Die Brücke zwischen den Welten - Petra Oelker - E-Book

Die Brücke zwischen den Welten E-Book

Petra Oelker

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Beschreibung

Das goldene Licht Konstantinopels. Konstantinopel, anno 1906: In der pulsierenden Metropole am Bosporus begegnen sich Orient und Okzident, das Leben scheint sorglos, die Geschäfte der zahlreichen Europäer gehen gut. Ludwig Brehm, aus Hamburg angereist, um im Handelshaus Ihmsen & Witt alles über Orientteppiche zu lernen, ist fasziniert von dieser schillernden Welt – und von der zarten Engländerin Edie, der Ehefrau des Inhabers Richard Witt. An ihrer Seite erkundet Ludwig die Stadt, begleitet von der so schönen wie geheimnisvollen Milena, Pariserin mit russischen Wurzeln und undurchsichtigen Verbindungen. Doch dann kündigt sich Besuch aus Hamburg an, und Ludwigs neues Leben droht ihm zu entgleiten. Denn niemand weiß, dass auch er nicht der ist, der er zu sein vorgibt …

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Petra Oelker

Die Brücke zwischen den Welten

Roman

Über dieses Buch

Das goldene Licht Konstantinopels

 

Konstantinopel, anno 1906: In der pulsierenden Metropole am Bosporus begegnen sich Orient und Okzident, das Leben scheint sorglos, die Geschäfte der zahlreichen Europäer gehen gut. Ludwig Brehm, aus Hamburg angereist, um im Handelshaus Ihmsen & Witt alles über Orientteppiche zu lernen, ist fasziniert von dieser schillernden Welt – und von der zarten Engländerin Edie, der Ehefrau des Inhabers Richard Witt. An ihrer Seite erkundet Ludwig die Stadt, begleitet von der so schönen wie geheimnisvollen Milena, Pariserin mit russischen Wurzeln und undurchsichtigen Verbindungen. Doch dann kündigt sich Besuch aus Hamburg an, und Ludwigs neues Leben droht ihm zu entgleiten. Denn niemand weiß, dass auch er nicht der ist, der er zu sein vorgibt …

Vita

Petra Oelker, geboren 1947, arbeitete als Journalistin und Autorin von Sachbüchern und Biographien. Mit «Tod am Zollhaus» schrieb sie den ersten ihrer erfolgreichen historischen Kriminalromane um die Komödiantin Rosina, neun weitere folgten. Zu ihren in der Gegenwart angesiedelten Romanen gehören «Der Klosterwald», «Die kleine Madonna» und «Tod auf dem Jakobsweg». Zuletzt begeisterte sie mit zwei Romanen, die zur Kaiserzeit spielen: «Ein Garten mit Elbblick» und «Das klare Sommerlicht des Nordens» sowie mit «Emmas Reise», einer Road Novel in der Zeit nach dem 30-jährigen Krieg.

Für Eileen. Und Walter,

Christiane und Moni.

Aufrecht sein soll der Mensch, aber nicht aufrecht wie ein Minarett, sondern aufrecht wie eine Zypresse.

 

Alttürkische Lebensweisheit

Die Hauptpersonen

Ludwig Brehm, alias Hans Körner, Teppichverkäufer, stolpert in einer Hamburger Destille in ein neues Leben und reist nach Konstantinopel.

 

Milena Bonnard, Französin mit russischen Wurzeln, Gesellschafterin der Madame Labarie und auf der Suche; meistens fröhlich, gerät trotzdem in die Bredouille.

 

Alfred Ihmsen, Kommerzienrat, orientalisierter Preuße, Teppichhändler und -sammler, gerne großzügig, kennt Gott und die Welt auf beiden Seiten der Brücke, mag die multiethnische Gesellschaft am Bosporus.

 

Edith Witt, geb. Thompson, Witts zweite, geliebte und liebende Ehefrau, sie liebt auch ihren Flügel und Ägyptischen Jasmin, hat weite Träume, schließlich auch Pläne.

 

Richard Witt, Neffe & Kompagnon des Kommerzienrats, liebt (in noch ungewisser Reihenfolge) Edie, Teppiche, seine Kinder und die Türkei, das wilde weite Land.

 

Marianne und Rudolf Witt, die Kinder aus Richard Witts erster Ehe, sehnen sich nur nach ihrer verstorbenen Mutter.

 

Lydia Heinbroich, Tante und einzige Vertraute der Witt’schen Kinder, klug, vielleicht erfolgreich.

 

Charlotte Labarie, Französin, wohlhabende, stets etwas schläfrig erscheinende Witwe, liebt Tolstoi (nur literarisch) und ihr neues Grammophon, ein bisschen auch Milena B. (fast mütterlich).

 

Sergej Michajlow, russischer Maler, manchmal charmant, mit undurchsichtiger Vergangenheit und zweifelhafter Zukunft.

 

Leutnant Salih, mittlerer Sohn Ahmet Beys, liebenswürdig, hofft auf den Fortschritt, wird ohne sein Wissen eine wichtige Person.

 

Commander William Thompson, Royal Navy, britischer Harbourmaster, bisschen irisch, kennt erst recht Gott und wirklich die Welt, liebt seine Kinder und Enkel, so auch Tochter Edie, und seine Frau Mary; ist notfalls zu Schandtaten bereit.

Prolog

1920

Er war lange unterwegs gewesen. Die Tage, die Wochen, die Monate seit dem Aufbruch hatte er nicht gezählt. Nach vielen Umwegen lag das Ziel des Ritts nun vor ihm, die weite Bucht. Als junger Mann hatte er gerne betont, das Leben habe ihn in die schönste Stadt und an die schönsten Ufer des Universums geschickt. Wenn man die Größe des Universums bedachte, war das ein vermessener Satz, aber jetzt, im Schatten einer Zeder auf einem der Hügel über jener Stadt, sah er, dass es immer noch stimmte.

Damals war jede Minute von Bedeutung gewesen, obwohl die Menschen im Orient mit diesen Dingen sehr viel duldsamer waren als die aus dem Norden Europas. Der Norden Europas war ihnen das Maß aller Dinge gewesen. Wenn man dort, wo er jetzt herkam und vielleicht sogar zu Hause war, vom Norden sprach, waren Georgien oder auch nur eins der Täler hinter dem nächsten Bergmassiv gemeint. Manchmal Moskau. Von dort war viel Kälte gekommen, von einer anderen Art als von den Gipfeln des Kaukasus.

Die Minuten waren ihm längst nicht mehr wichtig, der Tag ging vom Morgen bis zum Abend, dann kam die Nacht. So war der Lauf. Er kannte sich mit den Jahreszeiten aus, auch mit den Monaten, er las in dem, was aus der Erde wuchs und verging, im Verhalten der Tiere, in den Wolken, besonders im Licht, dem Stand der Sonne und der Sterne. Er hatte viel Neues gelernt. In all der Zeit, seit er fort war.

Das ging ihm durch den Kopf, während er über dem Ufer bei Üsküdar stand, das er früher Skutari genannt hatte. Auch das ging ihm jetzt zum ersten Mal durch den Kopf, diese verschiedenen Namen in den verschiedenen Lebenswelten für denselben Flecken Erde.

Das Pferd schnaubte sanft, er spürte es an seiner Schulter, die Wärme, den vertrauten Geruch. Er winkelte den Arm an, um den starken Hals des Tieres zu umfassen, das Gefühl in seiner Armbeuge war ihm angenehm, auch das schon für den Winter bereite dichte Fell, dann gab er dem Pferd einen zärtlichen Klaps.

«Da drüben», murmelte er und wies vage nach dem noch weit entfernten anderen Ufer, «da drüben.»

Er sprach gerne mit seinem Pferd, und er wusste, das Pferd hörte ihm und seiner Stimme auch gerne zu. Da drüben – das war Konstantinopel. Istanbul. Auch Pera und Galata. Alles glich noch dem Bild in seiner Erinnerung: zuerst die stets bewegten Wasser des Marmarameeres, die Einfahrt in das Goldene Horn mit der Brücke, rechts der Bosporus – manche der Schiffe, die auf ihm fuhren oder nahe den Quais auf Reede lagen, sahen anders aus als damals –, dann die so vielfältig bebauten Ufer. Vor allem aber die mächtigen Kuppeln und Minarette der Moscheen, die Gärten mit den stolzen alten Bäumen. Nichts war zerstört worden, aber alles war größer und prächtiger, als er es in seiner Erinnerung bewahrt hatte. Womöglich lag es nur am Licht, der Herbst malte ganz eigene Bilder. Das galt im Kaukasus wie an der Pforte zu Europa.

Wieder schnaubte das Pferd. Er verstand die Ungeduld des Tieres, aber er teilte sie nicht mehr. Er war lange genug ungeduldig gewesen. Trotzdem hatte er auf seinem Ritt immer wieder Umwege genommen und sich einige Zeit aus diesem oder jenem Grund aufgehalten. Je näher er in all den Monaten seinem Ziel und dem Ende der Reise gekommen war, umso dünner war auch der letzte Rest der Ungeduld geworden. Er hatte sich nur ab und zu zur Eile ermahnt, weil es nützlich war, vor dem Winter anzukommen, um nicht Gefahr zu laufen, wie viele in den letzten Jahren zu verhungern oder zu erfrieren, Menschen und Tiere.

Einmal hatte er überlegt, auf dem Rückweg weiter südlich, entlang der alten Karawanenstraße zu reiten. Die Berge im Norden waren im Winter keine Option. Südlich verlief nun die Eisenbahnlinie, und Dörfer wucherten zu Städten. Er hatte die Aufenthalte in den Karawansereien immer vorgezogen, damals schon, die Gerüche und die Geräusche, die Kamele, Pferde und Maultiere, Herden, die Gesellschaften der Männer, Geschichten, die man sich am Feuer und unter den Arkaden um den Innenhof erzählte.

Er hatte gehört, in Mitteleuropa sei der Krieg wirklich zu Ende. Abermillionen Tote, Versehrte und Verschleppte. Hier war noch Krieg. Er war ihm in den letzten Monaten nicht oft begegnet. Wenn man schlau und wachsam war wie ein Fuchs, in der Stille nach langem Getöse die Zeichen kreisender Geier zu deuten verstand, in den Dörfern und auf den Plätzen am Feuer gut zuhörte, war es in der Weite der Landschaften möglich auszuweichen.

Er fasste die herabhängenden Zügel und schnalzte leise, was überflüssig war, das Pferd spürte seine Bewegung und bewegte sich mit ihm. Vielleicht sollte er dem Tier einen Namen geben, ihr gemeinsamer Ritt war lang genug gewesen. Sie waren im Frühsommer aufgebrochen, als es in der grünen Weite der Hochebenen und Täler klatschmohnrot geleuchtet hatte, auch gelb und violett, blau und weiß, als noch der Morgennebel in den Tälern gestanden hatte, lange vor der alles dörrenden Hitze der Sommerwochen. Die Namen der meisten Blüten kannte er nicht. Damals, als der Gang der Zeit und das Bücherwissen noch so wichtig gewesen waren, hätte er danach gefragt. Nun sah er die Schönheit, manchen Pflanzen gab er eigene Namen aus seiner Phantasie und fand es tröstlich, dass ihr Verblühen und Vergehen schon der Anfang ihrer Erneuerung und Wiederkehr war.

Schließlich gab er dem ungeduldigen Hufescharren des Pferdes nach – vielleicht sollte er es Üsküdar nennen, der Klang des Wortes hatte ihm schon immer gefallen – und führte es die Straße zum Anleger hinab. Ein Fährboot brachte sie beide hinüber und zurück in die Welt, die er gut gekannt und geliebt hatte. Er glaubte nicht, dass diese Welt auch aus der Nähe unverändert geblieben war. Nichts blieb auf Dauer unverändert, das war ein Gesetz der Natur. In die Berge und Täler des Kaukasus waren oft Nachrichten gekommen, Soldaten, Händler, Flüchtende, Hirten, Nomaden – alle wussten etwas, und in den Dörfern, den Gasthäusern und an den Lagerfeuern am Wege hatte er immer wieder Neues gehört, auch von manchem, das sich am Bosporus oder in Anatolien ereignet hatte. Jedoch nie, natürlich nie, wie es um den alten Konak und die Villa am Ende des Gartens stand.

Er unterschied sich nicht von den Männern, die im Hafen von Haydarpaşa und auf den Landgütern arbeiteten oder auf der Suche nach Lohn und Brot vom Land in die Stadt kamen und nach dem europäischen Ufer des Bosporus übersetzten. Er beherrschte die Sprache des Landes nun mit dem schrofferen Unterton des Ostens. Seine Hände waren rau und breit, seine Schultern ein wenig gebeugt, aber sicher stark genug für schwere Arbeit, das Gesicht mit der wulstigen Narbe über Wange und Augenbraue unter dem schon fast weißen Haar war von Wind, Sonne und Staub dunkel. Noch beachtete ihn niemand. Als er an Land ging, fühlte er sich unsichtbar, und so war es ihm recht.

1. Kapitel

Im Mai 1906

Der Zug legte sich ratternd in die gestreckte Kurve und schickte einen heulenden Pfiff in die Nacht. Der junge Reisende im letzten Coupé des dritten Waggons schreckte aus seinem Dösen auf und beugte sich zum Fenster. Die Vorhänge waren nicht zugezogen, er brauchte den weiten Blick in die vorbeiziehenden Landschaften, um sich nicht gefangen zu fühlen, selbst wenn sie in der nächtlichen Dunkelheit versanken.

Er war unterwegs, hinaus in die Welt und eine neue Freiheit, dennoch fühlte er sich in der Falle. Zwei Mal, in Berlin und in Breslau, hatte er mit dem Koffer an der Tür gestanden, als der Zug hielt. Da war es noch Zeit gewesen auszusteigen, aus dem Zug und dem ganzen verrückten Unternehmen. Er war nicht ausgestiegen.

Die Nacht war nun tiefschwarz. Er hatte sein Leben in einer der größten Städte des Reichs verbracht, dort brannten irgendwo immer Lichter, die absolute Dunkelheit unter diesem Himmel kannte er nicht. Da war kein Stern, kein irdischer Lichtschein zeugte von einem Dorf oder einer hinter Hügeln verborgenen Stadt. Warum pfiff ein Zug in dieser Einöde, fern jeder menschlichen Behausung? Er stellte sich vor, das Pfeifen der Lokomotive scheuche Wölfe von den Gleisen. Im Deutschen Reich waren die gelbäugigen Jäger fast ausgerottet, über den Balkan hingegen streiften noch zahllose Rudel, so hieß es. Er hätte gerne eines gesehen.

Der Zug rollte nun langsamer, schließlich passierte er eine einsam gelegene Bahnstation. In einem der Fenster schimmerte ein mattes Licht wie ein Zeichen der Zuversicht. Eine Gestalt auf dem Perron, in der Dunkelheit nur eine vage Silhouette ohne Gesicht, grüßte mit der Hand an der Mütze den stampfend wieder Fahrt aufnehmenden Zug. Der Bahnhofsvorsteher, so dachte unser Reisender, grüßt die Züge wie Fürsten, selbst mitten in der Nacht, wenn die Welt schläft. Er überlegte flüchtig, ob einer, der den komfortablen Waggons immer nur nachsehen durfte, Sehnsucht fühlte mitzufahren. Bis zur Endstation, wo Europa endete und Asien begann.

Er wäre gerne wieder eingeschlafen, endlich tief und fest, wie ein Kind ohne Angst. Doch bei aller Müdigkeit war er hellwach, und plötzlich, vielleicht zum ersten Mal, seit sein Leben aus den Fugen geraten war, spürte er die ganze Wucht der Ereignisse. Als das Zittern und der Schwindel nachließen, schalt er sich einen Narren. Wer sich für einen solchen Handel entschied, konnte nur ein Narr sein. Für ein Jahr, so war es verabredet. Ein Jahr war eine sehr lange Zeit, auch für einen Narren.

Er lehnte sich zurück in das Polster und zog fröstelnd das herabgerutschte Reiseplaid über die Knie. Er hatte das Coupé für sich, der Zug war nicht ausgebucht, das hatte ihn erleichtert, so musste er nicht gleich mit dem Lügen beginnen.

Es war in einem anderen Leben und doch erst vor wenigen Stunden gewesen, als er auf der Suche nach einem Ausweg durch die Stadt gelaufen war, um endlich am Hamburger Hafen in die nächstbeste Destille zu stolpern, vier Stufen abwärts ins Souterrain. Das hatte er sehr passend gefunden. Im Gastraum mit der behäbigen Theke, die Zapfhähne halbwegs geputzt, eine Kruke mit Soleiern in der Ecke, gläserne Bierkrüge an der Wand, hatte er sich müde auf einen Stuhl fallen lassen. Das Lokal sah nicht so übel aus, wie es von draußen erschienen war. Das fand er enttäuschend. Brooks hatte ihn entlassen, von heute auf morgen auf die Straße gesetzt, ungerecht und despotisch. Dann ging er selbst den nächsten Schritt: weiter abwärts, wenn es sich so ergab, bis in die Gosse. Er wollte sich betrinken, das tat man doch in der Gosse, und wenn ihm einer in die Quere kam, wollte er zuschlagen. Darauf hatte er sich nie verstanden, weder auf das Betrinken noch auf das Zuschlagen. Dies war die Nacht, endlich beides zu tun.

An den alten Tischen saßen nur wenige Gäste. Keiner sah aus, als sei er für eine Schlägerei gut. Der Geruch nach Bier und dem kalten Qualm billiger Zigarren vermischte sich mit dem des süßlichen Parfums zweier Frauen, die am hinteren Tisch eine Suppe löffelten, ohne den Neuankömmling über einen kurzen taxierenden Blick hinaus zu beachten.

Der Wirt reichte ihm ein frisch gefülltes Bierglas über den Tresen, er nahm es, zu sehr mit seinem tiefen Fall beschäftigt, um sich zu wundern, und trank hastig.

«Holla! Ich glaube, das war meines», rief eine Männerstimme von der Tür zum Abtritt im Hof. «Aber trinken Sie nur, hier wird sicher schnell gezapft.»

Hans Körner wandte sich nach der Stimme um, sie klang so grässlich unbeschwert. Seine Augen hatten sich an das dumpfe Licht gewöhnt, dennoch erkannte er den Mann erst, als der sich mit einem flüchtigen «Sie erlauben doch?» zu ihm setzte.

Damit hatte es angefangen.

«Mir scheint, Sie können das Bier besser brauchen als ich», fuhr der andere munter fort, «alleine trinken ist allerdings ungesund. Es schlägt doppelt auf die Leber und dazu aufs Hirn; vor allem ist es sehr langweilig. Finden Sie nicht?»

Körner sah sein Gegenüber missmutig an. Um Konversation zu machen, hätte er sich ein besseres Gasthaus gesucht. Er wollte nur trinken, und zwar allein.

«Ach, wie eitel von mir», befand der andere in seinem beiläufigen Plauderton, «ich war sicher, Sie hätten mich erkannt. Erinnern Sie sich denn gar nicht? Kein kleines bisschen? Ich halte mich durchaus für bemerkenswert.» Er lachte mit unterdrücktem Prusten. «Das war ein Scherz, falls Sie es nicht so verstanden haben. Sie sind Körner! Der Mann, der alles über Teppiche aus dem Orient weiß. Wir sind uns im Lager und im oberen Verkaufsraum bei den ganz edlen Persern begegnet. Im Gegensatz zu Ihnen habe ich keine Ahnung von diesem Metier.» Er sah sich nach dem Wirt um und hielt mit ungeduldig winkender Geste einen Daumen hoch. «Brehm», sagte er dann, «ich bin Ludwig Brehm, Direktionshospitant im ehrwürdigen Teppichhaus Weise am Neuen Wall. Bis gestern, Gott sei Dank nur bis gestern. Jetzt kann ich weiterziehen. Sie haben mir neulich die Feinheiten eines Seidenteppichs erläutert, irgendwas Osmanisches, wirklich hübsch, ich habe an den passenden Stellen ‹kolossal› und ‹interessant› gesagt, Sie haben das sicher durchschaut. Jetzt müssen Sie sich aber erinnern. Ich erinnere mich jedenfalls genau. Allerdings kann ich mit meinem Gedächtnis für Namen und Gesichter im Varieté auftreten. Wie diese rechnenden Pudel, Sie wissen schon.»

Der Mann, der in dieser Nacht noch Hans Körner hieß, ein Name übrigens, der ihm schon lange als zu verwechselbar und kleinbürgerlich missfallen hatte, lachte endlich – es klang dünn, aber es war ein Lachen, und Brehm nickte mit zufriedenem Grinsen.

Jetzt erinnerte Hans Körner sich an den gelangweilten jungen Schnösel und auch an den Seidenteppich, eines der kostbarsten Stücke im Haus Weise, nur schien der Mann ihm gegenüber jetzt ganz und gar nicht schnöselig, auch wenn er eher in Cölln’s Austernkeller als in eine Souterrain-Destille passte.

«Doch, natürlich erinnere ich mich», versicherte Körner halbherzig, «es ist hier so schummerig, da habe ich nicht gleich … der Teppich war allerdings türkisch, ein echtes Kunstwerk aus Hereke. Was tun Sie hier?»

«Bier trinken», erklärte Brehm. «Ich verschwinde morgen auf Nimmerwiedersehen und will in einer echten hanseatischen Hafenkneipe Abschied nehmen. Na gut», er blickte sich abwägend um, «weit und breit kein Seemann oder einäugiger Pirat, mit deren Bekanntschaft ich in Zukunft angeben könnte. Wirklich schade. He, Meister, nicht schon wieder!»

Der Wirt hatte das gerade bestellte Bier gebracht und nach kurzem Zögern vor Körner auf den Tisch gestellt. Er war ein stämmiger Mann mit Bismarckfrisur und Kaiser-Wilhelm-Bart, was in sich ein Widerspruch war, jedenfalls politisch gesehen, aber für Respekt sorgte. Diese beiden jungen Herren waren ihm egal, solche verirrten sich schon mal in seinen Keller, aber nie ein zweites Mal. Er brummelte etwas, das nach «Zwillinge» klang und «da kann man sich schon mal vertun», und brachte ein zweites Glas von der Theke.

«Sie halten uns für Brüder?», fragte Brehm amüsiert. «Sogar für Zwillinge?»

Der Wirt zuckte die Achseln. «Könnt man denken», knurrte er und kehrte zu seinen Zapfhähnen zurück. Er war ein guter Wirt und trotzdem kein schwatzhafter Mann, das überließ er den Gästen.

Brehm musterte sein Gegenüber mit neuer Aufmerksamkeit, nur für einen konzentrierten Moment, dann griff er sein Henkelglas und nahm einen großen Schluck. Als er es absetzte, zeigte er wieder sein sorgloses Jungengesicht.

«Was werden Sie nun tun, nachdem der eitle Glatzkopf Sie vor die Tür gesetzt hat? Wollen Sie sich nicht wehren? Bei Weise hat sich die Geschichte schon herumgesprochen, und mir schien, die meisten sind heimlich auf Ihrer Seite. Natürlich hat so ein Prokurist Macht, erst recht wenn der Inhaber der Firma mit der Dépendance in New York beschäftigt ist, und sicher war es keine Sternstunde der Diplomatie, als Ihnen der Kragen geplatzt ist. Wobei ich ‹farbenblinder Gockel› recht treffend finde, mir wären noch ein paar unfreundlichere Tiere eingefallen. Also, was wollen Sie jetzt unternehmen? Werden Sie ihm das Feld einfach überlassen?»

Hans Körner war irritiert. Er wusste nichts von Ludwig Brehm, als dass er ein Hospitant im Chefkontor war. Also einer dieser zumeist jüngeren Söhne wohlhabender Eltern, die sich nach ein paar vergnügten Universitätssemestern einige Wochen in der Welt der Geschäfte umsehen sollten. Dann folgte gewöhnlich eine monatelange noch vergnüglichere Reise um den halben oder auch ganzen Globus und endlich ein Posten, der bei exzellenter Bezahlung viel Zeit für all die wichtigen Frühstücke und Herrenabende ließ, die Golfrunden und Segelpartien, Ausritte, Winterbälle und Teenachmittage mit Damen, Reisen ans Meer, ob im Süden oder im Norden. Eine solche Existenz wäre ihm selbst nicht genug, in dieser Nacht im Souterrain schmeckte der Gedanke an ein so sorgenfreies Leben dennoch bitter wie Galle.

Hans Körner liebte seine Arbeit, sein ganzes Metier. Teppiche, Ergebnisse monatelanger, manchmal jahrelanger Arbeit mit Wolle und Seide, mit Farben, traditionellen oder neuen oder gemischten Mustern. Jedes Stück ein Unikat. Die aus den besten Materialien standen für Wohlhabenheit, Ästhetik und Sinnlichkeit, Träume vom Orient. Damit zu arbeiten war für ihn immer noch ein Privileg. Gewesen, so musste es nun heißen: ein Privileg gewesen.

Er hatte sich auf dem Weg bergauf befunden; wenn man ehrbar blieb, Arbeit nicht scheute und klug war, konnte man es in den alten Handelsstädten weit nach oben schaffen. Das war sein Ziel gewesen, darauf hatte er vertraut, und nun war es plötzlich vorbei. Einem wie Brehm konnte so ein Rauswurf kaum passieren, falls doch, fiel er weich. Die etablierten Familien bildeten Schutzschilde für die ihren, selbst schwarze Schafe wurden «untergebracht», notfalls weit weg auf einem anderen Kontinent, die Handelsbeziehungen gingen ja weit. Für Hans Körner gab es keine schützende Familie, weder an der Elbe noch am La Plata, an der Wolga, am East River oder in Shanghai.

«Wie sollte ich mich wehren?», fragte er endlich. «Ich habe einen Fehler gemacht, wie er immer vorkommen kann. Trotzdem, es war ein Fehler. Brooks hat die Gelegenheit genutzt, die Mücke zum Elefanten aufzublasen, und ich musste gehen. Das ist alles. Und nun? Werde ich mich betrinken. Cheerio.» Er hob sein Glas, bevor er es mehr trotzig als gierig leerte. «Was sonst?», fuhr er fort, als Brehm ihn nur schweigend ansah. «Brooks wird dafür sorgen, dass ich in keinem anderen honorigen Teppichhaus Arbeit finde. Bleiben nur die Kaffeesäcke», fügte er düster hinzu, «oder Kohlen.»

«Kohlen?»

«Kohlen schaufeln. Im Hafen.»

«Das klingt hübsch dramatisch», Ludwig Brehm lachte sein sorgloses Lachen, «aber nicht nach einer guten Idee. Die Welt ist ungerecht, Körner, die Welt oder das Schicksal oder ein dummer, eifersüchtiger Glatzkopf, ein Vormund oder Testamentsverwalter – egal. Irgendwer ist immer schuld. Andererseits», er winkte dem Wirt um ein weiteres Glas Bier, «was hindert uns, unsere Angelegenheiten zu korrigieren? Corriger la fortune, Sie wissen schon. Übrigens eine Devise meines Vaters. Allerdings hat er es ein bisschen übertrieben, das Korrigieren, schließlich haben sie ihn nach Peru geschickt. Da ist er verschollen, was manchem recht gewesen sein mag.»

Brehms Ton hatte etwas Künstliches bekommen, und Hans Körner begann sich unbehaglich zu fühlen. Er mochte keine Familiengeschichten, seine eigene am wenigsten, und in dieser Nacht fehlte ihm für die anderer Leute erst recht der Sinn.

«Ich glaube, ich habe trotzdem eine fabelhafte Idee», fuhr Brehm schon fort. «Kühl betrachtet – solche Unternehmen sollte man immer kühl betrachten – ist es ganz einfach: Wir tauschen.»

«Tauschen. Aha. Was? Unsere Hüte? Dann machen Sie einen schlechten Tausch.»

«Hüte? Ach was! Verstehen Sie doch – das Leben ist nicht so freudlos und fade, wie es Ihnen gerade scheint, manchmal ist es die reinste Wundertüte. Man muss nur etwas riskieren. Doch, ich weiß es genau», er rieb in fröhlichem Triumph die Hände, «es ist die ideale Lösung. Während Sie hier eine trübe Zukunft haben, warten anderswo die besten Aussichten.» Mit einem raschen Blick zu den übrigen Gästen – niemand beachtete sie – senkte er seine Stimme: «Sie müssen nur an den richtigen Ort gelangen. An genau den Ort soll ich morgen abreisen. Dass ich ganz andere Pläne habe, weiß niemand. Heimlichkeiten sind doch die eigentlichen Abenteuer. Schauen Sie nicht so kleinmütig, es ist die ideale Lösung Ihres Problems. Sie nehmen meinen Platz ein, als Ludwig James Brehm. Hans Körner verschwindet auf Nimmerwiedersehen aus der Stadt, aus der Welt, kann ja vorkommen, besonders in einer Hafenstadt, da lockt das Fernweh alle Tage. Das hört sich doch gut an, oder nicht? Ich finde, es ist an der Zeit, dass ein so ordentlicher Mensch wie Sie es mal mit Abenteuer, Geheimnissen und Erfolg versucht.» Er grinste feixend, als plane er nur einen Schulbubenstreich. «Eine fabelhafte Mischung. Es kostet Sie nur eine Prise Wagemut und Entschlossenheit. Das wird ein großer Spaß, unsere Urenkel werden noch ihre Freude daran haben. Und irgendwann reiben wir es Brooks unter die Nase, das wird ein noch größerer Spaß.»

Der Wirt kam mit den Gläsern, Körner hoffte, Brehm werde nicht nur wirre Reden halten, sondern auch die Rechnung übernehmen. Er selbst musste nun noch mehr als in der Vergangenheit jeden Pfennig dreimal umdrehen.

Brehm hielt den Wirt am Ärmel fest. «Warten Sie mal. Mein Bruder behauptet, niemand könne erkennen, wer von uns der ältere sei», erklärte er ihm. «Ich bin anderer Meinung. Was sagen Sie dazu? Seien Sie unser ehrlicher Schiedsrichter.»

Der Wirt zwirbelte seinen kaiserlichen Schnurrbart, blickte brav von einem zum anderen und erklärte, das könne er auch nicht sagen. Bei dieser Ähnlichkeit. Aber er müsse jetzt ein neues Fass anstechen, der Herr möge jemand anderen entscheiden lassen, und schon war er verschwunden.

«Sehen Sie?» Brehm beugte sich nah zu seinem neu ernannten Bruder. «Wir sind uns ähnlich, vielleicht nicht wie Zwillinge, aber doch wie Brüder. Man merkt so etwas selbst am wenigsten, aber das Fräulein in Brooks’ Vorzimmer – weiß der Teufel, wie sie es mit dem Kerl als Chef aushält –, das Fräulein jedenfalls hat neulich schon gefragt, ob wir verwandt seien, ich könne es ihr ruhig anvertrauen. Im Übrigen sehen die Leute, was sie zu erwarten sehen. Na, Sie wissen schon – wenn man sagt ‹Das ist mein Bruder›, erkennen sie sogleich die Ähnlichkeit der Nase, des Schnitts der Augen, des Tonfalls der Stimme. Sie wollen sich doch nicht wirklich als Kohlenträger verdingen, das wäre eine unverzeihliche Verschwendung Ihrer Talente. Sie halten vielleicht nicht viel von mir, ich bin trotzdem kein so übler Kerl, und mein Name macht niemandem Schande. Jedenfalls bisher. Sie sollten sich nur nicht verplappern, oder nur so wenig, dass Sie es wieder ausbügeln können. Dabei fällt mir ein: Wie ist Ihr Französisch? Das sollte passabel sein, braucht man da unten unbedingt. Du meine Güte», er schlug Körner im begeisterten Überschwang auf den Rücken, «was für ein großartiger Deal. Nur Gewinner! Wäre die Idee nicht von mir, würde ich sie genial nennen. Zu schade, dass wir darauf keinen Schnaps trinken können, wir brauchen jetzt einen klaren Kopf. Es gibt eine Menge zu besprechen. Und zu planen. Mein Schiff legt morgen ab, ich kann nicht einfach ein nächstes nehmen wie bei der Pferdebahn. Ihr Zug geht erst morgen Abend. Das schaffen Sie leicht.»

«Welcher Zug?» Hans Körner verstand immer noch nicht. Er war plötzlich sehr müde.

«Wenn ich nicht wüsste, dass Sie ein kluger Kopf sind – na egal.» In Brehms Stimme lag ein erster Anflug von Ungeduld. «Es ist doch ganz einfach: Sie übernehmen meinen Platz. Ich verschwinde sowieso auf einem Frachter über den Atlantik, was Sie auch tunlichst für sich behalten. Sie sind hoffentlich nicht verlobt oder so etwas? Nein? Sehr gut. Verlobte können grässlichen Ärger machen. Und in unserem Fall – wie steht es mit Eltern? Auch nicht. Noch besser. Pardon, natürlich ist das sehr traurig, aber, wie gesagt, in diesem Fall von Vorteil. Nun das Wichtigste: Kennt Sie jemand in Konstantinopel?»

Da erst hatte er angefangen zu begreifen.

 

Als der Zug in den Westbahnhof Budapests einlief, stand der Mann, der nun Ludwig Brehm war, wieder mit seinem Gepäck an der Tür des Waggons. Der Morgen war frisch, er schwitzte trotzdem. Diesmal musste er aussteigen, der Zug endete hier. Er könnte den nächsten zurück nach Norden nehmen, falls seine Barschaft für das Billett reichte, doch es war längst zu spät umzukehren. Er hatte sich auf diesen abenteuerlichen Betrug eingelassen, als seien alle Vernunft und Ehrbarkeit, auf die er stets großen Wert gelegt hatte, nur eine Tarnkappe für den Hochstapler in ihm gewesen. Das Erstaunlichste daran war, dass er sich weder schämte noch schuldig fühlte.

Eine der leichten Droschken, die in langer Reihe vor dem Bahnhofsportal warteten, brachte ihn zum Ostbahnhof im Stadtteil Keleti. Der Himmel war blau, die Luft sommerlich warm, leichter Wind kam von der Donau. Er lehnte sich zurück und genoss die kurze Fahrt durch die prächtige alte Stadt. Leider führte der Weg nicht über die Donau, die er gerne gesehen und mit der Elbe verglichen hätte. Sechs Brücken überspannten den Fluss allein in Budapest, so hatte er in Baedekers Reiseführer gelesen, einer Beigabe bei Brehms Reisepapieren. Die Elbe war in Hamburg nur auf einer Brücke zu passieren.

Budapest war die letzte Stadt, die er auf europäischem Boden durchquerte. Die letzte für ein Jahr. Wenn er das nächste Mal einen Bahnhof verließ, betrat er osmanischen Boden. Stolz und Selbstbewusstsein schoben sich plötzlich vor seine alte verzagte Halbherzigkeit. Jetzt war er bereit für seine aufregende Zukunft. Er musste nur selbst fest daran glauben. «Ich, Ludwig Brehm, 24 Jahre alt, Sohn des in Peru verschollenen fallierten Kaufmanns Wilhelm Brehm und der vor acht Jahren verstorbenen Hildegard Brehm, unterwegs zu dem deutschen Handelshaus Ihmsen & Witt in Pera/Konstantinopel.»

Noch 40½ Stunden bis zur Endstation, dem Sirkeçi-Bahnhof. Noch gut vierzig Stunden, um dieser andere Mann zu werden, Eigenschaften in sich zu finden, die er nie vermutet hatte: Abenteuerlust und Kühnheit. Talent zur Lüge.

«Warum nicht?», murmelte er, «warum nicht.» Zum Klippklapp der Hufe auf dem Pflaster klang das wie ein Reim, ein wenig düster, doch mit jedem Klang heller.

Viele Reisende nach dem Orient machten Station in der Donaustadt, Ludwig Brehms Fahrt nach Konstantinopel sah einen solchen Aufenthalt nicht vor. Sie sah auch kein Umsteigen in den Orientexpress vor, der auf der Route von Paris über Wien ebenfalls in Budapest Station machte.

Sein Billett galt nur für die direkte Weiterfahrt mit dem Konventionszug; der war zwar langsamer und weniger komfortabler, aber unter den Reisenden des berühmten Luxuszuges wäre er aufgefallen wie eine Gans unter Pfauen und hätte sich auch so gefühlt. Für den Fahrpreis von Paris bis an den Bosporus konnte man in den feinen Vierteln der City of London eine Villa mit Garten für ein ganzes Jahr mieten. Danach sah er gewiss nicht aus.

——

Früher an diesem Morgen und etwa tausendvierhundert Kilometer weiter südöstlich schien eine milde Morgensonne auf die Hügel und Wasser Konstantinopels, die Rufe der Muezzins waren längst verklungen, in den Lärm aus den Straßen und von den Plätzen und Quais der größten osmanischen Stadt mischten sich das Kreischen der Möwen, das Tuten der Dampfschiffe. Das Frühjahr war ungewöhnlich kalt gewesen, nun war auch die Zeit der heftigen Frühlingsregen vorüber – der Sommer ließ sich nicht mehr vertreiben. Die Wasser des Bosporus und des Goldenen Horns glitzerten und lockten im schönsten Blau, Boote jeder Größe durchschnitten die Wellen und die Gischt, Segel legten sich in den Wind, Dampfschiffe schafften sich behäbig Platz. Die Kuppeln der Moscheen schimmerten, die hoch aufragenden Minarette und weißen Fassaden an den Ufern und den sanft ansteigenden Hügeln ließen die Stadt leuchten. Nur die hoffnungslosesten Pessimisten und Griesgrame dachten noch an graue Tage und jene kalten Nächte, als das Jaulen der streunenden Hunde an die hungrigen Wölfe Anatoliens erinnert hatte. In diesen Tagen leuchteten die Farben Konstantinopels im vielbesungenen Licht des Orients.

In Pera, dem oberhalb des Hafenviertels von Galata gelegenen Areal der Europäer und Levantiner mit den an die Pariser Straßen erinnernden Gebäuden und Läden, den Konsulaten und Botschaften, Cafés und Clubs, gab es trotz der Enge der Stadt noch Gärten. Die meisten versteckten ihre Schönheit hinter hohen, von den Kronen alter Bäume überragten Mauern. Die Zeit der Tulpenblüte war vorüber, in den windgeschützten Gärten öffneten die ersten Rosen ihre Knospen.

Nicht weit von der Grande Rue de Pera, der Hauptstraße des Viertels, erstreckte sich so ein Garten zwischen einer alten und einer neuen Villa. Die alte ließ noch den osmanischen Konak erahnen, als der sie erbaut worden war. Nun gehörte sie Alfred Ihmsen. Der wohlhabende Teppichhändler stammte aus Westpreußen, er lebte schon lange genug im Osmanischen Reich, um seine Jahre in Saloniki und Konstantinopel in Jahrzehnten zu zählen. Es hieß, in der Haut des Preußen stecke längst ein Orientale – was nicht ganz stimmte, aber auch nicht ganz falsch war.

Eine weniger weitläufige, gleichwohl komfortablere Villa begrenzte das andere Ende des Gartens. Sie war erst vor einem Jahrzehnt für Ihmsens jüngeren Kompagnon Richard Witt und dessen Familie errichtet worden. Die Eingangsportale der beiden Häuser führten auf zwei verschiedene Straßen hinaus, Ihmsens öffnete sich nach Westen, das der Witts nach Osten. Wer von einem ins andere Haus gelangen wollte, nahm den gekiesten Gartenweg, der die Terrassen beider Häuser verband. Verglichen mit den Gärten und Parks mancher der Villen, die in immer größerer Zahl die Ufer des Bosporus säumten, musste der Ihmsen’sche als bescheiden gelten, aber wer darin zu Gast gewesen war, im Laufe der Jahrzehnte die unterschiedlichsten Menschen aus den unterschiedlichsten Weltgegenden, erinnerte sich gern an «Ihmsen Paschas blühenden Dschungel».

An diesem schönen Maimorgen stieg der sanfte Duft der Blüten eines Mimosenbaums auf, der Wind, kaum mehr als ein Hauch, trug ihn durch die weit geöffneten Fenster der kleineren Villa, Sonnenlicht flirrte durch das Laub des Walnussbaumes und wurde zum Licht- und Schattenspiel auf Edith Witts Frisierspiegel. Ein Pirol verhieß zwitschernd einen schönen Tag, Edie, wie sie in ihrer Familie von jeher genannt wurde, spitzte die Lippen und versuchte eine Antwort. Die Melodie des gelben Sängers erinnerte sie an einen anderen Garten, der sich von einer anderen Terrasse bis an das Ufer des Marmarameeres erstreckte, an den Ort vieler glücklicher Kindersommer. San Stefano, wie die Europäer sagten, Aghios Stefanos die osmanischen Griechen, Yeşilköy die Türken. Edie war reich an glücklichen Erinnerungen, und die wogen doppelt, weil auch die Gegenwart reich an Glück war.

Rasch glitt ihr Blick noch einmal über ihr Spiegelbild, von dem mit Kämmen gebändigten üppigen dunklen Haar bis zu den weißen Schuhspitzen unter dem Rocksaum. Die Frisur war nicht so makellos, wie sie sein sollte, für diese frühe Stunde mochte es reichen.

«Oder, Georgie?» Der Heilige war zwar gerade damit beschäftigt, den Drachen zu seinen Füßen zu besiegen, dennoch war er wie immer ihrer Meinung. Nein, nicht immer. Manchmal bedeutete sein Blick Zweifel, Kritik, auch mal ein klares Nein – sie konnte sich immer auf ihn verlassen, er log nie. Sie vertraute ihm, seit sie sieben Jahre alt war und ihre Mutter die Ikone als Geschenk für sie mitbrachte und ihr von dem Ritter auf dem Bild erzählte. Georg war als Sohn vornehmer Eltern in der Türkei geboren worden, in Kappadokien. Es gab viele Heldengeschichten von ihm zu erzählen, aber die, in der er den bösen feuerroten Drachen zur Rettung einer Prinzessin tötete, war die beste. Sankt Georg wurde in vielen Ländern verehrt, aber seit Richard Löwenherz’ Zeiten war er der Schutzpatron Englands. Das Georgskreuz, rot auf weißem Grund, war schließlich Bestandteil des Union Jacks geworden, der britischen Nationalflagge. Natürlich wusste Edie seit vielen Jahren, dass der gute Heilige an der Wand ihres Zimmers nur eine russische Ikone war, rissige Farbe auf sehr altem Holz, sie vertraute ihm trotzdem. Irgendwie.

Nun griff sie nach dem grünen Flakon, Richards Geschenk von seiner letzten Reise – der sinnliche Duft des Ägyptischen Jasmins würde Lydia missfallen. Edie widerstand diesem Impuls, er war zu kindisch für eine verheiratete Frau von sechsundzwanzig Jahren, und steckte nur einen der Kämme etwas frecher und schloss rasch die Perlmuttknöpfe an den Manschetten ihrer milchweißen Bluse.

Edie war eine aparte junge Frau. Nörgler merkten gerne an, sie sei doch zu schmal und hoch gewachsen, um als Frau begehrenswert zu sein. Auch entsprach ihr Teint nicht ganz dem «Milk and roses»-Ideal einer englischen Dame aus guter Familie – sie liebte die Sonne und die Frische vom Meer, Ritte über die grünen Anhöhen im Rücken der Stadt.

Anders als ihre Eltern war sie nicht auf den Britischen Inseln geboren, sondern in San Stefano und dort und in Konstantinopel aufgewachsen. Auch deshalb hielt sie sich für eine glückliche Frau. Sie hatte ein Jahr unter der Ägide der Familie ihrer Mutter in London verbracht und auch Chatham an der Ostküste besucht, den Heimatort ihres Vaters mit dem Hafen und den Dockyards der britischen Kriegsmarine. Sie erinnerte sich gerne daran, aber sie sehnte sich nicht dorthin zurück. Edie betrachtete sich als Engländerin, das hatte nie in Frage gestanden, doch ihre Heimat war Konstantinopel, die strahlende Hauptstadt des Osmanischen Reiches. Als Richard Witts Ehefrau war sie nun zudem eine Deutsche. Das wog auf dem Papier am schwersten, in der Realität bedeutete es wenig. Meistens. Ihrer beider Zuhause lag an den schönen Ufern des Bosporus, und so sollte es bleiben. Wie in den meisten Dingen waren sie und Richard auch darin einig.

Die Teppiche schluckten den Klang ihrer Schritte, als sie auf die Galerie hinaustrat, die die Halle im ersten Stock umlief. Sie beugte sich über das Geländer und blickte hinunter. Da standen sie aufgereiht, Rudolf und Marianne, Richards Kinder aus der Ehe mit Elisabeth, und wie eine schlanke Statue Lydia. Ihr graues Reisekostüm wirkte trotz der verspielten Perlenbrosche am Revers streng, der mit weißen und gelben Strohblumen garnierte ausladende Hut überraschend modisch, allerdings verbarg er ihr schönes Haar fast völlig. Lydias Hände lagen leicht auf den Schultern der Kinder. Sie waren schon bereit für die Abfahrt, alle drei – fünf Minuten vor der Zeit, das ist des Kaisers Pünktlichkeit.

Richard blickte auf, er spürte es immer, wenn Edie in der Nähe war, und nickte ihr mit dem vertrauten Lächeln und dem leichten Zwinkern der Augen zu. Nur wer ihn sehr gut kannte, wusste, dass dieses freundliche Zwinkern Ausdruck seiner leichten Fehlsichtigkeit war. Doch Richard Witt war tatsächlich ein freundlicher Mann, geduldig und großzügig. Auch zuverlässig, das ganz gewiss. Als sie sich damals, im Sommer nach ihrer Rückkehr von den Tanten auf Rhodos, öfter begegnet waren, hatte sie ihn zunächst für langweilig gehalten.

Eleni trippelte mit ihren schnellen kurzen Schritten in die Halle, wehende Röcke, die große weiße Schürze vor dem rundlichen Bauch, das im Nacken zum Knoten geschlungene schwarz glänzende Haar schon in Auflösung, an den Händen noch Reste von Mehl. Sie sagte etwas, halb griechisch, halb deutsch, Edie verstand es nicht, aber Marianne lachte, und darauf kam es an. Sie war zart für ein neunjähriges Mädchen und zu ernst, aber Eleni gelang es immer wieder, in der strengen kleinen Person mit den straff geflochtenen Zöpfen das fröhliche Kind hervorzulocken. Sie würden einander vermissen, Richards Tochter und die Köchin.

Rudolf verzog seine Lippen zu einem Lächeln, wie es sich gehörte. Die fröhliche Griechin war keine Dame, der man die Hand zu küssen hatte, sondern nur die Köchin, aber der Junge mochte sie, und niemand buk bessere Apfelpfannkuchen und süßere Aşure oder Baklava. Er war elf Jahre alt und immer bemüht, ein tapferer kleiner Soldat zu sein, mit seinem weizenblonden Haar und der hellen Haut glich er seiner Schwester, an diesem Morgen war er noch blasser als gewöhnlich. Es sah nicht aus, als freue er sich, nach Smyrna zurückzukehren. Sein Blick war fest auf seinen Vater gerichtet. Wie ein junger Hund, der auf ein Streicheln wartete. Oder auf ein erlösendes Wort.

Edie schämte sich für diesen Gedanken. Sie schämte sich auch, weil die Abreise der Kinder sie erleichterte. Es war ihr nicht gelungen, Elisabeth zu ersetzen, das war natürlich ein dummer Plan gewesen, aber auch zur Freundin war sie den Kindern nicht geworden. Sie nannten sie immer noch Miss Edith. So wie Lydia es tat. Sie sprachen es deutsch aus, es hörte sich steif und hölzern an.

Gib ihnen Zeit, hatte Richard gesagt, sie haben ihre Mutter verloren. Nur noch ein bisschen Zeit. Sie werden dich lieben. So wie ich.

Edie lief rasch die Treppe hinunter, zu rasch für ein Vorbild in Sachen damenhaftes Benehmen. Auf der vorletzten Stufe verfing sich der Absatz ihres linken Schuhs in ihrem Rocksaum, sie stolperte, Richard fing sie lachend auf, und Lydia rief mit munterem Klirren: «Nun ist Miss Edith auch da. Der Kutscher muss nicht mehr warten. Es heißt Abschied nehmen.»

Richard lächelte nachsichtig, alle wussten, wen untätiges Warten als Zeitverschwendung schmerzte.

Rudolfs dünne Jungenhand war kühl, er beugte den Kopf zum Diener vor der zweiten Frau seines Vaters. Das immerhin war ihr gelungen – die Kinder mussten ihr nicht mehr die Hand küssen.

Marianne knickste mit einem gemurmelten «Auf Wiedersehen, Miss Edie». Ihre Hand war klein und weich. Vielleicht war es das unerwartet vertrauliche Edie, auch wenn es nur ein Versprecher gewesen sein mochte, vielleicht waren es die Sommersprossen auf der kleinen Nase, die Edie berührten, oder die vorsichtige Frage in den Augen des Kindes. Unwillkürlich beugte sie sich hinunter, umfasste mit beiden Händen Mariannes Gesicht und küsste sie auf die Stirn. «Auf Wiedersehen», flüsterte sie, «auf Wiedersehen und Gottes Segen», und spürte plötzlich zwei dünne Mädchenarme um ihren Hals, nur für einen Moment.

Als sie vor dem Portal stand und die Kutsche davonrollen sah, spürte sie dem Gefühl der Erleichterung vergeblich nach. Sie hätte Richard davon überzeugen müssen, seine Kinder wieder in Konstantinopel zu lassen, in ihrem gemeinsamen Zuhause. Die hiesige Deutsche Schule hatte den besten Ruf, die in Smyrna konnte nicht noch besser sein. Aber sie hatte sich nicht darum bemüht, und niemand hatte sie um Rat gefragt. Es waren Richards Kinder, und Lydia war ihnen seit Jahren vertraut. Tante Lydia. Sie lebte seit einer Reihe von Jahren in Smyrna, das die Türken Izmir nannten, als Lehrerin an der evangelischen Schule der Kaiserswerther Diakonissen. Als Elisabeth damals so schwer erkrankte, war ihre Cousine nach Konstantinopel gekommen und geblieben, sie hatte Elisabeth gepflegt und war bei ihr, als sie starb. Sie war für die Kinder da gewesen und auch für Richard. In der schweren Zeit.

Edie hätte jetzt gerne den aufmunternden Gesang des Pirols gehört, durch die schmale Straße klang nur der Lärm des geschäftigen Galata-Viertels herauf. So still die Nächte der großen Stadt waren, so laut waren die Tage. Die Kutsche bog schon um die Ecke bei der kleinen Schweizer Bäckerei. Es war nicht weit bis zum Hafen und dem Anleger für das Schiff nach Smyrna. Wenn der Dampfer ablegte, stand Richard am Quai und winkte, danach würde er im Deutschen Postamt in Galata nach Sendungen aus Deutschland fragen und endlich zum Kontor und Lagerhaus von Ihmsen & Witt bei der Galata-Brücke spazieren. Er wusste seine Kinder in guter Obhut, bei Lydia. Mit dem Beginn der Ferien würden sie für einige Sommerwochen zurückkehren – so war es das Beste, es gab keinen Grund, an dieser Entscheidung zu zweifeln.

Sie fröstelte, die Sonnenstrahlen erreichten die Tiefe der schmalen Straße noch nicht, und ging zurück ins Haus. Vor ihr lag ein langer Tag, und sie musste sich etwas einfallen lassen, ihn zu füllen.

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Stunde um Stunde rollte der Zug durch die flache menschenleere Puszta. Halbwilde Pferde gewannen ein Wettrennen mit dem ratternden stampfenden Dampfross, später blockierte eine große Schafherde die Gleise, die Schäfer und ihre Hunde zeigten keine Eile, die stoischen Tiere von der Trasse zu treiben. Ludwig Brehm, ab nun war das tatsächlich sein Name, hatte in Budapest einen Mitreisenden bekommen.

Der Mann mochte vierzig Jahre alt sein, Haar und Schnurrbart waren sehr dunkel und gepflegt, noch ganz ohne Grau. Er brachte einen leichten, angenehm herben Geruch nach russischem Juchten mit, seine Stiefel mussten ganz neu sein – als Hans Körner war Ludwig Brehm gewohnt gewesen, auf gute Materialien und Handwerksarbeit zu achten, auch auf die Gerüche, das würde ihm bleiben. Das feste Schuhwerk passte nicht zu dem eleganten Anzug des Fremden, die Moden auf dem Balkan waren wohl andere als in einer modernen nordeuropäischen Hafenstadt. Er war teuer gekleidet, ein Ring am kleinen Finger seiner rechten Hand war groß genug, um ein eingraviertes Wappen zu zeigen. Gleichwohl sprach er nur eines dieser eigenwilligen Idiome der hiesigen Völker. Also hatten sie einander nur ihre Namen genannt und sich verbindlich lächelnd zugenickt, wie es Fremde bei flüchtigen Begegnungen tun.

Der neue Ludwig Brehm hatte sich zum ersten Mal mit seinem neuen Namen vorgestellt. Der Klang gefiel ihm, und ihm gefiel auch, Ludwig Brehm zu sein. Ein junger Mann mit einer goldenen Krawattennadel. Noch vor wenigen Tagen hatte er von so etwas Abenteuerlichem nicht einmal geträumt, nun war ihm, als segele er frisch am Wind, als habe er mit dem Namen auch den Übermut angenommen, die Leichtigkeit, die Lust am Geheimen und Verbotenen.

Aber so einfach blieb es nicht. Als sich der Tag neigte und mit der beginnenden Dämmerung die Schatten wieder groß wurden, durchfuhr es ihn unvermittelt wie ein Blitz: Mein Name macht niemandem Schande, hatte der echte Brehm in der Destille versichert, und er, der falsche Brehm, hatte keinen Gedanken an Zweifel verschwendet. Nun war der Zweifel da, emporgeschossen wie eine Stichflamme.

Keine Schande? Brehm hatte einem Habenichts von entlassenem Teppichverkäufer, den er kaum kannte, seine Identität für ein Jahr im Orient geschenkt. Tat ein Mann so etwas, wenn er auch nur halbwegs bei Verstand war? Und warum?

Aus Vergnügen am Schabernack? Das war kein Schabernack mehr, sondern Betrug. Zwar kam niemand zu Schaden, für das Konstantinopeler Teppichhaus war ein so kenntnisreicher wie enthusiastischer Mitarbeiter sogar ein größerer Gewinn als einer, der von ganz anderen Sphären träumte. Aber welchen Vorteil hatte der echte Ludwig Brehm von diesem Handel?

War es für ihn nur ein amüsantes Spiel? Wie konnte er darauf vertrauen, dass auch in diesem Jahr sein Name keinen Schaden nahm? Es konnte ihm nicht gleichgültig sein.

Aber womöglich war es ganz anders: Als er den Posten in Konstantinopel annahm, hatte er eine falsche Spur gelegt, nur um in aller Heimlichkeit einen anderen Weg einzuschlagen und unterzutauchen. Um dabei unentdeckt zu bleiben, hatte er jemanden gebraucht, der am Bosporus seinen Platz einnahm, am besten einen Mann in Not, der nicht viel fragte. Blieb noch das Warum. Weil er gesucht wurde? Was hatte er getan? Hatte er Spielschulden gemacht, erdrückend genug, dass er keinen anderen Weg sah? Ein Spieler – das passte zu ihm. Oder hatte er jemanden betrogen oder entehrt? Getötet? Dann warteten am Bahnsteig in Konstantinopel womöglich schon die Wachleute der Botschaft oder, schlimmer noch, brutale Schläger dubioser Auftraggeber auf ihn. Telegramme gingen schnell wie der Wind von der Elbe oder von London nach Konstantinopel, während er selbst im Zugabteil döste und sich für einen Glückspilz hielt.

Wie sollte er dann beweisen, wer er wirklich war? Hans Körner, der Dummkopf.

Seine Geschichte konnte ihm niemand glauben. Sie würden ihn zurück nach Hamburg bringen – immer noch besser als in ein osmanisches Kerkerloch – oder gleich im Bosporus oder den Weiten des anatolischen Hinterlandes verschwinden lassen. Als Sklaven verkaufen? Warum nicht? Auch solche Geschichten gab es noch.

Zurück in Hamburg lebten immerhin genug Menschen, die ihn als Hans Körner kannten, was einerseits gut, andererseits schlecht war. Und der schnauzbärtige Wirt würde bezeugen, wie zwei junge Männer in seiner Destille getrunken und viel geflüstert und ab und zu gelacht hatten. Ja, die beiden ähnelten einander wie Brüder, und, ja, sie hätten das Lokal gemeinsam verlassen. Den vergnügteren der beiden, den mit der auffallenden Krawattennadel, hatte seither niemand mehr gesehen.

Was würden sie aus alledem schließen? Ein Mann war verschwunden, ein anderer gab sich für ihn aus und trug auch dessen goldene Krawattennadel mit der Perle und dem Granat. Dafür konnte es nur eine Erklärung geben: Der falsche Ludwig Brehm, ein arbeitsloser Verlierer, hatte den echten Ludwig Brehm, einen anständigen jungen Mann mit glänzender Zukunft, um sein Leben betrogen und irgendwo im Schlick der Fleete oder im Labyrinth des Gängeviertels verschwinden lassen. So mussten sie doch denken.

Vielleicht hatte der nur vermeintlich freundliche und großzügige junge Brehm genau das geplant: Er hatte einen Dummen gesucht, der für ihn büßte, und verschwand selbst namenlos über den Atlantik in die Freiheit. Niemand suchte nach ihm. So war sein Verschwinden in ein neues Leben perfekt. Auf Kosten eines anderen. Das war der schlimmste Gedanke.

Er musste diesen Zug verlassen, gleich an der nächsten Station, Belgrad, und in einen umsteigen, der ihn weiter nach Osten brachte. Nicht nur auf dem Balkan, überall im Osten rumorten Unruhen und Aufstände. Dort würde ihn niemand vermuten, also tauchte man dort am einfachsten unter. Sicher ging von Belgrad ein Zug nach Odessa. Und dann? Immer weiter. Bis zum Ural. Besser bis Wladiwostok? Das lag am Ende der Welt, weit wie der Mond.

Aber dazu fehlten ihm die nötigen Papiere. Bisher war er an den Grenzen kontrolliert worden, es war immer gutgegangen. Bonjour, Monsieur. Bon voyage, Monsieur Brehm. Er war plötzlich und mit den nötigen Papieren versehen in diese Reise gestolpert und hatte keine Ahnung, welche Pässe oder Visa er abseits dieser Route brauchte, wie und wo man sie bekam.

Und nun? Ob mit oder ohne Papiere, es konnte nicht lange dauern, bis seine Börse leer war. Und dann? Dann konnte er sich als Bahnarbeiter verdingen. Der Bau der neuen Linie durch das riesige Zarenreich nach Sibirien und bis ans Japanische Meer sollte noch viele Jahre dauern, da gab es immer Arbeit. Sklavenarbeit in Kälte und Hitze, so hieß es. Da fragte keiner nach Namen oder Pässen, und die Wildnis im Osten …

Seltsamerweise stürzte er just bei diesem Gedanken in den schwarzen Abgrund eines tiefen Schlafs, alles Denken und Fühlen, alle Angst flohen in diese Dunkelheit. So verschlief er auch Belgrad.

Er erwachte in der Nacht, die kleine Lampe beim Fenster brannte, und der Schaffner hatte ohne ihn zu wecken aus der anderen Sitzreihe das Bett eingerichtet. Die Wasserkaraffe stand neu gefüllt in der Halterung, eine Kanne und ein frisches Leintuch im Waschkabinett in der Nische.

Der Zug fuhr nun langsam, die Lokomotive zog ihre Last mühsam durch enge Flusstäler und über die schroffen Höhen des Balkan-Berglandes. Der Nachthimmel ließ schon den Morgen ahnen, die Wolken gaben dem tief stehenden Halbmond immer wieder freie Bahn. Unser Reisender hatte nie zu romantischen oder gar mystischen Gedanken und Wahrnehmungen geneigt, doch dieses Licht zwischen Nacht und Tag beflügelte seine Phantasie und brachte plötzlich die Erinnerung an einen Traum zurück. Kein Albtraum, wie es durchaus angemessen gewesen wäre, niemand, der mit gezogenem Säbel in das Coupé stürmte, um ihn aus dem Zug zu zerren und in den nächstbesten Kerker zu werfen oder in eine der Gebirgsschluchten zu stoßen, hungrigen Wölfen zum Fraß.

Eine Gestalt ganz anderer Art war ihm begegnet. Er erinnerte sich nur an ein vages, dunkles Bild, jedoch mit dieser unbegründeten Gewissheit, die man manchmal aus Träumen mitbrachte, dass es schön gewesen war. Eine Frau. Oder ein Engel? Eine böse oder eine gute Fee? Etwas bedeckte ihren Kopf, wie fließende Seide? Es mutete orientalisch an und schimmerte selbst in der Dunkelheit, die auch die Traumbilder bestimmte, rötlich. Er wollte nach ihrem Namen und dem Ziel ihrer Reise fragen, aber er hatte keine Stimme. Eine weiße Hand winkte ihm zu, weiß wie der Handschuh eines Lakaien und gleichsam schwebend, in einem Flecken von Licht legten sich zwei Finger auf ihre Lippen.

Die wenigen Träume, an die er sich nach dem Erwachen erinnerte, vergaß er für gewöhnlich schnell. Dieser war ihm noch nah, und gleich fiel ihm ein, warum – das Traumwesen mit den Fingern auf dem Mund mahnte ihn, sein Geheimnis zu hüten. Es war angenehm, eine Ermahnung nicht mit dem Schrecken eines Albtraums, sondern mit Rätselhaftigkeit und Schönheit zu verweben. Wie bei den kostbaren alten Teppichen mit ihren Mustern und Symbolen. Vielleicht steckten doch ein Körnchen Wahrheit und uralte Weisheit in der neuen Wissenschaft von den Träumen.

Auch sein realer Mitreisender hatte den Zug verlassen, offenbar in Belgrad. Der leichte Juchtenduft war noch da, für einen Moment glaubte er, in diesem Rest nicht Juchten-, sondern Rosenduft wahrzunehmen, einen Hauch nur. Seine Phantasien eilten schon voraus. Ihmsen & Witt, seine Arbeitgeber für ein Jahr, waren in Europa als versierte Experten und Händler von orientalischen Teppichen bekannt, sie handelten auch mit dem wertvollen bulgarischen Rosenöl.

Er lauschte auf das Rattern der Räder, spürte das Schaukeln des Waggons und wusste, er hatte sich richtig entschieden, egal, was ihn erwartete. Alles würde gutgehen. Die wirren Gedanken, die Befürchtung, er sei ein aufs übelste betrogener Betrüger, auf den Zuchthaus und Henker warteten, erschienen ihm nun feige und kleinmütig. Er beschloss, sie als absurd zu vergessen. Das würde ihm nicht ganz gelingen, weder jetzt noch in der Zukunft. Das wusste er in dieser Nacht noch nicht.

Sein Magen knurrte, das war ein ganz reales Gefühl alltäglicher Normalität. Die letzte Mahlzeit war viel zu lange her, vielleicht gelang es trotz der unpassenden Stunde, im Speisewagen etwas Essbares und ein Glas Roten aufzutreiben. Hatte er jemals ein Glas Wein zum Sonnenaufgang getrunken? Für diesen Tag war das ein großartiger Anfang. Und für dieses Jahr.

2. Kapitel

Der Zug rollte am Ufer des Marmarameeres entlang, bis zum Bahnhof Sirkeçi konnte es nicht mehr weit sein. Der Blick über das bewegte Wasser, die Inseln und die im Licht des Spätnachmittags liegenden Hügel am asiatischen Ufer war oft gepriesen worden, selbst von Reisenden, denen dieser Weg nach Konstantinopel lange vertraut war. Ludwig Brehm sah zum ersten Mal den Zauber einer südlichen Stadt am Meer und zum ersten Mal die Königin dieser Städte. So hatte Dr. Christopoulos, der seit Adrianopel das Coupé mit ihm teilte, Konstantinopel genannt: die Königin der Städte. Anders als der Mann mit den Stiefeln aus Juchtenleder liebte es der osmanische Grieche zu plaudern, er sprach Französisch mit einem ganz eigenen leichten Akzent. Französisch und Deutsch waren auf dieser Route die allgemein üblichen Sprachen, so stand es im Reiseführer. Auch im Speisewagen, in den Brehm sich schließlich getraut und schon beim zweiten Mal fast wie ein Mann von Welt gefühlt hatte, waren kaum andere zu hören gewesen.

Dass es auch bei diesem Mitreisenden zutraf, erleichterte ihn, wie ihn zuvor der Gedanke beunruhigt hatte, künftig in einer Stadt zu leben, deren Sprachen, Schriften und Gewohnheiten ihm völlig fremd waren. Mit dem Blick auf das Meer und während der langsamen Fahrt entlang der Hänge des alten Stambul mit seinen Gärten und der Vielfalt der Dächer und Türme schwand diese Sorge immer mehr. Warum sollte ihm nicht gelingen, was Tausenden von Europäern am Bosporus gelang?

Mit Heimatstädten sei es wie mit einer geliebten Frau, seufzte Dr. Christopoulos beim Blick aus dem geöffneten Coupéfenster, man liebe sie um ihrer schönen Seele willen, aber doch sehr viel leichter und inniger, wenn sie auch von schöner Gestalt sei. Allerdings habe die Liebe zu den Städten einen unschlagbaren Vorteil: Sie bleibe frei von Betrug und Wankelmut. Dass er dabei lachte, ließ Brehm vermuten, der freundliche Arzt müsse seine eigene Frau nicht zu den untreuen und wankelmütigen Damen zählen.

Das Wort Betrug jedoch jagte ihm einen heiß-kalten Schauer über den Rücken. Er musste sich daran gewöhnen, an dieses dunkle Wort, oder es vergessen. Wenn er sich bis zum Ende dieses geschenkten Jahres als tüchtig und zuverlässig erwiesen hatte – in diesem Moment zweifelte er nicht daran –, ging es nicht mehr um Betrug, dann war daraus längst ein Spiel geworden. Riskant? Möglich, aber es waren andere Männer, die die wirklich riskanten Spiele spielten wie den Bau einer Bahn bis nach Bagdad, eines Kanals von Port Said nach dem Roten Meer oder dieses unglaublichen Turms mitten in Paris, aus luftig verbundenem Schmiedeeisen und von einer Höhe, die an den zu Babel erinnerte. Das waren riskante Unternehmen, so ein kleiner Tausch von Namen und Reisezielen erschien dagegen als eine Lappalie.

Je mehr der Zug sich dem Bosporus näherte, veränderte sich etwas in dem Mann, der sich immer selbstverständlicher Ludwig Brehm nannte. Als habe er eine zu enge Haut abgestreift, war aus dem unbedeutenden und wenig beachteten Teppichverkäufer Hans Körner ein Mann mit sicherem Blick geworden, er schien um einige Zentimeter gewachsen, und wenn sein Herz auf diesem letzten Stück der Reise zu heftig klopfte, geschah das kaum mehr aus Kleinmut. So musste es sich anfühlen, wenn Champagner im Blut perlte.

Endlich lief der Zug in den Bahnhof ein, kam stampfend und schnaufend zum Stehen, Rauchschwaden, dick von der feuchten Abendluft, verhüllten den Perron. Jetzt begann es also, dieses Jahr in Konstantinopel.

Dr. Christopoulos stand schon, umringt von seiner Frau und seinen Töchtern, vor dem Waggon, die fröhlichen Stimmen, das übermütig herumhüpfende jüngste Mädchen, die ohne Rücksicht auf Konvention und neugierige Augen verteilten Wangenküsse sprachen für eine glückliche Rückkehr.

Schließlich verließ auch Ludwig Brehm den Zug, für einen Moment wunderte er sich, dass der Boden unter ihm nicht schwankte.

«Bienvenue, Monsieur Brehm», rief der Doktor über die Schulter zurück, schon fortgezogen von den Frauen seiner Familie, «bienvenue. Und viel Glück.»

Immer noch stieß die Lokomotive Dampfwolken aus, und während Brehm sich dreier Kofferträger erwehrte, die mit kämpferischem Eifer ihre Dienste für sein bescheidenes Gepäck anboten, eilten die anderen Fahrgäste schon in die große Empfangshalle. Da stand er nun und sah sich um. Was hatte er erwartet? Eine Karawanserei? Kamele und Männer mit Krummsäbeln im Gürtel, mächtigen Turbanen auf den Köpfen?

Er war im Orient angekommen, doch hier, wo sich Europa und Asien begegneten, sah es auf den ersten Blick ziemlich wenig orientalisch aus. Das Bahnhofsgebäude war im modernen europäischen Stil mit türkisch anmutenden Fensterbögen, buntgläsernen Rosetten und Schmuckelementen erbaut worden. Von einem Architekten aus Berlin, hatte Dr. Christopoulos mit dem Stolz in der Stimme erklärt, den er bei allem gezeigt hatte, was er über seine Heimatstadt berichtete. Der Sultan selbst habe den deutschen Professor beauftragt, der sei jetzt ein gemachter Mann.

Die Türken, oder die, die Brehm dafür hielt, trugen keine Pluderhosen und bunten Seidenwesten, wie sie in der europäischen Malerei gerne dargestellt wurden, sondern schmale Anzughosen und Gehröcke, steife weiße Kragen, nur die Kopfbedeckung, der weinrote Fes, unterschied sie schon auf den ersten Blick von den meisten Europäern.

Die Kofferträger hatten willigere Kundschaft gefunden, es war Zeit für den entscheidenden Schritt durch eine der großen Türen in die Halle des Empfangsgebäudes und dann hinaus in die fremde Stadt, die sein Zuhause und zugleich sein Abenteuer werden sollte.

Er griff seine Reisetasche fester und blickte noch einmal zum Zug. Er war doch nicht als Letzter ausgestiegen. Zwei Damen in Reisekostümen kletterten aus dem Waggon auf den Perron. Die jüngere reichte einer rundlichen Dame, die sich steif und schläfrig bewegte, hilfreich die Hand. In einer letzten aus der Lokomotive geseufzten Dampfwolke gingen sie zum Ausgang. Die jüngere wandte sich um, als vermisse sie etwas oder suche nach einem Gesicht. An seinem glitt ihr Blick vorbei, als sei er unsichtbar.

Ein dunkler, rötlich schimmernder Seidenschal fiel Brehm ein, ein Gedanke so flüchtig wie das Traumbild vor all den Stunden im Coupé. Er blieb stehen, die schwere Tasche in der Hand, den Hut in der anderen, wenn er sich jetzt bewegte, würde sie sich einfach in Luft auflösen. Welch absurder Gedanke. Einer wie Hans Körner hätte sich eine solche Albernheit nicht erlaubt. Aber der war zwar in Hamburg in den Zug gestiegen, jedoch auf der langen Reise verlorengegangen. Es war Ludwig Brehm, der in Konstantinopel die Bahnhofshalle betrat und den weichen Filzhut etwas übermütiger als gewöhnlich auf den Kopf setzte. Im schillernden Muster des letzten durch die Glasrosetten hereinfallenden Sonnenlichtes blieb er stehen, hob das Kinn und lächelte. Er hätte gerne ernst und würdevoll geblickt, wie ein bedeutender Mann in bedeutender Mission, so gehörte es sich für den Schritt in ein neues Leben, aber er konnte nicht anders, sein Mund, sein ganzes Gesicht verzog sich zu einem breiten Grinsen.

Die Sorge, Polizisten oder Milizen könnten ihn erwarten, hatte er vergessen. Das fiel ihm erst wieder ein, als ein Mann mit gemächlich wiegenden Schritten durch das Gewusel der Reisenden, die mit ihren Familien und Bediensteten oder Gepäckträgern dem Passbüro oder den Ausgängen zustrebten, näher kam. Er sah aus, als könne ihm niemand etwas vormachen, aber doch nicht nach einem Polizisten oder wie die Männer solcher Profession in dieser Stadt genannt werden mochten. Sein Blick war ausdruckslos, die kräftige Nase über einem dichten schwarzen Schnauzbart, das vom Wind zerzauste Haar entsprachen Brehms Vorstellung eines Gesichts auf einem Steckbrief, die staubige Hose des Mannes steckte in kniehohen Stiefeln, seine dunkle Joppe war aus robustem, doch gutem Stoff, seine Hände sahen nach Arbeit aus, in der linken trug er eine Lederpeitsche. All das registrierte Brehm ganz automatisch, sein Beruf hatte ihn gelehrt, Details rasch und sicher zu erkennen.

Die Stimme des Mannes erwies sich als überraschend sanft. «Herr Brehm?» Es klang weniger nach einer Frage als nach einer Feststellung. «Ihmsen Bey erwartet Sie.»

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Milena Bonnard half Madame Labarie in die Tram, die sie über die Brücke hinüber nach Galata und bis zur unteren Station der Tünelbahn bringen sollte. Die Reise war ermüdend gewesen, doch wie jedes Mal, wenn sie aus der großen Halle des Sirkeçi-Bahnhofs ins Freie trat, fühlte sie noch einen Hauch von Verwegenheit, einen Nachhall des berauschenden Gefühls vom Tag ihrer allerersten Ankunft. Sie war vor zweieinhalb Jahren mit dem Schiff aus Marseille gekommen, um eine Stelle als Gouvernante für die beiden Töchter des Demirhan Pascha anzutreten. Die Fahrt durch die Dardanellen und das Marmarameer war natürlich spektakulärer, doch die Ankunft in Konstantinopel war immer und aus jeder Richtung ein Erlebnis, ob auf dem Landweg oder über das Wasser.

Sie nahm mit allen Sinnen wahr, was die Stadt an dieser Stelle ausmachte: die Gerüche von Salzwasser, Holzkohlefeuer und gebratenem Fisch, Teer und nassem Segeltuch, von den Pferden und Maultieren, die vor den Fuhrwerken und Tramwagen auf ihre nächste Dienstfahrt warteten; sie sah das Gewusel der Menschen, hörte die Stimmen in den verschiedenen Sprachen und Mundarten, die Straßenverkäufer und Träger, auch die allgegenwärtigen Hunde, die nur sich selbst gehörten, die Möwen; sie sah die schweren