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Tirol um 1270: Das Land befindet sich in einer dramatischen Auseinandersetzung zwischen Graf Meinhard II. und den Bischöfen. Burgen werden belagert und eingenommen, Schlachten geschlagen und Machthaber gestürzt. Inmitten dieser schrecklichen Ereignisse wird ein außergewöhnliches Mädchen geboren, dessen Leben durch atemberaubende Erlebnisse eine völlig neue Wendung nimmt. Dieser Roman erzählt das Leben der heiligen Notburga von Rattenberg und nimmt den Leser mit auf eine faszinierende Reise zwischen historischen Ereignissen, fesselnder Mystik und bedingungsloser Liebe.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
CharlesvonRafenstain
DieBurgmagd
Notburga zwischen KriegundLiebeinTirol
Autor:CharlesvonRafenstain
Bilder:OleksiiShekshueivundCharlesvonRafenstain
Lektorat:MargarethLun
Herstellung und Verlag: Effekt! - Buchverlag, www.effekt.it ISBN:979-12-55320-40-1
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„Warum gerade die heilige Notburga?“ Diese Frage wurde mir oft gestellt. Zum ersten Mal begegnete ich ihr in der Mittelschule, als ich ein Buch über die Geschichte Tirols geschenkt bekam. Es war ein Schwarzweißfoto, wo ihr in barocken Prunk gekleidetes Skelett einen starken Eindruck auf mich machte. Sie hielt eine Sichel in der Hand und wirkte erschreckend und faszinierend zugleich. Von da an bin ich ihr immer wieder begegnet, und als ich mich auf der Kunstschule in Gröden intensiv mit Kunstgeschichte und Ikonographie auseinandersetzte, verstand ich immer besser, wie einzigartig sie war.
2001 erschien dann das Sachbuch „Notburga, Mythos einer modernen Frau“, durch das ich ihre Geschichte besser kennenlernte. Immer wieder stellte sich mir die Frage: „Wenn sie zwischen 1265 und 1313 gelebt hat, warum wird sie dann in einem Kleid aus dem 18. Jh. dargestellt? Die Erklärung ist interessant. Notburgas sterbliche Überreste wurden 1602 gefunden, 1718 exhumiert und schließlich 1740 in einem Reliquienschrein auf dem Hochaltar der Pfarrkirche Eben aufgestellt.
Eines meiner Ziele war es, sie durch diesen historischen Roman von ihrer barocken Wahrnehmung zu befreien und sie so zu zeigen, wie sie zu Lebzeiten wohl gewesen war. Ihre Geschichte schwebt zwischen Legende und Realität, zwischen Mystik und bodenständigen menschlichen Werten. Wenn ich sie mit einem Wort beschreiben soll, dann mit „tapfer“. Sie war unglaublich tapfer und mutig − eine wahre Inspiration!
Die morgendliche Stille wurde durch das Knarren eines alten Floßes und das Plätschern des Paddelblattes unterbrochen. Gestern hatte es den ganzen Tag geregnet, und heute war die Strömung besonders stark, was viel Muskelkraft erforderte. Trotz dieser harten Arbeit freute sich Nikolaus, flussabwärts zu fahren, und beneidete die anderen Flößer nicht, die ihre Waren in die entgegengesetzte Richtung transportieren mussten. Sie schufteten hart und ließen ihre Peitschen tief über die Köpfe der Ochsen zischen. Es war der 27. Juli des Jahres des Herrn 1272, und der Inn zeigte sich an diesem Tag von seiner rauen Seite, aber die Sonne schien von einem märchenhaft blauen Himmel. Ein leichter Sommerwind streichelte die Wipfel der dicht stehenden Nadelbäume am Uferweg und kühlte das bereits verschwitzte Gesicht von Nikolaus. Am liebsten hätte er die zauberhafte Landschaft in vollen Zügen genossen, wenn er nur nicht so viel Konzentration beim Steuern gebraucht hätte. Wenn er Schlagseite bekäme und die wertvolle Fracht verloren ginge, wäre sein ganzer Verdienst weg und eine verschuldete Zukunft stünde ihm bevor. Obwohl er sehr erfahren war und den Fluss beherrschte, steuerte er sein Floß so aufmerksam, als wäre jedes Mal das erste Mal. Vor ihm bog der Inn ein wenig nach links ab, und dann wusste er, dass er sein Tagesziel erreicht hatte. Heute ging es schneller als sonst, und er freute sich über die Möglichkeit, etwas länger rasten zu können. Nach der Kurve bog der Fluss wieder nach rechts ab, und dann folgte eine gerade Strecke, auf der die Strömung deutlich nachließ. Es war kein Zufall, dass genau hier ein Umladeplatz gebaut worden war, denn diese lange Gerade bot etwas mehr Manövrierfreiheit beim Anlegen und Festmachen. Nikolaus war der Erste, der ankam, und bald sollte er Gesellschaft von einem Dutzend anderer Flößer bekommen. Während er darauf wartete, dass die Tagelöhner zum Abladen kamen, hatte er endlich Zeit, sich die Gegend in Ruhe anzusehen. Jedes Mal, wenn er nach Rattenberg blickte, kam ihm der Burgberg wie eine Katze vor, die der warmen Südsonne den Rücken zugekehrt hatte, um noch gemütlicher schlafen zu können. Dieser friedliche Eindruck färbte auch auf die kleine Siedlung unterhalb der Burg ab, deren Häuser dicht aneinander gebaut waren und deren Giebel in mehreren Stockwerken vorkragten, so dass man beim Vorbeifahren nur noch einen Spaltbreit blauen Himmel wahrnehmen konnte. Die Gassen des Städtchens Rattenberg waren so heimelig, dass man es sich auch in den dunkleren Wintermonaten gemütlich machen konnte. Den wirtschaftlichen Aufschwung verdankte Rattenberg dem regen Treiben der fleißigen Handwerker und Bürger und dem Marktrecht. Dem kleinen Ort schien es an nichts zu fehlen. Es lag gut geschützt da, eingebettet zwischen ausgedehnten Wäldern, fruchtbaren Getreidefeldern und frischem Quellwasser aus den Bergen. Dieses idyllische Bild wurde jedoch von der Burg getrübt, die wie ein drohendes Mahnmal auf dem Berghügel die Macht der bayerischen Herzöge und ihrer Zollstange unterstrich.
Nikolaus’ Tagträumereien wurden jäh unterbrochen, als plötzlich eine Gruppe von Kindern auf sein Floß zustürmte und mit lautem Geschrei die Ladung bestaunte, die unter den vom Wind geöffneten Tüchern hervorblitzte. Die vier Buben waren kaum zu beruhigen. Sie sprangen aufgeregt umher und schrien herum. Schließlich riss Nikolaus der Geduldsfaden und er konnte sich nicht mehr zurückhalten. „Ruhe jetzt, ihr ungezogenen Fratzen! Oder ich stopfe euch faule Fische in den Mund!“ Die Buben zweifelten, ob Nikolaus tatsächlich irgendwo faule Fische auf Lager hatte, aber sie merkten auch, dass sie den Bogen überspannt hatten. Sie schwiegen unsicher, reckten aber neugierig die Hälse, um die Fracht besser in Augenschein nehmen zu können. „Boaah! Schau Franz, das müssen ja Hunderte von Spießen sein!“ Der andere Bub nickte und deutete auf eine Kiste daneben. „Ja! Aber schau einmal, was da auf die Kiste gemalt ist! Eine Armbrust! Die hier ist sicher voll mit Armbrüsten!“ Nikolaus war zwar sehr verärgert, dass der geheime Inhalt seiner Fracht entdeckt worden war, aber er war zugleich erleichtert, dass die Buben jetzt wenigstens flüsterten. Es war wirklich blöd, dass es heute so windig war. Er hatte absichtlich bereits um drei Uhr früh mit seiner Arbeit begonnen, um sicher zu gehen, dass niemand etwas von seiner Ladung mitbekam. Waffen zogen oft nur skrupellose Verbrecher an, denen das Leben eines Flößers nichts bedeutete.
Die vielen Waffen gehörten Graf Meinhard II. von Tirol-Görz und sollten nach Bayern in das Zeughaus von Trausnitz bei Landshut, der Stammburg seiner Gemahlin Elisabeth, gebracht werden. Wie das alles zusammenhing und wer was warum tat, darüber musste sich Nikolaus nicht den Kopf zerbrechen. Seine Aufgabe war es lediglich, die heikle Fracht bis hierher zu bringen, ohne Fragen zu stellen.
Nun wurde es ihm aber von Minute zu Minute banger, denn die Fuhrleute, die die Waffen weitertransportieren sollten, waren immer noch nicht eingetroffen. Erst als er den Blick von den Buben auf das Dorf richtete, entdeckte er das kleine Mädchen, das mucksmäuschenstill am Rand des Floßes am Ufer stand und ihn mit großen Augen ansah. Die anderen Kinder schienen sie zu kennen, waren aber immer noch von den funkelnden Waffen gefesselt.
Das Mädchen hingegen beachtete die Waffen nicht, sondern sah Nikolaus an. In der Hand hielt es einen Holzbecher mit Wasser. „Ihr werdet sicher durstig sein... Hier, das ist für euch.“ Sie reichte ihm den Becher, und Nikolaus zog überrascht die Augenbrauen hoch. Das Mädchen schien seine eher misstrauische Reaktion zu amüsieren und kicherte verlegen. „Keine Angst, das ist frisches Quellwasser.“ Der Flößer hatte in der Tat großen Durst, er hatte aber auch schon als Kind gelernt, dass man das Wasser des Inns nicht trinken durfte, weil viele Gerbereien ihre Abfälle dort entsorgten. Hin und wieder tauchten sogar halb verweste Leichen von Waschfrauen auf, die bei ihrer Arbeit in den Fluss gerutscht und mitgerissen worden waren.
Nikolaus verdrängte diese schrecklichen Gedanken und nahm den Becher zu sich. Das Mädchen beobachtete, wie er das Wasser gierig in einem Zug austrank.
„Wie heißt du, mein Kind?“, fragte er, nachdem er ihr den Becher zurückgegeben hatte. „Ich heiße Sigrun und bin die Tochter vom Hutmacher Jakob!“ Nikolaus lachte. „Natürlich heißt er Jakob, wie der Schutzpatron der Hutmacher − wie denn sonst!“ Sigrun ließ sich von seiner gutmütigen Neckerei nicht aus der Ruhe bringen, sondern spielte den Ball keck zurück: „Ist das nicht genauso typisch wie Nikolaus, der Schutzpatron der Seeleute?“ Der Flößer betrachtete das mit vielen Flicken gestopfte, schäbige Kleidchen des Mädchens und stellte fest, dass der Becher mit frischem Quellwasser vermutlich nicht nur eine selbstlose Freundlichkeit gewesen war, sondern dass sie sich für diesen Dienst etwas erwartete. Seine Augen verengten sich zu Schlitzen, und Sigrun wurde durch seine misstrauische Miene doch ein wenig unsicher. „Ich kenne Euren Namen nur, weil die Fuhrleute ihn laut gerufen haben, als sie Euch gesichtet haben. Sie werden bald hier sein.“ Nikolaus konnte seine Neugier nun nicht mehr zurückhalten: „Was willst du eigentlich von mir, hä?“, fragte er wie ein brummender Bär. Sigrun wandte den Blick von ihm ab und schaute auf den launischen Inn. Sie verschränkte die Arme hinter dem Rücken und wippte verlegen mit den Füßen. „Habt Ihr nicht Euren Hut bei diesem Wind verloren? Mein Vater hat eine schöne Auswahl, und viele seiner Hüte sind auch billig zu haben. Wir wohnen dort am Ende der Gasse!“ Sie zeigte mit dem Finger auf ein teilweise aus Holz gebautes Haus, das nicht weit vom Ufer entfernt stand.
„Das ist es also! Was für eine findige kleine Geschäftsfrau!“ In seinem Ton lag eine überraschende Bewunderung, und er rügte sich in Gedanken. „Ich komme später vorbei. Vielleicht kaufe ich dann einen neuen Hut.“ Sigrun sprang vor Freude auf, verabschiedete sich vom Flößer und machte sich hüpfend und singend auf den Weg nach Hause. Doch nach wenigen Schritten blieb sie stehen und drehte sich kurz zu ihm um. „Das Wasser hat übrigens nichts mit dem Geschäft zu tun.“ Nikolaus lächelte freundlich. „Aus welcher Quelle kommt das Wasser dann? Es hat gut geschmeckt!“ Sigrun schaute ihn tiefgründig an. „Aus der Quelle des Herzens“, antwortete sie leise und eilte davon. Die anderen Kinder sahen sie weglaufen und rannten ihr hinterher.
„Sigrun! Warte auf uns!“ Nikolaus hingegen starrte ihr sprachlos nach und musste sich erneut eingestehen, dass dieses Mädchen etwas ganz Besonderes an sich hatte. Auch wenn ihn die Buben geärgert hatten, so war es doch irgendwie schön, die kleine Siedlung so voller Leben zu sehen. Vom Fluss aus konnte Nikolaus auch die Maurer und Zimmerleute sehen, die sich über das Fundament eines neuen Hauses unterhielten, während der Bauherr, der seiner Kleidung nach ein Beamter sein musste, aufgeregt gestikulierte. Neben ihnen schlenderte eine Dirne vorbei, die wahrscheinlich gerade von der Nachtschicht kam und auf dem Weg zum Bäcker war, um ihr Frühstück zu kaufen. Die Bäckerei lag mitten im Dorf, aber in sicherer Entfernung zu allen anderen Häusern. Der Flößer erinnerte sich noch lebhaft daran, als er in seiner Kindheit in Innsbruck eine Bäckerei brennen sah. Die vielen Mehlsäcke schossen dabei wie Feuerbälle in die Luft, so dass man von weitem glaubte, ein Drache treibe dort sein Unwesen.
Der Anblick der zerlumpten Bettler holte Nikolaus in die Gegenwart zurück. Sie versuchten beim Bäcker um Brot zu betteln, doch noch bevor sie die Hand ausstrecken konnten, kamen zwei Wachen herbeigeeilt und vertrieben sie. Langweilig war es in Rattenberg wirklich nicht, und je mehr Nikolaus beobachtete, desto mehr entdeckte er. Er malte sich aus, wo er sein eigenes Haus bauen könnte, wenn er sich hier niederlassen würde. Der westliche Teil der Siedlung gefiel ihm besonders gut, denn dort hatte jemand auf einem Felsen zwei Häuser gebaut, die von prächtigen Bäumen umrahmt waren und durch zierliche Weidenzäune den Verlauf eines ebenso gepflegten Weges markierten. Wie die meisten Häuser der Gegend bestanden sie aus einem massiv gemauerten Erdgeschoss, auf dem sich zwei hölzerne, etwas vorkragende Obergeschosse erhoben. Die beiden zusammengefügten Häuser glichen einem Wohnturm, der stolz seine Umgebung überragte.
Als Nikolaus plötzlich zwei Fuhrmänner vor sich sah, merkte er, wie weit weg er in Gedanken gewesen war. „Ganz schön aufdringlich, diese Bettler, nicht? Der Bäcker scheint erzürnt zu sein...“ Mit dieser Bemerkung rettete sich Nikolaus gerade noch aus einer peinlichen Situation. Die Fuhrmänner richteten nun ihre Blicke ebenfalls auf die Bäckerei, wo die Wachen schnell wieder für Ordnung sorgten. Einige neugierige Dorfbewohner entfernten sich wieder von ihren Fenstern, und das Hundegebell in der Nachbarschaft glitt wieder in träge Stille ab. „Ach, die beiden da?! Das sind keine Bettler, das sind die Leibeigenen vom Egghof bei Zimmermoos, dort hinter dem Burgberg. Der Burgverwalter Hildebrand hat ihnen fast die ganze Ernte abgenommen und dabei den gleichen Fehler gemacht wie viele andere Grundherren: Er hat keine Rücksicht auf mögliche Unglücksfälle genommen. Vor einiger Zeit haben die Egghofer ihr ganzes Getreide und das wenige gepökelte Ziegenfleisch, das man ihnen gelassen hatte, durch Ungeziefer verloren. Gott weiß, ob es Würmer, Käfer oder Ratten waren, jedenfalls haben sie jetzt nichts mehr zu essen und hungern seit Wochen auf die jämmerlichste Weise.“
Nikolaus war Flößer und blickte instinktiv ins Wasser. „Warum fischen die denn nicht?“, fragte er erstaunt. Die beiden Fuhrleute schüttelten resigniert den Kopf. „Weil sie nicht dürfen! Auch die Fischereirechte gehören Ritter Hildebrand, und außerdem dürfen die Leibeigenen ihr eigenes Gericht nicht ohne Erlaubnis des Grundherrn verlassen. Es ist schon oft vorgekommen, dass Ritter Hildebrand fliehende Bauern eingefangen und halb totgeschlagen hat.“ Nikolaus merkte, dass er zwar floßfahren konnte, aber nicht viel vom Landleben wusste. „Und dieser verdammte Hildebrand nennt sich Ritter?!“, stieß er scharf hervor. Der eine Fuhrmann sah sich schnell um. Der andere huschte mit gesenktem Kopf wortlos zu den Waffen und begann umzuladen. Die beiden waren sichtlich erschrocken und wollten offensichtlich nur noch weg, ohne auf die Ankunft der Tagelöhner zu warten. In Windeseile luden sie alle Waffen auf ihren Wagen und verabschiedeten sich mit dem kürzesten Gruß, der ihnen in ihrer Eile möglich war. Nikolaus blieb verblüfft zurück und musste erst einmal tief Luft holen. Der überstürzte Aufbruch der beiden Fuhrmänner kam für ihn völlig überraschend, denn so viel Angst konnte man doch vor einem Edelmann nicht haben. Oder doch? Vielleicht war Hildebrand nicht nur skrupellos, sondern auch hinterhältig genug, um Spione in Rattenberg auszuschicken. Nikolaus mahnte sich also zur Vorsicht und beschloss, von nun an über den „Ritter“ in Rattenberg zu schweigen.
Inzwischen war Sigrun bei ihrem Vater angekommen. Atemlos vom Laufen, konnte sie nur eifrig gestikulieren, wovon er nur Bruchteile verstand. Obwohl er bis über beide Ohren in Arbeit steckte, genoss er diesen kostbaren Augenblick, in dem seine unwiderstehlich süße Tochter vor Begeisterung übersprudelte. „Ich hab dich so lieb, mein Schatz“, dachte er überglücklich. Doch Sigrun muss in ihrer Aufregung seinen Gesichtsausdruck gelesen haben, denn plötzlich hielt sie inne und fiel ihm mit einer herzlichen Umarmung um den Hals. „Vater, du bist der Beste! Und weißt du was? Ich habe einen Flößer überredet, zu uns zu kommen und einen neuen Hut zu kaufen! Dann haben wir wieder etwas mehr Geld für Essen und Seife!“ Ihre Worte beflügelten sein Herz so sehr, dass er für einen Augenblick seine Schmerzen vergaß. Jakob arbeitete schon seit seinem 15. Lebensjahr als Hutmacher, und das hatte unweigerlich seinen Körper in Mitleidenschaft gezogen. Das Filzen der Rohlinge war eine Schinderei ohnegleichen. Tagaus, tagein, immer in der feuchten Hitze, den Rücken gebeugt vom Tragen schwerer Wollsäcke, dazu das ständige Schlagen mit Brettern und das Arbeiten mit Rollen. Die Finger waren von der Seifenlauge und dem Filzen so in Mitleidenschaft gezogen, dass er am Ende des Tages nur mit Mühe den Schlüssel zu seiner eigenen Ladentüre umdrehen konnte. Sigrun konnte sich diese Schmerzen nicht vorstellen, bewies aber großes Einfühlungsvermögen, indem sie jeden Abend unaufgefordert den Laden abschloss. Mit beiden Händen umklammerte sie den viel zu großen Schlüssel und drehte ihn mit aller Kraft, bis
das ersehnte Klicken des Riegels zu hören war.
Jakobs Gedanken wurden plötzlich durch ein Klopfen an der Tür unterbrochen. Es war der kleine Georg, einer der vier Gassenjungen, mit denen Sigrun oft spielte.
„Entschuldigt, dass ich so unangemeldet komme…“ Jakob merkte, dass ihn das Sprechen ein großes Opfer kostete. „Aber ich habe etwas auf dem Herzen. Ich möchte mich für das, was gestern passiert ist, entschuldigen“, erklärte er zerknirscht. Aber sogleich fügte er hinzu: „Vor allem für die anderen, insbesondere für Sepp, den Sohn des Bürgermeisters!“ Als Jakob ihn fragend ansah, fuhr er fort: „Sie haben Sigrun mit allen möglichen schlimmen Spukgeschichten über den Ritter Hildebrand erschreckt, bis sie weinend weggelaufen ist. Ich will da nicht mehr mitmachen, weil mir Sigruns Freundschaft sehr viel bedeutet.“ Sigrun, die mittlerweile aus dem hinteren Raum herausgekommen war, nahm die Entschuldigung zwar an, versteckte sich aber nachdenklich hinter ihrem Vater. Deshalb meinte Jakob, an Georg gewandt: „Wenn man Sigruns Vertrauen verletzt, muss man auch etwas dafür tun, um es wiederzugewinnen. Die Frage, die du dir dabei stellen solltest, ist die, ob du ein Mitläufer bist oder ein echter Freund.“
Als sie wieder allein waren, erzählte Sigrun ihrem Vater ausführlich, wie die Gassenjungen ihr Angst gemacht und sie lächerlich gemacht hatten. Und dann kam plötzlich die Frage, die Jakob schon seit Jahren befürchtet hatte: „Vater, was bedeutet es, tot zu sein?“ Jakob sah seine kleine Tochter liebevoll an, nahm sie auf den Schoß und streichelte ihr übers Haar. „Weißt du, meine Kleine, in deinem Alter ist das schwer zu verstehen, aber ich will trotzdem versuchen, deine Frage zu beantworten. Sterben ist ein bisschen wie tief einschlafen, nur dass man am nächsten Morgen nicht mehr aufwacht. Man schläft einfach in Frieden. Das passiert allen Geschöpfen Gottes, also nicht nur uns Menschen, sondern auch allen Tieren und Pflanzen.“
Sigrun schaute nachdenklich auf die kleine Feuerstelle in der Ecke, ihr Gesicht von den tanzenden Flammen erhellt, und Jakob beobachte sie eine Weile. „Rate einmal, wer übermorgen Geburtstag hat?“, versuchte er schließlich, sie auf andere Gedanken zu bringen. Sigrun schaute ihm freudig ins Gesicht und lachte: „Ich habe Geburtstag!“ Jakob lächelte sie an und hob ihr Kinn an. „Ich habe zwei Überraschungen für dich, und eine davon verrate ich dir bereits jetzt! Wie es der Zufall will, muss ich genau übermorgen zu Ritter Heinrich von Rottenburg auf seine Burg hinauf, um ihm einige Hüte zu bringen, die er im letzten Monat bestellt hat. Du kannst mitkommen, und wenn wir Glück haben, kannst du Ritter Heinrich sogar persönlich treffen und begrüßen.“ Sigrun Herz füllte sich schnell mit Vorfreude auf diesen außergewöhnlichen Ausflug, und sie umarmte ihren Vater stürmisch. Gleichzeitig musste sie an Sepps Geschichte vom Ritter Hildebrand denken und fragte ihn, ob Herr Heinrich auch ein böser Ritter sei.
„Nein, mein Kind, ganz und gar nicht! Ritter Heinrich ist zwar ein echter Kämpfer, aber er ist nicht wie Ritter Hildebrand.
Sigrun tauchte in ihrer Fantasie ein in die faszinierende Welt der Ritter und Burgen, die so viele liebten und die doch so wenigen vorbehalten war. Vor ihrem inneren Auge sah sie schon die Rottenburg vor sich und wie die Ritterfrauen im sonnigen Burghof saßen und mit ihren Mägden an einer großen Stickerei arbeiteten. „Tragen adelige Frauen auch Hüte, Vater?“ Ihre Frage beruhte offensichtlich auf der Hoffnung, auch die Burgherrin kennenzulernen. „Ja, aber eher selten. Meistens tragen sie einen Hut, wenn sie auf der Jagd oder auf Reisen sind. Der hat dann fast immer eine nach vorne spitz zulaufender Krempe und einen runden Gupf, was kein Zufall ist. Erstens kann man einen solchen Hut auch im Winter mit Handschuhen abnehmen, und zweitens schützt er die Augen beim Jagen. Man stelle sich vor, wie leicht man kleine Zweige übersieht, wenn man durch den Wald galoppiert! Ganz abgesehen davon ist er sehr praktisch zum Schutz gegen Sonne und Regen. Diese Hutform tragen alle adeligen Frauen von hier bis Neapel im Süden, Frankreich im Westen und England im Norden. Im Osten dagegen trägt man...“ Jakob brach seine Ausführungen abrupt ab, weil seine Erklärung keinen Sinn mehr machte: Sigrun war bereits in seinen Armen eingeschlafen. Er legte sie ins Bett und deckte sie mit einer warmen Wolldecke zu. Dann betrachtete er sie noch eine ganze Weile und fand, dass sie einem Engel glich. Ihre Züge waren nicht nur von kindlicher Schönheit und seidenweich, sondern Sigrun glich auch ihrer Mutter. Jakob schaute kurz aus dem Fenster in den Sternenhimmel und küsste dann wehmütig das kleine Kruzifix, das Sigrun jetzt an einer Schnur um den Hals trug.
29.Juli1272
Jakob stand früh am Morgen auf und schlich durch die Haustür hinaus in die einsame Gasse. Er war so darauf bedacht, kein Geräusch zu machen, dass er nicht einmal den stämmigen Nachtwächter bemerkte, der an der Kreuzung stand. „Halt! Hände hoch!“ Sein Befehl hallte durch die Stille der Nacht und erschreckte Jakob so sehr, dass er wie angewurzelt stehen blieb. „Um Himmels willen! Hans! Hast du mich jetzt aber erschreckt!“ „Oh, verzeih mir, Jakob!“, bat der Nachtwächter, der den Hutmacher bestens kannte, peinlich berührt. Ich dachte, es sei ein Dieb! Meine Augen sind leider nicht mehr so wie früher, und wenn der Bürgermeister das erfährt, verliere ich meine Arbeit. Bitte sag ihm ja nichts!“
Jakob nickte ihm wohlwollend zu. „Keine Sorge, Hans, ich verrate nichts!“ Der Nachtwächter bedankte sich erleichtert und wechselte schnell das Thema. „Was machst du denn schon so früh?“ Jakob zeigte auf die Münzen in seiner Hand und erklärte: „Heute hat meine Tochter Geburtstag, und ich habe beim Bäcker zwei kleine Weißbrote bestellt.“ Der Nachtwächter seufzte. „Wenn die hohen Herren nicht so geizig wären, könnten wir uns öfter so ein Brot kaufen. Wenigstens sonntags!“ Dem Wächter lief das Wasser im Mund zusammen, als er sich das frisch gebackene Weißbrot vorstellte, aber für ihn war so eine Köstlichkeit einfach außer Reichweite.
„In anderen Ländern, zum Beispiel in England, kann man Weizenmehl sogar nur in Klöstern kaufen, weil die Kirche alle Mahlrechte besitzt“, erklärte Jakob. Hans sah ihn erstaunt an. „Woher weißt du das?“ Jakob bat ihn, etwas leiser zu sprechen. Es war ohnehin ein Wunder, dass noch niemand aus den Fenstern schaute. „Das hat mir vorgestern ein Flößer erzählt, als er mir einen neuen Hut abgekauft hat, nachdem ihm der Wind seinen eigenen fortgeweht hat. Das war sowieso meine Rettung, sonst hätte ich nie das Geld für Sigruns Geschenk aufbringen können.“
Hans klopfte sich leicht auf den gepflegten Eisenhut und grinste. „Der hier wird wenigstens nicht vom Wind fortgetragen und hält auch länger! So, und jetzt muss ich meine Runde beenden. Viel Glück der kleinen Sigrun und dass deine Überraschung gelingen möge!“
Jakob bedankte sich herzlich und eilte weiter in Richtung Dorfplatz. Die Bäckerei lag etwas abseits und war das einzige beleuchtete Gebäude in Rattenberg. Beim Eintreten merkte er gleich die angespannte Stimmung zwischen dem Bäckerehepaar, die ebenso allgegenwärtig war Mehlstaub in der Luft und der Duft nach Brot. „Wer hat denn das ganze Brot bestellt?“, fragte Jakob neugierig. Bestimmt nicht der Bürgermeister!“ Der Bäcker Anton lächelte und sparte sich ebenfalls die Begrüßung. „Obwohl er mein bester Kunde ist, diesmal nicht. Das war Ritter Heinrich von Rottenburg. Der Bäckermeister aus Umbach schafft es nicht allein, und deshalb hat er uns um Hilfe gebeten. Über 300 Brote aller Art sollen heute Mittag geliefert werden.“ Wieso auf der Rottenburg so viel Brot gebraucht wurde, verriet ihm der Bäckermeister allerdings nicht. Jakob war sichtlich beeindruckt. Jetzt die riesige Brotbestellung, vorgestern die ganzen Waffen... Da steckte doch etwas dahinter! Jakob hoffte, auf der Rottenburg mehr darüber zu erfahren. Wenn er Glück hatte, bot sich ihm vielleicht sogar die Gelegenheit, weitere Hutaufträge zu erhalten und mit dem Gewinn endlich das Dach seines Hauses reparieren zu können. Inzwischen hatte der Bäcker die beiden Brötchen geholt und reichte dem Hutmacher einen Holzbehälter. „Das ist das Weißmehl, das ich für Sigruns Brötchen verwendet habe. Komm, greif zu!“ Obwohl Jakobs Finger vom jahrelangen Filzen rau und schwielig waren, spürte er, wie unglaublich fein es war. „So ein kostbares Mehl habe ich noch nie berührt. Es ist feiner als Staub“, meinte Jakob fast andächtig. Der sichtlich stolze Bäcker deutete in eine Ecke, in der sich mehrere Utensilien stapelten. „Dieses Weizenmehl wurde sorgfältig gesiebt, wobei ist schon vorher fein gemahlen wurde, was auch nicht ganz billig war.“
Schließlich gab Jakob die Münzen für die Brötchen der Bäckersfrau, wie es alle hier in Rattenberg taten, und eilte aufgeregt nach Hause. Sigrun war sein Ein und Alles. Seine Eltern waren schon lange tot, seine beiden Brüder ebenfalls. Und seine geliebte Frau, um die er so trauerte, war bei Sigruns Geburt gestorben, aber das hatte er ihr bisher verschwiegen. Sie war einfach zu jung, um eine solche Tragödie zu verstehen, und würde sich nur unnötig schuldig fühlen.
Als Jakob leise die Haustür öffnete, stellte er erleichtert fest, dass Sigrun noch schlief. So konnte er gerade noch die Brötchen auf dem Tisch unter einem Tuch verbergen. Nach kurzer Zeit streckte sich seine Tochter unbekümmert in der Morgensonne. Ihr Gesicht schien nur aus strahlenden Augen zu bestehen, und sie umarmte ihren Vater in unschuldiger Vorfreude, noch bevor er ihr gratulieren konnte.
„Herzlichen Glückwunsch zum 8. Geburtstag, meine liebe Sigrun!“ Er küsste sie auf den Kopf und bat sie, sich an den Tisch zu setzen. Sie wusste, dass jetzt etwas Außergewöhnliches passieren würde und war schon ganz aufgeregt. „Was glaubst du, was sich im Tuch verbirgt?“ „Vielleicht ein Geburtstagsgeschenk?“, fragte die Kleine mit schüchterner Mäuschenstimme. Ihr Vater sah sie fröhlich an und ermunterte sie, das Tuch wegzuziehen, um zu sehen, was darunter war.
„Weißbrote!“, rief das Mädchen glückselig und schnupperte daran. „Die riechen so gut, Vater! Danke! Ich freue mich so sehr!“ Jakob hob den Kopf und sah Sigrun einen Augenblick lang an. „Ich habe dir so wenig gegeben, und doch schenkst du mir die ganze Welt“, flüsterte er tief bewegt. „Und jetzt mach dich besser fertig, denn gleich nach dem Morgenmahl brechen wir zur Rottenburg auf!“ Obwohl sie noch nie in ihrem Leben Weißbrot gekostet hatte, widerstand Sigrun der Versuchung, es gleich zu essen, sondern sparte es sich für später auf.
Der Weg von Rattenberg nach Umbach dauerte etwa drei Stunden. Kurz davor zweigte der Waldweg ab, und von dort war es noch etwa eine Stunde bis zur Rottenburg. Das Wetter war herrlich, und es war eine Freude, gemeinsam zu gehen und miteinander zu plaudern. Jakob trug eine hohe Kraxe, die er nicht nur mit Hüten, sondern auch mit Reiseproviant und zusätzlicher Kleidung vollgepackt hatte. Sollten sie aus irgendeinem Grund nicht in die Burg eingelassen werden, so hatte er wenigstens das Nötigste dabei, um im Wald übernachten zu können. Spätestens nach einer Stunde bereute er es bereits, die hohe Kraxe genommen zu haben, denn sie blieb immer wieder an den Ästen der dicht stehenden Tannen hängen. Das ärgerte ihn sehr, aber seiner Tochter zuliebe beherrschte er sich. Sigrun hingegen merkte nichts und schlenderte unbekümmert neben ihm her, in den Händen noch immer das Säckchen mit ihrem Geburtstagsgeschenk.
Bald zeigte sich der Waldweg von seiner schönsten Seite, und immer wieder beobachteten sie begeistert Tiere. Vögel flogen von Baum zu Baum und zwitscherten sich herausfordernd zu, ein laut klopfender Buntspecht machte sich seine Höhle, Eichhörnchen sprangen lebensfroh von Ast zu Ast, und ein Mäusebussard stürzte sich auf seine ahnungslose Beute. Überall, wo sie hinsahen, war Leben. Plötzlich gab Sigrun einen überraschten Laut von sich, worauf Jakob neugierig den Hals reckte. Etwa dreißig Schritte vor ihnen war ein Fuchs etwas abseits des Weges, der offensichtlich etwas zu fressen gefunden hatte und an seiner Beute zerrte. „Lass mich zuerst einmal nachsehen, was hier los ist“, hielt Jakob Sigrun zurück, nachdem ihn ein ausgesprochen unangenehmer Geruch misstrauisch gemacht hatte. Erst als Jakob nur noch wenige Schritte entfernt war, gab das Tier endlich auf und flüchtete in den tiefen Wald. Jakob hatte den abstoßenden Gestank nach Verwesung richtig gedeutet und erkannte am Waldboden eine halb abgefressene, faulende Hand. Wenig weiter lag ein toter Mann. Der Kopf war bereits stark verwest. Der Kleidung nach sah er aus wie ein Köhler, aber es konnte auch ein Jäger oder ein Wilderer gewesen sein. Mit einem langen Stock versuchte Jakob, die Kleidung ein wenig zur Seite zu schieben, um vielleicht einen Hinweis auf die Identität des Mannes zu finden. Vergeblich. Nur das Hemd fiel ihm auf, denn es war aus feinem, gebleichtem Leinen. Ein solches Hemd war alles andere als ein billiges Kleidungsstück. Ob der Tote jung oder alt war, ließ sich nicht mehr feststellen. Er musste jedenfalls sicher schon zwei Wochen dort gelegen haben, denn außer dem Fuchs hatten auch schon andere Tiere daran genagt. Die Larven waren schon längst ausgekrochen, aber als er schließlich den Leichensaft aus dem Magen fließen sah, wurde es ihm endgültig zu viel und er gab auf.
Endlich eilte Jakob zu seiner kleinen Tochter zurück, die am Weg geduldig auf
ihn gewartet und ihn nur aus der Ferne beobachtet hatte. „Ist alles in Ordnung, Vater?“ Ihr besorgter Tonfall war verständlich, denn auch sie konnte den Gestank riechen. „Ja, mein Kind. Alles ist in Ordnung. Es war nur ein toter Dachs.“ Er hasste es, Sigrun anzulügen, aber sie war einfach zu jung, um den Ernst der Lage zu begreifen.
Wie erwartet, kam die Frage auf das Thema, über das sie zwei Tage zuvor gesprochen hatten. „Und, schläft der Dachs?“ Ihr neugieriger Blick durchbohrte das Dickicht, während sich ihr halber Körper bereits in die falsche Richtung bewegte.
„Komm Sigrun, wir haben jetzt keine Zeit. Herr Heinrich wartet auf uns!“, versuchte nun auch er, wieder auf andere Gedanken zu kommen, und zog die Kleine entschlossen weg.
Auf dem Weg nach Umbach dachte Jakob immer wieder an den Toten. Ohne ein christliches Begräbnis würde seine Seele keine Ruhe finden. Vielleicht sollte er den tragischen Fund Herrn Heinrich melden, auch wenn er sich nicht sicher war, ob die Leiche in seinem Gericht lag. Er musste alles noch einmal durchdenken. Was, wenn ausgerechnet Herr Heinrich für den Tod des Mannes verantwortlich war? Wenn es kein Unfall war, sondern Mord? Das Beste wäre wohl, es so zu melden, wie es war: Er hat die Leiche eines Mannes gefunden, dessen Identität nicht mehr geklärt werden konnte. Wenn Herr Heinrich dahintersteckte, hatte er selbst nichts zu befürchten, denn schließlich konnte er den Toten nicht beschreiben. Das Wichtigste waren jetzt doch die Hutbestellung und Sigruns Geburtstag! Die Sache mit der Leiche würde er erst am Ende des Treffens erwähnen und auf keinen Fall, wenn Sigrun zuhörte.
Der Rest des Weges verlief ohne Zwischenfälle, und kurz darauf erreichten sie endlich die Kreuzung, an der der Waldweg in eine Karrenstraße mündete. Sigrun, die bereits gut fünfzig Schritte voraus war, zappelte schon ungeduldig und sah ihren Vater fragend an. „Rechts, mein Kind. Aber zuerst wartest du brav, bis ich komme! Hier fahren oft Pferdefuhrwerke vorbei, und die sind schnell. Das ist etwas ganz anderes als die Ochsen, die bei uns im Dorf durch die Gegend trotten.“ Sigrun wartete wie befohlen und schielte währenddessen ungeduldig auf ihr Säckchen. Jetzt hätte sie endlich das Brot probieren können, aber sie beschloss, bis zur Ankunft auf der Rottenburg zu warten, denn sie war überzeugt, dass es dort am besten schmecken würde.
Inzwischen hatte ihr Vater sie eingeholt, und sie gingen Seite an Seite. Wie erwartet, kamen einige Wagen vorbei, und seine Angst um Sigrun wurde noch größer, als einige Boten rücksichtslos knapp an ihnen vorbeipreschten. Sie kannten offensichtlich keine Gnade mit ihren Tieren. Die Botschaften mussten wohl sehr wichtig sein. Wichtig und dringend. Ängstlich drückte sich Sigrun an ihren Vater, und sie gingen den Rest des Weges Hand in Hand.
Währenddessen nagte an Jakob das seltsame Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Er versuchte, es zu unterdrücken, und hoffte, dass er sich täuschte. „Schau Vater! Ein Dorf!“ Sigrun reckte ihren Hals, um möglichst gut zu sehen. Sie verglich die Häuser mit denen in Rattenberg und stellte fest, dass es fast genauso viele waren. Auf der einen Seite stand ein etwas größeres Gebäude, aber sie konnte nicht erkennen, ob es eine Kirche oder etwas anderes war.
„Das ist Umbach, mein Kind. Bald sind wir da, denn von hier aus ist es nicht mehr weit bis zu unserem Ziel.“
Kurz vor der Rottenburg teilte sich die Straße in zwei Wege, von denen der rechte bergauf in den Wald führte. Als sie ihn einschlugen, bemerkten sie, dass auch die meisten Pferdespuren in diese Richtung führten, während der Weg nach Umbach fast unberührt schien. Auf der Burg musste also etwas geschehen sein, und ihr Verdacht bestätigte sich bald. Der Weg schlängelte sich durch einen dichten Wald, durch den nur wenig Tageslicht drang. Das Vogelgezwitscher verstummte, und die Zeit schien für einen Augenblick still zu stehen. Im Dickicht neben ihnen begann es plötzlich zu rascheln, und alles wurde noch unheimlicher. Erschrocken sprangen sie zurück, als plötzlich ein grün gekleideter Mann mit einer Armbrust auftauchte und sie anblaffte: „In diesem Wald kann man nicht einmal in Ruhe jagen!“ Jakob erkannte sogleich, dass der Jäger ein Knecht der Herren von Rottenburg war. Seine Kleidung war fein und seine Armbrust teuer.
„Verzeiht, guter Mann, und Gott zum Gruße! Meine Tochter und ich kommen von Rattenberg und wussten nicht, dass hier heute eine Jagd stattfindet.“ Erst jetzt schien der mürrische Jäger die kleine Sigrun zu bemerken und senkte seine Waffe.
„Entschuldige, Kleines! Ich wollte dich wirklich nicht erschrecken! Niemals würde ich meine Armbrust gegen Kinder einsetzen“, versuchte er das Kind zu beruhigen. Sigrun war aber vor Schreck dermaßen außer sich, dass sie nicht zuhörte und sich nur mehr schluchzend an ihren Vater klammerte. Der Jäger stand zunächst unschlüssig da, dann aber hatte er eine Idee. „Weißt du was? Ich mache es wieder gut und werde euch zur Burg begleiten. Es ist sowieso nicht mehr weit.“
Das freundliche Angebot weckte Sigruns Vertrauen, und kurz darauf lächelte sie auch schon wieder. Endlich durfte sie eine Burg von innen sehen! Zum ersten Mal in ihrem Leben!
Auf dem Weg durch den Wald erzählte der Jäger wundersame Dinge, zum Beispiel von einem Festmahl, für das über hundert Wachteln und drei Wildschweine erlegt worden waren. Alle Rottenburger Jäger waren im Einsatz gewesen und gespannt, ob Graf Gebhard von Hirschberg auftauchen würde. „Der ‚Herr des Inntals‘ hat sich doch nicht herabgelassen, dabei zu sein, oder?“ Der spöttische Unterton in Jakobs Stimme sagte aus, was viele im Inntal dachten. Es gab nur wenige, die ein gutes Wort für den Oberpfälzer Fürsten übrighatten. Allein die Arroganz, Innsbruck als „meine Stadt“ zu bezeichnen, brachte die Gemüter vieler Bürger zum Kochen. „Ach, der Graf von Hirschberg! ... Es geht das Gerücht um, dass er voriges Jahr dem Bankett ferngeblieben ist, weil er zu altersschwach war, um die Reise bewältigen zu können. Sein Zustand soll sich seitdem noch verschlechtert haben.“ Der Jäger musterte Jakob und schüttelte resigniert den Kopf.
„Ich weiß, was du denkst, aber er hat gleich zwei Söhne, die er nach ihm selbst benannt hat.“ „Was? Beide Söhne heißen Gebhard? Das ist ja unglaublich!“, empörte sich Jakob. Der Jäger wiegte nachdenklich seinen Kopf. „Es sind unsichere Zeiten, in denen sich die Machtverhältnisse schnell ändern. Für die einen geht es bergab, für die anderen ...“
Der Jäger streckte den Arm aus und deutete nach vorne, wo sich der Wald plötzlich zu einer großen, gerodeten Lichtung öffnete. Erst jetzt bemerkten Jakob und Sigrun, was sich da ihren Augen bot! Der ganze Hügel mit seinem mächtigen Felskamm wimmelte von Menschen, die wie in einem Ameisenhaufen mit dem Ausbau der Rottenburg beschäftigt waren. Es waren mindestens hundert, zwischen Waldarbeitern, Zimmerleuten, Maurern, Steinmetzen, Fuhrleuten, Köhlern, Knechten und schließlich den Bauern, die gut die Hälfte der Arbeitskräfte ausmachten. Es war so viel los, dass Sigrun ständig etwas Neues entdeckte. Die Eindrücke schienen kein Ende zu nehmen. Zwei Holzfäller waren gerade dabei, eine riesige Fichte zu fällen. Der Stamm war schon so weit eingeschnitten, dass der uralte Nadelbaum kurz darauf mit einem respekteinflößenden Krachen zu Boden fiel.
Weder Jakob noch Sigrun hatten die geringste Ahnung, wie so ein Burgenbau vor sich ging. Sie bemerkten, dass unter den Bauern auch viele Frauen waren, die damit beschäftigt waren, Steine zu sammeln. Nachdem sie diese mühsam vom Boden aufgelesen hatten, schleppten sie die gefüllten Rückenkörbe keuchend und schwitzend zur Burg hinauf, wo gerade ein Gebäude mit einer protzigen Schutzmauer erweitert wurde. Eigentlich wäre „erhöht“ passender, denn die schmale Form des Bergrückens ließ eine Erweiterung nur in die Höhe zu.
Jakob war ganz angetan von der Geschäftigkeit auf dem Bauplatz, während Sigrun sofort die Situation erfasste und die Zusammenhänge erkannte. „Natürlich fällen sie Nadelbäume, Vater! Dann kann man damit Gerüste bauen, und den Rest braucht man als Brennholz für den Kalkofen. Aus dem Kalk machen sie Mörtel für die Mauern. Das ist sehr einfallsreich, denn so rodet man gleich den Berghügel und schafft Platz für eine Ringmauer! Aber für die wertvollen Teile wird man sicher Eiche nehmen und nicht Nadelholz... das sieht man dort hinten unter dem kleinen Vordach, wo der Zimmermann gerade eine Tür zimmert! Schau, wie schön die ist!“ Hatte Jakob schon vorher gestaunt, so war er jetzt völlig aus dem Häuschen und starrte ungläubig seine Tochter an, die in kürzester Zeit den gesamten Bauablauf der Rottenburg entschlüsselt hatte. „Die Kleine ist aber schlau für ihr Alter!“ Auch der Jäger hatte ihre Intelligenz bemerkt und war beeindruckt.
„Das ist sie in der Tat. Dafür verursacht sie mir manchmal schlaflose Nächte!“ Lachend verabschiedete sich Jakob vom Jäger und eilte mit seiner Tochter an der Hand über die Baustelle zur Hochburg. Er hoffte sehr, dass Herr Heinrich Zeit für ihn hatte. Sigrun hingegen wünschte sich genau das Gegenteil, denn sie wollte unbedingt so lange wie möglich auf der Burg bleiben, um dieses aufregende Erlebnis zu verlängern.
Als sie die Treppe hinaufgestiegen waren und endlich vor dem Eingang zum Palas standen, wurde ihnen der Weg von zwei Wachen versperrt, die sie nach ihrem Namen und ihren Absichten fragten. Jakob musterte sie und bemerkte sogleich, dass sie auffallend sauber gekleidet und frisch rasiert waren. Ihre Helme hatten keine Beulen, und die Schilde, die sie stolz präsentierten, waren neu bemalt und hatten noch keinen Hieb abbekommen. Selbst ihre Sprache war gewählt, was bei Söldnern meist nicht der Fall war. Sie waren wohl mehr zu repräsentativen Zwecken eingesetzt worden, was auf eine friedliche Zeit hindeutete.
Einer der Wächter rief den Pförtner zu sich und bat ihn, Herrn Heinrich von der Ankunft des Hutmachers Jakob von Rattenberg zu benachrichtigen. Der Pförtner war noch vornehmer gekleidet als die beiden Wächter und trug sogar eine Helmbrünne, die aus sehr kleinen Ringen bestand und so schön gearbeitet war, dass sie eines Ritters würdig gewesen wäre. Zuerst musterte er Jakob, dann ließ er seinen Blick auf Sigrun ruhen. „Hutmacher Jakob aus Rattenberg mit Nachwuchs ist passender, finde ich.“ Offensichtlich mochte der Pförtner keine Kinder, aber er war gezwungen, sich zu benehmen. Dennoch konnte er am Ende seine Gefühle nicht mehr zähmen und ging mit einem „Das fehlt uns noch!“ von dannen. „So ein Brummbär“, sagte Sigrun unbedacht, worauf Jakob ihr rasch die Hand auf den Mund legte. Der Pförtner blieb stehen und drehte sich um. Sigrun merkte, dass sie ins Fettnäpfchen getreten war. Doch der Wächter schüttelte nur den Kopf, murmelte etwas Unverständliches und verschwand im Palas. Die anderen Wachen atmeten erleichtert auf und mahnten zur Vorsicht.
„Otto ist kein schlechter Mensch, aber er hat ein hartes Leben hinter sich. Schlachten, Belagerungen und sogar einen Kreuzzug. Bei uns hat er den Spitznamen
„Rotto“ bekommen, was auf Italienisch „kaputt“ bedeutet. Er ist eindeutig kaputt im Kopf, aber meistens funktioniert er normal.“
Was als ernste Aussage gedacht war, endete als witzige Parodie und brachte den sonst so vorbildlichen ersten Eindruck der Rottenburg ins Wanken. Die beiden Söldner kratzten sich an der Nase und taten so, als sei nichts geschehen. Jakob hoffte nur, dass Sigrun das Wortspiel „Rotto“ nicht gehört hatte, und bat sie zu schweigen, bis er ihr wieder die Erlaubnis zum Sprechen erteilt hatte.
Nach einer Weile kam der untersetzte Pförtner zurück und teilte Jakob mit, dass Herr Heinrich ihn und das Mädchen gleich empfangen würde. In der Zwischenzeit sollten sie in der Vorhalle des Palas warten, bis sie von einem Diener abgeholt würden. Jakob bedankte sich, und bereits kurz darauf wurden die beiden in den Palas eingelassen.
Der Palas war dreistöckig und glich einem prunkvollen Wohnturm, dessen Grundriss etwa zehn Schritt in der Länge und fünf Schritt in der Breite maß. Eine hohe Treppe führte zum Eingang, wo sie diesmal kein Söldner, sondern ein Diener erwartete. Jakob hatte schon oft Diener auf Burgen gesehen, aber für Sigrun war es das erste Mal, und ihre Augen leuchteten vor Begeisterung.
Der Diener war ein junger Mann von etwa zwanzig Jahren mit schulterlangem, gewelltem Haar, das in einer Kaskade von Brauntönen sein feines Gesicht umrahmte. Seine Kleidung war in einem satten Gelb gehalten und wurde in der Mitte von einem einfachen schwarzen Ledergürtel zusammengehalten. Als Sigrun leise, aber doch hörbar sagte, er sehe aus wie ein Engel, schmunzelte der Diener freundlich und bat sie herein.
Drinnen umgab sie auf der Stelle eine angenehme Kühle, die eine willkommene Abwechslung zur sommerlichen Hitze war. Der Diener führte sie zu einer etwas abseits stehenden Bank und lud sie höflich ein, Platz zu nehmen. „Herr Heinrich wird euch gleich empfangen. Ich bringe euch eine Kanne Wasser, damit ihr euch etwas erfrischen könnt.“ Obwohl die vielen Knechte, Mägde und Bewaffneten für ein ständiges Kommen und Gehen sorgten, schienen sie fast lautlos an ihnen vorbeizuhuschen.
Sigrun hatte noch nie in ihrem Leben so viele fein gekleidete Menschen an einem Ort gesehen und war ganz in ihrer Traumwelt versunken, als ihr Vater sie mit einer Frage in die Gegenwart zurückholte.
„Woher weißt du das alles eigentlich? Ich meine, das mit dem Holz, dem Kalkofen, dem Roden und so weiter?“
Die Frage war so anerkennend, dass sie voller Stolz wie aus einer sprudelnden Quelle antwortete. So erfuhr Jakob, wie sie alles von den Gassenjungen, ihren Spielkameraden, gelernt hatte. Zuerst wollten sie die Höhle im Wald zu einer Burg ausbauen und holten sich das nötige Wissen von Handwerkern und Reisenden, die sich kurz in Rattenberg aufhielten. Schließlich war alles aber eine geheime Angelegenheit, denn niemand sollte den genauen Standort und die Bauweise ihrer „Burg“ erfahren. „Ihr habt auch an Belagerungen gedacht! Das ist sehr einfallsreich.“ Jakob machte eine kleine Pause, um ihre Aufmerksamkeit zu bekommen. „Versprich mir, dass du auf dich aufpasst, Sigrun. Ich will nicht, dass du abstürzt.“ Sofort willigte sie ein und umarmte ihn. Ihre Spielkameraden würden nie so offen mit ihren Eltern reden, aber sie hatte den besten Vater der Welt.
Der arme Knecht hatte noch nicht einmal den Wasserkrug gebracht, da stand auch schon eine Magd vor ihnen und forderte sie auf, ihr zu folgen. Aber das war ihnen jetzt egal, denn die Aufregung vor der Begegnung war groß. Der große Moment war gekommen, und Sigrun war so nervös, dass sie ohne nachzudenken eines der Brötchen aus dem Beutel zog und daran knabberte. Das Gefühl war einzigartig! Das Brot war so weich und lecker, dass sie ihren Geschmackssinn völlig neu entdeckte. Nie hätte sie gedacht, dass Brot so himmlisch schmecken kann! Noch unvergesslicher wurde es, als sich die große Tür zum Rittersaal öffnete und sie die längste Tafel ihres Lebens vor sich sah.
Die Wände des Saals waren mit kostbaren Damastvorhängen geschmückt. Ihre goldenen Seidenfäden schimmerten im Licht Dutzender Öllampen, die von der Decke hingen und eine fast himmlische Atmosphäre schufen.
Sigrun betrachtete die konische Form der Glaslampen und staunte, wie viel Licht sie verbreiteten. Am Ende der langen Tafel saß Ritter Heinrich von Rottenburg und beobachtete sie. Sein glattrasiertes Gesicht stand im scharfen Gegensatz zu den beiden Narben, die sich von der Stirn bis auf die Wange zogen. Er wirkte nicht entstellt, aber die Narben waren tief und wirkten im Schatten der Lampen noch auffälliger.
Sigrun war so beeindruckt vom Gesicht des Burgherrn, dass sie den Rest des zauberhaften Interieurs gar nicht mehr wahrnahm. Sie fürchtete sich, und irgendwie doch wieder nicht. Da sie dieses Gefühl nirgends einordnen konnte, drückte sie sich an ihren Vater und merkte, dass auch er angespannt war.
Als sie endlich vor dem Burgherrn standen, neigte Jakob den Kopf und begrüßte Herrn Heinrich höflich.
Dieser schien sich von den Förmlichkeiten nicht aufhalten zu lassen und erhob sich, noch ehe Jakob seine Begrüßung beendet hatte. Er ging auf ihn zu und reichte ihm die Hand.
„Jakob Hutmacher! Wie schön, dich hier auf meiner Burg begrüßen zu dürfen! Es ist lange her…“ Seine Herzlichkeit lockerte unmittelbar die Stimmung, und dann richtete der Ritter seinen Blick neugierig auf Sigrun. Und wer ist dieses schöne Mädchen? Seine Stimme wurde leiser, als er ihre großen Augen sah.
„Das ist meine Tochter Sigrun“, antwortete der Vater. Sie hat heute Geburtstag, und der Höhepunkt des Tages ist es, dass sie Euch kennenlernen darf.“ Sigrun wollte ihn begrüßen, aber sie war so nervös, dass sie kein Wort über die Lippen brachte, sondern ihren Mund hinter dem Brot verbarg. Herr Heinrich schaut sie freundlich an. „Geburtstag! Wie schön! Und wie ich sehe, hast du sogar das feinste Weißbrot bekommen. Das muss gut schmecken!“
Sigrun ging ein paar Schritte auf ihn zu, schaute ihn freundlich an und hielt ihm das andere Brötchen hin.
„Ich habe zwei!“ Ihre Stimme war so sanft, dass Herr Heinrich das Brötchen annahm und davon kostete, um ihre Reaktion zu beobachten. Sigrun überraschte ihn zum zweiten Mal, als sie keine Spur von Reue zeigte, sondern sich freute. Er aß ein Stück vom Brötchen und war beeindruckt von ihrer Selbstlosigkeit. Es musste ihr unglaublich viel bedeuten, und doch teilte sie es ohne einen einzigen Hintergedanken mit einer ihr fremden Person. „Diesen Augenblick werde ich nicht so schnell vergessen, kleine Sigrun. Das ist eines der besten Brote, die ich je gegessen habe. Ich danke dir!“
Jakob verstand sofort, dass sich Herr Heinrich mit seiner Aussage nicht auf die Qualität des Weißbrotes bezog, sondern auf die Geste, die Sigrun ihm erwiesen hatte.
„Unser Bäcker ist gut“, antwortete sie begeistert. Da fiel ihm wieder ein, dass sie doch nur ein kleines Mädchen war. „Du hast recht, mein Kind. Gefällt es dir hier auf der Burg?“, fügte er vorsichtig hinzu.
„Ja, mein Herr. Es ist so schön hier bei euch!“ Sie sagte es vorsichtig und warf ihrem Vater einen schnellen Seitenblick zu, als wolle sie sich vergewissern, dass sie richtig geantwortet hatte. Jakob beruhigte sie, indem er sie kurz an sich drückte. Dann nahm er ihr den Korb ab und wandte sich wieder höflich an Herrn Heinrich.
„Ja, im Vergleich zu Rattenberg ist hier viel los, Herr Heinrich. Da staunt nicht nur meine Tochter. Wenn mir Eure Burg beim letzten Mal schon groß vorkam, so ist sie jetzt mindestens doppelt so groß. Das ist für uns beide sehr beeindruckend.“ Herr Heinrich schien sich über das Kompliment zu freuen und schien einen Augenblick nachzudenken, bevor er weitersprach. „Wisst ihr was? Ich sehne mich heute Abend einfach nach lockerer, angenehmer Gesellschaft an meinem Tisch. In den letzten Tagen habe ich nichts anderes getan, als die Mahlzeiten für diplomatische Angelegenheiten zu nützen. Das hat mir oft so viel Aufmerksamkeit abverlangt, sodass ich am Ende der Einzige war, der noch einen halbvollen Teller hatte. Ich würde mich freuen, wenn ihr mitessen würdet!“ Jakob und Sigrun schauten völlig überrascht. Eine solche Ehre war ihnen noch nie zuteil geworden, schon gar nicht von einem Adeligen! „Wir würden uns sehr freuen, Herr Heinrich. Dürften wir vielleicht im Stall übernachten?“ Die Frage war sehr vorsichtig formuliert, denn Jakob wollte den Bogen nicht überspannen.
Herr Heinrich beobachtete die beiden noch eine Weile, vor allem Sigrun, die sparsam an ihrem Brötchen kaute. „Jesus hat zwar den Tag seiner Geburt in einem Stall verbracht, aber das heißt nicht, dass es dem Geburtstagskind hier auch so ergehen muss. Ihr dürft hier im Rittersaal übernachten! Nach dem Essen werden meine Mägde euer Bett herrichten und sich um alles kümmern.“ Im selben Augenblick öffnete sich unerwartet eine Seitentür, und eine fein gekleidete Frau trat ein. Sie musste etwas unter fünfzig sein, und ihr kostbar geschmücktes Haar schimmerte silbern. Sigrun sah sie wie verzaubert an und war von ihrer Ausstrahlung überwältigt.
Herr Heinrich begrüßte seine Gemahlin mit einer liebevollen, höflichen Geste.
„Meine liebe Frau Reichze! Wie schön, dass du uns mit deinem unerwarteten Erscheinen überrascht hast!“ Er nahm ihre zarten Hände und küsste sie hingebungsvoll.
„Darf ich vorstellen, meine Liebste? Das sind der Hutmacher Jakob aus Rattenberg und seine Tochter Sigrun.“
Reichze begrüßte zuerst Jakob und ging dann vor Sigrun in die Hocke, um mit ihr auf Augenhöhe zu sprechen. „Sei gegrüßt, kleine Sigrun. Gefällt es dir hier auf der Burg?“ Die beiden Männer lächelten und freuten sich, dass die Burgherrin so glücklich war. Sigrun nickte und brachte nur ein schüchternes „Sehr, Herrin!“ heraus. Herr Heinrich sah seine Gattin an und legte Sigrun die Hand auf die Schulter.
„Unser kleines Mädchen hat heute Geburtstag! Ich habe sie zum Essen eingeladen.“ Reichze hatte inzwischen das halbe Brötchen bemerkt, das ihr Ritter in der Hand hielt. Sie fand es süß, aber ihre Aufmerksamkeit richtete sich sogleich wieder auf Sigrun. „Du hast heute Geburtstag? Wie schön!“ In ihrer Stimme schwang ein Hauch von Wehmut mit, als würde sie sich an ihre eigene Kindheit erinnern. Sie ertappte sich bei dem Gedanken und überspielte ihn mit einem freundlichen Lächeln. „Weißt du, dass wir in der Burg einen Raum haben, der nur unserer Familie und unseren engsten Vertrauten zugänglich ist? Dort werden die schönsten Dinge aufbewahrt, und weil es dort einen großen offenen Kamin gibt, nennt man ihn Kemenate. „Was hältst du davon, wenn wir beide da hinüber gehen und die Männer in Ruhe ihre Sachen besprechen lassen?“ Bei dieser rhetorischen Frage jubelte Sigrun laut auf. Sie fühlte sich wie im Traum.
Ihr Alltag in Rattenberg war eine andere Welt. Hier auf der Rottenburg sah sie keine schmutzigen Kleider, und auch die der Mägde und Knechte waren sorgfältig gepflegt und an manchen Stellen so gut geflickt, dass man die schadhaften Stellen gar nicht bemerkte. Kein Schmutz, keine betrunkenen Handwerker, denen der Rotz aus der Nase hing, und auch nicht die widerliche Achselschweißfahne, die die meisten Flößer hinter sich herzogen und die sich mit dem üblen Geruch der Ziegenböcke vermischte, so dass man das eine vom anderen nicht mehr unterscheiden konnte.
Hier war es sauber, frisch gelüftet und parfümiert. Alle, vom jüngsten Stallknecht bis zur ältesten Magd, waren gepflegt, und ihre Manieren waren tadellos. Ja, es war eine ganz andere Welt, die aber auch ihre Schattenseiten hatte. Schattenseiten, von denen ein kleines Mädchen wie Sigrun noch nichts ahnte.
„Ja, das finde ich auch eine wunderbare Idee! Geht nur, ihr beiden. Jakob und ich haben viel zu besprechen, und ich muss ihm auch noch die Hüte abkaufen.“ Herr Heinrich war freundlich, aber streng in seiner Zeiteinteilung. Sigrun war das mehr als recht, denn sie würde beim Abendessen genug von den langweiligen Männergesprächen hören. Reichze nahm sie freundlich an der Hand und führte sie aus dem Raum, wobei sie Jakob einen kurzen Blick zuwarf. Er erwiderte ihn auf subtile Weise.
Reichze war eine jener Frauen, denen man ihr Alter nicht ansah. Ihre Schönheit war zeitlos und anziehend, auch wenn ihr hübsches Gesicht bereits von kleinen Fältchen geziert war. Als sie die Tür hinter sich schloss, packte Jakob seine Ware aus und legte die Hüte auf den dunklen Eichentisch.
„Ich habe mein Bestes gegeben, guter Herr. Der Reisehut hier, nach der neuesten Mode in Tirol hergestellt, hat sich schon fast in der ganzen westlichen Welt verbreitet. Die Engländer nennen ihn „Bycrocket hat“, weil sie gehört haben, dass die Franzosen „chapeau à bec“ sagen. In seinem Eifer hatte Jakob sich selbst vergessen und war vom eigentlichen Thema des Treffens abgewichen. Heinrich lächelte in sich hinein und wollte dem Hutmacher die Freude nicht verderben. „Über die Verbreitung des Schnabelhuts bin ich gut informiert. Trotzdem danke ich dir für deine Erklärung. Was ich aber nicht weiß, ist, wie du diesen Hut gemacht hast. Beschreibe ihn mir und fange einfach mit der Qualität des Filzes an.“
Jakob wurde sich seiner Rolle bewusst und nahm den Schnabelhut ehrfürchtig in die Hand. Seine Finger glitten mit vertrauter Bewegung an der fein gearbeiteten Krempe entlang, als wollten sie ein letztes Mal das kleine Meisterwerk spüren. „Das ist englische Wolle, fein und stark“, konnte Jakob seine Begeisterung kaum zurückhalten. „Sie lässt sich so gut filzen, dass dieser Hut den Kopf im Regen stundenlang trocken hält. Innen ist er mit goldgelber Seide aus Venedig gefüttert, und seht die Einfassung der Krempe mit silberner Brokatborte! Der dunkelgrüne Filz wurde zuerst mit teurem Indigo gefärbt, was nicht nur eines Ritters würdig ist, sondern den Hut auch vor Motten schützt.“
Heinrich begutachtete den Hut und sah Jakob anerkennend an.
„Sehr gut. Jetzt beschreibe mir den zweiten.“ Seine kurze Antwort hatte nichts Arrogantes an sich, sondern klang wie eine wohlwollende Aufforderung. Jakob verstand sofort, was gemeint war, und fühlte sich ein wenig an seine Gesellenprüfung erinnert. „Als ihr damals einen schwarzen Hut für offizielle Anlässe haben wolltet, habe ich mich für diese Form mit dem runden, flachen Gupf und der umgestülpten, anliegenden Krempe entschieden. Ich finde, diese Form passt gut zum Gesicht und verleiht ihm Würde. Wie der Schnabelhut ist auch dieser Hut aus feinster englischer Wolle. Die tiefschwarze Farbe wird durch Kreuzdornrinde und Blauholz erzielt. Diese Farbstoffe werden auch hier die Motten vom Filz fernhalten, aber das feine Futter ist leider mehr gefährdet.“
Er drückte sich etwas unbeholfen aus, dabei wollte er doch nur einen guten Kundendienst leisten. Herr Heinrich nahm beide Hüte in die Hand und nickte zufrieden. „Ich muss zugeben, mit diesen beiden Hüten hast du dich selbst übertroffen. Aber wegen der Motten brauchen wir uns keine Sorgen zu machen, denn ich werde sie nur einmal tragen. Für einen Ritter gehört es sich nicht, bei feierlichen Anlässen zweimal in derselben Kleidung zu erscheinen.“ Er bemerkte, wie verwundert Jakob dreinschaute , was schließlich verständlich war. Jakob wollte etwas sagen, aber Heinrich unterbrach ihn.
„Ich weiß, mein guter Freund. Wir kennen uns schon seit vielen Jahren, und du hast mir immer gut gedient. Niemand in meinem Umfeld hat je ein Wort der Unzufriedenheit über deine Hüte geäußert, weder meine Familie noch ich. Das liegt nicht an deiner Arbeit, sondern an der Situation. Ich werde sicher noch mehr Hüte bestellen, aber in Zukunft werde ich wohl nur noch einen tragen. Der Schneider und der Schuster haben die gleiche Nachricht erhalten. Setz dich! Ich erkläre dir, was los ist.
Jakob nahm am Tisch Platz und versuchte, seine Neugier im Zaum zu halten. Es gab so viele Fragen, nicht nur über den beeindruckenden Ausbau der Rottenburg und die wachsende Zahl der Bediensteten, sondern vor allem auch über die Ursache für so viel Reichtum in so kurzer Zeit.
Herr Heinrich rief eine Magd zu sich und befahl ihr, zwei Gläser Wein zu bringen. Die Magd verbeugte sich und eilte zur Tür hinaus, um kurz darauf mit dem Gewünschten zurückzukehren. Mit erhobenem Haupt und stolzem Gesichtsausdruck stellte sie zwei prächtige Weingläser auf den Tisch und verabschiedete sich mit einem höflichen Gruß. „Ich glaube ihr gern, dass sie so stolz ist. Das sind sehr schöne Gläser. Die Form habe ich noch nie gesehen, obwohl ich viele Händler aus dem Norden kenne.“
Herr Heinrich genoss die schimmernden Grün- und Blautöne im Schein der Lampe und ließ seinen Blick schließlich auf dem immer neugieriger werdenden Hutmacher ruhen. Seine Augen leuchteten zufrieden. „Sie kommen nicht aus dem Norden, sondern aus dem Süden. Genauer gesagt aus Latisana an der Adria, ganz in der Nähe von Venedig.“ Jakob begann endlich zu verstehen, war sich aber nicht sicher, ob er mit seiner Vermutung richtig lag. Er schob sein Glas ein wenig zur Seite und beugte sich vorsichtig zu Heinrich hinüber. „Die Gegend gehört nicht dem Grafen von Hirschberg, wie Eure Burg und Euer Gericht... Ist das nicht ein gefährliches Spiel, Herr Heinrich?“, fragte er leise, als fürchte er, gehört zu werden. Der erfahrene Ritter schien sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen und lehnte sich gelassen in seinem Stuhl zurück. „Nein, mein Freund, es ist nicht gefährlich. Nicht mehr. Die Herrschaft Rottenburg samt Burg und Gericht ist vor einigen Monaten an Graf Meinhard II. von Tirol-Görz übergegangen. Ja, Ihr habt richtig gehört! Der Graf von Hirschberg will keinen offenen Krieg gegen seinen Neffen riskieren, was eine sehr kluge Entscheidung ist. Meinhards Dreistigkeit ist unermesslich und seine Gewalttätigkeit bedenklich, so dass den Hirschbergern nur eine Möglichkeit bleibt: das großzügige Vergleichsangebot anzunehmen und das mittlere Inntal langsam aufzugeben.“ „Das ist ja eine überraschende Nachricht, Herr Heinrich! Hat es dieses Kaufangebot schon gegeben?“ Jakobs Frage war durchaus berechtigt, schließlich gehörte auch Rattenberg zum mittleren Inntal. „Noch nicht. Solche heiklen Angelegenheiten brauchen Zeit, man muss sie erst reifen lassen. Aber die Zeit arbeitet für uns.“
Mit dieser Antwort hatte er seinem Freund zu verstehen gegeben, dass er, Heinrich von Rottenburg selbst, bereits auf die Seite der Tiroler gewechselt war. „Mehr als hundert Jahre und vier Generationen haben wir als treue Andechser Ministerialen dem Herzog von Meranien gedient, haben alle Machtspiele der Bayern mitgemacht und sogar die demütigende Erbübernahme durch die Grafen von Hirschberg über uns ergehen lassen. Damit ist nun endlich Schluss! Mein neuer Herr hat mich vor einem Monat als seinen Ministerialen mit einer Burg in Kaltern und dessen Umgebung mitsamt Tramin belehnt.“
All die Adels- und Ortsnamen verwirrten den armen Hutmacher so sehr, dass er nur mit Mühe den Ausführungen Heinrichs folgen konnte. Er hatte die Abstammung der Rottenburger aufgegeben und vereinfachte das Ganze in seiner eigenen kurzen Zusammenfassung.
„Also, die Rottenburg und Euer Adelsgeschlecht sind de facto ein Teil Tirols geworden. Für Eure Treue hat Euch Graf Meinhard auch mit einer Burg an der Etsch belehnt. Ihr seid nun also Herr zweier Burgen und habt Euren Grundbesitz beträchtlich vermehrt.“ Diese Conclusio gefiel Herrn Heinrich so gut, dass er begeistert die Hände hob und klatschte. „So ist es, mein guter Hutmacher! So einfach ist das! Die Gegend im Süden Tirols ist wunderschön, fruchtbar, sonnig und für den Weinbau bestens geeignet. Das wird meinen Ertrag nicht nur verdoppeln, sondern verfünffachen.“
In diesem Augenblick wurde Jakob klar, wie sehr er durch diese neue Situation seinen Umsatz steigern konnte. In seinem Kopf spielte er schon mit dem Gedanken, seine Werkstatt zu vergrößern und vielleicht sogar zwei Gesellen einzustellen. Andererseits wollte er nicht als berechnender Schmarotzer dastehen. „Nicht schlecht für einen unfreien Edelmann, Herr Heinrich! Jetzt verstehe ich die vielen Boten und woher das Geld für den Ausbau der Rottenburg kommt.“ Herr Heinrich, der noch nie ein so bedeutungsvolles Gespräch mit einem einfachen Mann geführt hatte, strich sich über das Kinn, während sein Blick auf den abgearbeiteten Händen des Hutmachers verweilte. „Ja, nicht schlecht für einen Ministerialen. Das mit den Ministerialen ist sowieso ein veraltetes Konzept, weil die Machtverteilung in Zukunft zwangsläufig anders aussehen muss. Aber das steht jetzt nicht zur Diskussion. Dein Kopf ist voll und dein Glas ist leer, dabei sollte es umgekehrt sein!“, lachte der Burgherr.
Mit einem Wink kam die Magd zurück und füllte die Gläser wieder auf. Im Hintergrund zündeten zwei weitere Mägde mehrere Öllampen an, während ein Knecht die Fensterläden schloss.
Das fröhliche Lachen der Burgherrin hallte von den holzvertäfelten Wänden der Kemenate wider. Das hatte man hier lange nicht mehr gehört! Jahrelang waren die Mauern stumme Zeugen ihrer Trauer gewesen und der unzähligen Versuche, ihren Kummer in Selbstdisziplin zu ersticken.
Heute aber war es anders. Die ganze Kemenate schien vom unbeschwerten Lachen eines Mädchens und ihrer Gastgeberin erfüllt zu sein, was selbst die Diener erfreute, als sie die Tür hinter sich schlossen, um den beiden eine ungestörte Stunde zu gönnen.
„Was ist mit dem Hutmachermädchen?“ Kristine, das persönliche Dienstmädchen der Burgherrin, war sichtlich neugierig und ihrem Tonfall nach auch ein wenig eifersüchtig. Ihre Frage wurde von Markus, dem Diener, der laut Sigrun wie ein Engel aussah, mit einer weniger engelsgleichen Antwort abgetan. „Du sollst deine Arbeit machen und den Mund halten! Hier auf der Burg ist es besser, wenn man seine Nase nicht in die Angelegenheiten der Herrschaft steckt.“ Kristine schluckte zweimal, bevor sie „Jawohl, Herr Burgverwalter“ murmelte. Markus war sicher kein böser Mensch, aber er genoss einfach das Gefühl der Macht. Kristines unterwürfige Antwort war aber auch Teil eines erotischen Spiels, denn sie wusste genau, wie sie ihn verführen konnte. Wie erwartet, änderte Markus seinen Ton und „belohnte“ sie, indem er die Frage doch beantwortete, wenn auch nur teilweise.
„Reichze ist nicht mehr dieselbe, seit sie vor ein paar Jahren ihre 17-jährige Tochter verloren hat. Sie hat zwar noch ihren kleinen Sohn, aber wir wissen beide, wie er ist, und das macht ihr noch mehr zu schaffen. Aber hüte deine Zunge und sprich mit niemandem darüber, wenn dir deine Arbeit hier auf der Rottenburg wichtig ist.“