die Arbeit in die Nacht verlegen müssen. Hitze ja, glühende Sonne nein. Das war jedoch nicht ohne Weiteres machbar. Ausgrabungsassistenten gehörten nicht zur Gruppe der Schichtarbeiter, schon gar nicht der, die Nachtschichten abrechnen konnten. Die Verträge sahen so etwas schlichtweg nicht vor.

Fria öffnete eine weitere Flasche Wasser und trank ein paar große Schlucke. Die nächsten Tage versprachen keine Besserung. Sie würde die Arbeiten auf die frühen Morgenstunden und den späten Nachmittag beschränken müssen.

»Alberte? Ich geh nach Hause und arbeite dort weiter. Telefon ist umgestellt. Ich muss nach Bølle sehen. Die Wohnung gleicht bestimmt einem Brutkasten.«

*

Geert schälte sich aus seinem Bürostuhl.

Es hatte geklingelt. Wer konnte das sein? Er erwartete keinen Besuch. Genau genommen bekam er nie welchen. Die Paketdienste hatten aufgegeben, bei ihm zu klingeln, um die Lieferung für den Nachbarn loszuwerden.

Seine Wohnung war dunkel und unaufgeräumt. Die Jalousien heruntergelassen, damit so wenig Sonne wie möglich hereinkam. Zwei Standventilatoren brummten gleichmäßig vor sich hin.

Er trat ans Fenster und zog den Rollladen vorsichtig ein paar Zentimeter nach oben. Vielleicht ein neuer Fahrer? Er hielt Ausschau nach den typischen weißen, gelben oder braunen Vans der Paketzustellfirmen. Stattdessen entdeckte er eine schwarze Limousine. Innen auf dem Armaturenbrett: ein Blaulicht.

Polizei?

Wieder klingelte es. Fieberhaft versuchte er, sein träges Gehirn in Gang zu setzen. Was konnten die wollen? Er war nur selten draußen unterwegs. Nur zum Einkaufen und – für seine Sondengänge. Die waren illegal, das wusste er. War das der Grund? Hatte man ihn gesehen? War er angezeigt worden?

Er fluchte leise.

Vielleicht war alles ganz anders und die wollten gar nicht zu ihm?

Er wartete und lauschte.

Unten auf der Straße tat sich etwas. Eine Frau, ein Mann, sie gingen zu dem schwarzen Wagen. Die Frau blickte herauf, bevor beide einstiegen. Geert schreckte zurück. Unmöglich, dass sie ihn entdeckt hatte. Erleichtert registrierte er, wie die Limousine davonfuhr.

*

Benno Kranich rieb sich die Hände. Es war sensationell gelaufen.

»Warum findet man Sie nicht im offiziellen Züchterverzeichnis?«, war er gefragt worden.

Er hatte mild gelächelt und geantwortet: »Oh, ich züchte nicht wirklich. Das möchte ich meinen wunderbaren Kätzinnen nicht antun. Ständig Babys großziehen, nein, nein. Sie sollen einmal erleben dürfen, was es heißt, Mama zu sein. Danach werde ich ihnen diese anstrengende Prozedur nicht mehr zumuten. Ich möchte ja, dass sie ein glückliches, erfülltes und vor allem langes Leben führen. Deshalb werde ich die Kätzchen nur in absolut verantwortungsvolle Hände abgeben. Und nun kennen Sie auch den Grund für die hohe Abgabegebühr.«

Er hatte in begeisterte, glänzende Augen gesehen, in Gesichter, die ihm anerkennend zugenickt hatten. Er wusste, welche Knöpfe er drücken musste.

Sogar ein bisschen geflirtet hatte er. Tierliebe kam beim anderen Geschlecht gut an. Da eröffneten sich ihm ganz neue Möglichkeiten. Andererseits sollte er die Weiber nicht zu nah an sich ranlassen. Nachher flog er noch auf!

*

Geert Holm hatte lange hin und her überlegt. Dann war er zum Kühlschrank gegangen und hatte das Gemüsefach aufgezogen. Grünzeug war da eh nie drin. Und das Ding hatte angefangen zu stinken. Ihm unverständlich. Gab es doch kaum noch Fleisch an dem Knochen.

Seine Hand griff nach der rostigen Dose. Kurzentschlossen lief er damit zum Schreibtisch, wühlte so lange, bis er einen zerknitterten Umschlag gefunden hatte, beschriftete ihn, steckte seinen Jahrhundertfund hinein und machte sich auf den Weg. Das Ding würde ihm kein Geld bringen, und wenn man ihn wirklich angezeigt hatte und man würde den menschlichen Knochen bei ihm entdecken, wer wusste, was ihm dann blühte?

*

Ohlsen und Sinje betraten die Wache. Der Kommissar war vollkommen durch. Wie schaffte seine Mitarbeiterin es nur, trotz der Hitze auszusehen, als wäre sie gerade erst in den Tag gestartet?

Der Empfangsraum war leer, auch die Büros, deren Türen alle weit geöffnet waren: unbesetzt.

Stirnrunzelnd ging Ohlsen weiter. Aus seinem Zimmer, dem einzig geschlossenen, drangen Stimmen. Als er die Tür öffnete, verstummten sie. Zehn Augenpaare blickten ihn an.

»Moin Chef!« Palle fand als Erster die Sprache wieder. »Stört dich doch nicht, oder? Wir brauchten mal ’ne Abkühlung.« Er zeigte auf die Klimaanlage – die einzige in der gesamten Wache.

Langsam trollten sich die Kollegen. Oltmann schlug Ohlsen freundschaftlich auf die Schulter. »Kühl erst mal runter. Ich bring dir was Frisches. Die Brühe«, sagte er mit einem Nicken in Richtung einer halbvollen Wasserflasche auf dem Schreibtisch, »solltest du nicht mehr trinken.«

Ohlsen ging zu dem kleinen Waschbecken, dessen Nutzen er jahrelang infrage gestellt hatte, und schaufelte sich kaltes Wasser ins Gesicht. »Gibt’s ’ne Rückmeldung von den Jungs, die den Schulweg der kleinen Tilda absuchen?«, rief er Oltmann nach.

»Bis jetzt nichts«, schallte es zurück.

Ohlsen wurde übel bei dem Gedanken, dass das Mädchen seit vier Tagen von niemandem mehr gesehen worden war.

*