Die den Sturm ernten - Michael Lüders - E-Book

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Michael Lüders

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Beschreibung

Wo liegen die Wurzeln der syrischen Katastrophe? Das gängige Bild sieht die Schuld einseitig bei Assad und seinen Verbündeten, insbesondere Russland. Dass auch der Westen einen erheblichen Anteil an Mitschuld trägt, ist kaum zu hören oder zu lesen. Michael Lüders erzählt den fehlenden Teil der Geschichte, der alles in einem anderen Licht erscheinen lässt. Anhand von freigegebenen Geheimdienstdokumenten und geleakten Emails von Entscheidungsträgern zeigt er, wie und warum die USA und ihre Verbündeten seit Beginn der Revolte ausgerechnet Dschihadisten mit Waffen beliefern - in einem Umfang wie seit dem Ende des Vietnamkrieges nicht mehr. Dadurch haben sie die innersyrische Gewalt ebenso befeuert wie auch den Stellvertreterkrieg zwischen den USA und Russland. Eindringlich beschreibt Lüders, wie insbesondere Washington schon seit langem nur auf eine günstige Gelegenheit wartete, das Assad-Regime zu stürzen. Dabei behandelt er auch frühere amerikanische Putschversuche in Syrien in den 1940er und 1950er Jahren, die fehlschlugen und erklären, warum sich Damaskus der Sowjetunion zuwandte. Die Kehrseite dieser Politik des Regimewechsels erlebt gegenwärtig vor allem Europa: mit der Flüchtlingskrise und einer erhöhten Terrorgefahr durch radikale Islamisten.

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Michael Lüders

Die den Sturm ernten

Wie der Westen Syrien ins Chaos stürzte

C.H.Beck

Zum Buch

In seinem Bestseller «Wer den Wind sät» hat Michael Lüders die verheerenden Folgen westlicher Militärinterventionen im Orient beschrieben. Sein neues Buch erklärt die Hintergründe des Krieges in Syrien. Lüders erzählt den unbekannten Teil der Geschichte, für den sich Politik und Medien selten interessieren – der aber alles in einem anderen Licht erscheinen lässt. Assad und seine Verbündeten, vor allem Russland, sind verantwortlich für die syrische Katastrophe – so die Mehrheitsmeinung. Doch freigegebene Geheimdienstdokumente und geleakte Emails von Entscheidungsträgern zeigen: Dem Westen war Assad schon lange vor Beginn des Krieges 2011 ein Dorn im Auge. Sein Versuch, ihn von der Macht zu fegen, hat Syrien ins Chaos gestürzt. Die Kehrseite dieser Politik des Regimewechsels erlebt gegenwärtig auch Europa: mit der Flüchtlingskrise und einer erhöhten Terrorgefahr durch radikale Islamisten.

Über den Autor

Michael Lüders war lange Jahre Nahost-Korrespondent der Hamburger Wochenzeitung DIE ZEIT und kennt alle Länder der Region aus eigener Anschauung. Als Islamexperte ist er häufiger Gast in Hörfunk und Fernsehen. Bei C.H.Beck sind von ihm zuletzt erschienen: Wer den Wind sät (232017) und der Thriller Never Say Anything (52016).

Inhalt

Vorwort

Die CIA lernt laufen in der Wüste: Die Putschversuche (nicht allein) in Syrien seit 1949

Ein wahres Feuerwerk an Intrigen und Verrat

Das Spiel der Nationen: Eine Pipeline entsteht

Der Fat Fucker und die Commies

«Nasser wenn möglich eliminieren»

Archie hat Syrien nicht im Griff

«Neue Möglichkeiten im Nahen Osten»

Paranoia als Staatsräson

Vorsicht, fette Katzen: Araber und Syrer suchen die Freiheit und finden sie nicht

Selbstkritik nach der Niederlage

Reformiert euch!

Fette Katzen und Glaubenskämpfer

Schlechte Aussichten

Kein richtiges Leben im falschen: Baschar al-Assad setzt auf Gewalt

Ein Augenarzt wird Präsident

Der Aufstand beginnt

Aus dem Bürgerkrieg wird ein Stellvertreterkrieg

«Oh mein Gott!»: Was eine Pipeline, Ghaddafis Waffen und Hillary Clinton mit Assad zu tun haben

Steit um Waffen

Pipeline-Pläne

Klare Worte

Hammer und Nagel

Die Achse des Bösen

Ein Diplomat und was er so im Schilde führt

Dschihadisten machen mobil, unterstützt vom Westen

Teile und herrsche

Hillary Clinton packt aus

Der «Islamische Staat»: Ein neuer Freund Israels?

Unter Räubern: Die Amerikaner glauben an «gute» Dschihadisten

Kriegsspiele

Auf der Suche nach Gemäßigten …

The good, the bad, and the ugly

Die «Freien» und die Freiheit

Wie der Dschihadismus zur Massenbewegung wurde

Erst der Irak, dann Syrien

Chemiewaffen in Syrien: Wäre Washington beinahe Aufständischen auf den Leim gegangen?

Saringas tötet Hunderte bei Damaskus

Leider kein Korbleger …

Jedem seine Meinung

«Sie werden gefeuert»

Schmutziges Spiel

Der Konflikt weitet sich aus: Die Assad-Gegner verlieren die Kontrolle – vor allem in der Türkei

Ankara geht einen gefährlichen Weg

Die Kurden im Visier

Was will Erdoğan?

Aus Partnern werden Todfeinde

Die Vergangenheit lebt fort

Rojava darf nicht sein

Ritter an die Front

Doch mit Assad reden?

Die Rolle Saudi-Arabiens

Der Krieg im Jemen und die Folgen

Der Kampf um Aleppo: Das Regime festigt seine Macht

Apocalypse Now

1000 Kämpfer bestimmen das Schicksal einer Stadt

Ethnische Säuberung?

Die Logik des Tötens

Was tun? Ein Ausblick

Anmerkungen

Karte

Meinem Vater gewidmetund meinem Freund Lars Peter Schmidt (1967–2017)

«Wenn ein Politiker anfängt, über ‹Werte› zu schwadronieren, anstatt seine Interessen zu benennen, wird es höchste Zeit, den Raum zu verlassen.»

Egon Bahr (1922–2015), deutscher Sozialdemokrat mit Rückgrat

«Amerika hat keine dauerhaften Freunde oder Feinde, nur Interessen.»

Henry Kissinger

«Müh dich um Tugend, wenn du keine hast.»

Hamlet

Vorwort

Kriege werden erzählt, nicht anders als Geschichten. Die jeweiligen Erzählungen bestimmen das Bild in unseren Köpfen, unsere Sicht auf Konflikte. Wir wissen, oder wir glauben zu wissen, wer schuldig ist und wer nicht, wer die Guten sind und wer die Bösen. Im Falle Syriens ist die vorherrschende Sichtweise in etwa diese: Das verbrecherische Assad-Regime führt Krieg gegen das eigene Volk, unterstützt von den nicht minder skrupellosen Machthabern in Moskau und Teheran. Die syrische Opposition, gerne als «gemäßigt» bezeichnet oder als «das» syrische Volk schlechthin wahrgenommen, befindet sich in einem verzweifelten Freiheitskampf, dem sich der Westen nicht verschließen kann. Andernfalls stünde seine Glaubwürdigkeit auf dem Spiel, würde er seine «Werte» aufgeben, ja verraten. Längst hätten wenigstens die USA militärisch intervenieren sollen, im Namen der Freiheit!

Leider greift diese Rahmenerzählung, das Narrativ hiesiger Politik wie auch der Medien, viel zu kurz. Die Verbrechen Assads sind offenkundig, doch ersetzt die moralische Anklage nicht die politische Analyse. Die Berichterstattung über Syrien erschöpft sich vielfach in der Darstellung menschlichen Leids als Ergebnis der Kriegsführung Assads und seines russischen Verbündeten. Deren Verantwortung für Tod und Zerstörung ist aber nur ein Teil der Geschichte. Die übrigen, die fehlenden Teile werden meist gar nicht erst erzählt.

Zum Beispiel Omran. Das Foto des kleinen Jungen wurde im August 2016 zur Ikone der Schlacht um Aleppo, genauer gesagt der Angriffe von Regierungstruppen auf Stellungen der «Opposition» im Ostteil der Stadt. Es zeigt das staubbedeckte, apathische Kind, auf einem Stuhl sitzend, das Gesicht blutverschmiert. Ein furchtbares Schicksal, jeder möchte Omran in den Arm nehmen und trösten. Kaum eine Zeitung, die das Bild nicht veröffentlicht hat.

Das ist der eine Teil der Geschichte, dessen emotionale Wucht kaum zu überbieten ist. Der andere Teil wird selten beleuchtet, wenn überhaupt. Der Fotograf heißt Mahmud Raslan. Er hatte kurz vor seiner Aufnahme Omrans ein Selfie gepostet, das ihn grinsend mit Angehörigen der Dschihadistenmiliz «Harakat Nur ad-Din as-Sanki» zeigte. Darunter die beiden Männer, die zweifelsfrei vier Wochen zuvor den zwölfjährigen Abdallah Isa für ein Propagandavideo geköpft hatten.[1] Raslan arbeitete für das «Aleppo Media Center», das westlichen Medien in den monatelang andauernden Kämpfen um Aleppo als wichtige Informationsquelle diente. Offiziell handelt es sich dabei um ein «unabhängiges Netzwerk» von «Bürgerjournalisten», mit einer allerdings klar regimefeindlichen Haltung, gut vernetzt mit Dschihadisten. Finanziert wird es maßgeblich vom französischen Außenministerium, auch aus Washington, London und Brüssel erhält das «Center» Geld.[2]

Dass die militärisch relevanten Gegner Assads fast ausschließlich aus Dschihadisten bestehen, ist zumindest in politischen Kreisen durchaus bekannt, stellt aber offenbar kein Problem dar. Es hat auch keine Auswirkungen auf die westliche Rahmenerzählung der Ereignisse in Syrien. Die Unterteilung der Akteure in «gut» und «böse» bleibt erhalten, ebenso die hiesige Selbstwahrnehmung, in diesem Konflikt auf der «richtigen» Seite zu stehen, der des syrischen Volkes. Die naheliegende Frage, ob demzufolge gewaltbereite Islamisten als «Volksvertreter» anzusehen sind, stellt sich offenbar nicht. Bei aller Empathie für das Leid der Menschen in Syrien – der Krieg reicht weit über Assad hinaus. Und genau hier setzt das vorliegende Buch an. Es erzählt die fehlenden Teile der Geschichte, die in der Politik und den Medien keine oder nur eine geringe Rolle spielen.

In Syrien geht es nicht um «Werte», sondern um Interessen. Geopolitik ist dabei das Schlüsselwort. Sie erklärt, warum aus dem Aufstand eines Teils der syrischen Bevölkerung gegen das Assad-Regime in kürzester Zeit ein Stellvertreterkrieg werden konnte. Auf syrischem Boden kämpfen die USA und Russland, aber auch der Iran und Saudi-Arabien und nicht zuletzt die Türkei um Macht und Einfluss. Die Hauptakteure allerdings sind seit 2012 Washington und Moskau.

Ohne die massive Einmischung von außen hätte dieser Krieg niemals die größte Fluchtbewegung seit dem Zweiten Weltkrieg und der Teilung des indischen Subkontinents ausgelöst. Mindestens zehn Millionen Syrer sind auf der Flucht, rund eine Million haben in Europa Aufnahme gefunden, die meisten davon in Deutschland. Obwohl die Flüchtlingszahlen in der Türkei und den arabischen Nachbarländern Syriens deutlich höher liegen, haben sie doch den hiesigen Rechtspopulismus erheblich gestärkt und die gesellschaftliche Polarisierung vorangetrieben.

Zum ersten Mal finden sich die Europäer, allen voran die Deutschen, inmitten eines Sturms wieder, für den sie mitverantwortlich sind – weil sich ihre Politiker die Sicht Washingtons zu eigen gemacht haben: Assad muss weg. Über die Folgen mochte niemand konsequent nachdenken. Dieser Opportunismus fällt uns allen nunmehr auf die Füße. In Syrien haben die USA ihre Politik des regime change fortgesetzt, die in den letzten Jahren auch im Irak, in Libyen und, verdeckt, im Jemen betrieben wurde und wird. Nicht zu vergessen Afghanistan, wo nach den Attentaten vom 11. September 2001 der «Startschuss» fiel. Das nachfolgende Chaos blieb allerdings weitgehend auf die Region selbst beschränkt. Das hat sich mit Syrien unwiderruflich geändert.

Obwohl diese Politik Washingtons eine Katastrophe nach der anderen hervorruft, namentlich Staatszerfall, das Erstarken von dschihadistischen Milizen wie dem «Islamischen Staat» und die Odyssee von Millionen Syrern, Irakern, Afghanen, hält sich die Kritik in Brüssel oder Berlin in engen Grenzen. Überspitzt gesagt kehren die Europäer mit der Flüchtlingskrise die Scherben einer verfehlten US-Interventionspolitik auf, bezahlen sie gutwillig den Preis für die Machtansprüche anderer. Anstatt selbstbewusst eigene Positionen zu vertreten, ziehen es hiesige Entscheidungsträger viel zu oft vor, amerikanischen Vorstellungen zu folgen. Das «Nein» der Bundesregierung zum US-geführten Einmarsch in den Irak 2003 ist und bleibt eine große Ausnahme. Lieber bemühen die politisch Verantwortlichen diesseits wie jenseits des Atlantiks das harmonische Bild einer «westlichen Wertegemeinschaft», die weltweit für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte eintrete. Diese Verständnisinnigkeit hat unter der rüpelhaften, autoritären Amtsführung von US-Präsident Donald Trump zweifelsohne gelitten, in Brüssel wie auch in Berlin. Doch der Glaube an «gemeinsame Werte» prägt nach wie vor entscheidend die eigene Selbstwahrnehmung.

Auf den ersten Blick mag es erstaunen: Wer sich mit Syrien befasst, muss sich auch mit der CIA beschäftigen. Regime change ist das moderne Gesicht des klassischen Staatsstreiches. Auf dem Gebiet macht den USA niemand etwas vor. Insbesondere in Lateinamerika, Afrika, West- und Ostasien, aber auch in Europa – also weltweit – haben sie seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges mit Hilfe direkter und indirekter Interventionen (militärischen, paramilitärischen, Attentaten, Putschen oder Putschversuchen, Propaganda) stets dafür Sorge getragen, dass ihnen unliebsame Politiker und Regime unter Druck geraten und beseitigt werden. Eine wesentliche Rolle kommt dabei den Geheimdiensten zu, vor allem der CIA. Die Central Intelligence Agency wurde 1947 mit zwei Mandaten gegründet. Zum einen, Informationen zu sammeln, sprich: zu spionieren, was in der Natur der Sache liegt. Zum anderen aber auch, und das ist kaum bekannt, um verdeckte Operationen zum Sturz von Regierungen durchzuführen, die amerikanischen Interessen zuwiderhandeln.

Den wenigsten ist bewusst, dass solche Interventionen Millionen Menschen das Leben gekostet haben und noch immer kosten. Opferzahlen dieser Größenordnung werden gemeinhin der Herrschaft von Stalin oder Mao zugeschrieben, den großen Antipoden einer wie auch immer verstandenen «westlichen Werteordnung». An fehlendem Wissen kann es eigentlich nicht liegen, denn die Exzesse amerikanischer Machtpolitik sind hinlänglich dokumentiert.[3] Wer etwa die endemische Bandengewalt im heutigen Zentralamerika, den Putsch gegen Chiles Präsidenten Allende 1973, den Aufstieg Pol Pots in Kambodscha in den 1970er Jahren, den Staatszerfall im Kongo oder die iranische Revolution verstehen will, landet unweigerlich in Washington oder Langley in Virginia, dem Sitz der CIA.

Syrien reiht sich ein in diese Chronik – seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges, als die USA die vormaligen Kolonialmächte Großbritannien und Frankreich als entscheidender Machtfaktor im Nahen und Mittleren Osten abzulösen begannen. Was heute dort geschieht, hat eine lange Vorgeschichte. Nur wer sie kennt, versteht die Gegenwart. Zwei inhaltliche Stränge gilt es dabei zu verfolgen: das Schattenspiel amerikanischer Politik und Geheimdienste und natürlich das Wirken der Handlungsträger vor Ort, vielfach windiger arabischer Potentaten, deren Unfähigkeit und Skrupellosigkeit ihren ausländischen Förderern – oder Widersachern – in nichts nachsteht.

Fangen wir also vorne an.

Die CIA lernt laufen in der Wüste: Die Putschversuche (nicht allein) in Syrien seit 1949

Die ersten US-Amerikaner, die sich für den Nahen Osten interessierten, waren protestantische Missionare. Seit dem frühen 19. Jahrhundert reisten sie von Neuengland aus ins «Heilige Land», um dort «Mohammedaner» zum Christentum zu bekehren. Mit wenig bis gar keinem Erfolg, doch betrieben diese Evangelisten zahlreiche Schulen und Bildungseinrichtungen. So auch das «Syrische Protestanten-Kolleg» in Beirut. Sein Begründer war 1866 Daniel Bliss, ein archetypischer Fürchtegott mit Rauschebart und schwarzem Anzug als zweiter Haut, fast eine Romangestalt. Aus diesem Kolleg wurde später die «Amerikanische Universität Beirut», deren Haupteingang an der Bliss-Straße im trendigen Viertel Ras Beirut liegt. Ihr Ableger ist die «Amerikanische Universität Kairo», die beide bis heute führende Bildungsstätten sind. Unter den Arabern waren diese Amerikaner meist gut gelitten. Anders als Briten und Franzosen verfolgten sie keine kolonialen Interessen. Im Gegensatz zu den Kolonialbeamten entwickelten einige Missionare Respekt und Sympathie für arabische und islamische Kulturen. Bliss führte sogar Arabisch als Unterrichtssprache ein, mithin die Sprache der Kameltreiber, was Franzosen und Briten mit Kopfschütteln quittiert haben dürften.

Ironischerweise wurden beide Universitäten zu Geburtsstätten und, in den 1950er und 1960er Jahren, zu Hochburgen des arabischen Nationalismus, eines entschiedenen Widersachers amerikanischer Hegemonie. Bis nach dem Ende des Ersten Weltkrieges waren die USA für die meisten Araber ein Hort der Verheißung geblieben. Woodrow Wilsons 14-Punkte-Programm, in dem der US-Präsident 1918 eine neue internationale Friedensordnung umriss, stieß auf große Zustimmung. Sie verstanden es als Versprechen arabischer Selbstbestimmung, das Wilson aber nicht gegeben hatte. Wohl hatte er sich gegen das Osmanische Reich ausgesprochen, aber keineswegs gegen die europäischen Kolonialmächte. Ernüchterung war die Folge. Wirtschaftlich und politisch wurde der Nahe Osten für die USA erst relevant, als dort, nach 1915, die ersten großen Erdölvorkommen außerhalb Irans entdeckt wurden, vor allem in den heutigen Golfstaaten und im Irak. Geheimdienstlich betätigten sich die Amerikaner im arabischen Raum erstmals im Zweiten Weltkrieg.

Die ersten Spione dort hatten entweder biographische Wurzeln in der Region, fühlten sich vom Orient angezogen oder suchten das Abenteuer. Als ihr maßgeblicher Pionier wird William A. Eddy (1896–1962) angesehen, Sohn einer presbyterianischen Missionarsfamilie, der im Libanon aufgewachsen war und fließend Arabisch sprach. Er hatte in den 1930er Jahren wesentlichen Anteil an den Verhandlungen amerikanischer Ölfirmen mit dem saudischen Königshaus, die das bis heute gültige «Geschäftsmodell» begründeten: US-Gesellschaften erhalten exklusive Verträge, im Gegenzug garantieren die USA die Sicherheit Saudi-Arabiens. Im Februar 1945 diente Eddy beim Treffen zwischen Präsident Roosevelt und dem saudischen König Abdulasis Ibn Saud an Bord eines Kriegsschiffes im Großen Bittersee bei Kairo als Übersetzer. Jene frühen «informellen» US-Agenten im Nahen Osten verkehrten wie selbstverständlich in den akademischen und politischen Kreisen der amerikanischen Ostküste, wo ihre Meinung gefragt war. Für heutige Verhältnisse gewiss ungewöhnlich dienten sie vielfach als Kulturvermittler, gleichzeitig galten sie als mutige Wegbereiter und Pioniere. Unter den politischen Eliten Washingtons gab es nicht wenige, die dem Orient romantisch huldigten.

Der protestantisch geprägte (und zeitweise von der CIA mitfinanzierte) Interessensverband «The American Friends of the Middle East» verfügte im Außenministerium über großen Einfluss. Dort waren sie als «Arabisten» bekannt. Sie waren entschiedene Gegner des Zionismus, sahen die zu erwartenden Spannungen zwischen Israel und den Arabern voraus und wendeten sich gegen eine zu einseitige Ausrichtung amerikanischer Politik zugunsten des jüdischen Staates. Präsident Truman war ihnen anfangs zugetan, änderte aber seine Haltung im Wahljahr 1948: «Ich muss auf Hunderttausende Rücksicht nehmen, die den Erfolg des Zionismus wünschen. Unter meinen Wählern befinden sich nicht hunderttausende arabische Wähler.»[4] Bereits wenige Minuten nach seiner Proklamation am 15. Mai 1948 erkannten die USA den Staat Israel an. Bis Mitte der 1950er Jahre verloren die «Arabisten» ihren Einfluss sukzessive an die entstehende Israel-Lobby, stets begleitet von Antisemitismus-Vorwürfen.

Die bei weitem wichtigsten US-Spione jener Zeit im Nahen Osten, die gleichzeitig in Washington auf höchster Ebene Gehör fanden, waren Kermit «Kim» Roosevelt (1916–2000) und, politisch weniger gut vernetzt und in der Hierarchie stets unter ihm, dessen Cousin Archibald B. Roosevelt (1918–1990). Beide waren Enkel von Präsident Theodore Roosevelt. Archibald hasste den Kommunismus und sah im Nahen Osten eine wichtige Frontlinie im verdeckt geführten Kampf gegen die Sowjetunion. Kermit dagegen, ein wichtiger Vertreter der «Arabisten», war ein romantisierender Orient-Liebhaber. Das hinderte den Harvard-Absolventen allerdings nicht daran, verheerende Entwicklungen in der Region einzuleiten, die bis heute fortwirken. Er war der Mastermind des von britischen und US-Agenten gemeinsam inszenierten Putsches gegen den demokratisch gewählten iranischen Premierminister Mossadegh 1953, der zwei Jahre zuvor die iranische Erdölindustrie verstaatlicht hatte.[5] Der Staatsstreich verhalf dem Schah an die Macht, dessen im Volk verhasste, von den USA und Israel maßgeblich unterstütze Diktatur 1979 von der Islamischen Revolution hinweggefegt wurde – die zeitversetzte, radikale Antwort auf den Putsch von 1953. Dieser und der ein Jahr später, 1954, in Guatemala durchgeführte Coup gegen einen gleichfalls demokratisch gewählten Präsidenten lieferten der CIA die logistischen und organisatorischen Blaupausen für zahlreiche weitere Putsche weltweit. Auf die Intervention in Guatemala folgte ein 40 Jahre währender Bürgerkrieg mit 200.000 Toten.[6] Die Konfrontation mit dem Iran setzt sich bis heute fort, nicht zuletzt in Syrien. Auch hier geht die Zahl der Toten in die Hunderttausende.

Ein wahres Feuerwerk an Intrigen und Verrat

Nominell gehörten Nordafrika und der Nahe Osten im 19. Jahrhundert zum Osmanischen Reich. In Wirklichkeit kontrollierten Großbritannien und Frankreich weite Teile der Region. Im Rahmen des geheimen Sykes-Picot-Abkommens, benannt nach den beiden britischen und französischen Unterhändlern, teilten London und Paris den Nahen Osten 1916 unter sich auf, in Erwartung eines Zusammenbruchs des Osmanischen Reiches. Dabei wurden die heutigen Staatsgrenzen weitgehend festgelegt, überwiegend mit Hilfe des Lineals, ohne Berücksichtigung gegebener ethnischer oder religiöser Verhältnisse und selbstverständlich ohne Rücksprache mit der einheimischen Bevölkerung. Die Nachkriegs-Konferenz von San Remo besiegelte 1920 diese koloniale Neuordnung. Um jeden Preis sollte ein großarabisches Reich verhindert werden, das zuvor allerdings arabischen Stammesführern in Aussicht gestellt worden war, als Belohnung für ihren Kampf gegen das Osmanische Reich. Teile und herrsche, diesem Ziel diente auch die britische Balfour-Deklaration 1917, die den Juden eine «nationale Heimstätte» in Palästina versprach. Die Franzosen sicherten sich das heutige Syrien und den Libanon, die Briten den Irak, Jordanien und Palästina.