Die Childfree-Rebellion - Verena Brunschweiger - E-Book

Die Childfree-Rebellion E-Book

Verena Brunschweiger

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Beschreibung

Für alle, die nicht damit rechnen dürfen, ein neues Wundermedikament zu entdecken oder als Held_in in die Geschichte einzugehen, verheißt Elternschaft den vermeintlich nachhaltigsten Weg, sich der Weltgeschichte einzuschreiben. Was einem selbst nicht gelungen ist, soll der Nachwuchs schaffen. Die Idee des "eigen Fleisch und Blut" hat vor allem in Deutschland Konjunktur, obwohl sie zuweilen gleich mehrfach kollidiert: mit den eigenen Ansprüchen an ein emanzipiertes Leben, der allgemeinen Bevölkerungsentwicklung, der permanenten Überlastung der Ressourcen ebendieser Welt. Verena Brunschweiger hat mit ihrem Manifest "Kinderfrei statt kinderlos" im Frühjahr 2019 eine feministische und ethische Lanze für die Kinderfreiheit gebrochen und das Thema des freiwilligen Verzichts auf Kinder sehr erfolgreich erstmals auf die deutsche Agenda gesetzt. In ihrem neuen Buch beschäftigt sie sich mit den Erregungsausschlägen der Debatte, setzt sich mit den häufigsten Missverständnissen auseinander und zeigt darüber hinaus auf, wie viele Anknüpfungspunkte es für die Ideen einer umweltsensiblen Lebensplanung bereits gibt – nicht nur in Deutschland, sondern überall in der Welt. Ein gesondertes Kapitel befasst sich mit der Perspektive von Männern auf das Thema der Kinderfreiheit – eine Gruppe, die ihre Stimme in der Debatte erstaunlich oft zu Gehör brachte.

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Seitenzahl: 177

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Verena Brunschweiger

Die Childfree-Rebellion

Warum »zu radikal« gerade radikal genug ist

ISBN (Print) 978-3-96317-196-3

ISBN (ePDF) 978-3-96317-718-7

ISBN (ePUB) 978-3-96317-730-9

Copyright © 2020 Büchner-Verlag eG, Marburg

Bildnachweis Coverfoto: Juliane Zitzlsperger | neverflash

Umschlaggestaltung: DeinSatz Marburg | tn

Das Werk, einschließlich all seiner Teile, ist urheberrechtlich durch den Verlag geschützt. Jede Verwertung ist ohne die Zustimmung des Verlags unzulässig. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie, detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.de abrufbar.

www.buechner-verlag.de

Für meinen Allerliebsten

Inhalt

What’s happening?

1 Die Ausgangslage

Digitale Meute

Fehlanreize

Blinde Flecken

2 Entdeckungen der Debatte

Komplexe Frontverläufe

Rassistische Ober- und Untertöne

Raum für Auseinandersetzung

Herzlos vs. hirnlos

Misanthropie vs. Antinatalismus

Gefahr von Rechts

Conservative turn

Wütender Antifeminismus

Exkurs: Freemales

Abstraktionsverbot

Das nahende Ende

3 Ein Blick in die Welt4 Reaktionen

Zuschriften und E-Mails

Presseberichterstattung

Schule mit Herz

5 Widersprüche

Selbstverschriebene Ohnmacht

Tierschutz

Rente

Exkurs: Das Bedingungslose Grundeinkommen

Mythen über das BGE

Die vollklimatisierte Zukunft

6 Widerstände des Systems

Ungehörte Fakten

Sterilisation

Abtreibung

Reproduktionsmedizin

Forschungslücken und -bias

7 Männer – mit und ohne Kinder

Der Druck auf Nicht-Väter

Kinder als Statussymbol

Hegemoniale vs. ›neue‹ Männlichkeit

Abgewertete Männlichkeiten

Die Verwandlung vom Mann zum Vater

Last der Ernährerrolle

(Un-)Zuverlässig

Motive kinderfreier Männer

Bekehrungsversuche

Misogyne Väter

Regretting fatherhood?

Homosexuelle Paare

Geistliche

Der Beziehungsstatus

Fakten und Optionen ins Gesicht sehen

Für wen retten?

Antikonsum

(Über)Lebensumstände

Merci

Literaturauswahl

Endnoten

What’s happening?

1 Die Ausgangslage

2 Entdeckungen einer Debatte

3 Blick in die Welt

4 Reaktionen

5 Widersprüche

6 Widerstände des Systems

7 Männer – mit und ohne Kinder

Fakten und Optionen ins Gesicht sehen

1 Die Ausgangslage

Digitale Meute

Je dichter man seinem Nachbarn dauerhaft auf der Pelle zu sitzen gezwungen ist, desto mehr wächst die Wahrscheinlichkeit, ihn irgendwann als reines Hindernis zu betrachten. Wenn es nicht zu viele sind, werden Nachbarn in der Regel als angenehm empfunden (vor allem, wenn sie ruhig und nett sind), sie können sogar zum Sicherheitsgefühl beitragen. Wenn die Zahl aber ein gewisses Maß übersteigt, kippt dieses Empfinden, bis jede einzelne Person in der Nachbarschaft nur noch als Störfaktor und Konkurrent*in gesehen wird.1 Egal, wie gut es einem materiell vielleicht gehen mag – wenn man sich als winziger Teil einer riesigen Herde fühlt, führt das zwangsläufig zum Verlust individueller Freiheiten.

In den letzten Jahrzehnten sind vor allem durch die Möglichkeiten, die das Internet bietet, neue Formen der kollektiven Zusammenrottung entstanden. Neue Formen der Vermassung, Verprollung und Verrohung, wie ich das weniger neutral beschreiben würde.2 Der Backlash ist dabei allgemein gesellschaftlicher Natur und nicht nur im feministischen Rollback zu konstatieren. Die Hate Speech, die solchen Menschen entgegenschallt, besteht aus den Folter-, Vergewaltigungs- und Morddrohungen/-fantasien Krimineller und findet nicht nur als Onlinedeklaration statt. Manchmal wird sie auch in die Tat umgesetzt, wie man am 9. Oktober 2019 in Halle beobachten konnte. Der Täter zeichnete sich durch fast schon typische Interdependenzen aus: Sein Judenhass war (in geringerem Maß) mit einem Antifeminismus verkoppelt. Beides motiviert Menschen mit vergleichbarem Profil, die allein deswegen schon viele deutsche Kinder wollen, damit der sogenannten »Überfremdung« ein Riegel vorgeschoben werden kann. Der Halle-Attentäter Stephan Balliet hatte keinerlei Hemmungen, zuzugeben, dass er gezielt Juden ermorden wollte.

Überall kann man ungestraft Kommentare posten, die Hass gegen bestimmte Gruppen schüren, weswegen die Hemmschwelle immer mehr sinkt – gerade bei Leuten, deren Schwelle ohnehin noch nie besonders hoch war. Während früher noch Zeit, Energie und ein paar Pfennige für die Briefmarke erforderlich waren, kann man jetzt praktischerweise sofort, immer und überall seine Beiträge im Netz zu Protokoll geben. Wenn schon eigentlich beliebte Schauspielerinnen wegen der Farbe ihrer Schuhe Tausende an negativen Kommentaren bekommen, kann man sich vorstellen, was Ökofeministinnen so an unqualifizierten Stellungnahmen erreicht. Selbst der Verlag erhielt Anrufe und schriftliche Äußerungen in Bezug auf Kinderfrei statt kinderlos, die in Hinblick auf ihre Niveaulosigkeit für die Mitarbeiter*innen eine nie dagewesene Ausnahmeerscheinung darstellten.

Menschen in erschreckend großer Zahl suchen sich Ventile für ihre Unfähigkeit und Unwilligkeit, mit einer Zukunft der Krisen (ökologischer und ökonomischer Art), des Scheiterns, des Terrorismus und der existenziellen Konkurrenz mental zurande zu kommen. Die relativ banale Erkenntnis, dass auf einem endlichen Planeten nicht dauerhaft exponentielles Wachstum möglich ist, versuchen immer wieder Leute mit schlechten Videos zu bekämpfen, in denen ›dargelegt‹ wird, dass die Überbevölkerung ein Mythos sei, der von pessimistischen Misanthropen erfunden wurde. Dabei wäre es nicht so schwer, zu erkennen, dass echte Nachhaltigkeit und unbegrenztes Bevölkerungswachstum einfach nicht die widerspruchsfreieste Kombination darstellen.

Fehlanreize

Wir brauchen eine Wirtschaft, die menschliches und ökologisches Wohlbefinden schätzt. Auch politische Maßnahmen können helfen, die dringend notwendigen niedrigeren Geburtenraten zu erreichen. Dazu bedarf es neuer Normen! In Deutschland liegt noch ein weiter, extrem steiniger Weg vor uns, um Positionen einer Wachstumskritik, wie sie Jenna Dodson in ihrem Artikel »The Greatness of The Great Decrease« (23. August 2019) vertritt, den Weg zu bahnen.3 Viele Menschen wollen nicht begreifen, dass nicht nur der Konsum eingeschränkt werden muss. Stundenlang palavern Eltern darüber, dass sie auf eine Tüte verzichten und der Bäckereiverkäuferin sagen, sie möge dem Kind die Semmel doch gleich in die Hand geben. Betrachtet man die Wirksamkeit dieser gut gemeinten Aktionen, gibt es leider überhaupt keinen Grund, sich dafür selbst zu beweihräuchern. Wie wäre es, statt krampfhaft zu versuchen, weniger Plastik zu benutzen, in der eigenen Lebensplanung einfach mit einem Plastikkonsumenten weniger zu rechnen?

Mit dem Platz ist es ganz ähnlich. Da werden Milliarden fürs »Baukindergeld«4 (der Ausdruck schon dreht progressiven Linken den Magen um) verschwendet, damit noch viel mehr Tiere und Pflanzen ihren Lebensraum verlieren und ganze Arten ausgelöscht werden, damit sich unsere Spezies zu Lasten aller anderen immer mehr ausbreiten kann – obwohl wir schon so viele Milliarden sind. Dem muss dringend Einhalt geboten werden.

Die pronatalistische Haltung ist und bleibt naiv und unkritisch. Das manifestiert sich auch bei der Bewegung Extinction Rebellion (XR), deren Mitglieder immer mit den künftigen Generationen argumentieren. Ich halte das für einen der üblichen Denkfehler. Stichwort: Für wen retten wir denn die Erde? Menschliche Selbstüberschätzung ist es schließlich, die uns an den Rand dieses Abgrunds geführt hat, an dem wir jetzt stehen und in den wir unaufhaltsam rutschen. Immer und immer wieder von den fünf nächsten Generationen zu faseln, erscheint in dieser Situation fast schon unrealistisch. Außerdem fragt man sich, warum man mit kommenden Menschen argumentiert, wenn es doch hier und heute um uns geht, die wir schon da sind, die wir jetzt schon leiden an den Auswirkungen des extremen Klimawandels. Jetzt muss ein radikaler Wandel her. Das standhafte Ignorieren von radikalfeministischen und ökosozialistischen5 Perspektiven trägt maßgeblich dazu bei, dass eine vielleicht gut gemeinte Aktion herzlich wenig bringt und noch dazu auf sehr niedrigem Niveau daherkommt. Das fügt sich ins Bild von »Metal for Future«, »Unternehmer4F«, »Omis for Future«, die – gewollt oder ungewollt – dazu beitragen, dass man eine Notwendigkeit ins Lächerliche abgleiten lässt.

XR kämpft nach eigenen Worten gegen den Klimawandel, wirkt insgesamt aber eher wie eine esoterische Gruppe, die sich auf die Kraft der Meditation, des gemeinsamen Weinens oder Ähnliches verlässt. Die hierarchische Struktur der Organisation passt zu diesem Befund ebenso wie die Tendenz, Teilnehmende über anderweitige Mitgliedschaften, politische Aktivitäten etc. auszuhorchen.6 Roger Hallam, einer der Gründer, bezeichnete im November 2019 gegenüber der Zeit den Holocaust als »just another fuckery in human history«7, womit er sich und – das steht immerhin zu befürchten: – seine Gruppierung als hochgradig antisemitisch und völlig indiskutabel entlarvt. Englische Kapitalisten gründeten diese Gruppierung, die nicht wirklich gegen Atomkraft, Sexismus oder Rassismus ist, sondern im Gegenteil sogar verlautbaren ließ, alle dürften mitmachen – das schließt auch Leute mit misogynen Tendenzen ein. Insofern ist es passend, dass die Gruppe für das Leben kämpft – auch für das ungeborene, versteht sich. Allein deswegen kann es sich bei dieser Bewegung niemals um eine progressive, feministische Angelegenheit handeln. Darüber hinaus hat XR nie geäußert, Ausbeutung bekämpfen zu wollen. Man unterstützt die Klasse junger neuer Kapitalisten, die umweltfreundlich produzieren. Wenn gemeinsames Weinen und Beten hilft, deren Produkte besser zu verkaufen, warum denn nicht? So die Logik. Ökonomie vor Ökologie – und das Wichtigste – bloß nicht an den ach so herrlichen Grundfesten unserer Gesellschaft rütteln. Radikale Methoden kommen nicht infrage. Das verblüfft dann doch ein wenig, da durchaus erkannt wird, dass kein Planet B vorhanden ist – dennoch benimmt man sich so, als wäre noch endlos Zeit, als würden kleine Schritte noch ausreichen. Wenn die Erkenntnis, dass echter Umweltschutz nur bedeuten kann, den Kapitalismus und den Pronatalismus über Bord zu werfen, nicht bald mehr Menschen erreicht, dann sieht es schlecht aus für den Planeten A.

Blinde Flecken

Der weltweite Klimastreik am 20. September 2019 in London war dank der Teilnahme der Organisation Population Matters auf einem anderen Problembewusstseinsniveau als vergleichbare Veranstaltungen in vielen deutschen Städten. Der sinnfälligste Ausdruck dafür: ein Demonstrant mit Kondom-Hut und Schild, auf dem zu lesen war: »No use cutting carbon footprints if we increase the number of feet!« Ganz genau. Auch im coolen, progressiven London gab es einige Leute, die diesem Demonstranten verständnislos gegenüberstanden, aber sie gehörten dort zu einer Minderheit – anders, als dies auf einer Demo in Deutschland gewesen wäre. Auch die BirthStrikers, eine Gruppe von bewusst kinderfrei lebenden Frauen (und Männern), die sich in Großbritannien gegründet haben, waren selbstverständlich auf der Londoner Veranstaltung dabei. Auf einer vergleichbaren Demo in Heilbronn gab es solche Transparente nicht. Das einzige Beispiel von einem etwas weitergreifenden politischen Bewusstsein war auf dieser Veranstaltung eine Rednerin von ver.di, die sich vor 2 000 bis 3 000 Leuten explizit gegen die AfD und die von dieser vertretenen Gesellschaftsvorstellung äußerte. Ein singuläres Ereignis in diesem Rahmen.

Ähnlich pessimistisch muss die Altersstruktur der Teilnehmenden stimmen: ca. 70 Prozent Schülerschaft, 20 Prozent Senioren und nur ca. 10 Prozent Menschen im Alter zwischen 25 und 50. Das sagt schon einiges: Diese Gruppe ist nämlich am meisten mit der Affirmation des Bestehenden beschäftigt, qua Kinderkriegen und Arbeiten, um Geld, das offenbar einzig Wichtige für die Familie, heranzuschaffen. Dass ebendiese Arbeit dann vom Demonstrieren und anderen vielleicht durchaus bedeutsamen Aktivitäten abhält – egal. Womöglich hat man aber auch schlicht keine Lust, zu einer Demo zu gehen, findet sich lieber beim Kaffeetrinken oder auf dem Spielplatz zusammen. Oder die Erwachsenen im besten Alter bzw. die Eltern unter ihnen haben tatsächlich gemerkt, dass ihre Einstellung zur eigenen Fortpflanzung Teil des Problems ist? Eine gewagte Hypothese, die vermutlich nur in Einzelfällen zutrifft. Beim größten Fridays-for-future-Streik am 20. September 2019 in Regensburg konnte man einen Kinderwagen sehen, an dessen Seite folgendes Schild befestigt war: »Make love, not CO2«. Ganz offensichtlich ein Dokument aus der Vorstellungswelt des magischen Realismus’, denn es war klar ersichtlich, dass die Eltern dieses ohne jegliche (Selbst-)Ironie dort befestigt hatten. Die Variation desselben Slogans auf einer britischen Demo lautete: »Make love, not babies«.

Dieser Knackpunkt wird von den meisten deutschen Mitbürger*innen weder in seiner Relevanz noch in seiner Berechtigung nachvollzogen – und das ist fatal. Da der Gedanke, dass jeder neue Mensch insbesondere in den Industrienationen ganz enorm zum Klimawandel beiträgt, da er Wohnraum, Nahrung, Mobilität beansprucht, nicht so komplex ist, dass er nicht leicht verstanden werden könnte, muss es andere Gründe für diese Verweigerungshaltung geben. Mehr Menschen bedeutet immer mehr Umweltverschmutzung, weniger Ressourcen etc. Weniger Leute bedeutet mehr Lebensqualität für die einzelnen, Luft, die man atmen kann, verringerter Stress usw. usf.

Der Guardian als ein Vorreiter progressiver Berichterstattung in Sachen Ökologie schrieb am 3. September 2019, dass selbst unsere höchsten Berge mittlerweile ein Müllproblem hätten. Wo früher einzelne Abenteurer*innen unterwegs waren, trifft man aufgrund eines florierenden Tourismus jetzt auf massenhaft Abfall – Bananen- und Orangenschalen und natürlich Plastik. Fast klingt es nach britisch-schwarzem Humor, wenn der Artikel das Bild von leeren Chipstüten auf dem Mount Everest nachzeichnet. Wo Menschen sind, ist auch Müll, das sieht man bei Weinfesten in der Altstadt, in Klassenzimmern, Bahnhöfen – und neuerdings Gebirgsformationen.

Womöglich wäre es an der Zeit, nicht nur die Leute dazu anzuhalten, weniger Abfall zu produzieren (und diesen natürlich entsprechend zu entsorgen), sondern statt Symptom- mal echte Ursachenbekämpfung zu betreiben und an der ›Herstellung‹ neuer Müllproduzenten zu sparen. Menschen konsumieren zwangsweise, und selbst wenn sie sich wahnsinnig einschränken, sie müssen konsumieren, wenn sie (über)leben wollen. Daher ist es unabdinglich, die Zahl der Konsument*innen nicht in dem großen Ausmaß zu erhöhen, wie es momentan leider noch der Fall ist. »Nachhaltige Biobaumwolle« für Baby-Bodys ist in Anbetracht dieser Situation eine erbärmliche Augenwischerei. Weniger neue Menschen – und schon müssen weniger Bodys produziert, gewaschen, getrocknet und weggeworfen werden.

Es ist frustrierend, dass tendenziell Männer und männliche Teenager das Konzept eher kapieren und bereit sind, umzusetzen als Frauen und Mädchen. Andererseits kann man ihnen kaum einen Vorwurf machen, da ihnen von Geburt an von allen Seiten vermittelt wird, dass ein Baby das Bedeutendste ist, was man als Frau schaffen kann. Der soziale Druck, dem man als weibliche Person ausgesetzt ist, ist enorm – und wenn er ›nur‹ von den eigenen Verwandten und Freundinnen kommt. »Die Krönung des eigenen Daseins« – Radikalfeministinnen überläuft es bei solchen Formulierungen eiskalt, aber die breite Masse weiblicher deutscher Wesen stimmt da leider zu. Wie schafft man es, dem natalistischen Narrativ zu entkommen? Wie stark dieses Narrativ ist, beweist die Tatsache, dass Menschen, die sich auch im Angesicht überlasteter Ressourcen für die Fortpflanzung entscheiden, es irgendwie schaffen, das als altruistisch hinzustellen. De facto ist Reproduktion die ultimative Leugnung des Zustands, in dem sich der Planet befindet.

Die australische Procreation Rebellion ist da schon viel weiter. Diese Gruppe mit antinatalistischem Hintergrund ergänzte in Melbourne Stoppschilder mit Sprühfarbe: »[Stop] having children«. Die so entstandene Botschaft solltebaldmöglichst ihre Adressat*innen finden – zum Wohle sämtlicher Beteiligter.