Kinderfrei statt kinderlos - Verena Brunschweiger - E-Book

Kinderfrei statt kinderlos E-Book

Verena Brunschweiger

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Beschreibung

Kinderfrei leben heißt, gegen soziale Erwartungen zu rebellieren – und ist deshalb auch eine feministische Entscheidung. Frauen, die sich gegen Nachwuchs entscheiden, sind die mutigen Vorreiterinnen einer Bewegung, die an Zuspruch gewinnen muss, wenn unser vom westlichen Lebensstil maßlos ausgebeuteter Planet noch länger bewohnbar und lebenswert bleiben soll. Verena Brunschweiger begibt sich als Soziologin und Philosophin, aber vor allem als feministische und ökologische Aktivistin mitten hinein in die Tabuzone unseres gesellschaftlichen Konsenses, der sich ein Lebensglück ohne Kinder nur schwer vorstellen kann. Sie setzt sich kritisch mit dem pronatalistischen Dogma auseinander, das Politik, Kultur und Alltag durchdringt und sich in die Tiefenschichten unseres Denkens, Fühlens und Wünschens eingeschrieben hat. Sie zeigt, wer von diesem Konsens profitiert, und dass er nicht für Geschlechtergerechtigkeit in unserer Gesellschaft sorgen wird. Ihr Fazit: Deutschland braucht eine echte Frauenpolitik, keine unreflektierte pronatalistische Bevölkerungspolitik!

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Seitenzahl: 167

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Verena Brunschweiger

Kinderfrei statt kinderlos

Ein Manifest

ISBN (Print) 978-3-96317-148-2

ISBN (ePDF) 978-3-96317-663-0

ISBN (ePUB) 978-3-96317-679-1

Copyright © 2019 Büchner-Verlag eG, Marburg

Bildnachweis Cover: zettberlin | photocase.de

Autorinnenfoto: Juliane Zitzlsperger | neverflash

Das Werk, einschließlich all seiner Teile, ist urheberrechtlich durch den Verlag geschützt. Jede Verwertung ist ohne die Zustimmung des Verlags unzulässig. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie, detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.de abrufbar.

www.buechner-verlag.de

Stell dir vor, jegliche Fortpflanzung würde eingestellt, dies würde nur bedeuten, dass es keinerlei Zerstörung mehr gäbe.

Mahatma Gandhi

Ein neues Kind: oh wieviel neuer Schmutz kam auch zur Welt! Voll ist die Erde von Überflüssigen, verdorben ist das Leben durch die Viel-zu-Vielen. (…) Viel zu Viele werden geboren: für die Überflüssigen ward der Staat erfunden!

Friedrich Nietzsche, Also sprach Zarathustra

To bear children into this world is like carrying wood to a burning house.

Peter Wessel Zapffe

Inhalt

Ouvertüre

Mütter und Mutterschaft bis zum Abwinken – ein kleiner Pressespiegel

Mutterschaft versus Feminismus – die Notwendigkeit struktureller Kritik

Zerrbilder kinderfreier Frauen

Rassistische und klassistische Untertöne

Reproduktionskritische Töne aus Philosophie und Literatur

Childfree-Foren

Der unerkannte Kulturkrieg

1. Kinderfreiheit als bewusster, feministischer Akt

Auswirkungen und Gefahren von Schwangerschaft und Mutterschaft

Umgang mit Gebärenden

Eine öffentliche Wahrnehmung schaffen

Regretting Motherhood

Warum doch Mutterschaft?

Weiterreichende Implikationen

Spermatokratie und die Produktion vermeintlichen Unglücks

Auszug aus Mamitown

Mutterschaft und Gender Pay Gap

Politik und Mutterschaft

2. Kinderfreiheit in der Kultur

Pornografisierung und Mutterkult – zwei Seiten einer Medaille

Vorbilder – Promis, Kanada und neu erstrittene Lebensräume für Kinderfreie

Von mombies und dem Neid auf die Unabhängigkeit

Die schrittweise Verwandlung öffentlicher Räume

Literatur zur und Bewusstsein für die Childfree-Bewegung

3. Kinderfreiheit der Umwelt zuliebe

Es gibt keinen Planeten B

Die antinatalistische Bewegung

Interdependenzen verschiedener Gewaltverhältnisse und Unterdrückungsformen

Warum wir uns in der Regel selbst nicht die Wahrheit sagen

Kultur des Widerstands

4. Manifest

Literaturtipps

Endnoten

Ouvertüre

1. Kinderfreiheit als bewusster, feministischer Akt

2. Kinderfreiheit in der Kultur

3. Kinderfreiheit der Umwelt zuliebe

4. Manifest

Ouvertüre

Eine Geburtstagsfeier ist eine lustige Angelegenheit, bei der die Person im Mittelpunkt steht, die gerade ein Jahr älter geworden ist. Möchte man zumindest meinen. Es gibt aber auch andere Partys. Die Jubilarin ist in diesem Fall eine Frau, die ihren 40. Geburtstag feiert. Und plötzlich sitzt man dann da, an einem Tisch mit ein paar anderen Gästen, die ausschließlich ein Thema zu kennen scheinen: Kinder. Es geht mit Kinderschwimmen los, danach dreht sich das Gespräch allgemein um Kinderturnen (in diesem Zusammenhang natürlich auch eine geschlagene Viertelstunde um Kinderturnschuhe), schließlich um Urlaub mit Kindern. Als kinderfreier Mensch sitzt man daneben und fragt sich, ob man das alles gerade träumt. Sicher hat man auch mal versucht, der Konversation eine andere Richtung zu geben, aber weitgehend erfolglos. Es wirkt so, als sei Interesse an Themen, die nichts mit Kindern zu tun haben, sehr gering. Dabei war man schon höflich und hat sich gespart, die Assoziation Kinderschwimmen – vollgepinkeltes Wasser/Becken laut auszusprechen. Leicht gefrustet begibt man sich in einen Nebenraum und erlaubt sich, die beschränkten Gespräche an seinem Tisch zu erwähnen. Man bekommt daraufhin zu hören, dass sich das Leben eben ziemlich verändere, wenn man Kinder habe. Aha. Offenbar geht das so weit, dass man sich nicht mehr um den Dialog mit Leuten bemüht, die sich anders entschieden haben. Aber sich beklagen, dass die »Kinderlosen« sich nicht mehr melden bei frisch gebackenen Eltern. Vielleicht hat das ja damit zu tun, dass Letztere nur noch um das Neugeborene herumtanzen und emotionale Geschichten der einstigen Freunde mittendrin irritierend unterbrechen mit Ausrufen wie »Oooh, jemand braucht eine neue Windel, glaub ich!« oder »Jaja, warte mal, kannst du schnell den Schnuller aufheben? Der müsste unter deinem Stuhl liegen…«.

Vielleicht gibt es gute Gründe, warum sich viele Kinderlose nicht mehr als solche bezeichnen, sondern als Kinderfreie? Die angloamerikanische Theorie weist in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hin, dass das Wort »childless« negativ konnotiert ist: das Suffix -less erinnert schließlich auch an less, weniger. Als wäre es ein Makel, keine Kinder zu haben. Als wäre man weniger Frau, oder zumindest eine weniger wertvolle, weil man sich seiner angeblich biologischen Bestimmung entzogen hat.

In diesem Buch soll es nicht um Leute gehen, die unheimlich gern Kinder hätten, aber keine bekommen können, obwohl sie sich zum Beispiel gefährlichen, kostspieligen Hormontherapien etc. unterziehen. Diese Personen sind nicht kinderfrei, sie sind tatsächlich kinderlos. Im Fokus stehen in diesem Buch Frauen, die sich absichtlich, nach reiflicher Überlegung und aus völlig freien Stücken gegen die Reproduktion entscheiden. Sie empfinden ihren »Zustand« dementsprechend auch nicht als Mangel, ganz im Gegenteil. Daher ist der Begriff »kinderfrei« von grundlegender Bedeutung. Ähnlich wie schon bei den freemales (Frauen, die absichtlich und gern ohne Partner leben) ist den Leuten, die sich als childfree oder eben außerhalb des angloamerikanischen Sprachraums als kinderfrei bezeichnen, gerade dieses Freiheitskonzept sehr wichtig. Kinderlos klingt nach einem Defizit, erinnert an arbeitslos. Kinderfrei hingegen betont die Vielzahl der Möglichkeiten, die sich einem eröffnen, wenn man nicht ununterbrochen und hundertprozentig für jemand Minderjähriges verantwortlich ist – und das auch nicht sein möchte. Die Wichtigkeit dieser begrifflichen Differenzierung betont auch Tracy Kind, eine Autorin und Produzentin, die mit ihrem Partner in London lebt. Sie findet, dass der neuere Ausdruck die volle Sprengkraft transportiert, die in diesem Modell enthalten ist: Kinderfrei leben heißt, gegen soziale Erwartungen zu rebellieren und die Normen der Gemeinschaft herauszufordern. Sie spricht mit selbstverständlicher Flapsigkeit von Tatsachen, die man in Deutschland vielen Leuten erst mühselig erklären muss: dass man als Frau seit Jahrtausenden gerade aufgrund der Biologie (oder dem, was scheinbar objektiv als diese präsentiert und erfolgreich verkauft wird) unterdrückt wird! Natürlich ist es viel leichter, überbeschäftigte, erschöpfte Mütter auf ihrem Platz zu halten als Frauen, die ihre Zeit, Kraft und Muße vielleicht in patriarchatsgefährdende Aktivitäten stecken könnten.

Die Frauen, die diese unpopuläre Entscheidung treffen, waren schon immer solche, die dafür auch hart bestraft wurden. Sei es, dass sie als Hexen verbrannt oder zur Nazi-Zeit mit Aufforderungen, dem Führer ein Kind zu schenken, bedrängt wurden. Reichsfrauenführerin Gertrud Scholtz-Klink war es beispielsweise zeitlebens ein besonderes Anliegen, ganz viele Soldaten für den Führer das Licht der Welt erblicken zu sehen. Hier wurden Religion und »Biologie« auf unheilvolle Weise verknüpft, um Frauen auf einem nachrangigen Platz zu halten. Der Fortbestand des Volks war schließlich in Gefahr! Dementsprechend gab es eine Menge dazu passender Aktionen, die ebenfalls diesen Trend unterstützen sollten (und die funktionierten): Entfernung nicht nur jüdischer Beamter, sondern auch weiblicher ab 1934, Senkung der Anzahl an Studentinnen, Reduktion der Auswahlmöglichkeiten, was die Fakultäten betraf etc.1

Viele finden es heikel, sich mit dem Thema der Überbevölkerung überhaupt zu befassen, weil sie darin einzig Vorstellungen von megaloman-menschenfeindlicher Kontrolle vermuten – à la rassistisch-antisemitischem Nazi-Regime. Auf diese Weise wird man diesem Thema sicher nicht gerecht, und ich finde, dass man mitnichten ein »Nazi« ist, wenn man die Tatsache der »Überbevölkerung« anspricht. Wenn ich mich diesem Komplex zuwende, dann richte ich mich nicht – wie oft getan – in erster Linie an Menschen in sogenannten »Entwicklungsländern«, in denen Verhütungsmittel unter Umständen schwerer zugänglich sind. Wenn ich von Überbevölkerung rede, dann meine ich zuvorderst die Ausbeutung unseres Planeten durch die extensive Lebensweise mit exzessivem Ressourcenverbrauch, welche die westlichen Industrienationen für sich adoptiert haben.

Auch heute, in Zeiten des Backlashs, ist es wieder enorm en vogue, sich selbst fortzupflanzen und Frauen, die dazu nicht bereit sind, zu diskriminieren. Es reicht nicht, der Umwelt zu schaden, man muss auch noch die Frauen, die das nicht tun, stigmatisieren und pathologisieren. Deswegen gibt es etliche Frauen, die lieber lügen, als die Wahrheit zu sagen. Die lieber behaupten, sie würden halt einfach nicht schwanger, leider. Als zuzugeben, dass sie absichtlich kinderfrei sind – so enorm sind die Repressalien gegen sie. Allein schon aus diesem Grund bedarf es einer umfassenden Klarstellung, was Kinderfreiheit an positiven Aspekten für die einzelne Frau, die Gesellschaft und natürlich vor allem die Umwelt mit sich bringt.

Mütter und Mutterschaft bis zum Abwinken – ein kleiner Pressespiegel

Am 2. Januar 2018 war in der Mittelbayerischen Zeitung zu lesen, dass die »Babyboomer« der Bundesrepublik in Kelheim leben (so der bizarre Titel einer kleinen Randnotiz…). Insgesamt stieg die Anzahl der Geburten in Bayern im Jahr 2016 um 6,3 Prozent. Dabei gab es Peaks in Passau (21,7 Prozent), Kelheim (16,9 Prozent) sowie in ein paar anderen Orten. Diesen bedrohlichen, in mehrfacher Hinsicht äußerst bedenklichen Trend hat in der streng pronatalistischen deutschen Presse natürlich kein Mensch negativ kommentiert … Auch die Regierung freut sich immer über hohe Geburtenzahlen, so beispielsweise 2015 über den höchsten Wert nach der Wiedervereinigung. Und dieser Trend scheint ungebremst, wie die Nachricht aus der Mittelbayerischen Zeitung beweist.

In den USA hingegen war 2016 ein neues Rekordtief an Geburten zu verzeichnen. Könnte dies eventuell damit zusammenhängen, dass dort lebende Menschen den Klimawandel ernster nehmen? Und wissen, was ein einziges neues Baby für die Umwelt bedeutet? In den Vereinigten Staaten finden Konferenzen statt, die es hierzulande (noch) nicht gibt und von denen die wenigsten in Deutschland überhaupt gehört haben. Dort diskutieren Leute, die sich in Gruppierungen wie »Conceivable Future« zusammenfinden, über das Thema, ob Reproduktion angesichts des Zustands des Planeten noch zu verantworten ist – oder eben nicht. In ihrem Artikel No Children Because of Climate Change (New York Times, 5. Februar 2018) beschreibt Maggie Astor die teilweise konträren Hintergründe der Teilnehmenden. Es sind Frauen und Männer, liberale und konservative Personen, aus diversen Regionen und Mitglieder unterschiedlicher Religionsgemeinschaften, die im Grunde nur eines eint: Es handelt sich offenbar um bewusst lebende Menschen, die nicht einfach blind ihrem Reproduktionstrieb folgen, sondern über eine so wichtige Entscheidung nachdenken.

Denselben Trend sucht man in Deutschland weitgehend vergebens und wieder ist es die Mittelbayerische Zeitung, die einen Tag nach dem New-York-Times-Artikel in ganzseitiger Aufmachung einen Beleg für diese Ignoranz liefert. Unter dem vielsagenden Titel Mit Windeln über den Wolken vernimmt man die mehr oder weniger unterschwellige Botschaft »So viel Fortpflanzung wie möglich«, denn die einzige Sorge des Artikels gilt dem möglichst ungehinderten Flugverkehr mit Neugeborenen. Fliegen ab der Geburt, um das Baby und die unschuldigen Mitreisenden optimal zu terrorisieren – Hauptsache, die Eltern haben Spaß. Da werden dann Ratschläge für diverse Säuglings-Transport-Behältnisse gegeben, da man für den Beckengurt ja eine Größe von über einem Meter haben sollte. Die desaströsen ökologischen Folgen finden mit keinem Wort Erwähnung.

Und auch die Folgeausgabe der genannten Zeitung liefert ein Beispiel für die anhaltende deutsche Fixierung auf das Thema der Mutterschaft. So würdigt das Feuilleton vom 7. Februar eine Künstlerin, die mit Materialien wie Muttermilch arbeitet. Zwei Seiten der Mutterschaft würden so zum Ausdruck gebracht, der Schutz des Säuglings und der Verlust der Freiheit. Schön und gut. Doch der Subtext, der meines Erachtens nicht minder aggressiv zum Ausdruck gebracht wird, ist: Fortpflanzung! Er tönt umso lauter im Kontext einer nicht abreißenden medialen Beschäftigung mit diesem Thema mit oftmals nationalen Untertönen: Deutsche Fortpflanzung über alles. So viele Kinder pro Frau wie möglich sind das oberste Ziel.

Dabei bietet der Rahmen von Kunst großes Potenzial für die Formulierung feministisch-kritischer Positionen. Das zeigen beispielsweise die Arbeiten von Künstlerinnen der Ars-Electronica-Ausstellung »FEMINIST CLIMATE CHANGE: Beyond the Binary«, die im September 2017 in der Kunstuniversität Linz gezeigt wurde. Auch Victoria Vesna, Professorin am Department of Design|Media Arts an der University of California (Los Angeles) und Ko-Kuratorin dieser Ausstellung musste sich schon vorwerfen lassen, dass bei Events wie diesem immer noch zu wenige Frauen aus Kunst und Technologie sichtbar würden. Vesna sieht dies als systemisches Problem, mit dem Frauen schon immer in der traditionellen Kunstwelt, den Wissenschaften, der Technik, in der akademischen Welt und in jedem anderen Lebensbereich konfrontiert gewesen seien. Aufgrund der tiefen Verwurzelung in das jeweilige System werde dieses Problem oftmals noch nicht mal als solches (an)erkannt. Vor diesem Hintergrund muten die Muttermilch-Werke der erwähnten Künstlerin als harmlose Selbstbeschäftigung an. Statt einen größeren gesellschaftlichen Rahmen für die eigene Arbeit zu suchen, wirksame (öko)feministische Aktivitäten zu starten und sich auch einem internationalem Austausch zu stellen, wird mit den Abfällen seines Babys gebastelt.

In das Horn bedrohter deutscher Fortpflanzung stößt auch Michael Abou-Dakn, Gynäkologe in Berlin, der befürchtet, dass sich Frauen die Geburt eines weiteren Kindes genau überlegen könnten, wenn sie aufgrund des Hebammenmangels an manchen Kliniken schlechte Erfahrungen gemacht hätten. Mit dieser Haltung passt er optimal zur deutschen Politik, die nicht nur die digitale Wende verschläft, sondern auch die demografische und die ökologische. Von der feministischen reden wir hier besser erst gar nicht. Solche Weisheiten mit ihren manchmal versteckten, manchmal sehr offensichtlichen Wertsetzungen werden direkt an die Leserschaft weitergegeben. Zahlreiche Magazine – wie in diesem Fall der Focus – fungieren in dieser Hinsicht als permanenter Durchlauferhitzer für die Vorstellungswelt von gestern.

Mutterschaft versus Feminismus – die Notwendigkeit struktureller Kritik

Bereits 2014 stellte Tanja Dückers auf ZEIT Online fest, dass der neokonservative Kult ums Kind für kinderfreie Frauen nur nachteilig sein könne. Sie würden in der Folge als neurotisch gebrandmarkt. Eine Tatsache, die die Autorin »beschämend« findet2 – was sie zweifellos auch ist. Auch Dückers kommt nicht umhin, zu bemerken, dass die Leute, die sich heutzutage für die Reproduktion entscheiden, eine Rolle rückwärts machen würden. Dass sie das progressive Ideal der kinderfreien Frau aus den 70er- und 80er-Jahren hinter sich ließen, um direkt in den 50ern zu landen. Den Blick fest auf eine möglichst kinderreiche Zukunft gerichtet, vernehmen die Reproduktionswilligen die zweite Feminismus-Welle der 60er- und vor allem 70er-Jahre höchstens noch als leises Glucksen in ihrem Rücken.

Von diesem Standpunkt aus betrachtet, geraten die kinderfreien Frauen in den toten Winkel unserer Gesellschaft. Sie werden gern übergangen, da man ja stattdessen über Kämpfe zwischen Müttern sprechen muss. Da werden arbeitende Mamas gegen »Nur-Hausfrauen« ausgespielt, Ewigkeitsgrabenkämpfe gefochten über Fragen wie »Wie viel von der Mutter braucht das Kind?«. Gern mit dem Mantel des Schweigens überdeckt wird aber die eigentlich progressive, revolutionäre Entscheidung, nämlich auf so ein reaktionäres, urbürgerliches Projekt einfach ganz zu verzichten. Dabei sei gesagt: Liebe Mädchen, ihr müsst nicht enden wie eure Großmütter. Mutterschaft wird zwar gerade in Deutschland als schier unausweichliches Los dargestellt, aber mit etwas Mumm in den Knochen kann man sich erfolgreich dagegen wehren! Es ist interessant, dass gerade Mütter andere Frauen in dieser Hinsicht unter Druck setzen. Als würden sie es ihnen nicht gönnen, frei zu sein. Als wäre es nicht ausreichend, dass der Staat als »Reproduktionszuhälter«3 agiert. Was klingen mag wie ein narzisstischer Aufmerksamkeitswettbewerb zwischen Zu-kurz-Gekommenen (den Kinderfreien) und Medienlieblingen (den Müttern mit ihrem Nachwuchs) ist in Wahrheit eine existenzielle feministische Frage, eine echte strukturelle Herausforderung und vielleicht sogar das Zukunftsthema schlechthin.

Warum spricht man sich nun als Feministin gegen Kinder aus? Wendet man sich damit nicht auch gegen Frauen, die ja 50 Prozent der Elternschaft ausmachen? Mir ist wichtig: Man spricht sich nicht gegen einzelne Kinder und deren Mütter und Väter aus – man spricht sich strukturell gegen Fortpflanzung aus. Aufgrund des beunruhigenden Trends der steigenden Geburtenraten, auch und gerade in Deutschland. Zwei Aspekte stehen im Hintergrund dieser Fortpflanzungskritik: 1. Angesichts der katastrophalen Zustände, unter denen unsere Umwelt leidet, muss Reproduktion insgesamt ausdrücklich hinterfragt werden. 2. Angesichts der Zustände, unter denen die meisten Mütter ihren Alltag fristen (müssen), ist es im Interesse der Frauen und damit die deutlich ›feministischere‹ Entscheidung, sich der Fortpflanzung zu verweigern. Auch Mütter, die sich als Feministinnen verstehen, geben zu, dass Mutterschaft die Gefahr birgt, als Frau in nie gekannte Abhängigkeiten zu geraten.

Abgesehen davon lässt gerade ein Neugeborenes den Frauen wenig Zeit und Kraft für Aktionen, Demonstrationen usw. Es ist wunderbar, wenn sich Frauen auch als Mütter noch im Kampf beispielsweise gegen Prostitution engagieren, aber warum muss die Begründung für dieses Engagement sein: »Ich mache das für meine zwei Töchter, damit sie mal in einer schöneren Welt leben können«? Warum sollte man sich nicht für alle Frauen einsetzen, auch diejenigen, die man nicht selbst zur Welt gebracht hat?

Wenn es also durchaus Gemeinsamkeiten zwischen Müttern und Kinderfreien gibt, die zum Ausgangspunkt von gemeinsamem Handeln werden können, bekommen selbst die grandiosesten Mütter dennoch zwei Punkte Abzug. Dafür, dass sie den Beitrag zur Umweltzerstörung, den jeder neue Mensch auf dieser Welt leistet, ignoriert und sich außerdem einem der wirkungsmächtigsten und ältesten patriarchalen Imperative gebeugt haben. Dieses Faktum wird durch die Tatsache bestätigt, dass die meisten Mütter eben auch keine Feministinnen sind. Oftmals treten sie in der Öffentlichkeit sogar auf besonders dummdreiste Art und Weise in Erscheinung. Die Erste, die hier ins Visier rückt, ist Vollzeitmutter par excellence Birgit Kelle, die schon vor ihrem Frustbuch Muttertier mit extrem antifeministischen Verlautbarungen in Wort und Schrift auf sich aufmerksam gemacht hat. Ihr Buch strotzt nur so vor Vorurteilen und Beleidigungen gegenüber denjenigen Frauen, die Kelle ihre privilegierte Lebensweise durch jahrzehntelange Kämpfe überhaupt erst ermöglicht haben! Beifall erhält die Autorin v. a. von Patriarchen (die leidenschaftlich und teilweise auch gefährlich Frauen auf ihre Körperlichkeit reduzieren) und frustrierten »Nur-Hausfrauen«, die sich von dieser Publikation angesprochen fühlen.

Feministisch gesonnene Menschen hingegen bezeichnen ihr Buch als Wutbuch, das an den hysterischen Anfall einer Dreijährigen erinnert – zu Recht … Schließlich stampft die Autorin verbal mit dem Fuß auf, wenn sie bockig verkündet, Feministinnen hätten ihr nichts zu sagen, obwohl diese für sie genauso gekämpft, gelitten und reüssiert haben. Was glaubt Kelle wohl, woher Modelle wie der bezahlte Mutterschutz und andere kommen? Bestimmt nicht von ihren tollen konservativen Patriarchen, die am liebsten eine hundertprozentig abhängige, unterdrückte Frau/Mutter daheimsitzen hätten.

Die feministische Journalistin Gemma Hartley hat thematisiert, welch große Bedeutung kinderfreie Frauen gerade für Mütter haben können, wenn es darum geht, als Mutter nicht die eigenen Interessen aus dem Auge zu verlieren. Hartley schätzt, dass sie auch als Mutter noch mit ihren kinderfreien Freunden in Kontakt steht, da selbige sie zuallererst als eigenständige Person sähen – und erst danach als Mutter. Gerade das habe ihr bei ihrer Identitätssuche in der neuen Rolle sehr geholfen, schreibt sie auf Romper in ihrem Artikel I Needed My Non-Mom Friends More than Ever after Having Kids vom 2. Dezember 2016. Sie brauchte das Gefühl, noch eine Verbindung zur Außenwelt zu haben, brauchte Leute, die sie schon zuvor gekannt hatten, und nicht die oberflächlichen Bekanntschaften aus dem Geburtsvorbereitungskurs.

Zerrbilder kinderfreier Frauen

Weil das Thema der Reproduktion im Blick auf weibliche Lebensentwürfe stets an die erste Stelle gesetzt wird, gerät eine urfeministische Weisheit immer wieder aufs Neue aus dem Bewusstsein der Leute: die Tatsache, dass eben nicht alle Frauen den Drang verspüren, Mutter zu werden. Diesem misogynen Vorurteil, dass alle Frauen eigentlich Babys wollten oder nur den richtigen Vater dafür noch nicht gefunden hätten, wurde bereits vor mehr als einem Jahrhundert von der Psychologin Leta Hollingworth widersprochen. Ihr brillanter Aufsatz Social Devices for Impelling Women to Bear and Rear Children im American Journal of Sociology, in dem sie die massiven gesellschaftlichen Kontrollbedürfnisse benennt, die sich auf die biologische Fruchtbarkeit der Frauen richten, stammt aus dem Jahr 1916.

Um die Natürlichkeit weiblicher Reproduktion so plausibel wie möglich zu machen, werden kinderfreie Frauen oft als unnatürliche Harpyien dargestellt. Jeder kennt diese bösen Hexen aus Märchen, Filmen usw., deren einzige Gemeinsamkeit die Abwesenheit eigener Nachkommen darstellt. In der Realität ist das Spektrum Kinderfreier tatsächlich wahnsinnig breit und deren Leben ebenso im Reich der Wirklichkeit angesiedelt wie das Leben von Frauen mit Kindern. Sicher gibt es eine kleine Minderheit derer, die logischerweise die meiste mediale Aufmerksamkeit bekommen, die Kinder wirklich einfach nicht mögen. So etwas gibt es und so etwas muss auch respektiert werden. Schließlich mögen diese Frauen Kinder nicht per se, sondern den Lärm, Gestank etc., den diese produzieren, wenn sie keine adäquate Erziehung und Pflege erfahren. Insofern kann bei diesem Vorbehalt gegenüber Kindern von einer Spielform der Altersdiskriminierung (Ageismus) keine Rede sein. Dann gibt es eine weitere kleine Minderheit, die Kinder unheimlich gern haben, die aber aus den unterschiedlichsten Gründen keine eigenen bekommen wollen. Alle anderen oszillieren irgendwo zwischen diesen beiden Polen.

Die Heterogenität dieser Gruppe kinderfreier Frauen ist allerdings nicht beschränkt auf die Einstellung zu Kindern. Ein gern bemühtes Klischee ist das des kinderfreien Paars in den Dreißigern, die im Geld schwimmen und jedes Wochenende eine andere Städtetour unternehmen. Dabei gibt es genügend Kinderfreie, die wenig Geld haben. Manche zum Beispiel sind so verantwortungsvoll und bekommen kein Kind, weil sie sehr wenig Geld haben, aber sehr stolz sind und keine fremde Hilfe annehmen wollen.