Die Chroniken von Avantia (Band 2) – Feldzug des Bösen - Adam Blade - E-Book

Die Chroniken von Avantia (Band 2) – Feldzug des Bösen E-Book

Adam Blade

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Beschreibung

Sam und Firepos haben den Wolf Gulko und dessen Auserwählte Reiterin Mira getroffen. Aber sie werden verraten und schweben in höchster Gefahr. Dennoch kann sie nichts davon abhalten, zu den östlichen Minen aufzubrechen, in denen sich das Böse zusammenrottet. Sie werden sich dem Kampf mit ihren Feinden stellen! In Avantia tobt ein erbitterter Krieg. Der dunkle Krieger Derthsin versucht, alle Biester in seine Gewalt zu bringen. Doch dazu braucht er die Maske des Todes. Seine gnadenlose Suche beginnt – eine Suche, die alles Lebendige tötet. Ein actiongeladenes Abenteuer in der Welt von Beast Quest. Das perfekte Fantasy-Kinderbuch für Jungs ab 10 Jahren mit mehr Biestern, schwierigen Missionen und spannenden Abenteuern!

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Prolog: Gulko

Als ich das Mädchen lachen hörte, war mir sofort klar, dass ich sie gefunden hatte: meine Auserwählte Reiterin. Ich schlich durch hohes Gras, die Sonne ging gerade auf. Natürlich wusste ich, dass die Welt bunt war, aber ich wusste nicht, was das zu bedeuten hatte. Ich kann keine Farben sehen, durch meine Augen sieht die Umgebung völlig anders aus als für die Menschen. Für mich ist das Sonnenlicht weiß, während alles andere zu grauen, manchmal schwarzen Schatten verschwimmt.

Ich atmete tief ein. Die Morgenluft schmeckte nach dem Nebel, der von den nassen Kieseln aufgestiegen war. Außerdem nahm ich den Geruch von Kindern wahr, und als ich ein Stück weiter durch das Gras gekrochen war, konnte ich sie auch sehen: Zwillinge, ein Junge und ein Mädchen, die in einem Fluss planschten, und dahinter die undeutlichen Schatten eines Dorfs. Jedes Rascheln im Gras, jeden sprühenden Wassertropfen hörte ich.

„Mira!“, kreischte der Junge. „Du kriegst mich doch nicht!“

So hieß sie also: Mira. Dann lachte sie, ein wunderschönes Lachen, das die Luft kräuselte wie eine Girlande. In diesem Moment war ich mir endgültig sicher: Ich hatte meine Reiterin gefunden! Es war selbstverständlich, so, wie der Winter auf den Herbst folgt, ich spürte es, aber es war mehr als ein Gefühl. Es war Schicksal.

„Doch, ich krieg dich, Maron!“, rief Mira ihrem Bruder hinterher – und erstarrte. Sie drehte sich in meine Richtung und blinzelte in die Sonne. Sie wusste instinktiv, wo ich war.

„Mira?“ Maron runzelte die Stirn. „Was ist los?“

Da tauchte ich aus dem hohen Gras am Flussufer auf. Der Junge griff nach der Hand seiner Schwester, während ich schnaubte und den Körper anspannte. Als ich meine ledrigen Flügel nach oben drückte und ausbreitete, wurden die Kinder in tiefe Schatten gehüllt.

„Ein Biest!“, schrie Maron. „Ein … ein Wolfsmonster.“ Er stolperte zurück, schob seine Schwester nach vorn und versteckte sich hinter ihr wie hinter einem Schutzschild. Als er mich über ihre Schulter hinweg aus riesigen, verängstigten Augen anstarrte, dachte ich mir zum ersten Mal: Was für ein Feigling!

Mira winkte ab und trat einen Schritt vor. „Schon gut.“

„Nein, nicht!“ Maron versuchte, sie aufzuhalten.

Sie schüttelte ihn ab. „Ruhig. Mir passiert schon nichts.“ Er nickte zögerlich, während Mira immer näher kam. Schließlich hob sie die Hand. Ich roch ihre große Ruhe, überlagert von Marons giftiger Angst.

„Gulko“, sagte sie. „Du heißt Gulko.“

Sie hatte mich erkannt, wie ich sie an ihrem Lachen erkannt hatte. Wir kannten uns, wie die Sonne Morgen und Abend kennt. Es war der Lauf der Welt. Fügung.

Ich ging in die Knie, damit sie aufsteigen konnte. Sie griff in mein Fell, kletterte auf meinen Rücken und lehnte sich gemütlich zurück, als hätte sie seit Jahren nichts anderes getan. Sofort richtete ich mich auf und entfaltete die Flügel und wieder fiel mein riesiger Schatten auf Maron. Er stank nach Angst, nach panischer Angst, sein Herz raste. Ein albernes kleines Kind.

„Mira“, wimmerte er.

„Schon gut“, beruhigte sie ihn. „Bleib hier, Maron, und mach dir keine Sorgen um mich. Und kein Wort zu den anderen!“ Sie warf ihm ein ermutigendes Lächeln zu, als wollte sie ihm sagen, was ich längst begriffen hatte – nämlich, dass sie keine Angst hatte. Dass sie schon immer gespürt hatte, dass wir uns eines Tages begegnen würden. Vorsichtig strich sie mir mit den Händen übers Fell. Als ihr Blick auf meine riesigen Flügel fiel, weiteten sich ihre Augen. Ich ließ die Muskeln spielen, um ihr zu zeigen, wie stark ich war.

„Ich hätte nie gedacht, dass du so schön bist“, flüsterte sie.

Da stieß ich mich mit den Hinterbeinen ab, hoch hinauf in die Luft. Auf dem Fluss tanzten hohe Wellen, die durch meine kräftigen Flügelschläge aufgepeitscht wurden. Ich spürte, wie Mira sich an mein Fell klammerte, und stieg immer rascher auf, um ihr meine Schnelligkeit zu zeigen. Als wir über einen Schwarm Gänse hinwegrasten, ließ ich mich fallen, riss das Maul auf und –

„Nein!“, schrie Mira.

Ich zog wieder hoch, während die Gänse schnatternd auseinanderliefen. Sie verströmten einen widerlichen Gestank, eine Mischung aus schmutzigen Federn und rohem Fleisch.

„Du darfst nicht zum Spaß töten“, sagte Mira, während ich weiter aufstieg. „Das verbiete ich dir, verstanden?“

Ich knurrte. Gänse hatten doch nichts im Kopf, das waren geborene Beutetiere. Als ob Mira den Gestank nicht gerochen hätte! Aber gut, wenn sie es so wollte, würde ich ihr gehorchen. Nicht mal hier, zwischen den feuchten Wolken, bekam sie Angst. Ich spürte, wie ihr Herz schlug – so ruhig und gleichmäßig, als hätte sie mich seit Langem erwartet.

Doch als wir die Wolkendecke durchbrachen, beschleunigte sich ihr Puls.

„Unglaublich“, murmelte sie. „Ist das schön! Schau doch mal, wie winzig alles ist! Von hier oben sieht die Welt ganz anders aus! Ich kann den Fluss bis zum Horizont erkennen, und siehst du, wie rot und orange der Himmel dahinten bei den Hügeln leuchtet?“

Ich folgte ihrem Blick. Den Fluss sah ich als schwarze kurvige Linie, die Hügel als grauen Dunst, der ab und zu von messerscharfem Sonnenlicht durchbrochen wurde. Ich konnte die Erde riechen, ich konnte das Gras zittern und das Wasser rauschen hören, aber ich konnte die Welt nicht sehen, wie Mira sie sah. Deshalb war ich froh, dass sie endlich bei mir war. Wir folgten dem tiefen Fluss über niedrige Hügel ins Gebirge, bis zu seinen leise plätschernden Quellen. Die ganze Zeit spürte ich, wie sie sich auf meinem Rücken hin und her drehte, um alles sehen zu können.

Wir waren eins. Ich war ihr Beschützer, ich zeigte ihr den Weg. Und sie war meine Reiterin, meine Auserwählte. Meine Mira.

Erstes Kapitel

Überall waren Flammen und Funken. Holzbalken knarrten und krachten zu Boden. Es brannte!

Sam taumelte zurück und rang um Atem. Wie konnte er das nur zulassen? Als er ein gehässiges Lachen hörte, fuhr er herum.

Da! Mitten im Feuer war ein Schatten aufgetaucht. Und der Schatten bewegte sich. Ein Überlebender?

Jetzt trat die Gestalt aus den Flammen – ein Mann in schwarzer Rüstung. Über dem rauchenden, rußigen Metall trug er einen dunklen Umhang, in der Hand hatte er ein Schwert. Sein Gesicht war aschgrau, mit dichten buschigen Augenbrauen. Nun verzogen sich die schmalen Lippen zu einem Grinsen. Er betrachtete Sam aus einem dunklen Auge, das andere Auge war hinter einem Fetzen Leder verborgen – einem Teil der Maske des Todes.

Derthsin. Der Krieger, der Sams Vater getötet hatte. Ein Monster.

Sam war erstarrt. Er musste tatenlos zusehen, wie sein Todfeind mit großen Schritten auf ihn zuging. Seine Beine wollten sich einfach nicht rühren, selbst als Derthsin das Schwert hoch über den Kopf hob. Die Bronzeklinge schimmerte im fahlen Licht.

„Die Maske wird mein sein!“, bellte er. „Die ganze Maske!“

Und schon raste die Klinge mit einem tödlichen Zischen durch die Luft.

Sam schreckte auf. Über ihm leuchteten die Sterne, an seinem Rücken spürte er Firepos’ warme Flanke. Ihre goldenen Federn glänzten im Mondlicht, als sie den riesigen Schnabel an seine Schulter bettete. Von unten drang der Duft des Waldes herauf, Kiefern und feuchte Erde, in der Luft hingen blasse Nebelschwaden. Die Vögel sangen nicht mehr, der Wind hatte sich gelegt und alles war still.

Und keine Spur von Derthsin. Es war nur ein Traum gewesen. Ein Albtraum.

Sam zitterte am ganzen Körper, als der Schweiß auf seiner Haut abkühlte. Wie hatte seine Großmutter Esme immer gesagt? Träume offenbaren unsere tiefsten, dunkelsten Geheimnisse. Aber jetzt war seine Großmutter tot. Derthsins Handlanger, General Gor, hatte sie getötet. Sam wurde es ganz schwer ums Herz. Trauer durchflutete jeden Winkel seines Körpers.

Er dachte an seine Heimat, an das Dorf Forton. Das Dorf war zerstört, er hatte es verlassen. So viele Tote. Und alle in Derthsins Namen. Derthsin hatte seinen Vater ermordet, als Sam noch ein kleiner Junge war, seine Mutter hatte er entführt. Sam hatte keine Ahnung, wo sie war, ob sie überhaupt noch lebte. Trotzdem dachte er immer noch an sie, meistens vor dem Einschlafen. Ob sie wohl noch irgendwo da draußen war?

Damals hatte Firepos Rache genommen – sie hatte Derthsin gepackt und in den Krater des Stonewin-Vulkans geschleudert. Davon hatte Esme besonders gern erzählt. „Er ist tot“, hatte sie am Schluss immer gesagt, „und er hatte den Tod verdient.“ Leider wusste Sam mittlerweile, dass sie sich geirrt hatte. Derthsin hatte überlebt. Er hatte Firepos eine Feder ausgerissen, und die hatte seinen Sturz gebremst. Jetzt war er nach Avantia zurückgekehrt. In Flammen und Funken konnte er eine geisterhafte Gestalt annehmen und General Gor befehlen, das Land immer schlimmer zu terrorisieren. Er wollte die Maske des Todes an sich reißen. Diese Maske würde ihm Macht über alle Biester Avantias verschaffen – und vielleicht über das ganze Reich? Dann wäre Avantias Untergang besiegelt. Er hatte Derthsins Machthunger mit eigenen Augen gesehen, er hatte seine Bosheit geschmeckt. Er würde nicht zulassen, dass diese dunkle Kreatur seine Heimat unterjochte. Nur über meine Leiche, dachte er. Nur über meine Leiche.

Ein paar Schritte entfernt lag Mira, den Kopf an Gulkos Fell gekuschelt. Der breite Rücken des Wolfs hob und senkte sich gemächlich, die Flügel schmiegten sich eng an den massigen Körper. Noch vor zwei Tagen hatte Sam geglaubt, er wäre der einzige Auserwählte Reiter in ganz Avantia – bis er seine neue Freundin Mira und ihr Biest Gulko kennengelernt hatte. Eigentlich hatte ihn seine sterbende Großmutter in die Nachbarstadt geschickt, um den Kartografen Jonas aufzusuchen, aber den hatte er nicht gefunden. Stattdessen war er über die Zwillinge Mira und Maron gestolpert, die Jonas adoptiert hatte. Der Kartograf selbst war vor Jahren verschwunden.

Sam und Mira hatten ein Stück der Maske im Kampf mit General Gor zurückerobert und sie hatten teuer dafür bezahlen müssen. Doch sie hatten eine Landkarte, auf der verzeichnet war, wo die anderen Teile verborgen waren: Das Seidentuch, das Mira in einem Medaillon um den Hals trug, war der Schlüssel dazu. Sobald sie das Tuch über die Karte legte, wurden die geheimen Fundorte enthüllt. Wenn die beiden Freunde durchhielten und die übrigen drei Teile fanden, hätten sie es geschafft: Derthsin würde niemals wieder die Macht erlangen, die er einst gehabt hatte.

An Firepos’ Gefieder gelehnt, betrachtete Sam die schlafende Mira. Der warme Körper des Flammenvogels beschützte ihn vor der feuchten, kalten Nacht. Er wollte sich gar nicht vorstellen, wie es wäre, wenn sein mächtiger Phönix auf einmal auf Derthsins Kommando hören würde. In Firepos, Gulko und den anderen Biestern schlummerte viel Kraft, und nicht nur Muskelkraft. Sie hatten eine enge Verbindung zu Avantia, zum Land und seinen Bewohnern. Firepos spürte, wo Gefahr drohte, das wusste Sam. Was, wenn sie plötzlich auf die Seite des Bösen gezogen wurde?

Die Menschen in Avantia kannten sich sowieso kaum, das eine Dorf redete nicht mit dem anderen. Wenn irgendwo ein Biest auftauchte, was selten genug vorkam, ergriffen die meisten Leute sofort die Flucht. Was, wenn die Biester diese Macht nutzen würden, um das Land noch weiter auseinanderzureißen? Ein Zittern lief durch Sams Körper.

Eine ganze Armee gehorchte bereits Derthsins Befehlen, aber das Schlimmste war: Varlot, ein von Grund auf böses Biest, gehorchte ihm ebenfalls. Niemals würde Sam den Augenblick vergessen, als er die Bestie zum ersten Mal gesehen hatte: ein Ungeheuer, halb Pferd, halb Mensch, in eine schuppige Rüstung gehüllt, aus der bronzene Hufe ragten. Hufe, die sich in menschliche Hände mit langen Krallen verwandeln konnten, die gierig um sich griffen.

Aus der Höhle wehte dünner Rauch herüber. Sam drehte sich um und sah Miras Bruder Maron, der in eine Decke gehüllt neben dem Feuer lag. General Gor hatte Maron entführt, aber Mira und Sam hatten ihn gerettet. Das heißt, im ersten Moment hatte Sam das Gefühl gehabt, dass Maron gar nicht so richtig gerettet werden wollte.

Trotzdem, dachte Sam, es war richtig so. Firepos hatte eine Flut aus Wasser und Felsen ausgelöst, die Gor und Varlot mit sich gerissen hatte. Hätten Sam und Mira Maron nicht vorher zu fassen bekommen, wäre auch er umgekommen.

Die schimmernde Glut warf tiefe Schatten auf die Wände der Höhle. Vor lauter Rauch war Marons Umriss kaum zu erkennen. Und es roch angebrannt – Warum angebrannt?

Sofort war Sam auf den Beinen und rannte in die Höhle. Marons Decke hatte Feuer gefangen! Eine schwelende Flamme fraß sich immer tiefer in die Wolle.

„Maron!“

Maron rührte sich nicht.

„Was ist?“, fragte Mira draußen, setzte sich auf und rieb sich die Augen.

Sam schleuderte die Decke zur Seite. Darunter lag nur ein länglicher, sorgfältig aufgeschichteter Stapel Feuerholz – Maron war fort! Schnell fuhr er herum und suchte die Höhle ab. Wo war das Stück der Maske, das neben dem Feuer gelegen hatte? In der Nacht hatte er gesehen, wie Maron es betrachtete – wie er die dicke Lederhaut der Maske, die aus dem Gesicht eines urzeitlichen Biests genäht war, mit zusammengekniffenen Augen anstarrte.

Beim Gedanken an die Maske des Todes wurde Sam immer noch eiskalt: verdorrte Haut, ein verschrumpeltes, eingesunkenes Lid und gefletschte, wölfisch grinsende Lippen. Vor langer Zeit hatte das Urbiest Anoret, das erste Biest Avantias, aus diesem Gesicht geblickt. Als kleines Kind hatte Sam viele Geschichten darüber gehört. Der Legende nach war Anoret im Feuer geboren worden und alle anderen Biester stammten von ihm ab.

„Maron?“, rief Mira. Auf einmal war sie hellwach. Noch während sie in die Höhle stürmte, zog sie ihr Rapier. Die dünnen Zöpfe in ihrem weißblonden Haar wirbelten herum.

„Er ist weg“, sagte Sam und trat gegen den Holzhaufen. Die Scheite flogen quer durch die Höhle. „Und das Maskenstück hat er mitgenommen!“

Mira rannte zum Eingang und rief nach ihrem Bruder. Ihre Stimme hallte über die dunklen Bäume. „Maron! Maron! Wo bist du, Maron?! Komm zurück!“

Da hob Gulko den Kopf, trottete an ihre Seite und stieß ein lautes Heulen aus. Seine Lippen rollten sich zurück, während er seinen Ruf durch die Nacht schickte und die ledernen Flügel entfaltete. Dann wartete er mit gespitzten Ohren. Keine Antwort. Nach einigen Sekunden hockte er sich auf den Boden, leckte sich die Lippen und betrachtete Mira erwartungsvoll. An seinen Augen sah Sam, dass er begriffen hatte – Maron hatte sie verraten! Aber würde Mira das genauso sehen?

„Wir müssen ihn finden!“, rief sie. „Vielleicht ist er entführt worden!“

Sam schüttelte den Kopf. „Kapierst du denn nicht? Er hat uns verraten und er hat die Maske geklaut!“

Mira runzelte die Stirn. „Nein“, murmelte sie, „nie im Leben.“

„Aber du hast doch auch gesehen, wie er die Maske angeschaut hat. Er hat gewartet, bis wir eingeschlafen waren, und dann hat er sich verdrückt. Ich hab mir gleich gedacht, dass wir ihm nicht trauen können!“

„Und warum hast du mir dann geholfen, ihn zu retten? Außerdem redest du Schwachsinn. Das ist mein Bruder, schon vergessen? Das würde er mir niemals antun. Und dir auch nicht.“ Miras Augen suchten den Horizont ab. Im Mondlicht war ihr Gesicht kreideweiß.

Sie kann mir nicht in die Augen schauen, dachte Sam. Weil sie weiß, dass ich recht habe. Als hätte er seine Gedanken gelesen, knurrte Gulko und fletschte die Lippen. Sam betrachtete die Reißzähne des Wolfs, die länger als seine eigene Hand waren. Das ist eine Warnung. Ich soll Mira in Ruhe lassen.

Als er über die weitläufigen Wälder und Felder blickte, verlor er fast den Mut. Das erste Morgenrot blitzte hinter dem Vorhang der Nacht auf, blasse Wolkenstreifen zogen sich über den Himmel. Wahrscheinlich war Maron schon über alle Berge.

„Egal“, sagte Sam, „wir müssen ihn finden, und zwar schnell.“

„Warum?“, fauchte Mira. „Sorgst du dich um ihn – oder um dein kostbares Maskenstück?“

„Das ist nicht mein Maskenstück und ich sorge mich um Avantia. Schon vergessen?“

Angewidert schüttelte Mira den Kopf. „Warum ausgerechnet du? Warum musst du Avantia retten? Bevor du aufgetaucht bist, hatten Maron und ich keine Probleme. Und jetzt ist er verschwunden!“

„So, so, ihr hattet keine Probleme? Eure Stadt wurde angegriffen!“ Sam konnte es nicht fassen. Warum war Mira nur so dickköpfig? Warum wollte sie nicht einsehen, dass ihr Bruder sie verraten hatte? Ich hab mir das doch auch nicht ausgesucht, dachte er. Sam hatte sein Zuhause verloren und er musste urplötzlich gegen das Böse kämpfen. Er hatte sich nie beschwert.