Die Chroniken von Araluen - Die Belagerung - John Flanagan - E-Book
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Die Chroniken von Araluen - Die Belagerung E-Book

John Flanagan

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Beschreibung

Ein mitterlalterliches Königreich, bedroht von bösen Kräften und ungeheuerlichen Kreaturen, verteidigt von einem jungen Waldläufer und seinen Freunden - willkommen in Araluen!

Burg Macindaw wird von Verrätern besetzt und es ist an Will, die Verteidigung gegen eine drohende Invasion der Skotten aufzustellen. Mit Mut und Einfallsreichtum – und der Hilfe eines alten Freundes – macht sich Will an seine erste geheime Mission im Dienste des Königs …

Spannende und actionreiche Abenteuer in einem fantastisch-mittlalterlichen Setting – tauche ein in »Die Chroniken von Araluen«!

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Seitenzahl: 364

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DER AUTOR

John Flanagan arbeitete als Werbetexter und Drehbuchautor, bevor er das Bücherschreiben zu seinem Hauptberuf machte. Den ersten Band von »Die Chroniken von Araluen« schrieb er, um seinen 12-jährigen Sohn zum Lesen zu animieren. Die Reihe eroberte in Australien in kürzester Zeit die Bestsellerlisten.

Inhaltsverzeichnis

DER AUTORWidmungEinsZweiDreiCopyright

Für meine SchwesterJean: Publizistin, KolumnistinAutorin. Wegbereiterinfür uns andere.

Gundar Hardstriker, der Kapitän des nordländischen Schiffes Wolfswolke, kaute schlecht gelaunt auf einem zähen Stück Rauchfleisch. Seine Mannschaft saß beim Essen zusammengedrängt unter dem dürftigen Schutz von Bäumen und Segeltuch und wärmte sich so gut es ging an einem kleinen qualmenden Feuer. So nahe an der Küste verwandelte sich der Schnee meist um die Mittagszeit in eiskalten Graupelregen, der im Laufe des Nachmittags wieder gefror. Die Mannschaft wartete darauf, dass ihr Kapitän einen Ausweg aus dieser Situation fand, das wusste Gundar nur zu gut. Aber ihm blieb nichts anderes übrig, als ihnen einzugestehen, dass er keinen wusste. Sie waren in Araluen gestrandet, ohne jede Hoffnung auf eine Rückkehr nach Skandia.

Etwa hundertfünfzig Fuß entfernt lag die Wolfswolke mit Schlagseite am Flussufer. Selbst aus dieser Entfernung konnte Gundar mit geübtem Seemannsblick den Knick im Rumpf erkennen, und dieser Anblick brach ihm fast das Herz. Für einen Nordländer war sein eigenes Schiff ein lebendes Wesen, eine Verkörperung seiner Persönlichkeit.

Und jetzt war dieses Schiff kaputt. Der Kiel war schwer beschädigt, der Rumpf eingebrochen. Die Wolfswolke taugte nur noch als Bau- und Feuerholz, jetzt, da der Winter sie alle fest im Griff hatte. Bisher hatte Gundar es vermieden, das Schiff zu zerlegen, doch viel länger konnte er nicht mehr warten. Sie brauchten das Holz, um sich notdürftig Hütten zu bauen, oder eben auch als Feuerholz. Doch solange die Wolfswolke wie ein Schiff aussah, selbst mit diesem verdammten Knick im Rumpf, konnte er sich noch mit einem gewissen Stolz als Skirl betrachten, wie Nordländer einen Schiffskapitän nannten.

Die Reise war vom Anfang bis zum Ende eine Katastrophe gewesen, erinnerte sich Gundar düster. Sie hatten an den gallischen und iberischen Küstendörfern Beute machen wollen. Raubzüge in Araluen gab es in jüngster Zeit nur noch selten, da der Oberjarl von Skandia ein Abkommen mit dem König von Araluen unterzeichnet hatte. Seither waren Raubzüge zwar nicht ausdrücklich verboten, sie wurden jedoch vom Oberjarl Erak nicht gern gesehen, und nur ein wirklich dummer oder tollkühner Skirl würde es riskieren, Eraks Unwillen auf sich zu ziehen.

Gundar und seine Männer hatten die Meerenge als die Letzten der Nordländerflotte erreicht und die anliegenden Dörfer entweder leer vorgefunden, weil andere ihnen zuvorgekommen waren, oder sie hatten es mit Einwohnern zu tun bekommen, die gewarnt waren und sich ihnen kampfbereit entgegenstellten. Es hatte harte Kämpfe gegeben, bei denen der Kapitän einige Männer verloren hatte und ohne Beute abziehen musste. Schließlich hatte er einen Zufluchtsort gesucht und bei einer kleinen Insel vor der Südostküste von Araluen angelegt. Er brauchte dringend Vorräte für die lange winterliche Reise zurück nach Norden.

Gundar lächelte wehmütig, als er darüber nachdachte. Wenn es einen erfreulichen Teil der Reise gegeben hatte, so war es dieser gewesen. Denn auf der Insel waren er und seine Mannschaft von einem jungen Waldläufer begrüßt worden  – und zwar eben jenem, der vor einigen Jahren an Eraks Seite in der Schlacht gegen die Temujai gekämpft hatte.

Zu ihrer Verblüffung hatte der Waldläufer ihnen angeboten, sie mit Verpflegung zu versorgen. Er hatte sie sogar zu einem abendlichen Bankett in die Burg eingeladen, zusammen mit den örtlichen Honoratioren und deren Frauen. Gundars Lächeln wurde breiter bei der Erinnerung an diesen Abend  – wenn er daran dachte, wie seine rauen und unbeholfenen Seeleute sich bemüht hatten, ihr bestes Benehmen an den Tag zu legen und ihre Tischgenossen höflich ersuchten, doch bitte das Fleisch weiterzureichen, oder darum baten, Wein nachgeschenkt zu bekommen. Ihre Versuche, sich unter die bessere Gesellschaft zu mischen, hätten zu Hause in Skandia Stoff für einige gute Geschichten abgegeben.

Sein Lächeln schwand. Zu Hause in Skandia. Er hatte keine Ahnung, wie sie wieder dorthin kommen sollten. Oder ob sie überhaupt jemals zurückkämen. Sie hatten die kleine Insel Seacliff gut genährt und mit reichlich Proviant verlassen. Und der Waldläufer hatte ihnen zum Abschied sogar noch einen Sklaven überlassen.

Der Name des Mannes war Buttle. John Buttle. Er war ein Verbrecher  – ein Dieb und Mörder  – und seine Anwesenheit in Araluen ein Quell steten Ärgers für den Waldläufer. Deshalb hatte er Gundar um den Gefallen gebeten, Buttle als Sklaven nach Skandia mitzunehmen. Der Skirl hatte sofort zugestimmt. Der Mann war stark und gesund und würde einen guten Preis bringen, wenn sie erst zu Hause waren.

Doch dann waren sie in einen schweren Sturm geraten.

Als sie sich dem Festland von Araluen näherten, hatte Gundar befohlen, Buttles Ketten zu lösen. Sie wurden mit der Leeseite auf die Küste zugetrieben, eine Situation, die alle Seeleute fürchteten, und es konnte sein, dass das Schiff es nicht schaffte. Der Mann sollte wenigstens eine Überlebenschance haben.

Gundar würde nie das entsetzliche Geräusch vergessen, als die Wolfswolke auf einen Meeresfelsen auflief. Für Gundar fühlte es sich an, als wäre es sein eigenes Rückgrat, das da brach. Sein geliebtes Schiff knirschte und stöhnte. An der Art und Weise, wie die Wolfswolke in den Wellen wegsackte, und daran, wie quälend langsam sie auf das Ruder reagierte, erkannte Gundar, dass sie es nicht schaffen würde. Mit jeder folgenden Welle wurde das Leck größer, und es war nur eine Frage der Zeit, bis die Wolfswolke entzweibrach und unterging. Aber sie war ein zähes Schiff und noch nicht bereit, aufzugeben … noch nicht.

So als hätten die Meeresgötter ihnen noch einmal helfen wollen, hatte Gundar unverhofft eine Bucht in der felsigen Küste entdeckt, wo eine Flussmündung sich ins Meer öffnete. Er steuerte darauf zu, und obwohl das Schiff schon Schlagseite hatte, schafften sie es in das sichere Gewässer des Flusses. Erschöpft ließen sich die Männer auf ihren Ruderbänken zurückfallen, während der Wind und die heftigen Wellen schwächer wurden.

Das war der Moment, in dem Buttle seine Gelegenheit zur Flucht sah. Er griff sich das Messer vom Gürtel eines Mannes und zog es ihm über die Kehle. Ein anderer Ruderer versuchte, ihn aufzuhalten, aber Buttle schlug ihn nieder, sprang über die Reling und schwamm ans Ufer. Die Seeleute konnten ihm nicht folgen, denn eigenartigerweise können nur wenige Nordländer schwimmen. Obendrein war das Schiff im Begriff unterzugehen. Daher war Gundar gezwungen, Buttle ziehen zu lassen und stattdessen einen Anlegeplatz am Ufer anzusteuern.

Nach der nächsten Biegung entdeckte er einen schmalen Kiesstreifen, der ihren Bedürfnissen genügte, dorthin lenkte Gundar die Wolfswolke. Keinen Augenblick zu früh, wie sich zeigte, als der Kiel endgültig nachgab und brach. Es war, als hätte das Schiff seine Mannschaft bis an Land bringen wollen, um dann still zu sterben.

Die Seeleute gingen an Land und errichteten unter Bäumen ein notdürftiges Lager. Gundar befahl seinen Männern, sich unauffällig zu verhalten. Ohne Schiff hatten sie keine Möglichkeit zu entkommen, und wer konnte schon genau sagen, wie die Einheimischen auf sie reagieren würden oder wie viele bewaffnete Männer sie aufbieten könnten. Auch wenn Nordländer nie einem Kampf auswichen, wäre es dumm, eine Auseinandersetzung mutwillig herbeizuführen, solange sie hier in diesem Land gestrandet waren.

Wenigstens hatten sie genug zu essen, dafür hatte der Waldläufer gesorgt. Aber Gundar brauchte Zeit, um sich einen Ausweg aus dieser verzwickten Lage zu überlegen. Vielleicht konnten sie, wenn das Wetter sich besserte, ein kleines Boot aus dem Holz der Wolfswolke bauen. Gundar seufzte. Er wusste sich einfach keinen Rat. Er war Seemann, kein Schiffsbauer.

Er blickte sich in seinem kleinen Lager um. Hinter der Lichtung, wo er jetzt saß, hatten seine Leute die beiden von Buttle ermordeten Männer begraben. Was für eine Schande, dass sie die Kameraden nicht nach anständiger nordländischer Sitte bestatten konnten.

Gundar schüttelte betrübt den Kopf. »Verflucht sei John Buttle«, brummte er vor sich hin. »Ich hätte ihn über Bord werfen sollen, und zwar gefesselt, wie er war.«

»Ja, das wäre womöglich das Beste gewesen«, sagte plötzlich eine Stimme hinter ihm.

Gundar sprang auf die Füße, wirbelte herum und griff nach seiner Streitaxt.

»Bei Thuraks Hörnern!«, rief er. »Wo zum Teufel seid Ihr denn hergekommen?«

Ein paar Schritte von ihm entfernt saß ein Fremder in einem schwarzweiß gesprenkelten Umhang auf einem Baumstamm. Gundar packte die Streitaxt fester und musterte die seltsame Gestalt. Sie befanden sich hier in einem alten, dunklen und unheimlichen Wald. Vielleicht war dies ein Geist oder ein Wiedergänger, der über die Gegend wachte. Das Muster des Umhangs schimmerte, ja es schien sich zu verändern, und Gundar blinzelte, um genauer sehen zu können.

Seine Männer, die seinen Warnruf vernommen hatten, versammelten sich hinter ihm. Aber die Gestalt in Umhang und Kapuze hatte etwas an sich, was auch sie verunsicherte. Sie blieben hinter ihrem Anführer stehen und warteten auf sein Kommando.

Der Fremde erhob sich und Gundar wich unwillkürlich einen Schritt zurück. Darüber ärgerte er sich und machte sofort wieder einen großen Schritt nach vorn. Seine Stimme war fest, als er sprach.

»Wenn du ein Geist bist«, sagte er, »dann verüble uns die Frage nicht. Andernfalls sag mir sofort, wer du bist  – oder du wirst bald ein Geist sein.«

Der Fremde lachte leise auf. »Gut gesprochen, Gundar Hardstriker, gut gesprochen.«

Gundar spürte, wie sich seine Nackenhaare sträubten. Der Ton seines Gegenüber war freundlich gewesen, aber woher wusste er seinen Namen? Das konnte doch nur bedeuten, dass übernatürliche Kräfte im Spiel waren.

Der Fremde hob die Arme und schob die Kapuze des Umhangs zurück. »Kommt schon, Gundar, erkennt Ihr mich nicht mehr?«, fragte er gut gelaunt.

Gundar betrachtete ihn verblüfft. Vor ihm stand ganz sicher kein verhärmter Geist. Es war ein junges Gesicht mit einem braunen Haarschopf über dunkelbraunen Augen und einem breiten Grinsen. Ein vertrautes Gesicht. Und jetzt wusste Gundar auch, wo er dieses merkwürdig wandelbare Muster des Umhangs schon einmal gesehen hatte.

»Will Hallas!«, rief er überrascht aus. »Seid Ihr das wirklich?«

»Der und kein anderer«, antwortete Will.

Er machte einen Schritt auf den Kapitän zu und streckte dabei seine Hand zum Gruß aus. Gundar ergriff sie und schüttelte sie heftig  – erleichtert, dass er nicht einem Waldgeist gegenüberstand. Hinter sich hörte er die überraschten Ausrufe seiner Mannschaft. Sie waren wohl genauso erleichtert wie er selbst.

Will sah sich um und lächelte. »Schön, vertraute Gesichter zu sehen«, stellte er fest. Einige Nordländer riefen ihm Grußworte zu, die er erwiderte, doch dann runzelte er die Stirn.

»Ich sehe Ulf Oakbender gar nicht«, sagte er zu Gundar. Ulf hatte mit ihm in der Schlacht gegen die Reiter des Ostens gekämpft und er war es auch gewesen, der Will auf der Insel Seacliff als Erster erkannt hatte. Bei dem berühmten Bankett hatten sie nebeneinander gesessen und über die Schlacht gesprochen.

Der Kapitän verzog schmerzvoll das Gesicht. »Diese Ratte namens Buttle hat ihn ermordet«, erklärte er.

Wills Lächeln schwand. »Es tut mir leid, das zu hören. Er war ein guter Mann.«

Es herrschte einen Moment lang Schweigen, während die Seeleute des toten Kameraden gedachten. Dann deutete Gundar hinter sich.

»Wollt Ihr uns nicht Gesellschaft leisten?«, fragte er. »Wir haben noch etwas zähes Pökelfleisch und schlechten Wein, dank einer gewissen, sehr großzügigen Person, die wir auf einer Insel im Süden trafen.«

Will grinste bei der scherzhaften Anspielung und folgte Gundar in ihr kleines Lager. Und wieder musste Will so manche Hand schütteln.

Der Anblick eines vertrauten Gesichts, noch dazu das eines Waldläufers, ließ die Seeleute hoffen, dass es vielleicht doch einen Weg aus ihrer misslichen Lage gab.

Will setzte sich auf einen Baumstamm an das Feuer unter einem Unterstand, der mithilfe des großen Hauptsegels errichtet worden war. Er nahm ein Trinkhorn mit Wein an und prostete den Männern zu.

»Also, Will Hallas«, sagte Gundar, »was bringt Euch zu uns?«

Will sah sich im Kreis um, blickte in die zerfurchten, bärtigen Gesichter und grinste.

»Ich bin auf der Suche nach erfahrenen Kämpfern«, sagte er. »Ich möchte eine Burg überfallen und habe gehört, ihr sollt darin ziemlich gut sein.«

Das Pferd war ein breites braunes Schlachtross, dessen Hufschläge durch den dicken Schneeteppich gedämpft wurden, während der Reiter es vorsichtig den schmalen Weg am Fluss entlang lenkte. Man konnte nicht vorhersehen, wann sich unter diesem dichten weichen Schnee ein Eisstück verbarg, daher liefen Ross und Reiter Gefahr, auszurutschen und hilflos die steile Uferbank hinunter ins Wasser zu stürzen. Der Fluss bewegte sich träge, wurde beinahe erstickt von dem schmierigen, matschigen Eis und kämpfte eine bereits verlorene Schlacht gegen die Kälte, die ihn völlig zufrieren lassen wollte. Der Reiter blickte auf das Wasser und schauderte leicht. Wenn er mit seinem Kettenhemd und den schweren Waffen dort hineinfiel, hätte er kaum Chancen zu überleben. Wenn er nicht ertrank, würde die Eiseskälte ihn töten.

Sein Pferd und seine Ausrüstung ließen darauf schließen, dass er ein Ritter war. Er führte eine Lanze mit sich, deren Ende in einer Halterung an seinem rechten Steigbügel steckte. Ein langes Schwert hing an seiner linken Seite und ein konischer Helm am Sattelknauf. Der Kragen des Kettenhemds war zurückgeschoben, da sein Träger inzwischen gelernt hatte, dass es in diesem schneereichen Land nichts Unangenehmeres gab, als ein eiskaltes Kettenhemd auf der Haut zu spüren.

Entsprechend hatte er sich jetzt unter der Rüstung einen Wollschal um den Hals gewickelt und dazu eine Pelzmütze über die Ohren gezogen. Was ebenfalls nicht zu einer Ritterrüstung gehörte, war der Langbogen, der in einer Lederhülle neben dem Widerrist seines Pferds steckte.

Am auffälligsten aber war sein Schild. Es war ein einfacher runder Schild, den er über den Rücken geschlungen trug. Auf diese Weise bot er Schutz gegen Pfeile oder andere Wurfgeschosse von hinten und konnte dennoch in Sekundenschnelle über den linken Arm gezogen werden. Der Schild war weiß und in der Mitte waren die Umrisse einer blauen Faust abgebildet  – das in Araluen allgemein gebräuchliche Zeichen für einen Ritter, der momentan keinen Dienstherrn hatte und damit »frei« zur Anstellung war.

Als der Weg sich etwas vom Fluss entfernte und verbreiterte, entspannte sich der Reiter sichtlich. Er beugte sich nach vorne und tätschelte sein Pferd am Hals.

»Gut gemacht, Kobold«, sagte Horace leise. Das Pferd warf zustimmend den Kopf zurück. Ross und Reiter waren treue Gefährten, die sich schon während zahlreicher harter Kämpfe aufeinander verlassen hatten. Deshalb stellte das Pferd jetzt auch warnend die Ohren auf. Gute Schlachtrösser waren darauf abgerichtet, jeden Fremden als möglichen Feind zu betrachten.

Und nun kamen da fünf Fremde langsam auf sie zugeritten.

»Wir bekommen Gesellschaft«, sagte Horace. Auf der langen Reise hatte er es sich angewöhnt, mit seinem Pferd zu sprechen. Horace blickte sich um, ob es irgendwo in der Nähe eine bessere Verteidigungsposition für ihn gab, denn auch er war dahingehend ausgebildet, Fremde als mögliche Feinde zu betrachten. Er befand sich gerade an einer Stelle, wo die Baumlinie auf beiden Seiten der Straße ein gutes Stück zurücklag und zwischen Straße und Wald nur niedrige Ginsterbüsche wuchsen. Er zuckte gelassen mit den Schultern. Natürlich hätte er es vorgezogen, einen Baum im Rücken zu haben. Aber der war eben gerade nicht verfügbar, und Horace hatte schon vor Jahren gelernt, dass es keinen Sinn hatte, sich über Dinge zu beschweren, die nun mal nicht zu ändern waren.

Mit einem leichten Beindruck lenkte er das Pferd und zog den Schild über seinen linken Arm. Die flinke Bewegung war ein Hinweis darauf, dass er trotz seiner Jugend mit seinem Handwerkszeug vertraut war.

Denn jung war er noch. Sein Gesicht war offen und arglos, er hatte ein kräftiges, glatt rasiertes Kinn und war ein gut aussehender Bursche. Die Augen waren von einem strahlenden Blau. Auf seiner linken Wange befand sich eine schmale Narbe, wo der Dolch eines Arridi ihn vor mehr als einem Jahr verletzt hatte. Seine Nase war leicht gekrümmt, das Resultat eines Unfalls, als ein übereifriger Schüler nicht hinnehmen wollte, dass der Übungskampf vorbei war und noch einmal mit seinem Holzschwert zugeschlagen hatte. Danach hatte er während seines Arrests genug Zeit gehabt, über diesen Fehler nachzudenken.

Aber diese alte Verletzung beeinträchtigte die angenehme Erscheinung des jungen Mannes nicht, sondern verlieh ihm ein verwegenes Aussehen. Es gab einige junge Damen im Königreich, die meinten, sie betone sein gutes Aussehen sogar noch.

Horace lenkte Kobold mit einem weiteren Schenkeldruck so, dass er etwa in einem Fünfundvierzig-Grad-Winkel zu den sich nähernden Reitern stand und der Schild in ihre Richtung zeigte. Er tat dies sowohl um sich zu schützen, als auch um zu zeigen, mit wem sie es zu tun hatten. Die Lanze ließ er in der Halterung stecken. Sie zu senken wäre eine unnötige Herausforderung gewesen.

Horace musterte die fünf Männer, die sich ihm näherten. Sie führten Schwerter und Schilde mit sich, aber keine Ritterlanzen. Ihre Wappenröcke waren alle mit dem gleichen Symbol geschmückt: einem goldenen Schlüssel auf einem blauweißen Viereck. Es war das Wappen von Macindaw.

Der Anführer, der den Männern vorausritt, war nicht leicht einzuschätzen. Er trug einen Schild und eine lederne Brustplatte, die mit Eisen gespickt war. Sein Beinschutz war aus dem gleichen Material, doch abgesehen davon trug er wollene Kleidung. Er hatte keinen Helm, und kein Symbol auf seinem Schild gab irgendeinen Hinweis darauf, wohin er gehörte. An seinem Sattelknauf hing ein Schwert  – eine schwere Waffe, etwas kürzer und breiter als Horace’ Kavallerieschwert. Und statt einer Lanze führte er einen schweren Kriegsspeer mit sich.

Der Mann hatte halblanges schwarzes Haar und einen ungepflegten Bart. Seine buschigen, zusammengezogenen Augenbrauen verliehen ihm eine finstere, schlecht gelaunte Miene. Insgesamt machte er auf Horace den Eindruck, als sei ihm nicht zu trauen.

Der erste Reiter war nur noch etwa zehn Pferdelängen entfernt, als Horace ihnen zurief: »Ich denke, das ist fürs Erste nahe genug.«

Der Anführer gab ein Zeichen, woraufhin die anderen vier Männer die Zügel anzogen, er selbst ritt jedoch weiter auf Horace zu. Als er etwa fünf Pferdelängen entfernt war, holte Horace seine Lanze heraus und richtete sie geradewegs auf den Reiter. Da sein Gegner beschlossen hatte, ihn herauszufordern, konnte man es Horace kaum übel nehmen, wenn er in Verteidigungshaltung ging.

Die Lanze zeigte auf den Hals des Gegners. Die Spitze glänzte matt, denn sie war erst am Vorabend sorgfältig geschärft worden.

Der Reiter hielt sein Pferd an. »Das braucht’s nicht!« Seine Stimme klang rau und verärgert.

Horace zuckte die Schultern. »Es ist auch nicht nötig, dass Ihr näher kommt, bevor wir uns nicht ein wenig besser kennen«, erwiderte er ruhig.

Jeweils zwei Soldaten lenkten wortlos ihre Pferde nach links und rechts. Horace warf ihnen einen kurzen Blick zu, dann sah er den Anführer an.

»Sagt ihnen, sie sollen bleiben, wo sie sind.«

Der Bärtige drehte sich im Sattel und warf seinen Männern einen bösen Blick zu.

»Das reicht«, befahl er und sie blieben stehen. Horace musterte sie noch einmal. Sie wirkten ungepflegt, ihre Wappenröcke waren fleckig und verknittert, ihre Waffen und die Rüstung unpoliert und stumpf. Sie sahen aus, als hätten sie sich bislang mehr im Wald herumgetrieben, um unschuldigen Reisenden aufzulauern, als im Dienste eines Burgherrn zu stehen. Für gewöhnlich unterstanden die Soldaten dem Befehl von erfahrenen Offizieren. Aber kein Offizier würde solche Nachlässigkeiten erlauben.

»Mir scheint, wir zwei fangen nich besonders gut mitnander an«, stellte der Bärtige fest. Jeder andere hätte mit einer Spur von Humor die versteckte Drohung gemildert. Doch in diesem Fall war die Drohung offen ausgesprochen, und der Mann verstärkte sie sogar noch, als er nach einer kurzen Pause hinzufügte: »Das könnte Euch noch leidtun.«

»Und wieso?«, frage Horace. Sein Gegner trieb es offensichtlich gern auf die Spitze. Horace schmunzelte im Stillen über die Vieldeutigkeit des Wortes in Anbetracht der gesenkten Lanzenspitze. Gelassen steckte er die Waffe wieder zurück in die Halterung, während der Mann ihm antwortete. »Also wenn Ihr nach Arbeit sucht, dann solltet Ihr es ja wohl nich mit mir verderben.«

Horace ließ sich bewusst lange Zeit für eine Antwort.

»Suche ich denn nach Arbeit?«, fragte er gedehnt.

Der Mann deutete wortlos auf das Emblem auf seinem Schild. Es herrschte lange Stille und schließlich fühlte der Bärtige sich genötigt zu sprechen.

»Ihr seid ein Freier«, stellte er fest.

Horace nickte. Er mochte die Art des Mannes nicht. Er war hochmütig und feindselig, ganz so wie jemand, der plötzlich viel Macht bekommen hatte, aber noch gar nicht damit umzugehen wusste.

»Richtig«, stimmte er zu. »Aber das bedeutet nur, dass ich zurzeit nicht in Diensten stehe, jedoch nicht, dass ich nach einer Anstellung suche.« Er lächelte. »Ich könnte ja auch über eigene Mittel verfügen.«

Er sagte das freundlich, ohne jeden Spott, aber der Bärtige zeigte keinerlei Zeichen von Verständnis.

»Komm mir nich so oberschlau, Jungchen. Du hast vielleicht ein Schlachtross und ’ne Lanze, aber das macht dich noch lang nich zum Helden. Du bist nichts weiter als ein abgerissener Bettler, der keine Arbeit hat, und ich bin der Mann, der dir vielleicht Arbeit geben kann  – wenn du ein wenig Respekt zeigst.«

Horace’ Lächeln erstarb. Er seufzte insgeheim  – nicht wegen der Beschimpfung, dass er ein abgerissener Bettler sei, sondern wegen der angedeuteten Beleidigung in dem Wort »Jungchen«. Horace war schon seit seinem sechzehnten Lebensjahr daran gewöhnt, dass seine Gegner seine Fähigkeiten wegen seiner Jugend unterschätzten. Die meisten erkannten ihren Fehler zu spät.

»Wohin willst du?«, wollte der Bärtige wissen.

Horace sah keinen Grund, weshalb er darauf nicht antworten sollte.

»Ich dachte, ich reite mal zur Burg Macindaw«, sagte er. »Ich suche einen Ort, wo ich den restlichen Winter verbringen kann.«

Der Mann schnaubte verächtlich. »Dann hast du ganz falsch gedacht«, sagte er, »denn ich bin der Mann, der für Lord Keren die Leute einstellt.«

Horace runzelte die Stirn. Der Name war ihm neu.

»Lord Keren?«, wiederholte er. »Ich dachte, Lord Syron herrscht auf Macindaw.«

Seine Bemerkung wurde mit einer abschätzigen Geste abgetan.

»Mit Syron ist es vorbei«, sagte der Bärtige. »Er hat nich mehr lange zu leben. Vielleicht ist er sogar schon tot. Und sein Sohn Orman ist davongelaufen. Der versteckt sich beleidigt im Wald. Lord Keren hat jetzt das Kommando und ich bin sein Stellvertreter.«

»Und wer seid Ihr?«, fragte Horace ausdruckslos.

»Ich bin Sir John Buttle«, war die kurze Antwort.

Der Name des Mannes kam Horace irgendwie bekannt vor. Außerdem hätte er schwören können, dass dieser Mann mit den schlechten Manieren und der ungepflegten Kleidung kein Ritter war. Aber er sagte nichts. Es war nichts gewonnen, wenn er den Mann noch weiter verärgerte, und er schien sehr hitzköpfig zu sein.

»Also, wie is dein Name, Junge?«, fragte Buttle. Wieder seufzte Horace, antwortete jedoch in freundlichem Ton.

»Hawken«, sagte er. »Hawken Watt, ursprünglich aus Caraway, jetzt Bürger dieses großen Reiches.«

Erneut bekam er trotz seiner Freundlichkeit eine ungehaltene Antwort.

»Nich von diesem Teil des Reiches«, widersprach Buttle. »Hier auf Macindaw gibt es keine Arbeit für dich und auch sonst nirgendwo in Norgate. Zieh weiter. Mach, dass du hier verschwindest, bevor die Sonne untergeht, wenn du weißt, was gut für dich ist.«

»Ich werde Euren Rat in Erwägung ziehen«, sagte Horace.

Buttles Stirnrunzeln verstärkte sich und er beugte sich mit zusammengekniffenen Augen vor.

»Tu mehr als das, Jungchen. Nimm ihn an. Ich bin kein Mann, mit dem du dich anlegen möchtest. Und jetzt sieh zu, dass du weiterkommst.«

Er deutete mit dem Daumen nach Südosten, wo die Grenze zum nächsten Lehen lag. Doch inzwischen hatte Horace beschlossen, dass er genug von Sir John Buttle hatte. Er lächelte und machte keine Anstalten, weiterzureiten. Äußerlich schien er völlig gelassen. Doch Kobold spürte die kleinen Anzeichen, die ihm verrieten, dass sein Herr sich anspannte. Das Schlachtross stellte die Ohren auf  – ein Kampf lag in der Luft.

Buttle zögerte, unsicher, was er als Nächstes tun sollte. Er war eigentlich daran gewöhnt, dass die Leute auf seine Drohungen hin einen Rückzieher machten. Und heute hatte er noch dazu einige Soldaten um sich geschart. Doch da war dieser gut bewaffnete junge Mann, dessen Selbstvertrauen nicht einmal zu erschüttern war, wenn es fünf zu eins stand. Buttle begriff, dass er entweder seine Drohung wahrmachen und den Krieger mit Gewalt vertreiben oder einen Rückzieher machen musste. Noch während er darüber nachdachte, grinste Horace ihn gelassen an, und auf einmal schien Rückzug die bessere Idee zu sein.

Wütend drehte er sein Pferd und gab seinen Männern das Zeichen, ihm zu folgen.

»Vergiss nich, was ich gesagt habe!«, rief er über die Schulter. »Du hast nur noch bis Einbruch der Dämmerung Zeit.«

Als die kleine Gruppe davonritt, kraulte Horace nachdenklich sein Pferd zwischen den Ohren. Er hatte den Eindruck, dass man ihm sofort eine Anstellung angeboten hätte, wenn er Buttle entgegengekommen wäre. Doch die Tatsache, dass er Selbstbewusstsein und Kampfgeist zeigte, sprach gegen ihn. Das schien ihm eine seltsame Methode, Krieger anzuwerben. Eines stand jedenfalls fest. Im Lehen Norgate gingen eigenartige Dinge vor sich.

Malcolm der Heiler, besser bekannt als Malkallam der Zauberer, sah kurz von seiner Arbeit auf, als Will in die kleine Lichtung im Grimsdellwald ritt.

Jeden Morgen um elf Uhr versorgte Malcolm seine Leute. Jene mit Verletzungen oder Krankheiten warteten geduldig vor dem Häuschen des Heilers. Da viele Menschen, die in der kleinen Siedlung im Wald wohnten, unter körperlichen Gebrechen litten und deshalb aus ihrem einstigen Zuhause vertrieben worden waren, gab es meist eine lange Schlange von Patienten. Viele hatten dauerhafte Beschwerden, die ständiger Pflege bedurften.

Sein letzter Patient war ein einfacher Fall. Ein elfjähriger Junge hatte die Türmatte seiner Mutter als Zauberteppich benutzt und versucht, von einem recht hohen Baum zu fliegen. Malcolm verband den verstauchten Knöchel des tollkühnen Jungen, rieb etwas Salbe auf die aufgeschürften Ellbogen und Handgelenke und strich dem Möchtegern-Abenteurer übers Haar.

»Ab mit dir«, sagte er zu ihm, »und von nun an überlass das Zaubern besser mir.«

»Mach ich«, sagte der Junge, senkte verlegen den Kopf und humpelte weg. Der Heiler wandte sich an Will, der gerade sein Pferd absattelte. Malcolm nickte beifällig, als er die enge Verbindung zwischen Reiter und Pferd bemerkte, und sah zu, wie der Waldläufer sanft mit seinem Tier sprach, während er es abrieb. Das Pferd schien seine Worte zu verstehen, denn es antwortete mit einem gutmütigen Schnauben und einem Schütteln der Mähne.

»Ich habe gehört, Ihr habt die Nordländer aufgespürt?« , sagte Malcolm schließlich.

Will nickte. »Fünfundzwanzig ausgezeichnete Krieger. Sie waren genau dort, wo Euer Kundschafter es uns berichtet hatte: am Flussufer.«

Malcolms Leute waren im ganzen Wald unterwegs. Es konnte kaum etwas geschehen, ohne dass sie es bemerkten. Und wenn sie etwas Ungewöhnliches entdeckten, dann berichteten sie es dem Heiler. Als Hinweise auf die schiffbrüchigen Nordländer kamen, hatte Will sich auf den Weg dorthin gemacht.

»Und werden sie uns helfen?«, fragte Malcolm.

Will zuckte mit den Schultern und setzte sich zu dem Heiler auf die Veranda in die Mittagssonne.

»Sie werden sich auf jeden Fall gern das Geld verdienen, das ich ihnen angeboten habe. Außerdem hatte ihr Kapitän das Gefühl, er schulde mir etwas, da er Buttle entkommen ließ.«

Xander, der Sekretär und Vertraute von Lord Orman von Macindaw kam aus dem Haus.

»Wie fühlt sich Orman?«, fragte Malcolm. Der Burgherr war von Keren vergiftet worden, damit dieser Macindaw in seine Gewalt bekommen konnte. Will und Xander hatten das Versteck des Heilers im Wald gerade noch rechtzeitig erreicht, um Ormans Leben zu retten.

»Es geht ihm schon viel besser. Aber er ist immer noch sehr schwach und schläft jetzt wieder«, sagte Xander.

Malcolm nickte nachdenklich. »Das ist für ihn im Augenblick die beste Medizin. Das Gift haben wir aus seinem Kreislauf herausbekommen. Sein Körper kann sich von jetzt an selbst heilen. Lasst ihn schlafen.«

Xander sah ihn zweifelnd an. Auch wenn Malcolm das Leben seines Herrn gerettet hatte, betrachtete er den Heiler nach wie vor mit einem gewissen Misstrauen. Er war der Ansicht, Malcolm sollte Lord Orman weiter behandeln, statt einfach nur zu sagen: »Lasst ihn schlafen«. Doch etwas anderes beschäftigte ihn augenblicklich noch viel mehr.

»Habe ich da richtig gehört, dass Ihr angeboten habt, die Nordländer zu bezahlen?«, fragte er Will.

Will grinste ihn an und schüttelte den Kopf. »Nein. Ihr werdet sie bezahlen«, antwortete er. »Sie bekommen siebzig Goldkronen für ihre Dienste und natürlich Verpflegung.«

»Das ist unglaublich!«, schimpfte Xander aufgebracht. »Es stand Euch nicht zu, ein solches Angebot zu machen! Orman ist Herr von Macindaw. Solche Vereinbarungen sind allein seine Sache  – oder meine, in seiner Abwesenheit!«

Der Sekretär hatte sich als tapferer kleiner Mann erwiesen und war seinem Herrn gegenüber treu ergeben. Allerdings benahm er sich auch manchmal etwas selbstgefällig. Will betrachtete ihn mit hochgezogenen Augenbrauen und hörte Malcolms spöttisches Schnauben.

»Im Augenblick«, stellte Will in warnendem Ton fest, »ist Orman Herr über nichts und niemanden! Ihm gehört nicht einmal das Bett, in dem er liegt. Also ist es in Wirklichkeit so, dass ich hier Befehlsgewalt besitze. Ihr scheint zu vergessen, dass ich im Auftrag des Königs unterwegs bin.«

Was vollkommen richtig war, wie Xander nur zu gut wusste. Will war schließlich ein Waldläufer, auch wenn er als Gaukler verkleidet nach Macindaw gekommen war. Es fiel Xander nicht leicht anzuerkennen, dass jemand, der so jung war wie Will, so viel Ansehen und Geltung besitzen konnte. Er gab jetzt nach, dennoch hatte er das Gefühl, sich noch ein wenig aufblasen zu müssen.

»Ja, aber siebzig Kronen? Ihr hättet doch gewiss besser verhandeln können.«

Will schüttelte ungeduldig den Kopf. »Ihr könnt ja gern noch einmal nachverhandeln, wenn Ihr möchtet. Die Nordländer werden begeistert sein, mit jemandem zu feilschen, der aus sicherer Entfernung zusieht, wie sie ihr Leben riskieren.«

Xander merkte, dass er sich auf unsicherem Grund befand, war aber zu stur, um nachzugeben.

»Nun, vielleicht. Aber schließlich ist es ihr Handwerk, oder? Sie kämpfen für Geld, oder etwa nicht?«

»Das ist wohl wahr«, stimmte Will zu und dachte bei sich, dass Xander einem manchmal wirklich sehr auf die Nerven gehen konnte. »Deshalb wissen sie auch ziemlich genau, was ihnen ihr Leben wert ist. Seht es einmal von der Seite: Vielleicht verlieren wir, dann müsst Ihr ihnen gar nichts bezahlen.« In seiner Stimme schwang ein fester Unterton mit, der Xander warnte, nicht länger so anmaßend zu sein.

Der Sekretär begriff, dass es besser wäre, diese Angelegenheit nicht weiterzuverfolgen. Er ging kopfschüttelnd davon, wobei er laut genug vor sich hin murrte, dass Will und Malcolm es hören mussten: »Siebzig Kronen, also wirklich! Das muss man sich einmal vorstellen!«

Malcolm sah Will mitfühlend an und zuckte mit den Schultern. »Ich hoffe, Ihr könnt diesen Mann bald zurück auf die Burg bringen«, sagte er. »Man wird seiner doch sehr leicht überdrüssig.«

Will lächelte. »Dennoch ist er sehr loyal. Und er kann auch ein recht mutiger kleiner Kauz sein, wie Ihr vielleicht festgestellt habt.«

Malcolm dachte darüber nach. »Es ist schon eigenartig, nicht wahr?«, bemerkte er schließlich. »Man möchte doch meinen, solche Eigenschaften seien ein liebenswerter Wesenszug. Dennoch schafft er es, mich bis aufs Blut zu reizen.« Er machte eine abschließende Geste und wechselte das Thema. »Aber nun kommt doch herein und erzählt mir mehr über diese Nordländer.«

Er ging voran ins Haus, wo schon ein frisch gekochter Topf Kaffee bereitstand. In der kurzen Zeit, die Malcolm den jungen Waldläufer kannte, war ihm dessen Vorliebe für das Getränk nicht entgangen. Er goss ihm jetzt eine Tasse ein und lächelte, als Will einen Schluck nahm, sich über die Lippen leckte und einen zufriedenen Seufzer ausstieß. Die beiden setzten sich auf die bequemen Stühle an Malcolms Küchentisch.

»Sie werden in ein oder zwei Tagen bei uns sein«, verkündete Will. »Als ich sie verließ, machten sie sich daran, ihr Lager aufzulösen, um nachzukommen. Einer Eurer Leute wird sie hierher führen. Ich muss sagen, wir hatten Glück, auf sie zu treffen. Ich brauche Krieger und davon gibt es hier nicht sehr viele.«

Malcolm seufzte. »Wie wahr«, sagte er. »Meine Leute sind keine Kämpfer. Sie sind weder dafür ausgebildet noch passend ausgestattet.«

»Und die Dorfbewohner hier in der Gegend würden uns wohl kaum beistehen. Sie haben alle viel zu viel Angst vor Malkallam, dem Schwarzen Zauberer«, sagte Will. Er lächelte, um zu zeigen, dass das keine Beleidigung sein sollte.

Malcolm nickte. »So ist es. Also, was habt Ihr vor, wenn die Nordländer hier eingetroffen sind?«

»Dann … werden wir sehen«, antwortete Will zögernd. »Ich muss mir erst noch einen Weg überlegen, wie wir die Burg einnehmen und Alyss herausholen können.«

»Habt Ihr so etwas schon einmal gemacht?«, fragte Malcolm.

Will lächelte verlegen. »Nicht unbedingt«, gab er zu. »Das kam in meiner Ausbildung zum Waldläufer nie vor.« Er wollte nicht weiter darauf eingehen und hoffte, dass die Nordländer vielleicht ein paar Ideen hatten, doch darüber würde er sich Gedanken machen, wenn es so weit war.

Malcolm strich sich nachdenklich übers Kinn. »Habt Ihr in Betracht gezogen, nach Burg Norgate um Hilfe zu schicken?«

Will rutschte ungeduldig auf seinem Stuhl hin und her. »Habe ich«, antwortete er. »Doch Keren hat ja die Straßen abgeriegelt, sodass keine Reiter durchkommen.«

Malcolms Späher hatten berichtet, dass alle Reiter, die nach Westen unterwegs waren, angehalten wurden und umkehren mussten.

»Außer seine eigenen«, erwiderte Malcolm. »Ein Reiter verließ Macindaw, während Ihr fort wart.«

Will nickte düster. »Keren ist kein Dummkopf. Ich nehme an, er berichtet überall, dass Orman ein Verräter sei, der sich zudem durch seine Flucht verdächtig gemacht hätte, und somit Keren selbst Macindaw bewachen müsse. Das würde ich an seiner Stelle auch tun. Das Problem ist, dass er von allen gemocht und geachtet wird. Man wird ihm vorerst Glauben schenken. Ich dagegen bin ein Fremder. Darüber hinaus arbeite ich mit Orman zusammen, der des Verrats beschuldigt wird und mit dem ich obendrein noch zu einem bekannten und gefürchteten Zauberer geflüchtet bin.«

»Aber Ihr seid ein Waldläufer des Königs«, wandte Malcolm ein.

»Das wissen sie ja nicht. Mein Aufenthalt hier war ein Geheimauftrag.« Will lachte bei dem Gedanken kurz auf. »Nehmen wir an, ich könnte eine Nachricht durchbekommen, und nehmen wir weiter an, sie würde nicht sofort als Unsinn abgetan. Wie, glaubt Ihr, würde man in Norgate reagieren?«

Malcolm überlegte kurz. »Man würde Soldaten schicken, um uns zu helfen«, schlug er vor.

Will schüttelte den Kopf. »Es ist Winter. Die Armee ist nicht kampfbereit. Die meisten Soldaten sind zu Hause. Es würde Wochen dauern, sie herbeizuholen. Das ist keine Kleinigkeit, und das werden sie nicht allein auf die Behauptung eines Fremden hin tun. Wir können allenfalls darauf hoffen, dass sie vielleicht jemanden schicken, der Nachforschungen anstellt. Und selbst das würde mindestens zwei Wochen beanspruchen  – eine Woche hierher und eine weitere Woche wieder zurück.«

Malcolm verzog enttäuscht das Gesicht. »Das heißt, uns sind mehr oder weniger die Hände gebunden.«

»Nicht unbedingt«, widersprach Will. »Wir haben fünfundzwanzig Nordländer und können Keren ziemliche Unannehmlichkeiten bereiten. Sobald ich irgendeinen stichhaltigen Beweis habe, setzen wir die betreffenden Leute in Norgate davon in Kenntnis.«

Er machte eine Pause und runzelte die Stirn. Er wünschte, er wäre in solchen Dingen erfahrener. Er war der jüngste Waldläufer im Bund und unsicher, ob er den richtigen Weg einschlug. Aber Walt hatte ihn immer gelehrt, so viele Hinweise wie möglich zu sammeln, bevor er etwas unternahm.

Zum soundsovielten Male während der letzten Tage wünschte er, er könnte sich mit Walt in Verbindung setzen. Doch Alyss’ Taubenhändler schien wie vom Erdboden verschluckt. Wahrscheinlich haben Buttle und seine Männer ihn vertrieben, dachte Will düster. Dann gab er sich einen Ruck und schüttelte die unerfreulichen Gedanken ab.

»Also, was ist denn sonst noch während meiner Abwesenheit passiert?«, fragte er, trank seinen Kaffee aus und blickte hoffnungsvoll auf den Topf.

Malcolm, dessen Vorrat an Kaffeebohnen langsam zur Neige ging, überging diesen Blick geflissentlich und auch den enttäuschten Seufzer, der darauf folgte. Er blätterte ein paar Zettel durch, auf denen er sich notiert hatte, was seine Späher berichtet hatten.

»Durchaus noch einiges«, antwortete er. »Eure Freundin Alyss hat während der vergangenen zwei Nächte ein Licht in ihr Fenster gestellt.«

Diese Neuigkeit lenkte Will sofort von seinem Kaffeedurst ab. Er richtete sich in seinem Stuhl auf.

»Ein Licht?«, fragte er. »Welche Art von Licht?«

Malcolm zuckte mit den Schultern. »Sah nach einer einfachen Laterne aus. Aber sie bewegte sich hin und her.«

»Von Ecke zu Ecke?«, fragte Will.

Malcolm blickte überrascht von seinen Notizen auf.

»Ja«, bestätigte er. »Woher wisst Ihr das?«

Will grinste breit. »Sie benutzt die Lichtzeichen der Kuriere«, erklärte er, »und hofft, dass ich früher oder später darauf aufmerksam werde. Wann genau tut sie das?«

Für die Antwort brauchte Malcolm seine Notizen nicht zu bemühen. »Normalerweise nach dem nächtlichen Wachwechsel  – gegen drei Uhr morgens. Der Mond steht um diese Zeit ziemlich tief, das ist hilfreich.«

»Gut!«, sagte Will. »Das lässt mir genügend Zeit, eine Nachricht vorzubereiten. Ich bin ein wenig eingerostet, was die Lichtzeichen betrifft«, fügte er entschuldigend hinzu. »Hab sie schon eine Weile nicht mehr benutzen müssen. Aber Ihr sagtet, es gäbe noch mehr zu berichten?«, fragte er nach.

Malcolm blätterte wieder. »O ja. Einer meiner Männer sah Buttle und seine Männer kürzlich an der Straße mit einem freien Ritter sprechen. Er nahm an, sie würden ihn vielleicht anwerben. Aber der Ritter schien sie abzuweisen und ritt davon. Soweit ich weiß, hat er ein Zimmer in der Schänke Zum Ruhstein genommen.«

Diese Nachricht fand Will weniger interessant. In Gedanken formulierte er bereits eine Nachricht an Alyss. Geistesabwesend fragt er: »Konnte Euer Mann das Wappen des Ritters erkennen?«

»Wie gesagt, er war ein Freier, denn er hatte eine blaue Faust auf einem weißen Schild. Einem Rundschild.«

Will hob ruckartig den Kopf.

»War er jung oder alt?«

»Anscheinend ziemlich jung. Überraschend jung sogar. Aber ein muskulöser großer Kerl, der ein braunes Schlachtross ritt. Mein Späher war nahe genug, um zu hören, wie er mit seinem Pferd sprach. Er nannte es Borold oder so ähnlich.«

»Kobold?«, fragte Will und spürte, wie ein Hoffungsschimmer in ihm keimte.

Malcolm nickte. »Ja, könnte sein. Kennt Ihr ihn?« Wills offensichtliche Begeisterung legte nahe, dass dem so war.

»Oh, ich denke schon«, antwortete er. »Und wenn es der ist, von dem ich glaube, dass er es ist, sehen die Dinge mit einem Mal schon viel besser aus.«

cbj ist der Kinder- und Jugendbuchverlag in der Verlagsgruppe Random House

1. Auflage Deutsche Erstausgabe März 2011 Gesetzt nach den Regeln der Rechtschreibreform

© 2007 John Flanagan

Die englische Originalausgabe erschien 2007 unter dem Titel »Ranger’s Apprentice. The Siege of Macindaw« bei Random House Australia Pty Limited, Sydney, Australia. This edition published by arrangement with Random House Australia. © 2011 der deutschsprachigen Ausgabe cbj Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten Übersetzung: Angelika Eisold Viebig Lektorat: Petra Koob-Pawis Vignetten: Mathematics Umschlagbild: John Blackford 2009 Reproduced by arrangement with Philomel Books, a division of Penguin Young Readers Group, a member of Penguin Group (USA) Inc. All rights reserved. Umschlaggestaltung: init. Büro für Gestaltung, Bielefeld MI · Herstellung: CZ Satz: Uhl + Massopust, Aalen

eISBN 978-3-641-10123-7

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